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Simone Moser und Andrea Saladin
Bildung & Vermittlung
April 2013
Bildung & Vermittlung
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
4
2 Biografie
5
3 Werkphasen/Stile
7
3.1 Blaue und Rosa Periode (Räume 1, 2)
7
3.2 Kubismus (Räume 4, 5, 6)
3.2.1 Protokubistische Phase / Vorläufer
3.2.2 Sogenannter Analytischer Kubismus
3.2.3 Sogenannter Synthetischer Kubismus
12
12
14
15
3.3 Neoklassizismus (Räume 6, 7, 10)
21
3.4 Surrealismus (Räume 9, 11)
24
3.5 Die Werke der 1940er, 1950er und 1960er Jahre (Räume 12-15)
3.5.1 Frauendarstellungen der 1940er Jahre
3.5.2 Bezug auf Werke der Kunstgeschichte in den 1950er und 1960er Jahren
3.5.3 Das Maler- und Modell-Motiv der 1950er und 1960er Jahre
3.5.4 Das Tempo der Malerei der 1960er Jahre
3.5.5 Skulpturen
30
30
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32
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4 Drucktechniken und Zeichnung
38
4.1 Tiefdruckverfahren
4.1.1 Kupferstich
4.1.2 Radierung oder Ätzkunst
4.1.3 Aquatinta
38
38
39
41
4.2 Flachdruckverfahren: Lithographie (Steindruck)
42
4.3 Zeichnung
4.3.1 Rötel
4.3.2 Schwarze Naturkreide
4.3.3 Weisse Kreide
4.3.4 Kohle
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45
45
45
45
5 Künstlerisches und persönliches Umfeld, Sammler, Galeristen, Ausstellungen 47
5.1 Wegbegleiterinnen
47
5.2 Einige Künstlerfreunde/Kunstkritiker
47
5.3 Einige Sammler/Galeristen/Kunsthändler
48
5.4 Kunstkritiker
50
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5.5 Wichtige Ausstellungen
50
6 Das Basler Picasso-Jahr 1967
51
6.1 Einleitung
51
6.2 Das Jahr 1967
6.2.1 Ablauf des Geschehens
6.2.2 Zitate aus Leserbriefen
6.2.3 Hintergründe für die Mehrheitsfähigkeit Picassos
6.2.4 Themen für die Diskussion
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6.3 Basler Sammler
6.3.1 Raoul La Roche (1889-1965)
6.3.2 Rudolf Staechelin (1881-1946)
6.3.3 Karl im Obersteg (1883-1969)
6.3.4 Maja Hoffmann-Stehlin (1896-1989), Emanuel Hoffmann (1896-1932)
6.3.5 Sammlung Georges Bloch (1901-1984)
6.3.6 Ernst Beyeler (1921-2010)
6.3.7 Weitere private Sammlungen in Basel
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58
58
59
59
59
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6.4 Picassos Werke im Kunstmuseum Basel
61
6.5 Weitere Schenkungen ans Kunstmuseum Basel und das Kupferstichkabinett
62
6.6 Ausstellungsgeschichte Basel
63
7 Literaturverzeichnis
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Die Picassos sind da!
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1 Einleitung
Der vorliegende Download richtet sich an Lehrpersonen und bildet eine Handreichung für die
Auseinandersetzung mit der Ausstellung „Die Picassos sind da! Eine Retrospektive aus Basler
Sammlungen“ im Kunstmuseum Basel. Das Dokument gibt einen Überblick über die wichtigsten
Themen der Ausstellung und vereint die zentralen inhaltlichen Aspekte mit praktischen
Umsetzungsideen. Anhand einzelner Werke werden Stilmerkmale, Motive und übergreifende
Entwicklungslinien herausgearbeitet.
Die vorliegenden Ausführungen sind Grundlage für die Vorbereitung auf einen Ausstellungsbesuch. Sie sind nicht als fertig aufbereitete Unterrichtseinheiten zu verstehen. Vielmehr
vermitteln sie ein Grundwissen zum Ausstellungsthema und bieten Hand für eine praktische
Umsetzung. Die stufengerechte Anpassung ist jeweils durch die Lehrperson zu leisten.
Nach einer stichwortartigen Biografie werden die Werkphasen entlang der Ausstellungspräsentation chronologisch besprochen. Dabei werden folgende fünf Phasen gebündelt: Blaue und Rosa
Periode, Kubismus, Neoklassizismus, Surrealismus, Spätwerke. Jede Phase wird einzeln
beschrieben, mit Werkbeispielen in der Ausstellung ergänzt und mit Umsetzungsvorschlägen und
Diskussionsthemen abgerundet. Das hier gebündelte Wissen ist zwar ein wichtiges Rüstzeug für
die Lehrpersonen, für die Schüler jedoch bildet die Bildbetrachtung vor dem Original Kern- und
Angelpunkt für die Auseinandersetzung mit Kunst und den damit verbundenen Erkenntnisgewinn.
Das Dokument muss aus bildrechtlichen Gründen ohne Abbildungen der Werke Picassos
auskommen. Interessante Links finden Sie unter www.edubs.ch/links/aktuell-picasso. Gerne
weisen wir Sie auch auf den zur Ausstellung erschienenen Katalog, den Audioguide und den
Saaltext hin, der Ihnen weiterführende Informationen bietet.
Wir hoffen, mit diesem Download die Lust der Lehrpersonen zu wecken, die Bedeutung der Kunst
Pablo Picassos für Basel zu entdecken und einen Ausstellungsbesuch mit der Klasse zu planen.
Das Dokument kann auch als Vor- und Nachbereitung eines geführten Ausstellungsrundgangs
dienen, der beim Team Bildung & Vermittlung gebucht werden kann. Für die Planung des
Ausstellungsbesuchs bitten wir Sie, sich auf der Webseite über Anmeldung und
Sicherheitshinweise zu informieren.
Für Beratung inhaltlicher oder organisatorischer Art stehen wir jederzeit gerne zu Verfügung.
Simone Moser und Andrea Saladin
Koordination Bildung & Vermittlung
Kunstmuseum Basel
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2 Biografie
1881 Am 25. Okt. wird Picasso als ältester Sohn des Malers José Ruiz Blasco und dessen Frau
María Picasso Lopez in Málaga geboren
1895 Seine Mutter stirbt, die Familie zieht nach Barcelona um und Picasso besucht die
Kunstschule La Lonja
1897 In Barcelona stellt er erstmals Werke im Kabarett Els Quatre Gats aus, wo er Zugang zur
Bohème und zeitgenössischer Malerei aus Paris hat
1900 Erste Reise nach Paris
1901 Zweiter Paris-Aufenthalt, Ausstellung beim Kunsthändler Ambroise Vollard und Anfang der
Blauen Periode
1904 Umzug nach Paris, Bezug eines Ateliers im Bateau Lavoir in der Rue de Ravignan; er lernt
Fernande Olivier kennen, mit der er bis 1912 zusammen ist
1905 Begegnung mit dem französischen Dichter und Kunstkritiker Guillaume Apollinaire, den
Sammlern Gertrude und Leo Stein, Beginn der Rosa Periode
1906 Viermonatiger Aufenthalt im katalanischen Bergdorf Gósol in den Pyrenäen
1907 Arbeit am Bild Les Demoiselles d’Avignon, Beschäftigung mit afrikanischer Plastik, lernt
den Kunsthändler Daniel-Henry Kahnweiler kennen
1909 Neues Atelier am Boulevard de Clichy; enge Freundschaft mit Georges Braque und
Entwicklung des sogenannten analytischen Kubismus
1912 Erfindung des Collageprinzips und Beginn des sogenannten synthetischen Kubismus
1918 Picasso heiratet Olga Koklowa, 3 Jahre später kommt der Sohn Paolo zur Welt
1921 Picasso beginnt nach einer Italienreise und der Tätigkeit für das Russische Ballett von
Serge Diaghilev eine neoklassizistische Werkphase
1922 Freundschaft mit André Breton, Louis Aragon, Tristan Tzara und anderen Surrealisten
1927 Er beginnt eine Beziehung mit Marie-Thérèse Walter
1930 Die ersten Radierungen, die später für die Suite Vollard (s. Kapitel Drucktechniken)
ausgewählt werden, entstehen
1935 Trennung von Olga Koklowa
1936 Picasso lernt Dora Maar kennen
1937 Er bezieht ein Atelier in der Rue des Grands-Augustins in Paris; malt Guernica, das neben
Les Demoiselles d’Avignon sein berühmtestes Bild wird
1938 Bildnisse von Marie-Thérèse Walter und Dora Maar
1944 Beitritt zur Kommunistischen Partei
1948 Picasso lässt sich mit Françoise Gilot in Vallauris an der Côte d’Azur nieder
1953 Gilot verlässt ihn mit den Kindern Claude und Paloma
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1954 Variationen nach Meisterwerken stehen im Zentrum der Malerei, Umzug in die Villa La
Californie in Cannes
1957 Paraphrasen von Diego Velàzquez’ (1599-1660) Gemälde Las Meniñas (1656)
1961 Variationen nach Édouard Manets (1832-1883) Déjeuner sur l’herbe (1863) in 27
Gemälden, etwa 150 Zeichnungen und 3 Linolschnitten, Skulpturen und Keramik
1961 Heirat mit Jacqueline Roque, Übersiedlung ins südfranzösische Mougins in sein Haus
Notre-Dame-de-Vie
1966 Grosse Retrospektive im Grand Palais und Petit Palais in Paris
1967 Das Basler „Picasso-Jahr“: der Künstler schenkt den Einwohnern von Basel drei Gemälde
und eine grosse Zeichnung
1968 Picasso druckt 347 gravures
1970 Ausstellung des Spätwerks im Palais des Papes in Avignon
1973 Picasso stirbt am 8. April in Mougins
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3 Werkphasen/Stile
3.1 Blaue und Rosa Periode (Räume 1, 2)
Während der Blauen Periode von 1901 bis 1905 dominieren Blautöne Picassos Palette.
Charakteristisch ist eine an Gauguin und Munch ausgerichtete Flächenhaftigkeit und Betonung
der Konturlinien.
Eine private Tragödie im Februar 1901 ist Auslöser dafür, dass Blautöne eine Vielfarbigkeit
verdrängen, welche vom pulsierenden Leben in der Grossstadt Paris kurz nach der Jahrhundertwende und der direkten Begegnung mit der aktuellen französischen Kunst inspiriert sind. Es ist
der aus Liebeskummer begangene Selbstmord seines engen, spanischen Freundes Carlos
Casagemas, mit dem er in Paris ein Atelier bewohnt.
Das Blau ist Sinnbild seiner eigenen schwermütigen Stimmung wie auch der am eigenen Leib
erfahrenen Armut in Paris. „Zum Kauf von Bindemitteln fehlte oft das Geld, Picasso musste
Leuchtpetroleum statt Öl zum Malen verwenden…. Picasso verbrannte stapelweise eigene
Zeichnungen, Pastelle und Gouachen, um den Raum zu heizen…“1 Etliche Werke der Blauen
Periode entstehen nicht nur in Paris, sondern auch in Barcelona, belebt von spanischen Motiven
und Vorbildern, vor allem Städtebilder.2 Picassos Bilder dieser Jahre sind Bilder der Hilflosigkeit
und Trauer.
Farbe: Blautöne in allen Variationen, bis ins Schwarze reichend.
Farbsymbolik: Das kalte Blau wird symbolisch als Farbe des Elends eingesetzt.
Motive: Arme, Bettler, Blinde, Alte, isolierte, einsame Persönlichkeiten, Trinkerinnen, Gefängnisinsassinnen, Prostituierte, Mütter mit Kind, Paare, Randexistenzen, Kinder.
Stilmittel: Inhalt, Form und Farbe sind eng miteinander verbunden, einfache Formen, flächiger
Stil, gebogene Linien, starke Umrisslinien, Gestalten in Überlänge, ausgemergelte Gesichter,
knochige Hände, übermässig lange Finger, geschlossene Körperhaltung, teilweise silhouettenhaft,
Personen grossflächig ins Bild gesetzt, zeitlos aufgefasste Gewänder, Isolierung der abgebildeten
Person, fehlende Details, wenig Hintergrund, keine Hinweise auf die Umgebung.
Malereibegriff: Es offenbart sich in dieser Phase, dass für Picasso die Malerei vor allem auf
grafischen Elementen basiert: Die Linienführung ist stark und die Form stärker als die Farbe. Die
Monochromie begünstigt die Konzentration auf Form und Linie. Die Figur ist als Formgebilde
unendlich variierbar.
Anlehnung: Henri de Toulouse-Lautrec (1864-1901), Edgar Degas (1834-1917), Vincent van
Gogh (1853-1890), Überlängen und lange Gewänder bei El Greco (1541-1614), Flächigkeit bei
Paul Gauguin (1848-1903) und Edvard Munch (1863-1944), geistiger Gehalt womöglich beeinflusst durch die symbolistischen Theorien und die Art Nouveau-Bewegung der Jahrhundertwende.
1
Wiegand 2002, S. 41.
2
Ausst.kat. Basel 2013, S. 56.
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Zitate:
o
„Dass meine Figuren in der Blauen Periode sich alle in die Länge strecken, liegt
wahrscheinlich an seinem [El Greco] Einfluss.“3
o
„Er [Picasso] hält die Kunst für ein Kind der Traurigkeit und des Schmerzes. Er glaubt,
dass Traurigkeit sich zum Nachdenken eignet und dass Schmerz der Kern des Lebens
ist.“4
Beispiele in der Ausstellung
Buveuse d'absinthe [verso: Femme dans la loge], 1901 (Öl auf Leinwand)
-
-
Übergang zur blauen Periode (noch keine blaue Palette, thematisch aber schon mit
Randexistenzen beschäftigt).
Mehr ins Symbolische tendierende Auffassung.
Verschlossene Körperhaltung der Trinkerin und ihre Gefühle der Melancholie und
Einsamkeit sind bildbestimmend.
Farbigkeit im Gegensatz zur Femme dans la loge stark reduziert, flächige anstelle von
expressiver Malweise, auf die Flächenkunst mit schwarzer Konturierung Paul Gauguins
zurückgreifend.
Bildtypus des weiblichen Halbfigurenporträts durch Henri de Toulouse-Lautrec (1864-1901)
und Edgar Degas (1834-1917) angeregt.
Inhaftierte des von Nonnen geführten Krankenhauses und Frauengefängnisses SaintLazare in Paris standen Picasso Modell. Die meisten Inhaftierten waren Prostituierte.
Absinth war damals das Getränk der armen Leute, billiger als Wein, und wurde deshalb
von vielen Leuten im Übermass konsumiert.
1901 fand in der Pariser Galerie Bernheim-Jeune eine van Gogh-Retrospektive statt,
welche Picasso zu dieser Version der Absinth-Trinkerin (rot-grün-Kontrast) inspiriert haben
mag.
Le repas frugal, 1904 (Radierung und Polierstahl auf Zink, Abzug auf Vélin van Gelder; Drucker:
Louis Fort, Paris)
-
3
4
5
Ausgezehrtes, knochiges Paar beim kargen Mahl von Brot und Wein.
Thema Blindheit, leere Augenhöhlen, Blick voneinander abgewandt, einsam und
verbunden zugleich.
Inhaltlicher und künstlerischer Höhepunkt und gleichzeitig auch Vollendung der Blauen
Periode.5
Früheste grafische Schöpfung Picassos, gekonnt differenzierte Grauabstufungen, Blatt 1
der Suite des Saltimbanques von 1905 (s. Kapitel Drucktechniken, auch zu den
technischen Details).
Brassaï 1966, S. 111.
Sabartés 1956.
Ausst.kat. Basel 2013, 56.
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Entstanden im Pariser Bateau-Lavoir, einem Atelierhaus, in dem Picasso ein Atelier
gemietet hatte.
Mit der Rosa Periode, 1905 bis 1906, setzt eine thematische und stilistische Wende ein. In rosa
Farbtönen werden Gaukler und Artisten dargestellt. Die Stimmung der Bilder hellt sich durch die
sanfte Farbgebung auf. Picasso, der mehrmals wöchentlich den Cirque Médrano, einen permanenten Zirkus im Montmartre, besucht, fühlt sich im Kreise der Artisten wohl und identifiziert sich
mit ihrer Rolle als Künstler und dem Schicksal des Artistenlebens am Rande der bürgerlichen
Gesellschaft. Die Artisten der Rosa Periode verkörpern nicht eine auf das Jenseits gerichtete
Hoffnung, sondern eine für dieses Leben gemeinte Utopie.
Farbe: rosa, pastellene Farbtöne. Verdünnte, matte Farbgebung, fast zeichnerischer Charakter,
skizzenhaft, unvollendet wirkend.
Motive: Gaukler, Harlekine, Akrobaten, Schauspieler, Zusammenleben von Mensch und Tier,
Generationendarstellungen, Artisten in ihrem privaten Umfeld dargestellt.
Stilmittel: Körper werden plastischer, klassischer als in der blauen Periode, aber immer noch
Überlänge und eher schmale Figuren, Formgebung wird geometrisch härter (auch in der
Musterung der Harlekinkostüme ablesbar).
Anlehnung: Paul Gauguin (1848-1903), Henri de Toulouse-Lautrec (1864-1901) und Edgar
Degas (1834-1917) schildern die Welt des Zirkus als farbenfrohe Attraktion, für Georges Rouault
(1871-1958) und Honoré Daumier (1808-1879) sind die Gaukler eher tragische Figuren, von
Pierre Cécile Puvis de Chavannes (1824-1898) entnimmt Picasso die lockere Verteilung der
Figuren im öden Landschaftsraum und die klassische Auffassung vom Körper.
Beispiele in der Ausstellung
Les deux frères, 1906 (Öl auf Leinwand)
-
-
Eines der Hauptwerke der Rosa Periode, während viermonatigem Aufenthalt im
katalanischen Bergdorf Gósol entstanden.
In diversen Studien verschiedene Haltungen der Knaben erprobt, Kopf des grösseren
Bruders in vielen Skizzen festgehalten.
Natürliches, ruhiges Schreiten, im Gleichgewicht zwischen Verschmelzen mit dem
Bildgrund des jungen Bruders und Heraustreten aus dem Grund des älteren Bruders.
Bildgrund unbearbeitet, eine moderne Auffassung, die der klassischen Darstellung
widerspricht.
Verschiedene Phasen der menschlichen Entwicklung symbolisiert.
Nacktheit als Symbol für entspannte Beziehung zur Welt.
Anlehnung an klassische Körperdarstellung der antiken Kunst, mit der sich Picasso
intensiv im Louvre beschäftigt hat.
Eigene Motivstränge wie die Zweifigurbildnisse von Harlekinen, Gauklern und Akrobaten,
auch die Aktfigur spiegeln sich in diesem Bild wieder.
Positive Grundstimmung durch Farbgebung in warmem Terrakotta-Rot.
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Homme, femme et enfant, 1906 (Öl auf Leinwand)
-
-
Scharnierbild zwischen Ergründung sozialer und psychologischer Strukturen der Blauen
und Rosa Periode und der Revolutionierung des tradierten Bildraumes des Kubismus.
Zusammensein von Paar mit Kind ab etwa 1901 in Picassos Schaffen von Bedeutung,
schliesst an Themenrepertoire der Akrobaten-, Gaukler- und Zirkusfamilien an.
Auseinanderdriftende Blickrichtungen der dargestellten Figuren, Distanz zwischen den
Beteiligten, Beziehung zwischen den dargestellten Figuren existenziell in Frage gestellt,
kein gemeinsames Handeln, Vater mit Gesichtszügen Picassos, präsenter Blick des
Kindes im Kontakt mit dem Betrachter.
Frau im Profil mit Auge in frontaler Ansicht als erster entscheidender Bruch mit der
traditionellen Perspektive.
Bild für Picasso von besonderer Bedeutung: erstmals 1966 öffentlich ausgestellt und 1967
der Einwohnergemeinde der Stadt Basel geschenkt.
Les Saltimbanques, 1905 (Kaltnadel auf Kupfer, Abzug auf Vélin van Gelder; Drucker: Louis
Fort, Paris)
-
Details, s. Kap. Drucktechniken
Fillette à cheval, 1905/06 (Kreide und Aquarell auf Papier)
-
-
Studie aus dem Umkreis eines grossen Gemäldes mit gleicher Thematik, Picasso greift
das Motiv des Knaben, der ein Pferd führt, heraus und fügt mit dem reitenden Mädchen
das Artistenthema hinzu.
Das Motiv des Pferdeführers sowie Reiter im Sattel tauchen im Winter 1905 auf.
Darstellung von Jugend, Freiheit und Natur, Zusammenleben von Mensch und Tier.
Ähnlich wie bei Gauguin Darstellung von idealisierten, zeitlosen Figuren ohne
erzählerisches Element.
Diskussion und Umsetzung
Bild
Form, Material
Aktion, Thema
Buveuse
d’absinthe,
1901
Betrachten,
vergleichen, diskutieren
Wirkung der Farbe auf den Inhalt, Rolle der Formen
und Flächen erarbeiten:
Les deux
frères, 1906
Vor der Werkbetrachtung: Farbige Fotografien
beschreiben, Stimmung erfassen, künstlich vs.
natürlich, Farbe – Inhalt/Aussage. Wie würde das Bild
in anderer Farbe wirken? Wie verändert sich die
Aussage?
Alternativ: Farbige Brillen aufsetzen und Umgebung mit
neuem Blick erleben, erkunden, beschreiben.
Anschliessend Werkbetrachtung: Vergleich beider
Bilder bezüglich Technik, Umrisse, Flächigkeit,
Farbflächen, Motive. Erkennen der Veränderung in
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Farbigkeit, Stil, Motivik.
Welche Rolle spielen die Farben für den Inhalt bzw. die
Aussage bei Picasso? Symbolismus, geschlossene
Flächen.
Thema: Pariser Stadtleben mit Armut, Einsamkeit,
Existenzfragen, Schwermut, Hilflosigkeit,
Hoffnungslosigkeit, Melancholie und Aufenthalt in
Gósol in den Pyrenäen, Nacktheit, Unbeschwertheit,
positive Grundstimmung, Entrücktheit,
Generationenfrage.
