kompromisse - Holly Couture

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kompromisse - Holly Couture
1. MAI 2016
WELT AM SONNTAG
HAMBURG 7
NR. 18
S
ie sitzt zurückgelehnt
in einem Sessel in ihrem Geschäft am Neuen Jungfernstieg. Im
Hintergrund reiht sich
die Kollektion von Barbara Gabbert in Greige-, Beige-, Bleu, Fuchsia- und Lilac-Tönen in Regalen und an schnörkellosen
Kleiderstangen auf. Durch die Schaufensterfront schauen Frauen mit großen
Sonnenbrillen, bepackt mit Tüten der
gängigen Luxusmarken. Die Modemacherin trägt einen weißen Strickpullover, aufgekrempelte Jeans und dezentes
Make-up. Sie schmunlt amüsiert, wenn
man sie darauf anspricht, dass es kein
Zufall sein kann, dass sie nach einer längeren Hamburg-Odyssee ausgerechnet
in direkter Nachbarschaft des „Vier Jahreszeiten“ eine Heimat gefunden habe.
„Das stimmt. Man sagt ja auch: Es gibt
keine Zufälle.“ Schließlich hat ihr schon
einmal ein Fünfsternehotel Glück gebracht und ihrem Label „Holly Couture“ den ersten Aufwind verschafft.
EIN HAMBURGER IN
FRANKREICH
Was für ein
Übergang
ANZEIGE
B
ekleidungsstücke für Frauen lassen sich im Grunde ganz einfach
in zwei Kategorien einteilen: jene, die auch Männern gefallen, und die,
die Männer ganz furchtbar finden. Man
könnte natürlich diskutieren, ob es
Frauen wichtig sein sollte, sich nach
diesen Kriterien anzuziehen. Fakt aber
ist: Es gibt modische Must-haves, die er
so schlimm findet wie sie Chipskrümel
in der Sofaritze. Ein „It-Piece“ dieser
Sorte ist derzeit die Schluppenbluse.
Was der Eppendorferin in den einschlägigen Boutiquen als „Dernier cri“
und „So Carine“ (unter uns Laien: Gemeint ist damit Carine Roitfeld, ehemalige „Vogue“-Chefin und französische
Geschmacksinstanz) verkauft wird,
wird anderswo in die Abteilung „spießige Gouvernante“ gesteckt. Recht haben
beide Parteien. Die Schluppenbluse
strahlt so viel Sex-Appeal aus wie das
Ihre Entwürfe lässt sie an sich selbst abstecken: Barbara Gabbert in ihrer Boutique am Neuen Jungfernstieg in Hamburg
Keine
KOMPROMISSE
Die Berlinerin Barbara Gabbert hat nie Mode studiert, sondern Jura.
Genauso nüchtern, akribisch und pragmatisch hat sie ihr Label „Holly
Couture“ zunächst in London aufgebaut. Doch erst in Hamburg ist
sie nun am Neuen Jungfernstieg in jeder Hinsicht gut angekommen
Pflaster ausgeguckt hatte, nämlich London, lag an dem britischen Schulsystem.
Das schien ihr und ihrem Mann nämlich
attraktiver für die Kinder als das Berliner Angebot. Also besuchten die beiden
älteren der drei ein Internat in England,
und Mutter Barbara hielt sich seinerzeit
immer öfter in London auf. Fasziniert
vom Eigensinn der Briten für Mode,
schien ihr die Metropole genau der richtige Ort zu sein, um die eigenen Ideen
umzusetzen. „Die Londoner stellen
zwar wahnsinnig hohe Ansprüche, sind
aber nicht fixiert auf Labels und daher
sehr offen für Neues.“
Nach dem Coup im „Mandarin Oriental“ bekam Barbara Gabbert die Möglichkeit, ihre Linie in der „Chelsea Collection“ in der Fulham Road zu präsentieren. Londonerinnen aus Politik und
Finanzwelt wurden schnell zu ihren
Kundinnen, fanden sie doch in den gabbertschen Kollektionen berufstaugliche
Kleidung, aber mit einem gewissen
Twist. Gefragt waren Complés, also
Kleider mit passendem Mantel, gern
auch mit auffälligen Motivstoffen. „Da
braucht es schon Mut zum Muster, also
nichts für den deutschen Markt, geschweige denn für den Hamburger“,
fügt Barbara Gabbert mit einem Grinsen hinzu. Als 2008 im Zuge der Lehman-Brothers-Pleite die Aktienmärkte
zusammenbrachen und die Londoner
Kundinnen reihenweise fortblieben,
war das der Anstoß, lang Geplantes umzusetzen und ihre Linie auf den deutschen Markt auszurichten.
