Literatur für Kinder und Ju-gendliche zum Thema Behinderung

Transcription

Literatur für Kinder und Ju-gendliche zum Thema Behinderung
Literatur für Kinder und Jugendliche zum Thema Behinderung, Anderssein,
Krankheit
Zusammenstellung:
Eva Walther-Narten
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Inhaltsverzeichnis
Vorbemerkung
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Liste I :
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Bilderbücher
Die Geschichte von Katharina
Ein Fest für Merle
Kathrin spricht mit den Augen. Wie ein behindertes Kind lebt.
Stefan
Meine Füße sind der Rollstuhl
Karl-Heinz vom Bilderstöckchen
Winzig, der Elefant
Der Rabe, der anders war
Flügelchen
Flix
Romane
Robert und der unsichtbare Mann
Mein Bruder ist ein Orkan
Freak
Kein Beinbruch
Die andere Seite des Schweigens
Jakob ist kein armer Vogel!
Alle lieben Malle
Drachenflügel
Benni Sprachlos
Jakob hinter der blauen Tür
Vorstadtkrokodile
Eine Schwester so wie Danny
Die Rollstuhlprinzessin
Krücke
Eine Chance für Barbara
Mit Clara sind wir sechs
Sachbücher
Gehen auf Rädern - Leben im Rollstuhl
Sehen mit den Händen - Blind sein
Hören ohne Töne - Gehörlosigkeit
Lernen so viel ich kann - Leben mit einer Lernbeeinträchtigung
Liste II
Bilderbücher
Carla
Sei nett zu Eddie
Irgendwie Anders
Sohn der blauen Pferde
Romane
Behalt das Leben lieb
Eine wunderbare Liebe
Der rote Strumpf
Die scharlachrote Feder
Johanna ist anders. Die Geschichte eines geistig behinderten Mädchens
Quasselstrippe
Bis dann, Simon
Der Schrei der Möwe
Jenseits der Stille
Good Luck, großer Bruder!
Schere, Stein, Papier
Das ist Harry
Greller Blitz und stummer Donner
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Vorbemerkung
Von der Informations- und Koordinationsstelle für sonderpädagogische Förderung in Rüsselsheim wurde eine Reihe von Büchern zusammengestellt, die sich mit dem Thema “Behinderung, Anderssein, Krankheit” befassen. Die Bücher können dort eingesehen, beziehungsweise unter bestimmten Bedingungen auch ausgeliehen werden. Die nachfolgende
Zusammenstellung besteht aus zwei Teilen.
Liste I fasst die Bücher zusammen, die ab Juni 1998 im Buchhandel erhältlich waren und
von uns gelesen und besprochen worden sind. Liste II nennt die Titel der ebenfalls in der
Info-Stelle vorhandenen Bücher. Die Titel sind zum Teil erweitert um Inhaltsangaben der
Verlage aus dem Klappentext.
Zudem wurden einige Bücher gelesen und beurteilt von Inga Dey, einem 12jährigen Mädchen, das viel Erfahrung mit behinderten Menschen hat. Eine Besprechung der Bücher der
Liste II hinsichtlich ihrer Verwendung im Unterricht folgt nach und nach und kann dann in
der Info-Stelle bestellt werden.
Die Info-Stelle bemüht sich, den Umfang dieser Literaturliste ständig zu erweitern und ist
dankbar für Hinweise auf neue erschienene Bücher, die im Unterricht verwendet werden
können.
Die Erfahrung zeigt, dass Bücher zu diesem Thema sehr schnell vergriffen sind. Es ist daher dringend zu empfehlen, auch die in den vergangenen Jahren erschienenen Bücher zu
beachten, die oft in Stadt- und Kreisbüchereien noch vorhanden sind und in so genannten
Themenkisten auch über längere Zeit ausgeliehen werden können.
Liste I :
Bilderbücher
Die Geschichte von Katharina
aus der Sendung mit der Maus
E. Habel/ D. Saldecki (Hrsg.)
1996 feierte die Sendung mit der Maus ihren 25. Geburtstag. Die mit einer schweren Muskelkrankheit geborene Katharina war wie so viele andere Kinder ein großer Maus-Fan. Sie
starb genau in der Nacht vor dem großen Geburtstagsfest. Die Maus-Redaktion machte
daraus einen bewegenden Film, der vom Leben und dem Tod der siebenjährigen Katharina erzählt.
In dem Buch wird noch einmal die Geschichte von Katharina erzählt. Trotz ihrer Behinderung hatte Katharina es geschafft, wie alle Kinder in den Kindergarten und später in die
Schule zu gehen. Es ist ein ganz besonderes Buch, das Gespräche mit Katharinas Eltern,
ihren Ärzten, das Tagebuch ihrer Mutter und zahlreiche Fotos und Briefe dokumentiert.
Aber auch deshalb ist es nur schwer für Kinder allein zu lesen. Sie benötigen zum Verständnis die Erklärungen eines Erwachsenen.
Ohne Einschränkung kann der Film empfohlen werden. Er zeigt, wie eine Geschichte über
Behinderung und Tod zu einer Geschichte vom Wert des Lebens werden kann. In diesem
Zusammenhang ist das Buch dann eine hervorragende Ergänzung.
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Ein Fest für Merle
Elisabeth Gänger und Kathrin Severin, Adonio (Schweiz) 1996
Das Bilderbuch trägt den Untertitel „Verstehen eines hörgeschädigten Kindes“ und wurde
verfasst von einer Mutter, deren Tochter von Geburt an hochgradig hörgeschädigt ist. Das
Buch soll nicht nur bei Kindern Verständnis wecken, es bietet auch viele klare Sachinformationen für Erwachsene. Erzählt wird die Situation eines hörgeschädigten Mädchens,
das zum ersten Mal in einen (Regel-)Kindergarten geht. Das ist gut und didaktisch gemacht, man spürt die hohe Sachkompetenz.