Begriffe erläutern: Narr, Gaukler, Pierrot, Harlekin.
Aktualisierung:
Wie drückt man Empfindungen wie z.B. Frust heute
aus? Wie bewältigt man ihn? Trinken, beieinander
sitzen, Schlägerei, Sport, Musik machen, putzen, etc.
Einsamkeit heute: Erkennungsmerkmale, Orte,
Situationen, Gefühl/innere Bilder, Ausdruck, Momente
der Isolation. Armut = Einsamkeit?
Fahrende, Gaukler, Aussenseiter: Gibt es Fahrende
heute noch? Wie ist ihre Rolle in der Gesellschaft?
Wagen-Leute in Basel, Bewilligung, alternative
Lebensweise, Entwurzelung, Rolle des Zuhauses.
Doppelleben Schauspiel-Realität / Fröhlichkeit –
Traurigkeit /Schein – Sein. Wer ist heute Aussenseiter?
Buveuse
d’absinthe,
1901
Bewegen, skizzieren
Papier, Bleistift,
Unterlage
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Haltung der Absinthtrinker nachempfinden und den
damit verbundenen Gemütszustand beschreiben.
Gegensatz dazu entwerfen: Haltung einnehmen und
auf Blatt skizzieren.
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3.2 Kubismus (Räume 4, 5, 6)
„Der Kubismus ist die wohl revolutionärste bildnerische Erneuerung in der Kunst seit der
Renaissance. Er veränderte die Malerei, Bildhauerei und schliesslich auch die Architektur von
Grund auf.“7
Der Kubismus wurde zwischen 1909 und 1915 als ein Gemeinschaftswerk von Pablo Picasso und
George Braque entwickelt. Er gilt als gestalterische Pionierleistung mit enormer Ausstrahlung auf
die Kunstwelt. Man unterscheidet zwei Phasen: den sogenannten analytischen und den sogenannten synthetischen Kubismus. In der Ausstellung sind ebenfalls Werke aus der frühkubistischen Phase zu sehen. Obwohl Picasso mit der Abstraktion experimentierte, war sie nie sein
Ziel. Der erkennbare Wirklichkeitsbezug war stets wichtig. Der Begriff Kubismus leitet sich von
einer Kritik des französischen Kunstkritikers Louis Vauxcelles ab, die er 1908 in der Zeitschrift „Gil
Blas“ anlässlich einer Ausstellung von Georges Braque bei Daniel-Henry Kahnweiler veröffentlicht
hat: M Braque construit des bonshommes métalliques et déformés qui sont d'une simplification
terrible. Il méprise la forme et réduit tout, sites figures maisons, à des schémas géométriques, à
des cubes [...]."
3.2.1 Protokubistische Phase / Vorläufer
Paul Cézannes Maxime: Man behandle die Natur gemäss Zylinder, Kugel und Kegel, Vereinfachung der Formen (Stereometrie), konkave und konvexe Körper.
Narration: Anstelle von Erzählung rückt die Bilderfindung, die Bildgestaltung ins Zentrum. Phase
der Formverdichtung und Verwandlung von narrativer Szene mit Figuren in ein Stillleben: Abbruch
der Narration zugunsten der Analyse von Oberfläche und der Struktur der Dinge, also weg von
erzählender und hin zu analytischer Malerei.
Bildraum: Konzeption der unterschiedlichen Blickpunkte, labile Verortung der Gegenstände im
Bildraum, Reduktion des Tiefenraums auf Zweidimensionalität.
Neu: Beginnende Geometrisierung, zwar noch intakte Formen, aber stark vereinfacht und
unterschiedliche Blickpunkte.
Beispiele in der Ausstellung
Pains et compotier aux fruits sur une table, 1908/09 (Öl auf Leinwand)
-
Stillleben: Auf dem Tisch befinden sich Brote, eine Schale mit Früchten und im
Hintergrund ein mit ornamentalen Blattformen gemusterter Vorhang.
Figürliche Szene: Ursprüngliche Idee war eine Tischgesellschaft mit zentraler Gestalt
eines Harlekins. Der Umwandlungsprozess ist ablesbar an Étude de „Carnaval au bistrot“
von 1908/09.8 Die Komposition blieb dieselbe, nur aus Figuren wurden stereometrische
7
8
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Objekte des Stilllebens. Der Oberarm und die linke Schulter der menschlichen Figur sind
noch im Faltenwurf des grünen Brokatvorhangs ablesbar.
Bild bleibt durch dunkle Farbigkeit und betonte Plastizität der Gegenstände geheimnisvoll.
Das Bild könnte eine Erinnerung an das Bankett gesehen werden, das Picasso für seinen
Künstlerfreund Henri Rousseau in seinem Atelier organisiert hat. Dann wäre es eine
versteckte Hommage an den Malerkollegen.
Bezug zu Cézannes Stillleben mit Vorhang und bemaltem Krug, um
1890: ebenfalls Vorhang in der linken oberen Bildecke, der einen
Übergang von Hintergrund in den Vordergrund schafft. Unterschied zu
Cézanne: keine unscharf konturierte, nebeneinander gesetzte
Farbflecken, Picasso setzt noch auf scharfe Konturen und glatte,
verschlossene Oberflächen. Nur an wenigen Orten ist der Pinselduktus zu sehen.
Reduktion auf zylindrische und kugelförmige Körper: Der Vorhang wird zu Röhrenformen,
Brote werden zu zwei parallelen Zylindern, Schale wird zur konkaven und konvexen Form
mit einem eiförmigen Zwischenteil, Äpfel und Melonen werden zu Kugeln. Das
angeschnittene Brot wird zum plakativen Halbkreis. Auch Schatten werden scharf
konturiert.
Positionierung der Körper im perspektivischen Bildraum unsicher. Tiefenraum scheint auf
zweidimensionale Bildfläche reduziert. Das Bild steht damit am Anfang der
Formverdichtung. Der Tisch wird in Aufsicht gezeigt, die Tischplatte weist gegen hinten
keine gleichmässige Tiefe auf. Die Schnittfläche des Baguettes erscheint als Halbkreis,
der gleiche Brotlaib formt einen Doppelbogen nach hinten. Der Augenpunkt liegt bei der
Fruchtschale höher als bei der umgestülpten Tasse rechts, die in Seitenansicht gezeigt
wird.
Als erstes Gemälde 1951 auf Initiative von Georg Schmidt angekauft, ein Schlüsselwerk
Picassos aus der protokubistischen Phase. Dazu gehört die Vorstudie Les pains sur la
table, 1908/09, im selben Raum.
„Dieses Stillleben gehört zweifellos zu den bedeutendsten Stücken Picassos aus der
frühkubistischen Zeit, es zeigt eindeutig die direkte Anknüpfung an Cézanne […].“9 Das
Werk steht für eine der zentralen Entwicklungen der Moderne am Übergang zur
Abstraktion: für das Ende einer erzählenden Malerei ebenso wie einer Malerei der
sichtbaren Oberflächen.
Skizze zu Les Demoiselles d’Avignon, März / April 1907 (Schwarze Kreide und Pastell über
Bleistift auf Ingres-Papier)
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Geschenk Picassos zusätzlich zu den Werken aus dem Jahr 1967, die der
Museumsdirektor Franz Meyer beim Besuch in Picassos Atelier am 20. Dezember 1967
aussuchen durfte (siehe dazu Kap. 6).
Skizze für das Gemälde Les Demoiselles d’Avignon von 1907, das dem Museum of
Modern Art in New York gehört. Jenes Werk gilt als Kulminationspunkt von Picassos
Frühwerk und ist durch Cézannes Werkzyklus der Badenden inspiriert. Die plastisch
ausgeprägten Körperformen aus Picassos Frühwerk werden zu halb abstrakten
Konstruktionen aus scharf umgrenzten, sich überlagernden Köperformen.
Das erzählerische Moment ist hier noch vorhanden und kann daher als szenische
9
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Darstellung gewertet werden. Die Studie zeigt, dass Picasso von einer Begegnung im
Vorraum eines Bordells ausgeht, wo sich fünf Prostituierte in zum Teil provozierenden
Posen dem Betrachter zuwenden und feilbieten. Der Raum wird von einem schwarzen
Vorhang begrenzt und zwei dunkel gekleidete Männer gesellen sich zu den nackten
Frauen. Der Mann in der Mitte stellt einen Matrosen dar.
Thema ist die Darstellung von anonymer Sexualität in einem Bordell, ein Thema mit
subversiver Sprengkraft. Seit 1901 widmet sich Picasso der Darstellung von Kokotten und
Dirnen, doch erfahren die Frauenfiguren eine Wandlung zu muskulösen, selbstbewussten
Verkörperungen des Triebhaften. Schrittweise hat Picasso die beiden männlichen Figuren
eliminiert und die maskenähnlichen Gesichter der Frauen ausgearbeitet (siehe Femme
(Époque des „Demoiselles d’Avignon“) 1907 in der Ausstellung, Raum 1).
Bereits in der Studie ist der Einfluss der Kunst Schwarzafrikas und Ozeaniens zu spüren,
woraus maskenhafte Köpfe entstehen. Picasso soll, so berichtet der französische Dichter
Max Jacob später, afrikanische Skulpturen erstmals in der Wohnung von Henri Matisse
gesehen haben.
3.2.2 Sogenannter Analytischer Kubismus
Farben: Reduktion der Farbigkeit auf braun-graue Töne zwecks Konzentration auf die
Entwicklung der neuen Formensprache.
Formen: die geschlossenen Formen eines Körpers werden aufgebrochen. Es entsteht ein
dichtes, facettiertes Formengefüge (Geometrisierung/Vereinfachung, Verzerrung, Zergliederung,
Auflösung).
Bildgründe: die herkömmliche Aufteilung eines Bildes in Vorder-, Mittel- und Hintergrund wird
aufgehoben. Teile der Figur verfliessen mit dem Bildraum. Die Bildgründe changieren unentwegt
und erschweren die Lesbarkeit des Raumes (Scheinrelief, Spiel mit Bildhierarchien, Spannung
Muster vs. Modellierung).
Trompe-l’œuil-Elemente: Einbezug von realistisch aufgefassten Elementen (z.B. Kordelschnüre
bei Mandoliniste, 1911, gekämmte Haare bei Le poète, 1912). Sie stehen im Gegensatz zu
abstrahierenden Elementen und verschachtelten Kompositionen und bilden wichtige Referenzpunkte für das Auge. Picasso spielt mit dem natürlichen Drang des menschlichen Auges, ein Bild
nach Bekanntem abzusuchen.
Schablonen, Hilfsmittel: Einbezug von Buchstaben und Zahlen, die mittels Schablonen und
Farbe aufgetragen werden (z.B. La tasse (Le bouillon KUB), 1912). Mit dem Handwerk entlehnter
Hilfsmittel werden Strukturen imitiert (z.B. Malerkamm bei Le poète, 1912, beides Erfindungen von
Georges Braque). So verschwindet die individuelle Handschrift des Künstlers und die Bildsprache
wird zunehmend unpersönlich.
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Beispiele in der Ausstellung
Mademoiselle Léonie, 1910 (Öl auf Leinwand)
-
-
Nebst dem Stillleben war die Wiedergabe der Figur bzw. das Porträt zentrales Genre,
besonders zu Beginn der kubistischen Phase.
Aufsplitterung der Formen in grossräumige Facetten vollzogen. Die zarte Gestalt der Frau
ist noch erkennbar. In der rechten Gesichtshälfte sind die Gesichtszüge und die Frisur
noch intakt. Die linke Hälfte hingegen ist verzerrt und zerstückelt, aber zugleich auch mit
dem Bildraum verbunden.
Bei Mademoiselle Léonie handelt es sich um eine Figur aus dem 1909 erschienenen und
von Picasso illustrierten Roman Saint Matorel von Max Jacob (Hg. Daniel-Henry
Kahnweiler, s. Kap. Künstlerfreunde und Kunsthändler).
Tête moustachue, 1912 und Tête d’homme (Tête moustachue) 1910 oder 1912 (Kohle auf
Papier)
-
Die beiden Kohlezeichnungen geben einen Einblick in den Zerlegungsprozess von
kubistischen Bildern: einmal streng linear, einmal mit ergänzten Hell-DunkelSchraffierungen. Die Freude am Spiel mit geometrischen Formen wird gepaart mit dem
Einfügen von wiedererkennbaren Elementen als Ankerpunkte für das Dargestellte.
Erkennbar ist das fragile Leichtgewicht zwischen abstrahierender Komposition und
wiedererkennbarer Figur.
Le poète, 1912 (Öl auf Leinwand)
-
-
Picasso übernahm Braques Idee, den Malerkamm für die Wiedergabe von Strukturen (v.a.
Holzmaserung) zu benützen und gestaltete damit die Haare und den Schnurrbart des
Poeten. Picasso setzt den Kamm humoristisch ein und hat dem Poeten im wahrsten Sinne
des Wortes die Haare gekämmt. Die feinen, regelmässig geschwungenen Linien bilden
einen Gegensatz zur strengen Gesichtsarchitektur. Der Dichter wirkt nobel und dandyhaft.
Picasso arbeitet einen gewissen Typus und nicht eine bestimmte Person heraus.
Die Gesichtszüge sind gut lesbar: Haare, Stirn, Augen, Nase, Ohren, Kinnbart, Mund mit
Pfeife werden aus verschiedenen Blickwinkel gezeigt, bleiben aber noch als naturalistische
Anhaltspunkte lesbar. Doch ist die zeichnerische und karikaturistische Begabung von
Picasso gut erkennbar.
3.2.3 Sogenannter Synthetischer Kubismus
Collage: Einbezug von bisher kunstfremden Materialien, z.B. ein Stück Wachstuch, als
inhaltlicher Verweis auf eine Materialstruktur, z.B. Muster eines Rohrgeflechts. (Picasso). Auch
Imitation von Collagen möglich.
Papiers collés: Einbezug von Papierstücken, Tapetenresten oder anderen Elementen aus der
realen Welt als malerische Elemente jenseits des gegenständlichen Inhalts. (Braque)
Fläche, Ruhe: Räumliche Perspektive weicht zugunsten von Flächigkeit, Formen werden in
grössere, ruhigere Einheiten gefasst. Mehrdeutigkeit der Formen bleibt.
Farbe: Rückkehr der Buntfarben, allerdings meist losgelöst vom dargestellten Objekt.
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Material, Technik: Das Atelier wird durch den Einsatz neuer Materialien und Techniken als Ort
handwerklicher Arbeit greifbar: Karton, Sand, Sägemehl, Metallspäne, Ripolinlack, Papier, Holz,
Blech, Schablonen, Rasiermesser, Malerkämme. Schablonenschrift, Beimischung von Sand unter
die Farbe, Holz- und Marmorimitationen, papiers collés.
Narration: Obwohl das erzählerische Element zurückgebunden ist, fliesst die Narration auf
symbolischer Ebene wieder ein: die gedruckten Worte bieten Platz für Anekdotisches und
Witziges.
Beispiele in der Ausstellung
Le Guéridon, 1913-14 (Öl auf Leinwand)
-
-
Scheint eine Collage zu sein, ist jedoch mit Ölfarbe gezeichnet und gemalt. Die Collage
wird imitiert. Die Farbflächen wurden mit einer Schablone aufgetragen und zeigen ein
feines Relief. Verschiedene Techniken und Stile werden verwendet, Referenz auf eine
Collage: abstrakte geometrische Formen stehen neben naturalistisch erfassten Objekten
und Fragmenten. Der hölzerne Tisch wird in seiner Materialität charakterisiert: zum Teil
gehobelt, zum Teil als Baumäste mit Rinde. Die Farbe ist pastos aufgetragen. Auf dem
Tisch liegt ein hölzernes hornähnliches Instrument. Links und rechts schweben
Tannenzapfen. Alles wirkt leicht und körperlos, wie die Töne der Instrumente im Raum.
Verschiedene Blas- und Saiteninstrumente werden auf und neben einem kleinen Tisch
zerstückelt wiedergegeben. Die Elemente wirken wie übereinander geklebt.
Übergreifende Neuerungen
-
Multiple Perspektive statt Zentralperspektive.
-
Zunächst offene Umrisse, Teilformen, Stückelung statt geschlossene, abgerundete,
vollständige Formen. Danach ruhiger und flächiger.
-
Neues, freies Zusammensetzen der Einzelteile statt Illusion durch Räumlichkeit und
Plastizität.
-
Dynamisierung statt konsistente Einheitlichkeit.
-
Braun- und Grautöne und gegenstandsferne Buntfarben statt realistische Gegenstandsfarben.
-
Bildform zwischen Abbildung und Abstraktion.
-
Gewichtung der formalen Gestaltung statt bildnerischer Erzählung.
-
Aktivierung des Sehprozesses beim Betrachter.
-
Motive: Stillleben mit Alltagsgegenständen aus dem persönlichen Umfeld, Figur, Porträt,
wobei eher eine Typisierung als individuelle Modellierung geschieht.
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Diskussion und Umsetzung
Bild
Form, Material
Aktion, Thema
Pains et
compotier
aux
fruits sur une
table, 190809
Betrachten,
vergleichen
Überführung Figurenbild – Stillleben nachvollziehen:
Anfang Kubismus: Formverdichtung, Geometrisierung,
Flächigkeit
Gewichtung von Narration und Gestaltung
Vorbereitung Kubismus, Prozess der Abstraktion
In der Schule
Vergleich mit
Abbildung:
Studie zu
»Karneval im
Bistro«,
1908 /09
Bleistift und
blaue Tinte auf
Papier (Abb. S.
80 im Katalog)
Farbigkeit, Räumlichkeit/Plastizität
Tasten, Auslegen
Aneignung von Konkretheit, Geometrisierungen, Verdichtung
mit verschiedenen Sinnen:
Bauklötzchen in
einem Sack
Abbildung:
kubistisches
Stillleben
Klotz aus Sack nehmen, blind ertasten, Kanten und Flächen
zählen, Charakter beschreiben, Farbe geben.
Augen öffnen, Beschreibung verifizieren, aus dem Kopf
Dinge in Welt benennen, wo die eigene Form vorkommt:
eigener Körper (Arme, Beine Gesicht, etc.), Architektur, etc.
In Kleingruppen aus einzelnen Klötzen Gemeinschaftsbild
legen: Gesicht, Körper, Gebäude, etc.
Danach Werkbetrachtung: geometrische Formen in
kubistischem Bild wiederfinden, den bezeichneten Objekten
zuordnen. Flächigkeit vs. Plastizität/Räumlichkeit.
Buveuse
d’absinthe,
1901
Femme
(Époque
des
"Demoiselles
d'Avignon"),
1907
Skizze zu
"Les
Demoiselles“
Betrachten,
vergleichen
Vergleich von Formen, Farben, Konturen, Ausführung,
Flächigkeit, Aussage:
Vergleich mit
Abbildung
Picasso
Les Demoiselles
d’Avignon
Juni – Juli 1907
Öl auf Leinwand
Maskenhaftigkeit: Einfluss ozeanischer, afrikanischer Kunst.
Das Fremde, Exotische, Andere.
Betrachten,
vergleichen
Rolle der vorbereitenden Skizze und Studie als Schritte im
Prozess der Bildentwicklung erkennen:
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Abstraktionsprozess, Motiv der Bordellszene, Bedeutung des
Hauptwerks Picassos.
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März/April
1907
Studie zu
"Les
Demoiselles
d'Avignon",
Mai 1907
Tête
moustachue,
1912
Vergleich mit
Abbildung:
Les Demoiselles
d’Avignon. Juni –
Juli 1907, Öl auf
Leinwand.
Geschenke von Picasso und Douglas Cooper nach Basler
Abstimmung 1967.
Vergleich mit
Abbildung: Paul
Cézanne: Cinq
baigneuses,
1885/87,
Kunstmuseum
Basel
Betrachten,
vergleichen
Entwicklungsschritte im Gestaltungsprozess erkennen:
auslegen
Konkrete bzw. geometrische Formen und Formen mit
Erkennungsmerkmalen (Auge, Lippe, Ohr, etc.) zu Gesicht
auslegen.
Tête
d’homme
(Tête
moustachue)
1910 oder 12
In der Schule
Vergleich mit Cézannes Badenden. Überführung in
Bordellszene, Rolle der Demoiselles im Werk Picassos und
in Kunstgeschichte.
Flache
geometrische
Formen mit
Konturen
Konturen, Wiedererkennung, Einsatz von Schraffuren,
Lichtführung, Räumlichkeit, Linearität, Multiperspektivität,
Figuration vs. Abstraktion
Formen verschieben: Zerlegen und Zusammenfügen,
Ordnung vs. Unordnung, Überlappung/Räumlichkeit,
Andeutung vs. Konkretisierung. Was wäre der nächste
Schritt? Erkennungsmerkmale entfernen,
Abstraktionsprozess vorantreiben, Assoziationsräume öffnen
sich. Picasso hat die Abstraktion nie ganz vollzogen.
Vergleich mit
Abbildung Tête
moustachue,
1912
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Le poète,
1912
Betrachten
Erkennungsmerkmale finden, aus zerfallenen Formen
Gesicht zusammen setzen, Motiv erkennen, Typ vs. Porträt.
Räumlichkeit/Polyperspektive nachvollziehen.
Kamm-Technik (Malerkamm).
Begrifflichkeit: sogenannter analytischer Kubismus.
Dichter  Verdichtung, Bezug zu Apollinaire (siehe Kap.
Künstlerfreunde).
In der Schule
In der Schule
Gestalten
Mehransichtigkeit erzeugen:
Spiegelfolienpapi
er, Schere,
Karton, Klebstoff
Spiegel erstellen aus zerschnittenem Spiegelfolienpapier.
Teile schneiden und versetzt ankleben. Einzelne Teile mit
einem Stück Karton unterlegen, um einen schiefen Winkel zu
erzeugen.
Gestalten
Collage erstellen, Zusammenwirken unterschiedlicher
Materialien erfahren:
Verschiedene
Papiere (u.a.
