senckenberg aktuell

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senckenberg aktuell
senckenberg aktuell
News
Zwischen Wissenschaft, Politik und Wirtschaft...
Excellenz in Forschung und Service
Förderung für Rhein-Main-Exploratorium
International Year of Planet Earth
International Polar Year
Meeresforschung
Meteor-Expedition ins östliche Mittelmeer
Rückgang der Ruderfußkrebse in der Nordsee
Naturwaldreservate-Forschung
Hotspots der Artenvielfalt
Paläoanthropologie
Älter als Lucy – Fossile Funde in Galili
Quartärpaläontologie Weimar
Unterstützung für Sihailongwan
Ausgabe 2
April 2007
Editorial
Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,
willkommen zur zweiten Ausgabe von senckenberg
aktuell, die erneut von Frau von Eiff, dieses Mal
aber mit Unterstützung von Thorsten Wenzel erstellt
wurde. Bei der Lektüre werden Sie feststellen, dass
sich wieder viel getan hat: SenckenbergWissenschaftler, das Museum, die Museumspädagogik und die Marketing-Abteilung sind unverändert aktiv. Auch im Management sind wir intensiv
mit den Vorbereitungen für die neue SNG-Satzung
und deren Umsetzung sowie für die Fusion mit den
sächsischen Einrichtungen in Dresden und Görlitz
und mit dem Deutschen Entomologischen Institut in
Müncheberg beschäftigt. Unsere IT-Abteilung hat
mit der Einführung der neuen modernen
Telefonanlage Großartiges geleistet.
Außerhalb Senckenbergs war für uns vor allem die
auf die Vorstellung des 4. IPCC-Berichtes folgende
Klimadebatte wichtig. Keine Frage: hier wird sich
Senckenberg künftig verstärkt engagieren wollen
und müssen. Wo sonst könnten die Folgen des
Klimawandels für Artenvielfalt und Ökosysteme so
gut untersucht werden wie im Senckenberg, und
zwar auch unter Einbeziehung erdgeschichtlicher
Klimavariationen. Tatsächlich drängt die Politik
verstärkt darauf, dass die öffentlich geförderte
Scientific Community hier aktiver wird. So lädt die
Bundeswissenschaftsministerin Frau Schavan für
den 3. 5. zu einer Konferenz „KlimaForschungsgipfel – Eine Hightech-Strategie zum
Klimaschutz“ in Hamburg ein; dort sollen unter
Beteiligung von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik
„Fahrpläne“ für die Erforschung und Entwicklung
von klimaschonenden Technologien erarbeitet
werden. Die Biodiversität darf hier nicht vergessen
werden! In der nächsten Ausgabe von senckenberg
aktuell werden wir uns daher auch verstärkt dieser
Thematik widmen – Sie sind bereits jetzt herzlich
eingeladen, dazu Beiträge und Ideen zu liefern.
Ihr
Volker Mosbrugger
Impressum
Herausgeber:
Prof. Dr. Dr. h. c. Volker Mosbrugger
Forschungsinstitut Senckenberg
Redaktion: Doris von Eiff
Layout: Doris von Eiff
2
Inhalt
z aktuell !
4- 8
¾ Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Politik und Wirtschaft
¾ Excellenz in Forschung und Service
¾ Senckenberg richtet Rhein-Main-Exploratorium ein
¾ Senckenberg beim International Year of Planet Earth
¾ Senckenberg beim International Polar Year
z Forschungsprojekte u. Expeditionen
9 - 13
¾ Meteor-Expedition Nr. 71 ins östliche Mittelmeer
¾ Hominidenfunde in Galili
¾ Vegetation in China vor 60 000 Jahren
z Forschungsergebnisse
14 - 17
¾ Hotspots der Artenvielfalt
¾ Rückgang der Ruderfußkrebse in der Nordsee
z Museum
17 - 18
¾ „Unter Wasser“ Fotos von Bill Curtsinger
¾ Museumsführer für die Ohren - Audioguide
z Vermerkt
19 - 22
¾ „Senckenberg-Stern“ am Firmament ...
¾ Namensgeber – Naturwissenschaftler – Visionär ...
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News
An der Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Politik und Wirtschaft
Prof. Dr. Bernhard Stribrny – neuer Senckenberg-Mitarbeiter in Frankfurt
Im Bereich „Wissenschaftliche Kommunikation“ an der Schnittstelle
zwischen Wissenschaft, Politik und Wirtschaft verstärkt seit März 2007
Prof. Stribrny als neuer Mitarbeiter das Senckenberg-Team. Angetreten
ist der 1952 in Frankfurt geborene Geowissenschaftler, um Konzepte im
Grenzbereich zwischen Geo- und Biosphäre, zum Beispiel zu Fragen
des Klimawandels und der Biodiversität, zu entwickeln. Ein Ziel ist es, in
diesem Tätigkeitsfeld interdisziplinäre Projekte zu initiieren, zu
koordinieren und wissenschaftlich zu bearbeiten. Dabei bringt der
ehemalige Präsident des Baden-Württembergischen Landesamtes für
Geologie, Rohstoffe und Bergbau und Honorarprofessor der Universität
Freiburg vielfältige Erfahrungen aus seinen früheren Tätigkeiten ein.
1978 schloss Bernhard Stribrny sein Geologiestudium an der J.W.
Goethe-Universität in Frankfurt am Main ab. Das Thema der
Diplomarbeit, die er zum Teil in Zusammenarbeit mit Senckenberg
durchführte, lautete: „Die Geologie der Hochweiseler Mulde,
Neukartierung und Bearbeitung der Geologie, speziell der Tektonik, TK
5617 Usingen, Rheinisches Schiefergebirge.“ Bernhard Stribrny wurde
Prof. Dr. Bernhard Stribrny
1981 an der Frankfurter J. W. Goethe-Universität promoviert. Die Dissertation in der Fachrichtung Mineralogie zum Thema „Zur Geologie und Lagerstättenbildung des
Kupfervorkommens der Grube Repparfjord, Finnmark, Norwegen“ zeigt bereits die wissenschaftliche
Ausrichtung des Hochschulassistenten. 1990 habilitierte der neue Kollege und wissenschaftliche
Koordinator für die Fachrichtungen Geochemie, Petrologie und Lagerstättenkunde und verließ Hessen.
Nach einer kurzen Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Petrographie und
Geochemie an der Technischen Universität Karlsruhe betreute er als Referent beim Bundesministerium für
Umwelt- und Reaktorsicherheit in Bonn die Endlagerprojekte Gorleben und Morsleben und leitete in der
Folge die Fachgruppe Mineralogie und Lagerstättenforschung bei der Bundesanstalt für
Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover, deren Präsident er später wurde.
Herr Stribrny ist Mitglied der Deutschen Mineralogischen Gesellschaft, der Society for Geology Applied to
Mineral Deposits, der Gesellschaft für Bergbau, Metallurgie, Rohstoff- und Umwelttechnik, der Deutschen
Geologischen Gesellschaft, der Geologischen Vereinigung, der Oberrheinischen Geologischen Vereinigung und verschiedener wissenschaftlicher Gremien.
Auf die Bitte um ein persönliches Statement äußert der neue Kollege: „Die Erde ist ein dynamisches
System. Basierend auf unseren Kenntnissen über die Erdgeschichte und die Evolution des Lebens, können
wir den Ist-Zustand erfassen und versuchen Projektionen für zukünftige Entwicklungen abzuleiten. Wir
stellen uns als Geo- und Biowissenschaftler den Herausforderungen, die der globale Wandel mit sich
bringt. Ziel ist es, die komplexen Wechselwirkungen zwischen der Litho-, Pedo-, Hydro-, Kryo-, Bio-,
Anthropo- und Atmosphäre besser zu verstehen und Werkzeuge zur Frühwarnung und Anpassung sowie
Strategien zur Verminderung oder Vermeidung von negativen Entwicklungen zu erarbeiten.“
Bernhard Stribrny ist mit der Geologin Dr. Claudia Stribrny verheiratet. Ihre beiden Kinder heißen Benedict
(22) und Viviane (21). Zu seinen Hobbies zählen ausgedehnte Wanderungen auf Fernwanderwegen, das
Befahren alter Bergwerke, Zeichnen, Malen, Holzschnitzen und das Schmieden von Silber und Eisen.
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Specials
“Excellent in Forschung und Service”
DZMB bei der Präsentation niedersächsischer Leibniz-Institute in Berlin
Dass Forschung und Service feste Bestandteile
der Wissenschaft sind, hat die Leibniz Gemeinschaft durch ihre Veranstaltung in der
Landesvertretung Niedersachsen am 21. Februar
2007 akzentuiert. Leibniz-Präsident Ernst Theodor
Rietschel sagte in seiner Begrüßungsrede, dass
die Nöte der Menschen im Mittelpunkt der Arbeit
aller Leibniz-Einrichtungen stehen. Neben der
überregionalen Bedeutsamkeit von Forschung
wurde bei der Präsentation der niedersächsischen
Leibniz-Institute vor allem die gesamtgesellschaftliche Relevanz der Forschungstätigkeit betont.
