Rechtsprechung der niedersächsischen Justiz

Transcription

Rechtsprechung der niedersächsischen Justiz
Rechtsprechung der niedersächsischen Justiz
Seite 1 von 6
Rechtsprechung der niedersächsischen Justiz
Auswahlverfahren
(Rettungsdienst II)
zur
Vergabe
einer
Dienstleistungskonzession
Zum Ausschluss vom weiteren Auswahlverfahren wegen nicht vorgelegter Kapitalbescheinigung.
VG Hannover 7. Kammer, Beschluss vom 18.10.2012, 7 B 5550/12
§ 5 Abs 2 RettDG ND
Tenor
Die Anträge werden abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird für das vorläufige Rechtsschutzverfahren auf 15.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
1
Die Antragstellerin, ein im Gebiet der Antragsgegnerin ansässiges Rettungsdienstunternehmen, das
gegenwärtig mit der Durchführung des Rettungsdienstes in einem Rettungswachenbereich beauftragt ist,
wendet sich gegen ein Absageschreiben der Antragsgegnerin, mit dem ihre Bewerbung in einem
Auswahlverfahren für eine zukünftige Beauftragung im Rettungsdienst abgelehnt worden ist.
2
Die Antragsgegnerin ist Trägerin des bodengebundenen Rettungsdienstes in ihrem Gebiet mit Ausnahme des
Gebiets der E.. Sie hat gegenwärtig Dritte - u.a. die Antragstellerin - mit der Durchführung des
Rettungsdienstes beauftragt. Die Vergabekammer Lüneburg hat auf der Grundlage der früheren Rechtslage
mit Beschluss vom 3.2.2012 - VgK-01/2012 - entschieden, dass eine Beauftragung an die bisherigen
Leistungserbringer ohne förmliches Vergabeverfahren längstens für den Leistungszeitraum bis zum 31.
Dezember 2012 erfolgen könne. Nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen
Rettungsdienstgesetzes vom 22.2.2012 (Nds. GVBl. S. 18) - NRettDG - am 7. März 2012 führt die
Antragsgegnerin gegenwärtig ein Auswahlverfahren mit dem Ziel durch, Dritte mit Wirkung vom 1. Januar
2013 bis zum 31. Dezember 2018 mit der Durchführung von Aufgaben des Rettungsdienstes zu beauftragen.
3
Hierzu forderte sie mit einer am 21.7.2012 im EU-Amtsblatt und am 23. Juli 2012 auf der Website der
Antragsgegnerin veröffentlichen Bekanntmachung zur Abgabe von Teilnahmeanträgen auf
(Auftragsbekanntmachung). Nach Nr. II.1.5 dieser Bekanntmachung ist Gegenstand des Auswahlverfahrens
die Übertragung der Durchführung von Leistungen der Notfallrettung und des qualifizierten Krankentransports
auf der Grundlage eines zu schließenden öffentlich-rechtlichen Vertrages (Konzessionsvertrages) in sechs
Losen mit je drei Rettungswachen (s. auch Nr. 6 der "Aufforderung zur Einreichung eines Teilnahmeantrages.
Der Abschluss der Verträge erfolge mittels der Erteilung von Dienstleistungskonzessionen im Sinne von Art. 1
Abs. 4 der Richtlinie 2004/18/EG. Das Verfahren folge nicht den Regeln eines förmlichen Vergabeverfahrens
zur Vergabe eines Dienstleistungsauftrages gemäß der Richtlinie 2004/18/EG bzw. den Bestimmungen der
VOL/A. Das Vergabeverfahren ist von der Antragsgegnerin mehrstufig ausgestaltet: Auf der 1. Stufe werde
ein Teilnahmewettbewerb bezogen auf sechs Lose durchgeführt. Dieser diene der Prüfung der Eignung der
Bewerber zur Auftragsdurchführung im Hinblick auf Zuverlässigkeit, wirtschaftliche und finanzielle
Leistungsfähigkeit sowie fachlich/technische Leistungsfähigkeit sowie der Ermittlung derjenigen Bewerber,
die zur Angebotsabgabe aufgefordert werden. Auf der Grundlage der vorliegenden Teilnahmeanträge würden
zehn geeignete Bewerber ausgewählt, die anschließend zur Angebotsabgabe aufgefordert und am weiteren
Verfahren (2. Stufe) beteiligt würden. Die Vergabeunterlagen erhielten die zur Angebotsabgabe
aufgeforderten Bewerber erst im Rahmen der 2. Stufe. Sofern nicht bereits im Rahmen der 2. Stufe auf
Grundlage der eingereichten ersten Angebote eine Zuschlagserteilung erfolge, werde unter Beachtung des
Grundsatzes der Gleichbehandlung auf der 3. Stufe eine weitere Verhandlungsrunde durchgeführt. Zur
Verhandlungsrunde würden diejenigen sechs Bieter aufgefordert, die im Rahmen der 2. Stufe die höchste
Wertungspunktzahl erhalten hätten. Als zuständige Stelle für das Rechtsbehelfs-/Nachprüfungsverfahren wird
unter Nr. VI.4.1. der Auftragsbekanntmachung das Verwaltungsgericht Hannover bezeichnet.