Zeitungspapier)
Kohle
Kubistisches Stillleben mit Kohle zeichnen und eine oder
mehrere Formen mit Zeitungspapier ausfüllen. Collage, Rolle
Papier als Grundlage und Fremdkörper
Abbildung:
Bouteille sur une
table, 1912 (Kat.
S. 94)
L’ aficionado,
1912
Betrachten
Farbigkeit, Wiedererkennungsmerkmale, Schablonenschrift,
fliessende Bildgründe
Thema Torero, Leidenschaft Picassos, Spiel mit Grenzen
und Spannungsmomenten gestalterisch und in Realität.
In der Schule
Gestalten
Kubistisches Bild von einem Typ Mensch erstellen:
Papier, Farbstift,
Foto aus
Werbung,
Schere, Leim,
Markantes Gesicht oder Körper aus Magazin- oder
Internetwerbung ausschneiden, in Stücke schneiden,
verschoben auf A3 Papier aufkleben, kompositorische Linien
ziehen, Gesamtbild übertragen auf neues Blatt und eigene
Schraffuren einsetzen, neue Muster und neue Räumlichkeit
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schaffen.
Le Guéridon,
1913-14
Betrachten
Gestaltungsform des sog. synthetischen Kubismus
nachvollziehen:
Geometrische Formen kombiniert mit Stillleben aus
Atelieralltag, Farbigkeit
Collage nur imitiert
Begrifflichkeit: sogenannter synthetischer Kubismus
In der Schule
Gestalten
Collage:
Holzfurnier,
Papier, Karton,
Notenblätter,
Zeitungen,
Tapetenpapier,
Schleifpapier,
etc.
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Collage anfertigen aus verschiedenen Materialien.
Kubistisches Stillleben zeichnen und einzelne Formen
ausmalen oder bekleben.
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3.3 Neoklassizismus (Räume 6, 7, 10)
Picassos neoklassizistischen Werke entstehen etwa zwischen 1917 und 1930. Der Übergang
zwischen Kubismus und Neoklassizismus ist fliessend. Picasso hinterfragt seine malerische
Ausdrucksweise immer wieder und sucht neue Wege der Darstellung. Bei seiner Italienreise 1917
begegnet ihm in Rom, Neapel und Pompeji die klassische Antike (Reise anlässlich der Arbeit an
Bühnenbild und Kostümen für das Ballett Parade (Musik Erik Satie) von Jean Cocteau (für die
berühmten Ballets Russes von Serge Diaghilev geschrieben)). Die dort vorherrschende Betonung
des Körperlichen, die Volumen und die Monumentalität beeinflussen ihn in der Darstellung seiner
Figuren. Er ist der realistischen Abbildung nach dem Vorbild des klassizistischen Malers JeanAuguste-Dominique Ingres (1780-1867) verpflichtet, der seinerseits nach antikem Vorbild gemalt
hat. Diese Rückkehr zum Gegenständlichen ist in der Zeit des Ersten Weltkrieges und danach ein
in der Kunst generell zu beobachtendes Phänomen (retour à l’ordre).
Farbe: Realistische Farbgebung, teilweise Vielfarbigkeit.
Motive: Harlekine, Gaukler, Tänzerinnen, mythologische Themen, Frauenkörper und –köpfe,
Badende, Stillleben, Mutter mit Kind.
Stilmittel: Einerseits klassische Darstellung des menschlichen Körpers mit realistischen
Proportionen, andererseits aufgeblähte Formen, Vergrösserungen und Verlängerungen zu
monumentalen, irrealen und riesenhaften Körpern (insbesondere Extremitäten) mit starken
Umrisslinien, minimale Gestaltung des Hintergrundes.
Anlehnung: Künstler der Antike und der Renaissance, Jean-Auguste-Dominique Ingres (17801867), Fotografie (Picasso arbeitete um 1917 häufig direkt nach schwarz-weiss Fotoaufnahmen,
deshalb Bildgegenstände mit einfachen Umrisslinien und gewisse Starrheit im Ausdruck.
Wiederholte intensive Auseinandersetzung mit der Harlekin-Figur aus der Commedia-dell’Arte
(eine Form der italienischen Volkskomödie) seit 1900, hier anlässlich der Zusammenarbeit mit
Jean Cocteau (s.o.).
Pierre Cécile Puvis de Chavannes (1824-1898): Puvis Malerei stand für eine Auseinandersetzung mit der Wandmalerei der italienischen Renaissance und der Kunst der klassischen
Antike; ein strenger, zugleich aber idyllischer Klassizismus, der im deutlichen Gegensatz zur
opulenten akademischen Malerei der Belle Epoque sowie zum Impressionismus stand. In seiner
Behandlung von Bildraum, Farbe und Bildstimmung wurde Puvis für einen Teil der Avantgarde zu
einem wichtigen Vorbild. In diesem Sinn nahm auch Picasso, der an der Akademie von Madrid die
griechische und römische Antike anhand von Gipsabdrücken studierte, Puvis de Chavannes’
Bildwelten begeistert auf.
Beispiele in der Ausstellung
Arlequin jouant de la guitare, 1914-18 (Öl auf Leinwand)
-
Harlekin-Figur aus Commedia-dell’Arte mit typischen Attributen: Hut in Form eines
Zweispitzes, plissierter Kragen und Rautenmuster auf der Brust.
Einsatz von figurativen (eine Umrissform, geschlossene, erkennbare Auffassung von Figur,
beruhigt das Bild) und kubistischen (geometrische Formen) Elementen. Die einzelnen
Flächen sind collageartig übereinander geschoben, sodass eine gewisse Körperlichkeit
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-
entsteht.
Einsatz von fremden Materialien: Das linke, mit echtem Knopf besetzte Auge schaut den
Betrachter eindringlich an.
Harlekin ist hinterfangen von raumartigem Hintergrund mit Holz-Sockelleiste und
holzimitierender Wandverkleidung.
Arlequin au loup, 1918 (Öl auf Leinwand)
-
-
Harlekin-Figur aus Commedia-dell’Arte mit typischen Attributen: Hut in Form eines
Zweispitzes, plissierter Kragen und Gewand mit Rautenmuster.
Harlekin steht für seinen Bühnenauftritt bereit mit Halbmaske in linker Hand und Arme im
Redegestus. Minimale Andeutung des Hintergrundes (Bühnenvorhang). Picasso hat hier
nach seiner Rückkehr aus Rom seine Bühnenerfahrung verarbeitet.
Geprägt von gewandeltem, neoklassizistischen Stil. In der Farbgebung und der figürlichen
Darstellung klingt die Rosa Periode wieder an.
Arlequin assis, 1923 (Öl auf Leinwand)
-
-
Harlekin-Figur im Dreiviertelprofil mit leicht erhobenem Kopf und in die Ferne gerichtetem
Blick, Gewand mit Rautenmuster hat Picasso 1916 von Jean Cocteau geschenkt erhalten
(s.o.).
Harlekin im Gegensatz zur Rosa Periode nicht als Figur in gewisser Überlänge und
äusserst grazil dargestellt, sondern mit realistischen menschlichen Proportionen.
Der katalanische Maler Jacint(o) Salvadó (1892-1983) diente Picasso als Modell.
Es existieren neben der Basler Version drei weitere Fassungen von 1923, alle haben einen
monochromen Hintergrund.
Verdünnte, matte Farbgebung, fast zeichnerischer Charakter, skizzenhaft, unvollendet
wirkend.
Das Bild hat 1923 ursprünglich Karl im Obersteg erworben, tauschte es bei Picasso aber
gegen eine andere Version des Harlekin, da ihm die Kopfhaltung des Harlekins unnatürlich
erschien. Rudolf Staechelin übernahm daraufhin den Arlequin assis.
La bouteille de vin, 1926 (Öl auf Leinwand)
-
-
Farbintensive Komposition aus Früchte- und Musikstillleben. Innenraum mit Gitarre,
Weinflasche, Obstschale, Glas, Äpfeln und Notenblatt auf einem Tisch.
Gegenstände sind zwar nur flache Farbformen, aber gut erkennbar dargestellt, haben
einen stark kubistischen Akzent, Stapelung kubistisch flächiger Raumelemente auf
collagenartige Weise.
Die Gegenstände liegen und stehen in Paaren nebeneinander: Gitarre neben Weinflasche,
Apfel zwischen Obstschale und Rotweinglas.
Bildhintergrund mit dem den Innenraum erhellenden Fenster ist schwer lesbar.
Kubismus gilt nicht mehr als Avantgarde, teilweise gut lesbar und anpassungsfähiger Stil,
erlaubt andere Gewichtung.
Tête de femme, 1921 (Pastell auf Papier)
-
Wahrscheinlich stand seine Frau Olga Koklowa für diese Pastellzeichnung Modell.
Wie von Bildhauer modellierter Kopf, etwas zwischen Bild und Skulptur, starke Stilisierung,
Idealisierung und Monumentalisierung des Modells, einzig die Frisur mit gewelltem Haar
lässt beim Vergleich mit Fotografien auf Olga schliessen.
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-
Studie steht im Zusammenhang mit dem grossen Gemälde Trois femmes à la fontaine (La
source) von 1921 (Museum of Modern Art, NY) und lässt antike Vorbilder erkennen.
Diskussion und Umsetzung
Bild
Form, Material
Aktion, Thema
Arlequin
jouant de
la guitare,
1914-18
diskutieren
Unterschiede mittels Betrachtung und Argumente
erschliessen:
3 Gruppen bilden, jeder Gruppe einen Harlekin zuordnen.
Merkmale des Bildes in Form von potentiellen Gedanken des
Harlekins notieren. Die anderen beiden Harlekine ebenfalls
anschauen, Bilder vergleichen, Unterschiede notieren.
Gruppe bestimmt SprecherIn. SprecherInnen repräsentieren
eigenes Bild und vertreten es im Zwiegespräch mit den
anderen RepräsentantInnen. Debatte: welcher Harlekin mehr
gefällt und weshalb.
Arlequin au
loup, 1918
Arlequin
assis, 1923
Arlequin
assis, 1923
Anhören,
diskutieren
Basler Abstimmung 1967 erzählen und aktualisieren mittels
Diskussion:
Les deux
frères,
1906
Zitate, Fotos
- Debatte analysieren mittels Zitate: Argumente Pro und
Contra
- Aktualisierung Kunstdebatte: welche Argumente pro und
contra zeitgenössische Kunst
- Massen mobilisieren heute, wie und zu welchen Themen?
- Stimmrecht: Geschichte, Gebrauch
Arlequin
assis, 1923
Diskutieren
Mehrheitsfähigkeit von Picassos Kunst:
Les deux
frères,
1906
In der
Schule
Zeichnen, Musik
hören
Papier, Stift,
Musikgerät,
bewegte Musik
-
Rolle in der Kunstgeschichte
-
Rolle in der Bevölkerung
-
Rolle des Museums
-
Kunst und Geldwirtschaft
-
Welche Kunst wäre heute mehrheitsfähig?
Spielerisches Zeichnen üben:
Zentrale Gattung bei Picasso: Zeichnen. Spielerischer
Umgang mit der Linie. Leichtigkeit, Lockerheit, Tänzerisches
und fliessendes Element.
Zu Musik zeichnen ohne Stift abzusetzen.
Abbildung: Peintre
et modèle tricotant, 1927 (Kat. S.
115)
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3.4 Surrealismus (Räume 9, 11)
Der Surrealismus wurde 1924 vom französischen Dichter André Breton mit der Publikation des
ersten Surrealistischen Manifestes begründet. Den Begriff verwendet hatte allerdings schon der
französische Dichter und Kunstkritiker Guillaume Apollinaire auf dem Programmzettel des 1917
aufgeführten Ballets Parade (s. Kap. 5 Künstlerfreunde). Er versucht, die Erkenntnisse der Freud’schen Psychoanalyse, zum Beispiel zum Unterbewussten, auf Kunst und Literatur zu übertragen
und anschaulich zu machen, nimmt keine Rücksicht auf die naturgesetzliche, kausale Ordnung
der Sinnendinge und bringt das Irrationale zur Geltung. Die visuelle Wahrheit liegt irgendwo
zwischen Traum und Wirklichkeit. Überraschendes und Rätselhaftes begegnet dem Betrachter.
Parallel zu Picassos neoklassizistischer Phase entstehen ab 1925 bis etwa 1938 Werke, die einen
Bezug zum Surrealismus aufweisen.10 Picasso ist 1925 an der ersten Surrealisten-Ausstellung
des Pariser Galeristen Pierre Loeb vertreten. André Breton sucht jahrelang den Austausch mit
Picasso und bildet dessen Werke immer wieder in seinen Zeitschriften ab. Picasso lässt sich aber
nur teilweise in den Surrealismus integrieren. Mehrfach geht er auf Distanz zu den Surrealisten:
„Manche nennen die Arbeiten, die ich in einer bestimmten Periode geschaffen habe, surrealistisch. Ich bin kein Surrealist. Ich bin nie von der Wahrheit abgewichen. Ich bin immer in der
Wirklichkeit geblieben.“12 Er lehnt Bretons Forderung nach automatisch gelenkter Gestaltung
unter dem Diktat des Unterbewussten ab. Massgeblich für Picasso bleibt die sichtbare Natur.
Picasso sucht nach einer “tieferen Ähnlichkeit, die realer ist als die Realität und so das Surreale
erreicht“14 Ihn interessieren die Formverwandlungen, die Metamorphosen. Mehrere bereits
erprobte Stile treten nebeneinander auf, kubistische und klassizistische Elemente gleichzeitig, sie
sind surreal kombinierbar und bieten die Möglichkeit, die Wirklichkeit zu erfassen. Das Schöpferische der neuen Formen ist zentral, um die Realität noch sichtbarer zu machen. So bleibt der
Surrealismus für beide Seiten inspirierend, aber Picasso lässt sich von seiner ständigen
Auseinandersetzung mit der Aussenwelt nicht abbringen.
Neu: Formenreichste Periode Picassos, reicher an bildlichen Imaginationen und formalen
Erfindungen und auch Inhalten.
Charakteristik: Arbeitet in Werkgruppen, die ihn nur wenige Tage beschäftigen und die
verschiedenen Möglichkeiten eines Themas durchspielen. Er vermeidet Stil und Kontinuität.
Arbeitet sehr zeichenhaft. Picasso ist kühn im Umformen, Verknappen, Verändern, Verschlüsseln,
Deformieren und Dissoziieren.
Motive: Liegende nackte Frau, Frau im Fauteuil sitzend, weinende Frau, Badende, Maler und
Modell, der sexualisierte Körper wird im Gegensatz zum Kubismus (in verborgenen Wortspielen)
und zum Neoklassizismus (in Gestalt erotischer Mythologien) zum vordringlichen Bildthema.
Stilmittel: Starke Vereinfachung von Formen, verfremdete, verkürzte, aber erkennbare
Körperteile, spezielle Morphologie des menschlichen Körpers, Bildelemente werden aus dem
Übereinanderlegen von Zeichnung und geometrischen Flächen generiert, Farbkompositionen
10
12
14
Die Fachwelt datiert die Dauer der surrealistischen Phase bei Picasso unterschiedlich.
Weisner 1991, S. 144.
Weisner 1991, S. 144
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genau entwickelt, grössere zusammenhängende Farbflächen, aber Unterordnung der Farbe unter
die Form, das Persönliche wird dadurch verfremdet.
Anlehnung: Eigene kubistische und neoklassizistische Phase, Juan Miró (1893-1983), andere
Surrealisten
Zitate:
„Es gibt keine abstrakte Kunst. Man muss immer mit etwas beginnen. Nachher kann man all
Spuren des Wirklichen entfernen. Dann besteht ohnehin keine Gefahr mehr, weil die Idee des
Dinges inzwischen ein unauslöschliches Zeichen hinterlassen hat. Es ist das, was den Künstler
ursprünglich in Gang gebracht, seine Ideen angeregt, seine Gefühle in Schwung gebracht
hatte.“16
Françoise Gilot äussert sich zu Marie-Thérèse Walter: „Sie wurde für ihn der leuchtende Traum
von Jugend, der immer im Hintergrund, doch immer greifbar sein Werk nährte… Ich begriff, dass
sie von allen Frauen Pablos bildnerische Phantasie am stärksten erregt hatte. Ihr fesselndes
Gesicht, ihr reines, griechisches Profil erscheint in der ganzen Folge der Porträts von blonden
Frauen, die Pablo zwischen 1927 und 1935 malte… Ihre Gestalt war von statuarischer Schönheit
und von einer Reinheit der Linie, die mir ausserordentlich vollkommen schien….. Marie-Thérèse
war die ideale Verkörperung all seiner Wünsche und Sehnsüchte, all dessen, was er sich
erträumte: Skulpturale Proportionen, klassisches Profil, Passivität, sinnliche Formen erhoben sie
zur vollkommenen Odaliske. Ihre Gegenwart regte ihn an, Farbe, Licht und Arabeske zu betonen,
allerdings nie auf Kosten der Form. Ein starker Gefühlsüberschwang kennzeichnet diese Periode,
die von der Ewigkeit wahrer Liebe und des Friedens kündet.“17
Beispiele in der Ausstellung
Femme dans un fauteuil, 1927 (Öl auf Leinwand)
-
-
-
Verschiedene Vorzeichnungen zeigen, wie Picasso die Bildelemente aus dem
Übereinanderlegen von Zeichnungen und geometrischen Flächen generiert.
Formelhafte Abkürzung der Körperteile und Gegenstände, Erfindung von Zeichen,
Farbflächen grenzen die einzelnen Zeichen voneinander ab.
Mehrere gegenständliche Bezugspunkte im Bild: Halbfigur einer Frau, in einem Sessel
sitzend, links schräge Rückenlehne, rechts geschweifte Armlehne des Sessels, senkrecht
gestellter Kopf, Augen und Mund, Strahlenbündel für Hand und Haar, konzentrische Kreise
für die Brüste.
Hier geisterhafte Gestalt einer Frau zu sehen. Zähne in der Art einer bezahnten Vagina
(„Vagina dentata“) gebleckt, schiebt sie sich in grellem Gelb durch die Farbzonen und
Strukturen des Bildes hindurch nach oben. Ihre Brüste kullern links herunter. Ihr Stuhl
angedeutet in gelber Rückenlehne links (erinnert an Bilderrahmen, aus dem die Figur
ausbräche) und in Schaukelelement rechts.
1927 wird die 17-jährige Marie-Thérèse Walter sein Modell und seine Geliebte. 1926-29
16
17
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intensive Beschäftigung mit dem Thema des Modells im Atelier. Picasso malt nicht mit
realen weiblichen Modellen, nur für die Porträts.
Le sauvetage, 1932 (Öl auf Leinwand)
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Von Ernst Beyeler 1966 direkt bei Picasso erworben.
Aus Eindrücken entstanden, die Picasso aus seinen Badeferien mitnahm. Thema
zeichnerisch und in Gemälden mehrfach umgesetzt.
Alle drei Figuren tragen die Gesichtszüge von Marie-Thérèse Walter. Retterin und
Gerettete begegnen sich spiegelbildlich. Möglicherweise veranschaulichen diese und
verwandte Darstellungen die Vorstellung einer Rettung von Marie-Thérèse vor der
Eifersucht Olgas. Typische Darstellung seiner Geliebten Marie-Thérèse mit
zurückfallendem Kopf, geschlossenen Augen.
Narzissen im Bild: Als Variation des Mythos von Narziss (Ovid Metamorphosen) deutbar.
Wandlung: Blüten entstehen aus dem Atem der Geborgenen, aus den drei Figuren wird
eine einzige körperübergreifende Gebärde.
In der obersten Figur kündigt sich ein Antlitz an, welches 1937 in einer der Hauptfiguren
der Guernica wiederkehrt.
Nu couché, 1934 (Öl auf Leinwand)
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Motiv des liegenden weiblichen Aktes hat in der Kunstgeschichte lange Tradition (vgl. Die
nackte Maja von Francisco de Goya, 1797-1800 u.a.) und ist von Picasso in diversen
Variationen abgehandelt worden.
Motiv erscheint bereits 1904 in Picassos Werk, wird zentral in den Bildern, die zwischen
1930 und 1936 von Marie-Thérèse Walter entstehen, grosse Werkgruppe mit völliger
Passivität, todesähnlichem Schlaf, zurückfallendem Kopf als Charakteristik. Mit MarieThérèse werden Plastik, Volumen und Relief zum Thema, das bildhauerische Modellieren
zeigt sich in den vollen, kräftigen Formen.
Die Nackte liegt auf braunem Kanapee, hinterfangen von weiss-grünem Paravent mit
Tupfenmuster. Der Paravent schirmt ab, was dem Betrachter offenbart wird. Rot-gelbes
Kissen wird von der liegenden Figur umklammert und bildet starken Kontrast zu rosahellblau-grün-milchigen Farbtönen.
Eigene Formbildungen: Form der Beine, Schoss und Gesäss in gleichzeitiger Ansicht,
Körper in ekstatischer Verrenkung. Zwischen privater Sinnlichkeit und öffentlicher Ekstase.
Femme qui pleure, 1937 (Öl auf Leinwand)
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Motiv der weinenden Frau 1937 in fast 60 Zeichnungen, Druckgraphiken und Gemälden
behandelt.
Übergang zur surrealistischen Kernphase von Picassos Oeuvre fällt in die Zeit des
Spanischen Bürgerkrieges (1936-1939)*. Surrealistische Bildsprache als Ausgangspunkt
für die Auseinandersetzung mit der brutalen Wirklichkeit des Krieges. Vom Traum zum
Albtraum. Bilder dieser Zeit oft mit verzweifeltem Unterton. Kriegsgeschehen mit
Auswirkungen auf Picassos Figuren wie die Geliebte und Schmerzensfrau Dora Maar.
Bildtyp ursprünglich für Guernica gedacht, doch dann in separater Gruppe von Arbeiten
weiter entwickelt. Extreme Affekte als Ausdruck emotionaler Spannung im privaten Leben
von Picasso.
Picasso sagte, dass er kein Bild von Dora Maar malen könne, auf dem sie lache, sie sei
Die Picassos sind da!
