Celler Trialog beenden Schulsystem - revista

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Celler Trialog beenden Schulsystem - revista
gratis!
Nr.
44
Juli/August 2009
Celler Trialog beenden
Schulsystem dreigeteilt für immer?
Randgruppe?
Ab an den Stadtrand!
Oktober 1993:
Ritterkreuzträger
in Celle
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revista Nr. 44, Juli/Aug. 2009
1
INHALT
Eschede – mal wieder
„Der rechte Weg“
3
Interview mit Olaf Meyer (AA Lüneburg/Uelzen)
Verstärkte Mobilisierung erforderlich
4
Aufruf: Celler Trialog beenden Für eine Welt ohne Krieg
5
Beim Geldabholen erschossen
Gastkommentar Otto Köhler
7
Laternengespräche
Der Letzte macht das Licht aus
8
Nazi-Outing in Hermannsburg &
Anfrage zu Erneuerbaren
10
Vom städtischen Umgang mit “Randgruppen“
Aus den Augen, aus dem Sinn
11
Kooperative Gesamtschule
Wiswe ignoriert Elternwillen
12
Bildungspolitik beweist:
Celler CDU weiter unfähig zur Erneuerung 13
Interview mit Jan Bonorden
Weg frei für die Erneuerbaren
Lokalnachrichten im Rückblick
H
A
L
L
O
I ain't gonna work for Maggie's brother no more.
No, I ain't gonna work for Maggie's brother no
more.
Well, he hands you a nickel,
He hands you a dime,
He asks you with a grin
If you're havin' a good time,
Then he fines you every time you slam the door.
I ain't gonna work for Maggie's brother no more.
Soviel zur „Losung“ dieser Ausgabe; ansonsten wieder alles mit einem irgendwie gearteten lokalen Bezug. Am wichtigsten werden
die Aktionen gegen den CELLER TRIALOG – von uns dazu nicht allzu viel, denn
es gibt eine eigene kleine Broschüre.
14
16
Missionsanstalt Hermannsburg im Nationalsozialismus
Das schwarze Herz Hannover?
19
Ritterkreuzträger 1993 in Celle
„Orden fürs Morden“
22
Infoladen im Bunten Haus
Von Anarchie bis Zappatismus
26
Termine Politik
27
Termine Kunst und Kultur
28
Was wir von unseren Leser_innen aber erwarten, ist, dass sie zur Demonstration am 4.
Juli – bitte vollzählig – erscheinen. Wer - aus
welchen Gründen auch immer – nicht kommen kann, leiste bitte eine Strafzahlung auf
unser unten stehendes Konto. Denn so langsam geht uns das Geld wieder aus.
Ein Leser hat sich schon freiwillig daran
gehalten - mit der wohl in der Geschichte
der revista bisher größten Einzelspende.
Vielen, vielen Dank.
Über Kritik und Kommentare
freut sich wie immer ...
eure Redaktion
Impressum: „revista – linke zeitung für politik und kultur“, c/o Buntes Haus, PF 1329, 29203 Celle
V.i.S.d.P.: Ralf Hübner, e-mail: [email protected]; web: http://mitglied.lycos.de/Revista/
erscheint alle 2 – 3 Monate; liegt kostenlos in diversen Kneipen und Geschäften aus,
kann aber gegen Portokosten abonniert werden (5 Ausgaben für 5 EUR)
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2
revista Nr. 44, Juli/Aug. 2009
Der rechte Weg
Am Samstag bei der Sonnenwendfeier auf dem
Bauerhof von NPD-Mitglied Joachim Nahtz dürfte
sich keiner über den Schotterweg beschweren. Die
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Schlaglöcher
wurden beseitigt. Mit einem Mineralgemisch setzte die Kameradschaft "Celle 73" den öffentlichen Weg "Zum Finkenberg" instand. Die Sanierung nahm sie in Absprache mit der niedersächsischen Gemeinde Eschede vor.
"Ja das stimmt, wir haben 15 Kubikmeter des
Gemisches bezahlt", sagt Eschedes Bürgermeister
Günter Berg (parteilos). Leicht wäre der Gemeinde
dieser Deal jedoch nicht gefallen. Bei der Instandsetzung von solchen Wegen, sagt Berg, wäre es im
Ländlichen aber üblich dass die betroffenen Bauern
eingebunden würden. "Herr Nahtz hatte sich schon
oft über den Zustand des Weges beschwert", sagt
Berg, "wir haben das überprüft und waren wegen der
Verkehrssicherheit genötigt zu handeln".
Seit Jahren kommt die Szene von NPD bis freien
Kameradschaften auf dem etwas heruntergekommenen Anwesen zusammen. Hier am Rande des Ortes
tagen
sie und richten Feste nach dem "arteigenen
t
Brauchtum" aus. Oft beschwerten sich Gäste über
die holprige Zufahrt bei Nahtz, der im vergangenen
Jahr für die NPD zur Landtagswahl antrat. Auf dem
1,8 Kilometer langen Weg soll so manche Stoßstange durch die Schlaglöcher beschädigt worden sein.
Die Kameradschaft "Celle 73" verspricht nun eine
"etwas komfortablere Anreise".
Proteste gegen
Sonnenwendfeier
Am 20. Juni fand auf dem Hof des Altnazis Joachim
Nahtz in Eschede zum wiederholten Male eine Sonnenwendfeier statt. Diesmal waren über 250 Nazis zu diesem sommerlichen Heidenritus erschienen, darunter erschreckend viele Kinder und Jugendliche, Beobachter_innen sprechen von ca. 40 – viele davon aus dem
Landkreis! Wieder war es die Celler Kameradschaft 73,
die für die Organisation verantwortlich war. Dass neben
dem Feiern heidnischer Riten auch Vernetzung, Schulung und Koordination ein wichtiger Bestandteil solcher
Treffen ist, zeigt sich daran, dass neben Kuchen- und
Bierständen mit einem Informationsstand auch die Organisatoren des bevorstehenden Naziaufmarschs in Bad
Nenndorf am 1. August anwesend waren und für ihren
„Trauermarsch“ werben konnten.
Dieses Jahr fand als Gegenaktion eine Kundgebung
vom Forum gegen Gewalt und Rechtsextremismus gemeinsam mit DGB Lüneburg/Celle statt, an der sich ca.
70 Personen beteiligten. Bei den Reden von DGB,
VVN und Buntem Haus wurde gefordert, mit vielfältigen Ideen am Thema dran zu bleiben - und das Ziel der
Aktionen in Eschede wurde genau formuliert: Die Treffen bei Nahtz müssen aufhören!
Auf ihrer Webseite nutzt die Kameradschaft um
Dennis Bührig, der sich ebenfalls für die NPD zur
Wahl stellte, auch gleich die Chance sich als jene zu
gerieren die handeln und sich kümmern.
"Wider Erwarten", erklärt die Kameradschaft, soll
die Gemeinde von dem Vorschlag, dass sie selbst die
Schäden beheben wollten, "recht begeistert" gewesen
sein. "So wurden 15 der etwa 30 Kubikmeter Mineralgemisch die von uns in die zahlreichen Schlaglöcher eingebracht wurden, seitens der Gemeinde bezahlt." Die Kameradschaft schwärmt von dem Arbeitseinsatz: "Das gemeinsame Schaffen von Werten" hätte Spaß gemacht und die Gemeinschaft gefördert.
Den Bericht der Kameradschaft kennt Berg. "Wir
haben gehandelt wie in solchen Fällen üblich", sagt
er und führt aus, sie müssten so auch handeln, weil
den Weg auch andere Anwohner nutzen müssen.
"Die Gemeinde musste ihrer Instandhaltungspflicht
nachkommen", sagt Berg. [...]
von Andreas Speit, aus: taz, 18.06.2009
Nach der Kundgebung gingen die Teilnehmer_innen
noch zu dem Haus, in dem vor knapp zehn Jahren Peter
Deutschmann von zwei Escheder Jungnazis zu Tode geprügelt wurde. Dort wurde ein Gesteck niedergelegt.
Im Anschluss an die Aktionen von Forum und DGB
führte der Escheder Kreis „Gemeinsam gegen Extremismus“ noch eine Andacht mit Johannisfeuer durch.
Als Gast hatte man Klaus Burkhardt eingeladen, der
schon zu Hetendorfer Zeiten hier im Landkreis gegen
Nazis aktiv war. Dieser füllte die Andacht dann auch
inhaltlich zu den Themen Nazis, Eschede, Peter
Deutschmann und forderte, dass Escheder etwas tun
müssen. Er gab die Anregung, für Peter Deutschmann
einen Gedenkstein in Eschede zu errichten (siehe Interview mit Olaf Meyer, nächste Seite).
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revista Nr. 44, Juli/Aug. 2009
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Interview mit Olaf Meyer von der Antifaschistische Aktion Lüneburg/Uelzen
Verstärkte Mobilisierung erforderlich
??: Ein Ziel der Aktivitäten der Antifa in Eschede
war/ist, die Escheder_innen wachzurütteln und dazu zu
bewegen, aktiv gegen die Vorgänge bei Hof Nahtz vorzugehen. Ist das gelungen?
!!: Das ist leider noch nicht gelungen! Durch die beiden
Demonstrationen im letzten Jahr ist es uns aber gelungen, das Thema im Ort und darüber hinaus überhaupt
auf die Agenda zu setzen. Die Treffen finden nicht mehr
ohne öffentliche Beobachtung statt. Im Vorfeld der diesjährigen Sommersonnwendfeier berichteten u.a. die
WELT und die TAZ über die Nazitreffen in Eschede.
Nach der Antifa-Demo im Juni 2008 kam es dann auch
im Ort selbst zu neuen Initiativen im Zusammenhang
mit den Veranstaltungen auf dem Hof von Joachim
Nahtz. Der „Arbeitskreis gegen Extremismus“ ist davon
ein Ausdruck, auch wenn dieser sich auch gleichermaßen gegen „die Antifa“ ausspricht. Da liegt noch eine
Menge Arbeit vor uns und das Ziel, dass viele verschiedene Menschen gegen die Vorgänge auf Hof Nahtz vorgehen, ist noch nicht erreicht. Eine bescheidene Grundlage ist dafür aber schon geschaffen worden.
??: Was ist an positiver Entwicklung zu sehen? Was wäre
weiter nötig von Seiten von Antifa oder Celler Forum?
!!: Im Moment ist die Situation in Eschede noch so, dass
verschiedene Akteure voneinander getrennt ihre Aktivitäten durchführen. Die antifaschistischen Demos wurden bisher als Störung des Dorflebens angesehen, während die Nazitreffen ignoriert werden, da sie außerhalb
des Dorfes stattfinden. „Wir wollen den Rechten und
linken Gegendemonstranten unsere Stadt nicht überlassen“, sagte Bürgermeister Günter Berg noch vor dem
20. Juni gegenüber der Deutschen Presseagentur und
beschreibt damit die örtliche Situation anschaulich.
Hier gilt es nun anzusetzen und das bislang Trennende
zu überwinden und Gemeinsamkeiten zu entwickeln.
Diesmal fand in Ansätzen eine erste Koordination statt.
So nahm z.B. der örtliche Pastor an der Kundgebung
des DGB und Forums teil und im Gegenzug besuchten
Vertreter_innen des DGB, Forums und der Antifaschistischen Aktion Lüneburg/Uelzen die Andacht mit Johannisfeuer, welche von Kirche und Lokalpolitik initiiert wurde.
Als nächstes sollten die verschiedenen Akteure an einem
Tisch zusammenkommen. Dieser Runde Tisch sollte
dazu dienen, dass sich alle Beteiligten einmal näher kennen lernen und sich über ihre Vorstellungen und Pläne
austauschen. Hierbei sehen wir das Celler Forum in einer besonderen Rolle, da es langjährige Bündniserfahrung hat und diese in die Arbeit in Eschede einbringen
kann. Antifa-Gruppen in der Region, aber auch in ganz
Niedersachsen müssen sich jetzt überlegen, wie sie weiterhin mit den Nazitreffen umgehen wollen. Die Möglichkeiten für autonome Antifa-Gruppen sind in Eschede sicherlich begrenzt, und es gibt kaum Erfahrungen
mit antifaschistischer Arbeit auf dem Dorf. Hier gilt es
ebenfalls Vorbehalte abzubauen und den Raum für antifaschistische Aktionen zu erweitern.
??: Warum hat die Antifa diesmal keine Demo durchgeführt? Womit ist in Zukunft von euch zu rechnen?
!!: Die Schwierigkeit für uns als organisierte Antifa
Gruppe ist, dass es vor Ort selbst keine Antifa Gruppe
gibt und wir mit unseren Aktionen als Ortsfremde von
außen kommen. Deshalb gab es nach unseren beiden
Demonstrationen im letzten Jahr einige Stimmen, dass
die Demos keine „angemessene Form des Protestes“ seien und die Escheder_innen ihr „eigenes Schritttempo“
gehen wollen. Darauf wollten wir Rücksicht nehmen
und so den Raum für andere Aktionsformen öffnen.
Nach der schwachen Beteiligung an den beiden Veranstaltungen am 20. Juni 2009 stellt sich natürlich die
Frage, ob dieser Schritt zurück richtig war. Auch ohne
eine Demo kam es zu keiner nennenswerten Vergrößerung der Aktivitäten aus dem Ort selbst.
Wie schon gesagt, halten wir ein gemeinsames Bündnis
in Eschede für erforderlich, wo sich die unterschiedlichsten Leute und Gruppierungen wieder finden. Darüber
hinaus müssen Aktionen und Veranstaltungen organisiert werden, die kontinuierlich stattfinden und in denen sich Viele wiederfinden. Die Anregung von Pastor
Burckhardt, einen Gedenkstein für Peter Deutschmann
zu errichten, halten wir hierbei für wegweisend.
Wir werden uns in der Zukunft weiterhin an den verschiedenen Aktionen im Landkreis Celle beteiligen und
im Dezember wird es voraussichtlich wieder eine AntifaDemo in Eschede geben. In der nächsten Zeit müssen
wir unsere Informationsarbeit intensivieren und noch
viel deutlicher die besondere Rolle des Hofs Nahtz herausstellen. Als erstes soll es ein Informationsblatt geben,
das niedersachsenweit in antifaschistischen Zusammenhängen verteilt werden soll. Auch in Antifa-Kreisen gibt
es noch Defizite bei der Einschätzung der Nazitreffen in
Eschede. Um es nochmals deutlich zu sagen, der Hof
von Joachim Nahtz hat sich zum wichtigsten Treffpunkt
der norddeutschen Naziszene entwickelt und die Treffen
sind auch wichtige Vernetzungstreffen der NaziKameradschaften, mit mittlerweile internationalem
Charakter. Um die Nazitreffen dort zu beenden, ist eine
verstärkte Mobilisierung seitens der niedersächsischen
Antifa-Gruppen erforderlich. Dafür zu sorgen, darin sehen wir eine unserer wichtigsten Aufgaben.
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revista Nr. 44, Juli/Aug. 2009
Auszüge aus dem Aufruf
Celler Trialog beenden!
Vom 08. bis 10. Juli 2009 findet im niedersächsischen Celle das dritte Jahr in Folge der „Celler Trialog“
statt. Dieses „Diskussionsforum für Außen- und Sicherheitspolitik“ wird bereits als „nationales Pendant zur Sicherheitskonferenz“ (SiKo) in München gehandelt. Initiiert wurde das Treffen vom Aufsichtsratsvorsitzenden
der Commerzbank, Klaus-Peter Müller, und dem Bundesministerium der Verteidigung, unterstützt durch die
1. Panzerdivision Hannover, welche den militärischen
Partner des Trialogs repräsentiert. Genau wie die SiKo
steht der Celler Trialog für Krieg, Ausbeutung, Aufrüstung und zunehmende Militarisierung der Gesellschaft.
Was ist der Celler Trialog?
„Als rohstoffarmes, exportorientiertes Land ist Deutschland auf Stabilität und Sicherheit angewiesen!“ (Celler
Appell 2008) Im ersten Jahr 2007 wurden über 80 Teilnehmer_innen geladen, 2008 waren es bereits rund 120
einflussreiche Gäste aus Wirtschaft, Politik und Bundeswehr, die sich in der Celler Congress Union trafen.
Die Bedeutung des Treffens zeigt schon ein kurzer Einblick in die Rednerlisten von 2007 und 2008:
Von Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung,
Schirmherr Ministerpräsident Christian Wulff und den
Initiatoren Klaus-Peter Müller und dem ehemaligen
Kommandeur der 1. Panzerdivision, Generalmajor Wolf
Langheld, über die Inspekteure der Marine und des
Heeres bis hin zum Generalinspekteur der Bundeswehr,
General Wolfgang Schneiderhan, und Medienvertretern
wie u.a. dem als Moderator auftretenden Chefredakteur
der Griephan (global security) Redaktion, Heinz Schulte... Dies sind nur einige, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit unter dem Motto „Die Bundeswehr im Einsatz für unsere Sicherheit – Wirtschaft und Politik an
der Seite der Bundeswehr“ das Ziel eines engeren Schulterschlusses vorantreiben.
Im Jahr 2009 werden zudem Innenminister Schäuble,
der Vorsitzende der Münchener Sicherheitskonferenz,
Wolfgang Ischinger und der General a.D. Klaus Naumann erwartet, der das aktuelle Strategie-Papier der
NATO „Towards a Grand Strategy for an Uncertain
world“ mit verfasst hat. [...]
Beim Celler Trialog handelt es sich nicht nur um
hohle Floskeln es werden reale Absprachen getroffen
und Maßnahmen ergriffen, die im so genannten „Celler
Appell“ aus dem Jahr 2008 zusammen gefasst sind:
„1. Zur Vertiefung des Dialogs zwischen Bundeswehr
und Gesellschaft sollen künftig einmal im Jahr auf einem
nationalen Forum, im Rahmen des Celler Trialogs [...]
weitere Schritte beschlossen werden. Damit wollen wir allen Entscheidungsträgern in Wirtschaft, Politik und Bun-
deswehr Impulse für die vertiefte sicherheitspolitische Diskussion geben.