Der Text des Buches eignet sich zum Vorlesen in der Grundstufe der Grundschule - die
Illustrationen müssen vielleicht nicht unbedingt gezeigt werden, denn ich halte sie für sehr
kindertümlich.
Kathrin spricht mit den Augen. Wie ein behindertes Kind lebt.
Lemler, Kathrin / Gemmel, Stefan,
Butzon & Bercker 1997
Kathrin hat mit der Hilfe von Stefan Gemmel über ihre eigene Situation geschrieben. So ist
ein zwanzig Seiten umfassendes Büchlein entstanden, das Erwachsene wie Kinder beeindruckt. Kathrin war zum Zeitpunkt des Entstehens des Buches zehn Jahre alt. Sie kann
weder laufen noch sprechen, so muss sie andere Wege der Kommunikation finden: Sie
versucht, sich mit Blicken verständlich zu machen und besonders mit einer Buchstabentabelle, in die sie Wörter setzt. „Wenn ich auch bei vielen Dingen die Hilfe von anderen Leuten brauche, gibt es doch einiges, was ich alleine kann, zum Beispiel lesen, malen, Geschichten erfinden und vieles mehr.“ Diese Passage hat die Kinder eines 2. Schuljahres
veranlasst zu fragen, warum sie nicht schreiben kann, wenn sie doch malen kann. Das
schmale Büchlein gibt nicht auf alles eine Antwort, doch es ermöglicht durch seine Ehrlichkeit neugierige, einfühlsame Fragen.
Das Buch eignet sich für eine Schulbibliothek, zum Vor- und Selberlesen in der Grundschule.
Stefan
Renate Welsh, Jungbrunnen 1989
Aus der Sicht des sechsjährigen Felix wird die Hauptperson des Buches, der 17jährige
Bruder Stefan, vorgestellt. Stefan ist schwer behindert, sitzt im Rollstuhl und benötigt die
Hilfe aller anderen Familienmitglieder. Weder Fotos noch Text beschönigen die Schwere
der Behinderung. Aus dem Blickwinkel des jüngeren Bruders wird der Alltag der Familie
gezeigt. Die Bilder und der Text sprechen nicht nur von den Problemen und Schwierigkeiten, sondern zeigen auch die Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern.
Als Fotobilderbuch für Kindergarten- und Grundschulkinder geeignet. Kinder können darin
alleine blättern und lesen, es eignet sich aber auch sehr gut als Grundlage für eine Diskussion in der Klasse.
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Meine Füße sind der Rollstuhl
Annegret Ritter und Franz-Joseph Huainigg, Ellermann 1992
Das Buch schildert ein paar Stunden eines Vormittags aus dem Leben von Margit. Das
Mädchen sitzt im Rollstuhl und darf zum ersten Mal alleine einkaufen fahren.
Auf dem Weg zum Supermarkt werden zahlreiche Situationen beschrieben, in die ein
Mensch geraten kann, der auf einen Rollstuhl angewiesen ist: Die Leute auf der Straße
starren ihr nach, bedauern sie, stecken ihr Geld zu, gehen ihr übertrieben hilfreich zur
Hand. Margit meistert diese Situationen schließlich auch sprachlich sehr selbstbewusst.
Das Buch thematisiert überzeugend einen kleinen Ausschnitt aus Margits Leben und ist zu
empfehlen für Klassen- und Schulbibliotheken, sowie zum Vorlesen und zum Erzählen.
Karl-Heinz vom Bilderstöckchen
Willi Fährmann / Lukas Ruegenberg, Middelhauve 1990
Ein Bilderbuch über einen jungen Mann mit Down-Syndrom, der in einem Stadtteil von
Köln, dem Bilderstöckchen, lebt.
Das Bilderstöckchen ist ein Viertel, in dem vor allem kinderreiche, arme Familien wohnen,
die alle Not und Elend kennen. Diese Umstände haben aus den Bewohnern des Bilderstöckchens - anders als in anderen sozialen Brennpunkten - eine Gemeinschaft von solidarischen, sich einander unterstützenden Menschen gemacht. In diese Idylle hinein wird
Karl-Heinz geboren. Als den Geschwistern und der Mutter auffällt, dass Karl-Heinz anders
ist, erfahren sie vom Arzt die Diagnose “mongoloid". Die spontane Reaktion von Mutter
und Geschwistern ist Zuwendung (“wir werden dich sehr, sehr lieb haben”). Beim Vater
dauert es eine Zeit, bis er den Sohn akzeptiert. Karl-Heinz besucht zuerst die Sonderschule, später arbeitet er in der beschützenden Werkstatt. Im Bilderbuch werden seine sozialen
Kontakte im Viertel beschrieben. Karl-Heinz ist akzeptiertes Mitglied einer Gemeinschaft,
er ist hilfsbereit, und er erfährt Hilfe.
Offen bleibt, ob dieses Buch ein Beispiel für ein gelungenes Miteinander des Verschiedenen darstellt. Unser Einwand bezieht sich auf die aufgezeigte Idylle, die weit entfernt ist
von der bundesrepublikanischen Wirklichkeit. Die Realität von Menschen mit DownSyndrom ist häufig geprägt von Ablehnung und Ausgrenzung, von Nicht-Anerkennung.
Probleme, die dadurch für Kinder und Jugendliche entstehen, sind hier leider fast ganz
ausgeblendet, obwohl sie eine zentrale Entwicklungsbedingung bilden.
Das Nachwort ist informativ für Erwachsene, das Bilderbuch ist zum gemeinsamen Betrachten, Vorlesen und Besprechen mit Grundschulkindern zu empfehlen.
