schöne welt

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schöne welt
JUNI 2016
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JUNI 2016
SCHÖNE WELT
DER CHANEL MOMENT
www.chanel.com
CHANEL-Kundenservice - Tel. 01801-24 26 35 (3,9 Ct/Min. aus dem Festnetz, max. 42 Ct/Min. aus Mobilfunknetzen).
W W W.C E L I N E .C O M
MARC COMBER/ALLPIX/LAIF
Das Sommer-Gate boarded jetzt!
K
arl Lagerfeld hat einen Traum für uns. Einen Flughafen nur mit gut gekleideten, kultivierten Menschen. Selbst der Rollkoffer ist auf den Stoff des Kleides abgestimmt. Erinnerung an eine Zeit, als Flugbegleiter noch Stewardessen waren, wurden wach, als Chanel zur Schau der Sommerkollektion 2016 im Grand Palais bat. Ich hatte mich auf den letzten Drücker aus
der rappelvollen, verspäteten Maschine gekämpft und das Motorrad-Taxi genommen: die einzige Möglichkeit, sich durch
den morgendlichen Pariser Stau zu schlängeln – und so saß ich optisch leicht derangiert im Publikum. Doch schon beim Betreten der
Halle fiel der Stress ab. „Wow!“ schlägt „Menno!“. Natürlich nervt das Gezerre an Flughäfen, der Mangel an Intimität wie absurde Diskussionen über Duschgel-Größen im Handgepäck. Aber hey, ist das wichtig? Der Weg führt zum Ziel – und wir haben die Wahl, welchen wir nehmen. In diesem Sinne haben wir diese Ausgabe gestaltet und wünschen Ihnen und uns einen glücklichen Sommer.
LEYLA PIEDAYESH
Die temperamentvolle Unternehmerin ist mit ihrem Label Lala Berlin (benannt nach ihrem Spitznamen) eine der
erfolgreichsten deutschen Modedesignerinnen. Ihre Geschichte beginnt jedoch weit entfernt von Berlin-Mitte. Sie
wurde in Persien geboren und verbrachte dort einen Teil ihrer Kindheit. 1979 floh ihre Familie nach Deutschland – und Leyla Piedayesh kehrte niemals mehr zurück. Jetzt hat sie sich aufgemacht. Beladen mit Fragen, Erinnerungen, Ängsten und Sehnsüchten flog die Mittvierzigerin in den heutigen Iran und kehrte mit sehr persönlichen Eindrücken zurück: Für ICON führte sie exklusiv eine Art Tagebuch, in dem sie den äußeren und inneren
Weg ihrer Reise nachzeichnet. Unbeabsichtigt liest sich der Bericht dieser erfolgreichen Unternehmerin auch wie ein Kommentar zum Zeitgeschehen: Wer seine eigenen Wurzeln kennt und dem Fremden aufgeschlossen begegnet, kann sein Glück auch an ungeahnten Orten finden. Seite 42
SAM BISSO
„Ich freue mich jedes Mal, wenn ich nach nach Kalifornien reisen kann. Die Landschaft ist faszinierend, vor allem entlang der
Küste am Highway Number One. Während des Shootings hielten wir an einigen Stellen mit spektakulärem Ausblick. Der Abschnitt zwischen der Bixby Bridge und Big Sur ist mir besonders in Erinnerung geblieben: eine atemberaubende Sicht vom Strand auf die Klippen
auf der einen Seite und mächtige Berge auf der anderen. Schon das allein wirkt inspirierend. Mode und Fotografie zu kombinieren und damit Geld
zu verdienen, war immer mein Traum. Nun ist er seit vielen Jahren Realität. Zurzeit pendle ich zwischen Melbourne und Europa. Die Modefotografie-Szene in meiner Heimat Australien ist noch nicht so ausgeprägt, daher muss ich viel reisen. Wenn ich mal frei habe, und das ist als Freelancer selten, dann reise ich oder treibe Sport. Immer die Art, die dir einen Adrenalinstoß gibt.“ Sam Bisso hat die Mode ab Seite 24 fotografiert.
AUF DEM COVER: Alena trägt, leider nur knapp sichtbar, ein Kleid mit Federkragen von Valentino. Darunter ein Kleid mit Pailletten und Spitze von Miu Miu
Gleich am ersten Tag in Saudi-Arabien lernte Silke Bender, dass westliche Höflichkeitsgesten in einem muslimisch geprägten Land zu Verwirrungen führen können. Oder zu Karambolagen. Etwa vor der Drehtür des „Park Hyatt“ in Dschidda: „Ein ganz in Weiß gekleideter Scheich, seine Frau voll verschleiert dahinter, steuerte neben mir auf den Eingang zu. Flink überholte er mich auf
den letzten Metern, um als Erster durch die Tür zu gehen“, erinnert sie sich. Kurz danach wollte sie durch den schönen Garten des Hotels bis zur Balustrade laufen, um einen Blick aufs Rote Meer zu werfen. „Ein aufgeregter Hotelangestellter rannte hinter mir her und sagte, der Bereich sei nur für
Männer erlaubt.“ Nach dem ernüchternden Anfang hat sie dafür der weibliche Teil der Bevölkerung positiv überrascht. „Noch wahren die Frauen
nach außen hin den Gehorsam, aber unterm Schleier verstecken sich starke, kluge und vor allem humorvolle Persönlichkeiten.“ Ab Seite 40
TITEL: SAM BISSO; MARIO TESTINO; PRIVAT(3)
SILKE BENDER
IMPRESSUM ICON
Chefredakteurin: Inga Griese (verantwortlich) Textchef: Dr. Philip Cassier Special Editor: Adriano Sack Redaktion: Caroline Börger (Managing Editor) , Heike Blümner, Nicola Erdmann, Anna Eube, Julia Hackober,
Jennifer Hinz, Silvia Ihring, Mira Wiesinger. Korrespondentin in USA: Huberta von Voss. Korrespondentin in Paris: Silke Bender. Style-Editor in NY: Nadia Rath Autoren: Susanne Opalka, Esther Sterath, Andreas Tölke
Redaktionsassistenz: Ursula Vogt-Duyver, Rebecca Bülow Artdirektorin: Barbara Krämer Gestaltung: Maria Christina Agerkop, Katja Schroedter, Adrian Staude Fotoredaktion: Julia Sörgel, Elias Gröb, Emina Hodzic
Bildbearbeitung: Thomas Gröschke, Liane Kühne-Kootz, Felix Steinert Postproduction: Luna Simic Lektorat: Matthias Sommer
Verlagsgeschäftsführung: Dr. Stephanie Caspar, Dr. Torsten Rossmann Gesamtanzeigenleitung: Silvana Kara; Anzeigen ICON: Roseline Nizet ([email protected]), Leonie Lepenos
Objektleitung: Carola Curio ([email protected]) Verlag: WeltN24 GmbH Druck: Prinovis Ltd. & Co KG, Nürnberg Herstellung: Olaf Hopf
ICON ist ein Supplement der „Welt am Sonntag“, die nächste Ausgabe erscheint am 11. September 2016. Sie erreichen uns unter [email protected]
Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter www.axelspringer.de/unabhaengigkeit.
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ICON
JUNI 2016
AUSGEWÄHLT
AUF UND DAVON
Unsere Stilexperten berichten von Sehnsuchtsorten und Herzensangelegenheiten
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FRE U(N) D E DES SOM M ERS
Icona und ihre Familie sind von Kopf bis
Fuß auf Sonne eingestellt
MODE
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AUS Z E H ENSCHUH
WIRD SZ ENESCHUH
Von der einfachen Gummisandale
zum globalen Erfolgsprodukt – die Geschichte der Havaianas aus Brasilien
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KURZ UN D GUT
Wie man als Mann würdevoll badet –
Silke Bender ging dieser Frage nach
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DIE KUNST, NACH
KUNST AUSZUS EHEN
Die amerikanische Designerin Tory Burch
präsentiert ihren sommerlichen BohemeLook an internationalen Society-Frauen
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IN FARBE UND BUN T
Accessoires für unbeschwerte Stunden –
20 fröhliche Lieblingsteile
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RE INE SCHÖNHEIT
Das trifft auf Model, Mode wie Natur gleichermaßen zu – ein Shooting in Kalifornien
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VO RWÄ RTS IN DIE
VERGANGENHEIT
Designerin Leyla Piedayesh besuchte 27
Jahre nach ihrer Flucht den Iran – und
entdeckte dort auch die Zukunft
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PARA DIES PO NZA
Eine Frau, eine Insel, viele Erinnerungen: Ein
Besuch bei Anna Fendi vor Italiens Küste
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LITERARISCHES DUETT
Wenn zwei Reporter aufeinandertreffen,
kann es kompliziert werden. Oder unglaublich spannend. Ein Porträt des großen
Gay Talese – beste Freizeitlektüre
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A BGEFÜLLTE BEGIERDE
Winzer Roman Roth macht Weine, für die
ein Mann seine Frau sitzen lassen würde
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DER JÄGER UND SAMMLER
Ein Porträt des Galeristen David Zwirner.
Oder: Ein Deutscher in New York
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GLO BAL DIARY
Diesmal bekamen wir Postkarten aus
Phuket, Mailand und San Pancrazio
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O H, BOY!
Wir sahen dabei zu, wie die Tasche
„Boy Chanel“ entsteht – der Bauplan
KOSMETIK
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CHRISTIANS HAUS
Nur in „La Colle Noire“ fühlte sich Dior frei.
Inga Griese hat sich dort umgeschaut
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GEPFLEGTES INSIDERWISSEN
Unsere Kosmetikexperten wissen, was sie
und er jetzt brauchen. Plus: Neue Produkte
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PSSSST! DIE NEULINGE
Internationale Frischmacher
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WHAT A FEELING
Wer das St-Barth-Gefühl hautnah erleben
möchte, muss nicht mehr zwingend eine
weite Reise antreten. Caroline Börger
hat es dennoch getan
GESCHICHTEN
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IRMA IST I MM ER AM ( ERD) BALL
Unsere Kolumnistin verrät Tipps und Tricks
für die Reise rund um den Globus
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WE NN W ELTEN BUMM LER ZU
HAUSE SESSHAF T WERDEN
Auch unsere Möbelauswahl stammt diesmal von Designern aus der ganzen Welt
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GOLD MI T GUTEM GEWISSEN
Das Haus Chopard verwendet ethisch
korrekte Rohmaterialien für Teile seiner
Kollektion – Julianne Moore ist überzeugt
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DRUNT E R S TATT DRÜBER
In Saudi-Arabien verbirgt die traditionelle
Abaja eine eigene Modewelt – wir
schauten unter dem Schleier nach
mbyner d ie C o
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o o k s k a n c h k a u fe n . Z u s ä t d e s
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SAM BISSO(4)
08
Road Trip: Model Alena Blohm hat für uns luftige
Sommermode entlang Kaliforniens Highway No. 1 in
Szene gesetzt. Von oben: Mit Cabriolet: Kleid:
Dolce & Gabbana. Lederjacke: Gucci. Schuhe: Altuzarra
An der Bixby Creek Bridge: Kleid und Armreif: Céline.
Leder-Fransenrock: Polo Ralph Lauren. Weste: Marni.
Pretty in Pink: Gestreiftes Kleid: Christian Dior.
Ohrringe und Kleid in Pink und Schwarz darüber: Marni.
Lederjacke: Longchamp. Nächster Halt Hollywood? Im
Kleid von Fendi. Bluse mit Spitze: Rochas. Jacke: Saint
Laurent. Stiefel: Emanuel Ungaro. Hut: Gucci
STILISTEN
AP/ANTONIO CALANNI
DIE WELT IST EIN DORF. UNSERE LIFESTYLEWEISEN BEGABEN SICH FÜR UNS AUF DIE REISE
Schirmherrin
8
MEHR UNTER ORLEBARBROWN.DE
Schöner entschleunigen im Wohlfühlschuh: Kaschmir-Sneaker
von Iris von Arnim und Fritz Unützer. In vier Farben.
WN
ICON/ORLEBAR BRO
WIEBKE BOSSE FÜR
Elefantastisch! Wir testeten mit einem
ICON-Shooting-Motiv die neue
„SnapShorts“-App von Orlebar Brown,
mit der jeder zum
Badehosen-Designer wird.
Seit einiger Zeit bezeichne ich mich nicht mehr als Nomadin, sondern habe die Wortschöpfung „Gypsetter“ für
mich entdeckt. Die Symbiose aus „gypsy“ (Englisch für
Gipsy) und „Jetsetter“ trifft auf den Punkt zu, auch wenn
95 Prozent meiner Reisen um den Globus einen beruflichen Hintergrund haben. Der bescherte mir kürzlich einen Kurztrip auf die Seychellen, von dem ich mir trotz eines straffen Terminpensums
ein wenig Erholung erhoffte.
22 Stunden Anreise brachten
meinen adrenalingepeitschten und zugleich tiefenerschöpften Leib nicht gerade
nach vorn. Im nagelneuen
„The H Resort“ auf Mahé
buchte ich mir also ein AntiStress-Treatment. Der SpaDirektor selbst nahm sich
Zeit und verkündete mir
Ala Zander
nach einem Erstanalyse-GeInhaberin der
spräch schonungslos, dass PR-Agentur „Stilart“ in München
mein Energiezentrum völlig
aus den Fugen sei. Steve ist nicht einfach nur ein Masseur, Steve ist Heiler. Er behandelt Demi Moore und versuchte es auch bei Donna Karan, deren „Vata-Pitta-Balance“ ähnlich aus dem Gleichgewicht sei wie meine, wie
er mir verriet. Zu viel Energie, zu wenig bis gar kein
Schlaf, die perfekte Langzeit-Selbstzerstörung. Steve
wurde mein Meister der Selbsterkenntnis. Nach fünf Sitzungen erkannte ich immerhin mein Problem. Leider
konnte ich ihn nicht abwerben, sich ab sofort ständig um
meine Balance zu kümmern – aber sobald ich es wieder
einrichten kann, plane ich eine Reise zurück in meine
(H)heile(r-) Welt.
PRIVAT
HEILE WELT
Wer den Hut aufhat, hat das Sagen. Zumindest sticht
er aus der Menge hervor. Und das ist ja schließlich das
Wichtigste beim alljährlichen Traditionspferderennen
im englischen Ascot. Vom 14. bis 18. Juni greifen die
Damen wieder zu Riesenhut, etwa diesem von Armani,
Fernglas und Champagner-Flöte. Delighting!
TRENDBAROMETER
VON WOLFGANG JOOP
Herr Haka
Frau Dob
Ignorieren ist das Stichwort. Ich
mag verhüllte Gesichter nicht,
aber die Hotpants ohne Rückenspiegel, die jetzt wieder auf die
Straßen niederkommen, sind
auch gewöhnungsbedürftig.
Zumal besonders gern freigelegt
wird, was doch schon etwas welkt.
Aber ich stimme dir zu, wir sollten Tradition Tradition sein lassen
und Mode nicht zu sehr idealisieren. Lieber bunt als eintönig.
Unsere Freiheit ist ja gerade, sich
so oder so zu kleiden.
Game. Set. Match.
Klassiker zeichnen sich häufig durch Reduktion aus. Aber
nicht alles Minimalistische ist auch ein Klassiker. Für die
Zalando-Iconics-Kollektion stellte sich Designer Rafael Nespeirera der Aufgabe, zeitloses Design und Qualität in einem
Schuh zu vereinen. Die Produktion übernehmen die Lederexperten aus dem spanischen Elche, etwa für diesen Low
Sneaker, angelehnt an den klassischen Tennisschuh.
SABINE REITMAIER
STADT UND KUNSTWELT
Das New Yorker DIS-Kollektiv mit
Solomon Chase, Marco Roso,
David Toro und Lauren Boyle
kuratiert die aktuelle Berlin
Biennale (die Spiegelung ist
Absicht), die am 4. Juni eröffnet
10
Am liebsten hätten wir uns Berlin wie Touristen genähert: Befallen von einer Art kulturellen Dysmorphophobie, also eingebildeter Hässlichkeit, stellen wir uns vor, wie wir mit
einem Selfie-Stick in der Hand von Berlinern in skandinavischer Designermode bestaunt
werden. In Wirklichkeit bewegen wir uns in einem verzweigten Netzwerk und fühlten uns
hier von Anfang an wie zu Hause. Weil wir selbst ein Online-Magazin betreiben, stellt sich
„die Kunstszene“ für uns sowieso als durch und durch vernetzt dar. Oft wissen wir überhaupt nicht, wo genau sich bestimmte Leute auf der Welt gerade befinden: Berlin, Johannesburg, Hongkong oder Ohio – es macht für uns keinen großen Unterschied. In Berlin
stellte sich heraus, wie wichtig der echte Kontakt ist. Wir treffen unglaublich viele Künstler
und Kreative, mit denen wir Ideen austauschen, zusammenarbeiten. In manchen Fällen
verfolgen wir sie wie besessen. Das soziale Element der Nähe, Freundschaft und kollektive
Kreativität gehören einfach dazu. Genauso wie der fast schon surreale Kontakt zu Macht
und Politik, der sich einstellt, wenn man eine staatlich geförderte kulturelle Veranstaltung
organisiert. Und manchmal hatten wir das Gefühl, dass wir weniger von expliziten Kunstorten als von aufgeladenem politischen Terrain angezogen wurden: Ausstellungen im
Paul-Löbe-Haus, der nicht eröffnete Flughafen Berlin-Brandenburg, riesige öffentliche
Fußball-Screenings am Brandenburger Tor oder die Inszenierungen zur Flüchtlingsthematik am Maxim Gorki Theater. Mit der Biennale erfahren und verkörpern wir den Kontrast zwischen der manchmal abstrusen Kunstwelt und der ureigenen Energie der Stadt.
Genau diese Schnittstelle finden wir interessant. Hier möchten wir sein.
ZALANDO
Ich versteh’ die Aufregung um
orientalische Mode gar nicht.
Was hat das mit Emanzipation zu
tun? Ich habe schon in den 70erJahren einen grünen Samtanzug
mit Pluderhose und Goldtressen
getragen, den ich im „Mamounia“
in Marrakesch geschenkt bekommen hatte. Damals kauften
auch alle bei Djamtorki in Hamburg Originale aus Marokko als
Alternative zur Haute Couture.
Lass uns in der Mode doch einfach bei Mode bleiben und den
Zwang und Politik ignorieren.
Durch jahrelange Yogapraxis habe ich gelernt, was sich
hinter dem hochtrabenden Wort „Ganzheitlichkeit“ verbergen könnte. Im Yoga ist es ein Zusammenspiel aus
Atemübungen und körperlicher An- und Entspannung.
Wenn alle Facetten im Einklang sind, erlebt der Praktizierende eine umfassende Wahrnehmung von sich selbst
und seiner Umwelt. Man muss das nicht Erleuchtung
nennen. Aber man kann.
In der Mode, der ich als Model und Markenberater ebenfalls seit Jahren verbunden bin, ist die Lage ungleich
komplizierter. Insgesamt ist der Mode- und Luxusmarkt
übersättigt. Brauchen wir wirklich noch mehr
„Birkin Bag“-Kopien, Perfecto-Lederjacken
und Skinny Jeans? Wie lebt der moderne, verwöhnte Konsument von Welt heute wirklich?
Inspiriert ihn die Kombination aus DiptyqueDuftkerzen, APC-Jeans, und CoffeetableBooks über Hausschlachtungen, skandinavisches Möbeldesign oder AvantgardearchitekMax Vallot
tur genug, um ihm das Gefühl von einem erFashion Consulfüllten Leben zu vermitteln?
tant und
Gründer des
Ich glaube, dass sich unser Konsumverhalten
Fitnessnetworks
momentan stark verändert. In der Modewelt
„District Vision“
gibt es Spielraum, was Authentizität, Nachhalin New York
tigkeit und eine holistische Denkweise betrifft.
Wir suchen nach Brands, die externe mit internen Werten
verbinden können. Uns interessieren die Produktionsstandards mindestens sehr so wie die Models in der Kampagne. Die Generation der Millennials, zu denen ich mich
zähle, ist wählerischer, bohrt nach, sucht nach einzigartigen Erlebnissen und ist dennoch markenloyal. Wir investieren in lang anhaltende Qualität statt in kurzfristigen
Spaß. Es geht nicht mehr um neuer und schneller, sondern um intelligenter und bewusster. Darauf reagieren die
großen Marken. Das Vermarkten von saisonalen Trends,
einer neuen It-Bag, einem neuen Instagram-Star, einer
neuen bestickten Bomberjacke, reicht nicht mehr. Wir
möchten nicht mehr als Konsumenten gesehen werden,
sondern als Menschen mit einer bestimmten Lebensweise und Idealen. Auch wenn das idealistisch klingen mag.
Redet uns nicht ein, dass es angesagt sei, als Kokainleiche
mit Lederjacke in der Ecke zu liegen. Wir wollen die
Abenteuerlust der, sagen wir, Outdoor-Marke Patagonia
kombiniert mit dem Coolness-Level von Céline. Im Idealfall unterstützen uns Brands auf dem Weg zu einem gesünderen Leben. Dieses Bewusstsein ist der neue
Rock ’n’ Roll.
UND SONST NOCH
KANN LOSGEHEN: Pünktlich zur Sommersaison öffnet Chanel
seinen Pop-up-Store in Saint-Tropez —— DIE LIEBEN KOLLEGEN I: Wie eine Handvoll Frauen und Männer von 1945 bis
2015 „Acht deutsche Sommer“ erleben, erzählt das Autoren-Trio Christine Kensche, Uwe Schmitt und Wolfgang Büscher (Rowohlt) —— DIE LIEBEN KOLLEGEN II: Frank Schmiechen ist der „Mann mit dem gelben Hemd“. Unbedingt anhören. Ab 17. Juni —— SEHNSUCHTSORT: Dass Marlon Brando Polynesien verfiel, versteht man beim Aufenthalt in dem von
ihm gegründeten Hotel „The Brando“ (thebrando.com) ——
AUF ZACK: Es geht um mehr als bunt in der „Missoni Art Colour“-Ausstellung im Londoner Fashion & Textile Museum
—— RADTOUR: Der Designer liebt Räder.