2. Wir starten eine Initiative insbesondere zur Förderung der Reservisten in Industrie und Wirtschaft, zur Vertiefung der persönlichen Kontakte und zur Intensivierung
der zivilmilitärischen Zusammenarbeit. [...]
3. Darüber hinaus wollen wir aktiv darauf hinwirken,
dass der sicherheitspolitische Dialog auch in Forschung und
Lehre, insbesondere an unseren Hochschulen, gestärkt wird,
z.B. durch die Einrichtung von Stiftungsprofessuren und
durch einen dauerhaften, praxisorientierten und wissenschaftlichen Austausch zwischen Wirtschaft und Bundeswehr.“ (Celler Appell 2008)
Den hohen Gästen wird neben inhaltlicher Diskussion in der Congress Union Celle ein militärisches Rahmenprogramm geboten. Dazu gehörten in den letzten
Jahren Konzerte mit militärischem Ritual (Serenade)
vom Heeresmusikcorps 1 der Bundeswehr vor dem Celler Schloss und der Besuch des Truppenübungsplatzes
Munster, wo einige hundert Soldat_innen der 1. Panzerdivision für die Herren vom Celler Trialog ein wohl
beeindruckendes Aufstandsbekämpfungsszenario inszenierten. Am Rande eines zunächst friedlichen Dorfes
mussten sie plötzlich von Feldjäger_innen in Riot Gear
(Schutzkleidung) vor einer randalierenden Menge (als
Aufständische verkleidete Soldat_innen) gerettet werden. [...]
Sa., 4. Juli 2009, 14 Uhr
Demonstration
Beginn: Heeseplatz
Krieg nach Innen und Außen
Der Celler Trialog ist Teil einer fortschreitenden Militarisierung der Gesellschaft – und auch der zunehmend
kriegerischen Außenpolitik. „Seit der Wiedervereinigung
nimmt Deutschland eine gewachsene internationale Verantwortung wahr. Die Auslandseinsätze der Bundeswehr
sind Ausdruck dieser größeren internationalen Rolle als Beitrag Deutschlands zu Frieden und Sicherheit in Europa
und der Welt;“ Celler Appell 2008.
Eine Armee, die heute weltweit interventionsfähig
sein will, muss eine andere sein, als eine, die in den
Krieg gegen den Warschauer Pakt ziehen wollte. Aus
diesem Grund bauen NATO und EU seit Jahren schnell
einsetzbare Eingreiftruppen („Quick Reaction Forces“
QRF) auf. Dem entsprechend wurde die Bundeswehr
von einer formal auf Verteidigung ausgelegten Armee zu
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einer weltweit einsatzfähigen Interventionsarmee transformiert, sprich umgebaut.
Mitinitiatorin des ersten Celler Trialogs 2007 ist die
1. Panzerdivision Hannover, die laut ihrem Selbstverständnis die „Speerspitze des deutschen Heeres“ ist. Seit
der Transformation der Bundeswehr ist sie „vor allem
für einen Einsatz hoher Intensität gegen einen vorwiegend militärisch organisierten Gegner optimiert.“ Das
heißt, sie führt Kampfeinsätze durch. Momentan sind
4.500 Soldat_innen der 1. Panzerdivision im Auslandseinsatz. [...]
Bundeswehreinsätze im Innern gehören heute nicht
mehr zur Ausnahme, gefordert wird z.B. seitens
CDU/CSU in ihrem „Gesamtkonzept Sicherheit“ seit
2004 sogar eine Änderung des Artikels 35 Grundgesetz,
also eine Ausweitung der Aufgabenfelder der Bundeswehr im Innern über „Amtshilfe“ hinaus hin zum so genannten „Heimatschutz“. Unter den Schlagwörtern
„Vernetzte Sicherheit“ und „zivilmilitärische Zusammenarbeit“ (ZMZ) werden seit 2007 u.a. flächendeckend „Verbindungskommandos“ aufgebaut, die in
„Krisensituationen“, in denen laut Klaus-Peter Müller
z.B. die „Funktionsfähigkeit des Finanzsystems“ als bedroht gilt, die bestehende Gesellschaftsordnung und
speziell so genannte „kritische Infrastruktur“ vor anbrechenden Katastrophen schützen sollen. [...]
Wenn es also „im schlimmsten Fall [...] zu einem
Run auf die Bankschalter und zum Zusammenbruch der
gesamten Geld- und Währungsordnung“ kommt, ist die
Commerzbank laut Klaus-Peter Müller gut vorbereitet:
„Im Rahmen der militärischzivilen Zusammenarbeit ist einer unserer Mitarbeiter im Range eines Majors der Reserve,
einer von drei Offizieren des Kreisverbindungskommandos
Frankfurt, das bei Krisen die Unterstützung der Bundes-
wehr organisiert.“ [...]
Beim Celler Trialog werden geostrategische Ausbeu
tungs- sowie Machtinteressen des deutschen Kapitals
konkretisiert. Die so genannte „vernetzte Sicherheit“ ist
Klaus-Peter Müller zufolge für deutsche Unternehmen
unverzichtbar: Die Wirtschaft der rohstoffarmen BRD
sei importabhängig, sei angewiesen auf freie Märkte und
vor allem auf uneingeschränkte Zugänge zu Rohstoffen
und Energiereserven. „Über die Hälfte der weltweit produzierten metallischen Rohstoffe [stammen] aus politisch
instabilen Ländern“, weshalb Unternehmen oft hohe
Kosten zur Schadensabwehr investieren müssten – quasi
als „Versicherung gegen Terroranschläge“. [...]
Celler Trialog beenden!
Jährlich protestieren Tausende gegen die NATOSicherheitskonferenz in München, während der Celler
Trialog als nationales Gegenstück bisher weitgehend
unbeachtet blieb. Damit ist jetzt Schluss! Das neu gegründete „Bündnis gegen den Celler Trialog, Militarismus und Krieg“ ruft in diesem Jahr zu vielfältigen Aktionen gegen den Celler Trialog auf. [...]
Bündnis gegen den Celler Trialog, Militarismus und Krieg
www.:cellertrialog.blogsport.de
Unterstützt durch:
AK Antimilitarismus libertäres Netzwerk Alerta! Hannover, Aktionsgruppe für den Aufbau der 3. Reihe Frankfurt/M., Antimilitarismus Gruppe Celle [AMG], Attac Hannover, Antifaschistische Aktion Celle [AAC], Antifaschistische Aktion Hameln/Pyrmont, Antifaschistische Aktion Lüneburg/Uelzen, Bundeswehr wegtreten! Köln, Bundesweite Attac AG Globalisierung
und Krieg, Die Linke Kreisverband Celle, Friedensbüro Hannover, Informationsstelle Militarisierung (IMI), Nein zum Kriegsflughafen! Leipzig/Halle, Revista Celle, Rote Aktion Kornstraße
(RAK), Solid Celle, Solid Hannover, Solid Niedersachsen…
____________________________________________
„Deutschland im Krieg – verschiedene Aspekte einer zunehmend militarisierten Gesellschaft!“
lautet der Titel der zum TRIALOG erschienenen
Broschüre des AK Antimilitarismus im libertären Netzwerk Alerta! Hannover und der Antimilitarismus Gruppe Celle [AMG].
Für zwei Euro kann man die Broschüre im InfoLaden im Bunten Haus oder (wird noch nachgefragt) im
Weltladen käuflich erwerben oder kostenlos downloaden unter:
http://antimilitarismus.blogsport.de/images/broschreweb.pdf
Die Texte finden sich im Internet auch unter
http://cellertrialog.blogsport.de/texte/
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revista Nr. 44, Juli/Aug. 2009
Gastkommentar von Otto Köhler
Beim Geld abheben – erschossen?
Die Commerzbank weiß, wie sie durch die Wirtschaftskrise kommen will: Sie setzt auf militärische Stärke. Die
Idee kommt von einem engen Berater der Kanzlerin.
Welche Freude: die in tiefroten Zahlen sitzende
Commerzbank sagt für die Hauptversammlung an diesem Freitag ihren Aktionären eine rosige Zukunft voraus. Bis zum Jahr 2012 wird sie, das ist gewiss, wieder
zwölf Prozent Rendite machen. Und im Privatkundengeschäft will sie Ackermann von der Deutschen Bank
sogar mit 30 Prozent Rendite übertreffen.
Dafür danken wir Steuerzahler recht herzlich. 18,2
Milliarden Euro haben wir der gierigen Großbank unter
der Peitsche des gegen nahezu jedermann strengen Finanzministers Steinbrück in den Schlund geschoben.
Weitere Milliarden müssen folgen, wenn demnächst ihre hemmungslose Expansion nach Osteuropa unter der
Krise zusammenbricht. Aber der Commerzbank kann
nichts passieren. Sie ist die systemische Bank schlechthin. Sie ist das, was diesen Staat im Inneren zusammenhält: Sie ist die Militärbank der Bundesrepublik
Deutschland.
Acht Wochen nach der öffentlichen Hauptversammlung findet vom 8. bis zum 10. Juli mehr im Verborgenen das wichtigere Ereignis statt: der Celler Trialog zwischen Wirtschaft, Banken und Bundeswehr. Ausgerichtet von der 1. Panzerdivision und unter Führung der
Commerzbank treffen sich nun schon zum dritten Mal
„hochkarätige“ Führungskräfte aus Politik, Wirtschaft
und Bundeswehr, um die bundesdeutsche Gesellschaft
militärisch zu durchdringen.
Initiator des Ganzen ist der ehemalige Vorstandssprecher und nunmehrige Aufsichtsratsvorsitzende der
Commerzbank, Klaus-Peter Müller, ein enger Ratgeber
der Bundeskanzlerin. Er weiß, um was es geht: Die
„Mannschaftsleistung der Bundeswehr” verdiene mehr
Wertschätzung, mehr Unterstützung – ideell, „aber auch
materiell!” Schließlich erfordere der Bau eines Autos
heute allein 40 Rohstoffe. Und zu deren Sicherung weilt
die Bundeswehr am Hindukusch.
Mit dem Celler Trialog wurde auch eine „Initiative
zwecks Förderung der Reservisten in Industrie und
Wirtschaft” zur „Intensivierung der zivil-militärischen
Zusammenarbeit” gestartet. Was sich da alles tun lässt,
das hat Klaus-Peter Müller – er ist selbst auch Oberstleutnant der Reserve und Träger der höchsten Auszeichnung („Ehrenkreuz in Gold“) – in einem vertraulichen
Briefing für Generale und Offiziere der Bundeswehr vor
der Führungsakademie der Bundeswehr erläutert.
sich das Verdienst in Anspruch nehmen, erkannt zu haben, wie „besorgniserregend“ schon im Januar 2007 das
„Wohl und Wehe der Vereinigten Staaten von der Bereitschaft weltweiter, vor allem asiatischer Investoren
abhängt, ihr Geld in den USA anzulegen“. Jetzt ist die
Krise da, und die Chinesen wollen sich inzwischen von
der Leitwährung Dollar verabschieden.
Müller regte damals vor der Führungsakademie Vorkehrungen gegen soziale Unruhen an, er warb für eine
noch engere Zusammenarbeit in Zeiten, in denen die
„Funktionsfähigkeit des Finanzsystems“ bedroht ist. Der
Ehrenkreuzträger vor den Generalen der Führungsakademie seinerzeit ahnungsvoll: „Im schlimmsten Fall
kommt es zu einem Run auf die Bankschalter und zum
Zusammenbruch der gesamten Geld- und Währungsordnung.“
Dafür hat der Reserve-Oberstleutnant an der Spitze
der Commerzbank vorgesorgt: „Im Rahmen der militärisch-zivilen Zusammenarbeit ist einer unserer Mitarbeiter im Range eines Majors d. R. einer von drei Offizieren des Kreis-Verbindungskommandos Frankfurt, das
bei Krisen die Unterstützung der Bundeswehr für die
Stadt Frankfurt koordiniert.“
So zahlen wir mit unseren 18,2 Milliarden auch dafür, dass wir von der Bundeswehr erschossen werden,
wenn wir im Fall der verschärften Krise zum Bankschalter rennen, um das Geld abzuheben, das wir einmal bei
der Commerzbank eingezahlt haben – leichtsinnigerweise.
Quelle: Der Freitag 20, 14.05.2009
Otto Köhler Jahrgang 1935, war Kolumnist beim Spiegel und
Redakteur bei Konkret. Er arbeitete für den WDR und die Zeit und
ist langjähriger Autor des Freitag.
Foto: Bundesverteidigungsminister Jung beim Trialog 2008..
Das war noch vor dem Ausbruch der Finanzkrise.
Doch der enge Vertraute von Angela Merkel kann für
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revista Nr. 44, Juli/Aug. 2009
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Laternengespräche
Der Letzte macht das
Licht aus
Eine menschenleere Celler Innenstadt im frühen Morgengrauen.
Fünf Laternen stehen beieinander und beginnen ein Gespräch.
Oma Lilo: Erst WARG, jetzt KARSTADT. Langsam kriege ich das
Gefühl, wir bringen Unglück über diesen Platz.
Der lange Lulatsch: Schnickschnack.
Die Dicke: Nicht Schnickschnack, Schickedanz, Madeleine – Vor zwei
Jahren mit 5,5 Milliarden US-Dollar noch auf Platz 16 der Liste der
reichsten Deutschen. Jetzt schwer abstiegsgefährdet. Aber wie Forbes
im März schrieb: „The richest people in the world have gotten poorer, just
like the rest of us.”
Der Besserwisser: Genau: Just like the rest of us.
Klein Jonas: Die armen Reichen.
Der lange Lulatsch (grinst): Das wird hart in St. Moritz, aber KARSTADT gibt’s da ja schon heute nicht.
Die Dicke: Oskar Negt hat ja das Verhalten von Unternehmen und
Regierung in der Wirtschaftskrise kritisiert. Wenn selbst Milliardäre
Sicherheiten verlangten, enthülle dies zugleich die – Zitat - "Unfähigkeit dieses Kapitalismus, die Gesellschaft vernünftig zu organisieren, wie
sich kein radikaler Linker das vorher hat vorstellen können."
Der Besserwisser: Oh Oskar, auf welchem Stern lebst du? Aber wahrscheinlich verliert man als C4-Professor den Überblick. Armut und
Umweltzerstörung muss man sich nicht „vorstellen“, es reicht eigentlich die Augen auf zu machen – und das seit 200 Jahren.
Die Dicke: Aber kippt nicht wirklich was? „Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktion herrscht, erscheint als eine
ungeheure Warensammlung“, schrieb ja Herr Marx. Bei uns hier sinnlich erfahrbar seit 80 Jahren im Warenhaus Karstadt. Und damit soll’s
nun zuende sein.
Klein Jonas: Schritt für Schritt: erst das Living-House, dann die Lebensmittelabteilung, und jetzt ...
Der lange Lulatsch: Die werden den Klotz schon nicht abreißen; obwohl: Wär’s schade drum? Nee aber im Ernst: Was da abläuft ist doch
eine normale „Marktbereinigung“. Am Ende wird Metro der Krisengewinnler sein und Celle hat halt einen Kaufhof statt Karstadt und mit
ein bisschen Glück kriegen die Elektronik-Fans noch einen SaturnMarkt dazu.
Die Dicke: Für die Kunden vielleicht egal, aber den Beschäftigten
nimmt die Insolvenz ja jeglichen Schutz. Deshalb hätte man ja vielleicht doch mit Staatshilfen operieren sollen. Das wollten doch sogar
DIE LINKEN.
Oma Lilo: Und streiten sich in Bremen jetzt deshalb wie die Kesselflicker. Wahlen lassen sich als Kapitalismus-Rettungs-Kommando
scheinbar nicht gewinnen. Die Leute, ihr habt’s ja gehört, sind schon
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stinkig darauf, dass für die Vermögensvermehrung der Reichen jetzt
auch noch die Geldruckmaschinen angeschmissen werden.
Der Besserwisser: Aber es ist ja auch absurd: Da finden die so genannten Linken nicht mehr den Kapitalismus kritikwürdig, sondern
seine Krisen; also jene Phasen, in denen sich das Ausbeuten nicht
mehr lohnt und in denen sich Firmen dadurch retten, dass sie das
Produzieren zurückfahren oder einstellen, massenhaft Arbeitskräfte
brachlegen und den Lebensprozess des Gemeinwesens abwürgen.
Dass der Kapitalismus mit schöner Regelmäßigkeit Krisen hervorbringt, die auf dem Rücken der lohnabhängigen Bevölkerung ausgetragen werden, ist weder Zufall noch Versagen, sondern ein "Strickfehler".
Der lange Lulatsch: Aber ob sich die Beschäftigten im Besitz dieser
Wahrheit besser fühlen, wenn sie in zwei Jahren ihren Hartz-IVAntrag ausfüllen?
Der Besserwisser: Immerhin würden sie nicht Seit’ an Seit’ mit Pappschildern rumstehen, die ihre Chefs haben fertigen lassen: „Ohne Karstadt stirbt die Innenstadt.“ Warum besinnen sie sich nicht auf ihr Interesse?
Die Dicke: Und das wäre?
Der Besserwisser: Na jedenfalls nicht das von Karstadt. Dem Konzern haben sie dummerweise, wie ihnen jetzt klar sein sollte, in den
vergangenen Jahren unnütz Geld geschenkt – und da die Rendite
trotzdem nicht stimmt, werden sie jetzt rausgeschmissen. Denn
selbstverständlich führt die Insolvenz unterm Strich zu Entlassungen.
