Gewinnen oder Verlieren (Von den anvertrauten Geldern)

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Gewinnen oder Verlieren (Von den anvertrauten Geldern)
Gt 08020 / p. 254 / 28.9.2007
Gewinnen oder Verlieren
(Von den anvertrauten Geldern)
Q 19,12 f.15-24.26 (Mk 13,34 / Mt 25,14-30 / Lk 19,12-27)
(12) Ein Mensch, der auf Reisen ging, (13) rief zehn seiner Sklaven, gab
ihnen zehn Minen und sagte ihnen: »Macht Geschäfte damit, bis ich komme.« (15) Nach langer Zeit kommt der Herr jener Sklaven und hält Abrechnung mit ihnen. (16) Der Erste kam und sagte: »Herr, deine Mine hat zehn
Minen hinzugewonnen.« (17) Und er sagte zu ihm: »Schön, guter Sklave,
mit wenig warst du zuverlässig, über viel werde ich dich einsetzen.« (18) Der
Zweite kam und sagte: »Deine Mine hat fünf Minen verdient.« (19) Er sagte
zu ihm: »Schön, guter Sklave, mit wenig warst du zuverlässig, über viel werde ich dich einsetzen.« (20) Da kam der Dritte und sagte: (21) »Ich weiß,
dass du ein harter Mensch bist, erntest, wo du nicht gesät hast, und einsammelst, wo du nicht ausgestreut hast. Aus Furcht bin ich gegangen und habe
deine Mine in der Erde verborgen. Hier, da hast du, was dir gehört.« (22) Er
sagt zu ihm: »Du böser Sklave! Du wusstest, dass ich ernte, wo ich nicht gesät
habe, und einsammle, wo ich nicht ausgestreut habe? (23) Du hättest mein
Geld also zur Bank bringen müssen und ich hätte, als ich kam, was mir gehört, mit Zinsen zurückerhalten. (24) Nehmt ihm also die Mine weg und
gebt sie dem, der die zehn Minen hat. (26) Denn jedem, der hat, wird gegeben werden, dem aber, der nicht hat, dem wird auch das, was er hat, weggenommen werden.«
Sprachlich-narrative Analyse (Bildlichkeit)
Die Parabel zeichnet in knappen Strichen eine kleine Geschichte, in der viel geredet wird.
Die Dialoge sind – mit einer bezeichnenden Ausnahme – jeweils kurz gehalten, nehmen
insgesamt in der Parabel aber einen großen Raum ein. Das Besprechen des Geschehenen,
das Erklären und Kommentieren der Ereignisse hat einen hohen Stellenwert. Die story
der Parabel wird über die Zeitangabe in V. 15 in zwei Szenen unterteilt, wobei die erzählerische Aufmerksamkeit vor allem der zweiten Szene gilt. Zwischen den Szenen vergeht
in der erzählten Welt Zeit. Die Ereignisse dieses Zeitraums sind für die Geschichte zentral, werden vom Erzähler aber zunächst ausgeblendet. Erst die wörtliche Rede der
Schlussszene holt im Rückblick herein, was in dieser Zeit geschehen ist, um es zu kommentieren und zu bewerten.
Der erste Teil (V. 12 f.) benennt in denkbarer Kürze die notwendigen Voraussetzungen, um das Geschehen in Gang zu bringen: Ein Herr und zehn seiner Sklaven treten
auf. Ein Auftrag wird erteilt, der in Abwesenheit des Herrn zu erfüllen ist. Von vornherein
wird klargestellt, dass die Abwesenheit des Herrn befristet ist. Der Auftrag gilt »bis ich
komme«. Weil der Erzähler darüber schweigt, wie die Sklaven ihren Auftrag erfüllen, liegt
die ganze Aufmerksamkeit und Erwartung nun auf der zweiten Szene.
Sie setzt ein, als der Herr, wie angekündigt, zurückgekehrt ist. Drei der Sklaven –
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die übrigen bleiben ausgeblendet – treten einzeln vor ihn hin, um Rechenschaft über ihr
Tun während seiner Abwesenheit zu geben (V. 15 ff.). Der Herr interagiert mit den einzelnen Sklaven. Die Sklaven stehen nebeneinander, sie haben jedoch nie miteinander zu
tun (anders z. B. Mt 18,23-35). Die Grundperspektive ist: Der Einzelne steht vor seinem
Herrn. Allerdings können und sollen die Sklaven im Sinne der Erzähldramatik sehr wohl
miteinander verglichen werden. Zu Anfang sind sie eine Gruppe, in der jeder die gleiche
Aufgabe anvertraut bekommt. Im Weiteren aber, als sie einzeln vortreten und vor ihrem
Herrn Rechenschaft ablegen, erreicht der Erzähler eine Gegenüberstellung.
Die ersten beiden haben mit unterschiedlichem Erfolg Gewinne erwirtschaftet.
Der Herr lobt sie – trotz des Unterschieds – mit den gleichen Worten (V. 17 und 19).
Sie waren treu und zuverlässig. Ihnen soll offenbar ein größeres Vermögen zur Verwaltung anvertraut werden. Dann gibt auch der dritte Sklave seinen Rechenschaftsbericht ab
– sehr wortreich im Vergleich mit den beiden anderen (V. 20-21). Er redet zunächst nicht
wie sie vom Geld. Er redet von seinem Herrn und von der Furcht, die dieser bei ihm
hervorruft. Aus dieser Furcht heraus hat er das Geld vergraben und gibt es dem Herrn
nun zurück. Er nennt seinen Herrn einen »harten Menschen«, der erntet, wo er nicht
gesät, und der sammelt, wo er nicht ausgestreut hat. »Hart« (sklhrƒ@ sklēros) assoziiert
Attribute wie unbarmherzig, hartherzig; die Bilder vom Ernten und Sammeln sind leicht
auf finanzielles Gebaren zu übertragen und lassen an Gewinnstreben, vielleicht an ungerechte oder ausbeuterische Gewinne denken (Belege bei Luz 1997, 501). Die Furcht des
Sklaven ist offenbar Angst vor dem Verlust des Geldes. Er hat es möglichst sicher verwahrt und gibt dem Herrn sein Eigentum ohne Verluste zurück.
Wie ist das Verhalten zu beurteilen? Joachim Jeremias etwa geht ohne weiteres
davon aus, es handle sich um eine faule Ausrede (11 1998, 58). Vom narrativen Standpunkt aus scheint diese Sicht nicht zwingend. Der Sklave, der hier redet, ist der Abhängige, Untergeordnete; er ist seinem Herrn und dessen Macht ausgeliefert. Die Furcht, die
er anführt, appelliert an das Mitgefühl. Anhaltspunkte, an seinen Worten zu zweifeln,
gibt es nicht, auch wenn sich die angeführten Gründe einer Überprüfung entziehen.
Wenn die Leserinnen und Leser keine Voreinstellungen mitbringen, die sie den Sklaven
anders sehen lassen – weil sie zum Beispiel im Herrn von vornherein Gott oder Christus
erkennen und der Sklave deshalb im Unrecht sein muss –, dann dürften sie sich aufgrund
des erzählerischen Arrangements im Geiste zunächst an die Seite des Sklaven stellen (vgl.
Riniker 1999, 241 f.). Allerdings hat er sich gegen die Anweisung seines Herrn gestellt,
mit dem Geld Handel zu treiben (V. 13). Und seine Worte enthalten eine gehörige Portion Kritik. Sie sind frech – gerade wenn man die »Härte« des angeredeten Herrn in Rechnung stellt.