Winzig, der Elefant
Erwin Moser, Weinheim/Basel 1985
“Es war einmal ein Elefantenkind, das war sehr klein auf die Welt gekommen, ja, es war
nicht bloß klein, es war sogar winzig! Es war so winzig, dass man es kaum einen Elefanten nennen konnte. Doch es besaß einen Rüssel und Schlappohren und sah auch sonst
wie ein Elefant aus. Also war es einer.” So beginnt das Buch von Erwin Moser über ein
Elefantenkind, das verloren geht, weil es so klein ist und das die ihm fehlende Zuneigung,
Geborgenheit und Sicherheit bei den Flussschweinen findet. Es lohnt sich, nach Büchern
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zu suchen, die das Anderssein in dieser Art thematisieren, wenn ein direkter Zugang zu
den Themen und Problemen einer Kindergruppe nicht möglich ist. Ein Klassiker unter den
Bilderbüchern zum Thema “Das Miteinander der Verschiedenen” ist beispielsweise F.K.
Waechters “Wir können noch viel zusammen machen”. Hier wird die Freundschaft dreier
Tiere beschrieben, die gerade wegen der Unterschiedlichkeit von Schwein, Fisch und Vogel so spannend und anregend ist.
Der Rabe, der anders war
Edith Schreiber-Wicke (Text) und Carola Holland (Zeichnungen), Thienemann 1994
Das Bilderbuch erzählt eine Geschichte aus dem Leben des bunten Raben, der mit seinen
schwarzen Verwandten zusammenlebt. Eines Tages werden ihm seine leuchtenden Farben
“peinlich”, und er versucht, “wenigstens unauffällig dreinzuschauen”, denn die anderen Raben meinen, dass auf die Vogelschar geschossen werde, weil der Bunte so auffällig aussehe. Der bunte Rabe muss danach seinen Platz verlassen, fliegt in die weite Welt und erlebt
überall dank seines anderen Aussehens Ablehnung. Schließlich fliegt er wieder nach Hause, und auf der letzten Seite des Buches wird das überraschende Ende beschrieben und
gezeichnet.
Der Text hat Witz und viel Sprachkomik, die Zeichnungen kann man auch verstehen, ohne
den Text zu lesen. Die Kinder eines 2. Schuljahres waren begeistert und haben neugierig
nach den anderen beiden Rabenbüchern der Autorinnen gegriffen. Das Buch eignet sich
zum Vorlesen, Selberlesen und Betrachten und bietet eine sehr gute Möglichkeit, sich mit
dem Anderen und dem Anderssein zu beschäftigen.
Flügelchen
Mats Wänblad / Per Gustavson, Carlsen 1996
Das Bilderbuch erzählt die Geschichte von einer Vogelmutter und ihren fünf Kindern. Bei
einem Vogeljungen wachsen die Flügel nicht und “was soll eine Vogelmutter nur mit einem
Jungen machen, das kaum Flügel hat?” Sie versucht einiges, damit ihrem Jungen die Flügel doch noch wachsen - selbstverständlich vergeblich. Schließlich fliegt sie mit ihren anderen Kindern wie jedes Jahr im Winter in den Süden und lässt Flügelchen zurück. Mit
Witz und einfühlsam bebildert folgt nun die Erzählung, wie der Vogel sein Leben meistert
und schließt mit einem realistischen, vergnüglichen Ende.
“Flügelchen” bietet viele Gesprächsanlässe zum Thema Körperbehinderung und ist wunderbar geeignet zum Vorlesen ab dem 1. Schuljahr, zum Anschauen und selber Lesen im
2. und 3. Schuljahr.
Flix
Tomi Ungerer, Diogenes 1997
Das Ehepaar Theo Krall und seine Frau Flora, Besitzer der Fabrik für Mäuse- und Rattenfallen, bekommen ein Kind: einen Hund. Die Eltern finden ihren Mops hinreißend, nur die
Umgebung ist irritiert. “Doch niemand wollte mit Flix spielen, und so blieb er oft allein.”
Wenn Tomi Ungerer Lust gehabt hätte, könnte nun die Geschichte anders weitergehen,
aber so wandert Flix mit seinem Onkel einfach aus ins Hundeland. Und als ihm - zu Besuch im Katzenland - auch noch die gute Tat gelingt, ist er endlich auch dort anerkannt.
So einfach ist das. Selbstverständlich ist das ein hübsches Bilderbuch, mit sehr schönen
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Zeichnungen - aber es gibt so wenige Ecken und Kanten, an denen man sich reiben könnte, die einen zum Nachdenken verleiteten.
“Flix” bietet die Möglichkeit, sich textkritisch mit einem auf den ersten Blick sehr ansprechenden Bilderbuch auseinander zu setzen, als Klassenlektüre möchte ich es nicht empfehlen.
Romane
Robert und der unsichtbare Mann
Niklas Radström, Thienemann 1996
Jedes Buch ist auch Geschmackssache: Ich mag dieses jedenfalls nicht. Der Inhalt des
Romans wird angekündigt als eine Mischung aus Fantasie und Wirklichkeit - aber das ist
noch lange nicht dadurch gelungen, dass ein achtjähriger Junge morgens aufwacht, plötzlich nichts mehr sieht, alle Menschen drumherum sehr aufgeregt sind, ihn ärztlich untersuchen lassen - ohne Erfolg - und der achtjährige Robert nur wochenlang sagt, das Licht
sollte wieder angeknipst werden, die Beleuchtung sei kaputt. Es gibt ein paar wenige Seiten, die zu lesen sich lohnen. Dort wird eine Begegnung mit einem blinden Kind beschrieben, was zur Thematik „Blindsein“ etwas Ernstzunehmendes beiträgt. Im Übrigen werden
zu viele, nicht zusammenpassende Themen miteinander vermischt - ein unsichtbarer
Mann, Räuberjagd à la Kalle Blomquist, Wunderheilung - als dass ein empfehlenswertes
Buch dabei herauskäme.