Der lange Lulatsch: Eine hat bei dieser merkwürdigen Menschenkette ums Kaufhaus auch in der Richtung gemeckert. Bei der ersten
Konzernrettungsrunde im Jahr 2004 hätten Konzernleitung und
ver.di den Abbau von 5500 Stellen vereinbart und einen drei Jahre
dauernden Verzicht auf Lohnerhöhungen. Von „schmerzhaften, aber
notwendigen Einschnitten“ habe die zuständige Gewerkschaftsfunktionärin geredet und gesagt, dies sei es aber wert, weil man dadurch
100.000 Menschen die Angst um ihren Arbeitsplatz nehme.
Klein Jonas: Apropos „retten“ - Ich würde ja so gern mal in einen
richtigen Weltenretter-Film – „Terminator 4 – Salvation“.
Die Dicke: Naja – ist ja auch ein Zeitkommentar, wenn James Cameron jetzt den Helden sagen lässt: "Something has changed. This is
not the future my mom was talking about."
Der lange Lulatsch: Besser zu unserm Thema passt aber doch dieser
Dialog zwischen dem jungen Connor und Arnie aus T2. John Connor: You gotta listen to the way people talk. You don't say "affirmative"
or some shit like that. You say "no problemo." And if someone comes on to
you with an attitude you say "eat me." And if you want to shine them on
it's "hasta la vista, baby." The Terminator: Hasta la vista, baby.
Klein Jonas: Hasta la vista, baby.
Ein leicht gebückter, kleiner Mann, über seiner Oberlippe sitzt ein
dürres Bärtchen, die Augen sind zu zwei Schlitzen gepresst – er
schleicht an den Laternen entlang und summt: „I feel a change comin'
on / and the fourth part of the day's already gone.“
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revista Nr. 44, Juli/Aug. 2009
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Landkreisverwaltung
Kaum Daten über Erneuerbare
Die Fraktion DIE LINKE/BSG hat im Juni mit einer
umfangreichen Anfrage die Kreisverwaltung gebeten, ihren Kenntnisstand über die Entwicklung erneuerbarer
Energien im Landkreis offen zu legen. Das Ergebnis war
dünn. Nur dort, wo man als Genehmigungsbehörde
eingeschaltet war, liegen Daten vor – also im wesentlichen bei Windkraft- und Biogasanlagen. Über Sonne,
Wasser und Holz gibt es kreisseitig praktisch keine Erkenntnisse. Weder über Energieproduktion, noch über
Stromverbrauch im Landkreis konnte Auskunft gegeben
werden. Verwiesen wird in den Antworten auf die SVO.
Dort ist der Landkreis mit 18,8 % Anteilseigner, aber
für mehr als die Rendite scheint man sich nicht zu interessieren.
Kurz zu dem, was man weiß:
Windkraft: „Im Landkreis Celle wurden seit 2000 bis
heute 88 Windkraftanlagen (WKA) mit einer Gesamtleistung von 139,18 MW genehmigt. [...] Zwei WKA
mit einer Leistung von 4 MW sind beantragt.“
Holz: „Der Landkreis Celle betreibt seit September
2000 eine Holzhackschnitzelheizanlage mit gasbefeuertem Spitzenlastkessel in der Schulanlage Wathlingen mit
einer Kesselgesamtleistung von 1050 kW. [...]Vom
Landkreis Celle selbst wird im Schulzentrum Burgstraße, Celle, zurzeit mit Mitteln des Konjunkturpaktes II
eine Pellet befeuerte Heizungsanlage mit Gasspitzenlastkessel geplant und errichtet. Die Kesselgesamtleistung
wird etwa 1300 kW betragen.“
Biogas: „Im Landkreis Celle (ohne Stadt Celle) wurden seit 1999 32 Biogasanlagen mit einer installierten
Gesamtleistung von ca. 17 MW genehmigt. Von diesen
Anlagen sind zurzeit 2 Anlagen im Bau. [...] Aus der
Zeit vor 1999 existiert eine Anlage. (0,36 MW) Im Gebiet der Stadt Celle befinden sich 5 Anlagen mit einer
installierten Gesamtleistung 2,5 MW. [...] Insgesamt
sind im Landkreis (mit Stadt Celle) damit 38 Anlagen
genehmigt: 36 werden betrieben, 2 weitere werden voraussichtlich kurzfristig den Betrieb aufnehmen.“
Nazi-Outing in Hermannsburg
Mitte Mai outeten Antifaschist_innen den in der
Hermannsburger Billingstraße wohnende Thomas M.
als Neonazi. Mit Flugblättern wurde auf seine Zugehörigkeit zur Szene der extrem gewaltbereiten „Autonomen
Nationalisten“ hingewiesen. Nach Recherchen der Antifa pflegt er Kontakte zur „Kameradschaft 73“ aus Celle,
den „Snevern Jungs“ aus Schneverdingen und ist häufiger Gast auf dem Hof Nahtz in Eschede. - Über diese
lokalen Kontakte hinaus sei Thomas Marquard regelmäßiger Teilnehmer bei faschistischen Aufmärschen.
Die Antifaschist_innen begründeten die „Outing-
Wasser: „Es sind 9 Wasserkraftwerke im Landkreis
Celle bekannt. Eine Anlage davon liegt auf dem Gebiet
der Stadt Celle. Es liegen keine Angaben zu deren elektrischer Leistung vor.“
Bürgercontracting: „Der Landkreis Celle ist bereits
Vertragspartner für Bürgersolaranlagen. Auf den Dächern der Schulanlage Altenhagen (Berufsbildende
Schulen I und IV Celle) sind 4 Photovoltaikanlagen mit
einer Fläche von insg. 320 m2 und einer Leistung von
40,48 Kilowattpeak (kWp) installiert. Weitere Anlagen
sind bereits vertraglich vereinbart und in Planung. Die
Eignung anderer Objekte wird geprüft. Bei Bürgersolarund -windparks handelt es sich um Anlageprojekte. Wegen des damit verbundenen Anlagerisikos kann der
Landkreis solche Projekte nicht unterstützen.“
Fragen und Antworten können in Gänze eingesehen
werden auf der Seite des Celler Forum gegen Atomenergie www.anti-akw-celle.de
Zu diesem Thema siehe auch das Interview mit Jan
Bonorden auf den Seiten 14-15.
Aktion“ vor allem mit einem Vorfall von Ende März, als
Thomas M. und weiteren Neonazis aus der Umgebung
Jugendliche vor dem „Kaffeegarten“ in Sülze angriffen.
Dabei habe M. als einer der Angreifer einen Jugendlichen mit einem Messer attackiert. (siehe revista 43).
„Ein dermaßen gefährliches Verhalten darf nicht verschwiegen werden! Schließlich ist es gerade die fehlende
Öffentlichkeit, die Neonazis dazu bringt, sich immer sicherer in ihrem Auftreten und ihren Methoden zu fühlen“, heißt es im verteilten Flugblatt.
Aus: PM der Antifaschistischen Aktion Celle [AAC] vom 19.05.09;
mehr Infos unter: http://de.indymedia.org/2009/05/251126.shtml
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revista Nr. 44, Juli/Aug. 2009
Aus den Augen, aus dem Sinn
Vom städtischen Umgang mit „Randgruppen“
Welches städtische Gebäude liegt am weitesten entfernt vom Stadtkern? Das so genannte Flüchtlingswohnheim in Celle. Nachdem 2003 die Unterkunft in
der Harburger Straße durch einen Brand unbewohnbar
geworden war, kaufte die Stadt einen zum ehemaligen
Bundeswehrgelände gehörenden Wohnblock in Scheuen. Rund 40-50 Flüchtlinge sollten dort untergebracht
werden. Der Nds. Flüchtlingsrat kritisierte dies seinerzeit als „Isolation und Ausgrenzung von Flüchtlingen“.
Vollständig belegt war die Unterkunft nie. Angesichts
der rigiden europäischen Abschottungspolitik gegenüber
Asylsuchenden, waren Mitte letzten Jahres gerade noch
neun Personen dort gemeldet, im Frühjahr diesen Jahres
ganze sechs. Eine gute Gelegenheit, das ganze inhumane
Projekt aufzugeben und die verbliebenen Flüchtlinge in
normalen Wohnungen unterzubringen. Und das forderte die Bündnisgrüne Ratsfraktion auch mit ihrem Antrag vom 21. April 2009. Nur bevor dieser Antrag überhaupt beraten wurde, hebelte ihn die Verwaltungsspitze
aus: Im Sozialausschuss informierte man am 4. Juni darüber, dass man künftig auch Obdachlose in Scheuen
unterbringt. Der Widerspruch im Ausschuss blieb eher
schwach. Und dies, obwohl die Verwaltung mit dieser
Entscheidung gesetzliche Vorgaben zur Re-Integration
Obdachloser offensichtlich konterkariert.
Das Sozialgesetzbuch XII verlangt von Kommunen,
dass für „Personen, bei denen besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind, [...]
Leistungen zur Überwindung dieser Schwierigkeiten zu
erbringen“ sind: Beratung und persönliche Betreuung,
Hilfen zur Ausbildung, Erlangung und Sicherung eines
Arbeitsplatzes sowie Maßnahmen zur Beschaffung einer
Wohnung. Keine der Institutionen, die in diesem Sinne
tätig werden könnten, hat eine “Zweigstelle“ in Scheuen. Konsequenz: Von den Betroffenen wird eine Mobilität erwartet, die sie ohne Auto und Fahrrad kaum herstellen können.
Und die Ausstattung des ÖPNV in Celle macht die
Lage der Unterkunft in Scheuen praktisch zu einem
Knast für Freigänger; denn um 19 Uhr fährt der letzte
Bus – und beim AST-Verkehr wird’s dann wieder kostenträchtig. Und schon bei den normalen Fahrkosten,
fragt sich für Obdachlose: Woher nehmen?
Warum also will die Stadt jetzt auch noch die Obdachlosen an den Stadtrand abschieben? Die Verwaltung argumentiert nicht von der Aufgabenstellung des
Gesetzes, sondern von einem „Engpass an Unterkünften“ her. In der jüngeren Vergangenheit wurden der
Marthahof aufgegeben und Wohncontainer an der
Steinfurth abgebaut. Jetzt werden auch Gebäude in der
Neustadt abgerissen und an anderen Objekten sind Re-
novierungsarbeiten erforderlich. Aber: Das Gesetz verlangt kein effizientes Gebäudemanagement sondern
„Maßnahmen zur Überwindung von Schwierigkeiten“.
Nebenbei wird auch ein kleiner Skandal vertuscht.
Der Landkreis Celle ist verpflichtet, den Kommunen die
Unterkunftskosten für Asylbewerber zu erstatten. Auf
dieser Grundlage zahlte er der Stadt seit 2004 eine jährliche Miete von knapp 150.000 Euro, also bei einer
Vollauslastung von 3333 Euro jährlich pro Person. Vom
Land Niedersachsen wiederum bekommt der Landkreis
4270 Euro pro Person erstattet. Das wäre kein schlechtes “Geschäft“ gewesen. Doch um genaue Abrechnungen kümmerte sich scheinbar niemand. Wie Kreistagsabgeordnete berichten, habe sich durch die niedrige
“Auslastung“ in den vergangenen Jahren so ein Erstattungsanspruch von gut 90.000 Euro gegenüber der
Stadt ergeben. Deshalb seien die Zahlungen für das
Flüchtlingswohnheim seit Mitte 2008 ausgesetzt. – Ein
irgendwie geartetes Controlling hat es scheinbar schlicht
nicht gegeben, für die tatsächlichen Kosten und Belegungszahlen hat sich niemand interessiert. Das eigentliche Ziel die Flüchtlinge betreffend lautete ja ohnehin:
Aus den Augen, aus dem Sinn.
Dem Scheuener Ortsrat wurde versichert, im Gebäude würden zwei Trakte für Asylbewerber und drei für
die Obdachlosen zur Verfügung gestellt werden. – Blauäugig verspricht die Verwaltungsspitze, so könnten Konflikte zwischen den unterschiedlichen Personengruppen
vermieden werden. Denn das kommt hinzu: Eine Erfahrung von Sozialarbeit ist, dass es fast nie ohne Probleme
abgeht, wo Asylbewerber und Obdachlose unter ein
Dach gesteckt werden. - Eine weitere Erfahrung ist: Wo
Obdachlose in derartige “Heime“ zwangsweise eingewiesen werden, verfestigt dies ihre Situation – jeder Arbeitgeber wird nach kurzer Zeit wissen, woher ein Bewerber
aus der Fritzschstraße in Scheuen tatsächlich kommt.
Die Alternative einer dezentralen Unterbringung in
Wohnungen der städtischen WBG wurde scheinbar
nicht einmal geprüft.
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Kooperative Gesamtschule
Wiswe ignoriert Elternwillen
Es war eigentlich klar: Große Teile der CDU und
Landrat Wiswe wollen keine Kooperative Gesamtschule.
Und genauso klar ist: In Winsen, Bergen und Wathlingen wollen große Teile der Elternschaft dieses Modell.
Es stellt wahrlich das System nicht auf den Kopf, sondern zementiert es in gewisser Weise sogar. Aber mit einer KGS gäbe es einen gymnasialen Zweig in den Gemeinden und würde dort die Chancen der Schüler_innen aufs Abitur deutlich verbessern. Denn beim
heutigen Unterrichtsaufkommen sind Fahrschüler_innen eindeutig benachteiligt. Die Statistik belegt dies:
Wer in Bergen wohnt, hat deutlich schlechtere Chancen
zu einem gymnasialen Abschluss zu kommen als die
Celler Schüler_innen. Das wird sich mit dem so genannten “Turbo-Abi“ noch verschärfen.
Angesichts der auch aus Reihen der CDU (in Winsen
und Bergen) gestützten KGS-Forderung, musste die
Kreisverwaltung schließlich eine Umfrage unter den
Grundschuleltern durchgeführen. Das Ergebnis bestätigt
den vermuteten Eltern-Wunsch nach einer KGS, d.h.
nach einem gymnasialen Zweig vor Ort. Doch mit einer
kaum nachzuvollziehenden Dreistigkeit rechnet Wiswe
dieses Bedürfnis klein. Einzig in Celle könne auf Grund
der Ergebnisse eine solche Schulform eingerichtet werden. Ein durchschaubarer Schachzug, der aber seine
Wirkung zeigte. Die ins Gespräch gebrachte Zusammenlegung von Hölty-Gymnasium und RS Auf der
Heese zu einer KGS wurde insbesondere vom Hölty
(Lehrer, Eltern und Schüler) abgelehnt. Was absolut
nicht erstaunlich ist. Warum sollten sie sich um eines
“übergeordneten Bedürfnisses“ willen um ihren vermeintlichen Platz an der Sonne bringen lassen?
Aber in Celle brächte die Mogelpackung “Kooperative Gesamtschule“ sowieso kaum eine Verbesserung der
schulischen Landschaft. Anders in Winsen, Bergen oder
Wathlingen. Und dort hilft dem Schulträger, nämlich
der Verwaltungsspitze des Landkreises, nur eine skandalöse “Interpretation“ der Befragung. Nehmen wir um
der Eindeutigkeit willen das Beispiel Winsen:
In einem Schreiben an die Kreistagsabgeordneten teilte der Landrat mit: „Das Bedürfnis ist zu bejahen, wenn
über einen 14-jährigen Planungszeitraum hinweg für
eine KGS mindestens 24 Schüler/innen im HS-Zweig,
27 Schüler/innen im RS-Zweig sowie 54 Schüler/innen
im Gym-Zweig, also zusammen 105 Schüler/innen pro
Jahrgang, an einem Standort nachweisbar sind.“
Bei der Auswertung der Fragebögen ergab sich: Neben Celle erfüllte auch der Standort Winsen mit einem
Mittelwert in den Jahrgängen 1 bis 3 von 164 pro Jahrgang im zunächst dreijährigen Betrachtungszeitraum die
schulplanungsrechtlichen Voraussetzungen.
Damit hatte Wiswe ein echtes Problem. Deshalb
wurde folgende Rechnung aufgemacht: Zunächst einmal
nahm man nur die so genannten “Rückläufer“, d.h. den
Willen der Eltern zur Kenntnis, die sich für eine KGS in
Winsen ausgesprochen haben – und das waren 164 von
320. Von den insgesamt ausgegebenen Fragebogen im
Landkreis kam gut ein Viertel ausgefüllt zurück; in Winsen war es fast die Hälfte. Daraus allein ließe sich ein
“Bedürfnis“ herleiten, und auch dass bei Einrichtung einer KGS das Interesse höher liegen dürfte als bei jenen
164 – nur: Die ganzen weiteren Berechnungen beziehen
sich ausschließlich auf diese Zahl. Da sich der Planungszeitraum auf 14 Jahre erstrecken soll, rechnet man einen
Geburtenrückgang ein und kommt zum gewünschten
Ergebnis: „Bereits mittelfristig, nämlich bezüglich des
Jahrgangs 2007/08, könnte eine KGS dort [in Winsen]
die nötige Schülerzahl im HS- und im Gym-Zweig
nicht mehr erreichen. Zum Ende des Planungszeitraums
wird es sogar ganz unabhängig von Übergangsquoten an
der Grundvoraussetzung für die Errichtung einer KGS
fehlen, weil dann statt der mindestens erforderlichen
105 nur noch 98 Schüler/innen für eine solche Schulform zur Verfügung stehen werden.“
Was die Verwaltung da zusammenrechnet, ist in
höchstem Maße manipulativ, weil diverse “störende“
Faktoren schlicht außer Acht gelassen werden (z.B. den
möglichen Zuzug wegen einer KGS). Um dies deutlich
zu machen, nur eine Zahl: Hätten sich weitere 13 der
320 Eltern in Winsen für eine KGS ausgesprochen, hätte die Rechnerei nicht das erwünschte Ergebnis gebracht. So aber lautet das Fazit des Landkreises, dass als
möglicher Standort nur die Kreisstadt bliebe: „Jeder andere Standort wäre nicht genehmigungsfähig.