Alles kommt auf die Reaktion des Herrn an. Der schilt den Sklaven, nennt ihn
»böse« (ponhrƒ@ ponēros). Er ist ganz und gar nicht einverstanden mit seinem Handeln.
Der Herr scheint die Wahrnehmung seines Sklaven zu bestätigen, wiederholt dessen
Worte: Er erntet, wo er nicht gesät hat; er sammelt ein, wo er nicht ausgestreut hat
(V. 22). Viele Ausleger verstehen seine Worte als Ironisierung, die die Richtigkeit der
Einschätzung in Frage stellt oder zumindest in der Schwebe hält (z. B. Harnisch 4 2001,
39; Luz 1997, 502). Andere sehen in ihnen eine Bestätigung: Der Sklave schätzt seinen
Herrn richtig ein (Kähler 1995, 173). Jedenfalls nimmt der Herr seinen Sklaven beim
Wort, behaftet ihn bei seiner eigenen Aussage (vgl. Lk 19,22). Selbst seine Furcht vorausgesetzt hätte er mehr erreichen können und müssen, lautet der Vorwurf. Er hätte das
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Parabeln in der Logienquelle Q
Geld zur Bank bringen sollen (V. 23a). Dort wäre es, so die unausgesprochene Voraussetzung, ebenso sicher gewesen, aber es hätte wenigstens Zinsen erbracht (V. 23b).
Die Worte des Herrn rücken das Handeln des dritten Sklaven in ein völlig anderes
Licht (vgl. Riniker 1999, 242 f.). Was zuvor als plausible und vorsichtige Vorgehensweise
erschien, ist mit einem Mal absurd. Die Worte des Herrn eröffnen mit dem Gedanken,
das Geld zur Bank zu tragen, eine Möglichkeit, die absolut naheliegend zu sein scheint,
aber überhaupt nicht im Blick war. Die Logik des Sklaven war die des Bewahrens und
Nicht-Verlieren-Wollens. In ihrem Rahmen erschien es gut, das Geld zu vergraben und
unbeschadet zurückzugeben. Die Logik des Herrn dagegen ist vom Gewinn bestimmt.
Von diesem Standpunkt aus ist das Vergraben eine schlechte Lösung, der wesentlich bessere Alternativen gegenüberstehen. Das hätte der Sklave wissen und berücksichtigen
müssen, kannte er seinen Herrn doch nach seinen eigenen Worten als einen geldgierigen,
gewinnorientierten Menschen.
An die Kritik schließen sich Anweisungen für »Sanktionen« an (V. 24). Die anvertraute Mine soll dem Sklaven genommen und dem ersten, dem erfolgreichsten Sklaven
übergeben werden. Auch diese »Strafe« ist von der Logik des Gewinns bestimmt, erscheint überhaupt erst im Rahmen eines wirtschaftlichen Denkens als Strafe (vgl. Kähler
1995, 180). Vom Standpunkt des dritten Sklaven aus wird er nur von einer ungeliebten
Last befreit. Aus Sicht des Geschäftmanns dagegen wird dem Sklaven jede Möglichkeit
genommen weiter zu wirtschaften.
Die Anweisung für die Sanktion wird durch eine Sentenz begründet (V. 26). Der
Grundgedanke des Satzes ist auch sonst als Sprichwort bekannt und begegnet in sehr
ähnlicher Formulierung z. B. in Mk 4,25parr. Diese Beobachtungen geben Anlass für die
Annahme, der Spruch sei der Parabel nachträglich als Deutehilfe hinzugefügt worden
(Luz 1997, 497; Lambrecht 1998, 230 f. u. a.; anders Weder 4 1990, 199 f.). Die Frage soll
hier außen vor bleiben. Der Satz formuliert eine Erfahrung, die man etwa im wirtschaftlichen Kontext machen kann (›Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer
ärmer‹), die im biblischen Traditionsraum aber auch für das Verstehen des Tun-ErgehenZusammenhangs und des Gerichtshandelns Gottes herangezogen wurde (Spr 11,24;
15,6; 4Esr 7,25). Er unterstreicht, dass der Herr Recht hat, indem er auf Erfahrungswissen rekurriert, das auch sonst allgemein bekannt ist.
Zusammengefasst: Die Parabel präsentiert eine story, deren Geschehen in drei
Schritten abläuft: Auftrag – Ausführung – Rechenschaft. Die Rechenschaftsszene mit
den Gesprächen zwischen dem Herrn und den einzelnen Sklaven nimmt breiten Raum
ein. Nicht die Ereignisse an sich stehen im Vordergrund; Einzelheiten werden kaum erzählt. Vielmehr gilt ihrer kontroversen Bewertung das erzählerische Augenmerk. Auf der
einen Seite steht – mit erzählerischen Mitteln in den Vordergrund gerückt – der dritte
Sklave, der das Geld wohlbehalten, aber ohne jeden Gewinn zurückgibt und in einer
kleinen Rede sein Vorgehen begründet. Sein Denken scheint von Angst vor dem Herrn
und vor einem möglichen Verlust des Geldes bestimmt zu sein. Sein Handeln geht auf das
Sichern und Bewahren aus. Er wirbt mit der Darstellung seiner Furcht und mit der indirekten Kritik am Herrn um das Verständnis der Leserinnen und Leser der Parabel. Der
Herr verkörpert die Gegenposition. Er denkt konsequent und einseitig an Gewinn und
bewertet das Verhalten des Sklaven ganz anders als dieser selbst. Es erscheint aus seiner
Perspektive absurd. Auch seine Sicht wird in der Parabel stark gemacht, ist sogar die
bestimmende. Handel zu treiben und Gewinn zu machen, war von Anfang an der Auf242
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trag des Herrn an die ihm Untergebenen. Die ersten beiden Sklaven haben ihn kommentarlos und erfolgreich erfüllt und erhalten Lob dafür. Der Gang zur Bank bietet eine
plausible, geradezu zwingende Alternative zum Vergraben des Geldes, die der Forderung
nach Gewinn nachkommt. Die Sanktion des Herrn gegen den dritten Sklaven ist der
erzählerische Schlusspunkt und wird durch die abschließende Sentenz in ihrem Recht
unterstrichen.
So sind die Adressaten der Parabel am Ende mit der Entscheidung zwischen zwei
konkurrierenden Perspektiven konfrontiert. Der Sichtweise des Herrn kommt in der Dynamik der Erzählung hohe Überzeugungskraft zu. Allerdings wird sie auch unterlaufen:
durch das Mitgefühl für den dritten Sklaven und durch die rücksichtslose Geldgier des
Herrn, die ihn als eine unsympathische oder zumindest fragwürdige Figur erscheinen
lässt (vgl. V. 21 f.).
Zum Schluss sei ein kurzer Blick auf den Q-Kontext der Parabel geworfen. Sie gehört zu
den letzten Texten der Redenquelle. Voraus gehen ihr Aussagen über das (Wieder)Kommen des Menschensohnes, die Parusie (Q 17,23 f.37.26 f.28 f.30.34 f.). Es folgt nur noch
die Ankündigung Jesu an die, die ihm nachfolgen, sie würden über Israel zu Gericht
sitzen (Q 22,28.30). Der unmittelbare sprachliche Anschluss an den Kontext ist nicht
mehr erkennbar. Stichwortbrücken oder Ähnliches gibt es nicht. Der Kontext bringt vor
allem zwei thematische Perspektiven ein: die Parusie und das endzeitliche Gericht. Beide
lassen sich vor dem Hintergrund traditioneller Motive mit erzählerischen Elementen der
Parabel verknüpfen, wie zu zeigen sein wird: mit der Abwesenheit des Herrn und mit
dem Rechenschaftablegen.
