Glanz und Eleganz beim Steiger Award

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Glanz und Eleganz beim Steiger Award
W
RHEIN - RUHR
WRG_1 NR.67
Montag, 19. März 2012
PREISVERLEIHUNG IN DER BOCHUMER JAHRHUNDERTHALLE
Glanz und Eleganz beim Steiger Award
Ohne den türkischen Ministerpräsidenten Erdogan ging die achte Preisverleihung glamourös und stressfrei über die Bühne
Bochum. Beinahe wäre es
diesmal ein anderer Abend geworden. Kontrovers statt harmonisch, mit Pfiffen statt Applaus. Doch nachdem Ministerpräsident Erdogan kurzfristig abgesagt hatte, konnte der
achte Steiger Award so über
die Bühne gehen, wie er sein
soll: Als feierliche Gala mit
Glanz und Glamour – mit königlichem Glanz sogar.
Von der ganzen Aufregung
rund um die umstrittene Nominierung von Erdogan war in
der Jahrhunderthalle kaum
noch etwas zu spüren. Pünktlich sind die Gäste da, gut gelaunt und diesmal schwer in
Schale: Man hat ja schließlich
nicht oft eine echte Königin zu
Gast.
Strahlend: Christine Neubauer.
Heimspiel für Steven Sloane.
Wolfgang Joop mit Laudatorin Gabriele Henkel in der Bochumer Jahrhunderthalle.
Vom Steiger Award aus
Bochum berichten:
Britta Bingmann (Text),
Bernd Lauter und
Jakob Studnar (Fotos)
Moderator Max Schautzer
fühlt sich dann doch noch mal
bemüßigt zu wiederholen, was
Hellen in den Tagen zuvor unermüdlich beteuerte: Dass Erdogan den Preis nur stellvertretend bekommen hätte, stellvertretend für sein Land. Und
schließlich will auch Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz
„nochmals ausdrücklich betonen“, dass es doch schließlich
um 50 Jahre gelebtes Miteinander gegangen wäre.
Hannes Jaenicke ist der erste Preisträger, der anschließend geehrt wird. Nicht als
Schauspieler, sondern als Umweltschützer. Einer „der lebt,
was er sagt und sagt, was er
lebt“, lobt Laudator Franz Alt.
Auf der Bühne sagt Jaenicke
indes nicht viel. Galas sind
nicht sein Ding, das spürt man.
„Aber trotzdem bin ich gerne
hier“, sagt er anschließend
und es klingt ein bisschen
überrascht. Sein Tischnachbar
Tim Bendzko, der SteigerNewcomer, sei ein Klassetyp
mit dem er sich prima unterhalten habe.
ONLINE Promi-Auflauf in Bochum. Die schönsten Fotos
DerWesten.de/steiger
unter:
Königin Silvia von Schweden – ein royalblaues Kostüm zwischen vielen dunklen Anzügen.
DIE PREISTR ÄGER
Steiger Award 2012
Musiker Bendzko – nur noch kurz die Welt retten.
Geradezu überschwänglich
(für seine Verhältnisse) fällt
die Lobrede von Fritz Pleitgen
auf Peter Kloeppel aus. „Erhebliche Seelenschmerzen“
habe der RTL-Mann der ARD
zugefügt, als sie am 11. September 2001 ihre schwersten
Stunden durchlitt. „Unsere
Berichterstattung war zum Erbarmen. Wir mussten mitansehen, wie Kloeppel eine meisterhafte Leistung ablieferte.“
Und dann endlich ist Königin
Silvia an der Reihe: Im schlichten royalblauen Kleid mit Perlenkette kommt sie voll faszi-
Unter den Gästen: Rudi Assauer. Er blieb lange.
nierender Anmut auf die Bühne, um aus den Händen ihrer
Charity-Kollegin Liz Mohn
den Preis für ihren Einsatz für
Kinderrechte entgegenzunehmen.
„Vor ihnen steht eine glückliche Großmutter“, so fängt sie
an – und muss gleich wieder
unterbrechen, weil die Gäste
mit Applaus gratulierten. Die
Königin mahnt in ihrer berührenden Rede, die vielen Millionen Kinder, die immer noch
als Arbeiter ausgebeutet werden, nicht zu vergessen – zweieinhalb Millionen allein müss-
ten immer noch in Bergwerken schuften. Sie wolle diesen
Kindern ein Licht der Hoffnung geben, ein Licht eines
Leitsterns. „So wie unsere kleine Estelle.“
Starke Frauen
Überhaupt ist es der Abend
der starken Frauen: Christine
Neubauer
bekommt
den
Award in der Kategorie Film.
Neubauers (Lieblings-)Produzentin Regina Ziegler bescheinigt der Quotenqueen das
„Publikumsgen“, für das sie
„Man darf nicht aufgeben“
Interview mit Königin Silvia von Schweden über ihre zahlreichen Hilfsprojekte für Kinder
Ist es nicht deprimierend?