4
Zur Ausgestaltung des Vergabeverfahrens heißt es in der Auftragsbekanntmachung unter Nr. II.1.5:
http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?printv... 29.10.2012
Rechtsprechung der niedersächsischen Justiz
Seite 2 von 6
5
"Das Verfahren folgt nicht den Regeln eines förmlichen Vergabeverfahrens zur Vergabe eines
öffentlichen Auftrages gemäß der Richtlinie 2004/18/EG bzw. den Bestimmungen der Vergabe- und
Vertragsordnung für Leistungen (VOL/A).
6
Die Verfahrensausgestaltung erfolgt lediglich in Anlehnung an das Verfahren der freihändigen
Vergabe im Sinne des ersten Abschnitts der Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen (VOL/A
1. Abschnitt) mit einem vorgeschalteten Teilnahmewettbewerb nach Maßgabe der
Auswahlbedingungen. Die Bestimmungen der VOL/A 1. Abschnitt sind ausdrücklich nicht
Bestandteil bzw. Grundlage des Vergabeverfahrens. Es besteht kein Anspruch auf Einhaltung der
Bestimmungen der VOL/A und/oder sonstiger Bestimmungen des förmlichen Vergaberechts. Dies
gilt für sämtliche Stufen des Verfahrens".
7
Der zweite Absatz ist auch wortgleich unter Nr. 7 der "Aufforderung zur Abgabe eines Teilnahmeantrages"
enthalten. In der letztbezeichneten Bekanntmachung heißt es zu den Anforderungen an die
Teilnahmeanträge unter Nr. 12.1.1 auf der 1. Stufe des Auswahlverfahrens außerdem:
8
"Die Anforderungen an die einzureichenden Teilnahmeanträge - einschließlich der Frist für die
Einreichung der Teilnahmeanträge - ergeben sich aus Ziff. 13 und 14.
9
Die fristgerecht eingegangenen Teilnahmeanträge werden zunächst anhand der gestellten
Nachweisanforderungen (siehe Ziff. 14 und Anlage: 'Mit dem Teilnahmeantrag vorzulegende
Unterlagen/Eignungsnachweise' sowie der Vorgaben in den weiteren Anlagen) daraufhin geprüft, ob
die gestellten (Mindest-)Anforderun-gen an die Eignung hinreichend nachgewiesen sind.
10
Die Auftraggeberin behält sich unter Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes eine
Nachforderung fehlender Erklärungen, Angaben und Nachweise vor. Ein Anspruch auf eine
Nachforderung besteht nicht. Nachgeforderte Erklärungen, Angaben und Nachweise sind in diesem
Fall binnen einer angemessenen Nachfrist von max. 5 Tagen ab Aufforderung bei der in der
Aufforderung angegebenen Stelle und in der darin mitgeteilten Form einzureichen.
11
Bewerber, die ihre Eignung, ggf. nach erfolgter Nachforderung und fristgerechtem Nachreichen von
Erklärungen, Nachweisen und Angaben, nicht hinreichend nachgewiesen haben, werden vom
weiteren Verfahren ausgeschlossen."
12
Unter Nr. 14 der vorbezeichneten Bekanntmachung heißt es:
13
"Mit dem Teilnahmeantrag sind sämtliche geforderten Erklärungen sowie Nachweise zur Beurteilung
der Zuverlässigkeit, Leistungsfähigkeit und Fachkunde gemäß Bekanntmachung und der Anlage:
'Mit dem Teilnahmeantrag vorzulegenden Unterlagen/Eignungsnachweise' in deutscher Sprache
vorzulegen."