Der Sprung erfolgte über Hamburg:
„Ich hatte hier immer einen festen und
treuen Kundenstamm.“ Der war über
die sogenannten „private sellings“ gewachsen, Verkaufsveranstaltungen im
kleinen und auch persönlichen Rahmen
in Privatwohnungen oder Häusern in
Winterhude, Harvestehude oder Eppendorf. Im intimen und exklusiven Rahmen konnte sie am besten dem nachgehen, was ihre zweite Stärke ist: nah an
der Kundin zu sein. „Ich will wissen,
was sie braucht, wie die Teile sitzen
müssen, wie sie sich anfühlen sollen,
welche Problemzonen kaschiert werden
müssen.“
Ab 2012 versuchte Gabbert es dann
mit temporären Geschäften in Pösel-
TYPISCH HAMBURG
Die
Schluppenbluse
VON OLIVER C. SCHILLING
STELLA MCCARTNEY ÜBER UZWEI
Sie erzählt von jenem Koffer, den sie
2006 in die Halle des legendären „Mandarin Oriental“ in London wuchtete
und der den Startschuss für ihre erste
Kollektion bildete – ein Koffer voll mit
ersten Musterstücken ihrer eigenen
Kollektion. Durch Zufall hatte die Deutsche den Direktor des Hotels kennengelernt, ebenfalls ein Deutscher, der ihr
prompt vorschlug, sie könne ihre Linie
im Wintergarten seines Hauses präsentieren. „Im Grunde genommen waren
es bloß zwei Kleiderstangen, mehr
nicht. Entscheidend aber waren die
Adresse auf der Einladungskarte sowie
der Zeitpunkt: 66 Knightsbridge, London – und das während der Fashion
Week“, erzählt die 50-Jährige. Das Hotel
war rappelvoll mit Modevolk, das beim
Afternoon Tea die Teile in Augenschein
nahm – und darüber berichtete.
Ein Grund, warum die Fachpresse bei
der Musterung der unbekannten Linie
immerhin die Augenbrauen hob, dürften die Materialien sein, die Barbara
Gabbert von Beginn an für ihre Kollektion verwendete. Neben dem damaligen
Labelnamen „Holly G“ gaben sich mit
eigenen eingenähten Etiketten die Lieferanten zu erkennen: Agnona und Loro
Piana, zwei der vornehmsten Namen im
textilen Luxussegment. Von Anfang an
war für die Quereinsteigerin klar:
„Wenn ich Mode mache, dann ohne
Kompromisse.“ Sie strahlt, wenn sie
von neuen Gemischen erzählt, die sie
auf der letzten Stoffmesse bestellt habe.
Sie steht auf, schreitet durch die Boutique und greift nach einem dunkelblauen Pullover aus einem Wolle-AngoraMix, der sich anfühlt wie Kaschmir. Die
Hochwertigkeit von Barbara Gabberts
Mode offenbart sich oft erst auf den
zweiten Blick: handgekettelte Steppsowie französische Nähte, bezogene
Knöpfe, extra angefertigte Schnallen
oder eingefasste Strassknöpfe, denen
auch die Waschmaschine nichts anhaben kann.
Die gebürtige Berlinerin stammt aus
einer Industriellenfamilie, in der Mode
zu studieren keine wirkliche Option
war. Zunächst war also ein Jura-Studium angesagt. Dass sie sich für den
Launch ihres Labels ausgerechnet ein
modisch besonders hart umkämpftes
PRESSEBILD.DE/BERTOLD FABRICIUS
VON EVA EUSTERHUS
„Billstedt Center“ an einem verregneten Mittwochmittag. Aber so ist das in
der Mode: Manche Kreationen werden
gerade deshalb als heißester MüssenSie-haben-Shit verkauft, weil sie so unglaublich normal und, sprechen wir es
ruhig aus: spießig aussehen.