Ja, aber man darf nicht aufgeben. Was traurig macht, ist
die große Zahl der Kinder in
Not. Wir beobachten mit Sorge, dass der Kinderhandel
stark zugenommen hat.
Bochum. Stargast beim Steiger Award in Bochum war Königin Silvia von Schweden,
die tags zuvor bereits in Bottrop einen Tagestreff für Demenzkranke eingeweiht hatte.
Britta Bingmann bekam die
Gelegenheit für ein Interview.
Majestät, wir wollen ja heute
eigentlich über Ihr ehrenamtliches Engagement sprechen. Aber zunächst doch
mal einen ganz herzlichen
Glückwunsch zur Geburt
Ihrer Enkelin. Ist sie süß, die
Estelle…?
Oh ja, sehr süß, sehr süß.
Ganz entzückend, wie ja alle
Großmütter sagen. Aber vor
allem sind wir natürlich froh,
dass alles gut gegangen ist. Das
war ja unsere Sorge. Aber dem
Kind und der Kronprinzessin
geht es gut. Sehr gut – von Anfang an. Das ist sehr beruhigend.
Ist die Kleine lieb, oder
schreit sie viel?
Oh, da ist sie wie jedes Kind:
Sie schreit, wenn sie meint, sie
müsste schreien. Ansonsten ist
sie eigentlich sehr lieb.
Wie ist es für Sie in der Rolle, Großmutter zu sein?
Jemand hat mir gesagt, En-
eben nicht der eigenen entspreche.
Etwas Neues gibt es auch
beim achten Steiger: Erstmals
wird der Award in der Kategorie Ruhrgebiet verliehen: Wegen seiner Verdienste um die
Region bekommt ihn Generalmusikdirektor Steven Sloane,
der sich seit Jahren für den Bau
eines Bochumer Konzerthauses einsetzt. Bodo Hombach,
Moderator des Initiativkreises
Ruhr, bringt es so auf den
Punkt: „Er wird sich durchsetzen, er ist bekannt dafür.“ Der
Geehrte versichert: „Es war
ein Marathon, doch jetzt sind
wir auf den letzten Metern.“
Lange wird anschließend
noch an den Tischen geplaudert.
„Ein
wunderbarer
Abend“, dankt Christiane
Hörbiger. „Ein besonderer
Abend“, lobt Wolfgang Joop,
der den Kunst-Steiger mit
nach Hause nehmen darf. „Ein
ganz anderes Niveau als auf
den Galas der Medienkonzerne.“
Und während sich drinnen
die Tische langsam leeren,
raucht im Foyer an der Bar
noch einer seine Zigarre, der
vielen Promis am Abend die
Schau gestohlen hat: Rudi Assauer, in Begleitung seiner
Tochter, genießt die SteigerGala offenbar – und zwar bis
zur letzten Minute.
Königin Silvia (l.) mit WAZ-Redakteurin Britta Bingmann. F.:Studnar
kelkinder sind das Dessert des
Lebens. In diesem Sinne freue
ich mich sehr, auf das, was
kommt.
Die Kinder – darum geht es
Ihnen ja auch bei Ihrer ehrenamtlichen Arbeit. Warum
gerade um Kinder?
Das hat sich mit der Zeit herauskristallisiert. Ich bin ja viel
gereist, habe viel gesehen. Die
Sorgen, die Tragödien der Kinder. Ich habe mit Menschen
gesprochen, die sich solcher
Fälle annehmen und gemerkt,
wie schwierig es ist, die Aufmerksamkeit auf das Problem
von sexuellem Missbrauch zu
ziehen. Da wollte ich gerne
helfen. Ich erinnere mich, vor
zwölf Jahren, in Brasilien, hab
ich mit Freunden gesprochen
über die Kinder dort und die
Probleme und mich dann entschieden, in die Richtung zu
arbeiten.
Seither haben wir mit der
Childhood Foundation, und
da bin ich sehr stolz drauf, 600
Organisationen und Projekte
unterstützen können. Wir machen ja keine eigenen, sondern
unterstützen die, die mit Rat
und Tat, die sich ernsthaft mit
dem Thema auseinandersetzen. Das ist eine große Aufgabe.
Sie bekommen viele Preise,
viele Orden. Was bedeutet
Ihnen der Steiger Award?
Ich freue mich sehr darüber.
Der Steiger ist ja ein interessanter Mann. Er hat die Verantwortung, seine Kumpel sicher ans Tageslicht zu bringen.
Das ist ungefähr wie die Situation der Kinder, die im Dunkeln sind, in Verzweiflung:
Dass man denen Licht bringt.
Wenn Sie nach Deutschland
reisen: Ist das für Sie inzwischen fremd oder wie nach
Hause kommen?
Nach Hause kommen. Es ist
so, wie wenn man ein Kind bekommt und man liebt es. Doch
wenn man das zweite bekommt, fragt man sich, ob man
das genauso lieben kann. Und
beim dritten wieder. Aber: Die
Natur hilft. Und genauso ist es
bei mir: Ich bin in Brasilien
aufgewachsen, in Deutschland zur Schule gegangen,
jetzt lebe ich in Schweden. Das
zu vereinen, das geht sehr gut.