14
Nach Nr. III.2.2. der Auftragsbekanntmachung und nach der vorbezeichneten Anlage zur Bekanntmachung
sind u.a. vorzulegen:
15
"2.1 Nachweis über zur Verfügung stehendes Eigen- (z.B. Bilanz/Bilanzauszug;
Eigenkapitalbescheinigung oder Bankauskunft) oder Fremdkapital (z.B. durch aktuelle
Bankbestätigung; Bilanz/Bilanzauszug) in Höhe von mindestens EUR 500.000,- jeweils
bezogen auf ein Los zwecks Abdeckung möglicher Forderungsausfälle sowie insbesondere
einer ggf. vollständigen Uneinbringlichkeit von Forderungen gegenüber Kostenträgern während
der ersten 9 Monate bei Nichteinigung zwischen dem Beauftragten und den Kostenträgern über
die Höhe der Leistungsentgelte, vgl. § 15a Abs. 4 NRettDG, im Original (zum Zeitpunkt des
Ablaufs der Frist zur Einreichung des Teilnahmeantrages nicht älter als 3 Monate).
16
Hinweis: Stammt der mittels Bestätigung vorgelegte Nachweis über das zur Verfügung
stehende Fremdkapital nicht von einem in Deutschland zugelassenen Kreditinstitut, ist dem
Teilnahmeantrag zusätzlich ein Nachweis über das zur Verfügung stehende Eigenkapital (z.B.
Eigenkapitalbescheinigung oder Bankauskunft) des Fremdkapitalgebers beizufügen" (im
Folgenden: Kapitalbescheinigung).
17
Die Frist zur Einreichung der Teilnahmeanträge lief am 12. August 2012, 12.00 Uhr ab und wurde am 27. Juli
2012 "im Interesse der ordnungsgemäßen Erstellung der Teilnahmeanträge" bis zum 20. August 2012, 12.00
Uhr verlängert.
18
Die Antragstellerin stellte unstreitig unter dem 13. August 2012 einen Teilnahmeantrag, und legte in diesem
Zusammenhang ein auf den 17. August 2012 datierendes Schreiben der Bank vor (Bl. 220R, 290 d.A.), das
lautet:
19
"Beantragung einer Bankbürgschaft
20
…gern bestätigen wir Ihnen, dass wir Ihren Antrag auf Übernahme einer Bankbürgschaft in Höhe
von 500.000,-- EUR für die [Antragsgegnerin] aufgenommen haben. Die Bürgschaft wird für die
Ausschreibung bzw. Bewerbung auf das Los Nr. … benötigt.
http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?printv... 29.10.2012
Rechtsprechung der niedersächsischen Justiz
Seite 3 von 6
21
Aufgrund der Urlaubszeit sind wir derzeit nicht in der Lage, den Kreditantrag in der von Ihnen
vorgegebenen Frist bis zum 20.08.2012 abschließend zu prüfen und zu bewilligen. Sowie die
Kreditentscheidung getroffen wurde, werden wir uns kurzfristig mit Ihnen in Verbindung setzen.
22
Wir bedauern, Ihnen keinen günstigeren Bescheid geben zu können und verbleiben …"
23
Mit dem streitbefangenen Absageschreiben vom 3. September 2012 informierte die Antragsgegnerin die
Antragstellerin darüber, dass ihre Bewerbung im weiteren Auswahlverfahren keine Berücksichtigung mehr
finden könne. Eine Aufforderung zur Angebotsabgabe im Rahmen der 2. Stufe erfolge daher nicht. Zur
Begründung wurde ausgeführt, dass die Antragstellerin den geforderten Nachweis über Eigen- oder
Fremdkapital in Höhe von mindestens 500.000,00 € bezogen auf ein Los nicht vorgelegt habe. Die
Antragsgegnerin habe von dem Vorbehalt der Nachforderung fehlender Erklärungen und Nachweise unter
Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes bezüglich sämtlicher Bewerber keinen Gebrauch gemacht. Das
Schreiben enthält keine gesonderte Rechtsbehelfsbelehrung.
24
Gegen das Absageschreiben erhob die Antragstellerin unter dem 4. Oktober 2012 Widerspruch.