An dem breit gefächerten wissenschaftlichen
Themenspektrum, das die beteiligten Institute in
den Berliner Ministergärten präsentierten, zeigten
neben
wissenschaftlich
Interessierten
und
geladenen Journalisten vor allem Politiker reges
Interesse. Niedersachsens Wissenschaftsminister
Lutz Stratmann lobte vor den rund 100 Gästen das
Engagement der Leibniz Gemeinschaft und strich
in seinen Kommentaren die Bedeutung der
Meeresforschung heraus,
die wegen der
Klimaproblematik künftig noch stärker in den
Vordergrund rücken werde. „Was sich derzeit in
der Nordsee abspielt, muss als radikal bezeichnet
werden“, wurde der Minister später in einem
Artikel der Nordwest-Zeitung zitiert. Dem Bericht
war auch zu entnehmen, dass Stratmann in dem
Zusammenhang neue Forschungsinitiativen des
Landes angekündigt habe.
Forschung i. d. Praxis: Staatssekretär Wolfgang Gibowski (l),
Wissenschaftsminister Lutz Stratmann (a. Binokular) u. LeibnizPräsident Ernst Theodor Rietschel lassen sich v. Kai George über
Ruderfußkrebse informieren. Foto: Leibniz Gemeinschaft
Die Veranstaltung der Leibniz-Gemeinschaft war
ein schöner Erfolg für alle. Die Wilhelmshavener Armin Rose stellt Forschungsfelder und Servicetätigkeit des DZMB vor.
Kollegen vom DZMB haben bei ihrem Besuch in Viola Siegler hatte auf dem Bildschirm eine Dia-Show mit Bildern a. d.
Tiefseeforschung installiert. Foto: Senckenberg
der Bundeshauptstadt nicht nur Excellenz in Forschung und Service gezeigt, sondern insgesamt für einen gelungenen Auftritt des DZMB gesorgt. - Wenn
auch die wissenschaftlichen Arbeitsfelder mariner Biodiversitäts- und Tiefseeforschung im Zentrum der
Präsentation standen, so hatte das geschlossene Konzept für die ansprechende und professionelle
„Verpackung“ auch einen Anteil daran.
Senckenberg richtet Rhein-Main-Exploratorium ein
Um Rückschlüsse auf die künftige Entwicklung heimischer Tier- und Pflanzenarten ziehen zu können und
gezielt Empfehlungen für Naturschutz und Regionalplanung zu geben, werden die Kollegen aus
Gelnhausen unter der Leitung von Peter Haase ein „Rhein-Main-Exploratorium“ einrichten und im
Ballungsraum Rhein-Main eine großflächig angelegte ökologische Langzeitstudie zum Wandel der
heimischen Artenvielfalt durchführen.
Das Projekt wird von der erst kürzlich gegründeten „Stiftung Flughafen Frankfurt/Main für die Region“
gefördert. Die durch den Hessischen Ministerpräsident Roland Koch initiierte Stiftung soll nachhaltige
5
Specials
Projekte rund um den Frankfurter Flughafen fördern und ist einer der Bausteine im Programm der
Landesregierung, die die mit dem Flughafenausbau einhergehenden Belastungen für die Umwelt und die
Bewohner des Rhein-Main Gebiets kompensieren sollen.
Das Stiftungskapital wird während der Planungs- und Ausbauphase der neuen Landebahn durch zehn
Prozent der von der Fraport AG an das Land Hessen ausgeschütteten Dividende aufgebaut. Nach
Inbetriebnahme soll der Zufluss auf 50 Prozent aufgestockt werden. Derzeit stellt die Stiftung eine Summe
von einer Million Euro an Fördermitteln aus ihrem Kapitalstock bereit.
Vorrangig unterstützt werden Projekte, die einen nachhaltigen Nutzen oder eine Pilotfunktion für die RheinMain Region haben. Die Auswahl der Förderprojekte trifft der Stiftungsvorstand auf Grundlage der
Empfehlungen eines Beirats, dessen Vorsitzende Beate Heraeus ist. - „Mit den ausgewählten Projekten
bieten wir lokale Impulse für die Lösung globaler Aufgaben“ wird die Vize-Präsidentin der SNG in der
Presseinformation der Hessischen Landesregierung zitiert. Für die verschiedenen Förderrunden sollen
Themenschwerpunkte gesetzt werden, wie etwa der Bereich Ökologie und Artenvielfalt im Jahr 2007.
Für das Rhein-Main-Exploratorium stellt die Stiftung 160 000 Euro in 2007 bereit und hat auch für das
Folgejahr bereits eine Rückstellung von 80 000 Euro gebildet. Neben dem vom Forschungsinstitut
Senckenberg übernommenen Projekt werden in der ersten Förderrunde insgesamt acht, vornehmlich
ökologisch ausgerichtete Vorhaben und Aktivitäten unterstützt. Für die weitere wissenschaftliche Ermittlung
und populärwissenschaftliche Darstellung von Lebensvielfalt sowie die Bewertung von Einflüssen auf ein
Ökosystem fließen der Grube Messel 138 000 Euro zu.
Senckenberg im International Year of Planet Earth
„Erdwissenschaften zum Nutzen der Menschheit“ - Der Untertitel des von den Vereinten Nationen für
2008 proklamierten International Year of Planet Earth (IYPE) drückt das Ziel der bisher größten
internationalen Initiative der Geowissenschaften aus. In einem Zeitraum von insgesamt drei Jahren wird
das weltweit vorhandene Potential von Experten aller Fachrichtungen zusammengetragen, um neue und
zukunftsorientierte Möglichkeiten zur Bewältigung dringend anstehender Aufgaben darzustellen.
Klimawandel und die damit einhergehenden Veränderungen in den Ökosystemen, knapper werdende
Ressourcen sowie die Ursachen und Auswirkungen von Naturkatastrophen sind Themen, die zunehmend
die öffentliche Diskussion bestimmen. Und in der Tat geht es dabei um gegenwärtige und künftige
Phänomene von globaler Bedeutung, deren Folgen im alltäglichen Leben deutlich spürbar werden und
Gesellschaften weltweit vor große Aufgaben stellen. - Verantwortliches und zielgerichtetes Handeln setzt
jedoch gleichermaßen ein umfassendes Verständnis der komplexen Wechselwirkungen im System Erde
voraus, wie Kenntnisse über die Auswirkungen menschlicher Einflussnahme auf die empfindlich ausbalan-
6
Specials
cierten Systeme. - Die von der International Union of Geosciences (IUGS) und der
erdwissenschaftlichen Abteilung der UNESCO initiierte Kampagne soll Politiker,
Entscheidungsträger, Medien sowie die breite Öffentlichkeit informieren und für die
Bedeutung und den gesellschaftlichen Nutzen der Erdwissenschaften
sensibilisieren. - Das Leben auf der Erde steht im Fokus der Themen, die sich mit
den Böden, dem Erdinneren, Gefahren und Gesundheit, dem Grundwasser, mit
dem Klima und den Ozeanen, mit Megastädten und nutzbaren Ressourcen
befassen.
Das IYPE wird von zehn wissenschaftlichen International Councils for Sciences
(ICSU) und bedeutenden geowissenschaftlichen Organisationen sowie 18
assoziierten Partnerorganisationen der IUGS unterstützt. Gemeinsam verkörpern
sie die größte „lebende Datenbank“ an Informationen über die erdgeschichtliche
Vergangenheit und den gegenwärtigen Status des Planeten Erde. – Im Rahmen
des IYPE treffen sich Experten verschiedener Fachrichtungen, um
Forschungsergebnisse über Gesteine, Fossilien, Gletscher und Sedimente zu
diskutieren und um sich untereinander über neue Forschungsergebnisse
auszutauschen. Ziel ist zum einen die Interpretation der Erdgeschichte, zum
anderen die anwendungsbezogene Nutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse für
eine realistische Vorhersage künftiger Naturereignisse.
Senckenberg wird sich mit den verschiedenen Arbeitsgruppen der geowissenschaftlichen Abteilungen sowohl im Rahmen rein wissenschaftlicher Themen als
auch mit populärwissenschaftlichen Veranstaltungen beim Internationalen Jahr des
Planeten Erde einbringen. – Die Koordination der Senckenberg-Aktivitäten hat
Peter Königshof übernommen.
Gemeinsam mit den Dresdener Kollegen der SNSD soll eine Internationale
Senckenberg-Konferenz als wissenschaftlicher Beitrag zum IYPE durchgeführt
werden. Auf dem Programm stehen das derzeit laufende IGCP-Projekt Nummer
499 („Devonian Land-Sea Interaction: Evolution of Ecosystems and Climate“
DEVEC), das federführend am Standort Frankfurt betrieben wird, und das IGCPProjekt 497 (The Reic Ocean: Its Origin, Evolution and Correlatives), mit dem sich
die Kollegen am Staatlichen Museum in Dresden beschäftigen.
Für die breite Öffentlichkeit ist eine Wanderausstellung zum weltweit bekannten
„International Geoscience Programme“ (IGCP) vorgesehen, die voraussichtlich im
Oktober 2008 im Frankfurter Naturmuseum eröffnet wird. Als weiterer
populärwissenschaftlicher Beitrag werden Vorträge und Exkursionen angeboten.
Alle Aktivitäten sollen von der Senckenberg-Homepage abgerufen werden können.
Weitere Infos zum IYPE finden sich unter: http://www.yearofplanetearth.org.
Senckenberg im International Polar Year (IPY)
„Die Welt kann uns alles sagen, was wir wissen wollen.
Das einzige Problem ist, dass die Welt keine Stimme hat.