Tradition muss sein: singende Bergleute auf der Bühne.
auch keine Erklärung habe.
„Ein Wunder“, so nennt später
Gero von Böhm das Phänomen, als er Christiane Hörbiger ebenfalls für ihre ungeheure Vielseitigkeit lobt: „Sie ist
wohl ein Liebling der Götter.“
Die Grande Dame, die atemberaubend chic und jugendlich aussieht, ist über die Worte und die stehenden Ovationen offenbar ehrlich gerührt:
„Oh mein Gott, das ist zu viel.“
Zutiefst geehrt sei sie, zu dem
Kreis der Preisträger zu gehören. Nicht dazugehören wird
indes Lou Reed, der in der Ka-
tegorie Musik ausgezeichnet
werden sollte. Er musste absagen, der Arzt hatte ihm verboten, in den Flieger zu steigen.
Seinen Flieger nicht rechtzeitig bekommen hatte dagegen
Henning Mankell, der AltBundespräsident Horst Köhler den Toleranz-Steiger überreichen sollte. Mankell ließ
seinen Brief an Freund Köhler
daher von Jürgen Rüttgers vorlesen. Köhler dankt aufgeräumt und mahnt: Toleranz
heiße, eine Meinung auch zu
ertragen und sich mit ihr auseinanderzusetzen, wenn sie
• Ihre Majestät Königin Silvia
von Schweden (Charity)
• Bundespräsident a.D. Prof.
Dr. Horst Köhler (Toleranz)
• Schauspielerin Christiane
Hörbiger (Lebenswerk)
• Designer Wolfgang Joop
(Kunst)
• Schauspielerin Christine
Neubauer (Film)
• Sänger Lou Reed (Musik)
• Schauspieler Hannes Jaenicke (Umwelt)
• RTL-Chefredakteur Peter
Kloeppel (Medien)
• Dirigent Steven Sloane
(Steiger Award Ruhrgebiet)
• Musiker Tim Bendzko
(Nachwuchs)
25 000 bei friedlicher Demo gegen
Nominierung Erdogans
Türkischer Ministerpräsident sagte kurzfristig ab. Jury zog den Preis für ihn zurück
Annika Fischer
Bochum. Er war ja gar nicht
da. Aber dass Recep Tayyip Erdogan am Samstag nun doch
nicht nach Bochum kam und
auch den Steiger nicht bekam
– das nahm vielleicht etwas
Druck aus dem Kessel, die Luft
war aber trotzdem nicht raus.
Rund 25 000 Protestler sind
ja längst auf dem Weg ins
Ruhrgebiet, als am frühen
Morgen bekannt wird: Es hat
zwar niemand abgesagt wegen
der umstrittenen Nominierung für den umstrittenen türkischen Ministerpräsidenten,
die Preisträger nicht, die Laudatoren nicht und schon gar
nicht Veranstalter Sascha Hellen die Verleihung selbst – dafür hat Erdogan persönlich
einen Rückzieher gemacht.
Nicht wegen des Gegenwinds,
der hätte ihn nicht aufgehalten. Als offizielle Begründung
gilt der Absturz eines türkischen Nato-Hubschraubers in
Afghanistan mit 17 Toten. Die
Jury zog den Preis für Erdogan
zurück, auch wenn Hellen
sagt: „Wir hätten ihn gerne bei
uns begrüßt.“
Das hätten die Demonstranten auch, doch wäre ihr Emp-
Demonstranten am Samstag in Bochum.
fang sicher kein herzlicher gewesen. „Wir sind hier, wo bist
du?“, rufen rund 20 000 Aleviten im Takt ihrer Schritte, als
sie vom Bochumer Fußballstadion zum Bergbaumuseum
ziehen. Sie sind aus Basel und
Böblingen gekommen, aus
Straßburg und Limburg, von
überall her in Europa.
Zwar haben sie neben vielen
türkisch-sprachigen auch diese
Plakate
geschrieben:
„Lieber Herr Schröder, keinen
Preis für Mörder!“ oder „Hier
werden Menschenrechte verSTEIGERt“. Aber jeder kann
sehen: Die wirkliche Wut
Foto: Ingo Otto
stammt aus Sivas, dem Ort, wo
es vor 19 Jahren ein Massaker
gab. Die Angeklagten sind wenige Tage vor der Steiger-Gala
freigesprochen worden – unter
dem Applaus Erdogans. Also
tragen sie Särge und Kränze
und nutzen Bochum und die
Gelegenheit, zu demonstrieren für ein altes schmerzendes
Thema. Friedlich und später
sogar zusammen mit Kurden
und Armeniern. Einen solchen Einsatz hat Bochums
Polizei noch nicht erlebt – und
wird dabei gar nicht gebraucht. Und beim Steiger hat
keiner was bemerkt.