Artikel Die Presse - Ludwig Boltzmann Gesellschaft

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Artikel Die Presse - Ludwig Boltzmann Gesellschaft
24 WISSEN 0
12. JÄNNER 2014
DIEPRESSE.COM
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Blut für eine Fabrik im Berg
Wort der
Woche
BEGRIFFE DER WISSENSCHAFT
Vor exakt 40 Jahren wurde in Wien bewiesen,
dass auch Neutronen Welleneigenschaften
haben. Ein denkwürdiges Ereignis!
VON M A R T I N KU G L E R
E
s geschieht nicht allzu häufig, dass in Wien
globale Forschungsgeschichte geschrieben
wird. Vor genau 40 Jahren passierte das jedenfalls: Am 11. Jänner 1974 registrierte
Wolfgang Treimer, Dissertant beim TUWien-Professor Helmut Rauch am Wiener Atominstitut, ein Interferenzmuster, nachdem ein Neutronenstrahl aus dem Forschungsreaktor durch einen
Siliziumkristall geschickt wurde. Damit wurde weltweit erstmals bewiesen, dass Neutronen nicht nur
Teilchen-, sondern auch Welleneigenschaften haben. Jahrelang waren die Forscher hinter diesem
Phänomen her, das sich aus den Gesetzen der
Quantenphysik ergab. Man hatte unzählige Gedankenexperimente angestellt, aber beobachten konnte man die Welleneigenschaften von so schweren
Teilchen (Neutronen sind 1800-mal schwerer als
Elektronen) bis dahin nicht. Die Entdeckung lieferte der Startschuss für einen ganz neuen Wissenschaftszweig: die experimentelle Quantenphysik.
Stellt sich die Frage, warum diese Entdeckung
ausgerechnet in Wien gemacht wurde? Dazu gibt es
eine nette Geschichte: Der Wiener Triga-Mark-IIForschungsreaktor, der 1962 im Prater eröffnet wurde, lieferte nur eine beschränkte Zahl an Neutronen. Logisch war daher, das Experiment an einer
stärkeren Neutronenquelle zu wiederholen. Also
ging man nach Grenoble: Ein Jahr lang versuchte
man alles – aber es war kein Interferenzmuster zu
sehen. Zurück in Wien war das Phänomen aber
wieder da.
Was war passiert? Man kam darauf, dass niederfrequente Schwingungen das Experiment störten:
Da die Neutronen relativ langsam sind, spielen auch
kleinste Lageveränderungen des Messgeräts eine
große Rolle. Es stellte sich heraus, dass Vibrationen
in Grenoble von starken Kühlpumpen und einer
nahe liegenden Autobahn den Effekt zum Verschwinden brachten. „Beim Atominstitut in Wien
gab es damals zum Glück noch keine Autobahn und
keine U-Bahn, daher waren die Schwingungen in
diesem Frequenzbereich sehr gering“, so Rauch.
Mit diesem Wissen (und einer besseren Dämpfung)
versuchte man es erneut in Grenoble. Mit Erfolg:
Die wissenschaftliche Ehre war wiederhergestellt.
Für die Entwicklung der österreichischen Wissenschaft war das wesentlich. Als Jungforscher war
u. a. Anton Zeilinger an den Neutronenversuchen
beteiligt. Er engagierte sich dann voll in der experimentellen Quantenphysik – heute zählt er gemeinsam mit Kollegen in Wien und Innsbruck zu den
weltweit führenden Forschern in der Quantenoptik.
Man lernt daraus: Erfolg in der Wissenschaft
beruht nicht nur auf exzellenten Köpfen und auf
guten Rahmenbedingungen, sondern auch auf großer Beharrlichkeit – und einer Portion Glück.