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für ihn die weinende Frau. Er male sie in verzerrten Formen „nicht aus Sadismus und auch
nicht mit Vergnügen, sondern nur einer Vision folgend, die sich ihm aufzwinge“18
*26. April 1937: Bombardement der nordspanischen Stadt Guernica durch Flugzeuge der
deutschen Legion Condor und der italienischen Aviazione Legionaria, die während des
Spanischen Bürgerkriegs die während des Spanischen Bürgerkrieges für General
Francisco Franco gekämpft haben. Das monumentale Wandbild ist für den Pavillon des
republikanischen Spanien auf der Weltausstellung in Paris entstanden. Das Werk steht im
Dienst einer politischen Rhetorik der Linken gegen das faschistische Regime in Spanien,
Italien und Deutschland.
Diskussion und Umsetzung
Bild
Form, Material
Aktion, Thema
Raum 9
Skizzieren
Formen erfassen, wiedererkennen, erfinden:
Papier, Bleistift
Blatt in 9 oder 12 Felder unterteilen, Formen aus Bildern
im Raum abzeichnen, Tausch mit Nachbar, Bilder zu den
Formen suchen, Tausch mit neuem Nachbar, aus
vorhandenen Formen neue schaffen durch Ergänzen.
Betrachten, zuordnen
Assoziationsfeld öffnen, Verhältnis Form-Farbe- Inhalt
analysieren:
In der
Schule
Farbkarten, Adjektive,
Formen aus Bildern
Abbildungen von
Picassos Bildern
In der
Schule
Gestalten, suchen,
zuordnen
Blatt mit
Augenpaaren
Zuordnung Formen – Farben – Adjektive: Welches
Adjektiv passt zu dieser Form oder Farbe? Verhältnis
zwischen Farben, Formen, Stimmung, Charakter,
Aussage.
Fantasie und Aufmerksamkeit schulen:
Das Augenpaar nach freier Fantasie ergänzen.
Original zum ausgeschnittenen Augenpaar suchen.
Abbildungen von
Picassos Bildern.
18
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In der
Schule
Gestalten
Inspirationsfelder öffnen:
Bunte Papiere,
Schere, Stift
Aus Blatt eine Form zu Dreiviertel ausschneiden,
ausklappen, mit zweitem Blatt hinterlegen, mit Stift zu
wieder erkennbarer Form ausarbeiten.
Femme au
béret orange
et au col de
fourrure,
1937
Betrachten,
diskutieren
Frauenbildnisse vergleichen, Zusammenhang Gestaltung
– Charakter – Biografie herstellen:
Vergleich Marie-Thérèse Walther und Dora Maar Gemälde
– Gemälde, Gemälde – Fotos, Eigenheiten heraus
arbeiten, Mehransichtigkeit, Ähnlichkeit, Verzerrung,
Deformation, Verschlüsselung. Surrealismus, Bezug
Picasso einflechten. Rolle der Muse.
Buste de
femme
au chapeau
(Dora), 1939
In der
Schule
Aktualisierung: wie würde man heute geliebte Person
darstellen? Wie posten auf Facebook? Wie äussert man
sich heute mittels Fotos im Internet?
Gestalten
Mehransichtigkeit ausprobieren:
3 Folien, schwarzer
Filzstift,
Transparentpapier
Gesicht zeichnen aus Fantasie, Werbung oder von
MitschülerIn. Drei Ansichten wählen (frontal, im Profil,
oben, unten, Dreiviertelprofil), Folien übereinanderlegen
und nach Belieben verschieben, an Fensterscheibe
drücken, Transparentpapier darüber legen und
ausgewählte Linien nachfahren. Ev. ausmalen.
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Le
sauvetage,
1932
La femme
qui pleure,
1937
Betrachten,
vergleichen
Vergleich mit
Abbildung: Guernica,
1937
Die Picassos sind da!
Gestalterischen Entstehungsprozess nachvollziehen:
Historischer Kontext Guernica-Bombardierung, spanischer
Bürgerkrieg, politisches Engagement Picassos,
surrealistische Bildsprache in Kriegsbilder überführt.
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3.5 Die Werke der 1940er, 1950er und 1960er Jahre (Räume 12-15)
Gegen Ende der 1930er Jahre überführt Picasso seine surrealistische Werkphase in eine neue
Periode, wobei er auf Themen und Stile aus den früheren Schaffensphasen zurückgreift. Picasso
ist in den Medien Malerei, Skulptur, Zeichnung und Druckgraphik tätig und beweist dabei eine
bestechende künstlerische Produktivität und Vielfalt. Weder stilistisch noch thematisch lassen sich
die Werke zwischen 1940 und 1969 abschliessend bündeln und benennen. Anhand folgender
Eckpunkte lässt sich die Spätphase Picassos in der Ausstellung dennoch gut thematisieren:
1. Frauendarstellungen der 1940er Jahre
2. Bezug auf Werke der Kunstgeschichte in den 1950er und 1960er Jahren
3. Das Maler und Modell-Motiv der 1950er und 1960er Jahre
4. Das Tempo der Malerei der 1960er Jahre
5. Skulpturen
3.5.1 Frauendarstellungen der 1940er Jahre
Surrealismus: Auch nach der surrealistischen Phase, die mit dem Erstellen des monumentalen
Werkes Guernica im Jahre 1937 endet, bleiben surrealistische Elemente in Picassos Malerei
erkennbar.
Frauendarstellungen: Die Darstellung von Frauenporträts und Frauenkörper bleiben weiterhin
zentral, durchlaufen dabei mehrere Verwandlungen. Picasso porträtiert in diesen Jahren sowohl
Dora Maar als auch Marie-Thérèse Walther.
Beispiele in der Ausstellung
Femme au chapeau assise dans un fauteuil, 1941-42 (Öl auf Leinwand)
-
-
-
-
Position: Das gewählte weibliche Dreiviertelporträt ist eine klassische Gattung der
Kunstgeschichte.
Simultanität: Picasso geht eigenwillig mit den Gesichtszügen um: das linke Auge ist im
Profil, das rechte frontal zum Betrachter gemalt. Mund und Nase sind seitlich verrutscht.
Verschiedene Perspektiven verbinden sich zu einem simultanen Eindruck der
Persönlichkeit.
Chiffre: Trotz der vielfältigen Deformationen behält Picasso eine Formchiffre bei, welche
auf die Porträtierte hinweist. Bei Dora Maar ist das die deformierte Nase. Marie-Thérèse
Walther ist am blonden Haar und am klassischen Profil mit gerader Nase erkennbar.
Schön oder hässlich: der Schönheit ist eine ambivalente Ausstrahlung gewichen.
Wandelbarkeit, künstlerische Unabhängigkeit: Lust an malerischen Freiheiten gegenüber
traditionellen, dem Naturalismus verpflichteten Darstellungskonventionen. Kein
automatisierter Schaffensprozess gemäss surrealistischer Forderung von André Breton.
Rückschlüsse auf die Biografie und die Psyche Picassos sind fraglich.
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3.5.2 Bezug auf Werke der Kunstgeschichte in den 1950er und 1960er Jahren
Suche: Picasso sucht in den 1950er Jahren in Malerei und Skulptur neue Ausgangspunkte für
eigene Bildfindungen.
Bezüge: In seinem Werk greift er auf die Werke anderer Künstler zurück. Er macht Anleihen unter
anderem bei Lucas Cranach, Matthias Grünewald, Tizian, Nicolas Poussin, Diego Velázquez,
Rembrandt, Gustave Courbet, Vincent van Gogh, Édouard Manet.
Angst vor der Wiederholung: Der 70 jährige Picasso setzt sich in grossem Umfang und mit
hoher Intensität mit Vorbildern aus früheren Jahrhunderten auseinander. Dieser Umgang mit dem
Prozess des Älterwerdens ist gekennzeichnet durch eine panische Angst vor der Wiederholung
der eigenen Arbeit. Der Bezug auf die Werke anderer hingegen hält Picasso für notwendig.
Legitimation: Durch Verweis auf etablierte Darstellungstradition Legitimation des Selbst als eine
Autorität. Traditionelles Muster erscheint gewollt und geplant, die moderne Aneignung erscheint
radikal, antiakademisch und spontan.
Beispiele in der Ausstellung
Les Demoiselles des bords de la Seine, d’après Courbet, 1950 (Öl auf Sperrholz)
-
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-
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-
Vorbild: Gustave Courbet, Les Demoiselles des bords de la Seine
(été),1856/57. Picasso kannte das Original aus dem Petit Palais in
Paris.
Thema: Courbet bezieht sich auf sog. grisettes, leichte Mädchen, die
sich im 19. Jh. für Liebesdienste und romantische Abenteuer
anerboten. Die Darstellung solcher Mädchen war zu Courbets Zeiten
äusserst provokativ und unakademisch, was dem Geschmack Picassos entsprechen
mochte.
Form: Picasso behält die Breite des Originals bei, beschneidet jedoch die Höhe, sodass
eine Konzentration auf die beiden Frauenfiguren erfolgt. Übertragung vieler Informationen
aus Courbets Bild. Betonung der Partien, die im Original bereits ein starkes formales
Eigenleben aufweisen, z.B. der Faltenwurf des weissen Kleides. Somit ist der Schritt zur
Abstraktion kleiner. Es entsteht eine kleinteilige Fläche einem Mosaik oder einem farbigen
Glasfenster ähnlich.
Zeitpunkt der Aneignung: Die Fronten zwischen abstrakter und gegenständlicher Malerei
haben sich verhärtet. Im Klima des Kalten Krieges waren bestimmte Bildsprachen
ideologischen Lagern zugeordnet. Courbet galt im sozialistischen Lager als Vorläufer des
Sozialistischen Realismus. Dagegen begehrte Picasso auf, indem er die malerischabstrakten Qualitäten seiner Malerei betonte.
Grund der Aneignung: Picassos Interpretation der beiden Frauenfiguren umgeben von der
Seine und dem Laubdach wirkt wie eine Karikatur und funktioniert dennoch als Zueignung
von Autorität.
Le déjeuner sur l’herbe, 1961 (Öl auf Leinwand)
-
Vorbild: Édouard Manet Le déjeuner sur l’herbe, 1863.
Stellenwert: 1959-62 intensive Beschäftigung mit Manets aufsehenerregendem Bild, das
Picasso in 27 Gemälden, 150 Zeichnungen, 3 Linolschnitten, Kartonmaquetten, Skulpturen
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-
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-
sowie Keramik variiert.
Permanente Variation: Picasso experimentiert mit dem Originalmotiv
durch Zufügung und Weglassen von Figuren sowie Abänderung
deren Rolle in Badende, Künstler und Modelle.
Dreierkonstellation: Die intensive Phase des Aneignungsprozesses
im Juli/August 1961 fällt auf Picassos Umzug mit letzter Ehefrau
Jacqueline Roque von Cannes nach Mougins. Obwohl die meisten Variationen
querformatig ausgeführt wurden, konzentrierte sich Picasso zunehmend auf eine
hochformatige Dreierkonstellation mit zwei Frauen und einem Mann. Jener bleibt
erkennbar durch seinen Spazierstock, sein angewinkeltes Knie sowie durch den
Zeigegestus seiner rechten Hand. Aus der badenden Frau im Hintergrund wurde eine
Blumenpflückerin. Die Figuren werden ohne Überschneidungen auf der Bildfläche
angeordnet.
Zirkel von Querverweisen: Manet hatte sich bereits bei Courbets Les Demoiselles des
bords de la Seine inspirieren lassen. Picasso setzt mit seiner Anleihe bei Courbet und
Manet eine Reihe von Querverweisen mitten durch die Kunstgeschichte in Gang.
Maler-Modell-Thematik: Die Konstellation von Maler und Modell lässt sich auch auf
Picassos Aneignung der Vorbilder der Kunstgeschichte anwenden, wobei bevorzugte
Werke der Alten Meister zu Modellen werden. Die erotische Spannung wird zu einer
historischen Spannung zwischen etabliertem Meisterwerk und dem zeitgenössischen
Zugriff. Die Aneignung in Serien und Variationen drückt nicht nur eine Bemächtigung des
Vorbildes durch Picasso aus. Die dabei anwachsende Entfernung vom Vorbild steht auch
für ein Aufbegehren.
3.5.3 Das Maler- und Modell-Motiv der 1950er und 1960er Jahre
Siehe Kapitel „Drucktechniken“
3.5.4 Das Tempo der Malerei der 1960er Jahre
Leben: Picasso heiratet 1961 die 45 Jahre jüngere Jacqueline Roque und zieht mit ihr nach
Mougins. Dort lebt er ein zurückgezogenes Leben und beginnt eine stilistisch sehr vielschichtige
und erstaunlich experimentierfreudige Werkphase.
Motive: Picasso reduziert seine Inhalte auf Geburt, Schwangerschaft, Leiden, Liebespaar, Tod,
Revolte, Kuss. Ab 1963 erfolgt eine Konzentration auf Einzelfiguren und Paare auch in grossformatigen Gemälden. Die Figuren werden monumental konzipiert und füllen das Bildformat. Das
Modell-Motiv ist in dieser Zeit fiktiv. Das begehrte Objekt ist die Malerei selbst, die nicht enden
soll. Thema ist der kreative Prozess selbst.
Perspektive: Die Mehransichtigkeit der Körper bleibt wichtig. Deformation steht für den andauernden Wechsel der Perspektive. Die Raumtiefe wird vernachlässigt und Details betont. Die Körper
sind oft in der vordersten Bildebene angesiedelt und ragen manchmal in den Betrachterraum
hinein. Auf diese Weise entsteht eine greifbare Nähe und grosse physische Präsenz, worin
Picasso seine eigene Lust hineinschreibt (Besitzgier, Abtasten von Körpern mit Augen und
Händen).
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Tempo: Picasso setzt auf eine hohe Geschwindigkeit des Malens mit breitem Pinsel und grosszügigen Gesten. Seine Flächen, vor allem der Hintergrund, bleiben fragmentarisch. Dünn bemalte
Flächen wechseln sich mit flüssig aufgetragener Ölfarbe ab.
Schrille Farbigkeit: Die Spätwerke Picassos sind sehr farbig. Doch in der Basler Ausstellung ist
dies weniger sichtbar, da die lokalen Sammler eher dezentere Werke des Malers bevorzugten.
Druckgrafik: Die Rastlosigkeit in der Malerei steht im Kontrast zu einer überraschenden
Detailverliebtheit und Reflexion in der Druckgrafik. März – Oktober 1968 bearbeitete Picasso bis
zu sieben Kupferplatten pro Tag und schafft während eines halben Jahres 347 unterschiedlich
grosse Radierungen. Diese Phase gilt als Höhepunkt von Picassos druckgrafischem Schaffen, da
sie grafisch vielseitig und technisch differenziert ist. Zwei Tiefdrucker aus Paris haben in Mougins
eine Druckerei für Picasso eingerichtet für die Produktion von Druckplatten und das Anfertigen
von Probedrucken. Zu den Motiven der druckgrafischen Arbeiten zählen Liebhaber, Musketiere,
Clowns, Männer in verschiedenen Rollen und fast immer als Bewunderer und Betrachter von
Frauen, als Maler mit Modell, das Atelier, das Bordell. Der männliche Blick und die weibliche
Kupplerin.
Akzeptanz: Die späten Gemälde stossen auf grosses Unverständnis auch bei Freunden und
Bewunderern des Künstlers. „Es hat nicht an Kritikern und Freunden gefehlt, die das Spätwerk für
hysterisch, frenetisch, sexbesessen, vulgär und verfehlt erklärt haben. Manche halten es für ein
Phänomen der Art Brut und sehen es lieber im anthropologischen Museum als in der Kunstsammlung aufgehoben.“ Zitat Édouard Beaucamp, Kritiker. Dieser Kritik waren die Arbeiten auf Papier
weniger ausgesetzt: prägnante, präzise Linienführung sind Zeugnis sicherer Hand im Vergleich zu
den skizzenhaften Gemälden.
Chat et homard, 1965 (Öl auf Leinwand)
-
-
-
-
-
Motiv: Eine Katze ist hinter einem Hummer her. Diese und ähnliche Motive hat Picasso
mehrmals umgesetzt. Kann als alltägliche Begebenheit gedeutet werden, die
wahrscheinlich für Picasso und seine Familie eine persönliche Bedeutung hatte.
Mögliche Vorbilder: Frans Snyders (1579-1657): Stillleben mit Wild, Hummer, Vögeln,
Melonen, Hund und Katze (undatiert). Eugène Delacroix (1812-1868): Nature morte aux
homards, 1827. Jean Siméon Chardin (1699-1779): La raie, 1728
Hier mehrere Vorbilder möglich, da sich Picasso in dieser späten Phase nicht mehr nur auf
ein einziges Meisterwerk konzentriert und verschiedene Vorbilder frei kombiniert und
teilweise nur vage anklingen lässt.
Spätstil Picassos: Die temperamentvolle Malweise und die schwarzen Umrisse lassen den
malenden Zeichner Picasso erkennen. Die kräftige Farbgebung und das Spiel mit dem
Rot-Grün-Kontrast (ebenfalls in der Signatur) erzeugt eigentümliche Räumlichkeit.
Biografischer Bezug: Picasso lässt seine erotischen Fantasien anklingen und thematisiert
damit den allgegenwärtigen Kampf der Geschlechter.
Die Wahl der Gattung als Gegenbewegung: Das Stillleben gehört zu zentralen Bildtypen
im Kubismus und in der Moderne des 20. Jh. Doch in den 1960er Jahren ist diese Gattung
völlig anachronistisch, sowohl bei Picasso, als auch bei allen Zeitgenossen. Picasso folgt
der Tradition des Jagdstilllebens, ersetzt aber das stille, unbewegte Leben durch lebendige
Gegner, die sich bekämpfen. Damit formuliert Picasso eine Gegenbewegung zur
traditionellen Gattung des Stilllebens als „nature vivante“ sowie zum Siegeszug der
abstrakten gestischen Malerei der 1950er Jahre, die das Ende der Malerei in den 1960er
Jahren programmatisch heraufbeschwören. Picasso zeigt eine unzeitgemässe Malerei, die
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sich aber ihrer eigenen Geschichte versichert.
Das Element der Erzählung und Bezug zur Malereigeschichte: Sieht man Picassos Bild als
Bezug auf Jean Siméon Chardins Stillleben La raie von 1728,
dann lässt sich eine Positionierung innerhalb der
Malereigeschichte herauslesen. Obwohl Chardin vornehmlich
für seine Sensibilität für die optischen Erscheinungen auf der
Oberfläche der Dinge geschätzt wurde, wird in seinem
Stillleben auch noch das erzählerische Moment wichtig. Der
Bezug auf Chardin ist nicht nur als Hommage und motivische
Anleihe zu lesen. Das Drama des Fressens und GefressenWerdens steht bei Picasso auch für den Kampf um die Malerei und ihre lange Geschichte.
3.5.5 Skulpturen
Petite femme aux bras écartés, 1961 (ausgeschnittenes und gefaltetes Eisenblech, bemalt)
Homme aux bras écartés, 1961 (Blech, ausgeschnitten, gebogen und weiss bemalt) und in 15facher Vergrösserung Homme aux bras écartés 1961/2007 (gebogener und geschweisster, weiss
lackierter, rostfreier Stahl. Sockel aus Cortenstahl) (Picasso-Platz)
-
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-
Entwurf: Die ausgestellten Werke sind autonome Kunstwerke. Sie dienten zum Teil später
als Vorlage für Monumentalplastiken (Petite femme aux bras écartés auf dem Landgut von
Daniel-Henry Kahnweiler in Breton ausgeführt.
Produktion: Picasso fertigt die Modelle aus Papier und Karton an, die ein Handwerker auf
Blech in Massstabtreue überträgt, mit Schere ausschneidet, damit Picasso sie anmalen
kann.
Form und Raum: Silhouetten und Falten spielen als lineare Elemente eine wichtige Rolle.
Picasso thematisiert das Verhältnis zwischen Zwei- und Dreidimensionalität und
experimentiert mit Papierschnitten. Diese bilden einen idealen Sonderfall, denn sie sind
räumlich und flächig zugleich, sind bemalt oder beritzt (z.B. tête de femme 1961). Sie
bilden ein raumgreifendes Gemälde oder eine räumliche Collage aus flächigen Elementen
mit labilem Gleichgewicht. Die klare Konturierung überträgt Picasso in seine Gemälde und
wendet sie dort noch ausgeprägter an.
Wahrnehmung: Das Vor- und Zurück von Flächen erzeugt eine Verschiebung des
Betrachterstandpunktes. Dadurch entstehen Brüche in der Wahrnehmung: Flächen
klappen zusammen, Lücken und neue Flächen öffnen sich.
Als Dank für die Abstimmung 1967, hatte Picasso versprochen, für das Kunstmuseum eine
Skulptur zu machen. 1983 erinnerte Ernst Beyeler an dieses Versprechen, als die
Nationalversicherung aus Anlass ihres 100-Jahr-Jubiläums dem Kunstmuseum ein
Geschenk machen wollte. Man entschied, Picassos kleine Blechskulptur von 1961,
"Homme aux bras écartés" aus dem Besitz des Museums zu vergrössern, ein Vorgehen,
das Picasso zu seinen Lebzeiten auch für andere Skulpturen im öffentlichen Raum
praktiziert hatte.
La guénon et son petit, 1951 (Bronze) Die Plastik existiert in sechs Bronzegüssen.
-
Spielerische Intuition: Picasso formt die Physiognomie des Pavianweibchens auf verspielte
und intuitive Weise.
Kombination: Der Affenkopf ist aus zwei Spielzeugautos (der Panhard und der Renault
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waren Geschenke von Daniel-Henry Kahnweiler) von Picassos Sohn Claude
zusammengesetzt und zwar Unterseite an Unterseite. Die Ohren bestehen aus zwei
Tassenhenkeln. Ein Krug bildet den kugeligen Körper. Hinterteil und Affenjunge wurden
modelliert. Für den Schwanz hat Picasso eine am Ende eingerollte Autofeder verwendet.