Sozialgeschichtliche Analyse (Bildspendender Bereich)
Die Parabel spielt in der Welt der Finanzen. Ein Herr vertraut während seiner Abwesenheit seinen Sklaven Geld an. Gemeint ist wohl keine Schenkung und kein Handel mit
fremdem Kapital, aus dem der Handelnde eigene Gewinne zieht, sondern ein Verwalten
des Geldes im Auftrag des Herrn, das dessen Eigentum bleibt und dem die Gewinne
gehören. Dafür spricht die Rechenschaftsszene (vgl. Luz 1997, 500; anders Derrett 1965).
Weitere Parabeln Jesu setzen ähnliche Szenerien voraus, in denen Sklaven im Auftrag
eines Herrn dessen Besitz verwalten (Mk 13,34; Lk 12,42-46 par. Mt 24,45-51; Mt
18,23-35; vgl. Lk 16,1-8; Mk 12,1-9parr.). Auch aus anderen antiken Quellen ist bekannt,
dass Sklaven für Besitztümer oder Vermögen ihrer Herren Verantwortung übertragen
wird (Gen 39,4; eine interessante Parallele zum Gleichnis bietet die Biografie des späteren
römischen Bischofs Calixtus I., siehe dazu Hipp. haer. 9,12 [deutsch: BKV I/40]). Dass
ein Verlust des Geldes Grund zum Fürchten war, illustriert zum Beispiel Mt 18,23-35
(siehe dort die Hinweise zum sozialgeschichtlichen Hintergrund).
Den Sklaven wird nach dem rekonstruierten Q-Text (wie bei Lukas) je eine »Mine«
(mn” mna) gegeben. Matthäus redet in seiner Version von einem, zwei und fünf »Talenten« (t€lanton talanton), die den Sklaven anvertraut werden. Für das Verständnis der
Parabel ist ein Eindruck vom Wert der hier mit den Währungen Mine bzw. Talent angegebenen Summen nicht unwichtig (zum Folgenden Reiser 2000):
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Parabeln in der Logienquelle Q
Talent und Mine sind – ebenso wie die Drachme – Größen des griechischen Münzsystems und hängen in ihrer Größe wie folgt zusammen:
1 Mine = 100 Drachmen
1 Talent = 60 Minen = 6000 Drachmen
Eigentlich sind Talent und Mine Gewichtsangaben; sie wurden aber auch zur Bezeichnung von Geldmengen verwendet. Münzen mit diesen Einheiten gab es nicht. Geläufiger als das griechische ist im Neuen Testament das römische Münzsystem, in das der
Denar (dhn€rion dēnarion) hineingehört, die im NT am häufigsten erwähnte Münze.
Unter Kaiser August und in der Folgezeit ist es zu einer Angleichung der Münzsysteme
gekommen, so dass ein Denar einer Drachme entsprach.
Der Denar ist geeignet, einen Eindruck von den Größenordnungen zu bekommen.
Ein Denar war im 1./2. Jh. n. Chr. nach dem Neuen Testament (Mt 20,1-15) wie nach
rabbinischen Quellen etwa der Tageslohn eines ungelernten Arbeiters in Palästina. Als
Existenzminimum für eine Familie nennt die Mischnah 200 Denare Jahreseinkommen
(mPea 8,8); nach anderen Berechnungen brauchte ein Mensch 31 Denare pro Jahr zum
Überleben. Eine Mine, wie sie den Sklaven in der Parabel anvertraut wird, ist also immerhin das halbe Jahreseinkommen einer Familie, die in einfachen Verhältnissen lebt, und
aus ihrer Sicht, sollte sie etwa dafür haften müssen, eine drückende Last. Die Mine entspricht aber auch »nur« knapp dem Wert eines Esels (mBQ 10,4) oder Rindes (mMen
13,8; mBQ 3,9), die doch einige Menschen besaßen (vgl. Mk 11,1 ff.; Lk 13,15). So
scheint es nicht unangemessen, wenn der Herr in der Parabel von »wenigem« spricht
(V. 17.19). Die bei Matthäus genannten Summen sind dagegen ein für die weite Mehrheit
der Bevölkerung absolut unerschwingliches Vermögen.
Immer wieder zum Gegenstand sozialgeschichtlicher Überlegungen werden auch
die Gewinne, von denen in der Abrechnungsszene die Rede ist. Die Parabel nennt fast
keine Details; entsprechend unsicher sind alle Überlegungen. Die beiden ersten Sklaven
gewinnen das Zehn- bzw. das Fünffache zu ihrem Kapital hinzu. Der erste Eindruck ist:
ein enormer Gewinn. (Bei Matthäus, der die großen Summen hat, wird das Kapital »nur«
verdoppelt.) Der Eindruck wird durch antike Quellen bestätigt. Zwar berichtet zum Beispiel Flavius Josephus über Johannes von Gischala, der mit einem – betrügerischen (!) –
Ölgeschäft einen acht- bis zehnfachen Profit macht, doch auch er nennt dies einen Riesengewinn (Flav. Jos. Bell. 2,591 f.; Vita 74-76). Bei Kapitalerträgen aus Geldverleih waren pro Jahr Erträge zwischen 10 % und 60 % möglich und im Bereich unter 15 % üblich
(Kähler 1995, 170; Luz 1997, 500 Anm. 44). Für eine realistische Einschätzung müsste
natürlich auch der Zeitraum bekannt sein, über den hin die Gewinne gemacht wurden
(Monate, Jahre, Jahrzehnte?). Die Parabel sagt dazu wenig (V. 15: »nach langer Zeit«).
Gerade die sparsamen Auskünfte in den Details lassen vor überzogenen Interpretationen
gewarnt sein. Der Erzähler will (sehr) erfolgreiches Wirtschaften der ersten beiden Sklaven aussagen. Dass mit den hohen Gewinnen zum Beispiel zugleich auch ein rücksichtsloses Geschäftsgebaren zum Ausdruck gebracht sein soll (so z. B. Riniker 1999, 240 f.), ist
dem Text nicht klar zu entnehmen. Dazu wird zu wenig erzählerisches Gewicht auf die
Aktivitäten der ersten beiden Sklaven gelegt.
Der dritte Sklave hat das Geld vergraben. Er handelt dem Auftrag des Herrn zuwider, mit dem Geld zu wirtschaften. Nach den Maßstäben rabbinischer Quellen muss
sein Vorgehen aber immerhin als ein sorgfältiges Aufbewahren gelten (vgl. bBM 42a).
Der Herr verweist ihn an die trapezffltai (trapezitai), die »Wechsler« oder »Bankiers«.
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Das Bankwesen hatte damals drei Aufgaben (vgl. P. Herz 2005, 196 f.): (1) Geld verschiedener Währungen oder verschiedener Größen – gegen Gebühren – umzutauschen oder
zu wechseln. (2) Geld überregional zu transferieren. (3) Geld zu verleihen. Die Parabel
denkt vermutlich an das Letztgenannte. Von den auf diesem Wege zu erzielenden Gewinnen war schon die Rede. Sie liegen deutlich unter dem, was die ersten beiden Sklaven
erwirtschaftet haben.
Zu bemerken ist noch, dass auch in neutestamentlicher Zeit im Judentum wahrscheinlich ein Zinsverbot herrschte (für das AT: Dtn 23,20 f.; vgl. Ex 22,24; dazu Kegler
1992) und das Zinswesen hier, aber auch vielfach in der paganen Welt nicht gut angesehen war. Auch im Christentum wirkt das jüdische Zinsverbot lange nach. So wirft die
Empfehlung, zu den Bankiers zu gehen und Zinsen zu kassieren, auch ein Licht auf den
Herrn selbst. Darf man bei den Leserinnen und Lesern die skizzierten Wertmaßstäbe voraussetzen, dann wird der – bildlich formulierte – Vorwurf des dritten Sklaven, sein Herr
sei geldgierig und mache fragwürdige Gewinne, noch einmal bestätigt (vgl. Kähler 1995,
170-179). Wahrscheinlich erscheint er ihnen auch als ein Heide (vgl. Luz 1997, 502).
