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Veränderungen im Konzeptions- und Konstruktions
prozess durch modular aufgebaute Anlagen mittels
Ambient Intelligence-Technologien
Miriam Schleipen1, Michael Okon1, Michael Baumann1,
Martin Neukäufer2, Christian Fedrowitz2, Martin Feike3, Nataliya Popova3,
Markus Nick4, Sören Schneickert4, Martin Wessner4
1
Leitsysteme (LTS), 2Anlagen; 3Automation Business Unit, System Consistency,
Connectivity Architectures and Platforms (CAP), 4Erfahrungsmanagement (EM)
1
Fraunhofer-Institut für Informations- und Datenverarbeitung (IITB),
2
KUKA Systems GmbH, 3Schneider Electric GmbH,
4
Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software-Engineering (IESE)
1
Fraunhoferstr. 1, 2Blücherstraße 144, 3Steinheimer Straße 117, 4Fraunhofer-Platz 1
1
76131 Karlsruhe, 286165 Augsburg, 363500 Seligenstadt, 467663 Kaiserslautern
[email protected], [email protected],
[email protected],
[email protected], [email protected],
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Abstract: Immer komplexere Engineeringprozesse, kürzere Produktlebenszyklen,
steigender Kostendruck und zunehmende Variantenvielfalt zwingen Hersteller und
Betreiber von Anlagen zur Steigerung der Adaptierbarkeit und Interoperabilität ihrer Anlagen. Adaptierbarkeit und Interoperabilität zielen in diesem Zusammenhang
auf die Fähigkeit von Anlagen(komponenten) untereinander und in Wechselwirkung mit ihrem Umfeld zusammenzuarbeiten. Dies erfordert neben der HardwareModularisierung auch eine hohe Flexibilität der zugehörigen Software. In letzter
Konsequenz müssen Hardware und Software möglichst wandlungsfähig sein, was
bedeutet, dass sie sich flexibel sowohl an bekannte Änderungen einer Anlage anpassen als auch die Anpassung an bisher unbekannte Änderungen unterstützen. Die
für diese Problematik im Forschungsprojekt ProduFlexil entwickelten Methoden
und Mechanismen resultieren in veränderten Anforderungen an den Ablauf der
Anlagenplanung. In diesem Beitrag werden diese Veränderungen dem aktuellen
Stand der Technik bei den Anwendungspartnern gegenübergestellt. Dabei sollen
nicht nur die Vorteile einer ‚Automatisierung der Automatisierung’, sondern auch
die damit zusammenhängenden Herausforderungen beleuchtet werden.
1 Einleitung
Im Rahmen dieser Publikation wird Engineering als Prozess verstanden, an dem viele
verschiedene Beteiligte mit unterschiedlichsten Werkzeugen mitwirken (siehe [Dr08]).
Dieser Prozess ist teuer, fehleranfällig und beinhaltet eine Vielzahl an technischen wie
personellen Schnittstellen. Um die Wandlungsfähigkeit von Anlagen steigern zu können,
müssen generische, wieder verwendbare Lösungen für eben diese Problematik gefunden
werden. Das BMBF-Forschungsprojekt ProduFlexil1 ([Pr08], [EO07]) beschäftigt sich
mit Adaptivität und Selbstkonfiguration von Produktionsanlagen, indem geeignete Software-Mechanismen und -Architektur-Patterns konzipiert wurden, um Anlagen und Anlagenkomponenten möglichst effizient in ein bestehendes Produktionssystem zu integrieren. Der Fokus liegt dabei zum einen auf der Flexibilisierung der Anlagensoftware, zum
anderen auf der Konfiguration und Anbindung übergeordneter Systeme wie zum Beispiel einem Leitsystem. In Anlehnung an die Definition von Polke [Po04] hat ein Leitsystem die Aufgabe, die Mitarbeiter in der Produktion bei der Führung ihrer Anlagen
sowie der Steuerung und Überwachung der Produktionsprozesse zu unterstützen. Als
‚Konfiguration’ bezeichnen die Autoren den eindeutigen Namen für eine Konstellation
(Hardware und Software) einer Produktionsanlage, unter der ein bestimmtes Produkt in
einer bestimmten Menge mit einer bestimmten Qualität hergestellt werden kann. Jede
Änderung an der Konfiguration, die keinen Einfluss auf Produkt und Menge hat, ergibt
eine neue Version der Konfiguration.