Die schöpferische Idee liegt in den ungewohnten Materialelementen, die einem Tiervorbild
folgend eingesetzt werden.
Diskussion und Umsetzung
Bild
Form, Material
Aktion, Thema
Femme
assise
(Dora), 1938
Betrachten
Neue Gestaltungsform erkennen:
Ausmalen von Flächen mit Linien, Zeichen, Formen
erhalten neuen Charakter, neue Akzentuierung
Femme
assise dans
une chaise
(Dora), 1938
In der Schule
Bezug zur Gestaltung Les Demoiselles des bords de la
Seine, d'après Courbet, 1950
Gestalten
Formen auf neue Art füllen:
Papier, Schere, Stift
Geometrische, surrealistische Formen mit Konturlinie
ausschneiden, auslegen, auswählen, auf neues Papier
kleben, ausfüllen mit Kugelschreiber.
Femme au
chapeau
assise
dans un
fauteuil,
1941-42
Betrachten,
nachstellen
Mehransichtigkeit nachvollziehen, Spass haben:
In der Schule
Gestalten
Variation von Gesichtsmerkmalen erstellen:
Papier, Stift
Pro Blatt Papier je eine Sammlung erstellen von Nasen,
Ohren, Lippen, Augen, etc. Dabei verschiedene Typen und
verschiedene Ansichten versuchen.
betrachten,
vergleichen
Aneignung nachvollziehen:
Le déjeuner
sur l'herbe,
1961
David et
Bethsabée,
1947
Die Picassos sind da!
Die verschiedenen Ansichten im Gesicht von Dora Maar
bestimmen, auf eigenes Gesicht übertragen, spielerisch
Grimassen ausprobieren
Rückgriff auf Alte Meister, Maler – Modell – Beziehung auf
berühmte Werke übertragen, Legitimation/Autorisierung,
Angst vor der Wiederholung.
Was hat Picasso belassen? Was hat er verändert? Was ist
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Les
demoiselles
des bords de
la Seine,
d'après
Courbet,
1950
Arbeiten mit
Tusche auf
Papier im
Raum 13
seine Aussage?
Betrachten,
diskutieren
Thema Maler-Modell nachvollziehen und aktualisieren:
Rollenverteilung, Projektion, Muse, Erotik, Nacktheit,
schöpferische Produktivität, Prozess des Alterns, die Frau
als Malerin, Realität vs. Fiktion
Aktualisieren: wo wird heute posiert, fotografiert,
bewundert, verfälscht? (Castingshows, Beruf Supermodel,
Misswahlen, etc)
Femme au
chapeau,
1961/63
Betrachten,
vergleichen
Tête de
femme, 1961
Unterschiede in Technik, Form, Farben feststellen:
naturalistisch, verspielt, gestaffelt, gefaltet, ergänzt,
geknetet.
Anhand der Skulpturen Stilmittel wieder erkennen.
Übertrag Zwei- auf Dreidimensionalität.
La guénon et
son petit,
1951
In der Schule
Thema Skulptur:
gestalten
Papier, ev. Schere,
Stifte
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Übertrag 2D auf 3D haptisch und spielerisch
nachvollziehen:
A3 Blatt in der Mitte falten, Kontur der Figur zeichnen, der
Linie entlang reissen oder schneiden, ausmalen,
aufstellen.
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Chat et
homard,
1965
Betrachten,
vergleichen
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Neuinterpretation, Komplexität von Picassos
Werkentwicklung nachvollziehen:
Rückgriff auf Alte Meister, nature vivante, anachronistisch,
antiavantgardistisch, Tempo der Malerei,
Alterungsprozess, Vitalität, Angst vor Wiederholung,
Farbigkeit, Akzeptanz
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4 Drucktechniken und Zeichnung
Die Druckgrafik nimmt eine zentrale Stellung in Picassos Werk ein. Erste druckgrafische Arbeiten
stammen vom Herbst/Winter 1904/05. Picasso wird sich zeitlebens damit beschäftigen. Das
druckgrafische Werk umfasst etwa 2000 Blätter, eine beachtliche Zahl, die nur noch vom
französischen Künstler Honoré Daumier (1808-1879) mit 4000 Blättern übertroffen wird.
Besonders die Formenexperimente der surrealistischen Periode Ende der 1920er, Anfang der
1930er Jahre beeinflussen Picassos grafisches Vokabular: Linie, Strichgefüge und Schattierungen
werden temperamentvoller. Seine Auseinandersetzung mit politischen Themen wie dem
Spanischen Bürgerkrieg Ende der 1930er Jahre, gehen in Richtung abstrakt-reduzierten und
grotesken Gestaltbildungen.
Fast alle druckgrafischen Blätter seit 1967 haben keinen Titel, und die Themen erschliessen sich
beim genauen Vergleich mit früheren Arbeiten. Picasso hat allerdings alle Blätter datiert: „Warum,
glauben Sie, datiere ich alles, was ich mache? Weil es nicht genügt, die Arbeiten eines Künstlers
zu kennen, man muss auch wissen, warum, wie und unter welchen Bedingungen er sie schuf…“19
Es kamen fast alle Druckverfahren zur Anwendung. Picasso experimentierte und variierte gerne.
Nicht alle Techniken, die Picasso angewandt hat, sind in der Ausstellung vertreten. Linolschnitte
beispielsweise werden keine gezeigt. Ende der 1950, Anfang 1960 sind grossartige
Farblinolschnitte entstanden. Das Linoleum hat er aber häufig wie beim Kupferstich eingeritzt statt
eingeschnitten. Er konnte so direkter und spontaner arbeiten.
„Im Diskursiven der Linie, im Brechen der Linie, im Verschachteln von Fläche und Raum, im
Entblössen und Vermummen, in diesem inständigen Widerspruch, der die schaubare Welt nur
mehr in ihren Konflikten sieht und sucht, wie ein Experimentator alle möglichen Konflikte
beschwört, aber unbeirrt, selbst im Destruktivsten sich nie mit dem Leblosen einlässt, sondern
ausschliesslich der sinnenhaften Welt zugetan bleibt, darin erkennen wir das grossartige
Ungemeine seiner Kunst, in welcher Schönheit und Schrecken ihre Spuren ziehen.“20
4.1 Tiefdruckverfahren
4.1.1 Kupferstich
Nach dem Holzschnitt die älteste der grafischen Künste (um 1420 im Süddeutschen Raum
entwickelt) und von ihm dadurch unterschieden, dass es sich um ein Tiefdruckverfahren handelt.
-
Kupferplatte geschliffen.
Zeichnung wird mit einem Grabstichel (mit rautenförmiger Spitze) seitenverkehrt in die
Platte geritzt.
Entstehende Grate werden mit dem Schaber oder Polierstahl entfernt.
Fertige Platte wird erwärmt, mit Druckerschwärze eingefärbt und abgewischt.
19
Gottfried Keller-Stiftung 1972.
20
Gradmann 1972, S. 6.
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Farbe bleibt in den Ritzen hängen und gelangt beim Druck auf das befeuchtete,
saugfähige Papier. Die Druckintensität bestimmt Helligkeit und Dunkelheit. Eine tiefe und
breite Linie nimmt viel Farbe auf, eine flache und schmale weniger.
Farbreste auf der nicht vollständig abgewischten Platte können dem Papier einen feinen
Ton verleihen.
Durch das häufige Auswischen und den starken Druck beim Pressvorgang nutzt sich die
Platte schnell ab.
Beispiele in der Ausstellung
L'homme à la guitare, 1915 (Raum 3) (Kupferstich und Polierstahl, Abzug auf "vieux japon";
Drucker: Leblanc & Trautmann, Paris)
-
-
-
Einziger Kupferstich in der Ausstellung.
Wo ist der Mann? Wo ist die Gitarre? Im Gegensatz zum sogenannten analytischen
Kubismus, Synthese von Formen und Flächen, sodass Dinge wieder erkennbar werden.
Aus einem wilden Geflecht von Linien, Schraffuren und Flächen sind immer wieder
Fragmente von Mensch und Instrument zu erkennen. Die Technik des Kupferstichs lässt
diese Feingliedrigkeit zu. Klare Linien, Geraden, weite Schwünge, Parallelen, Kreuzlagen
sind der Technik geschuldet. Durch dünnere und dickere Linien lässt sich sehr gut
erkennen, welche Spuren der Grabstichel hinterlassen hat und wo mehr Farbe
hängengeblieben ist.
Die helleren Flächen markieren die Protagonisten, den Gitarrespieler und das Instrument.
Hier wurde im Gegensatz zu anderen Bereichen die Druckerfarbe sehr gut abgewischt und
blieb beim Druck nicht haften. Man erkennt den abgewinkelten Arm und die Hand, die zum
Zupfen ansetzt. Stuhlbeine sind ansatzweise erkennbar und ein Bein ist in Spielhaltung
aufgestellt.
Picasso verwendet wie Rembrandt (1606-1669), den er sehr verehrt hat, für seine
Kupferstiche gerne das feine, leicht durchscheinende und strapazierfähige Japanpapier.
4.1.2 Radierung oder Ätzkunst
Die Radierung ist ein chemisches Verfahren, das seit Anfang des 16. Jh. zur Anwendung kommt:
-
-
Die Metallplatte wird glattpoliert, entfettet und erhitzt.
Die Platte wird mit dem Ätzgrund oder Deckfirnis überzogen, einer säurefesten, harzigen
Masse (bestehend aus Wachs, Harz und Asphalt).
Schwärzung der Platte mit einer Räucherkerze oder Russfackel, damit die Zeichnung
sichtbar wird.
Mit der Radiernadel, einer spitzen Stahlnadel, wird so gezeichnet, dass das Metall
blossgelegt wird, aber nicht verletzt. Für Korrekturen kann die Platte an bestimmten
Stellen erneut mit Ätzgrund überzogen werden.
Manuell kommt also das Radieren dem Zeichnen auf Papier sehr nahe.
Fertig radierte Platte wird an Kanten und Rückseite mit Asphaltlack abgedeckt.
Bad aus Eisenchlorid oder Salpetersäure, welche in die blossgelegten Stellen eindringt
und die Zeichnung in die Platte einätzt, umso tiefer, je länger man die Säure wirken lässt.
Restlicher Ätzgrund wird entfernt.
Platte wird erwärmt, eingefärbt und abgewischt. Die Farbe bleibt in den geätzten Furchen.
Druck auf befeuchtetes, saugfähiges Papier.
Die Kaltnadeltechnik ist Ende des 15. Jh. entwickelt worden:
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Mit der Radiernadel wird auf die geschliffene, blankpolierte Kupferplatte geritzt, ohne zu
ätzen.
Neben der Linie entsteht zu beiden Seiten ein Metallrand vom verdrängten Metall, der
sogenannte Grat (wird im Gegensatz zum Kupferstich belassen).
Beim Einfärben bleibt die Farbe sowohl in der Vertiefung wie auch am Grat haften und
erzeugt beim Druck auf befeuchtetes, saugfähiges Papier eine körnige Verschattung.
Beispiele in der Ausstellung
Le repas frugal, 1904 (Raum 2) (Radierung und Polierstahl auf Zink, Abzug auf Vélin van Gelder)
o
Details s. Ausführungen Kapitel Blaue und Rosa Periode
Les Saltimbanques, 1905 (Raum 2) (Kaltnadel auf Kupfer, Abzug auf Vélin van Gelder; Drucker:
Louis Fort, Paris)
-
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Gehört zu frühesten grafischen Schöpfungen Picassos.
Die unscharfen Linien der Kaltnadelradierung sind erkennbar.
Mit wenigen Linien ist eine Gauklerfamilie bei alltäglichen Verrichtungen und dem
Einstudieren von Kunststücken porträtiert. Alle Lebensalter sind dargestellt, vom Baby
über die schwangere Frau bis zur Grossmutter. Die Harlekin-Figur darf nicht fehlen. Die
Szene ist hinterfangen von einer hügligen Landschaft, die mit wenigen Linien skizziert ist.
Einzig die über die Horizontlinie ragenden Bäumchen geben einen Anhaltspunkt der
Verortung. Die Personen sind nebeneinander aufgereiht, sozusagen zwischen Himmel und
Erde sich bewegend – sitzend, stehend, gehend, liegend, arbeitend, balancierend.
Velinpapier besitzt eine glatte, regelmässige Oberfläche. Van Gelder ist die
niederländische Herstellerfirma.
Combat pour Andromède entre Persée et Phinée, 1930 (Raum 6) (Radierung auf Kupfer,
Abzug von der gekreuzten Platte; Drucker Roger Lacourière)
-
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-
Perseus rettet die schöne Andromeda vor der sie bedrohenden Schlange, indem er das
Untier mit dem Haupt der Medusa versteinert oder es mit einem Schwert tötet. Kepheus,
Andromedas Vater, hat Perseus als Dank für die Rettung seine Tochter versprochen.
Andromeda ist bereits mit Phineus, ihrem Onkel verlobt und so kommt es zum Kampf
zwischen Perseus und Phineus, aus dem Perseus als Sieger hervorgeht.
Picasso stellt in derselben Szene im Vordergrund sowohl den Kampf der beiden Männer
und im Hintergrund den Todesstoss durch Perseus dar.
Die Figurengruppe füllt das Bild bis zur Umrandung aus. Alle Figuren berühren einander.
Jede Linie steht mit einer anderen in Verbindung. Die Figuren sind richtiggehend
ineinander verkeilt. Picasso schafft es, nur mit Linien eine unglaubliche Kraft zu erzeugen,
eine Szene voller Bewegung zu schaffen, die den Betrachter den Kampf förmlich spüren
lässt.
Am unteren Bildrand erscheint das Antlitz der Andromeda aus verschiedenen
Perspektiven. Hierbei handelt es sich um eine Ätzprobe, um den Grad der Ätzung
festzustellen.
Zeichnen mit der Radiernadel in weichen Ätzgrund erlaubt frei geführte Linien, ähnlich
dem Zeichnen auf Papier.
Abzug von der gekreuzten Platte: Ein feiner Strich durchkreuzt das Blatt. Die Kupferplatte
wurde nach Ende der Auflage geritzt oder gekreuzt. So sollte die Platte eigentlich für
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weitere Abzüge unbrauchbar gemacht werden. Häufig sind aber auch gekreuzte Platten
weiterverkauft worden und so weitere, weniger wertvolle Abzüge entstanden.
Illustrationen zu Ovids Metamorphosen, 1930 (Raum 6) (Radierungen auf Kupfer; Darstellung
in Schwarz und Remarque in Bister; Drucker: Louis Fort, Paris): La Mort d'Orphée, Vertumne
poursuit Pomone de son amour, Récits de Nestor sur la guerre de Troie, Combat pour Andromède
entre Persée et Phinée
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Illustrationen folgen exakt Ovids Textvorlage.
Virtuos ineinander verschlungenen Körper dem klassischen Ideal entsprechend und
unglaubliche Lebendigkeit ausstrahlend.
Dominanz der Umrisslinie.
Schraffuren der Radierung, welche den Linienfluss betonen und die Körper plastisch
formen.
Setzen von Konturen, durch Überschneidungen entstehen komplexe räumliche
Situationen.
4.1.3 Aquatinta
aqua fortis = Säure, tinta = dunkler Plattenton, auch Tuschätzung, Bistermanier oder Ätzlavierung.
Gehört zu den chemischen Tiefdruckverfahren und ist im 18. Jh. vom französischen Maler Jean
Baptiste Leprince entwickelt worden.
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Erste Drucktechnik, die es erlaubt, dunkle Flächen darzustellen.
Idee der Flächenätzung.
Die Platte wird mit feinstem Kolophoniumstaub bestreut.
Die Menge an Staub beeinflusst die Dichte des Korns. Je mehr Staub, desto feiner das
Korn.
Platte wird von unten erhitzt, bis die Pulverschicht schmilzt.
Alle Partien, die im späteren Säurebad nicht geätzt werden sollen werden mit Asphaltlack
abgedeckt.
Im Säurebad dringt die Säure zwischen das Korn und ätzt dort das freiliegende Metall
weg, je länger, desto dunkler wird die Tönung.
Die Zeichnung wird danach nicht herausgeschabt, sondern stufenweise durch Abdecken
und Wiederätzen gewonnen.
Vielfach wird das Aquatinta-Verfahren mit der Radierung kombiniert. Reine AquatintaBlätter sind selten.
Vor dem Druck wird die Platte von allen Deckungen gereinigt, eingefärbt, vorsichtig
ausgewischt und erwärmt. Es wird auf befeuchtetes, saugfähiges Papier gedruckt, die
Abnutzung von Aquatinta-Platten ist sehr hoch.
Die im Aquatinta-Verfahren ausgeführten Grafiken ähneln lavierten Tuschezeichnungen.
Von Künstlern wie Francisco de Goya und Joan Miró intensiv genutzt.
Beispiele in der Ausstellung
La femme au tambourin, 1939 (Raum 11) (Aquatinta und Strichätzung auf Kupfer, gedruckt auf
Vélin d'Arches; Druck von der unverstählten Platte; Drucker: Roger Lacourière)
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Politisch motiviertes Werk: Tanzende Mänade aus dem Gefolge des Dionysos aus der
griechischen Sagenwelt im Zusammenhang mit der Besetzung der Tschechoslowakei
durch Hitler im März 1939 (verwandter Linolschnitt mit Frauenkopf verweist auf diesen
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Zusammenhang). Kommentar zu Hitlers Kriegshetze und Kunstfeindlichkeit.
Nackte Frau tanzt wild mit Tamburin. Die Haare fliegen, ihr Körper, ihr Gesicht werden aus
verschiedenen Perspektiven gezeigt.
Die Aquatinta-Technik mit dem schwarzen Hintergrund rückt die Figur wie ausgeschnitten
in den Fokus.
Picasso hat die Darstellung viermal verändert. Erst mit dem fünften Zustand war er
zufrieden. Vor allem die Stellung des linken Beins der Tänzerin hat ihn beschäftigt.
4.2 Flachdruckverfahren: Lithographie (Steindruck)
Die Lithographie wurde zwischen 1796 und 1798 vom österreichisch-deutschen Schauspieler
Alois Senefelder aus München zufällig entdeckt. Picasso wandte sich 1919/20 erstmals der
Lithographie zu. Bis 1930 entstanden allerdings nicht sehr viele Blätter. Erst ab 1945 widmete sich
Picasso wieder intensiv der Lithographie. Picasso hat neben den Kalksteinen häufig auch
leichtere Zinkplatten verwendet. Die Lithographie lässt dem zeichnerischen Ausdruck viel Raum.
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Die Technik der Lithografie beruht auf der abstossenden Kraft zwischen Fett und Wasser.
Die gefettete Stelle einer Fläche nimmt Wasser nicht an, und auf einer nassen Fläche
haftet kein Fett.
Auf eine Platte aus Solnhofener Kalkschiefer, die wegen ihrer Porosität die Fähigkeit hat,
Fett und Wasser einzusaugen, wird mit fetthaltiger Tinte oder Kreide seitenverkehrt die
Zeichnung angebracht.
Dann wird die Platte mit einer wässrigen Lösung aus Gummi arabicum (einem Exsudat
aus Pflanzensaft) und verdünnter Salpetersäure überzogen, um die Zeichnung auf dem
Stein zu fixieren.
Die Ätze wird mit Wasser abgewaschen und die Platte mit Gummi arabicum überzogen.
Die Platte nimmt Gummi arabicum an, die fettige Zeichnung stösst es ab.
Die fetthaltige Druckerfarbe haftet danach nur an der Zeichnung.
Korrekturen werden mechanisch mit Schaber, Bimsstein oder Glaspapier vorgenommen
oder auf chemischem Weg mit Säure.
Das Papier wird auf den Stein gelegt und die Farbe durch Pressen übertragen.
Beispiele in der Ausstellung
David et Bethsabée, 1947 (Raum 14) (Lithographie, 2./4./6. Zustand (Zinkographie), Feder,
Schaber und Direktätzung, Abzug auf Vélin d'Arches; Drucker: Atelier Mourlot, Paris)
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Die Lithographien zeigen verschiedene Zustandsdrucke. Picasso hat häufig Änderungen
vorgenommen, das neue Ergebnis gedruckt und sich erst nach
verschiedenen Zustandsdrucken entschlossen, eine Auflage von 50
Blättern zu drucken. Er benutzt die Lithographie, um den
Gestaltungsprozess voranzutreiben.
Grafische Gestaltung eines gewählten Themas soll bis zur
Vollkommenheit getrieben werden. Ständige Auseinandersetzung mit der
Form, mit Verhältnis von schwarz und weiss.
Picasso hat den Druckern der Imprimerie Mourlot über die Schulter
geschaut, setzt sich beim eigenen Experimentieren mit Drucktechniken
aber über technische Regeln hinweg.
Er verwandelt in zehn Zustandsdrucken David und Bathseba von Lucas Cranach (Version
von 1526). Als Vorlage dient ihm eine schwarz-weiss-Abbildung: Bathseba wird von König
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David (mit Harfe) beim Bade beobachtet. Später wird sie ihm den Sohn Salomon gebären.
Während Picasso im 2. Zustand vor allem die Umrisse und Gewandstrukturen betont und
die Helldunkelkontraste hervorhebt, wird die Szene im 4. Zustand auf schwarze Flächen
und weisse Linien reduziert, wodurch die Protagonisten der Szene in den Hintergrund
rücken. Geometrische Formen und Flächen bestimmen die Szene. Es ist eine Art
Negativvariante.
Der 6. Zustand erfährt mittels Schabtechnik wieder eine Aufhellung, so dass vor allem die
Gesichter von David, Bathseba und ihrer Dienerin (mit auffälligem Dekolleté) hervortreten.
Die grossen Flächen des 4. Zustandes bleiben bestehen.
Das Frau-Mann-Thema interessiert, der voyeuristische Blick des Königs David, die
erotische Spannung.
Umdruck des 6. Zustandes der Zinkografie auf Stein, da die Zinkplatte abgenutzt war.
Druckgrafische Serien
Suite des Saltimbanques, 1905 (Drucker Louis Fort, Paris)
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1913 von Louis Fort gedruckt und von Ambroise Vollard herausgegeben und betitelt.