Analyse des Bedeutungshintergrunds (Bildfeldtradition)
Herr und Sklaven: Die Parabel ist eine von vielen über einen Herrn und seine(n) Sklaven,
wie sie zahlreich nicht nur von Jesus, sondern auch sonst in der frühjüdischen Überlieferung erzählt werden (vgl. Weiser 1971). Im biblischen Traditionsraum gibt es eine geprägte metaphorische Rede von Sklaven/Knechten Gottes. Sie beschreibt den Menschen
vor Gott. Ganz Israel, aber auch speziell der demütige Fromme, die Propheten oder große
Gestalten der Geschichte Israels, vor allem Mose, gelten als »Knechte Gottes« (Belege bei
Weiser 1971, 22-27; Münch 2004, 202). Für die frühjüdischen wie die jesuanischen Sklaven-Parabeln ist eine Anspielung auf diese feste Metaphorik aber nicht in allen Fällen
anzunehmen. Vielmehr gilt: »Die Intention des Gleichniserzählers und der konkrete Verlauf des Geschehens oder auch eine bestimmte Typisierung innerhalb der Bildhälfte des
Gleichnisses lassen erst allmählich und im Verlauf der Gleichnisrede selbst den Hörer
erkennen, um welche Art ›Knecht‹ es sich in ihm handelt, ja ob dem Begriff Knecht für
das rechte und vom Erzähler intendierte Verständnis des Gleichnisses überhaupt eine
Rolle zukommt.« (Weiser 1971, 41, vgl. 273).
Bei Parabeln im Kontext der Evangelien besteht eine starke Tendenz, in auftretenden »Herren« Gott oder den auferstandenen und erhöhten Christus zu entdecken. Ähnliches gilt für andere Autoritätsfiguren wie Grundbesitzer, Hausherrn oder Könige (vgl.
Münch 2004, 197-201). In analoger Weise steht in rabbinischen Parabeln der König regelmäßig für Gott. Auch außerhalb der Gleichnisrede werden Gott und – im Neuen Testament – Christus häufig als kÐrio@ (kyrios – Herr) angeredet und bezeichnet. Die Assoziation liegt also – gerade im Zusammenhang mit einer Herr-Sklave-Beziehung – nahe.
Die vorliegende Parabel lässt aber auch vor allzu eindeutigen Identifikationen gewarnt
sein. Das erzählerische Arrangement und die sozialgeschichtlichen Überlegungen zur
Zinsfrage lassen den Herrn der Parabel keineswegs als eine uneingeschränkt positive Figur erscheinen, die ohne weiteres an Gott oder Christus denken lässt. Womöglich führt
die Assoziation in die Irre (so Jülicher II 2 1910, 480; Kähler 1995, 181) oder es liegt eine
kühne Metaphorik vor.
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Parabeln in der Logienquelle Q
Rechenschaft ablegen: In der Parabel geht es um das Verwalten von Geld und Besitz.
In der matthäischen Variante ist von »Talenten« die Rede. Auch wenn man weiß, dass mit
diesem Begriff eine Geldmenge gemeint ist (s. o.), provoziert er im Deutschen natürlich
metaphorische Deutungen. Wie tragfähig sind sie? Die grundlegende Konstellation – Besitz ist anvertraut worden, über den nach einer Zeit Rechenschaft abzulegen ist – hat das
Gleichnis mit anderen jesuanischen Parabeln gemein (Mk 12,1-9 parr.; Mt 18,23-35; Mt
24,45-51; Lk 12,35-48; 16,1-8; vgl. Mk 13,34-37). Parallelen finden sich auch in rabbinischen Parabeln (Texte bei Erlemann 1988, 216 f.; weitere Beispiele nennt Luz 1997,
497 f. Anm. 30-33). Es geht im vorliegenden Text allerdings nicht um Schulden – ein
metaphorisch stark besetztes Bild (siehe zu Mt 18,23-35; Lk 16,1-8). Zentral ist die Rechenschaft über anvertrautes Gut. Auch diese weckt im biblischen Traditionsraum allerdings Assoziationen. Dass Gott Rechenschaft von Sündern verlangt, ist ein dem Alten
Testament vertrauter Gedanke (Dtn 18,19; Hi 10,6; Ps 10,4.13; 2Chr 24,22). Er weitet
sich aus. Das Neue Testament und die rabbinische Literatur können von einer Rechenschaft oder einer Abrechnung im Gericht Gottes reden, der prinzipiell alle unterliegen
(Mt 12,36 [vgl. 25,31-46]; Röm 14,12; Phil 4,17; Hebr 13,17; 1Petr 4,5 bzw. mAv 3,1;
4,29; vgl. auch Reiser 1990, 118-120.291 f.).
Dass dem Rechenschaftfordern ein Anvertrauen vorausgegangen ist, wird in diesen
Texten oft nicht gesagt. Aber auch wenn das Anvertrauen thematisiert wird, sind unterschiedliche Dinge gemeint; ein spezifisches anvertrautes Gut zeichnet sich nicht ab. In
rabbinischen Parabeln kann das Anvertraute für die Tora stehen (SES 53). Es bleibt aber
auch durchaus ungedeutet; dann steht das geschilderte Verhalten der Personen, denen
etwas anvertraut wurde, im Vordergrund und illustriert zum Beispiel das Handeln der
Sünder (Sem 3,3) oder die Liebe zu Gott (Jalq 267a).
Auch in den neutestamentlichen Parabeln werden Rechenschaftsszenen oft auf das
göttliche oder endzeitliche Gericht gedeutet. Das belegen interpretierende Verse (Mt
18,35; 21,43 f.; Lk 16,9; 20,18) oder der Kontext (so bei den Parabeln in den Endzeitreden Mk 13 und Mt 24 f.). Und auch hier ist eine regelmäßige oder konsistente metaphorische Deutung des anvertrauten Gutes nicht ersichtlich.
Abwesenheit des Herrn: Sehr häufig halten die Parabeln, die von einer Abrechnungsszene erzählen, fest, dass der Rechenschaft fordernde Herr zuvor abwesend war.
Das erklärt sich zunächst leicht aus erzählerischen Gründen. Die Abwesenheit des Herrn
eröffnet den Raum zu verantwortlichem, rechenschaftspflichtigem Handeln. Speziell im
christlichen Kontext kommt ein Weiteres hinzu: Der abwesende Herr lässt an den auferstandenen Jesus denken, auf dessen Wiederkunft (Parusie) die Christen warten. Die
entsprechenden Parabeln zeigen in den Evangelien sehr regelmäßig dieses Deutungsmuster (vgl. Jeremias 11 1998, 45-60), wenn nicht andere Faktoren es unmöglich machen
(wie im Fall der Winzerparabel, wo Christus im Sohn des abwesenden Herrn erkannt
wird). Sie werden in den Kontext der Reden über die Parusie des Menschensohnes hineingestellt (vgl. Mk 13,34-37; Mt 24,45-51; 25,14-30; vgl. Mt 25,1-13) oder mit entsprechenden Deutehinweisen versehen (Lk 12,35-48, hier V. 40 f.; Lk 19,11-27, hier
V. 11). Auch der Q-Kontext der Parabel vom anvertrauten Geld weist in dieselbe Richtung (Q 17,24.26.30).
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Gewinnen oder Verlieren Q 19,12 f.15-24.26
Zusammenfassende Auslegung (Deutungshorizonte)
Ein vorbildlicher Wucherer?