Und so stimmten in der Kreistagssitzung am 12.06.
dann in geheimer Abstimmung 30 (gegen 26) gegen eine KGS in Winsen, 33 (gegen 23) gegen eine in Bergen
und 39 (gegen 17) gegen eine am Standort Celle – jeweils bei einer Enthaltung.
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revista Nr. 44, Juli/Aug. 2009
Die Linke – KV Celle meint
Bildungspolitik beweist: Celler CDU
weiter unfähig zur Erneuerung
Wer meint, dass die hiesige CDU in Stadt und Landkreis um die KGS eine Posse aufführt, der irrt. So ist sie
eben, die CDU. Es waren nicht die schicken Kleider der
Frau Schmitt, die die Wahlniederlage bei der OB-Wahl
verursacht haben. Es war der Mief in den Köpfen über
den Kleidern. Man rettet die Dreigliedrigkeit in der Bildung um jeden Preis, selbst um den Preis, sich lächerlich
zu machen, vorgeführt zu werden. Man rettet die Vorstellung einer Dreiklassengesellschaft, wenn es nun
schon nicht möglich ist, das Dreiklassenwahlrecht wieder einzuführen, eine Honoratiorengesellschaft zu bewahren, sollen wenigstens die Chancen der eigenen
Kinder geschützt werden. Das ist Ordnungspolitik im
Bildungsbereich.
Gut, es gibt wenigen, besonders „Begabten“ die
Chance, aufgenommen zu werden in den Honoratiorenstadel. Es gibt etwas Stipendien, Tendenz fallend. Es
gibt die Möglichkeit, die Studiengebühren auf Kredit zu
bekommen. Man erschwert den Besitzlosen den Zugang
nur. Man verhindert ihn nicht vollständig. Es sei denn,
der eigene Nachwuchs müsste sich der Konkurrenz aller
stellen. Da werden die Chancen rigoros verwehrt. So
gibt es eben in Celle die Wahl der Eltern nicht, ihre
Kinder in eine Schule für Alle zu schicken. So lange die
CDU an der Macht ist, werden Demokratie, freie Wahl
so ausgelegt, dass es eine Wahl der Schule nicht gibt.
Willst du Dreigliedrigkeit wie bisher oder als KGS, ist
die Frage.
Finnland, Kanada auch. Es ist schon erstaunlich, wie
groß der Leistungsabfall durch die Kindersortiererei in
diese drei Kategorien ist. Noch erstaunlicher ist aber,
wie konsequent diese Christdemokraten es schaffen, dies
nicht zur Kenntnis zu nehmen. Da schließen sie eben
messerscharf darauf, dass nicht sein kann, was nicht sein
darf. Da wird lieber der Bildungsstandard durch die
Streichung eines ganzen Schuljahres gehoben. Der
Haushalt saniert, gespart an dem „einzigen Rohstoff,
den wir haben, der Bildung“, wie sie in ihren Sonntagsreden posaunen. Zukunftsorientiert ist das nicht, wenigstens nicht für die gesamte Gesellschaft.
Dem eigenen Nachwuchs wird es wenig ausmachen.
Man hat ja genug Geld um sich Bildung anderweitig auf
dem Markt zu kaufen, man braucht für sich eine gute
staatliche Bildung nicht. Da muss eingespart werden, da
muss individuell in die eigenen Taschen umgeleitet werden. Wie sonst lässt sich der Vorsprung, den man sich
erkauft hat, denn halten. Durch die Überlegenheit im
Kopf jedenfalls nicht. Da ist derselbe Mief, wie noch vor
200 Jahren.
Pressemitteilung DIE LINKE – KV Celle
vom 27.05.2009
Da erschreckt sie schon, dass in der KGS in den AGs,
im Sport, in den musischen Fächern, in der Religion
partiell das Dreigliedrigkeitssystem aufgehoben ist. Es
ist schon zu viel, gemeinsam zu turnen, zu singen und
zu glauben? Zu viel Kontamination. Wer weiß, wie das
auf unsere Kinder wirkt? Bestimmt werden sie auf ihrem
Weg zur Elite gebremst, am Niveau gehindert! Man
staunt und fragt sich, wie es kommt, dass PISA und IGLU so wenig wahrgenommen wird. Liegt es am C, am
christlichen, glaubt man sich die Ergebnisse, die Erkenntnisse aus allen diesen Studien einfach weg?
Es ist doch auffällig, dass die Kinder in der
Grundschule, die unbestrittenen eine Schule für alle ist,
bei diesen Studien im internationalen Vergleich im
oberen Drittel abschneiden, um dann fünf Jahre später,
noch einmal untersucht, im unteren Drittel zu landen.
Es sind die selben Kinder, mit denselben Eltern, die von
denselben Medien zugemüllt werden, die im selben Kapitalismus leben.
Gut - Medien, Eltern, Peer Groups wirken anders als
bei Grundschulkindern, aber das tun diese in Schweden,
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Interview mit Jan Bonorden
Weg frei für Erneuerbare, Einsparung und Effizienz
Auf kommunalpolitischer Ebene gibt es in den letzten
Monaten verschiedene Klimaschutzinitiativen, die u.a.
den Ausbau erneuerbarer Energien in Stadt und Landkreis einfordern. Die Umsetzung ist aber ein zäher Prozess, weil weder die Verwaltungen, noch die
CDU/FDP-Mehrheitsfraktionen sie zu ihrem Thema
machen. Und andererseits sind die regionalen Möglichkeiten in hohem Maße abhängig von nationalen und europäischen Vorgaben und Entwicklungstendenzen.
Wir sprachen über einige dieser Aspekte mit Jan Bonorden, der im Landkreis Celle ein Büro für Ressourcenmanagement betreibt. Er ist seit den 1970er Jahren aktiv
in der Energiepolitik, Vorstandsmitglied des Anlegerbeirates im Bundesverband Windenergie sowie Planer,
Entwickler und Betreiber von Regenerativanlagen.
??: Öffentlichkeitswirksam werden auf allen Ebenen Klimaschutzziele verkündet, so dass man schon fast meinen könnte, die Energieversorgung von morgen ist gesichert und der
Klimawandel beherrschbar.
!!: Bei all diesen Debatten kommen leider wesentliche
Aspekte kaum zum Tragen - wie die Rüstung, militärische Strategien vor allem zur Sicherung und Gewinnung
von Rohstoffen, die globale Waldzerstörung und die
Ausbreitung von Trocken- und Wüstengebieten, die externen Kosten für Risikotechnologie Atomenergie. Man
muss kein Prophet sein, um eine Verschärfung der Verteilungskämpfe vorauszusagen. Gerade deshalb geht es
bei dem Ziel einer 100%-igen Energieversorgung mit
Erneuerbaren um weit mehr als nur den Klimaschutz.
Vor diesem Hintergrund ist es beschämend, dass aktuell
für marode Banken, die alles andere als zukunftsfähig
sind, Milliarden ohne weiteres bereitgestellt werden
können, aber die dringend erforderliche Energiewende
im Hick-Hack der Lobbyisten global bisher nicht die
überfällige Dynamik entfalten kann.
??: Eine globale Herausforderung, die ja aber gerade vor
Ort, also dezentral ihre Lösungen suchen und finden muss.
Welche Hemmnisse siehst du auf dieser Ebene?
!!: Vor Ort fehlt es leider vielen Politikern und Verwaltungskräften an Visionen, Informationen, Handlungsanweisungen und klaren rechtlichen Vorgaben. Da gibt
es ja in großen Teilen noch Vorurteile gegen regenerative Energie, mit dem „Expertenwissen“, dass nachts die
Sonne nicht scheint und der Wind auch nicht immer
weht. Und das Interesse an Fortbildung scheint eher gering. Ein aktuelles Beispiel: Im Juni finden zwei große
Repowering-Kongresse statt, die u.a. vom Bundesumweltministerium und dem Deutschen Städtetag unterstützt werden, vor allem um planungsrechtliche Voraussetzungen voranzubringen - denn dem Repowering wird
eine erhebliche Bedeutung beigemessen, um die Klima-
schutzziele zu erreichen. Doch die Resonanz gerade bei
den Kommunen, für die in erster Linie diese Veranstaltungen gedacht waren, ist sehr gering.
Ohne ein Engagement vor Ort wird aber das Ziel
100% Erneuerbare nicht gelingen. In Stadt und Landkreis Celle etwa gibt es im Unterschied zu anderen
Kommunen immer noch keine Koordinierungsstelle für
Energieeffizienz, geschweige denn fundiertes Zahlenmaterial, um auch hier eine 100% Erneuerbare-Region zu
realisieren. Überfällig ist eine bessere Vernetzung der
Gemeinden untereinander und mit der SVO sowie die
Forcierung der Debatte etwa durch einen engagierten
Fachbeirat.
??: Wie du sagst, gibt es ja die Meinung, dass mit den Erneuerbaren die Versorgungssicherheit nicht gewährleistet
werden kann. Berechtigte Zweifel?
!!: Die Energieerzeugung muss sich verstärkt dezentral
entwickeln, andererseits muss aber im europäischen
Stromverbund geplant werden. Die Windenenergieerträge lassen sich mittlerweile sehr gut vorausberechnen:
Heute [wir führten das Interview am 26. Mai] geht z.B.
ein Sturmtief über Europa hinweg, dass einerseits zu
Volllaststunden beiträgt, aber andererseits auch zu Abschaltungen von Windenergieanlagen [WEA] führen
wird; diese Abschaltungen sind aber planbar, da das Tief
zeitversetzt über Europa zieht. Hohe Winderträge tragen
heute dazu bei, dass der Strompreis an der Börse gen
Null geht. Dieser billige Strom bzw. die Überproduktion wird in Zukunft verstärkt gespeichert werden müssen, damit regenerative Energien bedarfsgerecht, z.B. bei
Windflauten eingespeist werden kann. Hierzu werden
die große Wasserspeicher in Skandinavien an Bedeutung
gewinnen, aber auch Pumpspeicher, Druckluftspeicher
und Hybridkraftwerke auf Wasserstoffbasis werden regional benötigt werden. Und da hat der Landkreis Celle
Potentiale, die überhaupt noch nicht wahrgenommen
werden: die alte Bergwerke, die alten Gas- und Erdöllagerstätten. Aktuell muss man ja den Slogan “Celle hat
Energie“ eher in der Vergangenheitsform denken: „Celle
hatte Energie“; aber daraus könnte sich wieder etwas
entwickeln. Also ich fände es sinnvoll, die Möglichkeiten dieser alten Lagerstätten für moderne Konzepte von
Energiespeicherung mal über Diplomarbeiten oder ähnliches auszuloten. Hier könnte der Landkreis zusammen
mit der SVO Projekte initiieren und fördern.
??: Welche anderen Wege gäbe es, um Erzeugung und
Verbrauch zu harmonisieren?
!!: Mit dem weiteren Zubau regenerativer Energieerzeuger wird es in der Tat schwieriger, sie auch zu 100 %
nutzen zu können. Deshalb müssen Systeme entwickelt
werden, die die Nachfrage nach Energie von deren Er-
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revista Nr. 44, Juli/Aug. 2009
zeugung her steuern. Bisher wurde die Stromerzeugung
ja der Nachfrage angepasst: schwerfällig regelbare AKWs
für die Grundlast, Kohlekraftwerke für die Mittellast
und Gaskraftwerke für die Spitzenlast. In Zukunft wird
mehr Intelligenz im Stromnetz, „smart grind“ ist hier
der Fachbegriff, zum Tragen kommen müssen. Wir
brauchen thermische Puffer, also z.B. die Nutzung von
Klimaanlagen oder Heizungssystemen als Energiespeicher. Und die Haushalte werden “Preismanager“ nutzen
können, um zu Zeiten überschüssigen, also billigen
Stroms z.B. Warmwasserspeicher oder Tiefkühltruhen
zu betreiben oder ihre Autobatterien ans Netz anschließen, um in Hochpreiszeiten Geld zu verdienen.
??: Nach Ansicht des Bundesverbandes Erneuerbare Energien (BEE) könnten Wind- oder Sonnenenergie im Jahr
2020 bereits 47 Prozent des Stromverbrauchs decken. Voraussetzung dafür sei aber der Atomausstieg. Wie hängt das
eine mit dem anderen zusammen?
!!: Mit einem steigenden Anteil von Wind- und Photovoltaikstrom müssen Möglichkeiten geschaffen werden,
die gesamte regenerativ erzeugte Energie einspeisen zu
können, ohne die Netze zu überlasten, insbesondere an
solchen Tagen, wie wir sie jüngst im April hatten, an
denen bei optimaler Sonneneinstrahlung auch gute
Windverhältnisse herrschten. Ohne eine regelbare Netzeinspeisung müsste eine temporäre Abschaltung der
Windanlagen gerade an Starkwindtagen erfolgen. Eine
moderne, zukunftsfähige Energieversorgung erfordert
eine Umstrukturierung des Strommanagements. Träge
Grundlastkraftwerke stehen dieser notwendigen, wie
auch überfälligen Entwicklung entgegen. Eine Verlängerung von AKW-Laufzeiten, sowie der bisher vorgesehene Umfang von Zubauten mit Kohlekraftwerken, verzögern diese Entwicklung und hätten Zwangsabschaltungen und steigende Stromkosten zur Folge.
??: Die Bundesregierung hat eine Verordnung auf den Weg
gebracht, mit der sich die Rahmenbedingungen für Windenergieanlagen ändern. Mit welcher Konsequenz?
!!: Die meisten WEA im Landkreis werden aller Voraussicht nach den neuen Anforderungen Genüge tun. Es ist
zu erwarten, dass für ältere WEA bzw. für Anlagen unter
1 MW Ausnahmen toleriert werden. Größere Anlagen
könnten aber durchaus in Zukunft bei einem Überangebot an regenerativen Strom vom Netz genommen
werden. Dies könnte insbesondere bei den V-66 WEA
in Beedenbostel zutreffen, die in einigen Jahren als eine
der wenigen für ein Repowering in Frage kommen. Interessant wäre im Rahmen eines solchen Repowerings,
an diesem Standort ein Vorzeige-Projekt zu realisieren,
z.B. ein Kombikraftwerk im Verbund mit Biogasanlagen
und eventuell im Verbund mit einem Hybridkraftwerk
und dem Wasserkraftwerk in Lachendorf.
??: Welche Potentiale siehst du aktuell für Erneuerbare im
Landkreis?
!!: Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat erkannt, dass für die Kommunen die Erneuerbaren erheb-
liche Chancen bieten. Da auch das Bundesumweltministerium weiß, dass die Klimaschutzziele ohne eine
Optimierung der Windenergie nicht erreicht werden
können, wird derzeit federführend von diesen beiden Institutionen eine Handlungsanweisung für die Kommunen erarbeit. Diese dürfte bundesweit einen Schub für
die Erneuerbaren auslösen. Auch hat die Landesregierung die Rahmenbedingungen für neue Windenergiestandorte verändert, so dass insbesondere im Land kreis
Celle ein nicht unbedeutender Zubau mit leistungsstarken Anlagen möglich wäre.
Sinnvoll wäre weiter eine Potentialstudie für Wasserkraft-“Repowering“, um die bestehenden Wasserkraftwerke effektiver und fischfreundlicher zu gestalten. Insgesamt muss es darum gehen, alle Potentiale ausschöpfen. Gerade im Bereich Photovoltaik sind die Kommunen gefordert, z.B. Finanzierung durch BürgeranlagenContracting zu initiieren und abzusichern.
??: Überall in den Landkreisgemeinden und auch in der
Stadt Celle steht der Abschluss neuer Konzessionsverträge
an. Auf was wäre da zu achten?
!!: Es sollte der Versuch unternommen werden, mit dem
Vertrag den drei E – Erneuerbare Energien, Energieeinsparung und Energieeffizienz –mehr Geltung zu verschaffen. Im Konzessionsvertrag müsste z.B. die
Verpflichtung enthalten sein, die Bürgerinnen und
Bürger stärker als bisher über Erneuerbare zu informieren, also über ihre Rechte und über Fördermöglichkeiten bei der Errichtung von Kraft-Wärme-KopplungsAnlagen und Anlagen im Sinne des Erneuerbaren Energien Gesetzes. Das Energieversorgungsunternehmen
sollte verpflichtet werden, Unterstützung zur Gründung
von Bürgersolaranlagen und zur Nutzung kommunaler
Dächer für die Solarstromerzeugung zu leisten.
Interessant wäre auch, die Sondertarife
für Großkunden abzuschaffen, also
einheitliche Grundgebühr und
Verbrauchspreise. Das EVU sollte
die Vorgabe bekommen, den
Pro-Kopf-Verbrauch jährlich
um z.B. 5 Prozent zu senken.
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Nachrichten im Rückblick
Neuanfang mit Adasch?
Der Landtagsabgeordnete Thomas Adasch aus Hambühren wurde im Mai
von der CDU-Mitgliederversammlung
zum neuen Stadtverbands-Vorsitzenden
gewählt. Adasch erhielt 87 Stimmen,
der Gegenkandidat Udo Hörstmann
50. Als Stellvertreter_innen wurden
Silke Kollster und Steffen Weiss gewählt; als Beisitzer_innen Susanne
Schmitt, Bernd tum Sunden, Catherine
Hollerbach, Joachim Ehlers, Thorsten
Siemann, Manfred Heinze, Anjuli
Bellersen, Klaus Bartels und Stefan
Busch. Die Ratsfraktion ist damit nur
noch durch Joachim Ehlers im
Vorstand vertreten. – Die CZ hatte für
Adasch und gegen Hörstmann
getrommelt und sieht folgerichtig in der
Wahl ein Zeichen von „Erneuerung“.