Nun gibt es das Buch
dazu. „Paul Smith’s
Cycling Scrapbook“,
(Thames & Hudson)
OLIVIER SAILLANT
DIE HERBST/
WINTERK O L L E K T I O N 16 /17
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S O M M E R E R H Ä LT L I C H
Weiß steht für Reinheit, Ordnung, Leichtigkeit, Vollkommenheit. Klar, dass Bräute diese Farbe tragen, die streng
genommen gar keine ist, sondern vielmehr die Summe aller
Farben des Lichts. Eine Erhellung, ein Neuanfang, eine
Carte Blanche eben. Nicht weniger will die Nuance „White
Spazzolato“ der „Classic Bag“ von Céline vermitteln. Sie ist
der Kalbsleder gewordene Sommer für die Garderobe.
STEFANO TROVATI/SGP
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Santoni ist von
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Traum in Weiß
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Summ, summ!
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Sie schwirrt auf Taschen, Kleidern, Schuhen: Ganz klar, die
Biene zählt zu den Lieblingsmotiven von Gucci-Kreativdirektor
Alessandro Michele. Und so ziert sie auch zahlreiche Schmuckstücke aus der Fine-Jewellery-Kollektion des Hauses, deren
Botschafterin, die Sängerin Florence Welch, kürzlich in London
vorgeflogen, äh, -gestellt wurde. Der Ring rechts besteht aus
18-karätigem Gelbgold – und sticht garantiert nur ins Auge.
HOW TO ART – TEIL XI:
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GAME OF
URLAUB
Wenn man Braun nur als Farbe der Gemütlichkeit
kennt, dann führt dies unweigerlich zu Schwarz-WeißDenken. Da kann es nur eine Lösung geben: Verschickung. Vielleicht sollte man nicht nur Künstlern ihre Reisen sponsern, sondern vor allem jenen Menschen, die
sich ängstlich in ihre braune Ackerscholle verbeißen und
diese nicht teilen wollen. Indien ist ein hervorragendes
Ziel, denn schon so mancher deutsche Bildungsbürger,
Hippie, oder Abiturient kam mit offenem Herzen und
Geist und einem ziemlich zurechtgestutzten Anspruch
aus diesem Mekka der Farben und der Spiritualität zurück, um sich, zurück in der Heimat, vor einem Wasserhahn zu verneigen, aus dem tatsächlich Trinkwasser
sprudelt.
Ein weiterer Künstler trat unlängst seine letzte Reise an,
ein kleiner Prinz, der hier auf Erden von der Farbe Purpur sang und von Liebe, die aus Musik zu bestehen
schien. Wahrscheinlich hatte er noch ein paar Vulkane
zu fegen. Den Körper kann man auf dieser Art von Reise nicht gebrauchen, zu schwer und zu träge hängt er an
einem. Besitz belastet eben! Am Ende sehen wir zum
Nachthimmel empor und denken an Sternschnuppen,
dabei schießen über das Nachtblau Satelliten, um uns
mit der Welt zu verbinden und uns vorzugaukeln, dass
wir ruhig an einem Ort bleiben können, denn die Welt,
sie ist doch schon im Wohnzimmer. Man sollte sich
nicht täuschen lassen.
Man kann auf Island nicht wirklich
etwas falsch machen. Die Natur ist
per se spektakulär. Aber wenn die
Touristen vollkommen aus dem
Häuschen vor den bekanntesten
sprudelnden Geysiren stehen, kann
man als Einheimischer die Begeisterung nur ansatzweise nachvollziehen. Wie überall auf der Welt
lohnt es sich nämlich, die ausgetretenen Pfade zu verlassen. Auf Island
kann das jedoch
bedeuten, dass es
irgendwann überhaupt keine Straßen
mehr gibt und man
sich durch eine LandVictoria
schaft schlägt, die an
Eliasdóttir
die Kulisse von „GaChefköchin im
me of Thrones“ oder
Restaurant
„Dóttir“ in Berlin
„Herr der Ringe“
erinnert.
Überhaupt die Erinnerungen: Die
schönsten Orte, die ich auf Island
kenne, existieren jetzt, wo ich in
Berlin lebe, vor allem in traumhaften
Sequenzen. Früher sind meine
Familie und ich in den Ferien viel
über die Insel gereist. Einer meiner
Lieblingsorte ist bis heute Landmannalaugar. In dieser Hochlandgegend fließen verschiedenfarbige
Erdschichten ineinander wie auf
einem Gemälde. Man kann dort
reiten, wandern und natürlich in
heißen Quellen baden. Ich kenne
kaum einen anderen Ort, der einen
im positiven Sinne so sehr auf sich
selbst zurückwirft.
FRANZISKA SINN
„Reisen bildet!“, sagte einst schon meine Großmutter, mit der ihr eigenen, unnachahmlichen
Art, komplexe Zusammenhänge auf ein Minimum zu reduzieren. „Besitz belastet“, war ein
anderes Kürzel für ihre Weltordnung.
Der Kunst und dem Künstler ist dies natürlich
nichts Neues. Künstler reisen, um sich zu bilden,
ihre Werke zu verbreiten oder Auftraggebern zu
folgen. Die Kunst selbst reist an die verschiedensten Orte dieser Welt, wohin dann die ganze
Welt reist, um diese Kunst betrachten zu können. Besonders hervorzuheben sind unsere documenta in Kassel natürlich und diverse Biennalen und Art Fairs überall auf dem Globus. Kunst
animiert, sich zu bewegen und dies nicht nur im
Geiste, sondern ganz profan, zum Beispiel mit
dem Zug. Eine Gemeinsamkeit von Kunst und
Religion, denn wo der eine nach Hessen pilgert,
wandert der andere nach Lourdes oder Mekka,
mit einem ähnlichen Ziel, nämlich irgendwie erleuchtet zu werden.
Mancher Künstler beschloss, einmal am Ziel angekommen, dort zu bleiben und sich dem Neuen, Exotischen hinzugeben und das Gesehene
zu verarbeiten. Sich neu zu erfinden, aus der alten Haut zu fahren, neue Farben zu sehen, neue
Bewunderer zu generieren. Da gab es
dann derart faszinierende Sinneseindrücke, dass die Rückkehr ins Altbekannte unmöglich erschien. Max Ernst
verschlug es die Sprache, als er in den
felsigen Wüsten Amerikas seine Gebilde wiedererkannte, die er immer wieder in seinen Bildern dargestellt hatte.
Florentine
Joop
Gleichzeitig war er erschüttert, dass er
sie nicht erfunden hatte. Gauguin
llustratorin
und Autorin
blieb gleich bei den Farben der Südin Berlin
see, andere gingen ans Mittelmeer, etwa nach Mallorca. Viel zu viele bleiben
auf Sylt. Reisen verändert den Blickwinkel auf
das eigene Ich und die uns bekannte Welt. Es
öffnet uns, macht uns einerseits weltoffener, und
gleichzeitig fühlt man sich nie europäischer als in
einem amerikanischen Supermarkt.
FLORENTINE JOOP
GETTY IMAGES
Holunder,
Holunder, die
Welt wird
immer runder
Hier ist man doch gern mal Kofferträger: Im
Innern verbirgt sich eine Flasche Champagner.
LIMITIERTE „JOURNEY“-EDITION VON VEUVE CLICQUOT
AUF
INS
EXIL
Auf Gran Canaria ist Urlauben
wundervoll. Der Blick schweift,
und alles scheint entdeckt: Vulkanische Berge formen eine
sonderbare Mondlandschaft.
Umso lebhafter braust das Meer
vom Atlantik heran, wie man es
auf Sylt nur selten erlebt. Früher
setzte man hier politisch bedenkliche Individuen aus. Francisco Franco zum Beispiel –
ohne Erfolg, wie die spätere
Geschichte Spaniens zeigen
sollte. Damit ist das Aufregendste der drittgrößten kanarischen
Insel schon zusammengefasst.
Ich bin trotzdem, oder gerade
deswegen, gern hier. Das Klima
tut meinen Knochen gut. Außerdem ist die Familie beisammen.
Wir erkunden die Gegend,
indem wir jeden Abend in eine
der kleinen Tapas-Bars einkehren. Wein gibt es auch. Und
da wird es wieder spannend.
Glücklicherweise hat die ExilInsel einen guten Draht zum
Festland. Anstelle von Schurken
sendet man nun ausreichende
Mengen Wein, etwa vom Gut
Vega Sicilia, auf die Insel. Mein
Favorit: der Unico. Im Holzfass
gereift, fällt das Aroma üppig
und herb aus. Perfekt zu den
würzigen Köstlichkeiten der
Spanier. ¡Salud!
AKHTAR
Ich umrundete die Welt mit 27:
mit Seesack, UN-Presseausweis,
Telex Card, elektrischer Schreibmaschine (Brother), den Briefen
Hemingways – und erster selbst
verdienter Rolex (805 Franken,
beschwipst verschenkt im Bordell
von Chiang Mai) – ohne Handy,
Fotoapparat und Kondome.
Es war der neugierige Orgasmus
David Blieswood
des unbekümmerten Lebens –
30 Jahre vorm Internet.
Connaisseur aus Hamburg
Jeder Mensch muss unsere Welt
umrunden, sonst glaubt er gar nicht,
wie wahnsinnig schön sie ist.
Ich habe keine Fotos, nur meine
verschwommenen Erinnerungen.
Ich kann sie nicht angucken, aber ich
kann sie wachrufen.
Sie sind wie Blumen, die ewig blühen.
New York – ewiges Schneegestöber zu
Silvester. Hongkong – Davidoff-Zigarre Nr. 2 mit dem größten Spion Asiens.
Taipeh – ein Milliardär schält mir eine
Orange; ein Mönch liest in meiner
Hand, dass ich nie reich werde.
Hawaii – das erste Surfen. Wien –
die ersten Maßschuhe von Materna.
Die Welt zu entdecken ist der
Schlüssel zu dir selbst.
Wenn meine Frau und ich träumen,
dann davon, unseren Kindern die Welt
zu zeigen, Israel, Hawaii, Washington –
aber meist sind sie immer anderswo.
Nichts öffnet die Seele mehr als Augen, die Neues sehen, und bequeme
Herzen, die neu pochen.
Das geht auch im Fremden bei uns –
im Heim der Asylsuchenden.
Es geht auch im Internet.
Aber das Glück des Kolumbus liegt
im Verlassen der Komfortzone.
Du musst weggehen, um dich
zu finden. Draußen ist innen.
Das tippe ich im Regen von Cannes
auf der Terrasse des „Carlton“ beim
Heineken-Bier (13 Euro).
Nur das Eindruckvollste wird in die
Welt getragen und
nimmt neue Formen
an – das ist Kunst.
Als Kenneth Noland
1958 bunte Kreise
auf Canvas malte,
verwandelten sie
sich kurze Zeit später in den „Tirassegno“-Pump aus
dem Hause Ferragamo. Die Hingabe zur
künstlerischen Verschmelzung zeigt
das Haus bis April
2017 auch in der
Ausstellung „Across
Art and Fashion“ im
Museum Salvatore
Ferragamo, Florenz.
Herbert
Seckler
Kultwirt vom
Sylter „Sansibar“
SALVATORE FERRAGAMO MUSEUM
MIT
DEM
HERZEN
REISEN
Auf
den
Punkt
15
OH, LOOK! UNSERE
ICONA ZEIGT IHRE AKTUELLEN LIEBLINGSTRENDS
ILLUSTRATIONEN: JAMES DIGNAN (JAMESDIGNAN.COM)
GOLDEN GIRL
Out of Office: Icona
setzt statt E-Mail lieber den
Hermès-Hut auf
+
+
Bunt, rund , ungesund fürs Portemonnaie: Ohrringe
von A. E. Köchert
Urlaubs(arm)reif: Der
Bangle „Possession“ aus
Roségold ist von Piaget
+
+
Brown-eyed Girl: Sonnenbrille von Chanel
+
+
Gut betucht: Kleid von Isabel
Marant über net-a-porter.com
+
Kettenreaktion: Icona
musste sie einfach auch
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SOMMERSCHUHE
Ferien für
die Füße
Flip-Flops von Havaianas
vermitteln das Lebensgefühl
Brasiliens. Die Europäer, sieht
Silvia Ihring, können kaum
HAVAIANAS
genug davon bekommen
Sehnsucht nach Ferien! Links: Modell aus der Kooperation mit Charlotte Olympia
N
20
ur zehn Euro, und
schon purzelt das brasilianische Lebensgefühl
aus dem Automaten. Na
ja, zumindest einen
kleinen Teil davon kann
man über den FlipFlop-Automaten erwerben, der in der Europa-Zentrale der SchuhFirma Havaianas in Madrid steht. Flip-Flops,
die so selbstverständlich verfügbar sind, als
handele es sich um Kaugummi – für Südamerikaner klingt das nicht ungewöhnlich. „In
Brasilien gehören sie zum Alltag wie Coca-Cola. Man trägt sie zu jeder Gelegenheit, zumal
es das gesamte Jahr über heiß ist“, sagt Eno
Polo, der Europa-Präsident in seinem Büro.
Polo, halb Franzose, halb Italiener, wuchs quasi barfuß in Kenia auf. Den trägen Büromenschen verkörpert der 49-Jährige, der in seiner
Jugend professionell Tennis spielte, bis heute
nicht: gebräunter Teint, volles Haar, das Hemd
aufgeknöpft, Ärmel hochgekrempelt. Viele
Jahre arbeitete er als Manager bei Nike, unter
anderem baute er für das Unternehmen das
Lizenzgeschäft des Fußballklubs Juventus Turin auf. „Das war eine der schönsten Erfahrungen bei Nike: Zu merken, dass ich etwas von
Grund auf entwickeln konnte“, sagt er. Das Angebot von Havaianas, einer Marke, die in Europa praktisch bei null anfing, weckte 2008
erneut seinen Unternehmergeist.
Seine Aufgabe ist es, in den Europäern die
Sehnsucht nach Ferien zu wecken. „Viele von
ihnen verbinden mit Brasilien ein positives
Gefühl. Klar, nicht mit der Politik oder der
Wirtschaft des Landes. Aber für die meisten
ist Brasilien ein Ferienort, der für Strände, für
Musik und schöne Menschen steht.“ Ein schönes Bild, das sich gut verkauft. 218 Millionen
Zehensandalen von Havaianas gingen 2014
weltweit über die Ladentische, in Europa ist
das Modell mit der kleinen brasilianischen
Flagge am Riemen der Bestseller. Längst bieten zahlreiche Hersteller Flip-Flops an, doch
keiner ist so eng mit dem Ursprungsland dieser Schlappen und ihrer Geschichte verbunden. 1962 kamen die zwei Chefs des Mutterkonzerns Alpargatas auf die Idee, ein Modell
zu lancieren, das von der japanischen ZoriSandale inspiriert sein sollte. Die Zori besteht
aus einer Sohle aus Reisstroh und zwei Riemen, die an einem Steg zwischen den Zehen
zusammenlaufen. An dieses Vorbild erinnert
bis heute die reiskornartige Struktur der
Gummisohle der Havaianas.
Zwei Jahre später ließ sich das Unternehmen
die selbst erfundenen Flip-Flops patentieren.
Zu dem Zeitpunkt hatten sie sich bei den Brasilianern längst als multifunktionaler Alltagsschuh etabliert. Billig, rutschfest, stabil und
bei Hitze angenehm zu tragen. 1980 stellte die
brasilianische Regierung Havaianas gar auf eine Stufe mit Grundnahrungsmitteln, als sie
diese auf eine Liste mit Produkten setzte, deren Preise zur Inflationsbekämpfung staatlich
kontrolliert sein sollen. Doch wie Bohnen und
Reis galten auch die Latschen nicht als besonders fancy. „Viele Jahre lang wurden sie nur
von der ärmeren Bevölkerung getragen“, sagt
Eno Polo. In der Mittelschicht war die Gummischlappe als Arbeiter-Schuhwerk verpönt.
Heute, da strikte Dresscodes weder für Luxuskunden noch für weniger vermögende Konsumenten eine Rolle spielen, zählen Flip-Flops
zur sommerlichen Standardgarderobe. Man
trägt sie in der Großstadt zu Jeans und leichten Baumwollkleidern. Man kann ein nüchternes Basic-Modell für 17,99 Euro bei der
Sportartikel-Kette Decathlon kaufen. Oder ein
Paar mit vielen kleinen, von Hand auf die Riemen angebrachten Swarovski-Kristallen für
160 Euro. Sie bestehen aus fast nichts, geben
den Füßen von kältegeplagten Nordeuropäern das Gefühl, nackt und frei zu sein. Vielleicht schätzen diese sie gerade deswegen so
sehr, weil sie sie nur selten tragen können. Der
wetterbedingt eingeschränkte Nutzen in Europa sei durchaus ein Problem, sagt Polo. Seit
einigen Jahren führt man daher auch Gummistiefel. Diese dienten vor allem, um Kunden
im Herbst und Winter in die Stores zu locken.
„In den meisten Fällen kommen sie mit einem
Paar Flip-Flops wieder heraus.“
In den vergangenen Jahren haben Modelabels
für das Unternehmen eigene Designs kreiert,
darunter Missoni, Valentino oder aktuell die
britische Schuhdesignerin Charlotte Olympia.
Dass die einstige Arbeiterpantoffel zum
Everybody’s Darling aufgestiegen ist, dabei hat
das Unternehmen selbst nachgeholfen. In den
90er-Jahren fiel den Verantwortlichen auf,
dass Havaianas durchaus von der Hautevolee
Brasiliens getragen wurden – Models, Fußballer – aber nur zu Hause. „Man dachte sich also
einen Werbespot mit diesen Leuten aus. Ein
Video-Team interviewte sie zu Hause, die Kamera zeigte auf die Füße – sie trugen Havaianas. Das hat die Mittelschicht Brasiliens überzeugt“, sagt Polo.
Zum Accessoire wurden Flip-Flops jedoch
erst in Europa, als Reisende sie mitnahmen,
selbst trugen, verschenkten oder auch verkauften. „Plötzlich genossen Havaianas den
Ruf, ganz besondere Schuhe aus Brasilien zu
sein, die nur in kleinen Mengen in feinen
High-End-Boutiquen verkauft wurden.“
Inzwischen wurden Millionen europäischer
Füße erobert. In Brasilien ist es oft üblich,
Hochzeitsgäste mit den Schlappen zu beschenken. Als Souvenir und damit die Damen
später am Abend unbekümmert am Strand
tanzen können. Seit 2015 kann man auch in
Europa größere Mengen personalisierter,
weißer Flip-Flops bestellen. Polo erzählt von
seiner Schwägerin, die im vergangenen Sommer auf Korsika am Strand heirate. Logisch,
dass noch vor der Vorspeise jedem Gast ein
Paar Havaianas serviert wurde.
MR BADEHOSE
Eleganz und
Spieltrieb
Vilebrequin heißt wörtlich übersetzt
Kurbelwelle und ist dennoch ein
französisches Synonym für Badehose.
Silke Bender erfuhr von CEO
BIANCA CHANIAL
Roland Herlory, wie es dazu kam
Ausnahmsweise angezogen und in Paris: Roland Herlory von Vilebrequin
E
r ist vermutlich der einzige
CEO, der mehr Badeshorts
als Anzüge besitzt: Roland
Herlory, seit 2012 Chef von
Vilebrequin aus Saint-Tropez, lebt selbst auf SaintBarthélemy, dem anderen
französischen Jetset-Spot in
der Karibik. Der 52-Jährige trägt einen tropischen Teint, ein legeres Sakko und Hemd. Lederschmuck um Hals und Handgelenk sowie
ein sonniges Lächeln fehlen nicht, als er zum
Interview im Pariser Designstudio empfängt.
Viele Jahre war er als Sondergesandter in Sachen Spezialanfertigung für Hermès unterwegs – und irgendwann reif für die Insel. Er
ließ sich freiwillig zum Shopmanager des Luxushauses auf Saint-Barthélemy herunterstufen. Seit 15 Jahren lebt und arbeitet er nun
dort. Irgendwann wollte Morris Goldfarb von
der G-III Apparel Group wissen, wer seiner
Frau im Urlaub so viele Hermès-Sachen verkaufte. Als Goldfarbs Gruppe die Marke Vilebrequin übernahm, wollte er nur Herlory zum
Chef. Der sagte nur unter der Bedingung zu,
dass er auch als CEO auf Saint-Barthélemy
bleiben dürfe. Man kann ihn also getrost als
Experten für endlosen Sommer und die passende Bekleidung befragen.
Herr Herlory, kann Bademode, also die Verpackung, etwas rausreißen, was der Körper,
also der Inhalt, nicht hergibt?
Nein (lacht), aber man kann seine Würde bewahren. Das ist die Stärke der Marke Vilebrequin. Elegant zu bleiben, wenn man als Mann
nichts außer Badeshorts am Körper trägt. Das
ist für mich eine Frage des Wohlfühlens. Vilebrequin-Shorts sind bequem, und unsere Polyamid-Stoffe sind einzigartig. Sie fühlen sich
an wie Baumwolle, trocknen schnell, und
selbst wenn Sie aus dem Wasser steigen, kleben sie nicht an den Beinen.
Sie sind auch mal mit niedlichen Motiven wie
Schildkröten bedruckt – dem Symbol der Marke. Wie passt das zu Würde und Männlichkeit?
Besonders die bunten, fantasievollen Designs
sind unsere Bestseller! Unsere Kunden arbeiten das ganze Jahr, oft in dunklen Anzügen. In
den Ferien erlauben sie sich Humor und
Leichtigkeit. Was Vilebrequin versteht, ist diese delikate Gratwanderung zwischen Eleganz
und Spieltrieb. Das Geheimnis bei Männern
ist, dass sie dann Virilität ausstrahlen, wenn
sie sich wohlfühlen. Dann tragen sie auch grüne Elefanten oder rosa Krabben mit der richtigen Haltung, einer männlichen Allure. Besonders wenn sein Sohnemann ihn in den gleichen Shorts begleitet. Für mich ist das der
Esprit der 70er-Jahre von Saint-Tropez, für
den Vilebrequin noch heute steht.
Das müssen Sie genauer erklären ...
Es war eine Phase der Unbekümmertheit, der
Freiheit und der Emanzipation. Der Mann
trug lange Haare und leistete es sich, seine
Männlichkeit auch mal humorvoll zu brechen.