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diepresse.com/wortderwoche
ELEMENTE
Prototypenförderung: 15 Uni-Projekte
bekommen Prize-Förderung
Im neuen Prototypenförderungsprogramm Prize – ein
Teil des Programms „Wissenstransferzentren und IPRVerwertung“ des Wissenschafts-, Forschungs- und Wirtschaftsministeriums in Kooperation mit der Austria
Wirtschaftsservice (AWS) – wurden nun die ersten
15 Projekte prämiert: Sie bekommen für die Umsetzung
von Forschungsergebnissen in die Praxis Förderungen
in Höhe von 1,43 Mio. Euro. Spitzenreiter sind die TU
Wien, gefolgt von der Med-Uni Wien und TU Graz.
Im KZ Melk mussten fast 5000 Menschen für den sinnlosen Versuch sterben, die
VON M A R T I N K U G L E R
Waffenproduktion von Steyr-Daimler-Puch zu »verbunkern«.
D
ie Alliierten nannten die Aktion „Big Week“: Am 20. Februar 1944 wurde eine Offensive gegen die deutsche
Flugzeug- und Wälzlagerindustrie gestartet. In einer Woche wurden so viele
Bomben abgeworfen wie seit Beginn
der Angriffe auf die großdeutsche Industrie im Frühsommer 1943. Schon
damals wurde den Machthabern klar,
dass man der Zerstörung der kriegswichtigen Produktion nur durch eine
„Verbunkerung“ entgehen konnte.
Also machte man sich auf die Suche nach geeigneten Standorten. In eilig durchgeführten geologischen Studien konnten nur wenige geeignete
Höhlen gefunden werden – also mussten entweder riesige Betonbunker (teuer!) gebaut oder Stollen in die Berge gegraben werden. Die Großunternehmen
trieben diese Pläne voran – auch die
Steyr-Daimler-Puch AG (SDP), die ab
23. Februar 1944 in das Visier amerikanischer und britischer Bomber geriet.
SDP war gleich nach dem Anschluss
Zumindest 4874 der in das
KZ Melk eingelieferten 14.390
Insassen überlebten nicht.
Österreichs in die Hermann-GöringWerke integriert worden, unter Leitung
des überzeugten Nazi Georg Meindl
wurde das Unternehmen radikal auf
militärisches Gerät umorientiert. Die
Expansion war indes nur durch die
Ausbeutung von Zwangsarbeitern
möglich – als „Arbeitskräftereservoire“
dienten Kriegsgefangene, zwei jüdische Ghettos im polnischen Radom sowie Konzentrationslager, vor allem das
nahe gelegene KZ Mauthausen.
Die Gefangenen wurden – gegen
Zahlung einer „Miete“ an die SS von
täglich vier Reichsmark für einen Hilfsarbeiter und sechs RM für einen Facharbeiter – auch für den Bau der Stollen
herangezogen, nachdem der Standort
für die Verlagerung der SDP-Wälzlagerproduktion festgelegt worden war:
im Wachberg bei Roggendorf (neben
der Westautobahn zwischen Melk und
Loosdorf). Im April 1944 mussten die
Gefangenen auf dem Gelände der Kaserne Melk ein Lager errichten, das
bald eines der größten der 45 Außenlager des KZ Mauthausen wurde.
Was sich in den zwölf Monaten danach ereignet, hat der Zeithistoriker
Bertrand Perz (Uni Wien) bereits in seiner Dissertation erforscht. Als Buch
wurde diese Arbeit 1991 veröffentlicht –
nun erschien das (längst vergriffene)
Werk in aktualisierter Form erneut unter dem Titel „Das Projekt ,Quarz‘“ (583
Seiten, 29,90 Euro, Studien Verlag).
Perz erzählt darin furchtbare Geschichten, die sich hinter der eigens
gegründeten Tarnfirma Quarz GmbH
abspielten: Geschichten von unterernährten und völlig entkräfteten Häftlingen, von grausamen Arbeitsbedin-
gungen (wegen Mangels an Maschinen
wurde fast alles händisch gemacht)
oder von sadistischen Sanitätern. In
Summe wurden in das KZ Melk 14.390
Häftlinge (aus mindestens 26 verschiedenen Ländern) eingewiesen.