Aber die Anzeichen sind da. Sie sprechen immerfort.“
Quitsak Tarkiasuk
Ivujivik, Kanada
Gletscher schmelzen, Schelfeiskanten brechen und größere Gebiete der Pole werden zunehmend eisfrei.
Die Signale sind deutlich!
Das IPY, das am 1. März 2007 begonnen hat und bis 1. März 2009 dauert, bündelt die wissenschaftlichen
Ergebnisse über die Polargebiete und stellt deren Bedeutung für das globale Klima sowie die damit
einhergehenden Veränderungen für die Ökosysteme dar. Mehr als 50 000 Wissenschaftler aus über 60
Nationen werden in der interdisziplinären und international koordinierten Kampagne zusammenarbeiten.
7
Specials
Pronchichev Bucht an der Laptev See im Nordosten der Tajmyr Halbinsel - Foto: Ralf Kahlke
Im Rahmen des durch das Alfred-Wegener-Institut (AWI) bei Senckenberg durchgeführten Journalistenseminars am 10. Januar 2007, hatte Gritta Veit-Köhler vom DZMB bereits die Projekte der in laufende
Forschungsprogramme eingebundenen Senckenberg-Wissenschaftler vorgestellt.
Die Ergebnisse der Forschungsarbeit bieten Erkenntnisse über die Diversität und Verteilung von Arten
sowie über deren Gefährdung und bieten darüber hinaus die Chance, Empfehlungen für etwaige
Schutzmaßnahmen von Ökosystemen auszusprechen. Das Themenspektrum der Biologen und Paläontologen am Forschungsinstitut Senckenberg erstreckt sich von der Biochemie der Tiefseeschwämme und
Siedlungsstrategien mariner Krebse über die Biodiversität von Kleinstlebewesen am Meeresgrund und
bezieht auch die Verbreitung von Flechten entlang der antarktischen Halbinsel sowie die ausgestorbenen
Großsäuger im arktischen Permafrost ein.
Bei der offiziellen Eröffnung des IPY am 01. März in Berlin hatte Gritta VeitKöhler erneut Gelegenheit, das Forschungsinstitut Senckenberg zu
vertreten. Vor Ort hat sie das Core Projekt „clicOPEN“ (climate change in
coastal areas of the antarctic peninsula) vorgestellt, in das sie und Christian
Printzen (Frankfurt) unter der Federführung des AWI in die Polarforschung
eingebunden sind. In dem Projekt dokumentiert die Meeresbiologin Veränderungen der Meiofauna am Meeresboden, während sich die wissenschaftliche Arbeit von Christian Printzen auf klimabedingte Reaktionen von
Flechten an verschiedenen Standorten entlang der Antarktischen Halbinsel
konzentriert.
Als ersten Eindruck vom Larsen-Schelfeis Gebiet, den Dorte Janussen
(Frankfurt) und Armin Rose (DZMB Wilhelmshaven) von der erst am 31.
Januar beendeten Antarktis-Expedition ANTXXIII/8 mit der FS Polarstern
Gritta Veit-Köhler auf Expedition i. d.
Arktis, Foto: G. Veit-Köhler
gewonnen hatten, schilderte Gritta Veit-Köhler, dass in der zuvor von Eis bedeckten extrem nährstoffarmen Meeresregion auch an geringere Tiefen angepasste Tiere leben. Die
Probennahmen von Meiofauna (Tiere, die kleiner als 1mm sind) und Schwämmen werden derzeit
taxonomisch und biochemisch untersucht.
Im November 2007 werden Dorte Janussen und Gritta Veit-Köhler erneut mit der FS Polarstern in die
Antarktis aufbrechen. Unter der Leitung von Angelika Brand (Universität Hamburg) wird die Expedition
ANDEEP-SYSTCO die taxonomische und ökologische Forschung zur Entschlüsselung systemischer
Verbindungen von der Atmosphäre bis hinab in die Tiefsee unterstützen.
Sommerlandschaft i. Spitzbergener Tundra d.
Kongsfjordgebieta Foto: Anne Hormes, AWI
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Schelfeiskante i. d. Antarktis
Foto: Simon/Simon, AWI
Forschungsprojekte und Expeditionen
Tiefsee-Expedition ins östliche Mittelmeer oder:
„Schlittenfahrt“ zu Silvester
Wer lebt wo, wie und warum? – Salopp formuliert könnte man so das
umfangreiche wissenschaftliche Programm der Tiefsee Expedition 71
zusammenfassen, die das Forschungsschiff Meteor vom 11. Dezember
2006 bis 04. Februar 2007 im östlichen Mittelmeer durchgeführt hat. An
Bord: mehr als 80 Wissenschaftler aus insgesamt 29 Forschungsinstituten und deren Mitarbeiter, sowie 32 Mann Besatzung. - Hinter
dem wer, wo, wie und warum stecken selbstredend klar definierte
Aufgaben, die in festgelegte Zielregionen führten und in drei
Fahrtabschnitten angesteuert wurden. - An zwei von drei der biologisch
und biogeochemisch orientierten Expeditionsabschnitte waren 14
Senckenberger aus den drei meeresbiologisch arbeitenden Abteilungen (Marine Zoologie Frankfurt, Meeresforschung sowie DZMB
Wilhelmshaven und Hamburg) beteiligt. Fahrtabschnitt zwei wurde von
Dr. M. Türkay (Abteilungsleiter Marine Zoologie, Frankfurt) geleitet.
Ziel der Expedition war es, genauere Kenntnisse von der Zusammensetzung und Verteilung der in den Untersuchungsgebieten vorkommenden Arten, von deren Lebensbedingungen sowie von Einfluss nehmenden Mechanismen zu gewinnen, die die Prozesse und Biodiversitätsmuster in der vergleichsweise nährstoffarmen Mittelmeerregion
steuern.
Das Wetter meinte es gut, als die FS Meteor am 11. Dezember 2006 in
Heraklion, Kreta, pünktlich um 10 Uhr die Anker lichtete und in See
stach. - Mit Kai George und Marco Bäntzow (DZMB) an Bord lief das
deutsche Forschungsschiff unter der wissenschaftlichen Leitung von
Bernd Christiansen, Universität Hamburg, bei Sonnenschein und
milden Temperaturen in Richtung Osten aus und nahm zunächst Kurs
auf das fast 5000 m tiefe Rhodos-Becken, das in der ersten Woche als
Referenzgebiet beprobt werden sollte.
Senckenberg-Container am Kran schwebend
...beim Verladen an Deck
...an Bord der FS METEOR – Fotos: B. Köster
Das Senckenberg-Design wurde v. DZMBTeam i. Eigenleistung erbracht.
Bevor jedoch am Folgetag um 4 Uhr früh die erste Station des Fahrtabschnitts M 71/1 bei 35°45,9´N und
28°48,0´E erreicht wurde, galt es, die zugeteilten Labors einzurichten sowie Plankton- und Schleppnetze,
Bodengreifer, Messgeräte, Unterwasserfilm- und Fotokameras für den Einsatz vor Ort vorzubereiten. - Ein
Forschungsschiff schläft nie. Rund um die Uhr sind die verschiedenen Arbeitsgruppen im Einsatz. Für die
Wissenschaftler, das wissenschaftliche Personal und die Besatzung bildet ein Arbeitstag von 13 Stunden
und mehr keine Ausnahme. – Auch die Kollegen vom DZMB haben während der Expedition ihren
Arbeitsrhythmus nahezu umkehren müssen, da Multicorer und Kastengreifer, die großen Geräte, mit denen
das Sediment vom Meeresboden aufgenommen wird, abends und nachts gefahren werden.
Nach einer erfolgreich verlaufenen ersten Expeditionswoche setzte die FS Meteor ihre Fahrt weiter in
Richtung Osten fort. Kai George und Marco Bäntzow
hatten bis dahin bereits eine Vielzahl von
Kleinstkrebsen, Milben, Fadenwürmern und anderen
Organismen vom 4300 m tiefen Meeresgrund des
Rhodos-Beckens bergen und für weitere Untersuchungen fixieren können.
Hauptzweck des wissenschaftlichen Arbeitsprogramms
dieses ersten Fahrtabschnitts waren jedoch Probennahmen im Bereich der südlich von Antalya bei 35°29,
496' N, 30°10,102' O gelegenen Anaximander Seeberge.
9
Forschungsprojekte und Expeditionen
Da Seeberg-Ökosysteme im Vergleich zum umgebenden Meeresboden häufig eine relativ hohe Organismendichte beherbergen, ist
deren Funktion und Einfluss auf den umgebenden Wasserkörper von
speziellem wissenschaftlichen Interesse: die Anaximander Seeberge
liegen in einer vom übrigen Ozean weitgehend isolierten, nährstoffarmen und zudem von den dynamischen geologischen Vorgängen
zahlreicher Schlammvulkane beeinflussten Region. In dem sehr
warmen Tiefseewasser von rund 14°C können die in vergleichbaren
Meerestiefen lebenden Tiere nicht existieren, da sie an kälteres
Wasser angepasst sind.
Im Verlauf der zweiten Woche wurden also eine Reihe von Habitaten
auf dem Gipfel, an Abhängen und am Fuß eines der drei etwa 1000
Meter vom Meeresgrund aufragenden Seeberge beprobt. Neben
ozeanografischen Aspekten - wie den jeweiligen Strömungsverhältnissen, der Leitfähigkeit und den Temperaturen des Wassers sowie
dem Sauerstoff- und Salzgehalt in verschiedenen Wassertiefen –
dienten die Probennahmen der Identifizierung von Tiergruppen sowie
deren Zahl und Verteilung am Meeresgrund und in der Wassersäule.
