Die ehemals offizielle, nun heimliche Hauptstadt

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Die ehemals offizielle, nun heimliche Hauptstadt
KRAKÓW
Die ehemals offizielle, nun heimliche Hauptstadt
Polens hat Charme und verzaubert mit vielen Highlights:
einer traumhaften Altstadt, geschichtsträchtigen Vierteln,
unzähligen Kirchen und einer Lokaldichte die ihresgleichen
sucht. Wir stimmen dem Schriftsteller Radek Knapp zu –
Krakau ist eine einzige Kneipe.
Kościół Mariacki –
Marienkirche (links)
Wawel – wunderschöner
Arkadenhof (oben)
Wieža Ratuszowa –
Rathausturm (rechts)
T e x t:
Barbara
Knapp
I
Fotos:
Günter
T s c h e r n it z
Peter-und-Paul-Kirche
(unten)
Reste der Wehrmauer
und das Floriaństor
(unten rechts)
Wawel aus der Luft
(unten links)
Gdańsk
(Danzig)
Szczecin
(Stettin)
Złoty, wir uns über das Spektakel. Plötzlich
Überfall warnte, dabei wurde er von einem
Trompetenklang, alle Blicke richten sich auf
Pfeil tödlich getroffen. Nun wissen wir Be-
die Marienkirche. Wir sind zu langsam, wis-
scheid, schaffen es, beim nächsten Termin
sen nicht, aus welchem Fenster der zwei
ein Bild von ihm zu schießen. Auch das In-
Türme die Musik kommt, fragen den Reise-
nere der Marienkirche bietet kunsthistorisch
führer: Tagtäglich, immer zur vollen Stunde
Wertvolles: Wir stehen andächtig vor dem
ertönt das Spiel, in alle vier Himmelsrichtun-
berühmten Altar von Veit Stoß. Am und um
Rynek Główny. Der Marktplatz – liegt genau in
gen und das seit über 600 Jahren. Ein witzi-
den Rynek Głowny gibt es noch einige impo-
der Mitte der Altstadt, misst exakt 200 mal
ger Job, der des Bläsers, keine Ahnung ob
sante Sehenswürdigkeiten: die Tuchhallen
200 Meter, gilt somit als der größte mittelal-
er da seinen ganzen Arbeitstag oben ver-
– ein riesiger Gebäudekomplex, die
terliche Platz Europas. Wir sind beeindruckt.
bringt. Denn eine Stunde ist flott um, die
St.-Albert-Kirche – eines der ältesten Gottes-
Zuerst ein Drink in einem der vielen Straßen-
Treppen emporzusteigen anstrengend. Dafür
häuser der Stadt, der Rathausturm – einziges
cafés, erste Reihe fußfrei. Feuerschlucker,
ist er sicher schlank und gesund. Er steht
Überbleibsel des mittelalterlichen Rathauses,
Artisten, Musiker, ein Gorilla, ein Münzpräger
jedenfalls für einen mutigen Turmwächter,
der Krzysztofory-Palast – er be­herbergt eines
– die Protagonisten freuen sich über ein paar
der die Stadtbewohner vor einem Tartaren-
der vielen Krakauer Museen. So, jetzt haben
Poznań
(Posen)
Warszawa
(Warschau)
Wrocław
(Breslau)
Kraków
(Krakau)
Alle bisher erschienenen Städteporträts gibt es auf www.gusto.at
GUSTO 10/2009 31
wir die Qual der Lokalwahl. Das Wierzynek
Apropos oben – wer hoch hinaus will, hat
artiges Flair. Das Sammelsurium völlig schrä-
soll ein heißer Tipp sein: Es existiert seit
das schönste Panorama, die tollsten Foto-
ger Lokale rund um den Plac Nowy ist weit
1364, bietet traditionelle Küche mit moder-
motive der Stadt vom Heißluftballon aus.
weg vom Mainstream. Sie sind der hippe
nem Touch. Wir bestellen Flusskrebssuppe
Ancora. 100 Punkte für das Lokal von Adam
Ausgeh-Tipp. Bars, Cafés, Clubs, teilweise
und Pierogi – die sind Fixpunkte auf sämtli-
Chrząstowski. Modernes Ambiente, offene
mit romantischen Terrassen, idyllischen Gär-
chen Speisekarten, wir werden sie noch öf-
Küche und laut Adam die vielleicht größte
ten, stets bunt zusammengewürfelter Ein-
ter verkosten. So viel ist klar, hier sind sie
Weinkarte Polens, mit Sicherheit aber Kra-
richtung – das macht ihren Charme aus.