In diesem Beitrag soll der Ist-Zustand in der Anlagenkonstruktion und -konfiguration bei
den Anwendungspartnern des Projekts dargestellt werden. Diesem soll dann eine Beschreibung des neuen Ablaufs gegenübergestellt werden, der durch Ambient Intelligence-Mechanismen den Menschen bei der Veränderung oder Neuinbetriebnahme von Anlagen unterstützt. Sowohl die Arbeit mit der Digitalen Fabrik als auch die SPSProgrammierung verändern sich durch den Einsatz der entwickelten Mechanismen und
Komponenten. So müssen verschiedene Voraussetzungen beachtet und berücksichtigt
werden. Auch die bisher manuelle Leitsystemprojektierung wird automatisiert. Der Beitrag beleuchtet daher die Aspekte, die sich aus den genannten Veränderungen ergeben.
Um automatisch möglichst optimale Konfigurationen vorschlagen zu können, werden
aus dem Leitsystem gewonnene Daten ausgewertet und zur Optimierung genutzt.
2 Beschreibung des aktuellen Ablaufs einer Anlagenplanung
Um die Unterschiede zu den zukünftigen Methoden klar zu machen, ist in diesem Kapitel das praktizierte Standardverfahren (Stand der Technik) beschrieben, wie es bei den
Anwendungspartnern derzeit verfolgt wird (ähnlich wie in [DG07]). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Fabrikplanung ein sehr dynamischer Prozess ist, in welchem alle
Projektphasen in mehreren Iterationen durchlaufen werden.
2.1 Projektierung einer neuen Anlage
Die Projektierung einer neuen Anlage gliedert sich in die Phasen Grobplanung Layout,
Hardware-Konstruktion, Software-Konstruktion und Inbetriebnahme (Abbildung 1).
1 Das dieser Veröffentlichung zugrunde liegende Vorhaben wird mit Mitteln des Bundesministeriums für
Bildung und Forschung unter dem Förderkennzeichen 01 IS F17 A-D gefördert. Die Verantwortung für den
Inhalt dieser Veröffentlichung liegt beim Autor.
Grobplanung
Layout
HWKonstruktion
SWKonstruktion
Inbetriebnahme
Abbildung 1: Ablauf der Anlagenplanung [KU08]
Die einzelnen Schritte der Phase Grobplanung Layout werden nun erläutert. Mit den
Planungsprämissen des Kunden - wie Produktionsmenge pro Betrachtungszeitraum
(Hochlaufkurve), Prozesszeiten und Technologie, Störungen, Ausschuss, Produktmix,
verfügbare Fläche, Verkettungseffekte und Puffer, Steuerungsabläufe, Richtlinien, etc.
wird eine Grobplanung erstellt und mit einschlägigen Materialfluss-SimulationsSystemen verifiziert. Das Layout dokumentiert die geometrische Anordnung und die
Bezeichner (eindeutige Namen) der Komponenten. Der Ablaufplan (Taktzeit-Diagramm)
dokumentiert die geplanten Vorgänger und Prozesszeiten und deren Abhängigkeiten auf
Zellenebene. Das Mengengerüst dokumentiert den Liefer- und Leistungsumfang und ist
Ergebnis der Betriebsmittel und Kapazitätsplanung. Für das Mengengerüst ist eine Festlegung der Fördertechnik notwendig.
Der gesamte Prozess der Hardware-Konstruktion gliedert sich ebenfalls in einzelne Teilaufgaben. Auf Basis der Vorgaben des Kunden, der Verteilung der Prozesse und der
Spezifikationen der Komponenten ergibt sich das Steuerungskonzept. Dieses wird durch
die Präferenzen des Kunden bezüglich SPS-Hersteller und Feldbustechnologie stark
beeinflusst. Beispielsweise arbeiten zurzeit alle großen Automobilhersteller an der Standardisierung der Automatisierungstechnik. Die Standardisierung geht oft so weit, dass
bereits vorgegebene Typen von Visualisierungs- und Steuerungskomponenten eingesetzt
werden müssen. Bei der Sicherungstechnik, sind integrierte Konzepte auf dem Vormarsch, welche die sicherheitsrelevanten Funktionen in die Steuerungseinheiten integriert. Neben den Sicherungsfunktionen auf Zellenebene sind auch Sicherungskonzepte
für den gesamten Betriebsablauf zu berücksichtigen. Dazu wird die gesamte Produktion
in Schutzkreise zerlegt, die jeweils alle Komponenten enthalten, die bei einer Störung im
entsprechenden Bereich nicht mehr betriebsbereit sind. Das heißt, fällt beispielsweise ein
Roboter einer Schweißanlage aus, so wird der gesamte Schutzkreis auf ‚Störung’ gesetzt.