Mein Bruder ist ein Orkan
Kolet Janssen, Anrich 1997
Hannah hat einen autistischen Bruder, der heißt Andreas und ist zwölf Jahre alt. Das
Buch erzählt aus der Perspektive von Hannah, die etwas älter ist als ihr Bruder, das anstrengende, schwierige, aber auch vergnügliche Familienleben mit einem Jungen, der sich
seiner Umwelt nur sehr schwer mitteilen kann. Ein weiteres zentrales Thema des Buches
ist die Frage, ob Andreas in einem Heim leben soll, weil seine Eltern sich überfordert fühlen und hoffen, dass Andreas dort besser aufgehoben ist. Hannah, die es keineswegs
leicht hat mit ihrem Bruder, will das nicht und versucht, mit Andreas wegzulaufen. Dieser
Teil des Buches macht ein wenig den Eindruck, als ob die Autorin die LeserInnen mit dem
Einbau einer abenteuerlichen Flucht zusätzlich fesseln möchte. Das wäre nicht nötig gewesen - und ist zudem restlos unrealistisch, was der Anlage des Buches ansonsten widerspricht. Nicht nur werden im Anhang des Buches sehr gut verständliche Informationen zu
Autismus gegeben, auch der Roman selbst liest sich spannend. Das liegt mit daran, dass
nach fast jedem „Hannah-Kapitel“ Andreas aus seiner Perspektive erzählt und so vermittelt, was vielleicht in ihm vorgehen könnte, wenn die Umwelt auf ihn einstürzt.
Der Roman eignet sich für die gemeinsame Lektüre im 5. und 6. Schuljahr, zum Vorlesen
im 4. Schuljahr und für die freie Ausleihe in einer Klassen- und Schulbibliothek.
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Freak
Rodman Philbrick, Ravensburger Buchverlag 1998
„Ich hatte nie ein Gehirn, bis Freak auftauchte und mit seins für eine Weile überließ, und
das ist die Wahrheit, die volle Wahrheit. Die unbezwungene Wahrheit, wie Freak das genannt hätte, und eine Zeit lang hat er das Reden für mich übernommen. Ich selbst hatte
bis dahin eigentlich nur mit Fäusten und Füßen geredet, bevor wir dann Freak der Starke
wurden, Drachen und Narren töteten und hoch zu Ross ritten.“
Dies ist der Beginn eines Jugendromans, der die Geschichte der Freundschaft zwischen
zwei dreizehnjährigen, sehr unterschiedlichen Jungen erzählt. Da ist Max, der mit seiner
Umwelt nicht klar kommt, sie nicht versteht und die ihn nicht begreift. Und Kevin, der eines
Tages in den Stadtteil zieht und eine nicht benannte Krankheit hat, an der er am Ende des
Romans stirbt. Das Buch ist auch ein Entwicklungsroman, denn Max ist am Schluss des
Buches ein junger Mensch, der viel von sich verstanden hat.
Spannend geschrieben ist der Roman. Die Verhaltensschwierigkeiten von Max erschließen sich plausibel und doch beantwortet der Roman nicht alle möglichen Fragen direkt,
sondern lässt im besten Sinn einige Punkte offen, die im Anschluss an die Lektüre zu weiterführenden Diskussionen, Überlegungen reizen.
Der Roman ist für die Sekundarstufe sehr zu empfehlen.
Kein Beinbruch
Heidi Hassenmüller, Ellermann 1999
Eine einfach und klar erzählte Geschichte von dem achtjährigen Gerhard, der eine Zwillingsschwester hat, die geistig behindert ist. Im Verlauf des Buches wandelt sich die Einstellung des Jungen zu seiner Schwester, für die er sich bisher immer geschämt hat.
Das Buch eignet sich zum Vorlesen für die Grundschule. Es bietet Möglichkeiten, sich mit
dem Thema „Behinderung“ (bei einem Geschwisterkind) auseinander zu setzen.
Die andere Seite des Schweigens
Margaret Mahy, Jungbrunnen 1998
Hero, ein fünfzehnjähriges Mädchen, erzählt die Geschichte ihres dreijährigen Schweigens, eines Nicht-mehr-reden- wollens in einer lauten und chaotischen Familie. „Irgendwie hatte ich mir eine Stummheit angezaubert.“ Hero kennt aber aus der heimlichen Lektüre ihrer Krankenakte auch die medizinische Benennung ihrer Sprechstörung: Aphasia voluntaria. Sie beschreibt die Gründe dafür sehr konkret und führt nun zwei Leben, ein „wirkliches“ mit ihrer Familie und ein „wahres“Leben, wenn sie allein ist, „auch wenn es zum
Teil nur ausgedacht war“.Spannend und in einer poetischen Sprache geschrieben erfahren wir, warum das 12jährige Mädchen sich entschlossen hat, nach und nach immer mehr
zu verstummen und welche Gründe es für sie gibt, sich den Menschen wieder sprachlich
zu öffnen.
Das Buch ist für die Sekundarstufe geeignet, zum Vorlesen, selber lesen, als Diskussionsgrundlage für das beschriebene oder ähnlich gelagert Probleme.
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Jakob ist kein armer Vogel!
Gabriele Heiser, rowohlt 1985
Alle Albatrosse können fliegen - nur Jakob nicht. Er soll ausgestoßen werden; denn ein
Albatros, der nicht fliegt, ist kein richtiger Albatros, oder doch? Seine Eltern und Freunde
machen sich große Sorgen um ihn - bloß Jakob selbst nicht. Er ist zufrieden. Er kann zwar
nicht fliegen, aber ein armer Vogel ist er deshalb noch lange nicht.
Hier wird Kindern auf eine sehr einfühlsame Art das Thema Behindertsein nahe gebracht.
Was geschieht in einer Gesellschaft, wenn ein Einzelner anders ist? Dabei gelingt es Gabriele Heiser, eine Identifikation mit Jakob aufzubauen und so Jakobs Situation für Kinder
nachvollziehbar zu machen.