Die narrative Analyse der Parabel hat gezeigt, wie die Erzählung ihre Adressaten mit der
Entscheidung zwischen zwei Positionen konfrontiert, wobei aus Sicht der Erzählung eine
starke, allerdings nicht ungebrochene Tendenz besteht, dem Herrn und seiner Beurteilung des Geschehens den Vorzug zu geben. Durch die Ergebnisse der weiteren Analysen
wird das Entscheidungsproblem zugespitzt. Stellt man die Parabel in die Bildfeldtraditionen der biblischen Überlieferung hinein, so kann die Figurenkonstellation auf das
Leben der Menschen vor Gott und die Rechenschaftsszene auf das göttliche Gericht bezogen werden. Setzt man von dieser Metaphorik ausgehend den Herrn mehr oder weniger mit Gott gleich, dann ist keine Frage, dass er im Recht sein muss. Der Q-Kontext der
Parabel redet von der Parusie des Menschensohnes, so dass im Zusammenhang der Redenquelle eine Identifikation Jesu mit dem Herrn nahe liegt. Auch im Q-Kontext scheint
deshalb die Entscheidung klar zu sein: Es ist dem Herrn zuzustimmen. Entgegen steht
dem die sozialgeschichtliche Analyse. Sie verstärkt den Eindruck, dass der Herr und sein
Wirtschaftsgebaren höchst fragwürdig sind. Von ihr her scheint es etlichen Auslegern
sehr schwer oder unmöglich, den Herrn in die Nähe Gottes oder des Menschensohnes
zu rücken, wie es die Bildfelder und der Kontext tun.
Eine mögliche Option besteht darin, den dritten Sklaven uneingeschränkt im
Recht zu sehen. Der Versuch, die Position des Herrn für maßgeblich zu halten und in
ihm (Gott oder) den Menschensohn zu erkennen, wird dann als unzutreffende Allegorie
zurückgewiesen (vgl. z. B. Füssel 2003; L. Schottroff 2005, 239-246.292-294). Diese Interpretation ist allerdings sehr einseitig. Selbst wenn angenommen wird, die Bildfeldtraditionen seien nicht relevant und führten zu einer falschen allegorischen Deutung, hat sie
viele Textsignale gegen sich, nicht nur in den jeweiligen Kontexten der Parabel in der
Redenquelle, dem Matthäus- und dem Lukasevangelium, sondern auch in der Erzählung
selbst. Entsprechend anfechtbar ist sie. Letztlich ist zum Beispiel bei Luise Schottroff auch
gar nicht die Textanalyse Ausgangspunkt der Interpretation, sondern ein theologisches
Vorurteil, das raffgierige, reiche Grundbesitzer und Sklavenhalter und die Not ihrer ausgebeuteten und misshandelten Sklaven nicht mit Gott zusammenzubringen vermag (vgl.
a. a. O., 13.225.292). Man könnte dies leicht als methodisch fragwürdig abtun. Doch legt
Schottroff – unbeschadet aller notwendigen Kritik an ihrer Methodik – den Finger in
eine Wunde, die viele moderne Leserinnen und Leser der Parabel schmerzhaft empfinden: Kann diese Geschichte wirklich etwas über Gott oder den wiederkommenden Christus lehren? Ist sie nicht viel zu zweideutig, viel zu anfällig, auch für die Rechtfertigung
von Ausbeutung und Unterdrückung missbraucht zu werden, wie es etwa Berthold
Brecht in seinem »Dreigroschenroman« anprangert? (Vgl. die Hinweise bei Luz 1997,
498 f.505; ganz anders Erlemann 1988, 215-221; zum Problem auch Heiligenthal 2000,
81-84.90 f.)
Eine Interpretation der Parabel muss ernst nehmen, dass der Erzähler das Urteil
des Herrn über seinen Sklaven stark macht. Es fügt sich in den Gang der Erzählung sehr
gut ein und hat in ihrem Zusammenhang einen hohen Grad an Plausibilität (vgl. Kloppenborg 1995, 298). Aber der Herr ist keine freundliche, entgegenkommende Figur wie
der Vater in der Parabel vom verlorenen Sohn (Lk 15,11-32); die Parabel wirbt nicht für
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Parabeln in der Logienquelle Q
sein Urteil, indem sie ihn sympathisch erscheinen lässt. Vielmehr ist sein Standpunkt
überzeugend, obwohl seine Person fragwürdig oder abstoßend erscheint. Zu überlegen
ist, ob unsere Erzählung damit in die Nähe der Parabeln mit »unmoralischen Helden«
gehört (wie z. B. EvThom 98, vgl. auch Lk 16,1-8; 18,1-8; Mt 13,44; zu diesen Parabeln
Schramm/Löwenstein 1986). Vielleicht mutet die Erzählung vom anvertrauten Geld
ähnlich diesen Parabeln zu, aus einem anstößigen Beispiel gleichwohl zu lernen. Ein wesentliches Moment »anstößiger« Geschichten ist die Provokation, der Widerstand, den
sie bei ihren Adressaten hervorrufen. Für ihr Verständnis wichtig ist, wie dieser Widerstand aufgenommen, in welche Richtung er bearbeitet wird.
Die Pointe des erzählten Geschehens
Weil die handelnde Person so wenig einlädt, sich mit ihr zu identifizieren, gelingt den
anstößigen Parabeln »in einzigartiger Weise die Konzentration auf den einen Punkt, um
dessentwillen die Geschichte erzählt wird« (Schramm/Löwenstein 1986, 153). Dieser
Punkt liegt augenscheinlich beim Handeln oder Nicht-Handeln mit dem anvertrauten
Geld, beim Profitmachen. Vor allem darum geht es in den Gesprächen zwischen dem
Herrn und den drei Sklaven. Und auch die Sanktion oder der Schlussspruch kreisen um
dieses Thema. Im Einzelnen gibt es leichte Variationen, wenn die Pointe der Erzählung
im skizzierten Sinne bestimmt wird: Man kann vom übergebenen Geld her denken und
den unbedingten Anspruch betonen, der mit ihm verbunden ist und dem es Folge zu
leisten gilt (Weiser 1971, 263 f.; Weder 4 1990, 203-205). Man kann aber auch stärker
auf die Personen schauen und die Vorsicht, die Zögerlichkeit, die Ängstlichkeit oder das
Sicherheitsdenken des dritten Sklaven kritisiert sehen (z. B. Riniker 1999, 245 f.; Heiligenthal 2000, 90). Beides braucht nicht gegeneinander ausgespielt zu werden.
Die Frage, wie der dritte Sklave seinen Herrn sieht, spielt in der Parabel ebenfalls
eine Rolle – eine rhetorische –, ist aber nicht die Pointe der erzählten Geschichte (anders
Bindemann 2004, 131-135). Sie steht weder bei der Antwort des Herrn im Mittelpunkt
noch wird sie mit Blick auf die anderen beiden Sklaven thematisiert. Auch in der Sanktion oder im Schlussspruch spielt die Beziehung zwischen Herr und Sklave, etwa das fehlende Vertrauen des dritten Sklaven, keine erkennbare Rolle.