Der Wiederanlauf der Zelle stellt eine der komplexesten Anforderungen an die Hardund Software der Produktionsanlage dar. Gleichermaßen hat die Festlegung hier einen
massiven Einfluss auf den Durchsatz der gesamten Anlage. Nach den ‚Leitsätzen zur
Risiko-Beurteilung’, dokumentiert in einschlägigen Normen, wie DIN EN 1050, DIN
EN 1070, DIN EN 954, etc., müssen die sicherheitsbezogenen Teile bestimmt werden.
Der Komponentenbaum gibt die Struktur einer Anlage wieder. Die Art der Darstellung
ist an die Dateistruktur eines Explorers angelehnt. Neben der Strukturierung und Detaillierung des Projekts können aus dieser Maske heraus alle Arten von Dateien verwaltet
werden. Während der Detail-Konstruktion des Elektroplanes werden folgende Dokumente erstellt: Anlagen-Übersicht, Installations-Übersicht, Schaltschrank-Aufbau,
Stromlaufplan, Ansteuerung, Klemmen- und Kabel-Anschlussplan (automatisch aus dem
Stromlaufplan generiert).
Nachfolgend werden die Aufgaben der Phase Software-Konstruktion dargestellt. Vom
Kunden oder vom Anlagen-Hersteller (hier KUKA) werden das Design, die Architektur,
die Parametrierung und die Strukturierung der Software in Form einer Richtlinie und
Arbeitsanweisung spezifiziert. Dazu gehören unter anderem auch die Parametrisierung
der Bedienoberfläche und die Konzeption der Bediendialoge. Mit der steuerungsbezogenen Anwendersoftware des SPS-Herstellers werden jetzt die Steuerungslogik, die
Schrittketten- oder Verriegelungs-Technik und die Bediener-Oberflächen programmiert.
Während der Phase Inbetriebnahme wird zuerst der Hardware-Check durchgeführt. Das
bedeutet, dass ein Funktionstest aller Komponenten, Sensoren und Aktoren stattfindet.
Dabei werden alle Komponenten darauf geprüft, ob sie so funktionieren wie es die Software erwartet. Die Inbetriebnahme der Software geschieht in drei Stufen: Zunächst wird
die Software geladen, im Handbetrieb getestet und optimiert. Danach wird der Taktzeitzyklus im Einzelschritt-Modus (step-by-step) durchfahren. Schließlich wird ein Funktions- und Leistungstest durchgeführt. Ist dies abgeschlossen, muss die Taktzeit und Prozess-Qualität nachgewiesen und gegebenenfalls optimiert werden. Während dieser Optimierungs-Phase wird in der Regel an den Einstellungen, den Parametern und an der
Software selbst geändert. So ‚driften’ die reale Anlage und das Digitale Modell auseinander. Daraus folgt, dass spätestens vor einem Umbau oder einer Erweiterung der Anlage, das Digitale Modell mit der realen Anlage abgeglichen werden muss. Sind Taktzeit
und Prozess-Qualität zufrieden stellend, folgt die Abnahme der Anlage. Vor der Endabnahme durch den Betreiber (Kunden) der Anlage werden vom Hersteller der Anlage
(KUKA) die von Lieferanten zugekauften Geräte und Maschinen von den Lieferanten
abgenommen. Beispiele solcher Maschinen sind Roboter, Transportgeräte, Controller,
Schweißzangen oder Ähnliches. Im Wesentlichen wird die Stimmigkeit und Vollständigkeit der Dokumentation der einzelnen Geräte und Aggregate überprüft und festgestellt. Die Funktionalität muss in dieser Projektphase durch den Funktions- und
Leistungs-Test nachgewiesen sein. Die Endabnahme und Übergabe des Gesamt-Systems
an den Betreiber ist im Wesentlichen die Beurkundung des erbrachten Liefer- und
Leistungs-Umfanges. Ein wichtiges Ergebnis ist, dass zu diesem Zeitpunkt das Digitale
Modell der realen Anlage möglichst nahe kommt. Das Digitale Modell ist nach heutigem
Stand der Technik die Menge der Software und Daten (Dokumente, Zeichnungen), die
das Gesamt-System (Produkt-Prozess-Ressourcen) beschreibt. Es ist im Interesse des
Anlagenherstellers und -betreibers, den Abnahmezustand möglichst realitätsnah zu dokumentieren. Mit der Endabnahme der Anlage durch den Betreiber wird ein ‚FullBackup’ der kompletten Software (Programme und Daten) generiert und beim Anlagenhersteller (KUKA) archiviert.