25
Mit ihrer ebenfalls am 4. Oktober 2012 beim Verwaltungsgericht Hannover eingegangenen Klage begehrt die
Antragstellerin die Aufhebung des Absageschreibens sowie die Verpflichtung der Antragsgegnerin, sie an
dem Auswahlverfahren weiter zu berücksichtigen - 7 A 5548/12 -. Zugleich sucht sie um vorläufigen
Rechtsschutz nach und rügt das Beauftragungsverfahren. Die Antragsgegnerin hätte ein förmliches
Verfahren nach dem Submissionsmodell durchführen müssen, weil es sich nicht um eine
Dienstleistungskonzession handele, die vergeben werde, sondern um einen (verkappten)
Dienstleistungsauftrag. Hilfsweise rügt sie auch Verstöße gegen die Grundsätze, die von der Antragsgegnerin
bei der Vergabe einer Dienstleistungskonzession zu beachten seien. Es seien die historisch gewachsenen
Strukturen, zu denen ihre gegenwärtige Mitwirkung im Rettungsdienst zähle, zu berücksichtigen. Zur
finanziellen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Bewerber enthalte das NRettDG keine Vorgaben.
Auch die R…-versammlung habe entsprechende Vorgaben nicht erlassen. Der Loszuschnitt sei rechtswidrig.
Er benachteilige sie entgegen § 97 Abs. 2 GWB und §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 14 Abs. 2 des Niedersächsischen
Gesetzes zur Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen vom 30.4.1978 (Nds. GVBl. S. 377) - MFG Nds. als entsprechendes kleines bzw. mittleres Unternehmen. Entsprechend handele es sich bei dem geforderten
Leistungsnachweis von 500.000,00 € um ein sach- und vergaberechtswidriges Kriterium. Bereits wegen der
Kürze der Zeit sei ihr die Beibringung der Kapitalbescheinigung nicht möglich gewesen und der Ausschluss
der Nachforderung durch die Antragsgegnerin rechtswidrig.
26
Die Antragstellerin beantragt,
27
28
29
30
31
die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 4. Oktober 2012 wiederherzustellen,
hilfsweise
gemäß § 123 Abs. 1 VwGO durch einstweilige Anordnung das Angebots- und Zuschlagsverfahren in
dem Vergabeverfahren der Antragsgegnerin zur Vergabe-Nr. … einstweilen auszusetzen und der
Antragsgegnerin einstweilen bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu
untersagen, Zuschläge an Bieter für Aufträge oder Konzessionen für Rettungsdienstleistungen zu
erteilen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Anträge abzulehnen.
32
Sie erwidert, der Hauptantrag sei unzulässig, weil das Absageschreiben keinen Verwaltungsakt beinhalte.
Der Hilfsantrag sei unzulässig, weil die Hauptsache vorweggenommen werde. In der Sache sei die
Antragstellerin zu Recht von der weiteren Teilnahme am Auswahlverfahren ausgeschlossen worden, weil sie
die geforderte Kapitalbescheinigung unstreitig nicht vorgelegt habe. Die Eingangsbestätigung der Bank vom
17. August 2012 genüge nicht. Die Eignungsbedingung sei aus den Gründen der Auftragsbekanntmachung
auch erforderlich, um die Erfüllung des Sicherstellungsauftrages nicht zu gefährden. Hinsichtlich der übrigen
von der Antragstellerin gerügten Kriterien fehle ihr bereits die Antragsbefugnis. Die Antragstellerin
unterscheide nicht Eignungskriterien von Zuschlagskriterien. Die Antragsgegnerin habe zulässigerweise das
Konzessionsmodell als Grundlage der Vergabe gewählt. Beim Loszuschnitt habe die Antragstellerin darauf
achten müssen, dass die Lose neben den rettungsdienstrechtlichen bzw. einsatztaktischen Gründen
gleichmäßig wirtschaftlich interessant seien.
33
Das … Ministerium für … hat auf Antrag der Antragsgegnerin mit Erlass vom 27. September 2009
angeordnet, dass die Vorlage der vollständigen Verwaltungsvorgänge durch die Antragsgegnerin zu
verweigern sei.