Werbung, nicht Polemik
Oben wurde betont, eine Auslegung der Parabel müsse das Urteil des Herrn über den
dritten Sklaven ernst nehmen. Es darf umgekehrt aber auch nicht unterschlagen werden,
wie sich die Erzählung um – zumindest zeitweilige – Zustimmung für den dritten Sklaven
bemüht. Deshalb lohnt es zu fragen, wen oder was der dritte Sklave mit seiner Haltung
verkörpert. Immer wieder bringen Ausleger ihn mit einer gegnerischen Position in Verbindung, die zurückgewiesen und kritisiert wird. Konkret werden oft die Pharisäer oder
pharisäische Schriftgelehrte genannt; die Parabel weise ihr Gesetzesverständnis oder
ihren Umgang mit dem Gesetz zurück (Dietzfelbinger 1989, 229-231; Bindemann 2004,
131-135 u. a.). Doch scheint mir die Festlegung der Adressatinnen und Adressaten auf
die Identifikation mit nur einer Figur aus der Parabel der Erzähldynamik nicht gerecht zu
werden. Die Parabel spielt mit den Identifikationen und lenkt auf einen Perspektivenwechsel hin. Sie will Hörerinnen und Hörer gewinnen, denen die Haltung des dritten
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Sklaven zunächst nahe steht. Die Erzählung holt sie bei ihrem Urteil ab und nötigt sie
dann, sein Verhalten – und damit ihre eigene Haltung – aus einem anderen Blickwinkel
zu betrachten und neu zu bewerten (so richtig Scott 1989, 231 f.; Dietzfelbinger 1989,
228 f., vgl. aber 231). Insgesamt scheint es vor allem darum zu gehen, sie von der anderen
Sicht zu überzeugen, statt ihre Haltung zurückzuweisen, zu bekämpfen oder anzuklagen.
Die Parabel ist, sollte sie an »Gegner« gerichtet sein, jedenfalls nicht polemisch ausgerichtet.
Die Alternative besteht darin, die Parabel mehr oder weniger nach »innen« gesprochen zu sehen, an potentielle oder tatsächliche Anhängerinnen und Anhänger Jesu. Sie
wird dann auf Fragen und Probleme der Nachfolge Jesu gedeutet. Auch hier kann man
unter anderem, aber nicht nur an die Gesetzesthematik denken. »So, wie der Dienst für
einen menschenfeindlichen Wucherer die ethischen Grenzen überschreitet, verlangt die
Jüngerschaft u. U. die Verletzung des mosaischen Gesetzes.« Mögliche Adressaten illustrierten die typisierten Szenen Lk 9,59.61 bzw. Mk 10,17-22 mit Menschen, die Nachfolge mit dem Erfüllen von Pflichten verbinden wollen. Die Aufdringlichkeit des Geldherrn werde zur kühnen Metapher für die Unmittelbarkeit der sich aufdrängenden
Gottesherrschaft, die anderes als totale Hingabe nicht zulasse (so z. B. Kähler 1995, 182184, das Zitat ebd. 183). Ähnlich sehen andere Mut zum Risiko angesichts der radikalen
Forderungen Jesu und der Schwierigkeiten der Nachfolge gefordert (Riniker 1999, 244247; vgl. Schramm/Löwenstein 1986, 158).
Eine Gerichtsparabel
Der Herr der Parabel fordert nachdrücklich den richtigen Umgang mit seinem Geld ein,
lobt die beiden ersten Sklaven und straft denjenigen, der sich nicht entsprechend seinen
Erwartungen verhalten hat. Die erzählte Welt der Parabel ist über Bildfeldtraditionen auf
das Gericht deutbar. Einige Ausleger halten diesen Bezug auch auf den ältesten Traditionsstufen für wesentlich (z. B. Riniker 1999, 243 f.). Andere sehen im Rahmen der Verkündigung Jesu eher einen Zusammenhang zwischen dem drängenden Anspruch in der
Erzählung und der nahe kommenden Gottesherrschaft, die umfassende Hingabe und
entschlossenes Handeln von den Menschen einfordert (z. B. Weiser 1971, 264 f.; Kähler
1995, 184). Aber auch wenn man nicht im engeren Sinne eine Anspielung auf das Gericht
oder einen Bezug zur Reich-Gottes-Verkündigung gegeben sieht, setzen die meisten Auslegungen der Parabel in irgendeiner Weise voraus, es gehe um die Verantwortung, die
Menschen vor Gott für ihr Handeln oder ihre Lebensführung tragen (z. B. Jülicher II
2 1910, 481: »Treue in allem, was Gott uns anvertraut hat«). Die Mahnung zur Verantwortung für das eigene Handeln ist ein wesentliches Element der Parabel.
Spätestens in der Redenquelle ist die Parabel dann ausdrücklich als eine Gerichtsparabel verstanden worden. Im wiederkommenden Herrn wird hier, nach Ostern, der
auferstandene Jesus erkannt, der am Ende der Zeiten zur Vollendung der Gottesherrschaft und zum Gericht über die Menschen erscheint. Vor allem der Kontext trägt zur
Fixierung dieses Bezuges bei. Die Parabel ist damit Teil der Gerichtspredigt in Q. Für
das Verständnis wichtig ist, in welcher Gesprächssituation sie verortet wird. Die Q-Gemeinde befindet sich vermutlich in einem Prozess der Identitätsfindung, der sich in einer
scharfen Polemik gegen jenes jüdische Umfeld äußert, das sich nicht zu Jesus und seiner
Botschaft bekennt (vgl. Q 11,14-52 u. a.). Lässt man die Parabel in diese Situation hinein249
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sprechen, könnte der dritte Knecht für dieses jüdische Umfeld transparent sein; es würde
in der Parabel scharf angegriffen, weil es Gottes Gaben verworfen hat (vgl. Bindemann
2004, 141; ähnlich Kloppenborg 1995, 299.317). Für diese Deutung spricht, dass Q
22,28.30, der Folgeabschnitt, vom Gericht über Israel redet. Sieht man dagegen Christen
angesprochen, dann fordert die Parabel zum Handeln gemäß dem Willen des Herrn auf
und lässt sich mit Aussagen verbinden, die die Notwendigkeit des rechten Tuns einschärfen (Q 6,46-49, vgl. 11,42-44; 16,13.17), besonders auch angesichts der noch ausstehenden Parusie (Q 12,39-46.58 f.; so z. B. März 2004, 242-244.249; C. Heil 2001, 651 f.).
Indem Jesus im richtenden Herrn der Parabel erkannt wird, ist etwas für das Parabelverständnis sehr Folgenschweres geschehen: Jesus selbst und seine Geschichte kommen »in der Parabel vor« (vgl. Weder 4 1990, 207.275-277). Die Wirkweise der Geschichte ändert sich damit. Der Fall des dritten Knechtes wird nicht mehr in der spielerischen
Distanzierung einer rein fiktiven Geschichte betrachtet und bearbeitet. Zu einem gewissen Grad scheint nun Jesus selbst das Geld an seine »Sklaven« zu verteilen, den Auftrag zu
erteilen und Abrechnung zu halten. Alles, was die Leserinnen und Leser an Vorwissen
und Voreinstellung zum Thema Gericht mitbringen – aus dem Kontext oder durch ihre
christliche Bildung –, wird nun wesentlich unmittelbarer mit in die Parabel hineingenommen und bestimmt ihr Verständnis.