2.2 Veränderung (Umbau) einer bestehenden Anlage
Wird eine bestehende Anlage verändert bzw. umgebaut, müssen verschiedene Schritte
abgearbeitet werden (Abbildung 2). Aus den verschiedensten Gründen stimmt meist die
aktuelle Anlage mit dem Stand der archivierten End-Dokumentation und des SoftwareBackups nicht mehr überein. An der laufenden Anlage wird in der Regel auch nach der
Abnahme geändert und optimiert. Deswegen ist der erste Schritt immer die Aktualisierung (Abgleich) der Dokumentation auf Basis der realen Anlage. Es muss mindestens
überprüft werden, ob die Dokumentation, wie sie bei der Endabnahme archiviert wurde,
noch aktuell ist. Während der Planung des Umbaus müssen die neuen Anforderungen
abgeklärt, ein Lastenheft erstellt, neue Komponenten ausgewählt, ein Terminplan erstellt
und jeweils mit dem Betreiber der Anlage abgestimmt werden.
Neue bekannte
Komponente
SW
und
Doku
aktualisieren
Techn.
Zeichnungen
Umbau
planen
Energiebedarf
in KomponentenDatenverwaltung
eintragen
KomponentenDatenverwaltung
in Kompotechn.
nentenSpezifikation
DatenNeue unbekannte des neuen verwaltung
Gerätes
Komponente
eintragen
KomponentenDatenverwaltung
Interface
Sicherheitszur
SchaltTransport-/
u.
EmissionsüberUnfallschutz anschluss- Installationsangaben
geordneten
pläne
anweisung
MechSteuerung
anismen
(E/A)
Abbildung 2: Ablauf einer Anlagenveränderung [KU08]
Sollen neue bekannte Komponenten eingebaut werden, werden diese in das aktualisierte
Projekt der ‚Komponenten-Daten-Verwaltung’ (KDV) an den zutreffenden Stellen eingefügt. Mit der Erweiterung des KDV-Projektes wird prinzipiell ein neuer Änderungszyklus eingeleitet. Dann geht es bei der Komponenten-Daten-Verwaltung weiter.
Beim Einbau einer neuen unbekannten Komponente ist normalerweise der Hersteller
und/oder Lieferant der neuen Komponente im Rahmen der Umbauplanung bestimmt
worden. Mit diesem Lieferanten ist der Leistungs- und Lieferumfang zu spezifizieren.
Der nächste Schritt ist eine komplette technische Spezifikation des neuen Gerätes. Hierzu gehören Daten wie Technische Zeichnungen und Maßbilder, Energiebedarf (Strom,
Spannung und Luftverbrauch), Angaben zu Emissionen, Sicherheits- und UnfallschutzMaßnahmen, Schalt- und Anschlusspläne, Transport- und Installations-Anweisungen
und die Schnittstelle zur übergeordneten Steuerung (Eingabe/Ausgabe-Signale: analog
oder digital). Nachdem diese Daten bereit stehen, wird die neue Komponente in die
Komponenten-Bibliothek der KDV aufgenommen. Sie ist nun bekannt und der weitere
Ablauf folgt dem einer neuen bekannten Komponente (siehe oben).
3 Der ProduFlexil-Ansatz
Abbildung 3 zeigt die konzeptionelle Sicht auf die entwickelte ProduFlexil-Architektur.
Kern von ProduFlexil ist das Änderungsmanagement mit seinen Komponenten zur Anpassung der Anlage. Die Änderungsmanager sind die zentralen Komponenten, die Änderungen an einer Anlage koordinieren. Die Steuerungs-Software-Manager sind die
Schnittstellen zu den Steuerungskomponenten einer Anlage. Sie übertragen Änderungen
an diese, überwachen sie und melden Änderungen an den Änderungsmanager, welcher
wiederum das übergeordnete Leitsystem triggert. Die Änderungsmanager haben Zugriff
auf Konfigurations- und Komponentendaten. Die Daten der aktuell geladenen Konfiguration werden automatisch in das Leitsystem-Engineering übertragen, das die Informationen weiter verarbeitet und zum Beispiel die Ankopplung der Leittechnik an die Prozesssignale anstößt. Vom Leitsystem zurückgemeldete Qualitätsdaten werden wiederum
vom Änderungsmanager in der Konfigurationsbibliothek abgelegt. Außerdem ist das
Änderungsmanagement für den Abgleich zwischen den beiden Welten (real und virtuell)
verantwortlich. Der Abgleich wird durch den symmetrischen Aufbau der beiden Welten
unterstützt.