besonders gut.
kaus. Die Speisekarte bietet auch Internatio-
Kultur geht vor, ausgehen kommt später. So
Stadtbummel. Wer nicht zu Fuß gehen will, ab-
nales, wir entscheiden uns selbstverständ-
besichtigen wir die Synagoga Stara – und
solviert die obligate Sightseeingtour klima-
lich für Polish Food – nach dem marinierten
gehen koscher essen. In der Szeroka ulica
schonend per Elektroauto. Die lauern an al-
Matjes setzten wir unseren Flusskrebssup-
reiht sich ein Restaurant mit Jewish Food
len Ecken auf Fahrgäste. Wir lehnen
pentest fort. Und der lohnt sich abermals.
ans andere. Der Reiseführer empfiehlt das
freundlich ab, sind sportlich. Auch schon
Das Filet vom Wild ist so was von zart, so
Ariel, wir folgen. Die Küche ist zwar nicht
Erdäpfel bereits am Vortag kochen.
deshalb, weil es uns ständig in einen Laden
was von fein, und der krönende Abschluss,
haubenverdächtig, doch der Jüdische Bra-
Mehl, Dotter, Butter, Wasser und Salz zu einem glatten, festen Teig verkneten.
zieht. Die Verlockung schlechthin ist Kre-
ein Schoko-Blauschimmel-Soufflee ist eine
ten und der Karpfen sind ganz passabel.
Teig 1 Stunde kühl rasten lassen.
dens, die Fassade ist ein Hingucker, die Ein-
Inszenierung. Der Chef himself bringt das
Über die mit Leber gefüllten Gänsehälse
Erdäpfel schälen und zerstampfen. Zwiebeln schälen, klein schneiden und mit den
richtung gediegen und das Warenangebot
dampfende Backwerk an den Tisch, schnei-
trauen wir uns nicht drüber.
Erdäpfeln vermischen. Frischkäse untermischen, mit Salz und Pfeffer abschmecken.
ein Hit. Shopping für Genießer. Wunder-
det es auf, füllt Kompott hinein, gibt den De-
Schlafen, essen, trinken. Wir wohnen im Gródek.
Teig dünn ausrollen und Scheiben ausstechen. Füllung in die Mitte geben, Pierogi zu­
schön gestyltes Geschäft, erlesene Pro-
ckel wieder drauf – voilà. Nun hat Adam ein
Das entzückende kleine Hotel gehört zu den
sammenklappen, Ränder gut zusammendrücken.
dukte. Die kopfsteingepflas-
bisschen Zeit zum Plaudern, in die Küche
Historic Hotels of Europe und punktet mit
Zwiebeln schälen, klein schneiden. Speck anrösten, Zwiebeln zugeben und mitrösten.
hat er sowieso stets freien Blick. Er hat in
super Down-Town-Lage, romantischen Zim-
Reichlich Salzwasser aufkochen, Pierogi einlegen und kochen, bis sie an der Ober­
Diretissima vom Markt-
vielen namhaften Restaurants gekocht,
mern und einem tollen Restaurant. Das wol-
fläche schwimmen. Herausheben und in der Garnitur schwenken.
platz zum Weichselufer.
ist weit gereist, hat unter anderem zwei
len wir testen. Wir sind mit Szymon St.
Wären da nicht so viele
Jahre in Shanghai gearbeitet, nun
terte Grodzka ulica ist die
Restaurant Ancora – es ist ein Vergnügen, vom Tisch
aus das Treiben in der Küche zu beobachten.
Patron Adam Chrząstowski erklärt das Einmaleins
der polnischen Küche.
Must-Stopps, es wäre
ein Katzensprung. Die
Kazimierz. Wir queren die Weich-
ist wahrlich sehenswert.
sel, landen in einer anderen
Die zwölf Apostelfiguren
Welt. Die vielen Kirchen und
thronen mächtig auf ihren
Synagogen bezeugen das
schlechthin ist der WawelHügel. Schloss und Kathedrale sind Sinnbild der pol-
C.K. Browar – in den historischen Kellerräumen der
Privat-Brauerei kann man köstliche Biere trinken.