Das kann eine interpretatorische Bereicherung sein. Wenn Jesus der Richter ist,
dann wird zum Beispiel das abschreckende, harte Bild des Herrn in der Parabel durch
andere Jesusbilder, die der Kontext in der Redenquelle und vor allem später in den Evangelien zeichnet, korrigiert. Der kommende Richter ist jener Jesus, der zugleich auch die
Seinen gelehrt hat, richtig zu leben (Mt 5-7; Lk 6,20-49), der die Kranken geheilt hat, der
versprochen hat, bei seinen Jüngerinnen und Jüngern zu bleiben (Mt 28,20) und ihnen
den Geist zu senden (Lk 24,49; Apg 1,5.8; vgl. Luz 1997, 509.555 f.). Das Vorkommen
Jesu »in der Parabel« kann aber auch zu großen Verstehensschwierigkeiten führen, wenn
z. B. theologische Einwände gegen die Gerichtsbotschaft bestehen. Grundsätzlich besteht
die Gefahr, dass die ganz eigene Pointe und Dynamik der Erzählung nicht mehr zu Geltung kommen, weil zu sehr von der »Sache« her gedacht wird. Dem gegenüber wäre zu
betonen: Die Parabel ist nicht eine in Bilder verkleidete Beschreibung des Gerichts. Vielmehr wird das Geschehen des endzeitlichen Gerichtes im Lichte der erzählten Geschichte
betrachtet, so dass ein interpretatorisches Wechselspiel zwischen Parabelerzählung und
urchristlichen Gerichtsvorstellungen beginnt (vgl. Münch 2004, 226-231.275 f.295-298).
Wird dies berücksichtigt, dann bleibt die Eigenständigkeit der Erzählung auch im Kontext der Redenquelle oder der Evangelien gewahrt. Sie kann ihre narrative Dynamik und
ihr metaphorisches Potential weiterhin entfalten und im Wechselspiel mit dem Kontext
zum Beispiel zu der theologisch lohnenden Frage führen, wie denn der Herr wohl mit
einem Sklaven verfahren wäre, der alles riskiert und alles verloren hat (Venetz 2 1992,
136 f.; Luz 1997, 505 Anm. 74).
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte
Die Parallelüberlieferung auch nur einigermaßen gründlich zu untersuchen, bleibt kein
Raum. Es muss bei einigen Einzelbeobachtungen bleiben.
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Matthäus 25,14-30
In der Redenquelle ist die Parabel eine Gerichtsparabel. Matthäus greift diesen Gedanken
auf. Auch er positioniert sie in der Rede über das Kommen des Menschensohnes und sein
Gericht (Mt 24-25). In der matthäischen Parabel sind die Sklaven gegensätzliche ethische
Modelle (vgl. Mt 7,24-27; 24,45-51; 25,1-13 u. a.). Die ersten beiden handeln richtig. Sie
lobt der Herr und stellt ihnen Lohn in Aussicht. Die Formulierung bei Matthäus ist länger als die in Q und klingt vor allem am Schluss eigentümlich überladen (»Geh ein in die
Freude deines Herrn«). Der Evangelist versucht offenbar, die ersten beiden Knechte als
positive Beispielfiguren stark zu machen. Vielleicht soll in der Formulierung eschatologischer Lohn anklingen: das »Eingehen« ins Reich Gottes (e§sffrcesqai eiserchesthai: Mt
5,20; 7,21; 18,3; 19,23; vgl. 18,8; 19,17) und die Freude, die dort herrscht (vgl. Röm
14,17; 1Thess 2,19 f.; Hebr 12,2). Das Verhalten des dritten Sklaven wird im Gegenzug
klar verurteilt, sein Herr nennt ihn nicht nur »böse« (V. 26: ponhrƒ@ ponēros), sondern
auch »untätig« (V. 26: ¤knhrƒ@ oknēros; die gängige Übersetzung mit »faul« ist nicht
treffend; dazu Nielsen 2002) und »nutzlos« (V. 30: ⁄cre…o@ achreios). Über das Wegnehmen des Talents hinaus wird gegen ihn eine weitere, sehr drastisch klingende Sanktion
verhängt: Der Sklave solle in die »äußerste Finsternis« hinausgeworfen werden, wo er
heulen und mit den Zähnen knirschen wird (V. 30). Der Vers ist eine feste Formel (noch
Mt 8,12; 22,13; vgl. 13,42.50; 24,51; vgl. Münch 2004, 209 f.). Mit ihr zeigt der Evangelist, dass er an das endzeitliche Gericht denkt. Sie bringt mit dem Verweis auf die Finsternis als Zeichen des Schreckens und der Gottesferne (Mt 4,16; 24,29; 27,45) zum Ausdruck, was auf dem Spiel steht, und deutet durch das Ausmalen der Reaktion des
Verurteilten an, welch schwerwiegende Folgen eine dort verhängte Strafe für ihn hat.
Lässt sich näher spezifizieren, woran Matthäus konkret denkt, wenn er mit seiner
Parabel zum rechten Handeln auffordert? In einem weiteren Sinn ist das im Kontext des
Evangeliums keine offene Frage. Jesus hat an verschiedenen Stellen seine Jünger immer
wieder über rechtes Handeln belehrt – allem voran in der Bergpredigt (Mt 5-7). Der
Auferstandene wird sie und künftige Generationen darauf verpflichten, alles zu halten,
was er ihnen geboten hat (Mt 28,20). Der Erzählung vom großen Weltgericht (25,31-46)
zufolge wird insbesondere das Handeln an den geringsten der Brüder Jesu, werden die
Taten der Barmherzigkeit gegenüber den Schwachen, Bedürftigen und Notleidenden als
Maßstab dienen, nach dem Jesus urteilen wird. Wer vom vorausgehenden Evangelium
herkommend die Parabel liest, wird dabei insbesondere erneut betont sehen, dass es auf
die Praxis ankommt, auf das tatsächliche Tun des als richtig Bekannten und Erkannten
(vgl. Mt 5,17-20; 7,21; 7,24-27; 23,1-33). Der Sklave war untätig. Er hat – mit einem
anderen matthäischen Bild formuliert – keine »Frucht« gebracht (Mt 13,22 f.; 21,43
u. ö.).
Im engeren Sinne lässt die Parabel aber Spielraum, wie vor allem an der Interpretation der anvertrauten Talente sichtbar wird. Sie sind eines der wirkmächtigsten Elemente der matthäischen Erzählung. Die Summen, die hier gehandelt werden, sind gewaltig (s. o.). Zugleich erhalten bei Matthäus die Sklaven unterschiedliche Beträge, »jeder
nach seinen eigenen Fähigkeiten« (V. 15). Das verlangt geradezu nach einer Deutung. In
diesem Fall erschließt sich aber – soweit erkennbar – kein klarer, traditionell oder kontextuell vorgegebener Deutungsgehalt. Der Fall liegt ähnlich wie beim Gewand in der
matthäischen Version der Gastmahlparabel (Mt 22,12) oder beim Öl in der Parabel von
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den zehn jungen Frauen, die auf den Bräutigam warten (Mt 25,3 ff.). Eine einheitliche
Linie der Interpretation ist nicht erkennbar. Moderne Ausleger des matthäischen Textes
deuten das Geld unter anderem auf das Wort Gottes, die Gottesherrschaft, auf Fähigkeiten (in Richtung der Charismen in 1Kor 12), auf das Tun der Gerechtigkeit oder Gottes
Gaben im Allgemeinen (Belege bei Münch 2004, 230 Anm. 336). Ein ähnlich buntes Bild
ergibt ein Blick auf die kirchliche Rezeptionsgeschichte der Parabel (vgl. Luz 1997, 511513). Der Text hat hier eine sehr interpretationsfähige Leerstelle.
Lukas 19,12-27
Lukas erzählt eine ganz eigene Version der Geschichte. Ein Mann aus vornehmem Haus
reist fort, um in einem fernen Land die Königswürde zu empfangen, und verteilt vor
seiner Abreise Geld an seine Sklaven (V. 12 f.). Eine Gesandtschaft aus der Heimat des
Mannes will die Inthronisation verhindern, hat aber keinen Erfolg damit (V. 14-15a).