Die gewonnenen Ergebnisse sollen zum weiteren Verständnis der
Funktion von Seebergen beitragen und mit bereits vorliegenden Daten
zu Seeberg-Ökosystemen im NO-Atlantik verglichen werden.
Mittelmeer-Cruise bei schönstem Wetter –
Foto: Senckenberg
Während das wissenschaftliche Programm der Meteor-Expedition M 71/1 bei schönem Wetter und geringer
Wellenhöhe durchgeführt werden konnte und die beteiligten Wissenschaftler an Heilig Abend bei bester
Laune wieder in Heraklion abgesetzt worden waren, begann am 27. Dezember 2006 der zweite
Fahrtabschnitt unter der Leitung des Frankfurter Meeresbiologen Michael Türkay bei wenig freundlichem
Wetter. - Mikrobiologen, Zoologen, Paläontologen, Protozoologen und Planktologen blieb kaum Zeit, ihre
„Seebeine“ zu entwickeln, bevor die FS Meteor, pünktlich um 16 Uhr Ortszeit, bei Sturm in Richtung Süden
auslief. - Mehr als 300 Kisten mussten entladen werden. Nachdem alles seefest „gelascht und geschäkelt“
war, stand an Deck das obligatorische Sicherheitstraining an, bei dem Fahrtleiter, Wissenschaftler und
Besatzung ein erstes Mal komplett zusammentreffen.
Epibentosschlitten wird von Bord gelassen Foto: Senckenberg
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Reiseziel des Fahrtabschnitts M 71/2 war das Seegebiet südlich
von Kreta. Das Arbeitsprogramm des Projekts „LEVAR“ (Levantine
Basin Biodiversity and Variability) beinhaltete je drei
Probennahmestationen in zwei Referenzgebieten von jeweils 17
Seemeilen x 5 Seemeilen. - Mehrfachbeprobungen des IerapetraBeckens (> 4 000 m Tiefe) sowie der weiter südlich und in etwa
doppelter Entfernung zur Küste gelegenen Herodot-Ebene (ca.
2800 m Tiefe) sollten Gemeinsamkeiten und Unterschiede des
Arteninventars und Artenreichtums klären. Von einem Vergleich
der beiden Gebiete in punkto Häufigkeit und Diversität dort
lebender Tiergemeinschaften aller Größenklassen sowie
abiotischer und biochemischer Parameter der Tiefseesedimente
erwarten die Wissenschaftler sich weitere Erkenntnisse über die
Struktur und Funktion der Lebensgemeinschaften. Wichtig sind
dabei die Parameter, die die Biodiversitätsmuster steuern. Die Probennahmen sollen Aufschluss darüber geben, ob
Meerestiefe und Küstenabstand einen Zusammenhang zwischen
Diversitäts- sowie Produktivitätsmustern in Abhängigkeit
bestimmter Ökofaktoren erkennen lassen. Von Interesse ist dabei,
ob der laterale Transport organischer Nährstoffeinträge in dem
insgesamt extrem nährstoffarmen Levantinischen Becken eine
größere Rolle spielt als die pelagische Produktion in der
Wassersäule.
Forschungsprojekte und Expeditionen
Ein Vergleich der neuen Ergebnisse mit zuvor
gewonnenem Datenmaterial soll zudem zeigen,
ob
sich
Vermutungen
bezüglich
einer
Veränderung in der Faunenzusammensetzung
im Laufe der letzten 25 Jahre bestätigen. Im
positiven Fall wäre zu klären, inwiefern die
Veränderungen regional begrenzt sind bzw. mit
größeren
ozeanischen
Veränderungen in
Verbindung zu bringen sind und auch, inwieweit
dies eine Folge wiederkehrender natürlicher
Klimaschwankungen ist, oder evtl. im Zuge der
anthropogen beeinflussten Klimaerwärmung
gesehen werden muss. Populationsgenetische
Untersuchungen
an
Foraminiferen
sollen
weiteren Aufschluss über zuvor festgestellte
genetische Unterschiede zu denselben Arten in
den Weltozeanen geben.
FS METEOR ist Eigentum der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch
das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), das 1985 auch
den Bau des Schiffes finanziert hat. Mit ca. 97 m Länge ist die METEOR
eine Forschungseinrichtung mit 20 Labors. An Bord ist Platz für 26
Wissenschaftler und 32 Mann Besatzung. – Foto: Senckenberg
Mit zum Senckenberg-Team gehörten Marco Bruhn, Burkhard Köster, Ingrid Kröncke, Pedro Martínez,
Hermann Neumann und Thomas Wehe (Wilhelmshaven), Sven Hoffmann (Hamburg) sowie Carola Becker,
Kristin Pietratus, Matthias Schneider und Joachim Scholz (Frankfurt).
Bevor am 29. Dezember 2006 um 4:30 Uhr die eigentlichen Forschungsarbeiten auf der ersten Position im
Westteil des ersten Untersuchungsgebiets begannen, war eine Kartierung mit dem Fächerlot durchgeführt
worden. Auf einen Einsatz des Wasserschöpfers folgten mehrere Fahrten mit Multicorer und Kastengreifer,
die erste Sedimentproben vom Meeresboden zutage förderten. - Nachdem sich das Wetter am 28. und 29.
Dezember von seiner besten Seite gezeigt hatte und einige der Teilnehmer bereits von der Sonne deutlich
gerötete Hautpartien feststellen mussten, nahm der Wind am 30.
Dezember wieder zu und erreichte am Silvestermorgen volle Bft 8
mit Wellenbergen von beträchtlicher Höhe, die beim Geräteeinsatz
zu Verzögerungen führten. Trotz der widrigen Wetterbedingungen
waren die meisten Probennahmen erfolgreich. Um 5 vor 12 Uhr
wurde „Anna“, einer von vier Epibenthosschlitten, an einem 4300 m
langen Drahtseil abgetaucht. Nach 500 m Schleppstrecke förderte
„Anna“ in ihren Netzen reichlich Schlamm als Morgengabe zum
Neujahrstag 2007 zutage. Erst nach mehrfachem Sieben ließen sich
später unter dem Binokular Borstenwürmer, Floh-, Scheren- und
Ruderfußkrebse, Tiefseeasseln sowie sonstiges Kleingetier
identifizieren. – Während die Nachtschicht Silvester an Achterdeck immerhin mit einem Kreppelgruß aus der Küche – bzw. mit 96prozentigem Ethanol zum Probenfixieren in der Kühlkammer
verbrachte, hatten Fahrtleiter Michael Türkay und Kapitän Walter
Baschek die dienstfreien Expeditionsteilnehmer zu einer Silvesterfeier in die Messe geladen. Der Fahrtbericht vermeldet, dass das
Deutlich geschichtetes Sediment i. einem
neue Jahr mit Sekt begossen wurde und man tanzend und fröhliche
Multicorer-Rohr- Foto: Senckenberg
Lieder singend in den Neujahrsmorgen geschippert ist. Der Fahrtabschnitt M 71/2 endete am 15. Januar 2007 in Heraklion.
Insgesamt haben die Probennahmen den Eindruck einer sehr
individuen- und artenarmen Epibenthos-Gemeinschaft am
Tiefseeboden des küstenfernen Levantinischen Beckens bestätigt. Das während der Meteor-Fahrt Nr. 71 gesammelte und an Bord
vorbereitete Material ist mittlerweile wohlbehalten in den Instituten
angekommen, um in den heimischen Labors sorgfältig aufgearbeitet zu werden und bald die Grundlage zu weiteren
Interpretationen zu bieten, die die Ausgangsfragen der TiefseeExpedition ins östliche Mittelmeer zufriedenstellend beantworten.
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Forschungsprojekte und Expeditionen
Älter als Lucy ... - Hominidenfunde in Galili
„PAR-Team claims discovering human fossil remains considerably older than
Lucy, partial elephant skeleton“ titelt das Walta Information Center, Addis
Ababa, Ethiopia, einen Artikel vom 03. März 2007 und bezieht sich dabei auf
die Pressekonferenz, bei der Ottmar Kullmer, Sektionsleiter und Experte für
Tertiäre Säugetiere in der Frankfurter Paläoanthropologie, am selben
Nachmittag die fossilen Funde menschlicher Vorfahren und eines Elefanten
vorgestellt hatte.
Im Februar war das Expeditions-Team gleich an zwei Orten, im Ost- und
Westteil Galilis, auf die verschieden alten fossilen Backenzähne gestoßen.
Die Grabungsstelle am südlichen Rand des heute wüstenähnlichen „AfarDreiecks“ liegt im Bereich der Awash-Region. Sowohl die geologische als
auch die biostratigraphische Einordnung lassen darauf schließen, dass beide
Funde älter sind als die berühmte „Lucy“. - Das etwa 1,2 m messende fossile
Skelett der Australopithecinen-Frau wurde im November 1974 von einer
amerikanisch-französischen Expedition unter der Leitung von Donald
Johanson und Yves Coppens, zirka 250 km weiter nördlich, bei Hadar,
Äthiopien, entdeckt. – Zu Lucys Zeit, vor etwa 3,2 Millionen Jahren, war die
Region von großen Waldgebieten bedeckt.