Kazimierz – lauschige Gärten, alternative Lokale,
bunt zusammengewürfeltes Publikum.
32 GUSTO 10/2009
kauer Gastroszene.
Peter-und-Paul-Kirche
Säulen. Das Juwel der Stadt
Nowy Kleparz – hier macht Einkaufen Spaß, das An­
gebot an Räucherkäse – Oscypek – ist ein Traum.
ist er der Top-Spot für die Kra-
jahrhundertelange friedvolle Zusammenleben von Christen und Juden.
Das leider ein grauenvolles Ende nahm. Die
Ghettoaufnahmen im Kinofilm Schindlers
nischen Identität. Hier wurden
Liste wurden aufgrund der historischen Bau-
die Könige gekrönt, regierten über mehrere
substanz zum größten Teil in Kazimierz ge-
Jahrhunderte ein mächtiges Reich. Es lohnt
dreht, obwohl das Ghetto im südlich der
sich in jedem Fall den steilen Weg hinaufzu-
Weichsel gelegenen, angrenzenden Stadtteil
wandern, das Schloss mit dem wunderba-
Podgórze lag. Die Mischung aus jüdischer
ren Arkadenhof und die Kathedrale zu be-
Tradition und alternativer Künstlerszene ver-
sichtigen, den Blick von oben zu genießen.
leiht dem ehemaligen Judenviertel ein einzig-
Pierogi
Teig:
Füllung:
Garnitur:
600 g Mehl
1 kg Erdäpfel
3 Zwiebeln
230 ml Wasser
(festkochend)
50 g Speckwürfel
1 Dotter
2 Zwiebeln
Weiters:
1 EL Butter
500 g Frischkäse
Salz, Pfeffer
Szeroka – die Straße der koscheren Lokale.
Gedenktafel – seit dem Steven-Spielberg-Film pilgern
Millionen zur ehemaligen Fabrik von Oskar Schindler.
Sightseeingwagerl – mit den umweltfreundlichen
Elektro-Autos wird der Städtetrip zum sohleschonenden
Erlebnis.
Kościuszko-Hügel – einer der vier Hügel der Stadt
(ganz unten rechts).
Adressen
Hotel Gródek
Donimirski Boutique Hotel
Kraków, Na Gródku 4
T: +48 12 431 90 30
www.donimirski.com
Hotel Dwór Kościuszko
Donimirski Boutique Hotel
Kraków, ul. Papiernicza 3
T: +48 12 614 14 41
www.donimirski.com
Schnüre, in fuzzikleinen Stücken und als gemodelte Formen. Wir nehmen das ganze
Sortiment. Damit sind die Souvenirs eingekauft, der Koffer mit Garantie randvoll.
Out of town. Szymon hat sich als Reiseleiter
angeboten, wir haben dankend angenommen. Und schon brausen wir in seinem Mercedes über die Landstraße. Erster Stopp ist
der Kościuszko-Hügel, er wurde um 1820
Kamiński verabredet. Er hat ein Menü zu-
gehen wir ins C.K. Browar – Brauerei, Pub,
zu Ehren des polnischen Nationalhelden er-
sammengestellt und natürlich, er ist ja Wein-
Restaurant in historischen Kellerräumen. Wir
richtet, hat eine eigenartige gugelhupfige
Journalist, sucht er die passenden Tröpf-
bestellen ein dunkles Bier und
Form, vom Gipfel hat man einen
chen aus. Das ist nicht schwer, die Karte
auf Szymons Geheiß Mad
wunderbaren Fernblick. Für das
bietet eine Auswahl der exzellenten Weine
dog. Klingt interessant. Heißer
Benediktinerkloster in Tyniec
vom Castello di Tagliolo, einem toskani-
Tipp: unbedingt ex trinken.
nehmen wir uns Zeit. Kann es
schen Weingut. Der Geschmack des Haus-
Das tun wir. Wow, das
doch auf eine tausendjährige
herrn aus der berühmten Familie Donimirski
schmeckt …, ja wonach?