Nach seiner Rückkehr hält der Herr in bekannter Manier zunächst Abrechnung mit dreien seiner Sklaven. Die erfolgreichen beiden werden gelobt und zur Belohnung als Verwalter über Städte (offenbar des Königreiches) eingesetzt. Der dritte wird gescholten und
muss sein Geld abgeben (V. 15b-26). Danach erteilt der König auch Anweisungen, jene,
die sein Königtum verhindern wollten, zu bestrafen und vor seinem Angesicht niederzumachen (V. 27). Auf der einen Seite bietet Lukas damit das bekannte Grundmuster
einer Erzählung über anvertrautes Geld und die Rechenschaft über den Umgang damit.
Daneben gibt es aber einen zweiten Erzählfaden um die Auseinandersetzung mit Gegnern des Herrn und seines Anspruchs auf die Königswürde.
Der Evangelist platziert die Parabel kurz vor der Ankunft Jesu in Jerusalem – eine
Gelenkstelle des Evangeliums (zum Kontext von Bendemann 2001, 153-182). Sie fungiert auch bei Lukas als Mahnung an die Christen zu rechtem Handeln, doch soll hier
nur das Lukas eigene Motiv der Auseinandersetzung um die Königswürde näher betrachtet werden. Bildspender ist vermutlich das Klientelkönigtum im Römischen Reich, das
die Anerkennung lokaler Herrscher durch die römische Zentralmacht erforderte (Busse
1998, 431-433). Viele Ausleger denken konkret an die Ereignisse um die Einsetzung des
Herodessohnes Archelaos zum Ethnarchen über Judäa, von denen Flavius Josephus berichtet (Flav. Jos. Ant. XVII 8-9.11.13; so z. B. von Bendemann 2001, 165-167).
Unmittelbarer Anlass für die Parabel ist nach Lk 19,11 der – durch den nahenden
Einzug nach Jerusalem provozierte – irrige Glaube, die Herrschaft Gottes würde sofort in
Erscheinung treten. Es folgen auf die Parabel der Einzug nach Jerusalem (Lk 19,28-40)
und das Weinen Jesu darüber, dass die Stadt ihn nicht als den messianischen Friedensbringer erkennt (vgl. Lk 19,38-40) und deshalb von ihren Feinden zerstört werden wird
(Lk 19,41-44). Lukas denkt wohl an die Zerstörung der Stadt Jerusalem durch die Römer
im Jahre 70 n. Chr. und deutet sie als Strafe wegen der Nicht-Anerkennung Jesu. In diesem Kontext ist die Parabel ein Kommentar Jesu zu der in V. 11 artikulierten Erwartung
und zu den nachfolgend im Evangelium erzählten Ereignissen, zeigt sein heilsgeschichtliches Vorauswissen über die kommenden Ereignisse – ähnlich wie die Leidensankündigung und das Weinen über Jerusalem. Der »Mann edler Herkunft«, der zum König werden soll, aber von seinen Feinden abgelehnt wird, ist Jesus, dem solche Ablehnung in
Jerusalem bald widerfahren wird. Im Einzelnen ist bei den Auslegern aber umstritten,
welche Ereignisse mit den einzelnen Elementen der Parabel genau gemeint sind. Die
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»klassische« Deutung (z. B. Klein 2006, 607-611) denkt an den Ereignisbogen von der
Kreuzigung als der radikalen Ablehnung Jesu über seine Auferstehung und Himmelfahrt
als Einsetzung in Macht (vgl. z. B. Apg 2,22-36) bis zur Parusie bei der Vollendung der
Gottesherrschaft (Lk 21,25-28) und bezieht V. 27 auf die Zerstörung Jerusalems im Jahr
70 n. Chr. Andere versuchen detaillierte Identifikationen zu vermeiden und sehen in der
Parabel den Kontrast zwischen der Ablehnung Jesu in Jerusalem und seiner kommenden
Königsherrschaft über Israel, die er bei der Parusie endgültig antritt, thematisiert (Busse
1998). Schließlich wird uneschatologisch gedeutet; die Parabel beziehe sich auf die Ereignisse von Lk 19,28-40 und deute den Einzug nach Jerusalem als Inthronisation Jesu und
als Erscheinen der Gottesherrschaft in dieser Zeit (Denaux 2002). Unabhängig, wie man
sich entscheidet: All diese Deutungen verstehen die Parabel als – von V. 11 ausgelöste –
Stellungnahme zu der Frage, wie es sich mit der Vollendung des Gottesreiches angesichts
der Anfeindungen, die Jesus in seinem Volk begegnen, verhält. Die Antwort lautet: Gott
und sein Messias lassen sich durch sie nicht aufhalten.
Mk 13,34
In Mk 13,34-37 findet sich ein kleines Gleichnis, das ähnlich beginnt wie die hier besprochene Parabel vom anvertrauten Geld und ebenfalls von einem verreisenden Herrn erzählt, der Aufgaben verteilt. Es verwendet weitgehend dieselben Bildfelder (Herr – Sklave,
Rechenschaft, Abwesenheit; s. o.). Auch Mk 13,34 ff. ist ein Parusie-Gleichnis. Die Pointe
liegt hier aber auf der unbekannten Stunde, zu der der Herr zurückkehrt.
Christian Münch
Literatur zum Weiterlesen
W. Bindemann, Harter Herr oder gnädiger Gott? Zur Auslegung des Gleichnisses vom anvertrauten Geld (Mt 25,14-30 par. Lk 19,12-27), in: M. Bull/E. Reinmuth (Hg.), Bekenntnis
und Erinnerung (FS H.-F. Weiß), Rostocker Theologische Studien 16, Münster 2004, 129150.
U. Busse, Dechiffrierung eines lukanischen Schlüsseltextes (Lk 19,11-27), in: R. Hoppe/U. Busse
(Hg.), Von Jesus zum Christus. Christologische Studien (FS P. Hoffmann), BZNW 93,
Berlin u. a. 1998, 423-441.
A. Denaux, The Parable of the King-Judge (Lk 19,12-28) and its Relation to the Entry Story (Lk
19,29-44), ZNW 93 (2002), 35-57.
Ch. Dietzfelbinger, Das Gleichnis von den anvertrauten Geldern, BThZ 6 (1989), 222-233.
K. Erlemann, Das Bild Gottes in den synoptischen Gleichnissen, BWANT 126, Stuttgart u.a
1988, 196-221.
R. Heiligenthal, »Gott als Banker«. Die Parabel von den »anvertrauten Talenten« (Mt 25,14-30),
in: E. Reil/R. Schieder (Hg.), Wahrheit suchen – Wirklichkeit wahrnehmen (FS H. Mercker), Landau 2000, 81-91.
W. R. Herzog II, The Vulnerability of the Whistle-blower: The Parable of the Talents (Matt.
25:14-30; Luke 19:11-27), in: ders., Parables as Subversive Speech. Jesus as Pedagogue of
the Oppressed, Louisville, KY 1994, 150-168.
Chr. Kähler, Das Vorbild des Wucherers. Mt 25,14-30/Lk 19,12-27, in: ders., Jesu Gleichnisse als
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Parabeln in der Logienquelle Q
Poesie und Therapie. Versuch eines integrativen Zugangs zum kommunikativen Aspekt
von Gleichnissen Jesu, WUNT 78, Tübingen 1995, 164-190.
J. Lambrecht, Out of The Treasure. The Parables in the Gospel of Matthew, Louvain Theological & Pastoral Monographs 10, Leuven 1998, 217-244.
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