Wir sagen nur: Viel Spaß mit einem
Chef aus dem „Vorort“ Hambühren,
der auf seiner website Wilfried
Hasselmann als Vorbild nennt und im
Fernsehen am liebsten Filme mit Heinz
Erhardt anschaut.
Schallschluck
Etwa 80 ehemalige Mitarbeiter haben
gegen ihre Entlassung durch den Insolvenzverwalter des Automobilzulieferers
Stankiewicz geklagt. In den Kündigungsschutzverfahren vor dem Arbeitsgericht geht es um die „Rechtmäßigkeit“ der Entlassungen. Bekanntlich
waren auch langjährige Beschäftigte
(wie es heißt unter Zustimmung des
Betriebsrates) entlassen worden. In den
ersten so genannten „Güteverhandlungen“ vor dem Arbeitsgericht kam es zu
keiner Einigung. Die jetzt erforderlichen Gerichtsverhandlungen finden
wahrscheinlich erst gegen Ende des Jahres statt.
Kein Pflichteintritt
Der Zwangseintritt zu Altstadtfest und
Streetparade ist zunächst mal vom
Tisch. Zwar wäre er rechtlich sowieso
kaum haltbar gewesen, aber die Tourismus-Region-Celle (TRC) als Veranstalter brachte ihn gewissermaßen als
Faustpfand in Stellung, um die Stadt zu
finanziellen Zugeständnissen zu bewegen. Mit Erfolg, denn: Die Stadt verzichtet künftig auf die dem Veranstalter
auferlegten
Sondenutzungegebühren
(rund 17000 Euro). Der zunächst als
anonymer Sponsor gehandelte “EventRetter“ erwies sich recht unspektakulär
als Sparkasse Celle. Bis zu 32000 Euro
würde sie eine entstehende Finanzierungslücke decken. Oberbürgermeister
Mende, seit dem 8. Mai Verwaltungsratsvorsitzender der Sparkasse, hatte
dies zunächst als langfristige Lösung
„verkauft“. Sparkassenchef Lohöfener
will’s aber auf dieses Jahr beschränkt
sehen. Der TRC-Aufsichtsratsvorsitzende Ratsch-Heitmann (CDU) drängelt
derweil weiter auf den Zwangseintritt. –
Unangetastet bleibt damit das TRCKonzept, das insbesondere hinsichtlich
des Altstadtfest-Programms auch viele
Kritiker_innen hat: Nicht alle stehen
auf den von TRC-Chef Hass favorisierten Hitparaden-Rummelplatz. Das zumindest zeigte ein Blick in das Gästebuch der Celleschen Zeitung. Aber:
Über die Kostenseite der Veranstaltungen wurde – zumindest öffentlich –
nicht diskutiert.
Vorbild d’Olbreuse?
Nicht gerade treffsicher erweist sich der
niedersächsische Landesfrauenrat in
seiner Initiative „FrauenOrte Niedersachsen“. Zum Auftakt hatte frau 2008
noch die Verdener Frauenrechtlerin
und Pazifistin Antia Augspurg ausgesucht. Aber schon der zweite „Ort“
führt gewaltig in die Irre: Celle soll’s
2010 sein mit Eléonore d’Olbreuse. Auf
der website des Landesfrauenrates ist
die Rede davon, dass es um Frauen gehen soll, „die Vorbildcharakter haben
und deren Wirken ein positives Beispiel
für die Gleichberechtigung darstellt“ –
da sind wir mal gespannt, wie sehr sich
die Balken biegen, wenn diese treffliche
Wahl begründet wird.
Millionen für Rheinmetall
Die Bundeswehr will für ihre Feldlager
im Ausland ein neues Abwehrsystem
gegen Raketen- und Granatenbeschuss
anschaffen. Der Auftrag hat einen Gesamtwert von rund 135 Millionen Euro, wie der Düsseldorfer Rüstungskonzern Rheinmetall am 19. Mai mitteilte.
Bis 2011 soll die Bundeswehr zunächst
zwei Einheiten des sogenannten
Nächstbereich-Schutzsystems NBS erhalten. Damit bekomme die Bundeswehr als weltweit erste Armee ein
hochwirksames Mittel zur Abwehr der
vor allem in Afghanistan akuten Bedrohung durch kleine Raketen und Mörsergranaten.
In den vergangenen Monaten waren vor
allem die Feldlager in Kundus und Faisabad in Nordafghanistan zunehmend
mit Raketen beschossen worden. Mit
dem neuen System NBS C-RAM
(Nächstbereich-Schutzsystem CounterRockets Artillery Mortar) können offenbar Standorte der Angreifer bestimmt, Flugdaten der Geschosse erfasst
und diese durch 35-MillimeterGeschütze noch im Flug abgefangen
werden. Die Flugabwehrgeschütze haben eine Feuerkraft von 1000 Schuss
pro Minute. Ein System NBS C-RAM
besteht aus einer Bedien- und Feuerleitzentrale, zwei Sensoreinheiten sowie
sechs 35-Millimeter-Geschützen. Die
Feuerleitung ist weitgehend automatisiert. (Quelle: ngo-online.de)
21400 Knarren
Rund 4400 Personen in Stadt und
Landkreis Celle verfügen über gut
21000 Waffen. Gut Schuss! Kann man
da nur sagen.
LSG: Nur noch Flut
Immer mehr Minijobs
Die Landessozialgerichte (LSG) befürchten angesichts des historischen
Wirtschaftseinbruchs eine weitere Zunahme der Hartz IV- Verfahren. Auch
die Zahl der unerledigten Verfahren sei
besorgniserregend, sagte die Präsidentin
des Landessozialgerichts NiedersachsenBremen, Monika Paulat, auf der Führjahrkonferenz der LSG-Präsident_innen: "Man kann schon gar nicht mehr
von einer Flut sprechen, denn dann
würde auch mal eine Ebbe kommen."
Die Zahl der in Minijobs, den so genannten 400-Euro-Jobs, Beschäftigten
steigt: 9783 Mini-Jobber_innen gab es
2008 in Stadt und Landkreis Celle; im
Jahr 2001 waren es 8283 derart Beschäftigte. Stefan Deters, Regionalleiter
der IG Bau, die u.a. Reinigungspersonal
organisiert, warnte im Mai vor dieser
Entwicklung und verwies insbesondere
auf die dadurch entstehende Rentenproblematik.
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revista Nr. 44, Juli/Aug. 2009
Weltberühmt ?!?
Mitte Mai verkündete Michael Ende
in einer Überschrift im Mai „Stolz auf
weltberühmte Celler Schätze im Schützenmuseum“. Jaja – unser Schützenmuseum mit seinen „weltbekannten Königsbildern“ bringt es bei Google immerhin auf 4 Treffern, sucht man nach:
„Celler Schützenmuseum-Königsbilder“
– einer davon der CZ-Artikel, zweimal
die website des Schützenfestes und
einmal die der Tourismus-Region. Im
Original stammt der Quatsch übrigens
vom
CDU-Bundestagsabgeordneten
Henning Otte, der beim Stiftungsfest
der Museumsstiftung Celler Schützenmuseum eben jenen grenzwertigen Lokalpatriotismus von sich gab.
Kurdisch-Unterricht
Eventuell schon im kommenden Schuljahr soll an der Grund- und Hauptschule Neustadt Kurdisch-Unterricht
erteilt werden können. Der Schulausschuss der Stadt folgte damit der Anregung der Fraktion „Die Linke/BSG“.
Die Neustädter GHS hatte sich als erste
bereit erklärt, das Angebot umzusetzen.
Andere Schulen könnten folgen. “Mizgin“ – das dürfte die Meinung in der
kurdischen Community sein.
Copy & Paste
Der Großplagiator hat erneut zugeschlagen: Klaus Tänzer bediente sich
für einen Leitartikel zum Thema “Depression“ großzügig auf einschlägigen
Internetseiten. Der Artikel erschien am
24. Mai im Celler Kurier und wieder
einmal waren keinerlei Hinweise auf die
Quellen vorhanden, d.h. auf jene webseiten, aus denen Tänzer wirklich
schamlos den allergrößten Teil des Artikels kopiert hatte. Im Unterschied zu
„seinem“ Artikel zum so genannten
Klimaschutzschwindel (siehe revista
43), bei dem ja kein einziger Satz von
ihm kam, schrieb Tänzer diesmal einige
Übergänge, die durch ihren hohlen
Gloria-Roman-Pathos als Eigenleistung
erkennbar waren.
Aufstieg mit Super-Men.de
Obwohl Biermann ja einen ausgemachten Handball-Hintergrund hatte – er
war mit der Schulmannschaft des HBG
in den frühen 1960er Jahren Deutscher
Meister der Gymnasien, was wie böse
Zungen meinen, ihm nicht unwesentlich zum Abitur verhalf -, gelang dem
SV Garßen unter ihm der Sprung in die
erste Liga nicht. Jetzt schafften es die
Handballfrauen im dritten oder vierten
Anlauf. Das kann ja nur an SuperMen.de gelegen haben.
Citymanager
Das Rennen um den Job des ersten Citymanager der Stadt Celle machte Veit
Hilger. Der in den Agenturmeldungen
als früherer Bauunternehmer bezeichnete Norweger will die Öffentlichkeitsarbeit ausbauen und eine Immobilienbörse im Citymanagement etablieren. Die
Citymanagement Celle GmbH soll den
Einzelhandel der Stadt im Kampf gegen
die zunehmende Konkurrenz der Einkaufscenter unterstützen. – Eine ganz
große Nummer scheint er nicht zu sein:
Die ersten Hits im Internet am Tage
seiner „Wahl“ wiesen ihn vor allem als
Vermieter von Ferienhäusern in den
Niederlanden aus.
Tiefen-Geothermie
Mit 2,3 Millionen Euro ist Baker Hughes in den vom Land initiierten Forschungsverbundes "Geothermie und
Hochleistungsbohrtechnik" (gebo) eingestiegen. Ziel ist, geothermische Potenziale künftig umfassend für Wärmeund Stromversorgung zu nutzen. Die
Erschließung tiefengeothermischer Energie ist bisher mit hohen Kosten verbunden; erforscht werden solen deshalb
Konzepte zur „wirtschaftlichen Gewinnung“ geothermischer Energie. Im Forschungsverbund zusammengefasst sind
u.a. das Institut für Angewandte Geophysik (LIAG), Uni Hannover, das Institut für Erdöl- und Erdgastechnik,
TU Clausthal, das Institut für Dynamik
und Schwingungen, TU Braunschweig;
sowie das Institut für Transport und
Automatisierungstechnik, Uni Hannover. Der Sitz der Geschäftsstelle wird
am Energie-Forschungszentrum Niedersachsen (EFZN) in Goslar eingerichtet. Bis zu 9,5 Millionen Euro will das
Land in den kommenden fünf Jahren
in den Forschungsverbund stecken – so
dass man vielleicht eher sagen müsste,
dass die Forschung von Baker Hughes
mit fast 10 Millionen durch Steuergelder finanziert wird.
Europa-Wahl
Einziger Verlierer war – auf dem Papier
– im Celler Europawahl-Wahlkreis die
CDU. Sie sackte von 48,5 auf 42,8 %
der abgegebenen gültigen Stimmen (2.891). Ein Großteil landete bei der
FDP, die mit 11,5 % drittstärkste Kraft
wurde und gegenüber 2004 4,1 %Punkte (+2.114 Stimmen) zulegte. Die
SPD konnte ihr desaströses Ergebnis
von 2004 um 1,1 %-Punkte (bzw. 618
Stimmen) auf 24,6 % verbessern. Die
Grünen erzielten mit 10,2 % ein fast
identisches Ergebnis wie vor fünf Jahren. Und Die Linke legte um 447
Stimmen auf 1655 zu, was 3,2 gegenüber 2,3 % brachte. Die Nazis spielten
kaum eine Rolle: Die Republikaner holten 523 Stimmen (gegenüber 1448 in
2004), die DVU 250 Stimmen; die
NPD hatte nicht kandidiert.
Was lässt sich aus diesem Kaffeesatz lesen: Die Oberbürgermeisterschlappe
der CDU-Kandidatin Schmitt ändert
nichts an der strukturellen Wahl-Mehrheit von CDU/FDP. Die Sozialdemokraten haben wegen Hartz IV dauerhaft
ihren „Volksparteicharakter“ verloren.
Die Bündnisgrünen sind – wie immer
bei EP-Wahlen – äußerst mobilisierungsfähig. Und Die Linke? Ihr Zugewinn ist äußerst problematisch zu betrachten. In keinem anderen Wahlkreis
in Niedersachsen war der Zugewinn geringer. Von den 46 niedersächsischen
Wahlkreisen lag Celle 2004 auf Platz 6,
fünf Jahre später auf Platz 39. Und das
obwohl zehn Jahre lang mit Feleknas
Uca ein Mitglied des Celler Kreisverbandes im Europäischen Parlament vertreten war. In der Stadt Celle erzielte
Die Linke gerade mal 30 Stimmen
mehr als 2004.
Nachrichten im Rückblick
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revista Nr. 44, Juli/Aug. 2009
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Nachrichten im Rückblick
Sorge macht uns nach wie vor die
Parallelgesellschaft von Boye. CDU
(52,8 %) und FDP (22,6 %) kommen
hier zusammen wieder auf ¾ der
Stimmen.
In
keinem
anderen
Wahlbezirk gibt es einen derartigen
Fundamentalismus. Wir machen uns
ehrliche Sorgen um die drei Wähler_innen der LINKEN.
Ergebnis in der STADT CELLE
2009
in % 2004
in %
CDU
7816
40,4
8990
45,8
SPD
4885
25,2
4581
23,3
GRÜNE 2292
11,8
2361
12,0
FDP
2139
11,0
1508
7,7
LINKE
655
3,4
625
3,2
Ritter der Ehrenlegion
guten Stücke also erst mal in Celle.
Und dies ließ sich der Stadtrat etwas
kosten: 100.000 Euro. Wird gemunkelt, denn offiziell erfuhr „der Steuerzahler“ bisher weder, was die Aktion im
Ganzen gekostet hat, noch wer mit welchem Betrag an der „groß angelegte Finanzierungsaktion“
(Kulturminister
Stratmann) beteiligt war. – Bei gut drei
Ausstellungsjahren lässt sich die Stadt
Celle ihre feudale Vergangenheit einiges
kosten. Und angesichts dieser merkwürdigen Diskussion um den Zwangseintritt bei Streetparade und Altstadtfest kann sich jede_r denken, warum
die Höhe der städtischen Beteiligung
„wie ein Schatz gehütet“ wird. Die
Bündnisgrünen sollen im Verwaltungsausschuss dagegen gestimmt haben.
Nicht für uns !!!
Celles ehemaliger OB Martin Biermann
ist mit der höchsten Auszeichnung
Frankreichs, dem Titel «Ritter der Ehrenlegion», ausgezeichnet worden. Der
frühere Rathaus-Chef wurde während
der Europatage in Celles französischer
Partnerstadt Meudon geehrt.
35,63 Euro pro Besucher
Wir verkünden es seit Jahren immer
mal wieder – jetzt las man’s offiziell in
der CZ: „Der Zuschuss pro Besucher
im Geschäftsjahr 2008 betrug 35,63
Euro“. Es geht ums Celler Schlosstheater und die Subvention pro Besucher_in. Da muss man nicht dagegen
sein; zur Kenntnis nehmen sollte man
schon, in welcher Dimension sich die
Bildungsbürger_innen ihr Vergnügen
durch Steuergelder fördern lassen.
Schallschluck
Über seine Krefelder Tochter hat der
US-amerikanische Autozulieferer International Automotive Components
(IAC) die insolvente Stankiewicz
Gruppe übernommen. Knapp 300 von
1300 Arbeitsplätze in Deutschland
wurden seit der Insolvenz gestrichen,
mindestens noch einmal 160 sollen ihren Job verlieren – wieviele davon in
Adelheidsdorf, ist noch nicht klar.
KURSBAROMETER
100.000 Euro für Pokale
Für geschätzte 2,2 Millionen Euro ersteigerte das Land Niedersachsen drei
sogenannte „Huldigungspokale“. Ehedem im Besitz des Fürstenhauses der
Welfen gehörten sie zuletzt
dem
Mode-„Zaren“ Yves Saint Laurent. Die
vergoldeten Silberpokale wurden zwischen 1630 und 1650 gefertigt und sollen dem Celler Herzog von Untergebenen geschenkt worden sein. Nun werden sie bis 2012 im Residenzmuseum
ausgestellt, danach wandern sie in das
Braunschweiger Herzog-Anton-UlrichMuse-um, um schließlich ab 2014 bei
der großen Welfenausstellung in Herrenhausen gezeigt zu werden. Für die
Zeit danach gibt es anscheinend noch
keine Planungen. Drei Jahre bleiben die
schränkt sich das Fernweh auf Europa.
Fernweh im 8 1/2
Das jedenfalls lässt ein Ranking der
bestbesuchten Filme der Saison
2008/2009 vermuten: Die Goldene
Achteinhalb bekam (1) „Let’s make
money“, weil die Reisen dann ja auch
bezahlt werden wollen. Auf Platz (2)
„Neulich in Belgien“. Der Bronzeplatz
(3) ging an „Das Fremde in mir“. Platz
(4) erreichte „So ist Paris“, und Platz
(5) fast gleich auf „Vicky Christina Barcelona“ und „Brügge sehen ... und sterben“. Halbwegs klimafreundlich be-
Bekanntlich verfügt die Stadt Celle
durch den Verkauf der Stadtwerke über
ein nicht unbeachtliches Aktienvermögen, das u.a. die an der Börse gehandelte e.on-Aktie enthält – und zwar
2.792.697. Mit unten stehendem Kursbarometer werden wir in jeder der
kommenden Ausgabe aufs Neue zeigen,
wie viel Kohle die Stadt auf der hohen
Kante hat – und was deshalb ihre
Knauserigkeit an der einen oder anderen Stelle bedeutet. Und wir zeigen
damit, wie viel Geld Verwaltung und
Rat seit dem 10.1.2008 (dem Allzeithoch der Aktie) verzockt haben.