Geschichte zurückblicken. Das
wirkt äußerst positiv auf das Angebot in sei-
Wodka, Tabasco, Himbeer­
berühmte Salzbergwerk Wieli-
nen Hotels und Restaurants. Bei der Wild-
sirup. Danke Szymon.
czka müssen wir auf unseren
pastete mit Zwiebeln erfahren wir etwa, dass
Obst- und Gemüsemarkt. Nowy
nächsten Besuch verschieben. er begeisterter Jäger ist. Ob er das Wild er-
Kleparz, am Ende der
Was man nicht verpassen darf. Wie
legt hat, wissen wir jetzt aber nicht. Danach
ul. Sławkowska – so ein Le-
gesagt, in Krakau ist immer was
gibt es Flusskrebssuppe – schmeckt auch
ben würden wir uns für die
los. Es gibt eine Reihe an Festi-
hier superb, ebenso wie die gebratene Gans
Märkte in Wien wünschen. Es
vals und Konzerten. Außerdem ist
und der Krakauer Käsekuchen. Das Restau-
ist Sonntag, trotzdem herrscht
die Stadt eine Hochburg des
rant ist super, Szymon ein Genießer und
Hochbetrieb. Auf unserer Ein-
Auskenner. Bei einem kurzen Spaziergang
kaufsliste steht eine Wurst ganz oben – Kra-
ul. Floriańska kann man Jazz vom Feinsten
verrät er uns die absoluten Insider-Tipps,
kowska. Die ist schnell und günstig gekauft
erleben. Der Besitzer Janusz Muniak ist ein
schleppt uns auf die Terrasse des Hotel
– neugierig, ob die etwas mit unserer Kra-
international renommierter Saxophonist und
Stary, wow – super Rundumblick, macht ei-
kauer zu tun hat. Nun machen wir uns in
hat mit vielen Jazzgrößen gespielt. Wenn er
nen Sidestep ins Restaurant Szara – faszi-
Sachen Räucherkäse schlau. Den gibt‘s in
mit dem genialen Pianisten Paweł Kacz­
nierende Architektur. Und last but not least
allen Variationen: als spaghettidünne
marczyk auftritt, ist das nicht zu übertreffen.
Jazz. Im U Muniaka in der
Was man unbedingt probieren muss. Maczanka
wurde uns als typische Spezialität empfohlen, leider haben wir die Schweinsrückenscheiben, die mit viel Zwiebel und Speck
gedünstet und in ein Brötchen gesteckt werden, auf keiner Karte gefunden. Danach
bräuchte man auf jeden Fall einen Honig­
wodka, der polnische ist der beste überhaupt. Und nicht zu vergessen: Zum Abschied noch einen Mad dog. Na zdrowie!
34 GUSTO 10/2009
Restaurant Ancora
Eines der besten Lokale der Stadt
Kraków, Dominikańska 3
T: +48 12 3573355
www.ancora-restaurant.com
Restaurant Aperitif
Internationale Küche, tolle Weinauswahl
Kraków, ul. Sienna 9
T: +48 12 432 33 33
www.aperitif.com.pl
Restaurant Ariel
Koschere Essen im Kazimierz-Viertel
Kraków, ul. Szeroka 18
T: +48 12 421 7920
www.ariel-krakow.pl
Restaurant Hawełka
Stilvolles Restaurant mit langer Tradition
Kraków, Rynek Główny 34
T: +48 12 422 06 31
www.hawelka.pl
Restaurant Ogniem i Mieczem
Romantischer Garten, super Pierogi,
hervorragender Honig-Wodka
Kraków, Plac Emila Serkowskiego 7
T: +48 12 656 23
Restaurant Szara
Kraków, Rynek Główny 6
T: +48 12 421 6669
www.szara.pl
C.K. Browar
Brauerei, Pub, Restaurant
Kraków, ul. Podwale 6–7
T: +48 12 429 2505
www.ckbrowar.krakow.pl
Krakowski Kredens
Kraków, ul. Pilotów 6 und ul. Grodzka 7
T: +48 12 37 05 801
www.krakowskikredens.pl
Info
www.polska.travel
www.krakow.pl
Restaurant Wierzynek
Kraków, Rynek Główny 15
T: +48 12 424 96 00
www.wierzynek.com.pl