Mit der Suite des Saltimbanques zeichnet sich eine thematische und stilistische Wende ab,
hin zur Rosa Periode (s. Kap. Rosa und Blaue Periode).
Gaukler, Artisten, Harlekine werden zum Thema.
Suite Vollard, 1930-37 (Raum 10), verschiedene Druckverfahren. (Drucker Roger Lacourière)
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Folge von 100 Radierungen, die der Kunsthändler Ambroise Vollard 1939 nachträglich zu
einer Serie zusammengestellt hat. Die Platten erhielt Vollard von Picasso (im Tausch für
zwei Gemälde, je eines von Renoir und Cézanne)
In der Suite Vollard hat Picasso alle Erfahrungen zusammengefasst, die er im Umgang mit
klassizistischen und surrealistischen Formen gemacht hat: Vehemenz der Linie, des
Strichgefüges, Schattierungen, Dunkelschichten und Dunkelgrund entsprechen dem
thematischen Kreis des Kampfes, der Minotauromachie, wie dem politischen Bezug.
Keine inhaltlich zusammenhängende Gruppe, die von gemeinsamem Programm getragen
wird, aber 5 Hauptthemen und antike Vorbilder:
o
Atelierdarstellungen (46 Grafiken behandeln das Thema Bildhauer und Modell)
o
Selbstbildnisse Rembrandts (4 Grafiken)
o
Umarmungs- und Vergewaltigungsszenen (5 Grafiken)
o
Darstellung des Minotaurus (Alter Ego des Künstlers in Umarmung, als Liebhaber
oder als Blinder geführt) (15 Grafiken)
o
Porträts von Vollard (3 Grafiken)
o
Freie Blätter (27 Grafiken)
Picassos Geliebte Marie-Thérèse Walter erscheint in der Suite Vollard immer wieder als
Schlafende, als Figur von rettender Sanftheit und Hingabe, als Personifizierung natürlicher,
ungespaltener Menschlichkeit
Minotaurus-Blätter vergegenwärtigen unterschiedliche, aber immer intensive, meist
erotische Emotionen, von Zärtlichkeit bis Aggression
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347 Gravures, 1968 (Raum 14), verschiedene Druckverfahren (Drucker: Gebrüder Cromelynck)
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Vom 87-jährigen Picasso vom 16. März bis 5. Oktober 1968 geschaffen, einen Monat nach
dem Tod seines gleichaltrigen Landsmannes, Freundes und Sekretärs Jaime Sabartés.
Umfangreichster druckgrafischer Zyklus überhaupt –Motive sind Liebhaber, Musketiere
und Clowns, Männer in verschiedenen Rollen und fast immer als Bewunderer und
Betrachter der Frau, als Maler mit ihrem Modell. Die weibliche Kupplerin –die berühmte
Celestina aus der spanischen Tragikomödie von Fernando de Rojas (Ende 15. Jh.) – ist
omnipräsent.
Die Pariser Drucker Aldo und Piero Crommelynck hatten in Mougins in der Nähe von
Picassos Landhaus eine Druckerpresse speziell für ihn eingerichtet.
Picasso arbeitete offenbar am Morgen, vollendete zuweilen gar mehrer Platten an einem
Tag, die dann am Mittag von seinen Druckern geätzt wurden, und abends kamen schon
die ersten Probedrucke. Er bearbeitete bis zu sieben Kupferplatten pro Tag.
Picasso hat sich die Zeit genommen, mit den Druckern die Druckplatten grafisch so
vielseitig und technisch differenziert zu bearbeiten.
Sehr rasches serielles Arbeiten.
156 Gravures, 1970-1971 (Raum 14), verschiedene Druckverfahren
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Setzen Serie der 347 Gravures fort.
Arbeitet mit den Tiefdrucktechniken Kupferstich, Radierung, Kaltnadel und Aquatinta,
wandelt die Techniken ab und kombiniert sie miteinander und erzielt völlig neue
Wirkungen.
Voyeurhaftes verstärkt sich.
Nicht nur Verweise auf andere Maler, sondern auch Rückgriffe auf eigenes Werk.
Thematik:
o
o
o
o
Maler und Modell als zentrales Thema des Alterswerkes, der Maler wird aber
vermehrt nicht mehr als aktiver Maler dargestellt, sondern als passiver Betrachter,
wohingegen sich das posierende Modell zur sich immer stärker exhibitionierenden
Frau wandelt.
Auch Darstellung der Konfrontation zwischen Mann und Frau.
Zudem Hommage des alternden Picasso an die Frau.
Einige Blätter knüpfen an berühmte Bilder anderer Maler an (Manet, Ingres,
Delacroix u.a.).
4.3 Zeichnung
-
Arlequin et Colombine, 1905 (Raum 2) (Feder mit brauner Tinte auf kariertem Papier, auf
Unterlage aufgezogen)
Studie zu „Les Demoiselles d’Avignon“, 1907 (Raum 3) (Schwarze Kreide und Pastell über
Bleistift auf Ingres- Papier (mit Wz.)
Saltimbanque assis, 1922/23 (Raum 6) (Pinsel, Tusche und Rötel auf Papier)
Sculpture d'une tête (Marie-Thérèse), 1932 (Raum 11) (Kohle auf grundiertem Gewebe)
Femme assise (Dora), 1938 (Raum 11) (Tusche, Gouache und Farbkreide auf Papier)
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4.3.1 Rötel
Mineralogisch gesehen ist der natürlich vorkommende Rötel eine Abart des Roteisensteins, also
eine vom Gehalt an Eisenoxyd her rote Kreide, ein Gemenge eigentlich von Ton und Eisenocker
(daher auch Toneisenstein), dessen recht weiche Konsistenz die Möglichkeit unmittelbarer
Verwendung zum Zeichnen bot. Wurde einfach in Stücke gesägt und mit Messern zu vierkantigen,
handlichen Stiften geschnitten. Man steckte diese vierkantigen Klötzchen oder Stängel in ein Rohr
und spitzte sie zum Zeichnen zu. Obwohl seit Jahrtausenden als Farbmittel bekannt, erstmals auf
Handzeichnungen kurz vor 1500 vorkommend.
Verschiedenartigkeit der Färbung des Rötels reicht von flammendem Hellrot zu mattem Braun,
was vom quantitativen Verhältnis des Tons zum Eisenoxyd in der jeweiligen Lagerung abhängt.
Vor allem der jeweilige Zeitgeschmack hat die Wahl des Farbtons bestimmt: Hellrot bis feuerrot 
15. und frühes 16. Jh. mit Raffael, Michelangelo, Correggio. Dunkelrot, bläulichrot bis violett 
spätes 16. und 17. Jh. mit Carracci, Poussin und den Barockmeistern. Bräunlich bis braun 
spätes 18. Jh. in Frankreich.
4.3.2 Schwarze Naturkreide
Mit der Naturkreide hat man seit jeher bis ins 19. Jh. hinein vorwiegend gezeichnet. Das
natürliche Vorkommen des Tonschiefers, einer kohlenstoffartigen Tonerde, erstreckt sich über
ganz Europa und wurde in Bergwerken gewonnen (Piemont, Spanien, Holland, Portugal, bei
Osnabrück oder Nürnberg). In vierkantige Stängel zersägt und so zum Zeichnen gebraucht.
Dunkle Färbung wegen Kohlenstoff/bituminösen Stoffen. Farbe des Tonschiefers kann
bräunlichgrau bis tiefschwarz sein. Wahrscheinlich erstmals im 15. Jh. in Italien zum Zeichnen
benutzt. Weit verbreitet im 16. Jh. auf farbigem Papier.
4.3.3 Weisse Kreide
Zählt zu ältesten Zeichen-Mitteln. Wurde weniger selbständig eingesetzt, sondern zusätzlich zu
schwarzer Kreide und Rötel als Lichthöhung. Neben eigentlicher Kreide, die aus
Kalkablagerungen (Calciumcarbonat) von Mikroorganismen, kleinen Meerestieren und Kalkalgen
besteht, wurden auch andere weisse Materialien verwendet, wie z.B. Bologneser Kreide (Gips),
weisser Ton (Pfeifenton oder Kaolin), Speckstein (Steatit). Art der Kreide auf Zeichnungen lässt
sich nur mit Hilfe von Mikroanalysen bestimmen.
4.3.4 Kohle
Zählt zu den ältesten Gebrauchsgegenständen der Menschheit, seit jeher natürlichstes
Zeichenmittel. Zeichen-, Reiss-, Stängel- oder Naturkohle ist Holzkohle in Stäbchen oder
grösseren Stücken. Verschiedene Holzarten eigenen sich zur Herstellung: Weide, Nussbaum,
Linde, Birke, Obsthölzer und die Stängel des Pfaffenhütleins. Holz wird zuerst auf die gewünschte
Länge und Dicke der Zeichenkohle zugeschnitten, mit Hilfe von Draht gebündelt und schliesslich
in einer verschlossenen Büchse oder einem Lehmklumpen längere Zeit in nicht zu starkem Feuer
gebrannt. Verkohlen muss unter Luftabschluss erfolgen. Brenndauer und Temperatur beeinflussen
die Eigenschaft der Kohle.
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Früheste bekannte Kohlezeichnungen aus 2. Hälfte des 15. Jh., aber wahrscheinlich schon früher
für Entwürfe, Unterzeichnungen und Studien verwendet.
Kohle und schwarze Kreide sind auf alten Zeichnungen von der Farbe her kaum zu
unterscheiden. Seit der Mitte des 16. Jh. tränkte man Holzkohle mit trocknenden Ölen, die ein
Fixieren der Zeichnung überflüssig machte. Ölkohle ist geschmeidiger und ergibt einen dunkleren
Strich als gewöhnliche Zeichenkohle. Aufgekommen ist sie wahrscheinlich in Italien. Am
häufigsten wurde sie in Italien und Holland im 17. Jh. verwendet. Später durch künstlich
hergestellte Pastellkreiden verdrängt.
Das „Maler- und Modell“-Motiv
Das Thema „Maler und Modell“ beschäftigt Picasso bereits 1927/28 bei der Illustration von
Balzacs Chef-d’oeuvre inconnu (1831), der Erzählung von der Unvollendbarkeit des absoluten
Kunstwerks. Ambroise Vollard veröffentlicht 1931 die illustrierte Fassung. Das Thema wird dann
1953/54 in einer Zeichnung wieder aufgenommen und beherrscht seit 1963 sein Werk.
Produktivität: 1953/54 greift Picasso zu Pinsel und Tusche und es entstehen 180 kleinformatige
Zeichnungen (genannt Suite) mit tagebuchartigem Charakter. Picassos intensive Schaffensphase
beweist eine beeindruckende schöpferische Produktivität.
Leben: 1952 stirbt Picassos Freund Paul Éluard und 1953 verlässt ihn Françoise Gilot und nimmt
die beiden gemeinsamen Kinder Claude und Paloma mit. Der Todesfall und das erstmalige
Verlassenwerden bleiben nicht ohne emotionale Wirkung auf den Maler.
Themen: das Altern, das kreative Schaffen. Wiederaufnahme eines Themas aus den 1927/1928er
Jahren: Maler-Modell, Mann-Frau, Betrachter-Objekt, verschiedene Rollenspiele.
Zentrale Rolle der Frau: Das nackte Modell, das gemalt oder bewundert wird und eine Rolle als
Muse einnimmt, bleibt wichtig. Das Modell kann als Symbol für das Festhalten am Gegenstand
verstanden werden. Picasso bezieht Position gegen die Abstraktion in der zeitgenössischen
Malerei. Bei der Wiedergabe der weiblichen Künstlerin spielt Picasso auf Françoise Gilot an und
äussert sich dabei ironisch und parodierend.
Rolle des Mannes: Das männliche Gegenüber verwandelt sich immer wieder. Die Männerfiguren,
die aber oft wie Knaben wirken, blicken zu der erwachsenen Frau hinauf und verlieren so den
Kontakt auf Augenhöhe.
Fiktion: Die gemalten Szenen sind frei erfunden, denn Picasso arbeitet in diesen Jahren weder
mit Palette noch mit Modellen.
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5 Künstlerisches und persönliches Umfeld, Sammler,
Galeristen, Ausstellungen
5.1 Wegbegleiterinnen
Fernande Olivier (1881-1966): steht Picasso ab 1904 Modell und wird bis 1912 seine
Geliebte.
Eva Gouel (1885-1915): Im Haus der Geschwister Stein lernt sie 1911 Picasso kennen,
stirbt 1915 an Tuberkulose.
Olga Koklowa (1891-1955): Lernt die russische Tänzerin bei den Arbeiten für das Ballett
Parade von Jean Cocteau kennen und heiratet sie 1918. Aus der Verbindung stammt Sohn
Paolo. Picasso und Olga lassen sich bis zu ihrem Tod 1955 nicht scheiden.
Marie-Thérèse Walter (1909-1977): Ist seit 1927 seine heimliche Geliebte, 1935 kommt
die gemeinsame Tochter Maya auf die Welt. Erst danach teilt sie sein Leben offiziell. Nach
Picassos Tod nimmt sie sich 1977 das Leben.
Dora Maar (1907-1997): Französische Fotografin mit kroatischen Wurzeln. Verkehrt in den
1930er Jahren im Kreis der Pariser Surrealisten um André Breton. Lernt Picasso über Paul
Éluard kennen und wird 1936 seine Geliebte.
Françoise Gilot (*1921): Französische Malerin. Lernt Picasso 1943 kennen, zieht mit ihm
nach Südfrankreich. 1947 werden Sohn Claude, 1949 Tochter Paloma geboren. Ist die
einzige Frau, die sich 1953 von Picasso trennt.
Jacqueline Roque (1927-1986): Wird nach der Trennung von Françoise Gilot Picassos
Lebensgefährtin, Heirat 1961. Hat sich um Picassos Nachlass gekümmert und nimmt sich
1986 das Leben.
5.2 Einige Künstlerfreunde/Kunstkritiker
Henri Rousseau (1844-1910): Französischer Maler, bedeutender Vertreter der naiven
Malerei. Seit 1906 intensiver Kontakt mit dem Kreis um Uhde, Apollinaire und Picasso, die
ihm zu Ehren 1908 im Bateau Lavoir jenes berühmt gewordene Festbankett veranstalten,
auf dem Apollinaire Hymnen auf Rousseau vorträgt und Rousseau Picasso folgendes
Geständnis macht: ‚Genau besehen, sind wir, Du und ich, die grössten Maler; ich im
modernen Stil, Du im ägyptischen.‘
Max Jacob (1876-1944): Französischer Schriftsteller und Kunstkritiker, lernt Picasso 1901
kennen. Picasso illustriert seinen 1909 erschienenen Roman Saint Matorel, verkehrt in
Literatenkreisen um Guillaume Apollinaire in Paris
Guillaume Apollinaire (1880-1918): Französischer Dichter und Kritiker. Lernt Picasso
1905 kennen. Tritt 1908 der Groupe du Bateau-Lavoir bei, die sich um Picasso und Braque
bildet und setzt sich sehr für den Kubismus ein. Prägt den Begriff des Surrealismus.
Kahnweiler ist sein Verleger.
André Salmon (1881-1969): Französischer Kunstkritiker, hat sich für den Kubismus
eingesetzt.
Georges Braque (1882-1963): Französischer Maler, entwickelt gemeinsam mit Picasso
den Kubismus.
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Carl Einstein (1885-1940): Deutscher Kunsthistoriker und Kunstkritiker, Freund von
Kahnweiler, lernt Picasso 1907 kennen und setzt sich als einer der ersten Kunsthistoriker
mit dem Kubismus auseinander.
Jean Cocteau (1889-1963): Französischer Dichter, Maler und Regisseur, zentrale Figur
des Pariser Kulturlebens v. a. zwischen den beiden Weltkriegen, wird zu einem Anreger
des Neoklassizismus. Für das von Cocteau geschriebene Ballet Parade (1917) entwirft
Picasso die Kostüme und das Bühnenbild.
Paul Éluard (1895-1952): Französischer Lyriker und enger Freund von Picasso.
André Breton (1896-1966): Französischer Dichter, Begründer und wichtigster Theoretiker
des Surrealismus. Lernt Picasso 1922 kennen, 1925 ist Picasso an der ersten
Surrealisten-Ausstellung vertreten.
Brassaï (Gyula Halász, 1899-1984): Gebürtiger Ungar, der sich 1923 als Maler und
Fotograf in Paris niederlässt. Seit 1923 Mitglied der Pariser Surrealisten-Gruppe und
Zeichner für die Zeitschrift Minotaure. Befreundet mit Picasso und veröffentlicht 1964
Conversations avec Picasso.
5.3 Einige Sammler/Galeristen/Kunsthändler
Pere Mañach: Sohn einer katalanischen Fabrikantenfamilie, lässt sich in Paris als
Kunsthändler nieder, spezialisiert sich auf moderne spanische Maler und ist erster Händler
Picassos, schliesst 1900 mit Picasso einen Vertrag über hundertfünfzig Francs monatlich
ab und sichert sich so seine Bilder.
Sergei Schtschukin (1854-1936): Moskauer Mäzen; macht seit 1909 seinen Palais in
Moskau jeden Sonntag für die Öffentlichkeit zugänglich und zeigt russische Künstler wie
Tatlin und Malewitsch mit den neuesten Arbeiten von Picasso und Matisse, pflegt mit
Besuchern und Studenten, stundenlang über seine Gemälde zu diskutieren.
Ambroise Vollard (1865-1939): Eröffnet 1893 seine Galerie in Paris, ist dort Anfang des
20. Jh.s. einer der wichtigsten Kunsthändler; zeigt als erster schon 1901 Bilder des jungen,
noch unbekannten Picasso.
Berthe Weill (1865-1951): Wird die ‚kleine Mutter Weill‘ genannt; erste weibliche
Galeristin; stellt 1902 als eine der ersten und wenigen Galerien Picasso aus, vor
Kahnweiler; stellt zwar junge, unbekannte Künstler aus, wird aber als wenig
leidenschaftlich und unkritisch bezeichnet.
Clovis Sagot (-1909): Soll Picassos erster Kunsthändler in Paris gewesen sein; für
Picasso war er im Rückblick mehr ein Trödler, der auch Bilder verkaufte, ein ehemaliger
Clown und ein sehr harter Geschäftsmann, fast ein Wucherer; wenn Picasso pleite war,
habe er ein paar Bilder unter den Arm genommen und sie ihm verkauft; Picasso hat Sagot
1909 porträtiert.
Gertrude Stein (1874-1946): Amerikanische Schriftstellerin und Kunstsammlerin, die sich
1903 mit ihrem Bruder Leo in Paris niederlässt und einen Salon eröffnet, in dem sich die
Pariser Avantgarde regelmässig trifft; begegnet Picasso 1905 im Bateau Lavoir; baut eine
eindrucksvolle Sammlung auf mit Bildern der Impressionisten, der Fauves und der
Kubisten; Kahnweiler ist Stammgast in Steins Salon; Picasso porträtiert Gertrude Stein
1905-06 (Metropolitan Museum of Art, NY); die bei weitem ausserordentlichste
französische Sammlung von Picasso-Werken hat massgeblich zu seiner Reputation in
Europa beigetragen und durch Mundpropaganda in den USA.
Wilhelm Uhde (1874-1947): Deutscher Jurist, der sich nach einem Kunstgeschichtsstudium 1904 in Paris als Kunsthändler niederlässt; auch schriftstellerisch tätig; Uhde
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weist Kahnweiler als Erster 1907 darauf hin, Picasso in seinem Atelier zu besuchen, wo
die Demoiselles d’Avignon, 1907, die den Kubismus einläuten, hängen. Uhde veranstaltet
jeden Sonntag einen eigenen Salon mit Künstlern, Sammlern, Schrifstellern, Gelehrten
und Studenten aus ganz Europa.
Vincenc Kramář (1877-1960): Sohn eines reichen Prager Geschäftsmannes, studiert
Kunstgeschichte in Wien; 1910 zum ersten Mal in Paris, kauft bei Kahnweiler ein Gemälde
von Derain; Kramář erwirbt mehrere Picassos, auch bei Vollard; Freundschaft mit
Kahnweiler, der ihn später immer über die neusten Werke von Picasso informiert, weshalb
Kramář jedesmal umgehend von Prag anreist.
Alfred Flechtheim (1878-1937): Deutscher Kunsthändler und Kunstsammler aus
Düsseldorf; stammt aus alteingesessener Getreidehändlerfamilie; gründet den
Düsseldorfer Kunstverein; lernt Picasso und Kahnweiler über Uhde kennen; besitzt 1911
die grösste Privatsammlung von Picasso-Werken in Deutschland; ermuntert die Frau des
Komponisten Mendelssohn-Bartholdy zum Kauf von Picassos.
Daniel-Henry Kahnweiler (1884-1979): Französischer Kunsthändler und Sammler,
Schriftsteller und Verleger deutscher Herkunft, einer der bedeutendsten Galeristen des 20.
Jh.s und Schlüsselfigur der modernen Kunst; seine Galeristen-Vorbilder sind Paul DurandRuel (1831-1922), als Vertreter der Impressionisten, Ambroise Vollard;
Eröffnungsausstellung seiner Galerie mit Werken seiner kubistischen Künstlerfreunde
Braque, Gris, Léger und Picasso; Förderer der Kubisten; hat die Künstler Vlaminck,
Derain, Braque, Gris, Léger und Picasso besonders gefördert; besucht Picasso
regelmässig im Bateau Lavoir; Verleger von Apollinaire und Max Jakob; die Bestände
seiner Galerie wurden in beiden Weltkriegen beschlagnahmt, im Ersten, weil er Deutscher
war, im Zweiten, weil er Jude war.
Louise Leiris (1901-1990): Schwester von Kahnweilers Frau Lucie, verheiratet mit dem
französischen Schriftsteller Michel Leiris, übernimmt 1939 die Leitung von Kahnweilers
Galerie.