Sich die Lust am Leben zu erlauben, wurde
wichtiger, als tradierten Rollenklischees zu
entsprechen. Fred Prysquel, der Motorsportjournalist und Markengründer, verliebte sich
in eine Frau in Saint-Tropez und wollte sie mit
besonderen Badeshorts aus afrikanischen
Stoffen beeindrucken, die er nähen ließ. Er
erfand so den Shortie, die Badehose der Neuzeit, eine verkürzte Version der amerikanischen Surfer-Shorts. Vorher trugen alle Männer nur Speedo-Slips. Schließlich wollten alle
Freunde am Strand genau dieselben. In meiner Jugend wollte jeder J.-M.-Weston-Schuhe
und Vilebrequin-Shorts.
Wer trägt heute eigentlich noch Badeslips? Sie
haben wenige in der Kollektion ...
Schwule, die zeigen wollen, was drinsteckt, ältere Männer, die ihre Gewohnheiten nicht än-
dern möchten, und Männer, die in französische Freibäder schwimmen gehen. Da sind
Shorts ja verboten.
Heute steht Saint-Tropez mehr für Bling-Bling
als für den Ort, wo hippieske Lebenslust zelebriert wird. Dazu passen Ihre Sondereditionen von Badeshorts für über 8000 Euro.
Zum Wesen des Luxus gehört es, die Latte immer etwas höher zu legen. Schließlich kam
unsere Stickereifirma in Italien auf die Idee,
es doch einmal mit echten Goldfäden zu versuchen. Und so sind in diesen Badeshorts tatsächlich 15 Gramm pures Gold verarbeitet,
und die Kordelenden sind mit zwei Saphiren
versetzt. Ich war selbst erstaunt: Die Hälfte der
rund 80 Stücke hat sich ruckzuck verkauft.
An Russen oder Rapper?
Mexikaner, Brasilianer, Amerikaner, Engländer, Franzosen ...
Auch an deutsche Männer?
Noch nicht, glaube ich.
Wie können Sie deutsche Männer überzeugen,
überhaupt 200 Euro hinzulegen, das ist ja der
durchschnittliche Preis für Ihre Badeshorts?
Überall ist der Strand ein Ort der Zurschaustellung. Wenn ich dort nur ein Kleidungsstück habe, mit dem ich mich präsentieren
kann, warum dann nicht etwas mehr investieren, um sich maximal wohlzufühlen und maximal gut auszusehen? Außerdem hält eine
Badehose bei uns quasi ein ganzes Leben – inklusive der Gummibänder. Und falls der Innenslip aus Baumwolle mal kaputtgehen sollte, nähen wir ihn nach.
Ein stilistisches No-Go für Männer am Strand:
der String?
Für Vilebrequin würde ich dem zustimmen.
Aber sage niemals nie in der Mode.
21
GANZ LOCKER
Nonkonforme Hülle
Diesen Sommer zieht man sich das Leben der Boheme vor allem an.
Tory Burch zeigt, welche Frauen diesen Look ideal verkörpern
Mode verhilft nicht nur Menschen, sondern
auch Begriffen zu einer völlig neuen Identität. Die Boheme zum Beispiel war einst „eine Subkultur von intellektuellen Randgruppen mit vorwiegend schriftstellerischer,
bildkünstlerischer und musikalischer Aktivität ... mit betont un- oder gegenbürgerlichen Einstellungen und Verhaltensweisen ...
Töchter und Söhne verweigerten sich oft
den Normen und Gepflogenheiten ihres Elternhauses und ihrer Klasse und lebten das
Leben eines Bohemiens“. So will es wenigstens Wikipedia. Wem dieser Lebensentwurf
zu anstrengend erscheint, kann heute trotzdem danach aussehen. Die amerikanische
Designerin Tory Burch hat unter dem Titel
„Bohemian Traveller“ eine Gruppe von
Frauen porträtiert, die den „freigeistigen,
weltoffenen und eklektischen Stil der Marke
verkörpern“. Die Unternehmerinnen, Prinzessinnen, Models und Künstlerinnen sind
allesamt aus bestem Hause und rasend erfolgreich, sehen aber trotzdem so aus, als
wären sie in die hippiesken Tunika-Kleider
und Espadrilles hineingeboren. Die Zeiten,
in denen man sich mit seinen Eltern überwerfen musste, um so auszusehen, sind spähblue
testens jetzt nachweislich beendet.
Oben links: Zita d’Hauteville ist Model und
studiert Information Management an der UCL
in London. Sie wird als aufstrebendes JetsetMädchen gehandelt und wurde für Tory Burch
in der Pariser Wohnung ihrer Eltern im 16.
Arrondissement fotografiert.
Oben rechts: Die Italienerin Marie-Louise Sciò
ist die Kreativdirektorin der Pelican Group, die
im Besitz ihrer Familie ist und zu der unter anderem das berühmte „Il Pellicano Hotel“ in der
Toskana gehört. Hier sieht man sie am Pool der
Luxusresidenz „La Posta Vecchia“ in Capalbio.
TORY BURCH
Unten links: Sabine Getty ist Schmuckdesignerin für ihr Label „Sabine G.“. Dort vereint die
Tochter eines Libanesen und einer Ägypterin
orientalische und westliche Einflüsse. Vor gut
einem Jahr heiratete sie den Milliarden-Erben
Joseph Getty in Rom. Das Bild entstand in
ihrer Londoner Residenz.
22
Unten rechts: Laure de Clermont-Tonnerre ist
Schauspielerin, Regisseurin und Schriftstellerin. Sie entstammt einer aristokratischen
französischen Familie. Ihre Eltern sind bekannte Filmproduzenten. Tochter Laure wird
in diesem Jahr ihr Spielfilmdebüt als Regisseurin geben. Das Foto wurde im Pariser
Haus ihrer Eltern aufgenommen.
Vitamine für die
Garderobe: ZitronenTasche von Hermès
Weißes Gold: KeramikOhrringe „Capri“ von
Pomellato
Süß, wie Torta della nonna:
Tasche von Dolce & Gabbana
Porzellanschuhe: Sneaker
„Mountain Cut“ von Filling
Pieces x Bodega
Nur nicht Rot sehen!
Die Brille ist von
Alexander McQueen
Für die blaue
Stunde: Tasche
„Pénélope Fantaisie“
von Longchamp
Gelb ist das neue
Weiß: Das T-Shirt
ist von Ganni
Flugbegleiter: Schlüsselanhänger von Loro Piana
SOMMER-FRISCHE
Mach
mal blau
und treib
es bunt!
„Sommer ist die Zeit, in
der es zu heiß ist, um das zu
Gute Aussichten:
Sonnenbrille mit
austauschbarer
Front von Swatch
Gibt Rückenwind: Der
Rucksack ist von Aigner
Smile! Schlüsselanhänger-Etui von Anya
Hindmarch über
matchesfashion.com
tun, wozu es im Winter zu
kalt war“, schrieb einst
Mark Twain. Und er hatte
natürlich recht. Der Sommer
Schön gemütlich:
Sandalen von Boss
Gut getarnt unter
der Markise:
Tasche von Prada
ist zum Nichtstun da. Also,
auf, treiben Sie es bunt!
Im schönsten Doppelsinn
Kurz und gut: Shorts aus
der „Circus“-Kollektion
von M Missoni
Musterhaft: Tasche
von Giorgio Armani
Meeresbrise: Duftkerze „Kosi Bay“ von Baobab
ZUSAMMENGESTELLT VON MIRA WIESINGER
Schlafzimmerblick?
Im Urlaub ein Muss!
iPhone-Hülle von Iphoria
Statt Eis, Schuh am
Stiel. Pumps von Dior
Für die leichte
Schulter: Tasche
von Chanel
Fußschmeichler: Die
Sandalen sind von
Max Mara
23
A
THE LONG ROAD
L
Wie eine lebenswichtige Arterie zieht sich
der Highway Number One im Westen der USA
an der Küste entlang. Leitet Autos, darin sitzende Einheimische und Touristen 650 Kilometer quer durch Kalifornien. Besser als ihn
entlangzufahren ist nur, wenn man mal aussteigt. Man startet am besten in Monterey, der
ehemaligen spanischen Kolonialhauptstadt,
setzt dann seinen Weg gen Süden fort, vorbei
an den Golfplätzen und Luxusvillen in Carmel-by-the-Sea über die Bögen der Bixby
Creek Bridge nach Big Sur, dessen Landschaft
so spektakulär ist, dass man eigentlich gar
nicht mehr weiterfahren möchte.
Unser Team hat sich auf diese Reise gemacht.
Mit dabei: sommerlich leichte Mode und Model Alena Blohm. Die junge Frau aus dem niedersächsischen Weyhe hat große Ambitionen.
Noch ist Toni Garrn Deutschlands erfolgreichstes Topmodel. Aber das könnte sich bald
ändern, denn die Karriere von Alena Blohm
hat erst begonnen und nimmt gerade international Fahrt auf. Mittlerweile wohnt die 22Jährige in Manhattan, dort gehört sie zu den
gefragtesten deutschen Models. Manchmal
fliegt sie in einer Woche von New York nach
Los Angeles, von dort nach Kapstadt und
gleich weiter nach Europa. Mal trägt sie Bikini, mal Haute Couture – und ist dennoch immer unverwechselbar sie selbst.
Mit 16 wurde sie bei einem Kaufhausbesuch
entdeckt. Dabei ist sie nur 1,75 Meter groß und
ganz und gar nicht mager. Zudem hat sie eine
Zahnlücke. Dazu gesellen sich klassische Modelqualitäten: „Sie hat für eine Blondine sehr
anständige Haare, sie hat eine Haut wie Porzellan, einen Wäsche-Body mit atemberaubenden Kurven, und sie hat Persönlichkeit“,
fasst ihr Manager zusammen. Bemerkt haben
das Gesamtkunstwerk in der Branche zu-
24
E
N
A
FOTOGRAF: SAM BISSO
STYLING: NADIA RATH
HAARE & MAKE-UP: SABRINA ZIOMI
MIT PRODUKTEN VON CHANEL
MODEL: ALENA BLOHM
C/O MODEL MANAGEMENT
PRODUKTION: ISABEL SCHARENBERG
C/O CREATIVE MANAGEMENT
STYLING-ASSISTENZ: JANELLE OLSEN
FOTO-ASSISTENT: DAVID HERSCHORN
PRODUKTION AM SET: MADELINE BREED
nächst aber nur wenige. Kwok Kan Chan, einem der Top-Vermittler von Models in New
York bei „The Society Management“, einem
Ableger der Agentur Elite Models, gefiel Alenas Modelbuch. Er hält immer Ausschau nach
Mädchen mit Wiedererkennungswert und
wollte die neue deutsche Sehenswürdigkeit
persönlich kennenlernen. Zwischen Kwok
und Alena passte es sofort. Wie seine Kollegen
in Hamburg liebte auch er ihre natürliche, unbeschwerte Art – und ihre Zahnlücke.
Ihre unkomplizierte Persönlichkeit hat ihr
auch über erste Anlaufschwierigkeiten in
New York hinweggeholfen: Keine Eltern, keine Freundinnen, keine Gemütlichkeit, nur eine Fernbeziehung – „ich war zunächst ziemlich einsam. Wenn es mir mal nicht so gut
ging, war da niemand, der mir bei einer Tasse
Tee zuhörte.“ Alena musste erkennen: „Ohne
Freunde kann man sich nirgendwo zu Hause
fühlen.“ Umso ehrgeiziger stürzte sie sich in
die Arbeit. Fitnessstudio, Termine, essen,
schlafen. In der extremsten Phase hetzte die
überzeugte Veganerin auf bis zu zehn Castings pro Tag. Jetzt, nach zwei Jahren, ist alles
anders. Da ist eine frische Liebe, über die sie
aber noch nicht sprechen möchte, da ist eine
Fahrrad-Clique, in der sie sich auspowern
kann, und da sind andere Freunde, mit denen
sie in die Hamptons fährt oder in die Sonne
Mexikos fliegt. Mittlerweile reicht auch ein
Anruf und sie steht als VIP auf jeder Gästeliste. „Das ist verrückt, aber auch irgendwie
cool“, findet sie.
In diesem Jahr erhält ihre Karriere einen weiteren Schub. Alena widmet sich dem Produktdesign, und sie liebäugelt mit der Schauspielerei. In Kalifornien ist sie dafür bekanntlich
genau am richtigen Ort.
Patrick Kiefer
Top: Hugo Boss. Kleid: Ashish. Goldene Gürteltasche: Jimmy Choo. Armreife: Chanel
Monastery Beach, Carmel-by-the-Sea: Kleid: Hermès. Netzjacke mit Stickereien: Moncler. Stricktop: Prada. Stiefel in Lila, Schwarz und Grün: Miu Miu. Tiara mit schwarzen Steinen: Miu Miu
Point Lobos State Reserve: Bluse aus Spitze: Michael Kors Collection. Netz-Cape: Dries Van Noten. Rock: Tom Ford. Schuhe: Prada. Tasche: Céline
Alena am mit Fetter Henne bewachsenen Strand: Kleid mit Rüschen und Spitze: Roberto Cavalli. Leder-Shorts: Bottega Veneta. Sandalen: Santoni. Kopftuch: Hermès. Krone: Saint Laurent
Monterey: Häkel-Poloshirt: Tommy Hilfiger. Paillettenweste in Rot: Giorgio Armani. Rock, der eigentlich ein Top ist: Ashish. Peep Toes: Christian Louboutin. Ohrringe: Céline
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Kleid: Stella McCartney. Geblümte Jacke: Alice and Olivia. Ohrringe: Wouters & Hendrix
31
Carmel-by-the-Sea: Total Look: Louis Vuitton
Kleid und BH: Calvin Klein. Jacke: Brunello Cucinelli. Ohrringe: Loewe. Creepers mit weißer Spitze: Steiger for Akris
Klippenklettern: BH-Top und Schuhe: Dries Van Noten. Kleid, das aussieht wie ein Mantel: Proenza Schouler. Lederrock: Tod’s. Kreolen: Céline
IRMAS WORLD
Nun
aber mal
los
IRMA, UNSERE
RASTLOSE
KOLUMNISTIN,
VERRÄT TIPPS UND
TRICKS FÜR
GLOBETROTTER
1. Fly worldwide
Wer im „Four Seasons Jet“ durch die
Welt reist, braucht sich erst gar nicht an
ein Hotel zu gewöhnen, denn die umgebaute Boeing 757 ist komplett im Stil der
Hotels ausgestattet. Im Herbst 2016 findet die Reise „Extraordinary Adventures:
An Around the World Journey“ statt.
Innerhalb von 28 Tagen werden acht
Destinationen mit dem Privatjet bereist.
Vom texanischen Austin über Costa Rica
und Hawaii geht es nach Australien und
weiter nach Mauritius. Die Serengeti
und Marrakesch sind die nächsten Ziele
und die Reise endet in Lissabon.
Wer eine andere Route wünscht, fliegt
die „Cultural Escape“, die im November
in London beginnt und endet. Ziele sind
Moskau, Dubai, Seychellen, Serengeti
und Florenz, bevor es zurück nach London geht.
Übergepäck ist bei diesem Angebot kein
Problem und Koffer können an den
verschiedenen Orten wie bei einer
Kreuzfahrt an Bord bleiben.
36
Four Seasons Jet
fourseasons.com/aroundtheworld/
Wer sich seine Route lieber selbst zusammenstellt, fliegt mit Star Alliance um
die Welt. Es gibt nur zwei Spielregeln:
Man fliegt mit bis zu 15 Stopps ausschließlich in eine Richtung und das
Ganze innerhalb eines Jahres. Zeit genug, um sich jeden Aufenthalt nach
Bedarf selbst zu gestalten.
„Round the World“-Ticket von Star Alliance,
staralliance.com/de/round-the-world
2. Eat worldwide
An einen neuen Geschmack muss man
sich auf Reisen nicht mehr gewöhnen.
Zuma, Mr. Chow, Nobu, La Petite Maison
und Co. sind in allen Megametropolen
mit eigenen Restaurants vertreten und
verwöhnen die Gäste mit ihren gleich
schmeckenden „signature dishes“. Für
zwischendurch findet man mittlerweile
in 27 Ländern Filialen von Maison Ladurée. Deren berühmte Macarons werden zum Teil noch frisch aus Paris eingeflogen. Selbstverständlich überall mit
gleichen Inhaltsstoffen, nach demselben
Rezept und in gewohnter Verpackung.
3. Beauty worldwide
Wer mit ANA nach Japan fliegt, bekommt auf Anfrage eine Feuchtigkeitsmaske während des Fluges, die Firma
Babor berät Fluggäste im exklusiven
Airport Spa der Emirates Gruppe, zum
Beispiel in Dubai mit Produkten, die die
Haut vor Jetlag-Erscheinungen schützen
und auf neue Klimazonen vorbereiten.
Der deutsche Kosmetikhersteller QMS
Medicosmetics hat extra eine In-flightGröße der „Activator Mask“ im Sortiment, die problemlos die Security passiert und während des Fluges angewendet werden kann.
4. Düfte worldwide
Wie riecht Afrika, und wonach duftet
Capri? Bestimmte Ingredienzien verbindet man mit besonderen Orten. Das
„Scentarium“ in New York bietet verschiedene Duft-Module an, aus denen
man sich sein persönliches Parfüm zusammenstellen kann. Düfte gegen Fernweh. scenterprises.com
Die Unternehmerin, Journalistin und
Filmemacherin Danielle Ryan hat die
exklusive Duftmarke Roads gegründet,
da Düfte für sie eine Art der Kommunikation sind. Wenn sie einen Duft kreiert,
geht sie imaginär auf Reisen. roads.co
5. Apps worldwide
Das Smartphone reist immer mit und
hilft, die Reise optimal zu gestalten. Eine
App für den Weltreisenden wäre: Seat
Guru. Von jedem Flug weiß sie, welches
Flugzeug eingesetzt wird und wo in
jedem Flugzeug die besten Sitze sind.
seatguru.com
Wer nach der Landung nicht um ein Taxi
anstehen will, nimmt Uber. In den USA
quasi überall und in Europa zunehmend.
Das Bezahlen per App erspart einem das
Geldwechseln am Flughafen. uber.com
Eine Währungs-App ist absolut notwendig, damit man später zu Hause nicht
feststellt, dass man den Wechselkurs
falsch in Erinnerung hatte. Es gibt einige, aber Currency ist besonders nutzerfreundlich und aktualisiert sich automatisch auf den Tageskurs.
currencyapp.com
Sprachen öffnen Herzen. Und sei es auch
nur einige kleinere Phrasen bei der
Bestellung im Restaurant. Bravolo liefert
die nötigen Kenntnisse. bravolo.com
6. Tech worldwide:
Eine Smartwatch von Apple oder, für alle
mit Android, von Samsung oder Sony,
kann praktisch sein, wenn man auf einen
Blick wissen will, ob man eine Nachricht
bekommen hat, wie das Wetter wird und
natürlich auch wie spät es ist. Rimowa
hat nun einen Koffer entwickelt, bei dem
der Gepäck-Tag elektronisch in einem
eingebauten Display angezeigt wird.
Man checkt zuerst mit dem Smartphone
ein und schickt dann die digitalen Gepäckdaten direkt an seinen Koffer. Kein
Papier mehr.
rimowa.com/de-de/electronictag
Der Bose-Kopfhörer mit Geräuschunterdrückung filtert Hintergrundgeräusche
wie Maschinenlärm und laute Nachbarn.
bose.de
Die schönsten Bilder lassen sich immer
noch mit einer Leica machen. Das Design der „M7“ ist zeitlos, die Bedienung
simpel, das Objektiv das beste der Welt.
Eine Investition fürs Leben, für Reisen
und für zu Hause.
de.leica-camera.com
IRMASWORLD
W
enn ich zu Hause
bin, habe ich Fernweh, und auf Reisen habe ich plötzlich Heimweh.
Weltenbummlerin
IRMA ist sich sicher – man wünscht sich
immer das, was man gerade nicht hat,
und aus diesem Grund empfiehlt sie
Heimisches für unterwegs und etwas für
die Reiselust, wenn daheim.
Irma hat ständig Fernweh,
und der Koffer
von Rimowa,
den man
neuerdings mit
einer App
verfolgen kann,
ist ihr treuer
Begleiter
INTERIOR
BOTSUANA
„Saddle Table“ von Peter Mabeo
BRASILIEN
Sessel „Kaos“ von
A Lot of Brasil
SENEGAL
Sessel „Senegal-O Chair“
von Studio Tord Boontje
für Moroso
Woanders
wohnen
NEUSEELAND
Sideboard von
Well-Groomed-Fox
LIBANON
Beistelltisch „Scudo“
von David/Nicolas
Die Welt nach Hause
holen? Dafür stehen
nicht nur die
üblichen Schweden.
INDIEN
Stuhl
„Rapture“
von Scarlet
Splendour
THAILAND
Dusch-Bank von Studio 246
CHINA
„Bold Armchair“ von
Studio Frank Chou
RUSSLAND
Schminktisch
„Alien 3.0” von
Studio Elizarova
FINNLAND
Stuhl „Umi“ von
Elisa Honkanen
Esther Strerath begab
sich auf Möbelreise
Slowenien, Polen, Tschechien oder doch lieber Botsuana oder Indien? Der Radar für zeitgenössisches Möbeldesign zeigt immer häufiger Orte an, die überraschen.
Die Liste der Länder, die heute auf internationalen
Messen spannende Produkte ausstellen, wächst. Ein
Beispiel ist die Tschechische Republik, der erste geerdete Blitzableiter wurde hier erfunden. Traditionelle
Handwerkskunst ist in der Kultur verankert, nur wurde
sie in der Vergangenheit zumeist von auswärtigen Firmen genutzt. Inzwischen haben Fabriken und Manufakturen ihre eigenen Design-Abteilungen, ein Trend,
der weltweit aufpoppt.
Der Grund: Handwerk erlebt ein Revival. Und eine junge Generation von Designern beamt mit neuen Ideen
das vorhandene Know-how in einen zeitgenössischen
Kontext. Das Designerlabel „Jan and Henry“ aus Prag
sorgte schon 2013 mit seinen glasklaren Chandeliers
für Furore – so modern hatte man zuvor tschechische
Glasbläserkunst noch nicht gesehen. 2016 stellte das
Duo eine kleine Kollektion aus grazilen Spiegeln (mit
Betonfüßen) und Leuchten in Mailand vor. „Wir waren
die erste Welle“, so Jan Plecháč, der mit Henry Wielgus
2012 sein Studio gründete. Das polnische Label „Lorens
& Lorens“ nutzte traditionelles Tischlerhandwerk für
seine fantastische Konsole „Cloud“.