Das genaue Alter der vom Paleo-Anthropological Research Team im Frühjahr
2007 gefundenen Australopithecinen-Überreste muss nun durch präzise
wissenschaftliche Analysen geklärt werden. Klar ist jedoch schon jetzt, dass
einer der beiden Molaren deutlich älter eingeordnet werden kann. Spannend
für die Wissenschaftler ist dabei, ob der Backenzahn des Vormenschen nicht
eventuell sogar zu der im Hominiden-Stammbaum früher eingeordneten Art
Australopithecus anamensis gehört, oder doch zu Australopithecus afarensis,
zu der auch Lucy zu zählen ist. Sollte sich diese Annahme bestätigen, ist von
besonderem wissenschaftlichen Interesse, ob beide Arten nicht eventuell
gleichzeitig gelebt und sich sogar das Habitat geteilt haben.
Wie Ottmar Kullmer sagt, sind dies die bedeutendsten Funde seit dem Jahr
2000. Stolz ist er auch auf den Fund eines Elefantenskeletts, dessen 150 kg Lucy – Australopithecus afarensis
Foto: Senckenberg
schwerer Schädel vor dem Transport nach Addis Abeba zunächst bei der im
Afar-Dreieck herrschenden Gluthitze ausgebuddelt und eingegipst werden musste. - „Allein die
Stoßzähne sind über zwei Meter lang“, freut sich
der Kollege aus der Paläoanthropologie. - Weitere
Teile des außerordentlich gut erhaltenen Skeletts
sollen später ausgegraben werden.
Fund d. 150 kg wiegenden Elefantenschädels i. d. Fossilienfundstelle
Galili. Ottmar Kullmer i. d. Mitte hockend.
Foto: Senckenberg, Ottmar Kullmer
Obwohl mittlerweile etliche andere Orte mit einer
Vielzahl fossiler Säugetiere erschlossen wurden,
stellt das zirka 100 km² große Fundgebiet Galili ein
besonders wichtiges Zeitfenster für die Wissenschaftler dar, da in Afrika nur wenige Orte bekannt
sind, die die Zeitspanne von 4,5 – 3,7 Millionen
Jahren abdecken. Die meisten der bisher in Galili
geborgenen Funde wurden in etwa 3,7 – 4,0
Millionen Jahren alten Ablagerungen ergraben.
Seit Beginn der Forschungsgrabungen im Februar 2000 konnten dort bereits mehr als 1600 fossile Reste
von Wirbeltieren geborgen und katalogisiert werden. Fossilien, die mittlerweile im National Museum von
12
Forschungsprojekte und Expeditionen
Äthiopien untergebracht sind. Darunter weitere Elefanten
und Funde von Carnivoren und Nagetieren, Affen,
Antilopen, Schweinen, Rhinozerossen, Flusspferden,
Krokodilen und Fischen, was auf eine See- und Flusslandschaft mit angrenzenden Wäldern schließen lässt.
Galili a. südl. Rand d. Afar-Dreiecks – heute eine trockene u.
extrem heiße Region. - Foto: Senckenberg
Das PAR-Team ist ein Zusammenschluss von Forschungsinstituten. Grabungsleiter ist Horst Seidler vom
Institut für Anthropologie der Universität Wien. Neben
Senckenberg Frankfurt, den Universitäten von Addis
Abeba und Mekelle, gehört auch das National Museum of
Kenya zu dem internationalen Konsortium von
Wissenschaftlern.
Partieller Bohrkern a.d. Sihailongwan - Foto: Senckenberg, Weimar
Vegetation in China vor 60 000 Jahren
Nordostchina liegt im Einflussbereich des
ostasiatischen Monsunsystems und gilt
aufgrund seiner geografischen Lage als
Schlüsselregion für die Erforschung der
Klimadynamik in Ostasien. Eine Region, auf
die der Mensch nach wie vor relativ wenig
Einfluss nimmt, so dass in der dort
Chinesische Provinz Jilin, Nordost-China
liegenden Provinz Jilin eines der bedeutendsten natürlichen Waldvorkommen des Landes erhalten blieb, das sich durch besonders artenreichen
Laubmischwälder auszeichnet.
In der Sektion Quartäre Pflanzen der Senckenberg-Dependance in Weimar wird derzeit durch Pollendiagramme die Entwicklung der Klimageschichte der Provinz Jilin anhand der Vegetationsdynamik
während der letzten Eiszeit analysiert. – Das Projekt wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft
(DFG) finanziert.
finanziert. Das für den Zweck bereit gestellte Kernmaterial wurde
durch Forschungsbohrungen in dem 50 Meter tiefen Maarsee
Sihailongwan gewonnen. In die vorausgegangene Feldarbeit waren
Mitarbeiter des Geoforschungszentrums Potsdam und des Instituts
für Geologie und Geophysik der Chinesischen Akademie der
Wissenschaften Peking eingebunden.
Jilin im Nordosten Chinas grenzt an Russland
u. Nordkorea
Während die Auszählung der Jahresschichten des insgesamt etwa
90000 Jahre umfassenden Materials sowie sedimentologischgeochemische Untersuchungen, die nun u. a. an Instituten in
Potsdam, Jülich und Peking durchgeführt werden, erfolgt in Weimar
die paläobotanische Untersuchung und Auswertung von etwa 600
Proben aus 30 Metern Kernmaterial.
Unterstützung bei der Bewältigung der Aufgabe hat Martina Stebich nun durch Judith Arlt, die seit Januar
2007 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungsinstitut Senckenberg beschäftigt ist. - Frau Arlt hat
im Sommer 2004 ihr Biologie-Studium an der Friedrich Schiller-Universität Jena abgeschlossen und hatte
bereits während eines studienbegleitenden Praktikums in der Weimarer Außenstelle Gelegenheit, sich in
13
Forschungsergebnisse
das Thema einzuarbeiten. Ein pollenanalytisch-vegetationskundliches Seminar, das die junge
Wissenschaftlerin nach ihrem Studienabschluss besucht hat, qualifiziert sie nun zusätzlich für das
ambitionierte Projekt, bei dem durch eine hohe zeitliche Auflösung in der Größenordnung weniger Jahre
bis Jahrzehnte kurz- bis mittelfristige Veränderungen der Vegetation erfasst werden sollen.
Ein noch relativ grob aufgelöstes Pollendiagramm, das eine erste
lückenlose Dokumentation der Vegetationsentwicklung im
Sihailongwan während der vergangenen 60 000 Jahre zeigt,
wurde bereits von den beiden Wissenschaftlerinnen erarbeitet.
Die Ergebnisse lassen auf zeitgleiche Klimavariationen in
Grönland, Europa und Ostasien, also der nördlichen Hemisphäre,
schließen. Von den paläobotanischen Untersuchungen an den
laminierten Sedimenten erhoffen sich die Weimarer Kolleginnen
eine Annäherung an rezentökologische Fragestellungen, aus der
sich neue Interpretationsansätze für Fossilbefunde ergeben.
Martina Stebich (l.) u. Judith Arlt (r.)
Foto: Senckenberg, Weimar
„Hotspots“ der Artenvielfalt –
Biodiversitätsforschung in hessischen Naturwaldreservaten
Naturwaldreservate (NWR) sind Gebiete, in denen
die natürlichen Prozesse von menschlichen
Eingriffen weitestgehend unbeeinflusst ablaufen
können. Sie sollen selten gewordenen oder
bedrohten Tier- und Pflanzenarten Rückzugsmöglichkeiten bieten und sind nicht zuletzt dadurch von
besonderer wissenschaftlicher Bedeutung. Die
ersten Naturwaldreservate in Hessen wurden 1987
begründet – heute existieren über die Landesfläche
verteilt 31 Gebiete mit insgesamt über 1200 Hektar
Fläche, die für Hessen typische Waldgesellschaften
repräsentieren und in denen der „Urwald von
Beispiel für einen hessischen „Urwald“: Das Naturwaldreservat Stirnberg morgen“ im Experiment heranwächst; denn NWR
Foto: Senckenberg, J.-P. Kopelke
dienen vorrangig Forschungszwecken. Sie bestehen aus zwei Teilflächen, der unbewirtschafteten Kernfläche (Totalreservat) und der bewirtschafteten
Vergleichsfläche. So können natürliche und vom Menschen gesteuerte Prozesse miteinander verglichen
und die hieraus gewonnenen Erkenntnisse für die Waldbewirtschaftung und für ein Ökosystemmanagement i.w.S. nutzbar gemacht werden.
Um die Waldentwicklung vom Status quo bis hin zum Zerfall, also dem Alterstod der Bäume,
wissenschaftlich zu begleiten, wurde vor nunmehr 17 Jahren das Langzeitprojekt „Hessische
Naturwaldreservate“ ins Leben gerufen. In enger Kooperation zwischen der Hessischen Landesregierung,
Hessen-Forst und dem Forschungsinstitut Senckenberg (FIS) werden in einem interdisziplinären Ansatz
Wiederholungsinventuren durchgeführt; sie dokumentieren den Ablauf der Sukzession bzw. den
Entwicklungszustand der Reservate in bestimmten zeitlichen Abständen. Besonders bemerkenswert und
einzigartig für die NWR-Forschung von Hessen ist, dass die Studie neben forsteinrichtungstechnischen
und vegetationskundlichen Erhebungen auch auf eine beinahe 20-jährige Tradition in der zoologischen
Inventur zurückblicken kann: seit 1990 wird die Fauna von Wissenschaftlern des FIS untersucht. Die
Biologen Dr. Wolfgang Dorow und Günter Flechtner rücken den Tieren mit verschiedensten Fallentypen
auf den Leib – zur potenziellen Beute gehören Tiergruppen wie etwa Regenwürmer, Spinnen, Wanzen,
14
Forschungsergebnisse
Käfer, Bienen, Wespen, Ameisen, Großschmetterlinge und
sogar Vögel und Fledermäuse!