Neue Generation von Picasso-Sammlern: stammen aus der Pariser haute bourgeoisie;
ihr Doyen ist André Level, Geschäftsführer der Marseille-Dockgesellschaft; Level kennt
Vollard und die Bernheims und führt seine drei Brüder und seine Cousins bei Berthe Weill,
Sagot und schliesslich Vollard und Kahnweiler ein; Level wird schliesslich zu einem von
Picassos engsten Beratern; ein sehr leidenschaftlicher junger Picasso-Sammler ist Roger
Dutilleul.
Nur wenige Sammler aus England und den USA interessierten sich für Picasso.
Hermann Rupf (1880-1962): Besitzer der Firma Hossmann & Rupf, eines MercerieGeschäftes in Bern; einer der wichtigsten Sammler der klassischen Moderne; gilt als erster
Schweizer, der ein Werk von Picasso erworben hat; lernt 1901 den Kunsthändler DanielHenry Kahnweiler in Frankfurt am Main bei einer Bankausbildung kennen; sie sind ein
Leben lang befreundet; Rupf ist Kahnweilers erster Käufer und kauft dessen erste
Picassos.
Ernst Beyeler (1921-2010): Basler Kunsthändler, der seine hochkarätige PicassoSammlung in die Fondation Beyeler in Riehen eingebracht hat (siehe Kapitel Basel 1967).
Eberhard W. Kornfeld (*1923): Hat sich als Galerist, Sammler, Verleger in Bern unter
anderem für das grafische Werk von Picasso stark gemacht.
Angela Rosengart (*1932): fokussierte zusammen mit ihrem Vater Siegfried Rosengart
ihre Sammlung in Luzern auf das Spätwerk von Picasso.
Georges Bloch (1901-1984): siehe Kapitel Basel 1967.
Basler Sammler: siehe Kapitel Basel 1967.
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5.4 Kunstkritiker
Die massgeblichen Kunstkritiker sind Louis Vauxcelles (schreibt unter einem Pseudonym, seine
Texte sind in Paris sehr verbreitet, hat den Kubisten und Fauvisten den Namen gegeben); André
Salmon, Waldemar George, Guillaume Apollinaire, Félix Fénéon, Roger Allard, Maurice Raynal,
Roger Marx, wobei die professionellen Kunstkritiker (deren Prototyp Louis Vauxcelles ist) von den
Dichtern zu unterscheiden sind, die gleichfalls die Rubrik ‚Kunstkritik’ bestreiten (Apollinaire).
5.5 Wichtige Ausstellungen
Für die Ausstellungen in Basel: siehe Kapitel 6.4 und 6.6
-
1932 Zürich, erste Retrospektive
1939 Museum of Modern Art in New York, erste kuratierte Museumsausstellung von Alfred
H. Barr Jr., die über 400 Werke aus 40 Jahren umfasste.
1966 Paris (Galeries Nationales du Grand Palais und Musée du Petit Palais) ehrt Picasso
erst spät durch eine Hommage à Picasso.
1971 erste Ausstellung eines lebenden Künstlers im Louvre.
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6 Das Basler Picasso-Jahr 1967
6.1 Einleitung
Am 7. September 1932 übernachtet Picasso einmal in Basel im Hotel ‚Trois Rois’ auf dem Weg zu
seiner Zürcher Ausstellung, wo zum ersten Mal ausschliesslich Werke von Picasso in einem
Museum gezeigt werden. Auch wenn jener Besuch in Basel kurz ausfällt, bleibt es wichtig zu
betonen, dass Picassos Karriere in allen Phasen von Basler Sammlern, Kunsthistorikern und
Händlern mitgeprägt wird. Die meisten Werke im Kunstmuseum Basel stammen aus
verschiedenen Basler Privatsammlungen, die im frühen 20. Jh. entstehen. Seit 1943 sind Werke
von Picasso im Kunstmuseum Basel zu sehen, dessen Bestand seither stetig angewachsen ist
und dem Museum zu Weltruhm verhilft.
„Die Basler Picasso-Geschichte ist eine Mischung aus Weihnachtsmärchen und Triumphgeschichte, eine Geschichte mit einem traurigen Anfang (Flugzeugabsturz) und einem glücklichen
Ende (Wertzuwachs der Museumssammlung), mit Helden (Picasso, Basler Jugend), Bösewichten
(Alfred Lauper, Peter Staechelin) sowie Vermittlern (Franz Meyer, Jacqueline Picasso). Auf den
ersten Blick erinnert sie an die Tradition der religiös geprägten Legendengeschichten aus dem
Reich der Kunst. Wie anlässlich des um 1900 verehrten Arnold Böcklin (und wie später im Fall von
Joseph Beuys) dreht sich auch die Basler Picasso-Geschichte um die Versöhnung zwischen
künstlerischem Genie und bürgerlicher Gesellschaft. Er war uralt – und dennoch vital. Er lebte
zurückgezogen – und dennoch allwissend. Er produzierte unermessliche Werte – und
verschenkte diese anscheinend selbstlos. Seine Aura verklärte das nüchterne, vom Auf und Ab
der kapitalistischen Wirklichkeit geprägte Basel. Wie durch ein „Wunder“ – kraft der Jugend, die
ein Opfer brachte – erwies sich die Stadt seiner würdig und hatte einen Moment lang Teil an
seiner erhöhten Existenz. Hätten nicht Werke von Picasso, sondern von van Gogh, Cézanne oder
auch Hodler einen Volksentscheid vorgelegen, wäre die Geschichte wahrscheinlich anders
ausgegangen.“21
Im Folgenden wird das legendäre Basler Picasso-Jahr 1967 stichwortartig wiedergegeben,
dessen Ereignisse wesentlich zum heutigen Selbstverständnis Basels als Kulturstadt beigetragen
haben. Anschliessend wird kurz auf die Basler Sammler eingegangen, die das Fundament für die
Basler Picasso-Rezeption bilden. Die Präsenz von Picasso-Werken im Kunstmuseum Basel wird
in den Abschnitten vier und fünf erläutert und mit einer Basler Ausstellungsgeschichte abgerundet.
6.2 Das Jahr 1967
Im Zentrum des legendären Picasso-Jahres 1967 stehen die beiden Werke Les deux frères und
Arlequin assis, die schliesslich von der Stadt Basel angekauft werden und sechs Schenkungen
von Picasso-Werken auslösen.
21
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6.2.1 Ablauf des Geschehens
Die beiden Werke befinden sich vor dem Ankauf im Besitz der Familienstiftung Staechelin
seit 1917 (Les deux frères) und seit 1924 (arlequin assis). Nebst 25 weiteren Werken sind
sie seit 1947 als Deposita im Kunstmuseum Basel (KMB) zu sehen. Der Arlequin ist
bereits 1924 zu Gast im KMB und somit erstes Picasso-Gemälde in einem Basler
Museum.
Die Basler Charterfluggesellschaft Globe Air muss wegen einem Flugzeugabsturz in
Zypern am 20. April 1967 Konkurs anmelden. Die Gesellschaft, deren Hauptaktionär Peter
G. Staechelin ist, befindet sich schon zuvor in finanziellen Nöten. Der Absturz lässt den
Verlust in der Presse mit CHF 29 Mio. beziffern.
Die Familie muss Bilder aus ihrer Sammlung veräussern, um die Schulden zu bezahlen,
was gemäss Stiftungsbestimmungen nur in Not geratenen Familienmitgliedern zusteht.
Die Verpfändung wichtiger Bilder an die Migros Bank wird bekannt, darunter Werke von
Gauguin (Paysage breton), van Gogh (La Berceuse, Tête de femme, Le jardin de
Daubigny), Picasso (Les deux frères, Arlequin au loup).
Das KMB erstellt eine interne Liste der wichtigsten Werke aus der Sammlung Staechelin:
1. Les deux frères, Picasso 2. NAFEA, Gauguin 3. Arlequin assis, Picasso 4. La Berceuse,
van Gogh.
La Berceuse wird in einer Blitzaktion für CHF 3.25 Mio in die USA verkauft. 8 weitere
Werke vermittelt Ernst Beyeler an Käufer, davon 4 aus dem Depositum (van Gogh,
Cézanne, Sisley, Monet).
Ein Aufschrei der Bevölkerung erfolgt.
Die Familienstiftung Staechelin bietet die beiden Werke Les deux frères und Arlequin assis
für CHF 8,4 Mio der Stadt Basel zum Kauf an. Zugleich versichert der Stiftungsrat beim
Kauf durch die Stadt, den Kernbestand der Sammlung (12 Werke), der sich im
Kunstmuseum befindet, in den nächsten 15 Jahren nicht zu veräussern.
Es müssen CHF 8,4 Mio aufgetrieben werden für die beiden Picassos. Die Regierung (nur
4 Gegenstimmen im Grossen Rat) bewilligt CHF 6 Mio. Die restlichen CHF 2,4 Mio
müssen privat gesammelt werden. Umgerechnet auf jeden Einwohner der Stadt Basel sind
CHF 34.- zu bezahlen.
Ein Strom von Spenden, Aufrufen, Kommentaren: Nicht nur die Vertreter von Öffentlicher
Kunstsammlung, Universität, Kunstverein, Gewerbe- und Kunstgewerbeschule,
Künstlervereinen, Verkehrsverein, sondern weite Teile der Bevölkerung werden aktiv. Die
Basler Chemie und der Schweizerische Bankverein spenden CHF 1.5 Mio. Aber auch
andere Kantone, Künstlergruppen und sogar Schulklassen spenden Geld.
Am 25.11.1967 findet das grosse Bettlerfest statt, wobei CHF 300’000 zusammen
kommen: Heisse Picasso-Suppe vor der Hauptpost, Schuhputz-Stand vor dem Rathaus,
Speisewagen-Anhänger am Tram, Hochradfahren in der Rittergasse, echte und kopierte
Harlekins, Buden, Beizen, Verkaufsstände, Promis (Hanns U. Christen, bekannt als -sten)
kochen in einem Bretterrestaurant, Basler Künstler verlosen und verkaufen Bilder und
Keramik, Gewerbeschüler bauen am Bankenplatz einen Floh- und Kunstmarkt auf,
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Innenhof Kunstmuseum als Bazar von Bagdad: Bürger von Calais betteln mit (Mütze in
Hand, Protestknopf auf), Abzüge von Original-Kupferplatte einer Basler Stadtansicht von
Matthäus Merian, Promis spielen Kellner oder Wirte in Restaurants, die Teil der
Einnahmen spendeten, Zürichs Stadtpräsident zieht mit Trommeln und Pfeifen und einem
Check über CHF 26'000.- in die Kunsthalle ein, Thuner Lehrerseminar verkauft Blumen,
Schülerdemonstration auf dem Marktplatz, Teenager nehmen Gitarren und Strassenkreide
hervor und malen Abbilder der beiden Werke.
Der zornige Garagist und Globe Air-Aktionär Alfred Lauper sammelt 2000 Unterschriften
für das Referendum gegen den Beschluss des Grossen Raters (nur 1000 nötig). Es kam
zur Volksabstimmung am 17.12.1967: 32’118 PRO, 27’190 CONTRA.
Picasso ist vom demokratischen Akt so gerührt, dass er Franz Meyer nach Mougins in sein
Atelier bittet und der Stadt Basel drei Gemälde schenkt: Homme, femme et enfant, 1906,
Vénus et l’Amour, 1967, Le couple, 1967 und eine wichtige grossformatige Skizze
Kompositionsstudie zu "Les Demoiselles d’Avignon", 1907.
Die Kunstmäzenin Maja Sacher-Stehlin schenkt daraufhin das kubistische Bild Le poète,
1912.
1969 schenkt der Verein der Freunde eine mit Feder gezeichnete Étude pour ‚Les deux
frères’, 1906.
Der Platz hinter dem Museum wird Picasso-Platz getauft und mit der monumentalen
Version der Blechskulptur Homme aux bras écartés, 1961/2007 (Geschenk der NationalVersicherung) bestückt.
6.2.2 Zitate aus Leserbriefen
„Für mich wäre es niederschmetternd, wenn die beiden Picasso-Bilder und eventuell gar
noch die übrigen Bilder der Dr. Rud. Staechelin-Stiftung unserem Museum verlorengingen.
Das Museum käme mir vor wie geplündert.“
„Es ist direkt eine Sünde, einen solchen Betrag für Luxus zu verwenden, wo Viele quasi
von der AHV leben müssen.“
„Man kann nicht jahrelang in Schrift und Wort gegen Denkfaulheit und Dummheit
ankämpfen – und dann beiseite stehen, wenn es gilt, eine Riesendummheit zu verhindern
– nämlich die Ablehnung des Bilderkredits.“
„Jeder mittlere Gewerbeschüler könnte so malen wie Picasso… Sind wir in Sachen Kunst
und Künstler glücklich im Zeitalter der Devotionalien angelangt. Gemahnt das Getue der
Basler um die beiden „Spitzenpreis-Bilder“ nicht an einen Hochzeitsflug der Termiten, die
einmal, wenn auch nur einmal in ihrem Leben Höherem dienen, um dann um so fleissiger
mehr und mehr Aeschenvorstädte zerstören und Innere Margarethenstrassen bauen zu
können? Acht Millionen für ein Alibi.“
„Wenn wir jetzt nichts unternehmen, verschwinden zwei Meisterwerke auf
Nimmerwiedersehen. An uns soll’s nicht fehlen.“ (Knabensekundarschule und Basler
Werkklassen)
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I has nit gärn, wenn notinoo
E Stadt ihr Gsicht verliert
Und wenn si coram publico
Mit ihre Schetz huusiert.
Ob alt, ob ney, das isch mer glych,
d’Kunscht goht durs Läbe mit
in ihrem Zaiche simmer rych
Sag, simmers oder nit?
(Blasius)
„Holt anstatt des modernen Gekafels wieder von den guten alten Bildern herauf.“
„Was rächt isch gschiht: Mer gehen die Mehrheit scho go baue… Mir sage jo. Und unsri
Helge blybe do.“ (IG der Basler Turn- und Sportverbände)
„Man gebe dem, der hat, damit er noch mehr hat!“ (Flugblatt gegen Peter G. Staechelin)
„Mir ist unbegreiflich, dass jemand nicht einsehen kann, dass Basel in der
beneidenswerten Lage ist, auf einen Schlag zwei, in ihrer Art einzigartigen Meisterwerke
kaufen zu dürfen. Basel kann nichts Besseres kaufen! Spielt hier der Preis noch eine
Rolle?“
„Wäre das Volk auch nicht legitimiert, zum Wert oder Unwert von Gemälden und ihrer
Problematik ein Wort zu sagen, so missbilligt es doch von A bis Z die angewandten und
hier aufgedeckten Methoden. Es sagt ein hartes Nein zu den sechs Millionen, die es dem
Staat für vernünftigere Aufgaben zu retten hat, womit denn auch das „Gesicht der
Kunststadt Basel“ nach dieser abwegigen Harlekinade gewahrt bleibt.“
„Was? Pro Person über CHF 30.- kosten die beiden Bilder? Gut, dann trinkt und raucht
man halt ein bisschen weniger.“
„Liebe Mitbürger und Mitbürgerinnen! Der Basler Geldverschleuderungsverein, genannt
Grosser Rat, glaubt, für zwei Bilder Millionenbeträge ausgeben zu müssen. Es besteht
keine Notwendigkeit, Steuergelder für zwei Helgen zu verwenden, solange es an
Wohnungen zu einem vernünftigen Preise fehlt und solange unsere alten Leute jahrelang
warten müssen, bis sie Platz in einem Altersheim finden. Daher dieses Referendum.“
(Alfred Lauper, Initiator Referendum)
„Der Griff nach diesem Geld birgt in sich den Ungeist von Grossmannssucht,
Überheblichkeit und Weltgeltung! Eine Kunst jedoch, welche nur nach materiellen Grössen
bewertet wird und erst dort beginnt, wo die Millionen reichlich fliessen, ist eine entartete,
ungesunde, wenn überhaupt eine Kunst!“ (Komitee Referendum)
„Die Qualität der Bilder ist hervorragend, sie wird alle Wandlungen des Zeitgeschmacks
überdauern.“ (Rudolf Suter in Basler Nachrichten)
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6.2.3 Hintergründe für die Mehrheitsfähigkeit Picassos22
Rolle in der Kunstgeschichte
Stilisierung und Anerkennung nicht nur in Basel: anfänglich kritische Wertung des Spaniers
in Europa, danach documenta 1955-64: 3 Teilnahmen in allen drei Gattungen: Malerei,
Skulptur, Graphik. Doch Ende 1960er ist Picasso als zeitgenössischer Künstler als
zentrale Position der Moderne etabliert, bürgt für die Modernität überhaupt. 1976 KM
grosse Ausstellung zusammen mit New Yorker Museum of Modern Art als
Bestätigungspartner. Dort neben Matisse eine wichtige Leitlinie der Moderne in der
Sammlung.
Erfolg trotz Widerständigkeit einer modernen Position: Picasso ist konsensfähig, weil er
nicht nur für Provokation steht, sondern auch für Traditionsbewusstsein. Er polarisiert
viel weniger als andere Avantgarde-Künstler des 20. Jh.
Picasso agierte differenzierter, grenzte sich nicht ablehnend gegen vorausgegangene
Traditionen ab, selbstbewusste Positionierung jenseits des Ablaufs der
Malereigeschichte der Moderne, autonome Grösse „Ich wollte Maler werden und bin
Picasso geworden“.
Keine stringente stilistische Entwicklung, sondern waghalsige Stilwechsel und Anleihen
an die Bildtradition, Unterwanderung der Avantgarde. Anachronistischer Werdegang von
Picasso: Wiederaufnahme von Erzählung und Motivik der Bildtraditionen.
Mehrheitsfähigkeit, demokratisch legimitierbar. „Die Katze frisst den Vogel, Picasso frisst
die Katze, die Malerei frisst Picasso (…). Nur die haben es nicht gewusst. Am Ende
gewinnt immer die Malerei.“ Zitat André Malraux in „Das Haupt aus Obsidian“, 1975, mit
Blick auf Chat saisissant un oiseau 1939, mit Picassos eigenen Worten.
Projektionsfläche eines Künstlergenies im 20. Jh. durch die Verbindung der
künstlerischen Meisterschaft mit der Unmittelbarkeit des malerischen Ausdrucks gilt
Picasso als Inbegriff des modernen Künstlers: leibhaftiger Teufel, der mit allen Kategorien
und Erwartungen an ein Bild bricht, und Held der Moderne sowie innovativer Querdenker
andererseits.
Rolle in der Bevölkerung
Figürlicher Stil und konventionelle Sujets populär.
Sein in Perioden unterteilbares Werk kam nicht nur dem stilgeschichtlichen Ordnungssinn
der Museen, sondern auch dem breiten Publikum entgegen.
Er wurde als vitale, stets von Kindern umgebene, zu Maskeraden neigende Vaterfigur der
Generation der Babyboomer nahe gebracht.
22
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Identifikation der Jugend mit domestizierten und domestizierenden Moderne, Freude für
Basler Eltern. Kurz darauf im Mai 1968 entlädt sich in Kalifornien, Paris und Berlin der
Generationskonflikt militant.
Melancholischer Harlekin = Porträt aus der Zeit des kulturellen retour à l’ordre der 1920er
Jahre, konnte als Emblem der Fasnachtsstadt gelesen werden.
Konfrontation mit Holbeins Familienbildnis: evozierte die Tradition der Humanistenstadt,
wo das Bild vom Menschen gepflegt und bewahrt wird. Picasso verkörperte wie kein
anderer Künstler die Kohärenz einer autonomen, überzeitlichen, bürgerlichen
europäischen Kultur und konnte damit eigentlich gar keine Feinde haben.
In den 1960er Jahren war Picasso einer der wenigen Vertreter der Avantgarde – neben
Braque, Chagall, Duchamp – der noch lebte. Picasso überflügelte diese Künstler jedoch
durch seinen unermüdlichen Erfindungsgeist und Provokationslust. Immer wieder heizte er
die Debatte um sein Spätwerk an. Picassos Spätwerk war zwar umstritten, doch
vermochte er sich aufgrund seiner historischen Leistung und seiner Schöpferkraft beim
breiten Publikum zu etablieren.
Rolle des Museums
Picassos Rang in Museumssammlungen unbestritten: unverzichtbare Bezugsgrösse für
die Modernesammlung im KMB. Eckpfeiler in der Sammlung des Museum of Modern Art
NY, des „grossen Bruders“ des Basler Kunstmuseums.
Wertschätzung im Museum: Erst im Zusammenhang mit den Werken Holbeins gemäss
Franz Meyers Hängung erlangen die Werke Picassos ihren vollen Wert und umgekehrt!
Identifikation eines Teils der Bevölkerung mit der öffentlich subventionierten Kultur.
Wertschätzung des Museums als zentrale kulturelle Instanz. Der Geldsammelbarometer
auch als Symbol für den Wert der öffentlichen Sammlung.
Kunst und Geldwirtschaft
Bettlerfest: selbst sammeln spielen.
Hosenknopf gleich viel wert wie Millionen aus dem öffentlichen Haushalt.
Wunsch, der seit jeher mit der Wertschätzung bildender Kunst zusammenhängt: Kunst
steht ausserhalb der modernen Geldwirtschaft.
Kunst ist Teil einer Ökonomie des Bettelns, Schenkens und Tauschens.
6.2.4 Themen für die Diskussion
Debatte analysieren mittels Zitate aus der Zeit: Welches Lager verwendet welche Argumente?
Auf welche Meinungen und Vorurteile lassen diese Äusserungen schliessen?
Einige Argumente PRO:
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Die zwei Gemälde sind Hauptwerke der Malerei des 20. Jahrhunderts. Waghalsige
Hängung von Franz Meyer: beide Werke flankierten Holbeins Familienbild.
„Es geht um das geistige Gut unserer Stadt!“ und nicht um Luxus. Die Humanistenstadt
Basel weiss die Kultur zu schätzen und schaut nicht nur auf den Franken. Damit poliert sie
ihr Image auf.
Das Kunstmuseum Basel riskiert den Platz unter den führenden modernen Kunsthäusern
und erleidet einen schmerzhaften Verlust an Touristen.