34
Nach Mitteilung der Antragsgegnerin haben am 20. August 2012 zwölf Bewerber Teilnahmeanträge
abgegeben, von denen gegenwärtig neun Bewerber auf der 2. Stufe des Auswahlverfahrens zur Abgabe von
konkreten Bewerbungen aufgefordert worden seien. Drei Bewerber - unter ihnen die Antragstellerin - seien
wegen fehlender Unterlagen ausgeschlossen worden. Der Zuschlag solle am 25. Oktober 2012 erfolgen.
http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?printv... 29.10.2012
Rechtsprechung der niedersächsischen Justiz
Seite 4 von 6
35
Die Antragstellerin hat die geforderte Kapitalbescheinigung bis zur Entscheidung des Gerichts nicht
nachgereicht.
36
Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Teils der im Parallelverfahren 7 B
5189/12 vorgelegten Verwaltungsvorgänge verwiesen, den die Antragsgegnerin vorgelegt hat und die im
vorliegenden Verfahren beigezogen wurden.
II.
37
Haupt- und Hilfsantrag haben keinen Erfolg.
38
Der Hauptantrag ist bereits unzulässig und der Hilfsantrag jedenfalls unbegründet.
39
1a. Der Verwaltungsrechtsweg ist zulässig, weil die Antragstellerin mit ihrem Hauptantrag sicherstellen will,
dass sie nicht von einem Auswahlverfahren betreffend eine Dienstleistungskonzession ausgeschlossen wird
und das Absageschreiben vom 3. September 2012 unwirksam wird, sie sich mithin weiter am
Auswahlverfahren betreffend eine Dienstleistungskonzession beteiligen kann, die die Antragsgegnerin in den
Formen des öffentlichen Rechts vergeben will (BGH, Beschluss vom 23.1.2012, NZBau 2012, S. 248).
40
Gemäß § 3 Abs. 2 des Niedersächsischen Rettungsdienstgesetzes in der hier anwendbaren Fassung vom
22.2.2012 (Nds. GVBl. S. 18) - NRettDG - obliegt der bodengebundene Rettungsdienst den kommunalen
Trägern als Aufgabe des eigenen Wirkungskreises. Gemäß §§ 4 Abs. 2 Satz 1, 2 Abs. 1 NRettDG haben die
Träger des Rettungsdienstes den Rettungsdienst in ihren Rettungsdienstbereichen sicherzustellen. Damit ist
der Rettungsdienst in Niedersachsen als öffentliche Aufgabe ausgestaltet. Würde die Antragsgegnerin davon
absehen, Dritte nach § 5 NRettDG mit der Durchführung des Rettungsdienstes zu beauftragen, müsste sie
den Rettungsdienst aufgrund ihres Sicherstellungsauftrages selbst durchführen. Der Beauftragte handelt
nach § 5 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 NRettDG auch im Falle der Dienstleistungskonzession im Namen des
Trägers des Rettungsdienstes. Dies gilt nach Halbsatz 2 der Vorschrift im Falle der
Dienstleistungskonzession lediglich nicht für die Erhebung der Entgelte. Darüber hinaus ist Ziel des
streitbefangenen Auswahlverfahrens der Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages (s. Nr. II.1.5 der
Auftragsbekanntmachung der Antragsgegnerin und Nr. 6 ihrer Aufforderung zur Einreichung eines
Teilnahmeantrages; ebenso VG Frankfurt a.M., Beschluss vom 4.11.2011 - 5 L 2864/11.F - BeckRS 2011,
55664).
41
Es kann im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung dahingestellt bleiben, ob die streitbefangene Dienstleistung
tatsächlich in der Gestalt einer Dienstleistungskonzession und nicht lediglich in der Gestalt eines verkappten
Dienstleistungsauftrages (vgl. hierzu Freese/Schwind, NdsVBl. 2012, S. 201) vergeben wird, weil die
Antragstellerin mit ihrem Teilnahmeantrag und ihrem Hauptantrag im vorläufigen Rechtsschutzbegehren
gerade die weitere Teilnahme an dem Auswahlverfahren nach Maßgabe der Ausgestaltung und Bedingungen
der Antragsgegnerin zur Erteilung einer Dienstleistungskonzession begehrt. Auf Dienstleistungskonzessionen
ist der Vierte Teil des GWB nicht anzuwenden (BGH, aaO).
42
b. Der Hauptantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist jedoch unzulässig, weil das Absageschreiben der
Antragsgegnerin vom 3. September 2012 keine Regelung im Sinne von § 35 VwVfG enthält. Mit dem
Schreiben wird die Antragstellerin davon unterrichtet, dass ihre Bewerbung im weiteren Auswahlverfahren
keine Berücksichtigung mehr finden könne. Es handelt sich bei diesem Schreiben um eine bloße Information.