Die Firma „Moroso“, deren Inhaberin Patrizia Moroso
mit dem senegalesischen Künstler Abdou Salam Gaye
verheiratet ist, lädt seit fünf Jahren internationale Designer ein, die jeweiligen Web-Techniken für MorosoMöbel zu nutzen. Jüngstes Beispiel ist der „Senegal-O
Chair“ des Niederländers Tord Boontje: „Die Idee entstand, als meine Tochter Evie mir zum Geburtstag einen selbst gebastelten Traumfänger schenkte.“ Zeitgenössischer kann Design nicht sein: Eine amerikanische
Idee (der Traumfänger) wird durch einen Niederländer, der in London lebt, in Westafrika für eine italienische Firma zu einem Möbelstück.
Moderne Zeiten auch in Dubai: Das dortige Architekturbüro „Loci Architects“ entwarf einen schlicht-eleganten stummen Diener. Das man so etwas dort benötigt, ist auch neu.
POLEN
„Cloud“ von Lorens & Lorens
LETTLAND
Lampe
„The wise one“
von Mammalampa
VEREINIGTE
ARABISCHE
EMIRATE
Stummer
Diener „Khatt“
von Loci
TSCHECHIEN
Tisch und Spiegel von
Jan Plecháč und
Henry Wielgus
ISRAEL
Hocker
„Donuts“ von
Magenta
Workshop
KROATIEN
Sessel
„Polygon“ von
Prostoria
SLOWENIEN Sitz- und
Aufbewahrungsmöbel
„Roundabout“, Lina Furniture
NIEDERLANDE
Spiegel „Shaping
Colour“ von Studio
Germans Ermičs
37
ANGELEGT
Das innere
Leuchten
Der Schweizer Juwelier Chopard setzt auf
nachhaltige Rohmaterialien und die Allure
von Juliane Moore. Huberta von Voss
bewunderte beides in New York
W
38
ie definiert sich eigentlich echter Luxus bei Schmuck
und Uhren? Über
die Karatzahl? Die
Adresse des Juweliers? Die Anzahl
der
Edelsteine?
Oder sind es doch die Persönlichkeiten, die
den Schmuck tragen, die einem Stück den
letzten Schliff geben? In einer bewachten Hotelsuite an der Park Avenue gibt Chopard darauf seine eigene Antwort.
Neben Caroline Scheufele, der Miteigentümerin des Schweizer Unternehmens hat die Oscar-Preisträgerin Julianne Moore Platz genommen. Sie gilt als Schauspielerin, die am
liebsten Frauen spielt, die die Facetten des Lebens unter ihrer polierten Oberfläche ausleben. Sie leuchtet aus sich selbst heraus, und
der schmale, schwarze Rock und das dunkle
Oberteil betonen in ihrer Schlichtheit noch
die Außergewöhnlichkeit ihrer Erscheinung.
An Moores Fingern funkeln zahlreiche Chopard-Ringe mit ihrer Ausstrahlung um die
Wette. Vor ihr, auf einem Tablett, liegen haselnussgroße Smaragde. Die Stücke der „Green
Carpet Collection“ wird sie zur Eröffnung der
Filmfestspiele in Cannes auf dem roten Teppich getragen haben. Dass Stars auffällige
Klunker von berühmten Juwelieren auf Gala-
Events zur Schau tragen, ist an sich nicht neu.
Dass es heute mehr und mehr darum geht,
dass die Steine auch eine Art innere Schönheit haben, schon.
Stichwortgeberin für diese Entwicklung war
vor vier Jahren Livia Firth, Gründerin der Unternehmensberatung Eco-Age und Ehefrau
von Schauspieler Colin Firth. Eco-Age unterstützt die Modebranche im Hinblick auf ethische Produktionsbedingungen. Bei einem
Dinner saß Livia Firth neben Caroline Scheufele, deutete auf die Chopard-Uhr ihres Mannes und fragte sie nach der Herkunft der Rohstoffe. „Ich wusste sofort, worauf sie hinauswollte“, erinnert sich Scheufele.
Natürlich waren der Tochter aus einer Pforzheimer Uhrmacherfamilie die Probleme bei
der Gold- und Diamantengewinnung bewusst.
Wer wie sie und ihr Bruder Karl-Friedrich ein
globales Unternehmen mit 2000 Mitarbeitern
und mehr als 160 Boutiquen führt, muss sich
grundlegende Gedanken machen: „Moderne
Kunden wollen Transparenz.“ Einfach sei das
nicht, aber für ein Familienunternehmen wie
Chopard sei es immerhin leichter, neue Ideen
einzuführen, als für Häuser, die unter dem
Dach eines großen Konzerns agierten.
Inzwischen arbeitet das Unternehmen mit
zwei Minen in Kolumbien und Bolivien zusammen, die das Siegel „Fairmined“ tragen.
Vier Tonnen Gold zur Uhren- und Schmuck-
produktion benötigt Chopard im Jahr. Zunächst kamen 100 Kilo aus nachhaltiger Produktion. Das heißt, dass weder grundwasserverseuchende Chemikalien zum Abbau eingesetzt werden noch unvertretbare Arbeitsbedingungen herrschen. Chopard musste eigene Werkstätten schaffen, damit das gute
Gold nicht mit dem konventionellen vermischt wird. Heute landen bereits 300 Kilo
des zertifizierten Edelmetalls in der Fertigung. Seit Kurzem gibt es auch eine Kooperation mit der Londoner Firma Gemfields, die
zu den wenigen Minenbetreibern gehört, die
Rubine und Smaragde nach hohen ethischen
Standards abbauen und verkaufen.
Scheufele, die auch die Kreativdirektorin des
Hauses ist, hat große Pläne. Auf der nächsten
Uhrenmesse in Basel wird ihr Bruder KarlFriedrich die auf 20 Exemplare limitierte
„L.U.C. Perpetual Chrono“ aus 18 Karat nachhaltigem Gold vorstellen. In Zukunft sollen
alle Stücke aus der High Jewellery Collection
aus nachhaltigen Quellen gefertigt sein.
Gold mit gutem Gewissen ist der Star: „Wenn
es bei uns ankommt, ist das so, als ob ein VIP
die Fabrik besucht.“ Julianne Moore, die ein
solches Star-Treatment gewohnt ist, muss lachen. Vermutlich kommt es nicht so oft vor,
dass sie überstrahlt wird. Mal sehen, was passiert, wenn sie demnächst eine der Minen besucht. Es könnte zur Patt-Situation kommen.
CONTOUR BY GETTY IMAGES/ALLISON NECKMAN; CHOPARD/JEAN DANIEL MEYER
Wer stiehlt hier wem die Show? Die Schauspielerin
Juliane Moore trägt nachhaltigen Schmuck aus der
„Green Carpet Collection“ von Chopard
Eine Reise durch die Sofitel Kollektion
PARIS, ROM, WARSCHAU, CASABLANCA… ENTDECKEN SIE UNSERE MAGNIFIQUE
ADRESSEN AUF DER GANZEN WELT UNTER WWW.SOFITEL.COM
HINTERM SCHLEIER
Modisches Kettenrasseln
„Vogue Italia“ ermöglicht einen Modewettbewerb in Saudi-Arabien. Am Ende des
kulturellen Parcours hat auch Silke Bender viel mehr gesehen als die neueste Mode
D
Mode made in
SaudiArabien: Ein
Look aus der
aktuellen
„Dare“-Kollektion der
Designerin
Haifa Fahad
40
ie erste persönliche Begegnung mit einem dieser unbekannten Wesen hinter dem schwarzen Schleier verläuft etwas anders als erwartet.
Im Restaurant „Bellevue“ in Dschidda will
ich mir eine Zigarette gönnen, der Manager
weist in Richtung einer diskreten Ecke nahe
der Toilette. Dort sitzt bereits Haifa und
raucht. „Welcome, smoking buddy“, sagt sie.
Unter der Abaja trägt sie zerrissene Jeans, die
kurzen Haare sind unverschleiert, eine Seite
rasiert – und im rechten Ohr trägt sie mehr
Piercings als Sven Marquardt vom Berliner
Club „Berghain“ im gesamten Gesicht. Haifa
Fahad ist eine der zehn Finalistinnen der
„Vogue Fashion Experience Jeddah“. Sie
kommt aus Riad, studierte dort und in Paris
Mode und gründete 2011 ihre zwei Labels: Die
nach ihr benannte Demi-Couture-Marke und
ihre Streetwear-Linie „Dare“. Während „Haifa
Fahad“ mit prachtvollen Stickereien und Seidenstoffen den islamischen Modekanon für
Frauen um ungewöhnliche Schnitte und Formen vorsichtig erweitert, traut sie sich bei
Dare was: Nieten, Leder, Jeans-Shorts und
bauchfreie Bikerjacken – ein modisches Kettenrasseln in einem Land, in dem sich Frauen
in der Öffentlichkeit unter der Abaja, dem
traditionellen Gewand und Schleier, verstecken müssen. Auf den Kampagnenfotos ihrer
Männerlinie zeigt Haifa tätowierte Typen mit
lackierten Fingernägeln in typisch saudischer
Thobe, allerdings in sehr untypischem Denim – nie kamen sich der Hipster- und der religiös motivierte Mullah-Vollbart ästhetisch
so nah. Aber wo bitte kann man das in diesem
Land tragen? „Im privaten Kreis geht alles“,
sagt Haifa, „und unter der Abaja sowieso.“
Die 32-Jährige hat die halbe Welt bereist, sie
kommt aus einer einflussreichen saudischen
Familie. Nur aus welcher, das darf niemand
schreiben. Haifa erzählt, dass ihre Verwandtschaft mit ihrer Arbeit und ihrem Look eigentlich kein Problem habe, solange sie nicht
öffentlich mit ihr in Verbindung gebracht
werde. Das würde den Clan brüskieren und
ihn für die konservative Mehrheit im Land
angreifbar machen. Es wird in den folgenden
Tagen noch sehr häufig passieren, dass sehr
vieles erstaunlich offen gesagt wird, aber
nicht geschrieben werden darf – auch Fotos
sind kaum ein Problem, solange sie nicht öffentlich erscheinen. Nach außen hin wird der
Schleier der gehorsamen Anpassung gewahrt. Als Ausländer fällt es schwer, da durchzublicken. Als unsere Gruppe durch die Altstadt von Dschidda, 2014 von der Unesco zum
Weltkulturerbe geadelt, geführt wird und einige mit ihren Handys eine Gruppe von voll
verschleierten Frauen fotografieren, heben
diese die Hand. Die Westler rätseln. Heißt das
abwehrend „Nein, bitte nicht“? Falsch geraten. Es bedeutet schlicht „Hallo“, erklärt der
Guide. Glaubhaft wird das erst, als wir der
Gruppe später noch einmal begegnen. Diesmal fangen alle an, wie wild zu winken.
Die Mode ist längst zu einer globalen Veranstaltung geworden – kaum ein Ort, der nicht
irgendwann zum Schauplatz einer Cruise
Collection wird. Allenfalls Iran, Nordkorea
und Saudi-Arabien gelten noch als No-goLänder. Für umso mehr Erstaunen sorgte die
Einladung der „Vogue Italia“ und der Rubaiyat-Gruppe, eines der saudischen Marktführer
im Luxus-Mode-Segment. Mehr als 60 europäische Marken vertreiben sie exklusiv im
Königreich, in Kaufhäusern, Boutiquen und
Shoppingmalls. Nun geht es um einen Nachwuchs-Wettbewerb unter saudischen Modedesignerinnen. Ach, die gibt es da? Nichts,
was man für möglich gehalten hätte.
Schon die Vorbereitung der Reise ist abenteuerlich: Als Erstes wird man nach der Größe gefragt – damit die maßgefertigte Abaja,
die im Hotel gereicht wird, auch bloß bis über
die Knöchel reicht. Im Visumantrag werden
„religiöse Praktiken“ abgefragt. Vor dem Abflug mit Saudia wird – nach den Sicherheitseinweisungen und vor dem Start – ein Gebetsvideo auf den Monitoren übertragen, das
Allah um den Schutz der Reisenden bittet.
Das Bordprogramm hat einen islamischen
Teil, Alkohol wird nicht ausgeschenkt. Statt
Easy Listening gibt es hier so eine Art Hitparade der beliebtesten Imame, die die TarawihGebete aus Mekka, Episode 1 bis 28, beten. Da
es leider keine englische Übersetzung gibt,
bin ich nach der dritten eingeschlafen und erwache erst wieder, als der Flieger sanft in
Dschidda aufsetzt.
Wenn man nie dort war, kann man diese Destination leicht als Herz der Finsternis begreifen: Öffentliche Hinrichtungen im Namen
der Scharia, die hier in ihrer strengsten wahhabitischen Form ausgelegt wird; tausend
Peitschenhiebe für kritische Blogger; kein Individualtourismus, es sei denn, man pilgert
nach Mekka. Den Frauen verbietet man das
Autofahren. Rechtsgeschäfte, Berufstätigkeit,
Reisen außer Landes – für alles brauchen sie
die Erlaubnis ihres männlichen Vormunds.
Unter Abaja und Hidschab werden Frauen
jeglicher Individualität beraubt – ein Dasein
als schwarzer Schatten im öffentlichen Leben. Das ist wirklich alles, was der westlichen
Idee von Emanzipation und Freiheit widerspricht.
Einen Trip wie den unseren können also nur
Leute ermöglichen, bei denen sich Vision
und pragmatische Tatkraft vereinen. Jemand
wie Franca Sozzani: Die Chefredakteurin von
„Vogue Italia“ hat es schon immer verstanden,
Mode und politische Zeitgeschichte zu verquicken, man denke nur an Steven Meisels
kontrovers diskutierte „State of Emergency“-
Fotostrecke, in der 2006 High Fashion auf USamerikanische Sicherheitsparanoia am Flughafen traf. Wenn sie es also mit ihrem saudischen Partner schafft, erstmalig in der Geschichte des Landes zwölf internationale
Journalistinnen ohne männlichen Vormund
in ein Land reisen zu lassen, das nicht einmal
ein Pressevisum vorsieht, so kann die politische Dimension dieser Veranstaltung gar
nicht hoch genug eingeschätzt werden – auch
wenn es die Initiatoren vor Ort weit von sich
weisen, dass das hier etwas mit Politik zu tun
hat. „Es geht darum, jungen Designerinnen
den Weg zu einer internationalen Karriere zu
öffnen und andere Frauen im Land zu inspirieren, es ihnen gleichzutun“, sagen Scheich
Abdullah Binzagr und seine Frau Waafa Abbar, die CEO und Präsidentin der RubaiyatGruppe. Schon ihr Vater ermutigte sie zu Studium und Berufstätigkeit, ein Hausfrauenleben wäre für sie undenkbar gewesen. Und ihr
Mann hat ihre Bedingungen akzeptiert. Sie
gründeten gemeinsam ihre Firma.
Etwas schwieriger macht die Sache, dass Modenschauen in Saudi-Arabien verboten sind.
So präsentieren die zehn Finalistinnen ihre
Kollektionen ohne Models und Catwalk im
Rubaiyat Ladies Department Store, den nur
Frauen offiziell betreten dürfen. Heute befinden sich aber trotzdem einige Männer unter
den Gästen. Die Geschlechtertrennung wird
offenbar nicht immer so rigide gehandhabt,
wie sie die Schilder allerorts vorschreiben.
Noch dazu hat die „Vogue Italia“ Fotostudios
aufgebaut, in denen sich die Besucherinnen
als Covermodel verewigen dürfen.
Besonderes Interesse zieht die amerikanische Kollegin Chandia Brennen auf sich, sie
hat sich im goldglitzernden Diva-Stil hierher
aufgemacht, nun umringt sie eine ganze Horde schwarz verschleierter Frauen, die alle ein
Selfie mit ihr wollen. Das fröhliche Blitzlichtgewitter und Posieren verwundert, weil das
Fotografieren von vielen als „haram“, unheilig, angesehen wird. Im dichten Gedränge
warten alle auf Naomi Campbell, die als Topstar des Events angekündigt ist.
Diese tritt aber erst einen Tag später auf, bei
der offiziellen Preisverleihung in der Residenz der Prinzessin Adila bint Abdullah bin
Abd al-Aziz. Die Tochter des 2015 verstorbenen Königs Abdullah gilt als eine der wichtigsten Stimmen für Frauen-, Bildungs- und
Gesundheitsbelange im Land. Ihrer Fürsprache ist es zu verdanken, dass das Event und
die Presse-Visa letztlich vom Außenministerium genehmigt wurden. „Saudi-Arabien öffnet sich langsam auch für den Tourismus“,
sagt sie im Vorfeld des Hauptereignisses bei
einem informellen Gespräch. Sie sei froh,
durch das Event einen Aspekt des Landes zeigen zu können, den man vielleicht nicht erwarte: „Wer weiß schon, dass heute fast 60
Prozent unserer Studenten weiblich sind.
THE BLOND GIRL 2003 COURTESY BRIGITTE NIEDERMAIR
Diese Aufnahme machte Brigitte Niedermair 2003 und nannte sie „Das blonde Mädchen“.
Grad gab es in Saudi-Arabien den ersten Modewettbewerb. Noch immer im Verborgenen
Dass wir Modeschulen im Land haben und
dass die Zahl der berufstätigen Frauen
sprunghaft in die Höhe geschnellt ist, auch in
Führungspositionen.“ Laut saudischem Arbeitsministerium sind inzwischen mehr als
400.000 Frauen erwerbstätig, 2009 waren es
noch weniger als 55.000. Bei einer Bevölkerung von 31 Millionen ist das immer noch
nicht viel, es geht aber in Richtung Trendwende. Vielleicht sei das Tempo ein bisschen
langsamer, als es erwartet wird, sagt die Prinzessin und lächelt dazu: „Aber am Ende des
Weges sollen sich alle in der Gesellschaft mit
dem Fortschritt wohlfühlen.“ Eine ausgezeichnete diplomatische Formulierung.
Beim Hauptereignis stehen auf der Gästeliste
einige der saudischen Unternehmerinnen
und Führungspersönlichkeiten. Diesmal gilt
das strikte „women only“ – und so versammelt sich eine kleine Avantgarde von 350
Frauen zum Galadinner im Garten der Prinzessin, alle unverschleiert diesmal und in großer Abendrobe. An den Turntables steht die
blauhaarige DJane Sita Abellan, die zum alkoholfreien Abend softe Electronic-Klänge
über das Rote Meer wehen lässt. Donnernder
Applaus für die Gewinnerinnen: Chador und
Haal Inc. Beide Marken werden ihre Kollektionen nun auf der nächsten Fashion Week in
Mailand präsentieren können.
Nora Aldamer von Chador hat Tränen in den
Augen, aber offizielle Gewinnerfotos – nein,
bitte nicht. „Ich möchte mein Design in den
Vordergrund stellen und nicht mich“, sagt die
Absolventin der Parsons School in New York.
Schon als Kind habe sie ihre Mutter in SaudiArabien zu Shoppingtouren begleitet, so sei
ihre Liebe zur Mode – von Chanel bis Rick
Owens – entstanden. „Mein Design ist ein Hybrid zwischen Orient und Okzident“, sagt sie.
Hochwertige Materialien, aufwendige Stoffbehandlungen wie gelaserter Samt, dazu
weich fallende und weite Silhouetten, die
mehr bedecken als enthüllen; das verbindet
sie auch mit den zwei Designerinnen hinter
Haal Inc., die sich wiederum auf die modische
Erneuerung der traditionellen Abaja spezialisiert haben. Mariam Bin Mahfouz ist sich sicher: „So, wie wir die Abaja gestalten, kann
ich mir durchaus vorstellen, dass sie auch bei
westlichen Frauen ankommt. Als zweite
Schicht über einem Sommer- oder Abendkleid zum Beispiel.“ Die Designerin findet, jede Frau solle einmal im Leben das Abaja-Gefühl kennenlernen: „Es ist ein schönes und
elegantes Kleidungsstück, wenn es mit Stolz
getragen wird.“ Als ich am Tisch der Designerinnen frage, was sie von der ersten Dolce-&Gabbana-Abaja-Kollektion halten, rümpfen
sie die Nase. Niemand unter ihnen würde die
Teile kaufen. Das moderne Abaja-Gefühl möge man doch bitte den Fachfrauen aus SaudiArabien überlassen.
Den Praxistest hat meine Haal-Inc.-Abaja bereits bestanden. Als ich am Abend wieder einmal zum Rauchen vor die Tür gehe, sprechen
mich zwei Frauen an, wo man so ein außergewöhnliches Stück kaufen könne. Da ich es
nicht weiß, schlage ich vor, dass sie die Designerinnen drinnen im Restaurant persönlich
fragen und noch einen Blick auf Naomi
Campbell werfen. „Wenn ihr gucken geht,
wollen wir auch gucken dürfen“, scherzen ihre Ehemänner – alle lachen. Mal sehen, wann
es so weit sein wird.
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ORNAMENTALE ERINNERUNGEN
Sehnsucht nach Vollkommenheit
Designerin Leyla Piedayesh von Lala Berlin floh als Kind mit ihrer Familie aus
W
42
as mich antreibt, ist
das, was man landläufig als die Suche
nach den eigenen
Wurzeln
beschreibt. Ein Versuch, der schwer in
Worte zu fassen ist,
denn es geht um das Gemisch aus Gerüchen
und Geräuschen, um das Essen und die Sprache. Es geht um vage Eindrücke aus einer Zeit,
in der das Leben noch scheinbar unbeschwert
und leicht war: Nach 27 Jahren kehre ich zurück in meine alte Heimat und bin aufgeregt.
Meine Kindheitserinnerungen handeln von
Kaugummis, sauer eingelegtem Gemüse, Roter Bete am Straßenrand, Kürbiskernen, geschnittenem Obst, und von der omnipräsenten Melancholie: Ich war
als Kind auf ungewöhnlich vielen
Trauerfeiern. Bei einem Todesfall
trauerte man in Persien mehr als 40
Tage lang in Etappen: erst am Tag
des traurigen Ereignisses selbst,
dann die Woche über, dann am 40.