Das Buch ist in Großdruckschrift geschrieben und eignet sich sowohl zum Lesen, Vorlesen
als auch zur gemeinsamen Klassenlektüre ab der 3. Klasse besonders für den gemeinsamen Unterricht bzw. die Arbeit mit behinderten Kindern, da die Hauptfigur ein Tier ist und
somit das Thema zunächst verschlüsselt besprochen und bearbeitet werden kann.
Alle lieben Malle
Reinhild Schario, Ensslin 1995
Hauptfigur dieses Romans ist der zwölfjährige Markus, den alle Malle nennen. Er hat eine
Zwillingsschwester, die die Gesamtschule besucht. Malle kann nicht in diese Schule gehen, da er durch eine komplizierte Geburt an seinen Beinen spastisch gelähmt ist und sich
im Rollstuhl fortbewegt. Er wird jeden Tag mit dem Behindertenbus zur Sonderschule gefahren. Nach einem Brand in dieser Schule geht er vorübergehend in die 6. Klasse seiner
Schwester. Diese Situation führt verstärkt zur Auseinandersetzung über Separation und
die unterschiedlichen Lebensbedingungen der Zwillinge.
Die Stärke dieses Buches ist es, diese Konflikte offen zu legen und für Kinder adäquat in
Sprache zu fassen. Leser und Leserinnen erfahren eine Menge über Akzeptanz und Umgang mit Behinderung, dies sowohl aus der Innensicht von Malle, als auch aus der Sicht
der Schwester und der Mitschüler. Das Buch ist spannend geschrieben, weist aber stilistische Mängel auf. Störend ist, dass vom Gegensatz “gesund” - “behindert” gesprochen
wird. Das Buch kann sowohl als Einzel- als auch als Klassenlektüre ab der 4. Klasse empfohlen werden.
Drachenflügel
Renate Welsh. Nagel & Kimche 1988
Anne ist die Schwester des 17-jährigen Jakob, der eine schwere Behinderung hat: er sitzt
im Rollstuhl, bekommt schwere Krampfanfälle, kann nicht selbstständig essen und wird
wahrscheinlich nicht sprechen lernen. Er kann Freude und Unbehagen ausdrücken und so
mit seiner Familie kommunizieren. Die Beeinträchtigungen von Jakob werden gleich zu
Beginn genau beschrieben, detailliert und verständlich dargestellt. Doch die zentrale Identifikationsfigur ist Anne, die sich isoliert hat, sich mit dem Großvater in Traumwelten flüchtet, damit sie mit niemandem über ihren Bruder reden muss, den sie sehr gern hat und
unbedingt vor “klebrigem Mitleid” schützen will. Das Buch beschreibt sehr eindringlich die
Probleme einer Schwester eines behinderten Jungen, die versucht, die Behinderung ihres
Bruders durch Sprachlosigkeit zu verheimlichen. Sie hat Angst vor den Reaktionen der
Umwelt und fürchtet Böses. Mit Hilfe ihrer Freundin Lea, die Anne vorwirft, dass sie den
Menschen “nicht hilft zu kapieren”, beginnt Anne ihren Weg aus ihrer Sprachlosigkeit. Das
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über weite Strecken emotional sehr anrührende Buch ist ein Plädoyer dafür, miteinander
zu reden in schwierigen Lebenssituationen. Das Buch hat allerdings mit dem “Leben eines
behinderten Jugendlichen” nur in zweiter Linie etwas zu tun.
Der Roman ist empfehlenswert als Lektüre im 4. Schuljahr, er eignet sich zum Vorlesen
schon für jüngere Kinder, auch für Klassen- und Schulbibliotheken.
Benni Sprachlos
Peter Steinbach, dtv 1991
Ein merkwürdiges Buch: Auf dem rückwärtigen Umschlag steht, dass der 7-jährige Benni
sprachbehindert sei. Doch ist er das tatsächlich? Zur Erklärung seiner Sprachlosigkeit wird
kurz zu Beginn geschrieben, dass es Komplikationen bei der Geburt gab. Im Laufe der
Erzählung wird aber der Eindruck erzeugt, dass Benni nicht sprechen will, also eine
Sprechstörung vorliegt. Und immer wieder wird vermutet, dass das daran liege, dass Bennis Eltern nicht genügend Geduld mit ihrem Sohn aufbringen. Und selbst, wenn das woher
auch immer rührende Unvermögen der Eltern teilweise ein Grund für Bennis Blockaden
wäre, gehört es unter die Rubrik “Wunder”, wenn Benni im Süden bei freundlichen Menschen plötzlich und ganz unbemerkt einen klaren Satz formulieren kann.
Alles, was mit Bennis Beeinträchtigung zu tun hat, bleibt diffus. Und trotzdem ist es ein
spannend zu lesendes, zur Identifikation einladendes Buch über einen kleinen Jungen, der
im Urlaub (Ferien wäre falsch, denn es bleibt unklar, ob Benni einen Kindergarten oder gar
eine Schule besucht) ein Abenteuer erlebt. Witzig ist die Idee einer Pulloverfussel, die hinter Bennis Ohr versteckt - sprechen kann und Bennis inneres Ich darstellen könnte. Da
hätte vielleicht was draus werden können, aber die Fussel verliert sich - wie die Idee dazu
- mitten im Buch.
Dieser Roman ist nicht geeignet für die freie Ausleihe in Klassen- und Schulbibliotheken,
aber eine interessante Ausgangsbasis für Gespräche mit einer Klasse.
Jakob hinter der blauen Tür
Peter Härtling, Beltz 1983
Jakob ist ein einsamer Junge geworden. Nach dem Tod seines Vaters hat er mit sich
selbst und seiner Umwelt Schwierigkeiten. Er zieht sich tagträumend in eine Fantasiewelt
zurück und verhält sich so, dass ihn keiner verstehen kann - weder seine Mutter, noch
seine Lehrerin, Mitschüler und Freunde.