Die e.on-Aktien der Stadt Celle – das „revista“-Kursbarometer am 19.06.2009:
Allzeithoch:
Tageshoch:
Verlust:
51,34 EUR (10.01.2008)
25,80 EUR (19.06.2009)
25,54 EUR
Höchstwert:
Aktueller Wert:
Verlust:
143.377.063,98 EUR
72.051.582,60 EUR
71.325.481,38 EUR
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revista Nr. 44, Juli/Aug. 2009
Missionsanstalt Hermannburg im Nationalsozialismus
Das schwarze Herz Hannovers?
„Das schwarze Herz Hannovers“ – so sah sich die
Missionsanstalt Hermannsburg und prägt(e) mit ihrem
institutionellen Gewicht und Personal einen Teil des
Landkreises Celle. Wer in dem Heideort aufgewachsen
ist oder dort heute lebt, wird dies bestätigen können.
Deshalb ist Gunther Schendels Anfang des Jahres publizierte Dissertation „Die Missionsanstalt Hermannsburg
und der Nationalsozialismus“ über den engen Rahmen
einer institutionengeschichtlichen Perspektive hinaus interessant.
Die Hermannsburger Missionsanstalt war vor 1933
eine der größten Missionsgesellschaften Deutschlands.
1849 von Louis Harms aus dem Geist der Erweckungsbewegung gegründet, wurde von der Zentrale in der
Lüneburger Heide aus in Südafrika und Äthiopien missioniert. Daneben gab es eine intensive, so genannte
„Heimatarbeit“, die der Mission und ihrem Umfeld den
Ruf als „schwarzes Herz Hannovers“ eintrug, was aber
durchaus gut mit dem Selbstbild der Einrichtung korrespondierte. Und zu diesem Selbstbild gehörte auch,
dass die Institution und ihr Umfeld dem Nationalsozialismus eher distanziert gegenüber gestanden habe. Der
Theologe und Religionshistoriker Gunther Schendel hat
jetzt eine Untersuchung vorgelegt, die dieses Bild grundlegend revidiert.
Wie der größte Teil des konservativen Milieus verband auch die Missionsanstalt mit der als Sieg der nationalen Bewegung wahrgenommene Regierungsübernahme durch die NSDAP Hoffnungen, die sich durch
ein „markantes Zeichen der Zustimmung“ äußerte nämlich die Teilnahme am auch in Hermannburg veranstalteten Fackelzug zum „Tag von Potsdam“, also jener Inszenierung zur Eröffnung des neu gewählten
Reichstages am 21.3.1933, wo Hitler sich symbolhaft
vor Reichspräsident Hindenburg, dem zentralen Repräsentanten des konservativen Milieus verbeugte. – Aber
es gab eben auch auf etlichen Politikfeldern große Übereinstimmungen: Die von der NSDAP formulierte
Volksgemeinschaftsideologie entsprach den eigenen
Vorstellungen von einer möglichst konfliktfreien Gesellschaft. Und solange die außenpolitischen Eckpunkte die
Revision von Versailles ins Zentrum stellten und so vom
konservativen Milieu als Wiederholung der Frontstellung des Ersten Weltkrieges wahrgenommen wurden,
fanden sie ungebrochene Zustimmung.
Interessanterweise war trotzdem keiner der drei während der Jahre 1933 – 1945 amtierenden Missionsdirektoren Mitglied der NSDAP, auch von den 25 Mitgliedern des Missionsausschusses war lediglich einer, der
Leiter der staatlichen Hermannsburger Volksschule, Parteimitglied. Für das Kollegium des Missionsseminars
und der Christanschule konnte Schendel fünf NSDAPMitgliedschaften belegen, und damit ein dem Reichs-
„Flaggengruß“ der Christianschule. In diese Postkarte, die die Loyalität zum NS-Staat demonstrieren sollte, wurde die Hakenkreuzfahne nachträglich hineinmontiert. Die konfessionelle Schule wurde
unter dem Vorwurf der politischen Unzuverlässigkeit 1939/40 geschlossen.
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durchschnitt unter der Lehrerschaft vergleichbares Bild.
Bei der Untersuchung der weltanschaulichen Positionen der Missionsanstalt widmet sich der Autor zwei
Komplexen: zum einen die Auseinandersetzung mit dem
Neuheidentum, das durch den NS Auftrieb bekam; zum
anderen dem staatlichen Antisemitismus. Schendel arbeitet dabei die Übereinstimmungen und Differenzen
des Rassenkonzepts der Missionsanstalt zu dem nationalsozialistischen Rassismus heraus. Dabei zeigt sich,
dass der christliche Universalismus kaum Schutz vor einem Denken in Kategorien der Ungleichheit bot. Die
Nähe zu Volkstum, Blut und Boden mit dem Rassenbegriff im Zentrum schaffte eine hohe Übereinstimmung mit der NS-Ideologie, wobei Schendel als
Schnittpunkte markiert: „die Ablehnung von Rassenmischung, das Eintragen von Werturteilen in das Verhältnis der Rassen, die Billigung von politischer Ungleichheit.“ (352) Auf der anderen Seite war es nicht der Rassenantisemitismus der Nazis, sondern ein traditioneller
Antijudaismus, der die Position der Missionsanstalt zur
NS-Judenpolitik fundierte. Die damit einhergehende
Billigung der antisemitischen Maßnahmen fand nach
Auffassung Schendels im Novemberpogrom zwar eine
Zäsur: „Offensichtlich wurde hier eine Überschreitung der
Grenzen wahrgenommen, die durch das eigene christlichkonservative Wertesystem gesetzt waren.“ (743) Kritik an
der antisemitischen Verfolgung war von der Missionsanstalt offiziell aber nie zu hören; und selbst eine Unterstützung von durch den Arierparagrafen diskriminierten
Kirchenangehörigen unterblieb bis auf eine Ausnahme.
Institutionell und kirchenpolitisch gerieten Missionsanstalt und das NS-Regime in einigen Punkten allerdings in Widerspruch. Schendel analysiert exemplarisch
den Austritt von Missionsdirektor Schomerus aus dem
hannoverschen Landeskirchentag im August 1933, die
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revista Nr. 44, Juli/Aug. 2009
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Widerstände in der Frage der Gleichschaltung der Missionsgesellschaften sowie das Verbot des traditionellen
Missionsfestes 1939 oder die Umwandlung der Christian-Schule in eine staatliche Einrichtung. Der Verfasser
zeigt hier differenziert das Verhalten der einzelnen Akteure, wobei deutlich wird, dass das „Interesse am Erhalt
von Institution und Verkündigung eine wenigstens partielle
Zustimmung zum Nationalsozialismus nicht aus, sondern
gerade ein[schloss].“ (630)
Abgerundet wird die Arbeit durch eine intensive Betrachtung der direkten Nachkriegsphase und mit der
Fragestellung, wie man in den Reihen der Missionsanstalt nachträglich das eigene Verhalten bewertete. Eine
konkrete Aufarbeitung unterblieb, wie Schendel an verschiedenen Konfliktfeldern analysiert.
Zusammenfassend kommt der Autor zu einem ernüchternden Urteil: „Diese lutherische Missionsgesellschaft
[...] begrenzte mit ihrer christlichen Frömmigkeit den
Totalitätsanspruch der NS-Ideologie. Aber sie partizipierte
auch an den politischen Illusionen und Irrtümern des konservativen Milieus; und ihre Theologie und Frömmigkeit
erwiesen sich nicht als geeignet, um über die Verteidigung
der eigenen Institution und Wirkungsmöglichkeiten hinaus
zu einer weiterreichenden Opposition zu animieren. Davon, dass die Missionsanstalt für die NS-Ideologie „resistent" gewesen sei und sich in ihrem Fall „lutherisches Beharrungsvermögen (perseverantia)" bewährt habe, kann also nur in sehr begrenztem Maße gesprochen werden.“ (750
f.)
Schendel, Gunther: Die Missionsanstalt Hermannsburg und der
Nationalsozialismus. Der Weg einer lutherischen Milieuinstitution
zwischen Weimarer Republik und Nachkriegszeit. Münster 2009.
808 S., ISBN 978-3-8258-0627-9, 49.90 EUR. [den Band gibt es
auch in der Stadtbibliothek: Cel 870 Her]
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Im Niemandsland
Christen jüdischer
Herkunft
Am Schicksal der Familie Kohls im Nationalsozialismus lässt sich auf lokalgeschichtlicher Ebene gut nachvollziehen, dass der Antisemitismus der Nazis sich als
rein rassistische Konstruktion vom religiös fundierten
Antijudaismus unterschied. Else Kohls hatte sich und
ihre zwei Töchter im Sommer 1935 vom Neuenhäuser
Pastor Wilhelm Voigt taufen lassen und war damit vom
Juden- zum Christentum konvertiert. Die Nazis skandalisierten diese “Celler Judentaufe“ als ein Betrugsmanöver, das aber spätestens mit den Nürnberger Rassegesetzen vom 15. September 1935 in seiner Schutzfunktion
obsolet wurde. Das Reichsbürgergesetz stufte eben gänzlich unabhängig vom Glauben als “Jude“ ein, wer mindestens drei jüdischen Großeltern hatte. Als “Mischlinge
ersten Grades“ galten Personen mit einem jüdischen El-
ternteil oder zwei jüdischen Großeltern, als „“Mischlinge zweiten Grades“ Personen mit einem jüdischen
Großeltern-Teil. Eine Konsequenz: Die christlichen
Kirchen hatten einen Haufen Mitglieder, die den Nazis
als Juden galten und antisemitisch diskriminiert und
verfolgt wurden.
Vor sechs Jahren hatte die Evangelisch-lutherische
Landeskirche Hannover einen Forschungsauftrag an die
Historikerin und Theologin Uta Schäfer-Richter vergeben. Es sollte den Frage nachgegangenen werden: In
welchem Ausmaß wurden Christen in die antisemitische
Verfolgung der Nationalsozialisten einbezogen? Wie
verhielten sich die hannoversche Kirchenleitung und
einzelne Pastoren zu der bedrängten Situation ihrer
»nichtarischen« Kirchenmitglieder? In der jetzt vorgelegten Studie „Im Niemandsland“ betrachtet die Autorin
auf der Basis einer Vielzahl rekonstruierter Einzelschicksale zunächst den historischen, nach Generationen unterschiedenen Erfahrungshintergrund der Christen jüdischer Herkunft und sie beleuchtet das außerordentlich
breite Spektrum der Verfolgungserfahrung dieser Christen, das von der relativen Verschonung bis zu Vertreibung und Mord reicht.
Unter den rund 2,8 Millionen ev. Kirchenmitgliedern
der hannoverschen Landeskirche galten nach den Daten
der Volkszählung von 1939 knapp ein Prozent, nämlich
2.446 als Christen jüdischer Herkunft. Zu diesem Zeitpunkt waren dies ein Drittel der antisemitisch Verfolgten. Eine tätige Solidarität seitens der Kirche unterblieb
und wurde überlagert von dem Wunsch nach einem
möglichst konfliktfreien Auskommen mit dem NSStaat. Die Autorin analysiert die kirchlichen Versäumnisse, die letztlich bei der Kirchenführung in einer Anerkennung der antisemitischen Weltanschauung mündeten. Und so bemerkenswert etwa das Handeln von Pastor Voigt im Jahr 1935 war – als Mitglied des so genannten Mitarbeiterkreises der Bekenntnisgemeinschaft
gehört er zu den drei Verfassern einer Erklärung aus
dem Jahr 1942, in der es heißt: „Sie [die Kirchen] werden
im Interesse der Volksgemeinschaft und im Interesse der
christlichen Gemeinden den Tatbestand der vom Staat verfügten und auch ihm allein zustehenden Abgrenzung der
Volksgemeinschaft Rechnung tragen. Es ist als eine Gegebenheit anzuerkennen, daß Juden auch an dem kirchlichen
Gemeinschaftsleben der deutschen evangelischen Gemeinden nicht teilhaben können.“ (303)
Erst in den letzten 15 Jahren ist die Situation der
Christen jüdischer Herkunft überhaupt ins Blickfeld der
historischen Forschung gekommen. Die lesenswerte Regionalstudie von Uta Schäfer-Richter macht in eindringlicher Weise die Verfolgungsschicksale und das Versagen
der Landeskirche deutlich.
Uta Schäfer-Richter: Im Niemandsland. Christen jüdischer Herkunft im Nationalsozialismus - Das Beispiel der hannoverschen Landeskirche. Göttingen 2009. 336 Seiten, ISBN-10: 3-8353-0469-0,
29,90 EUR.
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revista Nr. 44, Juli/Aug. 2009
Faire Klamotten
Im Celler Weltladen oder
im hannoverschen Bekleidungssyndikat
Ab und an werden ja mal Schuhe, Hosen oder ein
Hemd fällig. Und dann steht man im Laden und weiß
eigentlich genau, dass – egal ob billig oder teuer – die
Sachen irgendwo auf der Welt für Hungerlöhne zusammengenäht wurden. Bis vor nicht allzu langer Zeit
konnte man da dann auch individuell nichts dran drehen. Jetzt aber gibt es sowohl in unserem kleinen Städtchen wie auch im Internet-Versandhandel „fair“ und
zum Teil aus „bio“-Materialien produzierte Sachen.
In Celle macht’s seit einiger Zeit der WELTLADEN
in der Zöllnerstraße. Bei Bekleidung bezieht der Weltladen die Produkte über EL PUENTE. Als 'Brücke' (so
die deutsche Übersetzung des spanischen Namens) zwischen Nord und Süd will EL PUENTE dazu beitragen,
die Kluft zwischen den reichen und den sogenannten
Entwicklungsländern zu verringern. Die Organisation
fördert Kleinbetriebe und Genossenschaften im Trikont
durch Import und Vertrieb ihrer Produkte.
EL PUENTE hat vor zwei Jahren die Marke fair fashion mit Bio-Kleidung aus Indien und Paraguay eingeführt. Und einen Teil der Produkte kann man im
WELTLADEN direkt kaufen oder falls die vorhandenen Größen oder Farben nicht passen, bestellen. Nur
zwei Beispiele:
Für Männer und Frauen gibt es z.B. schwarze, rote,
beige, blaue oder braune Kapuzen-Sweatshirts in Biobaumwoll-Qualität für 34,90 EUR oder T-Shirts für
17,90 EUR. Sweat-Kapuzenjacken, ebenfalls in 100 %
Bio-Baumwolle kosten 39,90 EUR. - Bei www.elpuente.de gibt’s auch einen Online-Shop.
Zusätzlich bietet der WELTLADEN Schuhe der
Marke ethletic an. Auch hier ist der Handel gegründet
auf besseren Arbeitsbedingungen und ökologische Kriterien: Der fairgehandelte Naturkautschuk für die Produkte stammt von Plantagen in Sri Lanka und Südindien. Umweltschutz und soziale Bedürfnisse der Arbeiter_innen werden beim Anbau gleichberechtigt berück-
sichtigt. Dafür steht das Siegel des Forest Stewardship
Council (FSC). Die Baumwolle für die Stoffe stammen
alle aus kontrolliert biologischem Anbau. Im WELTLADEN vor Ort gibt es z.B. die Klassiker (siehe links
oben) „Black & White” als „LoCut” (schwarzer Stoff,
weiße Sohle, weiße Frontkappe, flach mit 6-LochSchnürung) für 44,90 EUR und als „Hi-Cut“ (also knöchelhoch mit 7-Loch-Schnürung) für 49,90 EUR. Mit
etwas Glück sind auch andere Farben vorrätig, können
in jedem Fall aber bestellt werden.
Im Juni hat in Hannover das BEKLEIDUNGSSYNDIKAT aufgemacht. Dabei handelt es sich um einen Internet-Versandhandel, der aus einem Projekt der
anarcho-syndikalistischen FREIE ARBEITER UNION
(FAU) entstanden ist. Die hatte in Hannover vor gut
vier Jahren damit begonnen, über die unmenschlichen
Arbeitsbedingungen in den Sweatshops der Bekleidungsindustrie zu informieren: Dabei wollte sie nicht stehen
bleiben, sondern zusätzlich Alternativen anbieten. Daraus entstand der ehrenamtliche Vertrieb von T-Shirts
aus einer nicaraguanischen Kooperative. Aus diesem
kleinen CleanClothes-Projekt hat sich jetzt das "Bekleidungssyndikat" entwickelt, das ein fast komplettes Sortiment von fairer Kleidung anbietet.
Nehmen wir auch hier ein Beispiel: Kapuzenpullover
in unterschiedlichen Farben und „Biobaumwolle in
Conversion“ kosten für Männer 37 EUR und für Frauen 35 EUR; allerdings kommt bei einem Einkauf von
bis zu 100 EUR eine Versandkostenpauschale von 5,95
EUR dazu. Diese Kleidungsstücke von Epona werden in
Indien produziert und von der FLO (Fairtrade Labelling
Organisation) zertifiziert.
Beim Bekleidungssyndikat findet sich auch eine breite
Palette an Schuhen. Und da gibt es z.B. für 65 EUR einen klassischen schwarzen Halbschuh der Marke Vegetarian Shoes, ein Hersteller aus England, dem es mit der
Entwicklung verschiedener synthetischer Materialien gelungen ist, ein veganes Gegenstück zu Leder mit den
gleichen Eigenschaften zu entwickeln. Die Schuhe werden u.a. in der selben Fabrik in Portugal gefertigt, in der
auch die Blackspot Sneaker hergestellt werden. Neben
Sport- und Freizeitschuhen gibt es sogar Arbeits- und
Wanderschuhe.