Tag, und dann, nach einem Jahr,
geht wieder alles von vorn los. Wenn man
selbst in die Masse der Trauernden eintauchte, mit dieser
alles durchdringenden, bewegenden Musik, hatte es etwas Beruhigendes.
Doch jetzt lockt die Gegenwart: 0.20 Uhr, willkommen
in Teheran! Mit Kopftuch und
einem vagen Plan sitze ich in
der Wartehalle des Flughafens. Das letzte Mal,
als ich hier war, wurde ich unfreundlich verabschiedet. Damals trug ich die Kette meiner
Oma – und es war verboten, Wertgegenstände
aus dem Iran zu befördern. Es wurde als
Schmuggel ausgelegt, die Flughafenpolizei hielt mich fest. Zwei Nächte
schlief ich bei Fremden und tat so,
als würde ich kein Wort verstehen.
Die Gefühle, die ich damit verbinde,
haben mich bisher daran gehindert,
das Land wieder zu besuchen. Jetzt
schaffe ich es endlich wieder zurück in meine
Vergangenheit!
Ganz anders als in meinen Erinnerungen sind
die Menschen schon am Flughafen alle sehr
freundlich: keine Maschinengewehre, keine
bösen Mienen, es gibt Essen und Getränke.
Die Frauen sind nur locker verhüllt, eigentlich
bin ich von allen am meisten bedeckt. Manche
haben kurze Jacken an, die gerade so den Hintern umspielen, andere
haben ihr Kopftuch auf
das äußerste Ende des
Kopfes gelegt.
Endlich werde ich gerufen und darf meinen Pass
abholen. Die Bilder vom
letzten Abschied rau-
schen wieder durch meinen Kopf. Ich
bekomme Herzklopfen. Ich stehe vor
dem Zollbeamten, und mit jeder Frage
bin ich innerlich aufgewühlter, nervöser und bekomme einen hochroten
Kopf. Mein persischer Wortschatz ist
auf dem Niveau einer Zweitklässlerin
stehen geblieben, es dauert, bis ich seinen
letzten Satz verstehe. Er lautet: „Bleiben Sie
auf keinen Fall länger als ein Jahr!“
In Teheran wandere ich als Touristin meinen
eigenen Erinnerungen hinterher: Da, wo früher prächtige Villen mit Schwimmbädern
standen, die herrlichsten Gärten mit Walnuss-, Feigen- oder Maulbeerbäumen, stehen
jetzt, kreuz und quer und ohne jede Ordnung
in die Höhe gestreckt, Apartment-Buildings.
Überall sind Baustellen, und die
letzten alten Häuser werden gerade
abgerissen. Eine wachsende Stadt
braucht Wohnraum, da muss die
Ästhetik oftmals zurückstecken.
Die Stadt erstreckt sich bis in die
Wüste. Mein Großvater war ein erfolgreicher Teppichhändler – und
früher hatten die reichen Unternehmer ihre Wochenenddomizile mit den
blühenden Gärten in dieser Gegend. Heute ist
davon nichts mehr zu sehen.
Auch die Backstuben, aus denen zu jeder Tageszeit der Geruch von frisch gebackenem
Brot herauswehte, sind leider ebenfalls verschwunden. Das Essen ist jedoch überall im
Land abwechslungsreich und köstlich. Die
Auswahl an Obst und Gemüse ist paradiesisch.
Ich kann es kaum fassen, wie reich dieses
Land von der Natur beschenkt ist.
Viel Muße, darüber nachzudenken,
bleibt im Alltag kaum: Teheran hat
acht Millionen Einwohner. Man
spürt es an dem Treiben auf den
Straßen. Die Leute sind
energiegeladen. Es scheint,
als würden alle nach der
Aufhebung des Embargos
nur darauf warten, dass die
Geschäfte endlich wieder blühen. Es
ist voll, überall Autos und Hupen,
Staub und noch mehr Menschen. Ich liebe es,
durch die Straßen zu laufen – es gleicht einem
Abenteuer.
200 Kilometer nordöstlich vom hektischen
Treiben Teherans liegt die vergleichsweise
kleine Stadt Kaschan am Rande des KuhrudGebirges. Hier schaue ich mir die Häuser der
ehemaligen Händler an, die sich einst unweit
des Basars ihre herrschaftlichen Wohnhäuser
mit großen Höfen und Brunnen errichtet haben. Alles ist so schön, alle Menschen sind
freundlich und nett, das Essen schmeckt so
gut, und es ist so gemütlich – man will sich am
liebsten gleich niederlassen und genau so ein
Haus besitzen, um sich in den prächtigen Räumen hinzusetzen und zu lesen.
Die Schönheit der Altstadt in Kaschan ist unMit dem Handy in der Heimat: Designerin Leyla
Piedayesh hat Impressionen aus Teheran festgehalten
glaublich. Unfassbar ist auch, wie
hier vor Hunderten von Jahren
gebaut wurde – mit einem eigenen Heizsystem. Wie hier mit
Gips alle Fassaden geschmückt
werden. Schmücken – das lieben
die Perser! Ob es der dekorierte
Tisch ist oder die Wände sind, die mit einem
Spiegelmosaik verziert sind, oder auch die
Gipsmalereien: Es kann nicht ornamental genug sein. Der Basar
quillt über vor Waren,
und in den Gängen kann
man sich wunderbar
verlieren. Die Perser
neigen zur Übertreibung und lieben den
Überfluss.
Für mich, die ich so sehr
im Jetzt lebe und mich gleichzeitig nach der
Vergangenheit sehne, ist es beruhigend, von
derart gut gepflegter Historie und Tradition
umgeben zu sein. Es entfesselt in mir eine tiefe Sehnsucht nach Vollkommenheit. Auch die
Natur scheint diesem Motto zu folgen: Wenn
man durch die Berge von Schemschak fährt,
ist der Eindruck überwältigend. Man möchte
am liebsten alles stehen und liegen
lassen, und ab sofort nur noch für die
Erhaltung der Umwelt kämpfen. Das
Land ist so reich an allem, es gibt
nichts, was es hier nicht gibt.
Am letzten Tag sitze ich wieder am
Flughafen – diesmal mit Tränen in
den Augen: Ich freue mich auf meine
Familie in Deutschland und bin traurig, die andere Familie und die
Heimat zurückzulassen. Woher
diese Trauer immer wieder herrührt, wenn ich an den Iran
denke, kann ich mir schwer erklären. Daran hat sich auch
nach dieser Reise nichts geändert. Es ist wie ein unerklärlicher Schmerz, es ist wie ein
Riss, den man versucht zu flicken und der dann doch immer wieder aufbricht. Doch vielleicht gehört es zum Ritual
der Trauer, wie ich es in meiner Kindheit gelernt habe, einfach dazu: die bewusste Begegnung mit dem Schmerz, die einem ermöglicht, im Anschluss wieder nach vorn zu
schauen. Endlich habe ich neue Bilder im
Kopf, die ich jetzt zu meinen alten Erinnerungen hinzufügen kann. Und ich weiß: Ich
möchte nicht noch mal 27 Jahre warten, bis
ich zurückkehre.
LEYLA PIEDAYESH(9)
Persien. Nun kehrte sie zum ersten Mal zurück und war überwältigt
GUT AUFGEHOBEN
Im Kreis der Familie
Sie ist eine der berühmten Schwestern: Anna Fendi Venturini.
Auf der Insel Ponza hat sie immer schon Ferien gemacht. Dann ist
Angekommen:
Anna Fendi
Venturini hat
ihr Paradies
gefunden.
Einsame Strände und kubistische Häuser
prägen Ponza
ANDREAS LASZLO KONRATH/TRUNK ARCHIVE
daraus mehr als ein Hobby geworden. Inge Ahrens besuchte sie
nna Fendi Venturini steht
auf der Terrasse der „Villa
Laetitia“ hoch über dem
Hafen von Ponza. Die
Sonne scheint durch die
Weintraubenblätter auf
der Veranda ihres Bed
and Breakfast und legt
sich wie ein Spitzengeflecht über die zierliche
blonde Person, die lange die stilprägende Frau
an der Spitze des römischen Modehauses
Fendi war. Auch nach vielen Jahrzehnten Ferien am selben Ort erliegt sie immer wieder
dem Charme der kleinen Mittelmeerinsel, deren felsige, geschützte Bucht sich unter ihr
ausbreitet. „Schon wenn ich an Ponza denke,
bin ich entspannt. Hier verbrachte ich so viele
glückliche Sommer. Ich liebe den Duft von
Meer und Macchie-Pflanzen, die Farben der
braun getönten Felsen und die pastellig getünchten Würfelhäuser.“
Ponza ist die Hauptinsel im Pontinischen Archipel im Tyrrhenischen Meer, westlich von
Neapel gelegen. Sie ist ein gezacktes, schmal
geschwungenes Vulkan-Eiland mit nur einer
Straße, dramatischer Felsenküste, oft nur mit
dem Boot erreichbaren Stränden und einer
Landschaft, die im Frühling von wildem Ginster überzogen ist. Anna Fendi war noch jung,
als sie vor mehr als 40 Jahren mit ihrem Mann
und den drei kleinen Töchtern Therese, Silvia
und Ilaria Ponza für sich entdeckte. „Wir hatten ein winziges Motorboot. ,La Primula Rossa‘ hieß es. Dort schliefen wir, denn auf Ponza
gab es ja damals noch keine richtigen Unterkünfte für Feriengäste.“ Heute feiern die Italiener hier den Sommer. Zu den 3000 Ponzesi
kommen dann zehnmal so viele Feriengäste.
Yachten von Geld- und echtem Adel ankern
im Hafenbecken.
„Man lässt sich zufrieden“, erzählt Anna Fendi.
Statt protziger Hotels und Verkehrsstaus ballen sich die historischen kubistischen Häuser
rostrot, zitronengelb, eisblau und knallrosa
um Ponza Porto. Das Autofahren ist zur Hochsaison eingeschränkt. Wer verweilen will, hat
A
44
ein eigenes Boot, ein Haus auf der Isola oder
mietet sich ein.
Als Anna Fendi ihren Posten im Modehaus an
ihre Tochter Maria Silvia übergab, erwarb sie
das erste Refugium. Das „Il Balconcino“ liegt
am Hafen und hat eine Dachterrasse mit Blick
über die schaukelnden Boote und die eintreffenden Segler. Drinnen trägt das mehrstöckige Gebäude die Handschrift der Designerin:
Die Stoffe, die Möbel, die Küche mit den vielen antiken Fliesen aus Vietri und die in Murano gefertigten Gläser sind ihr Entwurf.
Ihr erstes B & B, das „La Limonaia a Mare“, erwarb sie zusammen mit einem Freund. Wenig
später kaufte die Römerin die bald 100 Jahre
alte „Villa Laetitia“. Auch die richtete sie ein
wie ein Privathaus. Die Zimmer mit Meerblick in den Farben von Gewürzen sind bis ins
kleinste Detail das Werk der 83-Jährigen. Als
sie und ihre Schwestern die Firma verkaufte –
die Marke gehört heute zu 51 Prozent dem
französischen Luxusgüterkonzern LVMH –
habe sie eine eine neue Aufgabe gebraucht:
„Seitdem richte ich für meine Töchter Häuser
auf Ponza ein.“ Häuser mit Seele nennt Anna
Fendi ihre Behausungen und empfiehlt, eine
Bootstour rundherum zu machen. So könne
man ihre Lieblingsstrände am besten sehen:
die Cala Felci mit den schneeweißen Felsen,
die Cala d’Inferno oder Punta Bianca.
Wir sind vor der Hochsaison gekommen, und
Ponza schläft noch vor sich hin. Hinter der
„Villa Laetitia“ führt ein Weg zwischen Weinbergen und Gemüseäckern bergan, denn das
B & B liegt am Hang des Monte Guardia, von
dem aus noch in den 50er-Jahren nach Feinden Ausschau gehalten wurde. Bis hoch zum
Leuchtturm bahnen wir uns den Weg durch
Oleander, Orchideen und alle möglichen
Kräuter der mediterranen Macchie. Wer so
früh im Jahr Ponza besucht, sieht im Inselinneren rechts und links der schmalen Straße
die „Gozzi“, die Holzboote der Ponzesi, kopfüber wie Wale liegen.
Am Hafen lassen wir uns mit einem Schlauchboot zu Enzo übersetzen, der wohl das roman-
tischste Fleckchen der Insel besitzt. Er ist ein
attraktiver Neapolitaner und zerlegt gerade
die am Morgen gefangenen kleinen Thunfische, kocht und füllt sie filetiert mit grünem
Olivenöl in Gläser. Enzos Strandbar liegt hinter einer Felsnase an der „Cala Frontone“. Man
sitzt im Schatten unterm Strohdach oder liegt,
von Kissen gestützt, in ausgedienten Booten
und genießt: Enzo serviert Sardellen, Gamberoni, Scampi, eingelegten Thunfisch, Inseltomaten und ein Glas Wein. Am Nachmittag
schauen wir im Lebensmittelladen bei Lina
vorbei, die Platt- und Kichererbsen, Linsen
und Gemüse von der Insel verkauft und uns
ihre aus Feigen- und Traubensaft zubereitete
Nachspeise probieren lässt.
Wenn Anna Fendi im Sommer nicht mit ihrer
Familie gemeinsam das Essen macht, dann
geht sie gern ins Sternerestaurant „Acqua Pazza“ oder in die „Casa di Assunta“ – hier kommt
deftige Inselküche auf den Teller. Ponza selbst
ist schnell erobert. Nach ein paar Tagen kennt
man sich. „Ciao! Bon giorno! Tutto bene?“
Wenn die Einheimischen sich treffen, hören
sich ihre Küsschen rechts, Küsschen links an
wie Schwalbengezwitscher. Der Tourist
schlendert durch die einzige kleine, weiß geschlämmte Einkaufsstraße. Nein, eine FendiBoutique gibt es hier nicht. Man ist bodenständig und trägt bequeme Schuhe, denn der
Ort ist ein einziges treppauf, treppab.
Bevor der Jetset von heute kam, hatte Kaiser
Augustus schon eine Ferienvilla. Wie auch auf
Capri. Zur Geschichte gehört auch, dass Benito Mussolini 1943 kurzzeitig hierher verbannt
wurde. Es klingt nach einer ironischen Entscheidung. Denn Ponza gilt seit jeher als Insel
der Verführung und Versuchung. Hier soll
Odysseus der Göttin Circe widerstanden haben, während seine Kameraden in Schweine
verwandelt wurden.
Als Anna Fendi vor vielen Jahren das erste Mal
mit ihrer großen Liebe und den Kindern auf
die Insel kam, war es gleich um sie geschehen.
Ihr Mann starb mit nur 42 Jahren an einem
Herzinfarkt. Bis heute trifft sich hier im August jedes Jahr die komplette Familie. „Meine
drei starken Töchter, ihre Kinder, deren Partner und Freunde. Am Morgen fahren wir dann
alle mit dem Boot an einen der Strände. Und
am Abend wird gemeinsam gekocht. Pino,
mein Partner, kann das hervorragend.“ Die
Chefin deckt dann den Tisch. Und ist zufrieden. „Heute singe ich italienische und neapolitanische Lieder mit meinen Enkelkindern.
Ponza ist mein ganzes Leben“, sagt sie. „Bin
ich da, bin ich schon im Paradies.“
LESELUST
Der Maßschreiber
Vor 50 Jahren verfasste Gay Talese mit einer Reportage über Frank Sinatra das endgültige
Celebrity-Porträt. Noch heute schreibt er einzigartige Prosa. Philip Cassier
besuchte den Autor in New York – und lernte, wie man durch Verlierer zum Gewinner wird
FOTO: JÜRGEN FRANK
D
46
er amerikanische Traum
hat Falten bekommen.
Er sitzt in dieser Art Ledersofa, das seit je dafür
gemacht ist, dass die angelsächsische
Oberschicht auf ihr sanft
wegdämmert. Schlaff
liegt die Haut auf den Jochbeinen, das V zwischen Nase und Mund ist wie mit dem Rasiermesser gezeichnet; doch all das darf mit 84
Jahren so sein. Der Blick ist es, der das Arrangement sprengt: Die Augen betrachten das
Gegenüber, als sähen sie zum allerersten Mal
einen Menschen. Manchmal fixieren sie ihr
Objekt, dann schließen sie sich halb, zwinkern, forschen schon wieder. Diese Augen
spähen aus. Es ist unmöglich, sich in ihrer Gegenwart nicht erkannt zu fühlen. Doch sie
werten nie. Wertungen hält der Mann im Flanelldreiteiler auf dem Sofa für gefährlich.
Wahrscheinlich spricht er deswegen mit so
viel Bedacht. Und weist immer wieder darauf
hin, dass heute, mitten in New York City, wo es
per Definition keine Zeit gibt, viel Zeit sei.
Wenn zwei Reporter sich treffen, wird es
kompliziert. Das gehört zu den ältesten Gesetzen der Branche. Sie leben von den Geschichten anderer und sind deswegen im Idealfall
eher mit Sehen und Hören als mit Reden beschäftigt. Dieser Berufsstand, so hat es der Reporter Alexander Osang einmal formuliert,
hat anders als Kritiker, Korrespondenten oder
Leitartikler keine Meinungen, an die er sich
klammern könnte. Reporter haben Zweifel –
oder: Angst. Sie werden irgendwo hingeschickt, in der Hoffnung irgendetwas zu entdecken; mal gelingt das, häufig nicht. Nur selten kommt einer wie Gay Talese, der Mann auf
dem Sofa, und sieht Dinge, die den Leser anders auf die Welt blicken lassen.
So geschehen vor exakt 50 Jahren, als er,
nachdem Frank Sinatra ihm ein Interview für
das Magazin „Esquire“ verweigert hatte, das
wohl endgültige Celebrity-Porträt des 20.
Jahrhunderts schrieb: „Frank Sinatra ist erkältet“ – eine Reise ins Innerste von Psyche und
Umfeld des Sängers, die den ganzen Menschen hinter dem Star zeigt; einen Mafia-Don
und Rabauken, einen Tyrann, einen Gönner
und Schwächling, eine Karikatur seiner selbst
und einen Charismatiker, der am Ende doch
gewinnen wird. Eine Geschichte, so lakonisch
erzählt, dass sie ihren Autor in den Olymp des
sogenannten „New Journalism“ aufsteigen
ließ. Gemeinsam mit Männern wie Tom Wolfe
oder Truman Capote sorgte Talese in den
60er-Jahren dafür, dass sich Journalisten Erzähltechniken von Kurzgeschichten zu eigen
machten. Capote als das Wunderkind mit dem
Wodka in den Frühstücksflocken, Wolfe als
der ziselierte Dandy und Talese als der Handwerker im Maßanzug, der nie zur Fiktion
wechselte. Er nannte F. Scott Fitzgerald als
sein Vorbild und behauptete, nur den Beruf
des Reporters ernst zu nehmen. So lief er jahrelang Mafiabossen hinterher, brach in „Honor Thy Father“ das Schweigegebot des Mobs,
die Omertà; eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, Verstöße werden dem Kodex zufolge
mit dem Tod bestraft, doch Talese kam davon.
Danach verfasste er mit „Thy Neighbour’s Wife“ eine Bestandsaufnahme des amerikanischen Sexuallebens in der Ära vor HIV –
selbst bei diesem Thema blieb er Beobachter.
Das Wunderkind starb recht früh, der Handwerker dagegen ist noch sehr gefragt. Egal,
wer sich über ihn äußert – Kollegen, Agenten,
Rezensenten –, beinahe alle sagen, was für ein
guter Typ doch Gay Talese sei. Eine Seltenheit
in einem Beruf voller Neid und Lästerei. Wie
sehr er noch immer im Fokus der Öffentlichkeit steht, beweist seine letzte Arbeit: „The
Voyeur’s Motel“ ist eine amerikanische Sozialgeschichte über einen Mann, der über Jahrzehnte in Colorado ein Haus betrieb, in dem
er seine Gäste systematisch ausspähte. Ein
Vorabdruck stand im „New Yorker“ – und fast
jedes Medienhaus weltweit griff die Geschichte auf. Dass diese Bekanntheit ihre
Schattenseiten hat, musste Talese jüngst wieder erfahren, als über ihn, der nicht einmal
ein Handy besitzt, ein Twitter-Gewitter hereinbrach: Bei einem Autorentreffen in Boston hatte er die Frage gestellt bekommen,
welche weiblichen „role models“ er in seinen
frühen Jahren gehabt habe. Er antwortete, da
sei niemand, weil Frauen damals eher Fiktion
geschrieben hätten. Da ging’s dann los – Talese, der alternde Macho, war noch das Netteste,
was zu lesen war. Einiges, so gab er zu verstehen, habe ihn getroffen. Aus dem Konzept hat
es ihn nicht gebracht.
Heute hat Gay Talese in sein Townhouse an
New Yorks Upper Eastside eingeladen. Er lebt
dort seit Jahrzehnten mit seiner Frau Nan, einer Lektorin, die Tochter ist schon lange ausgezogen. Um vier Uhr nachmittags steht er
einfach so in der Tür und ergreift die Hand des
Gastes. Mit dessen Bemühen um Objektivität
ist es damit vorbei. „Schön, dass Sie gekommen sind. Sie können alles sehen, alles fragen.“ – „Danke. Mr Talese, es hilft ja nichts: Sie
sind mein Idol.“ – „Hahaha, erzählen Sie keinen Quatsch! Wie wär’s mit einem Whisky?“
Es ist nicht zu erkennen, ob Talese so große
Worte gewohnt ist. Für Alkohol ist es dem Besucher noch zu früh, so kommt Wasser auf
den Tisch. Das ganze Umfeld ist eine einzige
ästhetische Dokumentation des Aufstiegs im
Amerika der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Das Sofa legt davon genauso Zeugnis ab
wie das Silberkaffeeservice auf der Anrichte,
die übervollen Bücherregale mit viel Talese
darin, die Gemälde von Frank Stella und die
Fotos von sich selbst an den hohen Wänden
oder das Mädchen, das gerade die beiden Terrier ausgeführt hat. Gay Talese, der Sohn eines
italienischen Einwandererpaares, das in Ocean City eine Schneiderei betrieb, liebt es, alles
herzuzeigen, was er besitzt. Er hat auch kein
Problem damit, von seinem Weihnachtsempfang zu erzählen, zu dem Bürgermeister Michael Bloomberg kam, oder seine eigenen Geschichten als „great“ zu bezeichnen.