Ganz einfühlsam und nachvollziehbar beschreibt Peter Härtling einen Jungen, der in der
Schule vielleicht schnell als “verhaltensgestört” bezeichnet würde, der Erziehungshilfe
braucht. Der Roman löst beim Leser sofort Assoziationen an Kinder aus, die man kennt.
Überzeugend ist der Roman vor allem auch deshalb, weil die Geschichte primär aus Jakobs Sicht erzählt wird.
Der Roman eignet sich noch für das 4. Schuljahr (gemeinsame oder individuelle Lektüre,
zum Vorlesen und Diskutieren), gehört vom Alter der elfjährigen Romanfigur eher in die
Sekundarstufe.
Vorstadtkrokodile
Max von der Grün, rowohlt 1976; 1997
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Das Krokodil ist das Erkennungszeichen einer Kinderbande. Nur wer eine gefährliche Mutprobe bestanden hat, darf es sich auf die Hose nähen. Auch Kurt, ein körperbehinderter
Junge, der im Rollstuhl fährt, wird Mitglied bei den Krokodilen. Sie erleben viele Abenteuer,
besonders als sie sich daran machen, einer Einbrecherbande das Handwerk zu legen.
“Die Vorstadtkrokodile” ist ein Kinderbuchklassiker, zudem einer der ersten, der das Thema
Behinderung aufgegriffen hat. Trotzdem ist das Buch keine Geschichte über Behinderung,
dazu wird das Thema viel zu ideal und wirklichkeitsfremd dargestellt. Es ist vielmehr ein
spannendes Abenteuerbuch, in dem ein körperbehindertes Kind eine entscheidende Rolle
spielt. Nichtsdestotrotz macht es viel Spaß zu lesen und ist aufgrund der kindernahen Geschichte gut zur Klassenlektüre geeignet.
Eine Schwester so wie Danny
Rolf Krenzer, Arena, 1985; 1995
Oliver ist 11 Jahre alt. Seine ältere Schwester Danny ist geistig behindert. Einmal kommt sie
morgens nicht wie gewohnt mit dem Schulbus in der Schule an. Ist Oliver Schuld daran? Er
hat Danny nicht wie sonst in den Bus gebracht, sondern sie allein an der Haltestelle warten
lassen. Oliver macht sich große Vorwürfe. Eifriges Suchen beginnt. Sogar Olivers Klasse
beteiligt sich.
Das Buch gibt einen ersten Einblick in die Sorgen und Nöte, die Geschwister von behinderten Kindern haben können, auch, weil diese Geschichte laut Krenzer so ähnlich wirklich
passiert ist. Das Buch eignet sich sowohl zur Einzel- als auch zur Klassenlektüre, da die
Geschichte gute Identifikationsmöglichkeiten bietet. Allerdings beschreibt das Buch nur eine
Episode und leistet keine eingehende Bearbeitung der Problematik. Unverständlich ist, warum im Klappentext für Dannys Behinderung der diskriminierende Begriff “mongoloid” benutzt wird, während Krenzer die Behinderung im Buch sehr differenziert beschreibt.
Die Rollstuhlprinzessin
Martina Dierks, Altberliner 1997
Kitty fährt mit ihrer Mutter, ihrem Bruder und ihrer Oma an die Ostsee. Eine Freundin der
Mutter und deren Tochter Laura kommen auch mit. Und Laura sitzt im Rollstuhl. Was soll
Kitty denn mit einer spielen, die im Rollstuhl sitzt? Doch im Laufe eines aufregenden Feriensommers werden sie und Laura gute Freundinnen.
Am Anfang ist die Geschichte um Laura und Kitty realistisch und glaubwürdig geschrieben.
Auch, weil das Verhalten von Laura oft erklärt wird. Doch dass Laura Kitty, ihren Bruder
und deren Ferienbekanntschaft aus Seenot rettet, ist nur schwer zu glauben. Es ist schade, dass die behinderte Laura etwas Besonderes tun muss, um schließlich von Kitty akzeptiert zu werden. Das Buch könnte ein wahres Bild von der Beziehung zwischen Behinderten und Nichtbehinderten wiedergeben, wenn die Autorin die großartige Rettungsaktion
weggelassen hätte und das Verhältnis zwischen Laura und Kitty sich hätte langsam weiter
entwickeln können. (Inga)
Krücke
Peter Härtling, Beltz 1986; 1994
Viele Städte lagen bei Kriegsende in Trümmern. Die Menschen irrten umher und suchten
ihre Angehörigen. Auch Thomas sucht verzweifelt seine Mutter. Da trifft Thomas Krücke.
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Das ist einer, den hat der Krieg hart mitgenommen. Krücke hat nur noch ein Bein. Aber er
kennt sich aus, auf dem Schwarzmarkt und auch sonst im Leben. Mit Krücke fühlt sich
Thomas stark und Krücke will ihm helfen, die Mutter wiederzufinden.
Was Thomas und Krücke zusammen erleben, ist eine spannende Geschichte, die davon
handelt, wie sich Menschen in einer schlimmen Zeit gegenseitig helfen. Dabei nimmt der
Autor, wenn es um Krückes Behinderung geht, kein Blatt vor den Mund. Krücke erzählt ohne Selbstmitleid über seine Behinderung. Trotzdem ist das Buch sehr einfühlsam geschrieben.
(Inga)
Eine Chance für Barbara
Gisela Kautz, Thinemann 1994
Verena und ihre Eltern reiten sehr gerne. Sie besitzen auch zwei eigene Pferde. Eines
Abends steht Onkel Karten bei ihnen im Haus und verändert Verenas Leben. Verenas
geistig behinderte Cousine Barbara soll für einige Monate bei ihnen leben. Für Verena und
ihre Eltern ein schwerer Schlag. Denn ihr Leben wird von Barbara in Anspruch genommen. Verena kann Barbara zunächst nicht ausstehen, doch als sie versucht, ihr das Reiten beizubringen, ändert sich im Laufe der Geschichte ihre Meinung über Barbara.