Neun NWR haben die Senckenberger mit ihren
Teamkollegen bereits auf ihre Fauna hin untersucht. Erst
kürzlich
erschienen
Ergebnisse
der
zoologischen
Untersuchungen vom Hohestein bei Eschwege in der Reihe
„Naturwaldreservate in Hessen“. Die Auswertungen in den
Labors in Frankfurt hatten schon für manche Überraschung
gesorgt. So barg das auf dem Stirnberg in der Rhön
gesammelte Material ein bernsteinfarbenes Tier, das Dorow
Harpagoxenus sublaevis – Braune Raub-Knotenameise
zunächst für eine Schmalbrustameise, also eine LeptothoraxFoto: Senckenberg, Wolfgang Dorow
Art, hielt: „Erst unter dem Mikroskop fielen uns die gewaltigen, kneifzangenartigen Mundwerkzeuge auf – das Erkennungsmerkmal der Braunen RaubKnotenameise, Harpagoxenus sublaevis. Der Sozialparasit vermag diese „Waffen“ wirkungsvoll im Kampf
um die Brut anderer Ameisenarten einzusetzen und trennt diesen in blitzschnellen Beiß-Attacken Beine
und Fühler ab. Dann raubt er Eier und Puppen der Besiegten und bringt sie in sein eigenes Nest, um die
Tiere nach dem Schlüpfen für die Aufzucht der eigenen Nachkommen und zur Nahrungsbeschaffung zu
versklaven; ein hochinteressantes Insekt und für Hessen ist der Fund überhaupt erst der zweite
Nachweis!“
Auch sein Kollege Flechtner gerät ins Schwärmen: „Unsere
heimischen Buchenwälder weisen eine hohe Artenvielfalt auf
und beherbergen etwa viermal mehr Tierarten als ursprünglich
angenommen. Allein im NWR Weiherskopf wurden drei
Tierarten gänzlich neu entdeckt, für Deutschland konnten vier
Arten, für Hessen 74 Arten erstmals nachgewiesen werden.
Außerdem haben wir 29 als verschollen geglaubte Käferarten
wiedergefunden!“
Nächste Station der Zoologen ist das im Nationalpark
Kellerwald-Edersee gelegene Naturwaldreservat Locheiche, Neatus picipes – Schwarzkäfer (NWR Weiherskopf)
bedrohte Art - Foto: Senckenberg
das in diesem Jahr erstmals unter die Lupe genommen wird.
Darüber hinaus sind Wiederholungsinventuren in verschiedenen NWR angedacht. Diese lassen Synergieeffekte von Langzeitforschung und Langzeitmonitoring erwarten: Treten beispielsweise bei der Folgeinventur Arten auf, die zum Zeitpunkt der Erstinventur nicht vorhanden waren, deutet dies auf veränderte
Lebensbedingungen, zum Beispiel auf eine Änderung der klimatischen Verhältnisse hin. Arealverschiebungen konnten beispielsweise im NWR Stirnberg für die wärmeliebende Streifenwanze, Graphosoma
lineatum, nachgewiesen werden, die ihr Verbreitungsgebiet in der Folge häufiger trocken-warmer Sommer
bis auf 900 m ü NN ausgeweitet hat.
Generell ist der Einfluss von Umweltveränderungen auf die
Artenvielfalt in unseren Wäldern noch weitestgehend
ungeklärt. Mit einer qualitativen Erfassung der Tier- und
Pflanzenwelt hat das Projekt „Hessische Naturwaldreservate“
seine „ökologische Nische“ bezogen und leistet damit einen
wesentlichen Beitrag zum Ökosystemschutz.
Heute stehen Fragen zu den Auswirkungen des Klimawandels
auf die Biodiversität im Mittelpunkt des Forschungsinteresses
und rückten in den letzten Jahrzehnen auch zunehmend in das
Bewusstsein einer breiten (Welt-)Öffentlichkeit, denn:
funktionierende Ökosysteme spielen eine tragende Rolle zur
Erhaltung des globalen Klimagleichgewichts.
Graphosoma lineatum – Streifenwanze
Foto: Senckenberg
von Thorsten Wenzel
15
Forschungsergebnisse
Dramatischer Rückgang der Ruderfußkrebse in der Nordsee
Die Menge macht’s! – Sind wir auch noch so klein, so sind wir doch wichtig und Viele und außerdem
schnell, zumindest was die Reproduktionsrate betrifft. - Das ist bzw. war, so ließe sich mal vermuten, die
bislang erfolgreiche Strategie der Ruderfußkrebse (Copepoden).
In der Summe von Individuen aus den etwa 400 vorkommenden Arten bilden die winzigen zur Meiofauna
zählenden Organismen weltweit die vermutlich größte Biomasse. Als Futterverwerter und zugleich natürlich
auch Nahrungslieferant nehmen insbesondere die marinen Arten eine Schlüsselposition in den
Ökosystemen der Meere ein. Während sie selbst zum Speiseplan von Fischen, größeren Krebsen und
auch Vögeln zählen, ernähren sich die Winzlinge unter den Krebstierchen von Phytoplankton. Insofern ist
es einleuchtend, dass eine spürbare Verringerung des Nahrungsangebots Einfluss auf das gesamte
System nimmt. Und eben eine solche Veränderung zeichnet sich nun bei den in der Deutschen Bucht
vorkommenden Arten ab.
Seit 1974 werden von Wulf Greve und seiner Arbeitsgruppe
jeden zweiten Werktag mit engmaschigen Netzen Proben aus
der Nordsee vor Helgoland genommen. Auf diese Weise
werden etwa 400 Zooplanktonarten in bezug auf ihren Bestand
und die Saisonalität erfasst und von den Kollegen des
Deutschen Zentrums für marine Biodiversitätsforschung
(DZMB) in der Hamburger Niederlassung des Forschungsinstituts Senckenberg untersucht.
Die von Wulf Greve im Rahmen des kontinuierlich engen
Zeitrasters durchgeführten Langzeituntersuchungen ergaben
in 2006 für die Ruderkrebsarten Acartia longiremis, Temora
longicornis, Pseudocalanus elongatus und Paracalanus
Sextonis menuhinensis, Ruderfußkrebs –
parvus im Jahresmittel lediglich eine Zahl von 1092 Individuen
Foto: Senckenberg, DZMB
pro Kubikmeter. In der Abnahme der Individuenzahl zeigen die
vier Arten die gleiche Häufigkeit. Damit hat der fortlaufende Rückgang während der letzten 20 Jahre ein
extremes Minimum erreicht.
5-Jahresmittel der Häufigkeit kleiner Ruderfußkrebse bei
Helgoland
6000
Individuen im Kubikmeter
Ein für 1985 zu verzeichnender Peak mit einem
Wert von 7782 Individuen im Jahresmittel ist als
Konsequenz des zu der Zeit ungewöhnlich
reichen Nahrungsangebots zu betrachten, das
durch ein vermehrtes Algenwachstum als Folge
der
Überdüngung
der
Nordsee
durch
phosphathaltige Waschmittel zustande kam.
Nachdem diese Eutrophierung durch die
zuleitenden Flüsse abgebaut ist, greifen nun
andere Faktoren, die das marine Ökosystem ins
Wanken bringen.
5000
4000
3000
2000
1000
0
Wulf Greve sieht den Grund für den
1977-1981
1982-1986
1987-1991
1992-1996
1997-2001
2002-2006
dramatischen Niedergang der Copepoden-Population u. a. in den mittlerweile auch in der Nordsee spürbar werdenden Auswirkungen des Klimawandels:
„Die Klimaänderung hat zur Einwanderung und Vermehrung von Sprotten und anderen Planktonfressern
geführt“, lässt der Meeresbiologe besorgt verlauten.
Greves Messreihen verzeichnen zugleich eine Zunahme der ansonsten insgesamt selteneren
Wasserflöhe (Clacoderen), die in drei marinen Gattungen nachgewiesen werden konnten: darunter die Art
Penilia avirostris. Ein Phytoplanktonfresser, der eigentlich im Mittelmeer beheimatet ist, sich aber seit
1990 als weiterer Neozoe in der Nordsee etabliert hat. Die beiden anderen nachgewiesenen Gattungen,
Podon und Evadne, sind dagegen keine reinen Pflanzenfresser. In deren Zunahme sieht Greve einen
16
Museum
weiteren möglichen Zusammenhang mit dem Rückgang der
Ruderfußkrebse. Außerdem seien weitreichende Umstellungen wie der Verlust der Winterruhe mit dem Absterben
von Fraßfeinden der nun erheblich reduziert vorkommenden
Kleinstkrebse, der steigende Nahrungsbedarf bei höheren
Temperaturen und die klimabedingte Veränderung im
Vorkommen einzelner Arten an diesen Veränderung im
marinen Ökosystem beteiligt.