Abbildung 3: Gesamtarchitektur ProduFlexil
Als durchgängiges Beispiel für ProduFlexil und als Basis für einen Demonstrator wird
unter anderem ein Kreislauf aus Drehtischen mit Transportbändern verwendet. An dessen freie Ausgänge soll eine Teststation an- und abgekoppelt werden können. Um den
praktischen Nutzen der entwickelten Ergebnisse aufzuzeigen, wurden auf dem Demonstrator aufbauende Anwendungsfälle definiert, die im Projekt realisiert wurden. Zum
einen kann eine neue unbekannte Komponente oder eine neue bekannte Komponente in
die Anlagenkonfiguration eingebracht werden. Zum anderen kann eine neue Anlagenkonfiguration erstellt oder zu einer bekannten Konfiguration gewechselt werden.
4 Veränderungen im Planungsprozess
4.1 AmI-Unterstützung
Ambient Intelligence (AmI) ist die Vision von ‚intelligenten’ Umgebungen, die sensitiv
und adaptiv auf die Anwesenheit von Menschen und Objekten reagieren und damit dem
Menschen vielfältige Dienste leisten. Dabei geht es um den Menschen in allen Lebenssituationen: den arbeitenden, den allein lebenden älteren Menschen oder den Menschen in
der Freizeit. Technologische Basis von AmI bildet in der Regel ein Netzwerk nahezu
unsichtbarer, miteinander vernetzter rechnender Einheiten, welche über verschiedene
Sensoren Informationen sammeln, diese verarbeiten und über Aktoren auf die Umgebung und damit auch auf den Menschen einwirken. Die AmI-Technologie lässt sich in
vielfältiger Weise zur Optimierung des Engineering-Workflows heranziehen. Im Rahmen von ProduFlexil lag der Fokus auf der Anpassung der Steuerungslogik bei sich
ändernden Rahmenbedingungen. Basis der Überlegungen ist ein Anlagenaufbau aus
Komponenten, deren Kommunikationsschnittstellen so beschrieben sind, dass über die
Verbindung der Ports mit anderen Komponenten eine definierte Steuerungslogik entsteht. Metainformationen zu den Schnittstellen machen es dabei möglich, bestimmte
Verschaltungen betrachteter Komponenten zu verwerfen und bei Eindeutigkeit sogar auf
die allein mögliche Verknüpfung zu schließen. Die Änderung der Steuerungslogik kann
jedoch aus Sicherheitsgründen nicht vollautomatisch durchgeführt werden. Um etwa
Unfälle zu vermeiden, wird immer ein Mensch notwendig sein, der eine Änderung verstehen und freigeben muss, da er sie im Nachgang zu verantworten hat. Optimierungspotential hingegen ist in der Art und Weise des Veränderungsprozesses gegeben. ProduFlexil nutzt dazu die AmI-Technologie, um einen Regelkreis aufzubauen, in welchem
der Mensch als Kontrollinstanz eingebunden ist. Mögliche Änderungen der Steuerungslogik werden dabei durch das System als Vorschlag angeboten und weitere, nicht automatisch zu erzeugende Anpassungen, werden intelligent unterstützt (Abbildung 4).