In dem Buch wird die erste Begegnung mit Behinderten wirklich glaubhaft beschrieben,
auch die Ablehnung ihnen gegenüber. Es ist für den Leser gut zu verstehen, wie Verena
ihre Einstellung Behinderten gegenüber langsam ändert. Dabei ist es gut, dass auch Barbara nicht nur fehlerlos dargestellt wird. Die Schriftstellerin beschreibt nachvollziehbar, wie
Behinderte für sich ganz logisch denken, auch wenn viele Menschen sie nicht immer verstehen.
(Inga)
Mit Clara sind wir sechs
Peter Härtling, Beltz 1991, 1997
Bei der Familie Scheuer ist immer etwas los. Dafür sorgen schon Phillip und Therese, vor
allem aber der kleine Dök. Dem fällt immer etwas ein, da können Mutter Lene und Däd nur
staunen. So richtig spannend wird es aber, als die Mutter zum vierten Mal schwanger wird
und die Gefahr besteht, dass das Kind behindert sein könnte.
Dem Autor gelingt es gut, die Angst der Erwachsenen eindrücklich darzustellen. Am Ende
des Buches erweisen sich alle Sorgen als unnötig. Der Grund wird nicht so deutlich. Vielleicht liegt das daran, dass auch den Kindern in der Geschichte nicht richtig gesagt wird,
wovor die Eltern Angst haben. Auch wird nicht erklärt, was es mit Claras Krämpfen auf sich
hat.
(Inga)
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Sachbücher
Gehen auf Rädern - Leben im Rollstuhl
Lois Keith, Saatkorn 1999
Sehen mit den Händen - Blind sein
Peter White, Saatkorn 1999
Hören ohne Töne - Gehörlosigkeit
Maggie Woolley, Saatkorn 1999
Lernen so viel ich kann - Leben mit einer Lernbeeinträchtigung
Margaret und Peter Flynn, Saatkorn 1999
Die vier Titel dieser Reihe haben sehr viel gemeinsam. Das Wichtigste zuerst: Alle Bücher
sind für den Unterricht in einer Grundschule oder zu Beginn der Sekundarstufe sehr zu
empfehlen. Sie eignen sich für eine Schulbibliothek zur freien Ausleihe genauso wie zum
Vorlesen oder als Grundlage für ein Unterrichtsthema zu diesem Bereich. Die Autoren und
Autorinnen sind selbst von der dargestellten Behinderung betroffen, mit Ausnahme von
Margaret Flynn, die ihr „Buch für Kinder über Menschen mit einer Lernbeeinträchtigung“
nach Absprache mit ihrem Bruder, der lernbeeinträchtigt ist, geschrieben hat.
Alle Bücher sind klar und übersichtlich gegliedert. Auf je einer Doppelseite werden bestimmte Fragen abgehandelt. Jedes Buch beginnt mit dem Versuch, den nicht behinderten Lesern
verständlich zu machen, was es bedeutet, z. B. gehörlos zu sein. Die Leser werden animiert, sich in die behinderungsbedingten Situationen hinein zu versetzen. Das gelingt, weil
die Autoren und Autorinnen bemüht sind, gut nachvollziehbare Alltagssituationen plastisch
darzustellen: „Stell dir einmal ganz alltägliche Dinge vor, wenn du blind wärst. Zum Beispiel
das Anziehen. Jetzt geht es wie von selbst. Aber wie würdest du als Blinder deine Sachen
finden? Du müsstest alles sehr gut ordnen. Viele blinde Menschen bewahren ihre Kleidungsstücke in bestimmten Fächern und Schubladen auf. Hemden und Blusen mit Knöpfen
in unterschiedlichen Formen. An den verschiedenen Knöpfen kann ein blinder Mensch erkennen, um welches Kleidungsstück es sich handelt.“
Alle Bücher beschäftigen sich auch auf jeweils zwei Seiten mit den medizinischen Erklärungen der einzelnen Behinderungen (eine Begriffserklärung befindet sich zudem im Anhang),
dem Umgang mit diesen Behinderungen in der Vergangenheit sowie einem Ausblick auf
mögliche Hilfen in der Zukunft. Darüber hinaus erläutern die Autoren typische Lebenssituationen behinderter Menschen unter den Überschriften „In der Schule“, „Zuhause“, „Unterwegs sein“ „Spaß und Spiel“, „Zur Arbeit gehen“ und schildern die Lebensläufe berühmter
oder erfolgreicher Menschen mit Behinderungen.
Die Bücher verweisen nachdrücklich darauf, dass behinderte Menschen die gleichen Menschenrechte haben wie nichtbehinderte, um die Wahrnehmung dieser Rechte aber oft noch
kämpfen müssen. Besondere Schulen, in denen Kinder der gleichen Behinderung zusammengefasst werden, sind zwar auch vorhanden, gehören jedoch in der Perspektive dieser
Bücher eher der Vergangenheit an. Die Autoren betonen sehr stark, dass das gemeinsame
Lernen - als das gleiche Recht auf die gleiche Schule - anzustreben ist. Und doch bleiben
beide Schulformen bestehen, ohne dass sie in Konkurrenz zueinander gesetzt werden:
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„Gehörlose Kinder und Kinder, die hören können, gehen auf eine gemeinsame Schule. Die
Hörgeschädigten tragen besonders starke Hörgeräte. So können sie den Unterricht verfolgen.“ Und: „Es gibt auch bestimmte Schulen, die nur von gehörlosen und schwerhörigen
Kindern besucht werden. Einige hörgeschädigte Kinder gehen lieber auf eine solche Schule, weil dort jedes Kind die Gebärdensprache beherrscht...“
Es gibt sehr wenige Kinderbücher, die sich dem Thema „Lernbeeinträchtigung“ widmen ausgenommen sind solche über Kinder mit Down-Syndrom. Zu Hause wie in der Schule ist
es oft sehr schwierig für Kinder, Eltern und Lehrer, sich damit auseinander zu setzen. Vielfach findet eine Auseinandersetzung nur in pädagogisch verschlüsselter Form (z.B Märchen) statt. Demgegenüber bietet das Buch über Lernbeeinträchtigung die Möglichkeit, sich
diesem Thema sachlich und aufklärend zu nähern.