Aber auch in der Einflussnahme des Menschen sieht der
Hamburger Kollege eine Ursache: „Die Abnahme der
Ruderfußkrebse kann z.T. auf die Raubfisch-Fischerei unter
den Nutzfischen zurückgeführt werden, die zu einer Zunahme Ceratonotus steiningeri – Ruderfußkrebs
Foto: Senckenberg, DZMB
der kleinen Plankton fressenden Fische geführt hat.“ Neben
dem eindeutigen Nachweis für den kontinuierlichen Niedergang der Ruderfußkrebse, die als Hauptverwerter der pflanzlichen Produktion des Phytoplanktons eine wichtige Funktion im Meeresökosystem
einnehmen, sind die Auswirkungen des mit dem dramatischen Rückgang einhergehenden Nahrungsmangels für die Nutzfische noch zu untersuchen. - Neben den Fischen sind auch der Sandaal und die von
ihm lebenden Seevögel sowie Seehunde betroffen.
Sonderausstellung im Naturmuseum Frankfurt
...“Das Meer ist ein riesiges Durcheinander von Geräuschen.
Wenn man unter Wasser einmal den Atem anhält,
nimmt man die seltsamsten und
wunderbarsten Laute wahr.“
Bill Curtsinger
„UNTER WASSER“ ist die Sonderausstellung mit Fotos von Bill Curtsinger getitelt, die in Kooperation mit
dem Konsortium Deutsche Meeresforschung und dem Frederking und Thaler Verlag noch bis zum 20. Mai
im Naturmuseum Frankfurt präsentiert wird.
Als „inneren Raum“ bezeichnet Bill Curtsinger die Welt „unter
Wasser“. Und eben diesen Raum macht er in seinen Bildern sichtbar:
anmutig „fliegende“ Kaiserpinguine hat er auf ihrem Tauchgang durch
das eiskalte Wasser begleitet und in nahezu achtungsgebietender
Pose bei einem Spaziergang übers Packeis der Antarktis abgelichtet.
– Farbe, Komposition, Licht, alles stimmt. - Curtsingers Aufnahmen
sind lebensnah und einige sogar einzigartig. Dem Naturfotografen
gelang es als Erstem, ein Walross unter Wasser und Sattelrobben
unter der Eisdecke zu fotografieren. Das war nicht einmal seinem großen Vorbild Jacques Cousteau
geglückt. Bill Curtsinger schwamm mit Südkapern und Buckelwalen. Er beobachtete Blauhaie beim Jagen
und Bastardschildkröten bei der Paarung, fand sich in riesigen Schwärmen von Heringen oder
Großaugenmakrelen wieder und überlebte schwer verletzt den Angriff eines Grauen Riffhais. Und immer
wieder erkundete er die Gewässer im Golf von Maine, seiner Heimat.
Die Bilder des Meisterfotografen Bill Curtsinger lassen den Betrachter in eine faszinierende Welt eintauchen und geben eine Vorstellung von einem ganz eigenen Universum und seinen Bewohnern. Von
Anfang an interessierte Curtsinger die Tiefsee mehr als die bunte Welt der tropischen Riffe.
17
Museum
Museumsführer für die Ohren
Seit 11. April bietet ein elektronischer Führer wissenswerte Informationen zu insgesamt 50 Exponaten und
Ausstellungsbereichen und lässt das Senckenberg-Museum auf diese Weise nun auch zum Hörerlebnis
werden.
Mit Unterstützung der Deutschen Telekom, T-Com wurden in einer ersten Ausbaustufe 50 leicht zu
handhabende Geräte von professionellen Sprechern mit ansprechenden Texten versehen und bei einem
Pressetermin von Herrn Strutz und Prof. Mosbrugger erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. Birgit Klesper,
die Leiterin des Bereichs Corporate Communication bei T-Com bemerkte in Anlehnung an das bekannte
Goethe-Wort: „Auch wir als Konzern Deutsche Telekom nehmen unsere Verantwortung ernst und fördern
Bildung und Wissenschaft im Rhein-Main-Gebiet und
über die Grenzen hinaus.“ - Wie schon bei den über
das Haus verteilten Informationsterminals unterstreicht die Deutsche Telekom, T-Com mit dem
Audioguide die bildungsorientierte Ausrichtung des
Hauses und trägt auf diese Weise erneut zu einer
zeitgemäßen Präsentation der Exponate im
Senckenberg-Museum bei.
Tierstimmen - wie etwa der Ton des Parasaurolophus,
der mit seinem „klingenden Horn“ im Sauriersaal zu
finden ist, der gellende Ruf eines Argusfasans in der
Vogelausstellung oder gar das Brüllen des zwei Meter
großen Kamtschatka-Bären am Zugang der Säugetierausstellung lassen den Gang durchs Museum zu
Volker Mosbrugger und Wolfgang Strutz freuen sich mit Brigti Klesper
über die Einweihung des Audioguides – Foto: T-Com
einem nahezu „belebten“ und informativen Abstecher in Natur und Urzeit werden. Der O-Ton des Direktors
zur Begrüßung ist ebenso zu hören, wie das Hämmern bei den Grabungsarbeiten in der Grube Messel
oder zirpende Zikaden, die die Entdeckung der mehr als drei Millionen Jahre alten AustralopithecinenDame „Lucy“ in der äthiopischen Afar-Ebene atmosphärisch nachvollziehbar machen.
Der elektronische Museumsführer ist kaum größer als ein Mobiltelefon und wird künftig an der Kasse
ausgegeben. Das geringe Gewicht des nur etwa 100 Gramm wiegenden Audioguides macht es dem
Besucher im wahrsten Sinne des Wortes leicht, sich damit mühelos durch das Haus zu bewegen und seine
jeweiligen Lieblingsobjekte anzusteuern. Moderne Technik gewährleistet eine ausgezeichnete Tonqualität.
Die elektronisch in Deutsch und Englisch kommentierten Exponate sind mit Nummern versehen und in
einem Begleit-Flyer ausgewiesen. - So kann jeder Besucher seine individuelle Tour durch das
Naturmuseum festlegen und vor Ort durch Eingabe der Zahlen auf anregende und unterhaltsame Weise
Wissenswertes und manchmal sogar Kurioses erfahren.
Audioguide- seit 11. April im Museum
handlich – leicht – informativ...!
18
Vermerkt
„Senckenberg-Stern“ am Firmament – Asteroid 7565 Zipfel
Jutta Zipfel, die Leiterin der Frankfurter Sektion Meteoritenforschung,
war sicherlich nicht wenig erstaunt, als sie während der 69.
Jahrestagung der Meteoritical Society in Zürich von der Mitteilung
überrascht wurde, dass ein Kleinplanet nach ihr benannt ist.
Nicht alle im Asteroidengürtel zwischen Jupiter und Mars
schwebenden Planetoiden sind erkennbar. Die Gesamtzahl der
Objekte von mehr als 1 km Durchmesser wird auf über 1 Million
geschätzt. Doch nur größere Objekte lassen sich mit Spezialteleskopen ausmachen.
7565 Zipfel misst im Durchmesser etwa 6 bis 12 Kilometer. Seine in
einer Ellipse verlaufende Bahn liegt in einer nur schwer vorstellbaren
Entfernung:
am 02. April 2007 war der Planetoid
2,322
Astronomische Einheiten (AE) von der Erde und 2,761 AE von der
Sonne entfernt. Wobei eine durch Radarmessungen im
Sonnensystem geeichte Astronomische Einheit 149 597 870
Kilometer beträgt und dem mittleren Abstand der Erde zur Sonne
Jutta Zipfel mit verschiedenen Meteoriten
entspricht. - Zu welcher Zeit 7565 Zipfel wo genau zu verorten ist,
Foto: Senckenberg
zeigt eine animierte Grafik des Near Earth Object Program der NASA.
Bei Interesse im Internet zu finden unter: http://ssd.jpl.nasa.gov/sbdb.cgi?sstr=7565;orb=1
7565 Zipfel wird nun offiziell im Minor Planet Circular der IAU und in einem von der Harvard University
veröffentlichten Verzeichnis vermerkt. - Die Vergabe eines Namens bleibt für einen Zeitraum von 10 Jahren
nach klar definierten Regeln dem Entdecker vorbehalten.
In alphabetischer Reihenfolge bilden die gelisteten
Namen die vielfältigen Passionen der Menschen ab,
ihre Faszination und auch den Wunsch nach etwas
Außergewöhnlichem und Bleibendem. – In bunter
Mischung sind dort prominente Musiker wie
Beethoven, Chopin und die Beatles „verewigt“.
Vermerkt wurden auch die Namen von Ländern,
Städten und Orten mit einer besonderen Bedeutung
wie etwa Bilzingsleben, die von Literaten, Malern,
Politikern sowie Wissenschaftlern wie z. B. Darwin,
Curie und auch der von Johann Wolfgang von
–
Goethe.
Wen wundert’s da, dass neben so vielen anderen auch Asterix, der Held des von vielen so sehr
geschätzten Gallier-Comics, dort zu finden ist. – Beschützt und tröstet er doch immer wieder den
Häuptling seines kleinen gallischen Dorfs, der vor schlichtweg gar nix Angst hat, außer dass ihm der
Himmel auf den Kopf fallen könnt. –
Befürchtungen, die ja nun nicht ganz von der Hand zu weisen sind: wie
man weiß, sind Meteoriten, die irgendwann vom Himmel fielen, die
Objekte mit denen Jutta Zipfel sich im Rahmen ihrer Forschungsarbeit
bei Senckenberg befasst. – Im Dünnschliff unterm Mikroskop entfalten
sie in einer breiten Farbpalette eine ganz eigene, anmutige Schönheit.