Mehr unter: www.shop.bekleidungssyndikat.de
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revista Nr. 44, Juli/Aug. 2009
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Zur Geschichte der neuen Sozialen Bewegungen in Celle (10)
Orden fürs Morden?
Eine Kampagne gegen das Treffen der Ritterkreuzträger in Celle 1993
„Trotz widerlicher Störaktionen: >Celle 93< war ein
Erfolg. Dank an die Stadt, die Polizei und alle getreuen
Helfer“ – so titelte das Mitteilungsblatt der Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger (OdR) im Dezember
1993. Aber, Niederlagen als Siege auszugeben, hatten sie
halt gelernt in Zeiten der Wehrmachtsberichte. Und eine kurze Schonfrist blieb ihnen noch, bis gut fünf Jahre
später unter der ersten rot-grünen Bundesregierung Verteidigungsminister Scharping das „Kontaktverbot“ verkündete. Danach durfte die Bundeswehr die OdR in
keiner Weise mehr unterstützen. Das war in Celle 1993
noch anders, aber eine gelungene antifaschistische Kampagne hatte seinerzeit mit der Skandalisierung u.a. dieser
Zusammenarbeit dem bis dato ungestörten Treiben der
Wehrmachtskrieger eine Grenze gesetzt.
Die Legende von der „sauberen Wehrmacht“ hatte
über 40 Jahre zum Geschichtsbild der Republik gehört.
Mit dieser Lüge räumte erst die 1995 eröffnete Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht
1941-1945“ des Hamburger Instituts für Sozialforschung auf. Bis dahin dominierte ein Bild, wonach die
Truppe „mit Anstand und Würde ihre soldatische Pflicht“
erfüllt habe, in Distanz zu Hitler und dem NS-Regime.
Doch ein Wandel hatte sich angekündigt: Kurz nach
ihrem Einzug in den Celler Stadtrat 1986 hatten die
Grünen die Teilnahme des SS-Traditionsverbandes HIAG an der lokalen Feier zum Volkstrauertag zum Gegenstand einer „Aktuellen Stunde“ gemacht, und regional war durchaus nicht unbemerkt geblieben, dass sich
Neonazis in trauter Eintracht mit Veteranengruppen auf
dem Soldatenfriedhof in Essel (bei Verden) um die Gräber der dort bestatteten SS-Soldaten versammelten.
Dass sich der erste bundesweit registrierte Protest
gegen die Treffen der OdR
gerade in Celle formierte,
hatte vielleicht noch drei lokalspezifische Momente: 1.)
Wegen der Naziaktivitäten
im Landkreis (Hetendorf,
WSG Jürgens, Skinheads etc)
gab es seinerzeit eine aktive
AntiFa-Szene vor Ort; 2.) die
Stadtoberen hatten sich
schon 1983 zum Stahlhelmtreffen, 1985 zum Deutschen
Burschentag und 1987 beim Bundesparteitag der Deutschen Volksunion (DVU) als – auch für das liberale
Bürgertum – nach rechts zu offen gezeigt; und 3.)
schließlich war nach der symbolischen Besetzung der
ehemaligen NAAFI im September 1993 auch eine aktionistisch orientierte Jugend in Bewegung.
Viel hängt für eine Kampagne in einer eher konservativ strukturierten Provinzstadt wie Celle davon ab, ob
überregionale Medien sich für ein Thema interessieren.
Schon der Auftakt war in dieser Hinsicht erfolgversprechend. Am Antikriegstag, dem 1. September, erreichte
man mit einer kleinen Aktion am Mahnmal für die Opfer des Massakers vom April 1945 mediale Aufmerksamkeit. Mit einem Transparent „Bundestreffen der Ritterkreuzträger in Celle: Wir sagen NEIN!“ ausgestattet,
hielt eine Initiatorengruppe dort eine Mahnwache und
„Pressekonferenz“ ab. Schon vorab berichtete Eckhardt
Spoo in der Frankfurter Rundschau („Protest gegen Ritterkreuzträger – Orden würdigt „Soldatentum“ / Bundeswehr hilft bei Treffen“), die Hannoversche Neue Presse
(„Die Bundeswehr ehrt Hitlers Ritterkreuzträger“) und
dann die Cellesche Zeitung („Widerstand gegen Bundestreffen formiert sich / Mahnwache und Protest gegen Ritterkreuzträger“). Letztere hatte Oberbürgermeister Dr.
Severin und einen Sprecher der Bundeswehr zu ersten,
verharmlosenden Statements gebracht. Basis der Berichterstattung war ein Flugblatt, in dem das Traditionsverständnis der OdR kenntlich gemacht sowie die
Unterstützung des Treffens durch die Bundeswehr und
Repräsentanten der Stadt angriffen wurde:
Die Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger (OdR) ist
eine Organisation Ewiggestriger. Rund 900 Mitglieder
zählt der militaristische Traditionsverband. Als Voraussetzung für die Aufnahme steht die Verleihung des Ritterkreuzes des Eisernen Kreuzes, eine Auszeichnung für besondere
Tapferkeit vor dem Feind oder für hervorragende Truppenführung im Zweiten Weltkrieg. Exakt 7318 Ritterkreuze
sind verliehen worden, also keine Allerweltsauszeichnung
bei rund 15 Millionen Wehrmachtsangehörigen. 438 dieser
Orden wurden an Angehörige der Waffen-SS vergeben. [...]
Bei der Gründung der OdR 1955 waren es noch rund
2000 Kriegsaktivisten, die die Erinnerung an ihre von der
NS-Propaganda verherrlichten "Heldentaten" wach hielten
und sich "für die Würde echten Soldatentums" einsetzen
wollten. 650 Ritterkreuzträger der Nazi-Wehrmacht fan-
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den bei der Bundeswehr ab 1956 einen neuen Broterwerb.
"Wir fühlen uns den Soldaten der Bundeswehr verbunden",
ist so folgerichtig in den OdR-Leitlinien nachzulesen.
Verwiesen wurde auf die kriegsverherrlichenden und
revanchistischen Stellungnahmen im Mitteilungsblatt
des Verbandes. Im Fokus der Kritik stand aber vor allem
die Unterstützung durch Bundeswehr und Stadt:
So gehört zum Programm der Besuch des Panzerlehrbatallions Scheuen mit Mittagessen im Kasino; das "Damenprogramm" unterstützt die Bundeswehr durch einen
Transport zum Kloster Wienhausen; ein Bus wird auch für
die Fahrt zur Grabstätte des Generals Niemack in GroßHehlen zur Verfügung gestellt. Die "Gedenkfeier am Ehrenmal " wird unterstützt durch eine "Ehrenformation der
Bundeswehr mit Heeresmusikzug 3", auf der der Standortpfarrer die Ansprache hält. Der Heeresmusikzug 3 spielt
dann auch am Festabend. - Ein "Empfang beim Oberbürgermeister" ist vorgesehen.
Vor dem Hintergrund der ersten Auslandseinsätze der
Bundeswehr in Kambodscha, auf dem Balkan und in
Somalia wurde dies als „Beitrag zur Hebung der Kriegsbereitschaft“ gesehen. (PM vom 01. September 1993)
Es begann eine intensive öffentliche Auseinandersetzung – zunächst in den Leserbriefspalten der Celleschen
Zeitung. Unversöhnlich standen sich in zweiundzwanzig
Leser_innen-Briefen, fast ausgewogen 10 Gegner_innen
und 12 Verteidiger von OdR und Wehrmacht gegenüber. Und auch wenn sie sich die Finger wund tippten:
In ihrer Rage entlarvten sich die zumeist ehemaligen
Wehrmachtsangehörigen selbst und gaben der Kampagne weiteren Stoff. Wer etwa die Kriegsverbrecher Jodl
und Keitel zu „hochhonorigen Persönlichkeiten“ erklärte
(Wolfgang Scheller, 10.09.1993) oder verkündete, dass
die Wehrmacht 1941 nur einem seitens der Sowjetunion bevorstehenden „Angriff zuvorgekommen ist“ (Gerhard Schulz, 01.10.1993), hatte sich auch seinerzeit aus
einer ernstzunehmenden Diskussion verabschiedet.
Merkwürdigerweise äußerte sich niemand aus den
Reihen des 1959 vom ehemaligen Celler Oberkreisdirektor Bruns gegründeten „Hilfswerk Ritterkreuz e.V.“,
zu dessen Vorstand 1993 Dr. Wolfgang Rust als Vorsitzender und Fritz Darges als Schatzmeister gehörten
(letzterer bekam sein RK als Obersturmbannführer des
SS-PzRgt 5 "Wiking", bis 1939 war er Adjutant im Stab
„Stellvertreter des Führers“ und noch am Tag vor dem
Attentat vom 20. Juli 1944 im Führerhauptquartier).
Auf parlamentarischer Ebene erfuhr die Kampagne
Unterstützung durch Andrea Hoops (Grüne) im Landtag und Ulla Jelpke (PDS) im Bundestag.. Ulla Jelpke
fokussierte ihre Anfrage vom 22.09. auf die rechtsextremistischen Bezüge der OdR sowie deren Unterstützung
durch die BW, wobei sie sich ausdrücklich auf Informationen aus „einem Flugblatt von Celler AntifaschistInnen“
berief. Die CDU/FDP-Bundesregierung antwortete erst
in der Woche nach dem OdR-Treffen. Wie kaum anders zu erwarten, lagen „keine verfassungsschutzrelevanten
Kenntnisse“ vor, und: „Die Bundesregierung wertet die Beteiligung der Bundeswehr an der diesjährigen Veranstaltung der OdR in Celle [...] als Zeichen der kameradschaftlichen Verbundenheit mit den ehemaligen Soldaten und ihren Familien. Derartige Begegnungen sind Ausdruck eines
gelebten Traditionsverständnisses.“ (BT-DS 12/5938 und
12/5770) – Andrea Hoops’ Anfrage wurde erst im Dezember beantwortet; sie erklärte im Vorfeld eindeutig:
„Es ist ein Skandal, daß der Oberbürgermeister von Celle
die Alt-Nazis offiziell empfangen will und die Bundeswehr
mit Hitlers Paradesoldaten gemeinsame Sache macht.“
(CZ, 08.10.1993)
Die Ratsfraktion der Grünen wurde mit einer von ihr
beantragten „Aktuellen Stunde“ am 22.09.1993 aktiv.
Bernd Zobel forderte den Oberbürgermeister auf, den
geplanten Empfang abzusagen. Zur Begründung führte
er das geschichtsrevisionistische Verständnis und die militaristische Gesinnung des Verbandes an. Und er verwies darauf, dass der in Italien verurteilte Kriegsverbrecher Walter Reder im Verbandsorgan als Opfer dargestellt werde. [Eine kleine, im Jahr 2004 erschienene Broschüre des Celler Hilfswerks weist diesen gar als Empfänger von Unterstützungsleistungen aus.] – Die Gegenposition bezog der damalige CDU-Fraktionsvorsitzende und Leiter des Staatlichen Studienseminars Friedrich Schulze: „Die Formulierung >Orden für’s Morden<
[...] halten wir für eine verfolgungswürdige Verunglimpfung.“ Man sei „aufgerufen zur Toleranz“ und solle „diese
Ordensgemeinschaft als Gäste willkommen heißen“.
Die Initiator_innen der Kampagne hatten zwischenzeitlich ein „Bündnis gegen das Vergessen – Nein zu
Nazi-Orden“ gegründet. Dabei handelte es sich nicht
um ein Bündnis unterschiedlicher Organisationen, sondern im Kern um eine Bürgerinitiative. Zum einen waren es die schlechten Erfahrungen mit der SPD, zum
anderen auch die Zurückhaltung von DGB und Grünen, die dieses Modell am effektivsten erscheinen ließ.
Dieses “Bündnis“ hatte am 21. September den Journalisten Volkmar Wölk als Referenten in die Buchhandlung „Buchfink“ eingeladen; er war Mitglied im Sprecherrat der VVN/BdA und Autor verschiedener Studien
zum Thema Neofaschismus. Und in hoher Auflage
wurde ein vierseitiges Flugblatt verteilt, in dem neben
der Kritik an der OdR auch Textauszüge von Raul Hilberg und Paul Kohl die Beteiligung der Wehrmacht am
Holocaust und die Verbrechen im Vernichtungskrieg
belegten.
Für Aufregung sorgte kurz vor dem Treffen ein in der
Stadt verklebtes Plakat, auf dem Oberbürgermeister Severin und CDU-Fraktionschef Schulz gewissermaßen als
Marionetten Hitlers dargestellt wurden. In der Woche
vor dem Treffen schrieben die beiden städtischen Vertreter dann an das Bündnis, dass das Plakat eine „schwere
Verletzung meines Persönlichkeitsrechts“ darstelle, und sie
erwägen würden, „von Ihnen deshalb Schadenersatz in
Höhe von 15.000 DM im Wege der Klage zu fordern“.
Auch im Bündnis war das Plakat nicht unumstritten,
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der Auftritt einer überschaubaren Gruppe der Göttinger
Antifa-M. Mit einer an den Rot-Frontkämpferbund erinnernden „Uniformierung“ verbrannten sie pathetisch
eine Deutschlandfahne.
Nach offizieller Auflösung der Kundgebung formierte
sich der Großteil der Kundgebungsteilnehmer_innen zu
einer kurzen, nicht angemeldeten Demonstration zum
Schlossplatz, um - wie erwartet - von Polizeiketten am
Zutritt zum Schlossberg gehindert zu werden. Eher
symbolisch gab es hier und da Gerangel mit den Polizeikräften. Schnell aber hatte sich eine „Ordnung“ hergestellt, die sich so beschreiben lässt: Am Kriegerdenkmal
selbst versammelten sich die ihr Ritterkreuz tragenden
Verbandsoberen, neben ihnen eine Ehren-Formation
der BW und das Heeresmusikkorps. In engem Kreis
darum herum stand die restliche Ritterkreuzbande und
lokale Wehrmachtsfans. Und hinter dem Schlossgraben
die Demonstrant_innen und viele Schaulustige:
weil es die damals angesichts der Wiedervereinigung
umgehende Furcht vor einem „Vierten Reich“ doch sehr
verkürzt darstellte. Immerhin: Obwohl es sich um eine
nicht im Plenum vereinbarte Aktion handelte, distanzierte sich niemand. Bei einem Bündnis von Organisationen hätte es aller Erfahrung nach gekracht und die bekannten Absetzbewegungen gegeben. Problematisch
wurde, dass zwei beim Kleben beobachtete Leute von
einem „Aktivbürger“ denunziert worden waren. Severin
und Schulze erstatteten Strafanzeige. Im Prozess aber
konnte der Amtsrichter sich am Ende um die Frage herumdrücken, ob wegen Beleidigung zu verurteilen gewesen wäre, denn: Den beiden konnte nicht nachgewiesen
werden, die inkriminierten Plakate verklebt zu haben.
Der Zeuge hatte vor Gericht eine andere Autofarbe in
Erinnerung als in seiner ersten Polizeiaussage.
Aktionistisch stellte das Bündnis die von den Ritterkreuzträgern am 16.10.1993 geplante Kranzniederlegung am Kriegerdenkmal vor dem Schloss in den Mittelpunkt. Im Anschluss an eine Kundgebung auf dem
Großen Plan war die lautstarke Störung der OdRVeranstaltung geplant, ohne dass dazu allerdings offen
aufgerufen worden wäre.
Die Kundgebung selbst fand in den Medien anschließend kaum Beachtung – und auch die vielleicht 250
Teilnehmer_innen nutzten sie eher als gemeinsamen
Treffpunkt. Es ist aus den vorliegenden Dokumenten
nicht ersichtlich, wer überhaupt gesprochen hat. Woran
sich manche Teilnehmer_innen aber noch erinnern, ist
„Orden fürs Morden“ riefen die Demonstranten, und
gleichzeitig spielte das Heeresmusikkorps 3 der Bundeswehr
zu Ehren der Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger
„Ich hatt’ einen Kameraden“. Etwa 300 Demonstranten
protestierten lautstark gegen die Gedenkfeier [...] Zum feierlichen Höhepunkt des Bundestreffens, der auf den Jahrestag der Hinrichtung der Wehrmachtsbefehlshaber Jodl
und Keitel als Kriegsverbrecher fiel, trugen Bundeswehrrekruten des Panzerbataillons 334 den Kranz der Ordensgemeinschaft zum Ehrenmal am Celler Schloss. Die anschließenden Reden des „Landesgruppenleiters Niedersachsen“,
der Ritterkreuzträger und des Celler Standortpfarrers gingen jedoch im Lärm der Demonstranten unter. Obwohl die
Polizei die Gedenkfeier abgesperrt hatte, bleiben Trillerpfeifen, Böller und „Mörder, Mörder“- oder auch „Nie
wieder Deutschland“-Rufe unüberhörbar. (die tageszeitung, 18.10.1993)
Da hielten die alten Krieger dann dagegen. Wie
selbstverständlich sangen einige die erste Strophe der
Nationalhymne. Und gegen vereinzelten Kritiker_innen, die es auf den Schlossberg geschafft hatten, wurden
sie nicht nur handgreiflich, sondern auch laut: Journalisten berichteten anschließend von auf die Protestierenden bezogene Äußerungen wie: „Da müsste man mit dem
MG reinhalten!“ oder das abwertend gemeinte „Da sind
auch Juden dabei!“ (Vgl. Der rechte Rand, Nr. 25, 1993)
Während die Ritterkreuzträger sich, von der Polizei
geschützt, in die Städtische Union zurückzogen, um der
Rede des ehemaligen Vizekanzlers Erich Mende (FDP),
selbst Mitglied der OdR, zu lauschen, vollführte die Polizei die seinerzeit beliebte Einkesselung von Demonstrant_innen:
Als die Veteranenfeier bereits zu Ende war, kesselte die
Polizei einen großen Block der Demonstranten ein und
hielt die jungen Leute bis zu zwei Stunden in dem Kessel
gefangen. Sie wurden erst nach und nach freigelassen,
nachdem ihre Personalien festgestellt worden waren. [...]