Weder ist damit ein Zuschlag an die begünstigten Bewerber verbunden, noch gar der Abschluss der öffentlich
-rechtlichen Verträge über die einzelnen Leistungen (VG Frankfurt a.M., aaO). Der Widerspruch der
Antragstellerin vom 4. Oktober 2012 dürfte sich deshalb als unzulässig erweisen.
43
Statthaft ist lediglich ein Antrag nach § 123 VwGO.
44
2. Der Hilfsantrag nach § 123 VwGO ist jedoch zumindest unbegründet.
45
Das Gericht kann gemäß § 123 Abs. 1 VwGO auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige
Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine
Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragstellerin vereitelt oder
wesentlich erschwert wird. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in
bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden
Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder aus anderen Gründen notwendig
erscheint.
46
Die Antragstellerin hat zwar einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, weil die Antragsgegnerin am 25.
Oktober 2012 den Zuschlag erteilen will. Jedoch hat sie keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
47
a. Mit dem Hilfsantrag, das Auswahlverfahren vorläufig auszusetzen und der Antragsgegnerin vorläufig zu
untersagen, Dritten den Zuschlag zu erteilen, macht die Antragstellerin einen Unterlassungsanspruch geltend
(vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 11.6.2010, NVwZ 2010, S. 1252). Diesen hat die Antragstellerin nicht
glaubhaft gemacht, zumal keine Rechtsgrundlage für den von ihr geltend gemachten Unterlassungsanspruch
besteht.
http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?printv... 29.10.2012
Rechtsprechung der niedersächsischen Justiz
Seite 5 von 6
48
aa. Ein solcher Unterlassungsanspruch kann nicht mit der Auffassung der Antragstellerin begründet werden,
die Antragsgegnerin hätte richtigerweise ein Vergabeverfahren nach dem Vierten Teil des GWB durchführen
müssen, weil es sich nach ihrer Auffassung bei der in Rede stehenden Beauftragung in Wahrheit um einen
verkappten Dienstleistungsauftrag handele. Die Antragstellerin hat sich mit ihrem Teilnahmeantrag vom 13.
August 2012 auf das Auswahlverfahren eingelassen, wie es von der Antragsgegnerin bekanntgemacht
worden ist. Dieses zielt auf die Vergabe einer Dienstleistungskonzession. Mit dieser Vergabeart hat die
Antragsgegnerin eine zulässige Wahl getroffen.
49
Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 NRettDG kann die Antragsgegnerin als Trägerin des bodengebundenen
Rettungsdienstes Dritte mit der Durchführung von Leistungen des Rettungsdienstes nach § 2 Abs. 2
NRettDG und der Einrichtung und der Unterhaltung der Einrichtungen nach § 4 Abs. 4 NRettDG beauftragen.
Gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 NRettDG in der vorbezeichneten Neufassung des Gesetzes erfolgt die
Beauftragung innerhalb eines Rettungsdienstbereiches einheitlich entweder (1.) durch die Erteilung eines
Dienstleistungsauftrages oder mehrerer Dienstleistungsaufträge oder (2.) durch die Erteilung einer
Dienstleistungskonzession oder mehrerer Dienstleistungskonzessionen. Vorliegend hat sich die
Antragsgegnerin für die Erteilung von Dienstleistungskonzessionen entschieden.
50
Auf das Verfahren zur Erteilung einer Dienstleistungskonzession finden der Vierte Teil des GWB und damit
auch die VgV und die VOL/A keine Anwendung (BGH ebd.). Der Vorschlag der EU-Kommission für eine
Richtlinie über die Konzessionsvergabe vom 20.12.2011, KOM (2011) 897 ist noch nicht realisiert. Nach der
Rechtsprechung des EuGH ist die Antragsgegnerin verpflichtet, auch bei der Vergabe von
Dienstleistungskonzessionen die primärrechtlichen Grundregeln des AEUV, insbesondere die Art. 49 und 56
AEUV sowie die daraus fließende Transparenzpflicht zu beachten, wenn an dem betreffenden Vertrag ein
eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse besteht (EuGH, Urteil vom 10.3.2011, Rdnr. 49, u.a. EuZW
2001, S. 353 = BayVBl. 2011, S. 497; vgl. insoweit bereits auch Nds. OVG, Beschluss vom 7.2.2006, NdsVBl.