Dünnschliff eines Marsmeteorits
Foto: Senckenberg, Jutta Zipfel
19
Vermerkt
Namensgeber – Naturwissenschaftler – Visionär...
Johann Christian Senckenberg (1707 – 1772)
"Meine Stiftung wird von hier aus gute Leute machen,
auch gute auswärtige herbeiführen und hiesige zum Nacheifern bringen,
mir zur Freude, da alles darauf abzielt
daß der Stadt in medicis wohl gedient werde.“
J. Chr. Senckenberg i. Aug. 1763
Johann Christian Senckenberg, geb. 28. Februar 1707 in der
Frankfurter Hasengasse, trat in die Fußstapfen seines Vaters, des
Frankfurter Stadtarztes Johann Hartmann Senckenberg und
wurde nach seiner Promotion in Göttingen schließlich zum
Physicus ordinarius ernannt. - Der tiefreligiöse Sonderling, als den
manche seiner Zeitgenossen ihn empfanden, entwickelte nach
persönlichen
Schicksalsschlägen
und
unbefriedigenden
beruflichen Erfahrungen eine Vision zum Wohle aller und
investierte noch zu Lebzeiten sein gesamtes Vermögen in eine
eigene Stiftung. Hauptzweck der Dr. Senckenbergischen Stiftung
war die Verbesserung der Gesundheitspflege für die Frankfurter
Bevölkerung und eine – nach heutigem Verständnis – nahezu
ganzheitliche Versorgung der Kranken.
Senckenberg hat die Fertigstellung seines Bürgerhospitals nicht
mehr erlebt. Bei der Inspektion der bereits deutlich fortgeschrittenen Bauarbeiten stürzte er am 15. November 1772 vom
Baugerüst des Uhrtürmchens und verstarb noch am gleichen
Abend. - Sein Bauvorhaben wurde durch die Administration der
noch heute bestehenden Dr. Senckenberigschen Stiftung beendet.
Ölgemälde von A. W. Tischbein, 1771 - Senckenberg
hält d. l. Hand a. d. Bibel, i. d. r. eine Bauzeichnung.
Hinten das Uhrtürmchen, gekrönt v. Saturn.
Seine Stiftung hat Hiesige und auch Auswärtige zum Nacheifern gebracht. Direkt daraus hervorgegangen
und bis heute erfolgreich tätig sind: das Bürgerhospital, das Senckenbergische Zentrum für Pathologie, das
Zentrum für Morphologie (Dr. Senckenbergische Anatomie), die Dr. Senckenbergische Bibliothek und der
Botanische Garten. Institute, die – bis auf das Bürgerhospital - heute der 1914 gegründeten Johann
Wolfgang Goethe-Universität angeschlossen sind. Auf Initiative des Anatomielehrers Philipp Jacob
Cretzschmar und unter Mitwirkung der Stiftungsvertreter Christian Ernst Neeff, Johann Georg Neuburg sowie des damaligen Hospitalmeisters Reus und
des Stiftsgärtners Becker erfolgte am 22.
November 1817 die Konstituierung der
Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft. - In einem Schreiben vom 17. November
1817 an die Administration hatte auch Johann
Conrad Varrentrapp den Plan der Gesellschaftsgründung begrüßt, die sich nach dem Willen des
Stifters mit der gesamten Naturkunde befassen
müsse und mitgeteilt, dass für das geplante
Naturalien-Kabinett ein Bauplatz auf dem
Stiftungsgelände bereit gestellt werde. Neuburg
wurde zum Ersten Direktor und Cretzschmar
zum Zweiten Direktor der SNG gewählt. - Zum
Stiftungsgelände mit Bürgerhospital i. Vordergrund
Namen der Gesellschaft hieß es in der ersten
Modell d. Stiftung - Foto: Dr. Senckenbergische Stiftung
gedruckten Satzung von 1819: „Um das Andenken Johann Christian Senckenbergs, des ersten Stifters einer naturwissenschaftlichen Anstalt in dieser
Stadt, zu ehren, um zu der Erreichung seiner hierbei ausgesprochenen Zwecke beizutragen, und um zu
diesem Ende so viel als möglich an sein Institut anzuschließen und dessen Zwecke zu unterstützen, hat
die Gesellschaft mit Genehmigung der Administration dieser Stiftung den Namen Senckenbergische
Naturforschende Gesellschaft angenommen und das Wappen der Stiftung zu dem ihrigen gewählt.“
20
Vermerkt
Das Museum Senckenbergianum wurde auf dem
Stiftungsgelände errichtet und am 22. November
1821, dem vierten Gründungstag der SNG,
eröffnet.
In der Chronik der SNG ist dazu auf Seite 217 zu
lesen: "Es wird beschlossen, vom künftigen Jahre
an wöchentlich zweimal, mittwochs und freitags
von 11-1 Uhr, für jedermann frei die Sammlungen
zu öffnen. Dr. Mappes und Dr. Sömmerring
erbieten sich im Januar in diesen Stunden im
Gebäude gegenwärtig zu sein und mit Hilfe des
Ausstopfers und Aufwärters für gehörige Aufsicht
zu sorgen."
Museum Senckenbergianum a. Eschersheimer Turm
Innerhalb kurzer Zeit erlangte das SenckenbergFoto: Senckenberg
Museum weit über die Grenzen Frankfurts hinaus
den Status eines Forschungsmuseums von Bedeutung. Bereits für das Jahr 1823 hält die Chronik
anlässlich der sechsten Jahresfeier der SNG auf Seite 224 fest: "...: die Sammlungen werden fleißig
besucht, und nicht bloß um etwas Hübsches anzuschauen, wir sehen sie von den nämlichen Personen
wiederholt besuchen, im
einzelnen betrachten und die Jugend mit lebhaftem Interesse die
Naturgegenstände in der Wirklichkeit aufsuchen oder wiedererkennen, von denen in der Schule
gesprochen worden war."
Auf Seite 226 wird vom Besuch eines Gesandten der Stadt Bremen, Johann Smidt, berichtet, der den
Besuch des Bundestags in Frankfurt zum Anlass nahm, auch dem Stiftungsfest der SNG beizuwohnen. Er
hat später berichtet: "Überhaupt hat sich das wissenschaftliche Leben hier sehr vervollkommnet. Die Zahl
der jungen Gelehrten von denen mehrere von Bedeutung zu sein scheinen, hat sich sehr vermehrt, und ein
lobenswerter Wetteifer zur Auszeichnung durch Kunst und Wissenschaft gestaltet sich dadurch - der, wenn
die Wahlverwandtschaften mit dem Frankfurter Reichtum sich, wie es das Ansehen gewinnt, immer mehr
prononzieren, Frankfurt vollends zur Hauptstadt von Deutschland erheben wird. Die Tendenz, die
Wissenschaft weiter zu bringen, habe ich bei diesem Museum viel vorherrschender gefunden wie bei dem
unsrigen. Die Verbindungen und Korrespondenzen mit anderen wissenschaftlichen Instituten der Art,
welche hier sehr lebendig sind, bei uns aber gänzlich zu fehlen scheinen, mögen wohl Ursache davon sein;
denn wo es an Reibung und Wetteifer fehlt, kann die Stagnation nicht ausbleiben."
Im Sinne ihres Namensgebers hat die SNG mit dem Forschungsinstitut und dem Naturmuseum das Ziel
des Stifters auf einer erweiterten naturwissenschaftlicher Ebene und zum Wohle aller fortgesetzt und ist
dabei mit der Zeit gegangen. - Die Vielfalt der Natur zu beschreiben, zu verstehen und zu bewahren ist
man 1817 angetreten. - Die Sammlungen des Hauses sind mittlerweile auf weit über 20 Millionen Objekte
angewachsen. Heute weist Forschung bei Senckenberg deutlich in die Zukunft und greift die
Herausforderungen der Welt des 21. Jahrhunderts auf. Natur-, Arten- und Klimaschutz gehören zur
Zielsetzung und bilden sich im Naturmuseum ab, das auch weiterhin eine bildungsorientierte Ausrichtung
hat und täglich für Schulklassen, Familien und naturwissenschaftlich Interessierte durch eine moderne,
interaktive Präsentation der vielen Exponate nach wie vor eine Schule des Sehens in Sachen Natur ist.
Johann Christian Senckenberg hatte die Vision, einen „Tempel für die
Wissenschaft“ zu bauen und hat sein Ziel zum Wohle aller unbeirrt verfolgt. Am
28. Februar hat sich sein Geburtstag zum 300. Mal gejährt. Die Administration
der Dr. Senckenbergischen Stiftung hat ihren Gründer bei einem großen
Festakt im Römer gewürdigt und den Geburtstag des großen Sohnes der Stadt
Frankfurt zum Anlass genommen, gleich das gesamte Jahr zum SenckenbergJahr zu deklarieren und so das Werk des engagierten Bürgers und Mäzens zu
würdigen.
Für detaillierte Infos zu den einzelnen Institutionen sowie zu dem
umfangreichen kulturellen und wissenschaftlich ausgerichteten Programm, in
das Museum und Museumspädagogik mehrfach eingebunden sind, siehe auch:
www.senckenberg-jahr.de
Citycard – Design: S. Herkner
21