Klassisch im Schnitt, meistens aus
fließender Seide gearbeitet, befindet sich
am Kragen der Stoff des Anstoß: eine
Schluppe, die zu einer Schleife gebunden
werden kann. Das verwandelt zwar 100
Prozent aller Trägerinnen in eine Mischung aus Anneliese Rothenberger und
alternde Erdkunde-Lehrerin – hat sich
aber in den Modemetropolen seit einigen Saisons durchgesetzt. Seit etwa Alessandro Michele die Kreativdirektion des
florentinischen Unternehmens Gucci
übernommen hat, erlebt die Marke einen
kaum vorstellbaren Hype. Verantwortlich dafür ist auch der Retro-Charme der
DIE SACHEN
MÜSSEN MIR
PASSEN, NICHT
MEINER TOCHTER
BARBARA GABBERT,
Modemacherin
Kollektion in dessen Mittelpunkt – jetzt
ganz tapfer sein, Männer – Schluppenblusen stehen. Auch für Männer.
Mailand, New York, Paris … Hört unsere Hanseatin jene Städte, ergänzt sie
automatisch sogar im Tiefschlaf: Hamburg. Unsere schöne Stadt hat natürlich
genauso viel Chic wie jene Weltstädte.
Und ist der Eppendorfer Baum nicht
mindestens so elegant wie eine Straße
an der Upper East Side? Und schon
nimmt das modische Verhängnis seinen
Lauf. Man kauft sich plötzlich Teile, etwa unsere Schluppenbluse, die dort
cool wirkt, aber in der U3 eben dazu
führt, dass einen die ehemalige Nachbarin anspricht, ob man eine Referendariatsstelle an der juristischen Fakultät der Universität Hamburg angetreten
habe. Pah, Banausen!
Trotzdem: Beschweren wir uns nicht
regelmäßig, wie klassisch die Hambur-
dorf, Eppendorf und ab 2014 mit eigenem Shop in Winterhude, doch wider
Erwarten lief es in der Isestraße nicht
besonders („Es wurde erschreckend viel
gestohlen“), und auch die zentrale Lage
am Poelchaukamp entpuppte sich als
überraschend schwierig. Im August vergangenen Jahres ergab sich dann die
Möglichkeit am Neuen Jungfernstieg,
direkt neben dem „Vier Jahreszeiten“ in
Laufrichtung zur Innenstadt. In dem
von ihr konzipierten Geschäft sieht sie
sich mit ihren minimalistischen, zeitlos-eleganten Entwürfen am richtigen
Platz. „Es ist ein sehr hanseatischer
Standort, aber zugleich auch ein sehr
internationaler. Ich liebe es, wenn ich
Kundinnen aus Indien oder China mit
einem Teil von mir aus der Tür gehen
sehe. So wird meine Mode in die Welt
hinausgetragen.“
Sie möge und mache Kleidung, die
sich dem Leben anpasse. Dazu gehöre
auch, dass ihre Teile sich an den Konfektionsgrößen ihrer Kundinnen orientieren – und nicht umgekehrt.
Durchaus ein Erfolgskonzept. Und so
ist Barbara Gabbert unlängst wieder
dazu übergegangen, Musterteile nicht
an Models abstecken zu lassen, sondern an sich selbst, wie sie es schon am
Anfang der Labelgründung tat. „Die
Sachen müssen mir passen, nicht meiner Tochter. Wenn sie sich dann trotzdem meine Strickjacke stibitzt, freut
mich das natürlich auch.“
Die Juristin gesteht, dass sie als
Kopfmensch anfangs mit der Modewelt
gefremdelt habe. Doch mittlerweile
weiß sie, dass sie gerade ihrer strategischen Herangehensweise den Erfolg
verdankt. „Zwar habe ich gelernt, dass
im Ungeplanten ein kreativer Impuls
liegt“, sagt sie, setzt aber gleich nach,
dass sie lieber alles so genau wie möglich plane. So hält sie es auch mit der
Expansion. „Wir wachsen langsam,
aber gesund“, sagt sie. Ab Juni wird sie
ihre Linie auch online vertreiben, weitere Boutiquen sind denkbar. Aber:
„Ich mache immer nur, was ich auch
abarbeiten kann.“
gerin durch die Woche kommt? Eben!