Änderung der
Umgebung:
„Neue Teststation“
Steuerungslogik
muss angepasst
werden
Adaption:
AmI Software bietet Hilfe
zur Änderung der
Steuerungslogik an,
Service wird zur
Verfügung gestellt
Steuerungslogik
an neue
Konfiguration
angepasst
Benutzer:
Akzeptiert Vorschlag
oder führt Änderung mit
Hilfe der AmI Software
durch
Abbildung 4: Änderung durch AmI-Software
4.2 Der ProduFlexil-Ablauf
Die Phasen Grobplanung und Hardware-Konstruktion (Abbildung 1) bleiben auch durch
den ProduFlexil-Ansatz unverändert. Hier hat die im nachfolgenden Abschnitt beschriebene Digitale Fabrik einen stärkeren Einfluss. Auch der ProduFlexil-Workflow startet
mit einem Mengengerüst und erstem Konzept, aus dem der Lieferant für den OEM (Original Equipment Manufacturing) ein Angebot ableiten kann. Softwarekonzeption und
Inbetriebnahme ändern sich jedoch grundlegend. Als Voraussetzung für den ProduFlexil-Ansatz muss eine Bibliothek aus wieder verwendbaren Bausteinen entwickelt werden. Diese Bausteine können intern sehr komplex werden, da mögliche Zustände und
Ereignisse flexibel verarbeitet werden müssen. Außerdem muss der interne Zustand zu
jedem Zeitpunkt wohl definiert sein. Als grobe Analogie dazu kann die Programmierung
von Benutzerdialogen gesehen werden. In älteren Systemen wurde diese sequentiell
Schritt für Schritt durchlaufen. Moderne fensterorientierte Dialoge verwalten hingegen
eine große Anzahl an möglichen Ereignissen und legen mögliche Reaktionen fest. In
Abschnitt ‚2.1 Projektierung einer neuen Anlage’ wurde die heutige Arbeitsweise bei der
Erstellung der Steuerungs-Software erläutert. Änderungen im Anlagenlayout führen
dabei zwangsläufig zu einer Umprogrammierung der Anlage. Neue Anlagenkomponen-
ten wie im Beispiel ‚Teststation hinzufügen’ führen zu neuen Hardwareadressen und zur
Änderung vorhandener sowie zur Neudefinition logischer Zusammenhänge. Ein Programmierer muss sich also in die Gedankenwelt seines Vorgängers hineinversetzen, um
eine neue Komponente zu integrieren. Die richtigen Adressen müssen ermittelt und zu
neuen logischen Netzwerken zusammengebaut werden.
Grundlage für den ProduFlexil-Ansatz ist das Paradigma ‚Konfigurieren statt Programmieren’. Das Steuerungskonzept für diesen Ansatz ist in Abbildung 5 zu sehen. Für die
einzelnen Elemente werden gekapselte Elementarbausteine entwickelt, die dezentral
funktionieren. Allein durch die Zusammenstellung und Verknüpfung der Elementarbausteine ist die Programmierung der Anlage möglich. Der Engineering-Workflow ändert
sich dadurch fundamental: Der Ingenieur kann Elemente aus einer Bibliothek auswählen
und über wohl definierte Schnittstellen miteinander verbinden. Damit wird die Voraussetzung für die Entwicklung automatischer und ambienter Konzepte geschaffen.
Abbildung 5: Konfigurieren statt Programmieren
Der Ansatz wirkt sich neben der Software-Konstruktion auch auf die Phase der Inbetriebnahme aus. Der Umbau von Anlagen ist bisher insbesondere auch durch die damit
einhergehenden Umprogrammierungen mit großem Aufwand verbunden. In der Praxis
werden aus Zeitmangel (‚auf der Baustelle muss es schnell gehen’) häufig Umbauten
irgendwann nicht mehr dokumentiert und in das Digitale Modell übertragen. Der Abgleich aktueller Anlagenkonfigurationen mit ihrem Digitalen Modell ist daher zurzeit mit
enormem Aufwand verbunden. Aus dieser Situation führt nur der Weg über standardisierte Änderungsprozesse, wie sie durch ProduFlexil gegeben sind. Im Rahmen von
ProduFlexil wurde das Anlagenengineering parallel im SPS-Projektierungswerkzeug
(hier: Unity von Schneider Electric) und der Digitalen Fabrik (hier: Delmia Automation)
durchgeführt. Das Digitale Modell wird dabei mit den oben genannten Elementarbausteinen so geplant, dass in der realen Anlage nur noch gut zu erfassende, definierte Änderungen notwendig sind.
4.3 Digitale Fabrik
Mit der Vision der Digitalen Fabrik wird versucht, die wirkliche Fabrik möglichst realistisch in einem Datenmodell abzubilden. Daraus ergeben sich für die Digitale Fabrik im
Wesentlichen drei neue Herausforderungen:
•
•
•
Neue Engineering-Methoden (bis hin zum Paradigmen-Wechsel)
Integration: Redundanzfreie Datenhaltung, Vernetzung mit
Baustelle/Unterlieferanten/Kunde/...
Hoher Standardisierungsgrad: Bibliotheken von
Komponenten/Prozessen/Interfaces/...