Sammlung/Depositum Staechelin gehört nicht zur Kategorie des freien Unternehmertums
wie die Chartergesellschaft. Sie ist einmalig, unersetzbar und daher hat die Öffentlichkeit
Anspruch auf die Objekte im Sinne des Sammlers.
Einige Argumente CONTRA:
Zusammenhang zwischen der Pleite der Globe Air-Fluggesellschaft und dem drohenden
Verkauf der beiden Werke „Wir sind zwar für Picasso aber gegen das Geschäft“.
Stimmbürger von Basel sind Banausen und wollen mit diesem Feldzug nur darüber
hinwegtäuschen. Wenn sie ihren Sinn für Kultur zeigen wollen, dann müssen sie nicht
CHF 6 Mio. dem Kunsthandel opfern. Kann man überhaupt Kultur mit Geld aufwiegen?
Wie viel ist Kultur wert? (Schriftsteller Walter Matthias Diggelmann)
Geld lieber in Altersheime, Wohnung, Spitäler investieren.
Wozu teure Spitzenwerke, wo der Durchschnitt doch so repräsentativ und wohlfeil ist?
Aktualisierung der Kunstdebatte heute: welche Argumente lassen sich heute für
zeitgenössische Kunst aufbieten? Wie ist die Rolle des eigenen Geschmacks im Vergleich zu
Positionen der Wissenschaft?
Massen mobilisieren heute: Ist eine solche Abstimmung bzw. eine solche Spendenaktion noch
denkbar? Für welche Belange? Wie werden die Massen heute für Themen mobilisiert?
Stimmrecht: Anhand der fotografischen Dokumente lässt sich die Beteiligung von Frauen an der
Abstimmung 1967 aufzeigen. Daran lassen sich die Erteilung und der Gebrauch des Stimmrechts
in der Schweiz und in Basel aufgreifen.
Nachdem der Kanton Basel-Stadt 1957 die drei Bürgergemeinden zur Einführung des
Frauenstimmrechts ermächtigt hatte, führte die Bürgergemeinde Riehen am 26. Juni 1958
als erste in der Schweiz das Frauenstimmrecht ein.
Am 1. Februar 1959 nahm der Kanton Waadt als erster das Frauenstimmrecht an. Es
folgten die Kantone Neuenburg (27. September 1959) und Genf (6. März 1960) sowie als
erste Kantone der Deutschschweiz Basel-Stadt (26. Juni 1966) und Basel-Landschaft (23.
Juni 1968).
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6.3 Basler Sammler
6.3.1 Raoul La Roche (1889-1965)
-
Sammlung des Bankiers und Kunstmäzens Raoul La Roche von 1921-28 aufgebaut:
kubistische und puristische Malerei.
-
1963 als Schenkung ans KMB, damit die ursprünglich in Paris beheimatete La RocheSammlung endgültig in die Schweiz ausgeführt werden durfte, mussten 5 Gemälde an den
französischen Staat geschenkt werden.
-
4 Picasso, 12 Gris, 17 Braque, 17 Léger
-
Günstige Kaufgelegenheiten vor allem nach 1. WK (Veräusserung von Daniel-Henry
Kahnweilers und Wilhelm Uhdes Galerieinventar).
-
Vermittlung der Käufe über Ozenfant und Le Corbusier, die er 1917/18 in Paris
kennengelernt hatte.
-
1921 erster Picasso-Ankauf über Ozenfant bei der 2e vente Kahnweiler: Le guéridon,
1913/14.
-
1923 Bau der Villa La Roche durch Le Corbusier in Paris.
6.3.2 Rudolf Staechelin (1881-1946)
-
Basler Unternehmer
-
Ab 1914 Zusammenstellung einer grossartigen Sammlung französischer moderner Kunst
des 19. Jh. und unmittelbarer Gegenwartskunst.
-
Kaufte bei führenden Kunsthändlern in Paris, Frankfurt/Main, München, Lausanne.
-
1917 erster Picasso in München gekauft in der Galerie Caspari, München: Les deux
frères, 1906.
-
1918 zweiter Picasso bei Gustav Bollag, ZH, der die Werke direkt von Picasso bezog:
Arlequin au loup, 1918.
-
1924 dritter Picasso bei Rosenberg, Paris: Arlequin assis, 1923, der vorher Karl im
Obersteg gehört hatte.
-
1931 Gründung einer schweizerischen Familienstiftung mit der Auflage: Verkauf der Werke
nur bei materieller Notlage der Nachkommen.
-
27 Kernstücke der Sammlung gelangen bereits 1947 als Deposita in die neu eingerichtete
moderne Abteilung des KMB
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6.3.3 Karl im Obersteg (1883-1969)
-
Basler Transportunternehmer, enger Freund von Rudolf Staechelin
-
Ab 1916 Aufbau einer Sammlung moderner Kunst, va. Kunst seiner eigenen Generation im
Blick (expressionistische und existentialistische Positionen).
-
1923 Ankauf des Arlequin assis bei Rosenberg, danach in USA-Ausstellungen gezeigt,
1969 von Sohn Jürg im Obersteg verkauft.
-
1925 Kauf der beidseitig bemalten Femme dans la loge, Buveuse d’absinthe, 1901 bei
Bollag, ZH.
-
1936: Nu couché, 1934
-
1953: La guenon et son petit, 1951
-
Seit 2004 als Deposita im KMB
6.3.4 Maja Hoffmann-Stehlin (1896-1989), Emanuel Hoffmann (1896-1932)
-
Erster Ankauf 1927: Mademoiselle Léonie, 1910
-
1932 Ankauf in der Galerie Rosengart, Luzern, 1967 Geschenk an KMB: Le poète, 1912
-
1943 bei Olga Dietiker, Basel, heute Depositum EHS: Verre, bouteille et paquet de tabac,
1922
-
1944 Galerie Rosengart, heute Depositum EHS: La guitare, 1920
-
1944 von Privatsammler Gottlieb Reber (vorher Rosengart): Arlequin jouant de la
guitare, 1918
6.3.5 Sammlung Georges Bloch (1901-1984)
-
Zürcher Textilhändler und Kunstsammler
-
Ziel, Picassos druckgrafisches Werk vollkommen zu sammeln (über 2000 Blätter
umfassend). Picasso widmete ihm meist das erste Blatt einer Auflage.
-
Bloch als Autor des vierbändigen Werkverzeichnisses von Picassos Druckgrafik (19681979 Hg. Kornfeld und Klippstein).
-
478 Druckgrafiken gelangen 1972 als Schenkung an Gottfried Keller-Stiftung, als Deposita
an verschiedene Schweizer Museen aufgeteilt und regelmässig in Ausstellungen der
Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
-
Kupferstichkabinett besitzt 70 Blätter (inkl. 8, die 1982 nochmals dazugekommen sind).
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6.3.6 Ernst Beyeler (1921-2010)
-
Zentrale Figur für die Picasso-Rezeption nach 1945.
-
Kontakt zu Picasso über Jean Planque, befreundeter Maler, Ende der 1950er Jahre. Ab
1966 Erlaubnis, an Kahnweiler vorbei, Werke direkt aus Atelier zu erwerben. Viele Basler
konnten so über Beyeler Picasso-Werke erwerben.
-
Er hat in seinem Leben ca. 400 Picassos verkauft, meist ins Ausland (Gespräch mit Paul
Josefowitz, Apollo, Dez. 1997)
-
1966 erstmal Picasso im Mougins besucht: Picasso hatte vorhin schon Kataloge der
Beyeler-Galerie erhalten, welche auf Picasso Eindruck gemacht hatten. Als Türöffner zu
Picassos Welt gilt Beyelers Bevorzugung von „schwieriger“ und anspruchvoller Kunst. Bei
2. und 3. Besuch durfte Beyeler aus hundert Gemälden aus versch. Epochen auswählen.
Eigentlich war Daniel-Henry Kahnweiler der exklusive Händler von Picasso. Beyelers
Ankäufe wurden immer über Kahnweilers Galerie „Louise Leiris“ abgerechnet. 45
ausgesucht, davon hat Picasso 19 wieder zurückgezogen. Daraus drei Ausstellungen
1966/67:
o
Picasso Gravures
o
Picasso 1900-1932
o
Picasso 1932-1965
-
Später noch weitere Ausstellungen.
-
Wesentlicher Beitrag zu ersten Ausstellung im Kunstmuseum Basel zu Spätwerken und
zur öffentlich aufgestellten Skulptur.
-
Eigene Picasso-Sammlung 1982 in Beyeler-Stiftung eingebracht. Es ist die bedeutendste
Basler Picasso-Sammlung neben dem KMB. Spätwerk wurde durch systematisches
Sammeln der bedeutenden Epochen ergänzt. 33 Werke zwischen 1907-1969 (18
Gemälde, 4 Plastiken, 8 Zeichnungen, 3 Druckgrafiken) belegen die zeitliche Spannweite
von Picassos Erfindungs- und Realisierungsvermögen.
-
Zusammen mit Bestand des Kunstmuseums kann sich Basel so des Besitzes einer der
weltweit bedeutendsten Werkgruppen von Picasso rühmen.
-
Manche Erwerbungen hängen mit persönlicher Beziehung zusammen.
-
Weitere Erwerbungen:
o
Ölskizze: Femme (Epoque des ‚Demoiselles d’Avignon’), 1907
o
Neoklassizismus: Tête de femme, 1921
o
Surrealismus: Femme dans un fauteuil, 1927, Figure (femme assise), 1930
o
Guernica: La femme qui pleure, 1937, Femme assise dans un fauteuil (Dora),
1938
o
1999 erworben: Femme assise dans un fauteuil, 1910
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o
-
2005 erworben: Chat et homard, 1965
Sammlung Beyeler:
o
1997 Eröffnung Museum
o
60 jährige Tätigkeit als Kunsthändler
o
Galerie an der Bäumleingasse 9 seit 1947
o
Vermittlung von Werken an öffentliche und private Sammlungen
o
Sammlungsprinzip: von ausgewählten modernen Meistern eine Werkgruppe im
Sinn von Höhenmarken in der Kunst des 20. Jh. zu vereinen. Einmaligkeit jedes
Werks.
o
Affinitäten zwischen Sammler und Objekt
o
Kunst aus Europa, Amerika, Afrika, Ozeanien
o
Beginn Sammlung in Privathaus in Riehen: Cézanne, Picasso, Giacometti, Klee,
Kandinsky.
o
Kenntnis vom weltweiten Auktionsangebot und der öff. und privaten Sammlungen.
o
Sammler und Künstler: Beyeler hat nur einmal einen exklusiven Vertrag mit einem
Künstler abgeschlossen: Jean Dubuffet. Persönliche Bekanntschaft mit Mark
Tobey, Roy Lichtenstein
6.3.7 Weitere private Sammlungen in Basel
o
Wollen alle anonym bleiben. Die meisten Werke bei Beyeler oder Druckgrafisches
bei Kornfeld in Bern gekauft.
o
Ankäufe auch bei Rosengart, Luzern.
o
An der ART Basel oder im Ausland gekauft.
6.4 Picassos Werke im Kunstmuseum Basel
1926 Erste Picassos gelangen in die Sammlung durch den Basler Sammler Paul Linder: 14
Radierungen der Suite des Saltimbanques, 1904/5.
1944 Jeune fille nue, les bras levés, 1906
1951 erstes Gemälde von Georg Schmidt, Schlüsselwerk aus protokubistischer Phase: Pains et
compotier aux fruits sur une table, 1908/09. Georg Schmidt (Protokoll Kunstkommission,
17.7.1951): „Dieses Stillleben gehört zweifellos zu den bedeutendsten Stücken Picassos aus der
frühkubistischen Zeit, es zeigt eindeutig die direkte Anknüpfung an Cézanne und die Ausstrahlung
des Frühkubismus zu Derain, Auberjonois usw. hinüber.“
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1955 Georg Schmidt kauft bei Louise Leiris: Demoiselles des bords de la Seine, d’après
Courbet, 1950. Er hat dafür mit Einwilligung von La Roche zwei Werke aus der Schenkung Raoul
La Roche veräussert (Picasso und Braque). Georg Schmidt (1964, Fussnote 75, S. 34): „All dem
aber steht die seltsame Tatsache gegenüber, dass dieser höchst-gepriesene, tiefst-geschmähte
und meist-gedeutete Künstler von allen bekannteren Künstlern der Gegenwart im Grund der
unbekannteste ist! In allen grösseren Ausstellungsorten Europas und Amerikas kenn man …
immer nur Teilstücke: den Picasso der période bleue, den kubistischen Picasso, den neoklassizistischen Picasso, den surrealistischen Picasso. Und erst recht nicht gibt es ein Museum, in
dem man den ganzen Picasso auch nur in grundsätzlicher Vollständigkeit kennenlernen könnte.
Unsere Basler Picasso-Sammlung, weitherum von besonderem Rang, besitzt nur Werke der
période rose, des kubistischen und des neo-klassizistischen Picasso.“23
1964 Franz Meyer bei Louise Leiris: Femme couchée sur un divan, 1961. Zitat (Protokoll
Sitzung Kunstkommission, 13.2.64): (Der Direktor) sah in der Galerie noch einen Frauenakt von
1961, der ihn ganz besonders überzeugte und ihm als zusammenfassende Schlusslösung eines
Themas erschien, das Picasso während langer Zeit immer wieder beschäftigt hat…. Das
dringende Bedürfnis nach einem wichtigen Gemälde aus den letzten Jahren scheint ihm das
angebotene wundervoll zu erfüllen.
1967 vermittelt von Heinz Berggruen und Beitrag der Max Geldner-Stiftung und
ausserordentlichem Beitrag der Regierung: Femme au chapeau assise dans un fauteuil,
1941/42. Zitat Franz Meyer (Protokoll Sitzung Kunstkommission 10.12.65): „Das augenfälligste
Merkmal und für ein breites Publikum auch ein Stein des Anstosses ist die Deformation des
Gesichts. Sie kommt letzten Endes natürlich vom Kubismus her, hat aber ihren unmittelbaren
Anlass im Guernica-Erlebnis und im Kriegserlebnis schlechthin. Dazu kommt für Picasso noch
das persönliche Erlebnis Dora Maar. Im Werk von Picasso steht die Auseinandersetzung mit der
Figur im Vordergrund.“
6.5 Weitere Schenkungen ans Kunstmuseum Basel und das
Kupferstichkabinett
Douglas Cooper (1911-1984)
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Britischer Kunsthistoriker, Kritiker und Sammler, va. Kubistische Kunst, seit 1950 in
Provence wohnhaft, mit Picasso befreundet.
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Verfügte, dass erste Kompositionsstudie zu Les Demoiselles d’Avignon, 1907 nach
seinem Tod dem KMB zugeeignet werde.
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Aus Bewunderung für KMB und wegen zugesagten Leihgaben für seine Ausstellung ‚The
Essential Cubism’, Tate Gallery 1983.
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Bezeichnete 1973 Spätwerk Picassos als ‚unzusammenhängende Schmierereien,
ausgeführt von einem rasenden Greis im Vorzimmer des Todes.’
Schmidt 1964, S. 34
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Kupferstichkabinett
Die Bestände des Kupferstichkabinetts dank verschiedener Basler Sammler immer wieder
ergänzt:
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1939 neoklassizistische Radierungen durch Direktor Georg Schmidt
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1965/1968 frühe kubistische Zeichnungen durch Karl August Burckhardt-Koechlin-Fond
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1975 Federzeichnung von 1905, neoklassizistische Zeichnung und Druckgrafie, Legat aus
Nachlass von Dr. Gotthelf Kuhn aus Riehen
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1980 4 Druckgrafiken durch Dr. Charles Leuthardt aus Riehen
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1992 10 Lithografien durch Karl und Margrith Schaub-Tschudin-Stiftung, Basel
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1995 kubistische Zeichnung und Collage Vermächtnis Anne-Marie und Ernst VischerWalder
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2000 Les pains sur la table, 1908/09 und Vorstudie zu Pains et compotier aux fruits sur
une table auf Vorschlag von Katharina Schmidt durch Arnold Rüdlinger-Fonds der
Freiwilligen Akademischen Gesellschaft Basel
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2004 Vier Zeichnungen auf Zeitungspapier von Dora Maar-Köpfen als Schenkung der Dr.
Georg und Josi Guggenheim Stiftung
6.6 Ausstellungsgeschichte Basel
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1914 Kunsthalle Basel (Direktor (1909-1934), Wilhelm Barth), Zeichnungen mit Gauklern,
Akrobaten, Pierrot- und Kunstreitermotiven von 1905/06 und Gemälde aus der blauen und
rosa Periode und kubistische Gemälde zur Verfügung gestellt von Kahnweiler. Barth wollte
1932 eine Ausstellung realisieren, die wegen ZH nicht zustande kam.
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1938 erster Ankauf einer klassizistischen Lithographie für das Kupferstichkabinett. 1941
zeigt das Kunstmuseum Basel das erste Mal ein Werk von Picasso. In den Folgejahren
folgen weitere Werke. 1947 gelangen „Les deux frères“ und „Arlequin assis“ als Deposita
der Sammlung Staechelin ins Kunstmuseum. 1951 Ankauf von „Pains et compotier aux
fruits sur une table“. 1952 Schenkung vier kubistischer Bilder von Picasso. 1955 Erwerb
von « Les Demoiselles des bords de la Seine, d’après Courbet» im Tausch gegen je ein
kubistisches Gemälde von Braque und Picasso.
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Ab 1952 Öffentliche Kunstsammlung (Kupferstichkabinett), Radierungen und Lithografien
1905 bis 1951. Eröffnungsrede Georg Schmidt: „Weit entfernt davon, ein Dokument der
Dekadenz oder gar der Pathologie unserer Zeit zu sein, ist Picassos Kunst im Gegenteil
ein Quell der Spontaneität und der schöpferischen Freiheit – von Dingen also, die heute
(von verschiedenen Seiten her) mehr denn je bedroht sind.“24
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Ab 1954 Galerie Beyeler
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Später Ausstellungen in der Fondation Beyeler
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1966, 1970, 1973, 1976, 1982, 1992, 1993, 1996, 2009: Druckgrafik und illustrierte Bücher
aus eigenen Beständen gezeigt
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1971 KMB: Pablo Picasso zum 90. Geburtstag (Franz Meyer)
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1976 KMB: Picasso. Aus dem Museum of Modern Art NY und Schweizer Sammlungen
(Franz Meyer)
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1981 KMB: Pablo Picasso: Das Spätwerk. Themen 1964-1972 (Geelhaar). Stellte als
Erster das von der Kunstkritik geschmähte letzte Schaffensjahrzehnt aus.
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(1987 KMB: Douglas Cooper und die Meister des Kubismus, s. weitere Schenkungen)
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1990 KMB: Picasso und Braque. Die Geburt des Kubismus (zus. mit Museum of Modern
Art) (Geelhaar)
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1995: KMB Pablo Picasso. Die illustrierten Bücher. Eine Privatsammlung – ergänzt durch
Werke aus dem Kupferstichkabinett. (K. Schmidt)
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1998 KMB: Ein Haus für den Kubismus. Die Sammlung Raoul La Roche: Picasso, Braque,
Léger, Gris – Le Corbusier und Ozenfant (K. Schmidt)
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2005 Fondation Beyeler: Picasso surreal (1924-1939) (Anne Baldassari)
Ausstellungen zur Picasso-Rezeption in der CH
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2001 KMB Bern: Picasso und die Schweiz.
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2010 Kunsthaus ZH: Die erste Museumsausstellung 1932.
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7 Literaturverzeichnis
Althaus 2008
Karin Althaus: Druckgrafik. Handbuch der künstlerischen Drucktechniken, in Zusammenarbeit mit
der Graphischen Sammlung der ETH Zürich, mit einem Essay von Paul Tanner, Illustrationen von
Ursula Roos, Zürich 2008.
Ausst.kat. Basel 2013
Ausst.kat. Die Picassos sind da! Eine Retrospektive aus Basler Sammlungen, Basel:
Kunstmuseum, 2013, Anita Haldemann und Nina Zimmer (Hg.), Basel 2013.
Ausst.kat Bern 2001
Ausst.kat. Picasso und die Schweiz, Bern: Kunstmuseum, 2001-2002, Marc Fehlmann, Toni
Stooss (Hg.), Bern 2001.
Brassaï 1966
Brassaï: Gespräche mit Picasso, Reinbek b. Hamburg 1966, S. 111.
Bürgi, Zimmer 2011
Bernhard Mendes Bürgi und Nina Zimmer (Hrsg.), Kunstmuseum Basel. Die Meisterwerke.
Gemälde, Skulpturen, Fotografien, Installationen, Videos, Ostfildern 2011.
Fondation Beyeler 1997
Fondation Beyeler / mit Beitr. von Gottfried Boehm und Markus Brüderlin sowie einem Gespräch
von Hans-Joachim Müller mit Ernst Beyeler, München 1997.
Geelhaar 1993
Christian Geelhaar: Picasso, Wegbereiter und Förderer seines Aufstiegs, 1899-1939, Zürich 1993.
Gottfried Keller-Stiftung 1972
Gottfried Keller-Stiftung, Schenkung Georges Bloch: Pablo Picasso: Druckgraphik [Katalog: Alfred
Scheidegger], Bern 1972.
Gradmann 1972
Erwin Gradmann, in: Pablo Picasso, Schenkung Georges Bloch, Gottfried Keller-Stiftung, Bern
1972.
Sabartés 1956
Jaime Sabartés: Picasso, Gespräche und Erinnerungen. Sammlung Luchterhand 874, Zürich
1956.
Scherz 1981
Bernhard Scherz: Die Basler Picasso-Story, Basel 1981.
Schmidt 1964
Georg Schmidt: Kunstmuseum Basel. 150 Gemälde, 12.-20. Jahrhundert, Basel 1964.
Wiegand 2002
Wilfried Wiegand: Pablo Picasso, mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek b.
Hamburg 2002.
Weisner 1991
Weisner, Ulrich (Hg.): Picassos Surrealismus, Werke 1925-1937, Bielefeld 1991.
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