Erhalten, aber einsturzgefährdet. Die
Zahl der Todesopfer berechnet Perz
(nach dem Auftauchen des „Verzeichnisses der im Arbeitslager Quarz verstorbenen Häftlinge“, das nach den
Kriegsverbrecherprozessen irrtümlich
in Washington falsch archiviert wurde)
auf 4874. Wie viele der 5893 bei Kriegsende unter menschenunwürdigen Bedingungen nach Ebensee „umquartierten“ Häftlinge dann noch starben, ist
unbekannt. Heute ist vom KZ Melk
(abgesehen von der Bundesheerkaserne) nur mehr das Krematoriumsgebäude zu sehen, in dem sich seit 1992
eine Gedenkausstellung befindet. Die
Studien Verlag
Stollen sind zwar größtenteils erhalten,
aber wegen Einsturzgefahr mit einem
Betretungsverbot belegt – daher fehlen
Bilder von Quarz auch in dem kürzlich
erschienenen großartigen Buch „Unterirdisches Österreich“ (Robert Bouchal, Johannes Sachslehner, 240 Seiten,
24,99 Euro, Styria Premium), wohingegen den Stollen in Ebensee (Tarnname
Zement) und Gusen (Bergkristall) breiter Raum eingeräumt wird.
Das unsägliche Leid und die tausenden Todesopfer waren in jeglicher
Hinsicht sinnlos: Nur ein kleiner Teil
der Melker Stollen wurde „rechtzeitig“
fertig, und überhaupt habe sich die
Verbunkerung als „untaugliches Mittel
zur Verhinderung der militärischen
Niederlage“ erwiesen, so Perz. Allerdings: Durch die Verlagerung blieb ein
großer Teil der Anlagen über den Krieg
hinweg erhalten – und ermöglichte dadurch das Wirtschaftswunder mit.
LEXIKON
DAS KZ MAUTHAUSEN UND SEINE
VIELEN AUSSENLAGER – AUCH IN WIEN
Im KZ Standardwerk „Der Ort des Terrors“ (Band 4) sind insgesamt 45 Außenlager
des Konzentrationslagers Mauthausen angeführt. Darunter finden sich nicht nur die
auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannten Lager in Ebensee oder Gusen, sondern
auch sechs Lager im Wiener Raum. Ihren Ursprung haben die meisten von ihnen in
der Flugzeugindustrie, die sich im Laufe des Kriegs verstärkt in dem eine Zeit lang
von Bombardements verschonten Wien ansiedelte – etwa die Flugmotorenwerke
Ostmark (in Wr. Neudorf) oder der deutsche Flugzeughersteller Ernst Heinkel AG
(in Schwechat, Wien Floridsdorf und Mödling-Hinterbrühl).
Olympia im Kalten Krieg: Die
politische Bedeutung von Sport
In Zeiten des Kalten Krieges waren Olympische Spiele
stets auch von der Weltpolitik beeinflusst – etwa durch
Absagen ganzer Nationen. Thematisiert wird das am
kommenden Mittwoch (15. 1., 10–18 Uhr) bei einem Kolloquium des Clusters Geschichte der Ludwig Boltzmann
Gesellschaft im Wintersportmuseum Mürzzuschlag. Tags
darauf diskutieren die Historiker mit Reportern und
Sportlern in Graz über das Milliardengeschäft Olympia
(16. 1., 19 Uhr, Aula der Uni Graz, Universitätsplatz 3).
Steyr-Daimler-Puch wurde ab 1938 zu einer Großmacht in der Nazi-Maschinerie.
Lageplan von Quarz, erstellt vom Wiener
Ingenieurbüro K. Fiebinger. www.quarz-roggendorf.at
Der Mangel an Arbeitskräften brachte die Unternehmen dazu, von der SS Zwangsarbeiter aus den Konzentrationslagern zu „mieten“. In Folge wurden KZ-Außenlager
gebaut – die heute fast vergessen sind. Im Heikel-Werk Schwechat-Heidfeld z. B.
waren im März 1944 von 11.875 Beschäftigten 2194 KZ-Gefangene. Eine tiefer gehende
Erforschung ist laut dem Zeithistoriker Roman Fröhlich „nach wie vor ein Desiderat“.