Die nachfolgenden Ausführungen setzen voraus, dass eine ProduFlexil-konforme Bibliothek von mechatronischen Komponenten zur Verfügung steht. Für den Planungsprozess
der Betriebsmittel können die bisherigen Konzepte weiter genutzt werden. Durch die
höhere Standardisierung vereinfacht sich diese Phase sogar. Für die Simulation ergibt
sich ein wesentlich praxis-bezogeneres Modell. Dadurch, dass nicht mehr mit abstrakten
Komponenten simuliert wird, kann der Genauigkeitsgrad gesteigert werden. Beispielsweise werden für die Pufferauslegung des Automobilrohbaus Ausfallzeiten und Wahrscheinlichkeiten angenommen. Gelingt es, den modul-basierten Ansatz schon in der
Grobsimulation einzubringen, kann die Simulation auf einer wesentlich besseren Datenbasis aufsetzen. Bei der Feinsimulation erfolgt die Simulation nicht auf der Basis von
approximativen Logiken, sondern auf Basis der Steuerungslogiken, die später in der
realen Anlage zum Einsatz kommen. Dadurch ist eine wesentlich aussagekräftigere Simulation durchführbar. Die Herausforderung hierbei liegt in der möglichst realistischen
Steuerungslogik beispielsweise für Sicherheitsmechanismen in der Logik. Für die Inbetriebnahme liegen Simulationen vor, die realistisch alle Randbedingungen (z.B. Handbetrieb und Fehler) berücksichtigen. Dadurch wird der Aufwand für die Nachjustierung
deutlich reduziert. Die Umsetzung erfolgt in drei Schritten: Der erste Schritt beinhaltet
eine ‚Closed Loop’-Simulation. Die Simulation erfolgt hier ausschließlich in der virtuellen Umgebung. Im zweiten Schritt wird eine ‚Hardware in the loop’-Simulation durchgeführt. Hier reagiert die Simulation wie die reale Welt auf die Steuerungslogik, die auf
einer realen SPS läuft. Der letzte Schritt ist der Betrieb der Anlage selbst.
4.4 Leitsystemprojektierung
Vor der Nutzung eines Leitsystems im realen Betrieb muss dieses projektiert werden.
Die Projektierung hat generell drei Aufgaben: Anlagenprojektierung, EA(Ein-/Ausgabe)Projektierung und Bildprojektierung. Bei der Anlagenprojektierung wird manuell der
topologische und strukturelle Aufbau der Anlagen bestimmt. Während der EAProjektierung verbindet der Projektierer manuell oder semi-automatisch die realen Prozesssignale mit den einzelnen Elementen der projektierten Anlagen. Im Zuge der Bildprojektierung werden die gewünschten Prozesssignale und Anlagenkomponenten entweder durch grafische Objekte oder durch EA-Felder repräsentiert. Dabei erfolgt sowohl
die Bilderstellung, als auch die Anbindung an die vom Leitsystem vorverarbeiteten Prozesssignale.
Im veränderten ProduFlexil-Ablauf der Leitsystemprojektierung bzw. des Leitsystemengineerings wird der manuelle und damit fehleranfällige Teil der Projektierung signifikant
reduziert. Die für das Leitsystem relevanten Daten kommen jetzt im standardisierten
CAEX-Format (Computer Aided Engineering Exchange, siehe [CA06]) aus dem Änderungsmanagement und die Leitsystem(LS)-Anlagenprojektierung, LS-EA-Projektierung
und LS-Bildprojektierung werden automatisch erledigt (siehe auch [SE07]). CAEX ist
ein herstellerunabhängiges XML-basiertes Austauschformat. Es wurde als werkzeugneutrales, objektorientiertes Datenformat zur Speicherung von hierarchischen Anlageninformationen entwickelt. In [DF04]werden die Struktur und die Elemente von CAEX
näher beschrieben. Obwohl CAEX speziell für die Verfahrenstechnik entwickelt wurde,
wurde in [SD08] und [ED08] gezeigt, wie sich das CAEX-Modell für den Austausch von
statischen Daten in einem Produktionsleitsystem (Provis.Agent®)eignet und wie es dafür
angepasst und verwendet wird. Als Kommunikationsstandard wird die OPC Unified
Architecture (OPC-UA, [OP08] und [Sc08b]) genutzt. Liegt eine CAEX-AnlagenBeschreibung aus dem Planungssystem vor, wird sie per OPC-UA an das Änderungsmanagement des Leitsystems übermittelt, das nun die Aufgabe der Projektierung erledigt.
Da OPC-UA als Kommunikationsstandard noch neu und bisher nicht sehr verbreitet ist,
bietet die hier beschriebene Methode optional die Datenübermittlung per Web-Service
an, die auch in ProduFlexil genutzt wird. Die empfangenen CAEX-Daten werden auf
strukturelle Korrektheit geprüft und dann auf Grund der Struktur und Semantik weiterverarbeitet. Mit Hilfe eines zentralen UA-Servers und mehreren -Clients werden sie
genutzt, um sowohl das Leitsystem ProVis.Agent® zu projektieren, als auch Prozessführungsbilder für ProVis.Visu® mittels Layoutmanager automatisch zu generieren.