Auf dem Sofa angekommen, ist da ein lauernder Ausdruck in seinen Augen. „Wollen Sie
Ihren Rekorder anstellen?“ Nein, sagt der Interviewer. Talese verzichtete schließlich prinzipiell darauf, weil er meinte, das mache ihn
beim Zuhören nachlässiger und zerstöre die
Situation. Ein Nicken. Und das Bekenntnis,
dass der Text über Sinatra nicht seine eigene
Idee war. Weshalb? Gay Talese holt Luft, er
muss unter dem Schwarz-Weiß-Foto vom
Central Park der 80er-Jahre ziemlich weit zurückgehen. An Berühmtheiten habe er nie Interesse gehabt, sagt er. Schon in der Schule
habe er, der stets in maßgeschneiderte Jacketts seines Vaters gekleidet war, nie dazugehört. Die Brüder seines Vaters kämpften in
Mussolinis Armee – und bis weit in die 50erJahre hinein spielten Italiener in der amerikanischen Öffentlichkeit vor allem als Gangster
oder Schnulzen-Schmierlappen eine Rolle.
Universitäten wie Harvard waren für Talese
unerreichbar; er studierte in Alabama, aus
Sicht des Establishments nirgendwo.
Zurück an der Ostküste, verdingte er sich 1952
bei der „New York Times“ als Botenjunge –
und spätestens das macht die Geschichte so
amerikanisch: Vom Botenjungen zum Bestsellerautor, da ist das ganze Klischee erfüllt.
Solange es hier einer schafft, ist alles nicht so
schlimm – und wenn es Leute gibt, die das für
pervers halten, dann ist das nicht Gay Taleses
Problem.
Zum Reporter stieg er auf, weil er wirklich
hinschaute und zuhörte. Er lebte Wochen mit
den Stadtkatzen oder schrieb Geschichten
über vergessene Broadwaystars, für die er 80
Hotels abtelefonierte, um sie zu finden. Seine
Sportreportagen spielen zumeist in den Kabinen der Verlierer: Dieser Mann verdankt seinen amerikanischen Traum denjenigen, die
ihn nie leben konnten. Weil er in der Stadt,
die ein einziger Superlativ aus Stein, Licht
und Lärm ist, in der Triumph und Katastrophe
Nachbarn sind, in der alles so sehr auf Größe
aufbaut, dass man als Fußgänger innerhalb 3
Vielen Dank für das Gespräch: Gay Talese zeichnet Interviews nie auf –
er macht lieber diskret Stichworte auf selbst gebastelten Karteikarten
47
„ „Ich bin ein Verkäufer.
Ich verkaufe mich selbst.
Ich will alles wissen“
48
3 einer halben Stunde in Midtown Manhattan zu Brei wird, weil also Gay Talese nie der
Versuchung erlag, an diesem Ort selbst zum
Superlativ zu greifen – er, der Patron aller, die
in diesem Irrsinn nie gefragt werden.
Und er erinnert alles. Gay Talese ist jemand,
der schon mehr vergessen haben könnte, als
andere je erleben werden – man fragt sich,
wie er das aushält, all die Bilder, Zitate, Eindrücke. Er irrt sich auch nicht; jede Anekdote,
die er zum Besten gibt, kann man nachlesen.
„Ich sitz’ da Mitte der Sechziger mit dem ehemaligen Schwergewichtschamp Floyd Patterson nach seinem zweiten K. o. gegen Liston,
ich sag: ,Floyd, erzähl mir, wie es sich anfühlt,
ausgeknockt zu werden.‘ Also fängt er an, aber
ich sage ihm: ,Floyd, das geht besser, versuch’s
noch mal.‘ Also versucht er’s wieder. Ich sag
ihm: ,Komm, Floyd, noch mal!‘“ So gelangte
Talese für sein Porträt „The Loser“ an ein Zitat
über sechs Absätze, in dem ein Boxer schildert, wie nach einer kurzen Phase traumhaften Glücks das Grauen im Ring mit jedem
kleinen Stück wiedererlangten Bewusstseins
höher und höher steigt, bis es unerträglich ist.
Gay Talese sagt: „Ich bin ein Verkäufer. Ich
verkaufe mich selbst. Ich will den Leuten eine
Stimme geben, die sonst keine haben. Sie sollen mir vertrauen. Ich will alles wissen.“
Der Hausherr führt nun in sein Arbeitszimmer unterm Dach. Ein Raum mit Schräge,
noch mehr Büchern und Fotos, einem Laptop,
das er kaum benutzt, Sofa, Schreibtisch. Dort
sitzt man sich gegenüber – und er legt die Füße auf den Tisch, sie stecken in schwarzen
Brogues, rahmengenäht und top gepflegt. Das
Tastentelefon klingelt, wie bestellt ruft Don
DeLillo an, der Autor von „Unterwelt“. „Don,
ich hab hier ... ja, alles klar ... Don ... hör mal ...
lass uns nächsten Donnerstag essen gehen. Da
ist Zeit. Freu mich.“ Der Hörer liegt auf der
Gabel: „Ist ja nicht der kontaktfreudigste, der
Don“, sagt Talese, aber man schätze sich eben.
Vermutlich verbindet die beiden das Gefühl,
allein vor einem leeren Blatt Papier zu sitzen.
Doch die Minuten verrinnen – es wird Zeit,
über „Frank Sinatra has a cold“ zu reden, die
„Mona Lisa“ dieses Autors; ein Zauberding,
dem der Taschen Verlag nach einem halben
Jahrhundert noch einen üppigen Band mit
Fotos von Phil Stern widmet, auf 5000 Stück
limitiert und handsigniert. Damals war es eine Auftragsarbeit, nachdem Talese bei der
„New York Times“ gegangen war. Die Kunstfigur Frank Sinatra stand 1965 auf der Kippe.
Exfrauen wie Ava Gardner tratschten, die Verbindungen zum Mob waren offenkundig,
künstlerisch wirkte „Frankie Boy“ gegenüber
den Beatles wie ein Relikt aus der Bronzezeit;
in diesem Setting kam eine große TV-Doku-
mentation über ihn heraus, und eine eigene
Show stand vor der Tür. Talese willigte in das
„Esquire“-Porträt ein, weil er Sinatra anrechnete, viel gegen das schlechte Bild der Italiener getan zu haben, holte sich in Sachen Interview in L.A. seine Abfuhr – der Sänger sei
erkältet – und fing an zu arbeiten.
Tage und Wochen sprach er mit allen aus Sinatras Umfeld, vom dritten Trompeter über
den Barmann bis zur Tochter Nancy, der Entertainer fand kein Mittel, ihn abzuschütteln.
Das belegt schon die erste Szene, in der Sinatra versucht, sich in Gesellschaft von zwei
„verblassenden, aber noch immer attraktiven
Blondinen“ in der dunklen Ecke einer Bar zu
verstecken. Talese beobachtete den Entertainer auf der Bühne, am Spieltisch und am
Boxring in Las Vegas, am Set in Hollywood,
einfach überall; und er sammelte all die
Anekdoten aus seinem Umfeld ein. Hatte er
mehr als eine Quelle, hielt er sie für glaubwürdig. Mehr als 40 Buchseiten umfasst das
Stück, das virtuos damit spielt, wie sehr Sinatra auf seine Stimme angewiesen ist und wie
grausam er werden kann, wenn sie wegen eines Schnupfens versagt: „Sinatra ohne Stimme ist wie Picasso ohne Farbe, wie ein Ferrari ohne Benzin – nur schlimmer.“ Alle Facetten dieses ersten globalen Megastars treten
zutage, ohne dass ein persönliches Gespräch
stattgefunden hätte.
Entsprechend war der Hype. Nur Sinatra
selbst hat Talese nie zu verstehen gegeben, ob
er das Porträt je gelesen hat. So steht sie denn
im Raum, die Frage: Wäre so etwas heute noch
möglich? Wo jedes C-Sternchen einen eigenen Auftritt in den sozialen Netzwerken hat
und die wahren Stars einen ganzen Stab von
PR-Leuten? Gay Talese hebt Kopf und Stimme. Sicher gehe das, sagt er laut. Es koste nur
Mühe: „Ganz nah musst du an die Leute ran, es
wieder und wieder probieren. Ich meine: Diese Nation steht im Krieg mit Islamisten, die
sich bei Attentaten selbst in die Luft sprengen.“ Ein Handstreich durch die Luft – es
steckt noch viel Wut in ihm –, gefolgt von Fragen: „Niemand weiß, wie das geht. Menschen
haben doch Angst vor dem Tod, oder? Was
macht ein Taliban? Wann steht er auf? Was isst
er? Hat der Arbeit? Wenn ja, welche? Fährt er
mit dem Fahrrad hin? Verstehen Sie? Wir wissen nicht mal, wer der f***ing Feind überhaupt ist. Wir sitzen vorm Bildschirm und lesen, was andere uns vorsetzen.“
Es war ein kurzer Weg von Sinatra zum Krieg.
Gay Talese zieht eine „New York Times“ aus
dem Jahr 2015 hervor und liest den Anfang
seiner Reportage über den 50. Jahrestag der
Selma-nach-Montgomery-Märsche vor, des
„Bloody Sunday“, Höhepunkt der amerikani-
JÜRGEN FRANK
G AY T E L E S E
schen Bürgerrechtsbewegung. Präsident
Obama hatte sich angekündigt – Taleses Text
aber beginnt mit einem Mann, der, die Schaufel in der Hand, acht Tage lang Zeit hat, die
Stadt herauszuputzen: „Darauf ist außer mir
keiner gekommen. Warum nicht?“
Der Hausherr bemerkt, dass er sich in Rage
geredet hat, stellt seinem Besucher in schneller Abfolge einige Fragen zu seiner Person
und schlägt vor, noch in sein Archiv in den
Keller zu gehen. Dort hat jede Story einen
Karton, jede Notiz auf selbst gebastelten Karteikarten seit seinen ersten Stücken in der
„Times“ ist an ihrem Platz, dazu Skizzen, Fotos und Kladden – ein Griff genügt, und Talese
ist mittendrin. Er hat einmal gesagt, eine Geschichte zu verfassen, das sei, wie einen Maßanzug herzustellen: Immer müsse man nachmessen, korrigieren, auftrennen und zusammenfügen. Wer in diesem Keller war, der
weiß, wie sich dieser Autor schindet, damit
etwas entsteht, das den Tag überdauert.
Doch selbst Talese scheitert von Zeit zu Zeit.
In den 80er-Jahren begleitete er über Monate
den Chrysler-Chef Lee Iacocca. Aber er
schrieb die Geschichte nie auf: „Iacocca erzählte mir unter vier Augen ganz andere Dinge, als er sie seinen Angestellten sagte.“ Die
Gelegenheit, aus dem Projekt auszusteigen,
ergab sich, als Iacocca mit einem Ghostwriter
seine Autobiografie verfassen wollte. „Eine
amerikanische Karriere“ wurde zum Bestseller, Talese sagt, das jucke ihn nicht.
Beim Posieren für die Fotos erzählt er von der
Arbeit an „The Voyeur’s Motel“: 30 Jahre lang
ist er dem Betreiber hinterhergelaufen. Für
die Boulevardpresse war das natürlich ein
Knüller, Talese sieht es als Einblick in unbekannte Regionen: „Wann geben Menschen
mehr von sich preis als in Momenten, in denen sie sich unbeobachtet fühlen?“
Er will nun ins „Carlyle“. „Fine dining“ hatte
stets einen festen Platz im Leben. „Take care“,
sagt er, seine Augen forschen noch einmal
und verleihen diesem banalsten aller amerikanischen Grüße so Bedeutung. Persönlich,
so hatte er es über den Einwanderersohn
Frank Sinatra geschrieben, persönlich habe er
sich aller Dinge angenommen, ganz ohne angelsächsische Hintertür – und persönlich hat
der Einwanderersohn Gay Talese heute seinen Besucher aus Deutschland umsorgt.
Der steht nun vor der Tür inmitten der Gigantomanie aus Stein, Licht und Lärm. Der erste
Atemzug ist hektisch, der erste Gedanke kein
klarer. Er geht ungefähr so: Natürlich ist New
York größer als der Autor Gay Talese. Aber
sollte diese Welthauptstadt je glauben, auf Typen wie ihn verzichten zu können, dann umso
schlimmer für sie.
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50
Seit die „New York
Times“ seinen 1997erMerlot als „abgefüllte
Pornographie“ bezeichnete, brummt der
Laden: Roman Roths
Winzer-Karriere auf
den Hamptons darf
man einmalig nennen
PORTRÄT
Der Winzer
Vor 25 Jahren traf der schwäbische Jungwinzer Roman Roth auf
Christian Wölffler. Gemeinsam machten sie Wein von der Ostküste
populär. Huberta von Voss schaute auf ein Glas bei ihm vorbei
FOTO: RALPH GIBSON
M
anhattan, sagte er
stets, sei von den
Hamptons nur eine
halbe Stunde weit
entfernt.
Manche
Menschen reden sich
die Dinge schön, bei
anderen, wie Christian Wölffer, schien sich die Realität seiner
Wahrnehmung zu beugen. 1989 startete er mit
einem für damalige Zeiten wahnwitzigen
Plan: In den Hamptons Wein anzubauen und
einen jungen deutschen Winzer zu finden,
der bereit war, mit ihm an dem Ziel zu arbeiten „den besten Wein an der Ostküste zu machen“, erinnert sich sein Partner Roman Roth.
Wölffer flog damals nach Stuttgart, wo ihn ein
junger Mann mit seiner frisch angetrauten
australischen Frau am Flughafen abholte.
Ernsthaft interessiert war Winzer Roman
Roth jedoch nicht: „Ich dachte, das ist eine tolle Gelegenheit, mal ein englisches Job-Interview zu üben“, sagt er vergnügt. „Wir fuhren
in eine Gartenwirtschaft, wischten den Morgentau von den Tischen und tranken den
Wein, den ich für meine Hochzeit gemacht
hatte.“ Wölffers ansteckender Enthusiasmus,
seine Begabung, Visionen in Realität zu verwandeln, und der Glaube, New York sei quasi
um die Ecke von den Hamptons, überzeugten
ihn schlussendlich.
Ein Vierteljahrhundert später sitzt er an einem Eichentisch im schicken Lokal der Kellerei und hat als Partner die Winzerei Wölffler
Estate Vineyard zu nationalem Ruhm geführt.
Nur Manhattan ist von Sagaponack immer
noch drei Stunden entfernt.
Die Gegend zwischen South Hampton und
East Hampton an der Südküste der Halbinsel,
auf der sich in den Sommermonaten die Superreichen New Yorks tummeln, ist komplettes Flachland. Bis auf die leichten Hügel der
wölfferschen Weinberge, die sich über gigantische 223.000 Quadratmeter hin erstrecken.
„Christian hatte eine gute Nase fürs Geschäft“,
erinnert sich Roth an den Gründer, der 2009
bei einem tragischen Schwimmunfall in Brasilien ums Leben kam.
Anfangs war es schwer, den Wein zu verkaufen. 36.000 Flaschen wurden in den ersten
Jahren produziert, aber die Amerikaner waren noch nicht so weit: „Die wollten entweder
kalifornischen Hustensaft-Wein, der komplett
süß ist und ohne Säure, oder bekannte französische Weine. Heute ist das anders.“
Nach zahlreichen Auszeichnungen für ihre
Weine reißen sich in Manhattan die Händler
und Restaurants um die Produkte. Das Großhandelskontingent für den besonders beliebten Rosé ist seit Jahren innerhalb weniger
Stunden ausverkauft. Die mittlerweile
960.000 Flaschen mit dem Pferdekopf-Etikett bleiben nicht im Lager liegen. Spätestens
seit Howard G. Goldberg, der Weinkritiker der
„New York Times“, den 1997er-Merlot als „abgefüllte Pornografie“ bezeichnete, brummt es.
„Das Bouquet ist so verführerisch voll mit süßen Glückversprechen, dass ein Mann in der
Midlife-Krise für diesen Wein seine Frau sitzen lassen könnte.“ Aha! Roth ist jedenfalls
auch nach mehr als 25 Jahren noch mit seiner
Frau Dushy, einer Ärztin, verheiratet.
Kurz nach der Jahrtausendwende brachte die
Kellerei einen Merlot Premier Cru raus, der
mit stolzen 100 Dollar Verkaufspreis bis heute
als teuerster Wein in der Geschichte des
Weinbaugebiets gilt. Dass die anderen Winzer
auf Long Island mittlerweile ebenfalls Aufmerksamkeit bekommen, liegt nicht zuletzt
an dem Engagement Roths. Als Präsident der
Organisation Long Island Wine Council tritt
er dafür ein, dass nachhaltige und organische
Produktionskriterien zum Markenzeichen
werden.
Dass sich dieser Ansatz auszeichnet, hat der
erfolgreiche Winzer mehrfach bewiesen.
Gleich zwei seiner Weine erreichten im vergangenen Jahr 94 Punkte in Robert Parkers
Weinbibel „The Wine Advocate“. So hoch war
zuvor noch nie ein Wein aus der Region eingestuft worden, die auf dem Breitengrad Neapels liegt und klimatische Bedingungen wie
das Bordeaux-Gebiet hat. „Beim nächsten Mal
wollen wir 100 Punkte erreichen“, sagt Roth
zuversichtlich, als er durch die überschaubare
Kellerei führt, in der der junge Rotwein ausschließlich in Eichenfässern lagert.
Vor wenigen Monaten wurde sein Grapes of
Roth Merlot 2010 unter die 100 weltweit besten Weine des „Wine Spectator“ gewählt: „Wir
sind und bleiben eine kleine Winzerei. Aber
wir wollen die beste sein.“ So hatte es Christian Wölffer gewollt. Zwei seiner vier Kinder,
Marc und Joey Wölffer, sorgen als gemeinsame Besitzer mit Roth dafür, dass Qualität in
Produktion und Markenauftritt oberstes Kriterium ist.
Das gilt auch für die Veranstaltungen, die in
den Weinbergen stattfinden. Hochzeiten inmitten der bukolischen Landschaft oder Feste
im toskanisch anmutenden Haupthaus gehören zu den Hamptons wie die rauen leeren
Strände, an denen es nach wie vor keinen Massentourismus gibt.
Über mangelnde Prominenz kann sich Roth
nicht beklagen. Als Bundeskanzlerin Angela
Merkel 2015 von Präsident Obama im Weißen
Haus zum Lunch gebeten wurde, stand sein
Weißwein auf dem festlich geschmückten
Tisch. Thomas Gottschalk feierte seinen 60.
Geburtstag im Keller des Weinguts. Und wer
am Straßenrand auf der Wiese am beliebten
Wine Stand bei gutem Jazz ein Glässchen nippen will, bevor es im Megastau nach Manhattan zurückgeht, trifft vielleicht Jimmy Fallon
mit seiner Familie an.
51
Früher Neue Deutsche Welle, heute die ganz große Erfolgswelle in den USA – der gebürtige Kölner David Zwirner ist nach
Sammler- und Kritikermeinung weltweit die Nummer Eins unter den Galeristen
52
PORTRÄT
Der Galerist
Während seine Freunde in den 60er-Jahren in Köln Lurchi-Comics
lasen, war David Zwirner mit seinen Eltern auf Kunstmessen unterwegs. Heute gibt
er dort und in seiner New Yorker Galerie selbst den Ton an
FOTO: RALPH GIBSON
A
ls David Zwirner 1993
seine erste Galerie in
der Greene Street in
SoHo eröffnete, machten seit Monaten jede
Woche vier Galerien in
Manhattan zu. Amerika
kroch gerade im Schneckentempo aus der Rezession. Im World Trade
Center riss eine Autobombe hundert Menschen in den Tod, und der studierte Musiker
hatte bislang in Hamburg beim neuen Plattenlabel von Siggi Loch und Annette Humpe nur
seine Gabe unter Beweis gestellt, Talente der
Neuen Deutschen Welle zu entdecken. Kunst
verkauft, kuratiert oder auch nur entdeckt
hatte er bislang nicht. „Die Lage war katastrophal. Aber darin lag auch eine Chance. Die
Leute waren neugierig, was ich wohl vorhatte“, erinnert er sich. Die erste Ausstellung mit
Werken des österreichischen Provokateurs
Franz West war ein kompletter Flop. Er verkaufte kein einziges Stück. Doch bereits die
zweite Ausstellung mit Arbeiten des Kanadiers Stan Douglas war ausverkauft. Knapp 25
Jahre später ist Zwirner die unbestrittene
Nummer eins unter den globalen Galeristen,
was die Gunst der Kritiker angeht. Wer im Mai
New York besucht, sollte mit langen Warteschlangen rechnen. Die Werkschau Sigmar
Polkes wird einen neuen Blick auf den Künstler eröffnen. Dafür ist Zwirner bekannt.
Schon lange sieht es so aus, als hätte der
Deutschamerikaner mit seiner Mischung aus
intellektueller Rigorosität, Zugänglichkeit
und geschicktem Geschäftssinn den GalerieGiganten Larry Gagosian vom Thron gestoßen. Wer an einem seiner drei Standorte in
New York oder London ein Werk kauft, bekommt garantiert ein hochklassiges Kunstwerk und zugleich ein „billet d’entrée“ in einen erlauchten Kreis von Eingeweihten, die
rund um den Globus in der Kunstwelt unterwegs sind. Nicht jedem gelingt das.
Zwirner verkauft nicht nur Kunst. Er steuert
auch die Karrieren und Nachlässe seiner 51
Spitzenkünstler. Und sie sind es, die im Zentrum seiner Geschäftsphilosophie stehen. Das
gefällt nicht jedem potenziellem Käufer. „Geld
allein reicht nicht aus, um ein interessanter
Sammler zu sein. Käufer, die einfach nur ein
bisschen Farbe an der Wand oder sich mit angesagten Künstlern schmücken wollen, interessieren mich nicht. Mich begeistern Menschen, die eine gewisse Obsession haben“,
meint Zwirner und schwärmt von den jungen
Asiaten. „Viele von ihnen sind bestens informiert.“ In welche Sammlungen welche Werke
gehen, wo ein Interessent auf der Warteliste
landet oder ob er den Zuschlag bekommt, darüber wacht der gebürtige Kölner mit absoluter Sorgfalt.