Liste II
An dieser Stelle wollen wir nochmals betonen, dass die folgenden Bücher nur aufgelistet,
aber noch nicht von uns beurteilt wurden. Es sind Bücher dabei, die wir vielleicht nicht unbedingt für eine Klassenlektüre empfehlen werden.
Bilderbücher
Carla
Silke Schröder / Elisabeth Reuter, Ellermann 1996
Bis jetzt hat Carla im Kindergarten meistens mitgespielt wie alle anderen Kinder auch. Aber eines Tages fällt sie einfach um. Es ist, als würde sie schlafen und doch irgendwie
ganz anders. Keiner kann so recht verstehen, was mit Carla los ist, und das Wort “Epilepsie” ist allen fremd.
Erst nach einem Gespräch fangen die Kinder an zu begreifen, welche Formen diese Krankheit annehmen kann, wie sie behandelt wird und wie man mit den Betroffenen umgehen
kann.
Sei nett zu Eddie
Virginia Fleming / Floyd Cooper, Lappan 1997
An einem sonnigen Frühlingstag beschließen Christina und Robert, zum Waldsee zu gehen und Froschlaich zu suchen. Darüber, dass der Nachbarjunge Eddie mitkommen will,
sind sie gar nicht begeistert. Eddie hat ein Down-Syndrom und Christinas Mutter sagt immer, sie soll nett zu ihm sein. Das fällt vor allem Robert schwer.
Irgendwie Anders
Kathryn Cave / Chris Ridell, Oetinger 1994
So sehr er sich auch bemühte wie die anderen zu sein, Irgendwie Anders war irgendwie
anders. Deswegen lebte er auch ganz allein auf einem hohen Berg und hatte keinen einzigen Freund. Bis eines Tages ein seltsames Etwas vor seiner Tür stand. Das sah ganz anders aus als Irgendwie Anders, aber es behauptete, genau wie er zu sein.
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Rollstiefelchen
Grégoire Solotareff, Moritz 2000
(Pr./Körperbehinderung)
Sohn der blauen Pferde
Bill Martin/John Archambault, Franckh-Kosmos 1996
(Pr. / Sehbehinderung)
Romane
Behalt das Leben lieb
Jaap ter Haar, dtv 1973; 1984
Durch einen Unfall verliert der 13-jährige Beer sein Augenlicht. In der nächsten Zeit durchlebt er Phasen der tiefsten Niedergeschlagenheit, aber auch Augenblicke der Hoffnung.
Seine Familie wird vor Probleme gestellt, die nur mit viel Einfühlungsvermögen zu bewältigen sind. Doch trotz aller Verzweiflung und Angst, in die Beer gestürzt wird, eröffnen sich
ihm neue Wege und Möglichkeiten, dieses veränderte Leben zu meistern.
Eine wunderbare Liebe
Kirsten Boie, Oetinger 1996
Ausgerechnet in den Sommerferien ziehen Mama und Mona um. Alle Kinder sind verreist,
und nur einer ist da in der Hochhaussiedlung: Marlon. Und obwohl er schon in die Achte
geht und Mona erst in die Dritte, spielt er gern mit ihr. Aber warum ist er manchmal so komisch? Warum wird er so leicht böse? Und dann stellt sich auch noch heraus, dass er gar
nicht in ihre Schule geht, obwohl er Mona doch versprochen hat, jeden zu vertrimmen, der
ihr auf dem Schulhof was tun will.
Der rote Strumpf
Elfie Donnelly, dtv 1979; 1994
Mari entdeckt eines Tages auf einer Parkbank eine alte Frau, die zwei verschiedenfarbige
Strümpfe trägt - einen schwarzen und einen roten. Zuerst findet Mari das komisch, dann
schließt sie Freundschaft mit der wunderlichen Frau Panacek, dem Gegenteil einer “normalen” Oma. Mit ihrem Kinderinstinkt erspürt sie das gute Herz, die Einsamkeit und die Ängste
der alten Frau.
Aufgrund dieser ungleichen Freundschaft wirbt Elfie Donnelly um Verständnis für Menschen, die uns etwas “verrückt” vorkommen.
Die scharlachrote Feder
Claire Blatchford, Klopp 1997
(Pr./Sek.I / Hörschädigung)
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Johanna ist anders. Die Geschichte eines geistig behinderten Mädchens
Hans Gärtner, echter 1996
(Pr. / geistige Behinderung)
Quasselstrippe
Morris Gleitzmann, anrich 1995
(Sek.I / stumm sein)
Bis dann, Simon
David Hill, anrich 1996
(Sek. I / Muskelschwund)
Der Schrei der Möwe
Emmanuelle Laborit, Bastei-Lübbe 1995/1999
(Sek.I und Sek. II / Gehörlosigkeit)
Jenseits der Stille
Caroline Link, Aufbau 1997; 1999
(Sek.I / gehörlose Eltern - „Buch zum Film“
Good Luck, großer Bruder!
Márcia Leite, Esslinger 1998
(Sek.I / Querschnittslähmung)
Schere, Stein, Papier
Patricia MacLachlan/Quint Buchholz, Hanser 1994
(Sek.I / psychische Belastung)
Das ist Harry
Klaus Kordon, dtv 1997
(Pr. / psychische Belastung)
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Greller Blitz und stummer Donner
Lillian Rosen, dtv 1987;1998
(Sek .I / Hörschädigung)