Lassen wir uns also auf das heiße
Hemdchen ein und tragen sie so, wie
man es als coole, selbstbewusste Frau
macht – mit einer gewissen Ironie besteht sogar sie die Reifeprüfung. Kombiniert zu einer schmal geschnittenen
Jeans und High Heels hat sie plötzlich
nichts Braves mehr. Aus nett adrett
wird ganz fix subversiv sexy. Oder wie
wäre es mit einem Pencilskirt und
Accessoires, mit denen man eine Hauptrolle in „Mad Men“ bekommen würde?
Da bleibt auch Männern die Puste weg.
Die müssen ohnehin ganz tapfer sein.
In den großen Modemetropolen werden
zunehmend auch Typen gezeigt, die den
Gender-Trend sehr ernst nehmen und
ebenfalls Schluppenblusen tragen. Aber
bis dieser Trend auch in Hamburg ankommt, das wird länger dauern als der
Bau der Elbphilharmonie.
Wir haben Frühling, zumindest sagt
das der Kalender, aber in ganz Europa spielt uns das Wetter einen
Streich und lässt ihn höchstens mal
hervor blitzen. Man sehnt sich derzeit eher in seine warme Daunenjacke zurück. Was zieht man aber an,
wenn einem eigentlich schon nach
wärmerer Jahreszeit zumute ist, die
Temperaturen aber so sind, das luftige Kleidung eine Illusion sind? Meine Großmutter hatte dafür einen
Ausdruck, der heute fast vergessen
ist - oder ziemlich spiessig klingt:
„Übergangskleidung“.
Neudeutsch ist diese Bezeichnung
vom „Layer Look“ abgelöst worden,
und seit einigen Jahren heißt das
Zauberwort „Sommerdaune“. Denn
die ultraleichten Daunenjacken können über all das gezogen werden, für
das es eigentlich noch zu kalt ist. Das
ändert aber wenig an der Diskrepanz
im Straßenbild: jüngere Modefreaks
laufen schon ohne Strümpfe rum,
während andere noch Daunenparkas
mit Fell-Kapuzen tragen.
Ein typisches Kleidungsstück für
diese Jahreszeit ist der Trenchcoat.
Meist in beige oder helleren Farben,
hält er den Wind ab und kann von
Morgens bis Abends über jeden Look
von sportlich bis elegant getragen
werden. Yves Saint Laurent trieb es
so gar auf die Spitze, in dem er seinen Models Trenchcoat zum Abendkleid verordnete. Praktisch sind
auch Cardigans aus zweifädigen
Kaschmir, die man, wenn mittags die
Sonne am Himmel scheint und es
wärmer wird, schnell ablegen und in
die Tasche stopfen kann.
In Frankreich gibt es sie noch, die
echte Mode für die Zeit, die zwischen warm und kalt liegt. Kleider
mit passenden Mänteln in Doubleface, zu denen leichte Handschuhe getragen werden. Geht man durch die
Pariser Stadtteile Saint Germain
oder das bürgerliche 16. Arrondissement, sieht man noch die Damen, die
solche Ensembles tragen. Als ich ein
Kind war und mich mit meiner Großmutter zum Einkaufen in der Hamburger Innenstadt traf, meist gekrönt mit einem Besuch in der „Condi Lounge“ des „Vier Jahreszeiten“,
trug sie genau so einen Outfit.
Heute wundert man sich dagegen,
das sich Menschen beim kleinsten
Sonnenstrahl ohne jede Figur-Hemmung in Kombinationen aus HotPants, Shorts oder bunten Leggings
werfen. Das ist dann doch erst was
für den Hochsommer und auch da
sei es empfohlen, vorher einmal in
den Spiegel zu schauen und zu bedenken, ob man wirklich gerade auf
dem Weg zum Strand ist. PETER KEMPE
LIEBLINGE
DER WOCHE
STÄNDIG ENTDECKEN WIR NEUE
PRODUKTE. DIESEN SONNTAG:
KOMMEN SIE DUFTE DURCH DEN MAI
Welch Wonne: Bei Guerlain gibt es
zum Start in den Mai traditionell ein
Maiglöckchen-Parfüm. Es ist auf 55
Flaschen limitiert (430 Euro), einige
der Bouquets hat auch das Alsterhaus
Glücksbote: Wer heute Maiglöckchen
bekommt, soll Glück haben. Wer keinen grünen Daumen hat, wählt die
Duschgel-Variante: „Dewy Lily of the
Valley“ von Molton Brown (22 Euro)