Beobachten ließ sich das zuletzt bei der Art
Basel in Miami Beach. Elegante Italiener, Versace liebende Araber, exzentrische Briten, am
bequemen Schuhwerk erkennbare Deutsche,
lässige New Yorker und modemuffelige Westküsten-Sammler strömen schon vor der Eröffnung aus dem tropischen Nieselregen in
die Hallen des Kongresszentrums. In der langen Schlange werden leise Gespräche geführt.
Die Sammler nickten einander zu, man kennt
sich. Bis zum Mittag würden die mehr als 250
Galerien bereits mehrstellige Millionengeschäfte abgeschlossen haben. Der Rest der
70.000 internationalen Besucher darf erst
später kommen. Wer wichtig ist, hat bereits
vorab von den Kunsthändlern Bilder der ausgestellten Kunstwerke erhalten, gekauft oder
zumindest reserviert. Die anderen müssen
hoffen, zum Zuge zu kommen.
Zwirners Galerie hat einen hervorragenden
Platz in der Haupthalle. Dem hochgewachsenen Händler ist die Anspannung anzusehen.
Konzentriert screenen seine Augen den
Raum. „How are you?“, Umarmung, flüchtiges
Küsschen, Stühlerücken, Verhandeln, Handschlag. Die Kollegen übernehmen, und schon
geht es weiter zum Nächsten. Zeit für Small
Talk ist da nicht. Wenige Stunden später haben die Werke seiner Stars Neo Rauch, Oscar
Murillo, Luc Tuymans, Marlene Dumas und Isa
Genzken neue Besitzer. Der Stand ist ausverkauft, es wird nachgehängt. Mitte April zeigte
Zwirner bei der Art Cologne Arbeiten von
Bridget Riley, Yayoi Kusama und Wolfgang
Tillmans – und auch das war eine herausragende Veranstaltung, weil die Art Cologne eine Messe ist, die nach Jahren der Krise wieder
richtig brummt.
Gerade kommt er von der Art Basel aus Hongkong, wo er bis spätestens 2020 eine Galerie
eröffnen will. Auch hier war der Stand ausverkauft. Mit angereist war der belgische Maler
Michaël Borremans. Auch das gehört zum
Konzept. Kunstsammler kaufen einen Lifestyle aus internationalen Messen und Previews, exklusiven Partys, Studiobesuchen und
Künstler-Kontakten.
Zwirner war Ende 20, als er den Sprung ins oft
eiskalte Wasser des Kunstmarkts wagte. Der
Gedanke, sein Glück im hippen NachwendeBerlin zu suchen, sei ihm noch nicht mal im
Traum gekommen, meint er lachend. Nach
New York zu gehen war ein Stück Heimkehr.
Hier hatte er auf der Upper West Side als
Schüler seine spätere Frau Monica kennengelernt. Hierhin war er zurückkehrt, um an der
New York University Jazz-Schlagzeug und
Komposition zu studieren und hier sollte Lucas, der erste Sohn des Paares, geboren werden. Das Risiko sah er nicht. Zwirner hatte etwas, was andere im Kunstmarkt nicht unbedingt besaßen: Stallgeruch und Intuition. Der
vertraut er noch heute, wenn er Künstler entdeckt oder die Produktionen seiner Vertrauten kuratiert. „Ich habe gelernt, mit meinen
Urteilen vorsichtig zu sein. Wenn mich etwas
stört oder aufregt, ist das erst mal nichts
Schlechtes. Ich mag Kunst, die mir Fragen
stellt.“ Diese Offenheit dem Neuen gegenüber
hat er bereits in der Kindheit erfahren.
In seiner Heimatstadt Köln wurden noch
Kriegsschäden beseitigt, als der 1961 geborene
Sohn des Kölner Kunsthändlers Rudolf Zwirner zu Hause zwischen Kunstwerken Andy
Warhols and Dan Flavins spielte. Seine Altersgenossen lasen mit Begeisterung die LurchiComics, die es bei Salamander in der Fußgängerzone am Dom gab. Das Auge des musisch
begabten Davids hingegen wurde an der Seite
der Eltern auf Kunstmessen wie der documenta und dem vom Vater neu gegründeten
Kunstmarkt Köln (heute Art Cologne) geschult, auf dem zeitgenössische internationale Kunst erstmals einem breiten Publikum in
Deutschland zugänglich gemacht wurde.
Avantgarde-Künstler wie Joseph Beuys,
Sammler wie Peter und Irene Ludwig, Kunstkritiker und Kunstliebhaber prägten seine
Welt. Das mag der Grund sein, warum Zwirner über Kunst so selbstverständlich spricht.
Seine Frau sorgt dafür, dass die beiden am
Montag Zeit für Yoga-Stunden in ihrem Haus
im East Village finden. Gebaut hat es Annabelle Selldorf, die auch seine spektakuläre Galerie in Chelsea entworfen hat. Auch Monica
Zwirner hat als Eigentümerin und Designerin
des Labels MZ Wallace einen beachtlichen
Weg zurückgelegt. Gerade hat ihr gemeinsamer Sohn nach dem Philosophie-Studium in
Yale den Verlag der Galerie übernommen.
Tochter Marlene studiert Kunstgeschichte
und Studio Art. Die jüngste Tochter Johanna
studiert am Barnard College, das Talente wie
Laurie Anderson und Jhumpa Lahiri hervorgebracht hat. In den Eisentöpfen köchelt eine
Soße mit frischen Kräutern. An den Wänden
hängen die Werke seiner Künstler. „Das ist so,
als ob man seine Freunde um sich herumhat,“
meint David Zwirner und betont, dass er
Huberta von Voss
selbst kein Sammler sei.
Aktuelle Ausstellung in der Galerie
David Zwirner: Sigmar Polke –
Eine Winterreise. Noch bis zum 25. Juni 2016;
New York, 537 West 20th Street
53
LEGENDE
Das erfüllte Heimweh
Christian Dior war gefeierter Modeschöpfer, gab nach dem Krieg den
Frauen ihr Recht auf Schönheit zurück, ersann Parfüms für die Ewigkeit.
Aber am liebsten war er Christian vom Land, staunt Inga Griese
W
54
ie viel Schmerz
liegt in dem Satz?
„Hier kann ich
Christian sein“,
hat Dior von seinem Anwesen „La
Colle Noir“ geschwärmt. 40 Kilometer von Cannes, nicht weit entfernt von
seinem Elternhaus in Granville, wo er die ersten glücklichen Lebensjahre mit Geschwistern und als Sohn eines erfolgreichen Unternehmers und einer zauberhaften Mutter verbrachte, und auch nicht weit entfernt von Callien, wo er mit Vater und Schwester zu
Kriegszeiten lebte, entdeckte er 1951 ein altes
Herrenhaus, das seinen Namen der angrenzenden, von Bäumen dicht bewachsenen Anhöhe verdankt. Doch für Monsieur Dior war
es das Licht, ein Ort des Friedens, den er über
Jahre renovierte und kultivierte.
An dem Sekretär in seinem Schlafzimmer mit
Blick ins weite Grün schrieb er 1956: „In diesem Haus will ich wirklich zu Hause sein. Ein
Haus, in dem ich endlich in Frieden leben
kann und Christian Dior vergessen darf, um
einfach nur wieder Christian zu werden.“ Derart war die Karriere des Modeschöpfers seit
seiner ersten Show 1947 explodiert, dass die
Sonne wohl manchmal Schatten auf ihn warf.
Er hatte das Château in einen heimeligen Ort
verwandelt, gemütlich, mit Blumentapeten
und Blumenstoffen, jedes Zimmer anders, für
Freundschaften, Poesie, Spieleabende (Canasta bevorzugt) und lange Dinner, die er selbst
mit zubereitete. Der 40 Meter lange „Wasserspiegel“ war auch Teich, den er sich mit Fröschen teilte. Das 50 Hektar große Areal war
zudem ein landwirtschaftlicher Betrieb, wo er
Duftrosen, Jasmin und Wein anbaute und von
seiner Schwester Catherine vertreiben ließ.
Nicht weit entfernt lag Grasse, das Zentrum
der französischen Duftproduktion. Ein Paradies für den Parfümeur, der er ja auch war.
Schon 1947, im Jahr, als er mit seinem üppigen
„New Look“ die Welt betörte, hatte er auch
„Miss Dior“ herausgebracht.
An diesem überraschend kalten Abend Anfang Mai besichtigen wir Zimmer, die er so nie
gesehen hat. Er war noch nicht fertig mit seinem „Paradies auf Erden“, als er im Oktober
1957 unerwartet bei einer Kur in Italien starb.
Die Ursache ist unklar, es wird vermutet, dass
er eine Tuberkulose, die ihn in jungen Jahren
heimsuchte, nie richtig auskuriert hatte. Das
Anwesen ging an seine Schwester und eine
enge Mitarbeiterin, sie verkauften es 1958 an
ein Ehepaar. Doch im Hinterland abgelegen
vom Riviera-Glamour war es bald verlassen –
und geplündert. Mit einem neuen Eigentümer wurde es 1976 zu einem Veranstaltungsort. 2013 konnte Christian Dior Parfums
schließlich das Château zurückkaufen. Wie
CEO Claude Martinez sagt: „Uns war es wichtig, das Haus wieder zurückzugewinnen – um
so auch einen Teil der Geschichte wiederzufinden.“ Eine emotionale wie strategische
Entscheidung: „Das Château und seine Umgebung sind Teil der Dior-Parfümerie. Wir haben vor neun Jahren beschlossen, uns nicht
mehr von Fremden beliefern zu lassen, sondern wieder selbst zu lernen, wie man Düfte
herstellt. Damals haben wir François Demachy angestellt. Wir wollten möglichst unabhängig bleiben.“ Das hat geklappt. Der neue
Duft der „Collection Priveé Christian Dior“
basiert auf der Mairose, ist würzig, verführerisch und und heißt, klar, „La Colle Noir“.
Fast drei Jahre und Umbaukosten in Höhe der
Anschaffungssumme später lädt Bernard Arnault, der Präsident des LVMH-Konzerns, zu
dem Dior gehört, zur Eröffnung. Charlize
Theron ist gekommen, Freunde und Mitarbeiter des Hauses und einige Journalisten aus aller Welt. Die Gäste sitzen an einer sehr langen
Tafel auf der Veranda, so wie Dior es gern tat,
allerdings ist für diesen Abend die Pergola unmerklich über die gesamte Breite des Hauses
verlängert worden. Das Essen ist köstlich, gekocht nach dem privaten Rezepten Diors, darunter schwarze Trüffel, seine Lieblinge, die
nun auch wieder im Wäldchen wachsen sollen. Die Natur ist launisch, Regenmassen kippen herab, der Live-Akt muss ausfallen, dem
Feuerwerk kann das Wetter nichts anhaben.
Dem Staunen auch nicht.
Dior war fünf, als die Familie nach Paris zog,
die letzten Jahre der Belle Époque in vollen
Zügen genoss, die auch das Gefühl für Lebensart des kleinen Christian prägte. 1930 sah der
abergläubische Dior das Menetekel, das ihn
mehr erschütterte als die Bankenkrise in den
USA. Amerika war damals in der Wahrnehmung noch sehr weit weg – fast so weit, wie es
1930 das Jahr 1928 war. Dior verband mit der
Zeit den „Frühling der Freundschaften, reich
an Blüten, ohne Wolken.“ Alles schien möglich. Doch die Wolken waren längst aufgezogen, als sich 1930 im Haus der Familie in Paris
ein Spiegel von der Wand löste und in tausend
Teile sprang. Dior sah förmlich das Unglück
einziehen – und tatsächlich wurde der Bruder
unheilbar krank, starb die Mutter vor Kummer und der Vater ging in der Weltwirtschaftskrise bankrott. Dior reagiert auf seine
Weise, kratzte das letzte Geld zusammen und
begleitete eine Gruppe Architekten auf Studienreise nach Russland. Er war entsetzt über
die Verhältnisse, bewunderte die Menschen
für ihre Zuversicht und kehrte gewappneter
für alle Sorgen und Nöte zurück. Bei der Ankunft in Marseille erhielt er die Nachricht,
dass auch sein Galerie-Partner bankrott war.
Dabei hatte es gut angefangen. Er war frei gewesen und hatte das Verrückteste getan, was
seine Eltern sich vorstellen konnten: Er eröffnete eine Galerie. Sie hatten ihm schließlich
das Startkapital von mehreren hunderttausend Francs gegeben – unter der Bedingung,
dass sein Name nicht im Firmenschild auftauchen würde. Also tat er sich mit dem Freund
Jacques Bonjean zusammen, sie träumten von
Ausstellungen mit Picasso, Braque, Matisse,
Duffy und hatten bereits Freunde wie Salvador Dalí, Max Jacob, Christian Bérard im Portfolio. Später notierte Dior: „Hätte ich doch nur
einige der Werke behalten können, die heute
von unschätzbarem Wert sind und die meine
Familie für so wertlos hielten.“
Die neu gestalteten Zimmer in „La Colle Noire“ nehmen die Geschichte auf. Die PicassoSuite, das surreale Zimmer mit dem Mae West
Lippen-Sofa von Dali´, das Schlafzimmer, das
dem Illustrator Christian Bérard gewidmet ist.
Es gibt auch eine restaurierte Suite, die Dior
seiner Begeisterung für Geschichte der Archäologie gewidmet hatte. Als er 17 Jahre alt
war, wurde Tutenchamons Grab entdeckt. Die
Tapete zeigt ein Motiv aus der ägyptischen Geschichte. Die Catherine Dior-Suite war für die
kleine Schwester, die Frau seines Lebens, die
wegen ihrer Mitgliedschaft in der Resistance
ins KZ Ravensbrück kam. Nach ihrer Rückkehr wurde sie Blumengroßhändlerin und
kultivierte die berühmte Grasse-Rose. Nie den
Hass. Auch der Bruder reichte gleich nach
dem Krieg den Deutschen die Hand, ließ
Strümpfe in Lippstadt, Schmuck in Pforzheim
produzieren.
„Hier in Montauroux schreibe ich diese letzten Zeilen. Die Nacht bricht herein und bringt
einen unendlichen Frieden mit sich.“ Das notierte er in seinen Memoiren „Christian Dior
et Moi“ – im Jahr, bevor er starb.
„Mir geht es immer besser, wenn ich mich in der Nähe von
Jasmin und Wein aufhalten kann.“ 1951 kaufte Christian Dior
das Château „La Colle Noire“ als Heimat seines Herzens und
auch als Rückzugsort mit seinem Lebensgefährten (links am
Tisch in einem Café in St. Tropez). Vor drei Jahren kaufte
Dior Parfums es zurück und renovierte. Das Mosaik im
Entrée erinnert an die Windrose seiner Kindheit und an den
Kupferstern, den der abergläubische Dior in Paris auf der
Straße fand und als Zeichen nahm, als er noch zögerte, mit
Finanzier Marcel Boussac ein Couture-Haus zu eröffnen.
LORD SNOWDON/ GAMMA RAPHO; BLAISE TASSOU (2); PHILIPPE SCHLIENGER(3); PHOTO12; PARFUMS CHRISTIAN DIOR (2); TERRI WEIFENBACH
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Thomas Lehr
Inhaber der
„Parfümerie Lehr“
in Frankfurt
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Hiermit gebe ich es offiziell zu:
Ich bin ein Sonnenschutzverfechter. Schließlich kann man
seine Haut nicht einfach wie
Bluse oder Hemd wechseln.
Und es geht doch darum, unser
größtes Organ bestmöglich zu
schützen und zu erhalten. Dafür
lohnt es sich zu investieren. In
gute, auch hochpreisige Produkte mit einem hohen LSF
(Lichtschutzfaktor). Sie bieten
einfach einen besseren, umfangreicheren Schutz.
Am besten funktioniert die
Sonnenschutzlinie von Sisley
(wieder neu im Sortiment ist die
getönte „Super Soin Solaire
Teinté“-Pflege). Und das beste:
Sie sparen sich Ihre normale
Tagespflege, denn die Sonnencremes der Franzosen sind
völlig ausreichend. Sparen Sie
lieber an Ihrem nächsten Flug!
Haubentaucherin
Auf die Meere, fertig, los. Die
Losung der Friesen heißt: Rüm hart,
klaar kimming – reines Herz, weiter
Horizont (aka: klarer Verstand). Für
die diesjährige La-Mer-Edition
„Blue Heart“ gilt: Blaues Herz,
weiter Blick. So werden mit Einnahmen aus diesem limitierten
Tiegel (der kostbare Inhalt wird aus
von Hand geernteten Algen hergestellt) zum World Oceans Day
(8. Juni!) junge Meeresforscher
unterstützt, die sich um den Erhalt
der Weltmeere kümmern sollen.
Wie fühlen Sie sich? Müde, belastet
oder irritiert? Nein, wir fragen nicht
nach Ihrem (Gemüts-)Zustand,
sondern nach dem Ihrer Haut. Clarins will mit drei neuen „Booster“Tröpfchen alle Anzeichen eines
fahlen Teints bekämpfen. Der „Repair Booster“ (blau) zum Beispiel soll
die Haut widerstandsfähiger gegenüber schlechten Umwelteinflüssen
machen (dazu zählen Sonne, stark
chlorhaltiges Poolwasser, kleine
ästhetische Behandlungen, öh).
Einfach wenige Tropfen in eine
Creme Ihrer Wahl tropfen, verteilen,
fertig. Und sicher, die „Detox“ und
„Energy Booster“ wollen wir auch
noch. Viel hilft ja bekanntlich viel.
Feeling blue: Die Signatur-Zutat des
kubanischen Designers Narciso
Rodriguez ist Moschus. Sie fehlt
auch nicht in seinem neuesten
Herrenduft „Bleu noir“. Doch steigt
zuerst ein dunkler, holziger Geruch
in die Nase. Wie beim Betreten
eines Zigarrenladens. Der Duft
werde „im Laufe des Tages immer
schöner und süchtig machender“,
schwärmt Rodriguez. Wir empfehlen, ihn zu später Stunde aufzusprühen – zu einem Glas Rum
und einer guten Havanna ...
AUCH FÜR IHN!
In Kosmetikdingen ist uns Japan
um einiges voraus – allen voran,
wenn es um die Reinigungsrituale geht. Bei Sensai etwa
schwört man seit Jahrzehnten
auf die Doppel-Reinigung,
-Befeuchtung, -Pflege. Ein Tipp
der Japaner für einen ebenmäßigen Teint? Der altbewährte
Helfer: „Silky Purifying Silk
Peeling Powder“. Kein Schrubbel-Peeling, sondern aus feinem
Puderstaub wird – mit Wasser
vermischt – ein milder Reinigungsschaum, den übrigens
auch Männer (idealerweise vor
der Rasur, auch auf empfindlicher Haut) anwenden können.
Und wonach sollte „Mann“ am
besten jeden Tag duften? „Terre
d’Hermès“. Ausdrucksstark,
doch niemals aufdringlich.
Rainer Eiden
PRIVAT
In den 70ern dachte man nicht an UV-Schutz und SPF. Auch dieses Bild von Daniel
Lorieux von 1972 ist daher keine Kampagne für Sonnenschutz, sondern das Cover
eines italienischen Magazins. Wer Lust auf richtige „Sommer, Sonne, Strand“-Bilder
mit hübschen Modellen hat, sollte noch schnell bis zum 11. Juni nach Berlin reisen.
Dort zeigt Production Berlin eine Einzelausstellung des französischen Fotografen.
Inhaber der
„Parfümerie
Aurel“ in
Attendorn
59
AMAZONAS
SCHWEIZ
DÄNEMARK
Einmal so schönes, dickes Haar zu haben wie
die Ureinwohner eines Stammes im Amazonasgebiet. Das wär’s. Natürlich können auch
die Produkte von Rahua, die dort von Einheimischen produziert werden, keine Wunder
vollbringen, doch zumindest das Haar ansatzweise verdichten. Probieren Sie mal den
„Voluminous Conditioner“ – er soll pflegen
und für Sprungkraft sorgen. Für Veganer ist
er auch geeignet. Über net-a-porter.com
Wir sind wisch und weg. Und zugegebenermaßen haben’s mal wieder die Schweizer
erfunden. Ein Tuch, eingepackt in ein kleines
Sachet, weiß, geruchsneutral, unscheinbar,
platzsparend. Doch kommt das Mikro-Fibrillentuch von Filabé mit Wasser in Berührung,
werden die für uns unsichtbaren Wirkstoffe
aktiviert (angeblich sollen hundert mal mehr
als in einer Creme drinstecken). Somit wird
erst die Haut von Make-up befreit und
gleichzeitig gepflegt. Warum diese Einmaltücher so gute Reisebegleiter sind? Weil
im Handgepäck jedes Gramm zählt. Vier
Varianten für unterschiedliche Hauttypen, als
4-Wochen-Set (4 x 7 Tücher). Über filabe.de
Clean, pur, simpel. So sind die Produkte (wie
etwa das „Perfecting Facial Oil“) von Nuori,
einer dänischen Nischenmarke, die ihre Produkte alle zwölf Wochen ganz frisch in winzigen Chargen herstellt und mit zwei Daten
versieht: dem Mindesthaltbarkeitsdatum und
jenem Datum, bis zu dem man es spätestens
benutzen sollte. Etwa über lodenfrey.com
BRASILIEN
USA
Vielleicht waren die beiden Gründer Julia
Wills und Alexander Kummerow schlaflos in
Seattle, als sie 2011 dort im Nordwesten der
USA ihre kleine Kosmetikmarke Herbivore
Botanicals gründeten. Angeblich am Küchentisch ... Sicher ist jedoch, dass die klärende
Maske „Blue Tansy“ (aus blauem Gänsefingerkraut und weißer Weidenrinde) für reinere
Haut sorgen kann. Flugkosten können wir uns
sparen, gibt’s auch über niche-beauty.de
PSS
Nein, dieses Eau de Cologne ist nicht aus
Brasilien. Das Kreieren von Parfüms überlässt
man einfach besser den Franzosen. Dennoch
hat das französische Dufthaus Berdoues
versucht, in „Selva do Brasil“ den brasilianischen Wald (Selva) in Flaschen abzufüllen.