2006, S. 165 zur früheren Rechtslage). Dies hat auch der Niedersächsische Gesetzgeber zur Grundlage des
Änderungsgesetzes zum NRettDG gemacht (LT-Drs. 16/3826, S. 8 vorletzter Absatz). Das
grenzüberschreitende Interesse besteht vorliegend schon deshalb, weil sich aus dem Parallelverfahren 7 B
5189/12 ergibt, dass an dem Auswahlverfahren mindestens ein Bewerber teilnimmt, der sich selbst als Teil
eines ausländischen Rettungsdienstkonzerns bezeichnet und der im Bundesgebiet tätig werden will. Das
NRettDG selbst enthält mit Ausnahme von § 5 Abs. 1 Satz 3 NRettDG (Bei der Auswahl der Beauftragten
können die Eignung und Bereitschaft zur Mitwirkung am Katastrophenschutz sowie zur Bewältigung von
Großschadensereignissen berücksichtigt werden) keine besonderen Bestimmungen für die Vergabe der
Dienstleistungskonzession.
51
Die Antragsgegnerin hat sich für ihr Verfahren nach der Auftragsbekanntmachung und ihrer Aufforderung zur
Einreichung eines Teilnahmeantrages selbst folgende Grundlagen gegeben:
52
"Die Verfahrensausgestaltung erfolgt lediglich in Anlehnung an das Verfahren der freihändigen
Vergabe im Sinne des ersten Abschnitts der Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen (VOL/A
1. Abschnitt) mit einem vorgeschalteten Teilnahmewettbewerb nach Maßgabe der
Auswahlbedingungen. Die Bestimmungen der VOL/A 1. Abschnitt sind ausdrücklich nicht
Bestandteil bzw. Grundlage des Vergabeverfahrens. Es besteht kein Anspruch auf Einhaltung der
Bestimmungen der VOL/A und/oder sonstiger Bestimmungen des förmlichen Vergaberechts. Dies
gilt für sämtliche Stufen des Verfahrens".
53
Die Berücksichtigung von Vorschriften der VOL/A auch bei der Vergabe einer Dienstleistungskonzession wird
im Rahmen des Ermessens der Behörde bei der Verfahrensausgestaltung (vgl. OVG Magdeburg, Urteil vom
22.2.2012 - 3 L 259/10 -, Rdnr. 67) für zulässig erachtet (vgl. VG Frankfurt a.M., aaO, für die VOL/A-EG). Da
das vorliegende Auswahlverfahren letztendlich auf Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages im Sinne
von § 1 NVwVfG in Verbindung mit den §§ 54ff. VwVfG gerichtet ist, hat die Antragsgegnerin darüber hinaus
gemäß § 9 VwVfG auch die Bestimmungen des VwVfG über das Verwaltungsverfahren zu beachten. Denn
Verwaltungsverfahren im Sinne des VwVfG ist auch die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf
den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags gerichtet ist; es schließt den Abschluss eines öffentlichrechtlichen Vertrags ein (vgl. zur Anwendbarkeit der Maßstäbe des VwVfG im rettungsdienstrechtlichen
Auswahlverfahren auch OVG Magdeburg, aaO, Rdnr. 74).
54
Diese Maßstäbe sind jedenfalls im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht zu beanstanden.
55
bb. Einen Anordnungsanspruch kann die Antragsgegnerin auch nicht damit begründen, einzelne Vorgaben
und Kriterien des Auswahlverfahrens seien unzulässig. Ein solcher Vortrag ist im vorliegenden
Verfahrensstadium unerheblich, in dem die Antragstellerin von der weiteren Teilnahme am Auswahlverfahren
wegen unstreitig unterbliebener und bis heute nicht nachgeholter Vorlage eines geforderten
Eignungsnachweises auf der 1. Stufe des mehrstufigen Auswahlverfahrens ausgeschlossen worden ist.