Die Einkesselung von mehr als hundert Demo-Teilnehmern
begründete die Polizei mit der „Verhinderung weiterer Aus-
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schreitungen“. Im Verlauf des Einsatzes sei Polizeibeamten
zu Ohren gekommen, daß „möglicherweise noch eine
Scherbendemo“ in Celle geplant gewesen sei, sagte ein Polizeisprecher gestern. (die tageszeitung, 18.10.1993)
Als die Polizeiführung meinte, es sei ihr etwas „zu
Ohren“ gekommen, hatten Demonstrant_innen schon
„auf die Ohren“ bekommen. Mehrfach gab es Schlagstockeinsätze mit Verletzten; 19 Protestierende wurden
vorläufig festgenommen, woraus dann einige Anzeigen
wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt resultierten.
Trotzdem wertete der Antifaschistische Arbeitskreis
Celle die Aktionen anschließend als Erfolg: „Die OdR
konnte ihr Treffen nur unter massivem Polizeischutz
durchführen und in der überregionalen Presse und im
Fernsehen wurde die OdR als das dargestellt, was sie real
auch ist: ein kriegsverherrlichender, revisionistischer Verband alter Nazihelden.“ (in: Dokumentation zur Entwicklung der öffentlichen Diskussion zum Bundestreffen der Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger, hg.
vom Antifaschistischen Arbeitskreis Celle)
Und in der Tat: Überregional waren die Ritterkreuzträger eher schlecht weggekommen. Die auflagenstarke
hannoversche NEUE PRESSE etwa kritisierte unter der
Überschrift „Peinlich“: „Nach Rostock, Hoyerswerda,
Mölln und Solingen sollten demokratisch gewählte Politiker
einmal mehr darüber nachdenken, welche Deutschen sie in
der Öffentlichkeit repräsentieren wollen.“ (NP, 18.10.)
Das Sahnehäubchen stellte ein Artikel im STERN dar,
Titel: „Rambos von gestern. In Celle traf sich die >Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger< zum Strammstehen“.
(Nr. 43 vom 21.10.1993)
Auf lokaler Ebene bastelte der Chefredakteur der CZ,
Michael Rothfuchs, am Nationalbewusstsein:
Gewiß, es gibt die „ewig Gestrigen“, auch unter den
Trägern des Ritterkreuzes. Dies kann aber nicht bedeuten,
eine Gemeinschaft heute in toto zu verurteilen. Der Mensch
lebt grundsätzlich mit den jeweils gegebenen Machtverhältnissen. Dabei ist es unredlich, eine Zeit, in der wir das, was
wir fühlen und denken, frei aussprechen können, auf die
Zeit der Nazi- oder auch auf die der SED-Diktatur zu übertragen. „Männermut vor Königsthronen“. [...] Wehren
wir uns gegen diejenigen, die, im Zusammenhang mit dem
Treffen der Ritterkreuzträger demokratisch legitimierte
Repräsentanten als von Hitler gesteuerte Marionetten verunglimpfen, wie gegen diejenigen, die meinen, mit dumpfen Parolen und Fremdenhaß Ängste schüren zu müssen.“
(CZ, 14.10.1993)
ging auch eine Mahnung an die politisch Verantwortli
chen: „Sie ignorierten, daß die Kritik nicht nur von einigen Randalierern, sondern auch aus gemäßigten Teilen der
Bevölkerung kam.“ (CZ, 18.10.1993)
Gegenüber der FAZ ahnte der OdR-Vorsitzende
Krentz, dass das neununddreißigste Treffen in Celle
„vielleicht das letzte“ sei. (FAZ, 16.10.1993) Nicht ganz,
aber: In Dresden 1996 blies ihnen der Wind dann erstmals auch offiziell ins Gesicht. Der Oberbürgermeister
verweigerte den Empfang, die Bundeswehr zog ihre
Teilnahmezusage zurück und alle geplanten öffentlichen
Veranstaltungen mussten aufgrund von Protesten abgesagt werden. (Vgl. BT-Drucksache 13/6542 vom
10.12.1996) Und 1997 in Hammelburg half selbst der
Schutz von Schirmherr Edmund Stoiber nicht gegen
Kritik, die BW musste zumindest die so genannte Totenwache absagen. (Vgl. BT-DS 13/8947 vom
29.10.1997). Das Treffen 1998 in Koblenz fand zwar
mit Ansprachen eines Generalleutnants und eines Oberstleutnants statt, aber erstmals ohne offizielle Beteiligung der BW. So war es am 4. März 1999 nicht mehr so
überraschend, dass Verteidigungsminister Scharping
(SPD) ankündigte, dass die Bundeswehr die „Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger“ in keiner Weise
mehr unterstützen werde und alle Verbindungen zu ihr
„gekappt“ würden.
Bei youtube gibt’s fünf kurze Videos, die über die Suchworte „Celle+OdR“ bzw. „blumercelle“ zu finden sind.
Die Lokalreporterin Sabine Schwieder schrieb ihrem
Chef dann hinterher, das Treffen sei durch den Protest
„weit mehr aufgewertet, als dies gut tut.“ Um angesichts
der auf dem Schlossberg versammelten Kriegsverbrecher
zu lamentieren: „Es ist gut und richtig, wenn junge Leute
ihren Unmut über die Geschichtsauffassung der Ordensgemeinschaft artikulieren, doch in dem Moment, in dem die
ersten Coladosen, die ersten Eier fliegen, geht es nicht mehr
um Inhalte, sondern nur noch um Gewalt.“ Immerhin er_________________________________________________________________________________________
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Eröffnung
Infoladen
im Bunten Haus
Weil die Auseinandersetzung mit gesellschaftskritischen Themen nur selten ausschließlich positiv betrachtet – zum Teil sogar be- und verhindert – wird und
wurde, entschlossen sich in den 80er/90er Jahren vielerorts Menschen, eigene Informations(frei)räume zu schaffen, die mehr bieten als die örtliche Bibliothek – so genannte Infoläden. Einen solchen Infoladen wird es ab
dem 13.07. auch bei uns im Bunten Haus geben.
es möglich, die Nutzer_innen nicht nur über Ereignisse
in und um Celle, sondern auch über die aktuellen Geschehnisse in anderen Städten auf dem Laufenden zu
halten.
Zu den grundsätzlich im Infoladen vertretenen Themen gehören Migration, Antifa, Rechtsextremismus,
Soziale Bewegungen und Kämpfe, Geschichte allgemein,
gesellschaftliche Utopien, Bildung, Philosophie, Gender,
Umwelt/Anti-Atom, Internationalismus und Globalisierung, wobei diese Kategorien weder abschließend noch
hierarchisch zu verstehen sind. Einen besonderen
Schwerpunkt an Material möchten wir auf das Thema
Kurdistan legen. Dies bietet sich in Celle ob der großen
Zahl kurdischer Mitbürger_innen besonders an.
Menschen
Unser Infoladen wird von einem Kollektiv getragen,
in dem sich Menschen unterschiedlicher Interessenschwerpunkte und politischer Überzeugungen engagieren. Neben der Gewährleistung von Öffnungszeiten
geht es in unserer Arbeit darum, Ansprechpartner_innen
für unsere Nutzer_innen zu sein und unseren Bestand
beständig zu aktualisieren. Über die Bereitstellung von
Informationen im Rahmen des fest eingerichteten Infoladens hinaus, organisiert das Kollektiv Vorträge,
Workshops und andere Veranstaltungen zu den im Infoladen vertretenen Themen. Diese werden stets auf der
Internetseite www.bunteshaus.de angekündigt.
Finanzierung
Ein Infoladen – Was ist das eigentlich?
Infoläden sammeln Informationen zu verschiedenen
– vornehmlich gesellschaftskritischen – Themen in
Form von Büchern, Zeitschriften, Broschüren und
Flugblättern aber auch Videos und Datenträgern und
machen diese öffentlich zugänglich. Außerdem wollen
sie ein Raum sein, in dem Inhalte diskutiert und kritisch
reflektiert werden. Sie bieten daher stets einen Ort zur
Vernetzung von Gruppen und Menschen mit verschiedenen Arbeitsschwerpunkten.
Die in unserem Infoladen vorhandenen Flyer und
Broschüren sind meist kostenlos erhältlich. Insbesondere
gilt dies für Material zu aktuellen politischen Projekten
und Aktionen. Größere Veröffentlichungen können gegen eine Spende in selbstgewählter Höhe erworben werden. Darüber hinaus ist es möglich, die vorhandenen
Bücher und Videos bis zu acht Wochen kostenfrei auszuleihen. Sämtliche unserer Medien sind digital erfasst
und verschlagwortet, sodass die Recherche in unseren
Beständen denkbar einfach ist.
Passend zu den im Infoladen vertretenen Inhalten
vertreiben wir T-Shirts, Aufkleber und Buttons und andere Artikel. Die Einnahmen aus dem Verkauf dieser
Dinge werden ausschließlich zum Erhalt und zur Erweiterung des Angebots genutzt. Außerdem gibt es die
Möglichkeit, sämtliche Bücher, die im Infoladen zur
Ausleihe zur Verfügung stehen, über uns zu bestellen.
Wir freuen uns auf euren Besuch!
Das Infoladenkollektiv im Bunten Haus
Infoladen Buntes Haus e.V. – Hannoversche Straße
30f – 29221 Celle – [email protected]
Öffnungszeiten montags 19-21 Uhr
Themen
Ständig aktualisiert wird in unserem Infoladen selbstverständlich das Infomaterial zu politischen Projekten
und Aktionen. Unsere bundesweite Vernetzung macht
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revista Nr. 44, Juli/Aug. 2009
Politische Termine in und um Celle
Aktionen und Veranstaltungen
rund um den Celler Trialog
Samstag, 04.07.09, 14 Uhr
Demonstration „Celler Trialog beenden
– Für eine Welt ohne Krieg!“
Start: Heeseplatz, Schlusskundgebung:
Neues Rathaus
Veranstaltungen der
Gedenkstätte Bergen-Belsen
Sonntag, 28. Juni 2009 | 11.00 Uhr
Die Anne Frank Stiftung – Entwicklungsgeschichte, Selbstverständnis und
Aufgaben; Vortrag von Hans Westra
(Anne Frank Stiftung, Amsterdam)
Sonntag, 12. Juli 2009 | 11.00 Uhr
Kinder im Konzentrationslager BergenBelsen; Vortrag von Dr. Thomas Rahe
Sonntag, 19. Juli 2009 | 11.00 Uhr
Zeugen Jehovas im Konzentrationslager
Bergen-Belsen; Führung durch die neue
Dauerausstellung mit Katja Seybold
Sonntag, 26. Juli 2009 | 11.00 Uhr
Die Vertiefungsbereiche der neuen
Dauerausstellung; Einführung mit
Bernd Horstmann
Sonntag, 05.07.09, 18 Uhr
Antimilitaristische VoKü im Bunten
Haus (Celle)
Montag, 06.07.09, 17 Uhr
Pressekonferenz des Bündnisses
Dienstag, 07.07.09, 19 Uhr
Antimilitaristischer Filmeabend im
Bunten Haus
Donnerstag, 09.07.09, 21:30
Militärspektakel vorm Schloss vermiesen! (Kundgebung)
Freitag, 10.07.09
Letzter Tag des Trialogs (NATOTruppenübungsplatz Bergen)
Samstag, 11.07.09 22 Uhr
Antimilitaristische Soliparty im UJZ
Kornstraße (Hannover)
10. August 2009
10. Todestag von
Peter Deutschmann
in Eschede totgeschlagen von zwei
jugendlichen Nazi-Skins
Di., 24. August, 19.00
Die NPD und Die Bundestagswahl
Referent: Andreas Speit, Journalist
Kreuzkirche, Windmühlenstraße
Veranst.: Forum gegen Gewalt und
Rechtsextremismus
Sonntag, 9. August 2009 | 14.00 Uhr
Anne Frank im Konzentrationslager
Bergen-Belsen; Führung mit Elke von
Meding; Ort: Treffpunkt: Rampe
Sonntag, 23. August 2009 | 14.00 Uhr
Die Entstehung der Gedenkstätte Bergen-Belsen; Führung mit Martina
Staats über das Gelände des ehemaligen
Lagers
Sonntag, 30. August 2009 | 14.00 Uhr
Das Lager Bergen-Belsen in den Zeichnungen von Zsuzsa Merényi; Führung
mit Elke von Meding über das Gelände
des ehemaligen Konzentrationslagers
Bergen-Belsen
Sonntag, 6. Sept. 2009 | 14.00 Uhr
Sowjetische Kriegsgefangene in BergenBelsen; Führung durch das Dokumentationszentrum und über das Gelände
des ehemaligen Lagers
Für die nebenstehende ANTIAKW-DEMO in Berlin gibt es
einen BUS aus Celle.
Wir fahren um 7.00 Uhr vom
Schützenplatz ab , um locker bis
zur Demo um 13 Uhr da zu sein;
Rückfahrt ist um 17 Uhr, so dass
wir gegen 22 Uhr zurück sind.
Die Fahrt kostet 18 EUR für alle, die es sich leisten können und
wollen, und 12 EUR für Schüler_innen und Hartz-IVBezieher_innen
Anmeldungen bitte – wegen Planungssicherheit – möglichst fix
unter: 05141-330503 oder
[email protected]
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Kunst & Kultur
Sa., 04. Juli, 22 Uhr
Cellebration – The Independent One
Drum&Bass-Party im Bunten Haus
Eintritt: 4 EUR
Fr, 7., und Sa., 8. August
Altstadtfest in Celle
Umsonst (hihi) und draußen
Fr, 14. August, 20.00
Fr., 24. Juli, 20 Uhr
Kaput Krauts (Berlin), KPK (Bielefeld), Tackeleberry (Kiel)
Punk im Bunten Haus
Eintritt: 4 EUR
Fr. und Sa., 24. und 25. Juli
13. SüdwinsenFestival
umsonst & draußen mit:
Rantanplan (Fr), The Pokes (Fr), Tequila and the Sunrise Gang (Sa), Demian Domigues Blues Band, Klaus der
Geiger (Sa), Roger Trash, Stars and
Bars (Sa), Phrasenmäher, StenRei,
WhatEver, Rockout, Captivity u.a. unter: www.suedwinsen.de
Fr., 31. Juli, 20 Uhr
Open Stage der CRI
CRI-Räume auf dem Gelände der CDKaserne - http://www.cri-web.de/
Fr., 31. Juli – So., 2. August
Fährmannsfest Hannover
u.a. mit: Ten Years After (Fr), Schandmaul (sa) und Boppin’ B. (So.) – Fr. +
Sa. Je 5 Euro, So. umsonst
Timetabel unter
www.faehrmannsfest.net/
Samstag, 01. August, 19.00
Session der Neuen Jazz Ini
Kunst & Bühne, Nordwall – Eintritt
frei
Fr, 14., und Sa., 15. August, 20.30
Gran Torino
Der letzte Film von und mit Clint Eastwood aus dem Jahr 2008.
Kino 8 ½ - Eintritt: 5,00 EUR
So., 16. August, 11.30 Uhr
otto haesler. kurt schwitters – zwei
künstlerfreunde
Vortrag: Dr. Isabel Schulz, Geschäftsführerin der Kurt und Ernst Schwitter
Stiftung Hannover
Galerie im Haesler-Haus, Magnusstr.
Fr, 7., und Sa., 8. August, 20.30
„Stolperstein“
Filmvorführung in Kooperation mit
dem Stadtarchiv Celle, der Gesellschaft
für christlich-jüdische Zusammenarbeit
Celle und der jüdischen Gemeinde
Kino 8 ½ - Kein Eintritt
Arbeitskreis “Eine Welt”
jeden Mi. 20.00 Uhr im Weltladen
(Zöllnerstraße 29)
Weltladen Öffnungszeiten:
Di - Fr: 10-17 Uhr
Sa: 10 -14 Uhr
AK Ausländer
jeden 3. Mo. im Monat
18.00 Uhr Urbanus-RhegiusHaus, Fritzenwiese
sic! - sozial in celle
Erwerbslosenberatung
Je. Do. 14.30 - 17.00 Uhr
Neustadt 23
Attac-Plenum
Jeden. 1. und 3. Di. im Monat
20.00 Uhr in der Deutschen
Angestellten Akademie,
Spörckenstr. 63
So., 16. August, 16 Uhr
Cubrazil
Sommerjazz im Mühlengrund Wienhausen
Eintritt: 7 EUR
Fr., 27. August, 20 Uhr
Open Stage der CRI
CRI-Räume auf dem Gelände der CDKaserne
http://www.cri-web.de/
Bockpalast in Bockelskamp
Mit Accused (CE), Marys Forbidden
Dreams (CE), Die Weltenretter
(WOB) - http://www.bockpalast.de/
Ständige Termine
Fr., 27. + Sa., 28. August
Zytanien – open air
Fest zugesagt haben bislang:
Tito and Tarantula, The Inspector
Cluzo, Rainer von Vielen, Indian Tea
Company, Pentarize, Weltraum,
Trennfrequenz, The Rivets, Paperhead
Termine im Bunten
Haus:
Hannoversche Str 30f
29221 Celle, Tel.: 907927
Fahrradwerkstatt:
jeden Mi. ab 19 Uhr
Antifa-Café:
je. 1. Mi. im Monat, 19.00 Uhr
Archiv
jeden Do., 17-19 Uhr
Plenum
jeden Do. 19 Uhr
Volxküche
jeden So. 18 Uhr
Kneipe
jeden Mo. 20 Uhr
http://zytanien.ning.com/
Forum gegen Atomenergie
Je. 2. Di. im Monat, 20.00 Uhr
(vorläufiger Redaktionsschluss: 21. August)
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