Geschafft. Wer also in Einstimmung auf die
Olympischen Spiele schon jetzt etwas (idealistische) Brasilien-Luft schnuppern mag,
schaut mal bei ausliebezumduft.de
Ne u SS t !
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FRANKREICH
60
AUSTRALIEN
JAPAN
Was wir von den Japanerinnen lernen können? Niemals ohne Sonnenschutz am Morgen das Haus zu verlassen – egal wie stressig
es auch sein mag. So bewahrt man sich möglichst lange ein ebenmäßiges, zartes Hautbild.
Vorbildlich soll auch die „Day Cream“ aus der
Cellular-Performance-Linie der japanischen
Marke Sensai sein. Mit integriertem SPF 25.
Menschen in Down Under kennen sich bestens mit heißen Temperaturen und deren
nicht so duften Folgen aus. Daher kann man
auf das neue „Herbal Deodorant“ von Aesop
vertrauen, eine Marke, die bereits 1987 in
Melbourne gegründet wurde und mittlerweile
mit acht Geschäften auch bei uns vertreten
ist (neu: Hannover und Berlin-Kreuzberg).
Neben einem Mix aus ätherischen Ölen
(Rosmarin, Salbei und Eukalyptus) enthält
das aluminiumfreie Deo Zinksalz. Und keine
Ausrede, das 50 ml kleine Pumpspray wirkt
unisex und passt überall rein.
ZUSAMMENGESTELLT VON CAROLINE BÖRGER
Woran merkt man, dass der Sommer und die
langen Ferien nahen? Nicht unbedingt am
Wetter. Aber zumindest daran, dass viele
Kosmetikmarken nun wieder Produkte in
Mini-Größen herausbringen. Reisefreundlich
eben. So auch die französische Marke Diptyque, die alle ihre Produkte vom Reinigungsgel, Peeling und Düften und sogar die herrlichen Duftkerzen als Minis herausgebracht
hat. Allesamt übrigens inspiriert von Reisen
der drei Gründer. Ihre Lieblingsorte? Frankreich, der Mittelmeerraum und Asien. Anhand der Kartons der „Les voyages“-Minis
lässt sich daher auch gleich der Inspirationsort
erkennen. Im Falle des Trockenöls „Voile
Satin“ ist es Rhodos. Auf auf!
der geheime Parfum-Garten des Monsieur Li
hermes.com
ANGERÜHRT
Öliges Vergnügen
Auf Saint-Barthélemy kooperiert das erste Haus am Strand, das „Eden Rock“, mit Ligne St Barth.
Einer Marke, die Sehnsucht exportiert. Wie die entsteht, hat Caroline Börger sich angeschaut
E
62
s begann weniger dramatisch als erwartet. Hatte man
sich im Vorfeld doch bereits
mental angeschnallt, denn
es hieß, dass die kleine Propellermaschine auf SaintBarthélemy im Sturzflug
über eine Bergkuppe Richtung Meer landen würde. Nun gleitet sie entspannt auf ihr Ziel zu, und als Dreingabe gibt
es einen Panoramablick auf das Quartier der
nächsten Tage. Hoch oben auf einem Felsen
thront in der Bucht von St. Jean, eingebettet
im weißen Karibikstrand, das Hotel „Eden
Rock“, das von dem britischen Milliardär David Matthews Mitte der 90er-Jahre als ein Ferienhaus für Familie und Freunde gekauft
wurde. Inzwischen gehört es zur Oetker
Collection, die das Haus seit April 2014 betreibt, doch David ist weiterhin der Inhaber
und urlaubt hier regelmäßig mit Frau und den
inzwischen erwachsenen Kindern. Das Hotel
hat 32 Zimmer, außerdem gehören zwei stattliche Villen für Großfamilien samt Rund-umdie-Uhr-Butlerservice und eigenem Strandzugang dazu. Eine der beiden – die „Villa Rockstar“ – verfügt sogar über ein eigenes Tonstudio und einen Kinosaal.
Seit diesem Jahr kooperiert nun das Hotel mit
einer weiteren Inselinstitution, der Kosmetikmarke Ligne St Barth. Letztere residiert in einem vergleichsweise unscheinbaren Haus aus
braunen, handgefertigten Schieferplatten, das
wie fast alles auf dieser Insel nur wenige Autominuten vom Hotel entfernt liegt. Hier also
sollen die herrlichen Öle hergestellt werden,
die auch jenseits der Karibik in jedes Badezimmer ein Gefühl von Sommer, Sonne,
Strandurlaub bringen? Kaum vorstellbar.
Durch eine Mini-Boutique erhascht man einen Blick auf die Produktion. Weiter geht’s jedoch nicht. Zumindest nicht ohne OP-Kittel,
Schuhüberzieher und Haube. Und ohnehin
ausnahmsweise nur, weil Peter Grein, Geschäftsführer von Ligne St Barth, dabei ist.
„Hier sind wir mitten im Herzstück“, erklärt
der Bayer, der gemeinsam mit seinem Schwager Hervé Brin, Gründer und Insulaner, die
Kosmetikmarke seit mehr als 30 Jahren betreibt. Er von München aus, Hervé vor Ort.
Drei chromfarbene Maschinen und große
Kessel, in denen die Rohstoffe vermischt werden, glänzen wie in der Meister-Proper-Werbung. Klinisch sieht es aus – aber das muss es
auch. Schließlich wird hier alles hergestellt,
was Ligne St Barth in Containern in mehr als
30 Länder verschifft. Zwei der insgesamt 20
Mitarbeiter sind gerade damit beschäftigt, in
einem großen Kessel Avocado-Öl anzurühren.
Bis heute einer der Topseller. Jede Flasche,
egal ob sie später in Singapur, Tokio, New York
oder auf Sylt verkauft wird, kommt aus diesen
Kesseln. Was eine Besonderheit ist, zumal
nichts sonst von der Insel exportiert wird.
Bis zu 2000 Flaschen schaffen sie am Tag.
Mehr als 30 unterschiedliche Produkte gibt es,
aber sie können sich immer nur um eines
kümmern. Nie läuft die Herstellung parallel.
„2000 Stück schaffen Großkonzerne wohlmöglich sogar innerhalb einer Stunde“, sagt
Grein und erklärt, dass man auch auf der Karibikinsel, die offiziell zu Frankreich gehört,
„denselben Richtlinien unterliegt wie in Europa“. ISO-zertifiziert sind alle ihre Öle. Einmal im Jahr kommen drei französische Inspektoren und kontrollieren jedes Spülmittel,
jede Tür, jeden Warnhinweis – die ganze Firma steht für zwei Wochen still. Aber auch das
sieht man hier auf der Sonneninsel gelassen,
in der zwischen Dezember und April die touristische Hauptsaison herrscht.
Da auf Saint-Barthélemy oder St. Barth, wie es
englisch heißt, kein Platz für Felder ist, muss
vom Frühstücksei bis zu den Rohstoffen für
die Kosmetik alles eingeschifft werden. „Alles
kommt von benachbarten Inseln“, erzählt
Hervé, der lässig in einem weißen Leinenhemd und Shorts im Büro oberhalb der Abfüllung sitzt. „Unsere Kriterien sind hart, wir
nehmen nur Obst von Plantagen, die auch
Essmaßstab haben.“ Die Avocados etwa, aus
denen das Öl gemacht wird, seien groß wie
Fußbälle, erläutert sein Schwager und bekommt ein Leuchten in den Augen. Sie stammen – und das ist beiden wichtig – von Mixkulturplantagen. „Pro 200-Milliliter-Flasche
verwenden wir 20 Kilogramm Fruchtfleisch.
Es ist wie ein Extrakt. Nehmen Sie es mal auf
die Fingerspitzen und tupfen Sie es um die
Augen – andere würden es als Serum verkaufen und dafür dann dreimal so viel Geld verlangen.“ Bei St Barth firmiert der edle Stoff
schlicht unter Mehrzwecköl.
Abgefüllt in Fässern, warten die fertigen Produkte dann auf die Freigabe durch das Labor.
Erst wenn drei verschiedene Institute ihr
Okay gegeben haben, dürfen im wenige Meter
entfernten Abfüllraum die Flaschen bestückt
werden. Alles ist unter einem Dach untergebracht: Zentrallager, Verwaltung, Abfüllung.
Ebenso die Entwicklung, für die Hervé zuständig ist. Peter Grein und sein Team in
Deutschland sagen dann, ob und was funktionieren könnte oder auch nicht. Vorgaben, dass
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mal etwas Neues in der Linie gebraucht werde? Gibt es keine. Innovationen entstehen familienbedingt. Tatiana, die 24-jährige Tochter
von Hervé, testete das Papaya-Gesichtspeeling
am Körper – ein kostspieliges Vergnügen, erzählt der Onkel. „Aber daraufhin entwickelten
wir ein Dusch-Peeling. Als Familie sitzen wir
oft zusammen und sprechen darüber, was wir
brauchen. Und dann kann es Jahre dauern, bis
etwas fertig ist“. Hervé ist qualitätssensibel,
hat das letzte Wort. Aber es funktioniert.
Keines der Familienmitglieder kommt ursprünglich aus der Kosmetikbranche: Peter
und seine Schwester Birgit stammen aus der
Hotellerie, auch Hervé studierte Hotelmanagement. „Wir kreieren die Produkte und finden dann die besten Leute, die mit uns zusammenarbeiten“, sagt Peter Grein. Es gibt Menschen wie Fatima Diagana, die sich nur um das
Design der Spas kümmert, Massagen entwickelt und dafür sorgt, dass die Therapeuten
gut ausgebildet sind. Am wichtigsten allerdings ist die Art, wie die Produkte präsentiert
werden: Jede Therapeutin kommt mit nur einem Tablett in die Kabine, auf dem das steht,
was für die Anwendung wirklich gebraucht
wird. Frisches Papaya- oder Gurkenmousse,
feiner Sand und die Öle von Ligne St Barth.
Und ein kleiner hölzerner Matcha-Schneebesen zum Verrühren.
Im „Eden Rock“ hat man deshalb auch den
Spa-Butler-Service eingeführt: Da wird zur
gewünschten Uhrzeit ein Entspannungsbad
eingelassen, oder man bucht gleich die Massage auf der eigenen Terrasse mit Blick aufs
Meer. Es soll wie „Front cooking“ funktionieren. Bei Ligne St Barth muss es individuell
sein, „Tailormade Spa“ nennt das Peter Grein.
Die Produkte zu Hause haben kann jeder. Das
persönliche Entspannungserlebnis ist kaum
selbst zu inszenieren. Ein Grund mehr, weshalb die Autorin jetzt von weiteren Abstechern nach St. Barth träumt. Damit der Abschied schwererfällt, fliegt die kleine Propellermaschine eine letzte Kurve am Hotel vorbei. Bevor sie zehn Minuten später in der
Wirklichkeit des wuseligen Flughafens auf St.
Maarten landet.
#gutimbett
Beauty on the Rock:
Eigentlich kommt
nichts als Mythos von
dieser Insel. Bis auf die
Kosmetik von Ligne
St Barth, die hier produziert und dann von
Hand abgefüllt wird.
Die Flasche erinnert
nicht nur in der Form
an eine Rum-Flasche,
sie ist auch eine
Wir versprechen nicht viel.
Nur 2 ml.
Aber die haben es in sich:
flüssiges Lifting im Schlaf.
babor.de
SONNTAG, 29. MAI 2016
Global Diary
PHUKET
ERINNERN SIE SICH? AN DIE ZEIT, ALS MAN
STATT WHATSAPP UND E-MAIL NOCH KARTEN VON
FREMDEN ORTEN SCHRIEB? WIR TUN ES NOCH IMMER.
ILLUSTRIERT VON TIM DINTER
MAILAND
Morgens, gleich nach dem Aufwachen, gehe ich als Erstes auf meine Terrasse, lege mich noch ein wenig aufs
Daybed und schaue auf die Schiffe unter der aufgehenden Sonne in der Andamasee. Der Strand am Fuße des Hotels ist zu dieser frühen Stunde noch menschenleer, es heißt, es handele sich um den schönsten Thailands. Zugegebenermaßen dürfte es
schwierig werden, diese These in einem Land zu verifizieren, das von vielen Touristen als ein einziger
endloser Traumstrand wahrgenommen wird, doch der
Nai Harn Beach spielt unbestreitbar in einer eigenen Liga. Er ist auch der Namensgeber für das „Nai Harn“, das
Fünfsternehaus im Süden von Phuket, das früher einmal als
„Royal Phuket Yacht Club“ bekannt war. Inzwischen hat es den
Besitzer gewechselt, wurde 18 Monate lang von Grund auf renoviert,
vom folkloristischem Dekor weitgehend befreit und soeben wiedereröffnet. In weißen Quadern schmiegt es sich an einen üppig bewachsenen Hügel, sodass jedes Zimmer über einen fast schon absurd malerischen Meerblick verfügt.
Von den angenehm zeitlos gestalteten Zimmern messen selbst die
kleinsten noch über 40 Quadratmeter und sind mit den gemütlichsten
Betten ausgestattet, in denen ich je schlafen durfte. Mein „Grand Ocean View Room“ ist sogar doppelt so groß und hat eine Terrasse, die
derart viel Platz bietet, dass es ein mobiles Minigolfset gibt, das
man zur Freizeitgestaltung aufstellen kann. Man könnte
dort auch problemlos eine Grillparty veranstalten, zu der
vermutlich niemand erscheinen würde, da das Essensangebot in den zwei Restaurants des Hauses einfach
fantastisch ist. Frank Grassmann, der deutsche General Manager des „Nai Harn“, hat zuvor das „Soneva
Kiri“ auf Koh Kut geführt, eines der luxuriösesten
Häuser Thailands, und von dort seinen Chefkoch
mitgebracht – ein ausgesprochen freundlicher Mann,
der Grüße aus der Küche schickt, die man andernorts
als Vorspeisen betrachten würde. Seinen jungen britischen Patissier hat Grassmann in Bangkok aufgespürt, er
bereitet die tollsten Süßspeisen zu und lässt jeden Nachmittag ungefragt Pralinen und Küchlein aufs Zimmer liefern.
So dehnt sich die Zeit auf angenehmste Weise, und man selbst
dehnt sich mit ihr.
Harald Peters würde sich jederzeit für die Wissenschaft opfern, um
den schönsten Strand Thailands objektiv zu bestimmen
Den Bezirk Tortona kannte ich nur als Partymeile während der Designmesse, wenn die Straßen mit Menschenmassen verstopft sind. Jetzt aber werden wir rasant bis vor das Portal des „Magna Pars“ chauffiert,
eines Hotels, das nur über Suiten verfügt. Über einen roten Teppich gelangt man in den Innenhof,
weiße Kartell-Sofas unter weißen Sonnensegeln bilden das Foyer. Ich erhalte die Schlüssel zur „Osmanto“-Suite: Jede in dieser ehemaligen Parfümfabrik ist
einem Duft gewidmet, in diesem Fall ist er angenehm
herb. Über eine Stahltreppe geht es in den ersten
Stock, dann summt die Zimmertür wie eine Haustür und
öffnet sich mit einem kurzen Klacken. Drinnen treffen die
Hamptons auf Italien, es gibt reichlich Platz, und auch zu zweit
können sich beide auf einem der beiden riesigen Poltrona-Frau-Ledersofas bequem räkeln. Die Tür zum Kleiderschrank entpuppt sich als
Zugang zu einem überaus großzügigen Badezimmer. Ich verwerfe den
Impuls, meine Freude mit dem Ruinart im Kühlschrank zu teilen, kann
aber den Biscotti im Glas nicht widerstehen und freue mich an der sensationellen Bodylotion.
Später erfahre ich: Die Bad-Artikel sind so chic, weil der Besitzer des Hotels, Roberto Martone, aus der pharmazeutischen und dermatologischen
Fabrik seines Vaters in den 70er-Jahren die Parfümschmiede Italiens machte. In den 80ern ließen Versace, Trussardi und Co.
hier anmischen. Die Firma wuchs und benötigte mehr
Platz, weswegen Martone seine Flakons nach Lodi umsiedelte. Doch er behielt die Gebäude in der Stadt
und eröffnete 2013 das Hotel mit der Philosophie
„tutto made in Italy“. Im Innenhof wachsen Ahorn-,
Oliven- und Amberbäume, ein kleiner Shop im Labor-Look bietet Duftkerzen und Raumdüfte aus
der hauseigenen Fabrikation an.
Der Eindruck, ein bisschen zu weit entfernt vom
aufregenden Trubel der Großstadt gelandet zu sein,
schwindet nach ein paar Minuten Fußweg. Die Navigli, die Kanäle, sind schnell über eine Brücke zu erreichen, die Sonne scheint, Osterien und Eiscafés reihen
sich auf beiden Kanalseiten aneinander. Zurück in den ruhigen Straßen Tortonas, erinnern an einer Hausfront in unmittelbarer Nähe des Hotels Namensschilder – Balenciaga, Stella McCartney, McQueen – daran, dass wir in einer Mode-Metropole sind. Der
Outlet-Store gleich gegenüber ist ebenfalls recht gut sortiert. Später
schenkt man mir eine Duftkerze, und ich trage zumindest ein wenig olfaktorische Aura des Hauses mit nach Hause.
Esther Strerath lässt sich als Designexpertin gern alle Sinne kitzeln
64
Die zwei Isole di Brissago liegen im Lago Maggiore und gehören zum Schweizer Tessin. Nur eine
davon, San Pancrazio, ist frei zugänglich. Der
blitzweiße Ausflugsdampfer benötigt ab Ascona
lediglich 15 Minuten und legt in einem romantischen Miniaturhafen an. Schön überschaubar ist
hier alles: eine Orangerie, ein Gewächshaus, der
Palazzo auf einer Anhöhe. Betört von Farbenpracht und Blütenduft, folge ich dem einzigen
Pfad. Die Isole sind der botanische Garten der italienischen Schweiz. 1700 verschiedene Pflanzen
und Bäume aus allen Kontinenten gedeihen hier
urwaldartig: Buddhafingerpflanzen, ein Bambuswald neben giftigen Trompetenblüten und Kamelien. Hanf und Baumwolle. Roter Pfeffer aus China, Zimtbäume aus dem Himalaja, Gladiolen aus
Madagaskar. Zitronen- und Orangen-, Pistazienund Avocado- sowie Tomatenbäume, ja Bäume!
Zwischen all dem Grün versteckt sich der Palazzo,
die „Villa Emden“, die einst einem der Mitbegründer des KaDeWe gehörte. Heute ist sie ein Hotel
mit zehn Zimmern, alle mit Seeblick, versteht sich.
Doch man muss nicht dort wohnen, um am Inselidyll teilzuhaben. In der „Trattoria Contempora-
nea“ kocht Peter Gijs Drost gern mit Insel-Ingredienzien. Feiner Limonenrisotto, reine Ticinoweine, Kräuter aus dem Garten am römischen Bad
nebenan. Die Cavedane (Döbel) aus dem See lieber nicht – zu viele Gräten. Zum Terrassen-Frühstück kommt ein Produkt der summenden Nachbarn auf den Tisch. Sie nisten unterhalb am Hang
in einem Röhrenkonstrukt.
Lustwandeln ist hier die sinnvollste Aktivität: In der
festungsartigen Begrenzungsmauer entdecke ich
ein Treppchen für ein kurzes Bad im glasklaren Lago. Seeufer und Alpen rundherum scheinen zum
Greifen nah. Eine Art Äolsharfe, Windgitarre und
Bambusflöten erklingen, sobald eine leichte Brise
geht. Am liebsten würde ich hier bleiben bis die
mexikanischen Agaven blühen, etwa einmal in 40
Jahren. Jedoch: Um 18 Uhr geht das letzte Schiff.
Uta Petersen sucht und findet immer wieder ...
beglückende Natur
ILLUSTRATIONEN: TIM DINTER
SAN PANCRAZIO
www.engadin.stmoritz.ch
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BAUPLAN
DIE „BOY
CHANEL“
In den Ateliers und Manufakturen dieser
Welt werden weiterhin Handwerkskünste
gepflegt, und wir schauen zu
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Die Liebe von Coco Chanel und Boy Chapel durfte im echten Leben nicht ewig währen. Er starb früh. Der Mythos um die innige Verbindung zwischen der Designerin und dem sportlichen Lebemann, der auch als ihre Muse galt, bleibt bis heute lebendig und inspirierend. 2012 setzten Chanel
und Karl Lagerfeld ihm ein besonderes Andenken und schufen die „Boy Chanel“-Tasche. Gefertigt wird sie nördlich von Paris. Pünktlich zum Sommer kommt eine Variante aus Lammleder in Korallenfarbe, kombiniert mit Chanels berühmtem Lesage-Tweed. Die Fertigung in sieben Schritten:
1. Den größten und wichtigsten Teil der Tasche bildet der Körper, der „fond du sac“. Den Anfang bildet ein Rechteck mit drei reliefartigen Einkerbungen, einer Art Rahmen. Nähte ziehen die Einkerbungen noch einmal nach. 2. Die letzte Naht fixiert auch die Einlage, den Tweed-Stoff, in der
Mitte. 3. Nun wird der fertige Körper auf links gedreht, damit der Innenteil eingenäht werden kann. Wieder auf rechts gedreht, fixieren weitere
Nähte von außen das Innenfutter. Der Körper ist nun dreidimensional und fertig. 4. Die „Schlaufennaht“ an den oberen beiden Ecken vollendet den
Produktionsprozess und verbindet Innen- und Außenteil. 5. Mit einem Hammer flacht eine Handwerkerin vorsichtig die Ecken ab. 6. Letzte Nähte
halten das Futter des Umschlags in Position. 7. An beiden Seiten werden kleine Metallhalterungen aufgesteckt und anschließend durchstochen.
Hier werden später die beiden Ringe durchgezogen, an denen die Kette zum Tragen der Tasche befestigt ist. Fehlt nur noch der rechteckige Metallverschluss an der Vorderseite. Fin! Übrigens: Die Boy Chanel gibt es zu jeder Saison in neuen Farb- und Materialvarianten.
CHANEL
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NUR EIN
KURZER FLIRT
ODER DIE
GROSSE LIEBE?
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