56
Dessen ungeachtet steht die Anzahl der Lose, die zum Gegenstand des Auswahlverfahrens gemacht
werden, im Ermessen der Antragsgegnerin. Die Antragstellerin hat keinen Rechtsanspruch darauf, dass die
Antragsgegnerin die Anzahl der Lose nach ihren Vorstellungen ausrichtet. Ein solcher Anspruch kann nicht
auf § 97 Abs. 2 GWB gestützt werden, der vorliegend - wie bereits ausgeführt - bei der Vergabe einer
Dienstleistungskonzession nicht zur Anwendung gelangt. Entsprechendes gilt für § 14 Abs. 2 MFG Nds., der
sich ebenfalls auf öffentliche Aufträge bezieht. Dessen ungeachtet ist die Aufteilung der Lose des
http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?printv... 29.10.2012
Rechtsprechung der niedersächsischen Justiz
Seite 6 von 6
Rettungsdienstbereichs der Antragsgegnerin, der das Gebiet der Stadt F. ringförmig umschließt, in 6 x 3
Rettungswachen auf den ersten Blick nicht ermessenfehlerhaft und hat in erster Linie rettungsdienstlichen
Notwendigkeiten zu folgen.
57
Soweit die Antragstellerin sinngemäß fordert, es seien die gewachsenen Strukturen des Rettungsdienstes, zu
denen sie zähle, zu berücksichtigen, so hat der Gesetzgeber dieses Kriterium bereits durch Art. 1 Nr. 4 des
Gesetzes zur Änderung des NRettDG vom 12.7.2007 (Nds. GVBl. S. 316) aus dem NRettDG
herausgenommen.
58
Dass die Antragstellerin eine Kapitalbescheinigung in Höhe von 500.000,00 € je Los fordert, ist ebenfalls
nicht zu beanstanden. Der Rettungsdienst hat die überragenden Rechtsgüter Leben und Gesundheit der
Bevölkerung zu schützen. Der mit der Durchführung des Rettungsdienstes Beauftragte erfüllt den
Sicherstellungsauftrag der Kommune und handelt gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 NRettDG - wie bereits oben
dargestellt - auch im Falle der Erteilung einer Dienstleistungskonzession im Namen des Trägers des
Rettungsdienstes mit Ausnahme der Erhebung der Entgelte. Die Antragsgegnerin hat deshalb insbesondere
im Fall der Erteilung einer Dienstleistungskonzession darauf zu achten, dass der ihr obliegende
Sicherstellungsauftrag durch den Beauftragten auch dann erfüllt wird, wenn sie keinen Einfluss mehr auf die
Leistung der Entgelte an den Konzessionsnehmer hat. Zutreffend verweist sie darauf, dass der
Konzessionsnehmer gemäß § 15a Abs. 4 NRettDG Einnahmeausfälle von bis zu neun Monaten überbrücken
muss. Die Höhe des in der Kapitalbescheinigung geforderten Betrages ist deshalb entgegen der
Rechtsauffassung der Antragstellerin keineswegs überzogen.
59
b. Selbst wenn die Kammer den Hilfsantrag der Antragstellerin nach § 123 VwGO in der Zusammenschau mit
dem Hauptantrag gemäß § 88 VwGO dahingehend auslegt, dass mit ihm vorläufig die weitere Teilnahme der
Antragstellerin am Auswahlverfahren gesichert werden soll, wäre diesem Antrag kein Erfolg beschieden.
60
Denn auch insoweit hätte die Antragstellerin keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Es spricht
Überwiegendes dafür, dass die Antragsgegnerin die Antragstellerin zu Recht von der weiteren Teilnahme am
Auswahlverfahren ausgeschlossen hat, weil die geforderte Kapitalbescheinigung nicht vorliegt. Die
Eingangsbescheinigung der Bank vom 17. August 2012 über einen Bürgschafts-/Kreditantrag genügt nicht.
Die Antragstellerin hat auch zwei Monate nach diesem Antrag die Kapitalbescheinigung noch nicht vorgelegt.
Deshalb kann dahingestellt bleiben, ob das Nichtgebrauchmachen von der Nachforderungsmöglichkeit nach
Nr. 12.1.1 der Aufforderung zur Abgabe eines Teilnahmeantrages im Falle der Antragstellerin
ermessensgerecht ist.
61
3) Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
62
4) Die Streitwertfestsetzung findet ihre Rechtsgrundlage in den §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG.
Abweichend von der Streitwertangabe der Antragstellerin, die sich auf 50.000,00 € beläuft, legt das Gericht wie im Parallelverfahren 7 A 5189/12 - im vorläufigen Rechtsschutzverfahren einen Streitwert von 15.000,00
€ zugrunde.
http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?printv... 29.10.2012