4.5 Bewertung einer Konfiguration
Eine Auswertung der Prozessdaten im Leitsystem ermöglicht die Bereitstellung von
(aggregierten) Kennzahlen für ablauffähige Konfigurationen in der Digitalen Fabrik.
Folgende Kennzahlen stellt die Auswertekomponente derzeit zur Verfügung:
•
•
•
MTBF (mean-time-between failures): durchschnittliche Zeit zwischen
Störungen gemittelt über Anlagen in einer Konfiguration,
MTTR (mean-time to repair): durchschnittliche Störzeit aller Anlagen
in einer Konfiguration,
Stückzahldifferenz im Auswertungszeitraum; Stückzahlen
sind monoton steigend, daher wird Maximum-Minimum berechnet.
Bei Bedarf kann im konkreten Anwendungsfall der Umfang der Auswertungen ausgebaut werden. Die Rückgabe der Daten aus der Auswertung in die Simulation erfolgt in
Form eines XML-Dokuments. Das Ergebnis ist dabei unabhängig von Produktionsschichten, da es sich nur an der Laufzeit der Konfiguration orientiert. Der Vorteil der
zeitbasierten Auswertung und dem Ergebnis im XML-Format liegt in der elektronischen
Verarbeitungsmöglichkeit. Diese wird vom Änderungsmanagement genutzt, um die
Konfiguration zu bewerten und dem Benutzer die optimale Konfiguration vorzuschlagen.
5 Zusammenfassung und Ausblick
In diesem Beitrag wurde der Ablauf der Anlagenkonzeption und -konstruktion und dessen Veränderungen durch die in ProduFlexil entwickelten Methoden und Mechanismen
aufgezeigt. Diese beinhalten die SPS-Programmierung, ebenso wie die Nutzung der
Digitalen Fabrik und die Leitsystemprojektierung. Gleichzeitig ergibt sich aber auch
neues Potenzial durch die Nutzung der in der virtuellen Welt gewonnenen Informationen. Dadurch kann der Regelkreis zwischen realer und virtueller Welt geschlossen werden. Aus den verschiedensten Gründen weicht der Informationsstand der wirklichen
Fabrik von dem Stand der Digitalen Fabrik ab. Bezogen auf die ProduFlexil-Architektur
bedeutet das, dass die Daten des Änderungs-Managers der realen Anlage und die Daten
des Änderungs-Managers des Digitalen Modells nicht permanent gleich sein werden.
Um aber die Vorteile einer Digitalen Fabrik optimal und ohne erheblichen Mehraufwand
nutzen zu können, müssen die reale und die virtuelle Anlage synchronisierbar sein. Es
muss also ein Abgleich- bzw. Synchronisierungsmechanismus realisiert werden, der es
dem Anwender ermöglicht, die Unterschiede zwischen realer und virtueller Welt zu
erfassen und zu entscheiden, wie diese in Einklang gebracht werden sollen. Um solche
Assistenzfunktionen anbieten zu können, müssen Änderungen wohldefiniert ablaufen.
Literaturverzeichnis
[CA06] IEC-CDV 62424 - Ed. 1.0: Specification for Representation of process control engineering requests in P&I Diagrams and for data exchange between P&ID tools and PCE-CAE
tools, text English, Juni 2006.
[DF04] Drath, R., Fedai, M.: CAEX - ein neutrales Datenaustauschformat für Anlagendaten –
Teil 1 und 2, Oldenburg Industrieverlag, atp – Automatisierungstechnische Praxis (46)
2004, 2: 52- 56 und 3: 20 – 27.
[DG07] Drath R., Garcia A.-G.: AutomationML – Die Motivation. Computer&Automation
10/2007, S. 28-32, WEKA Zeitschriftenverlag, Poing, 2007.
[Dr08] Rainer Drath: Die Zukunft des Engineering – Herausforderungen an das Engineering von
fertigungs- und verfahrenstechnischen Anlagen. Tagungsband zum 2. Karlsruher Leittechnischen Kolloquium, S.33-40, 28.-29. Mai 2008.
[EO07] Miriam Ebel, Michael Okon, Michael Baumann: „ProduFlexil“: Flexible Produktion mit
SOA-Architektur und Plug-and-Work-Mechanismus. Tagungsband zum Stuttgarter
Softwaretechnik Forum (Science meets business), S.65-74, 20.-23. November 2007.
[ED08] Ebel, M.; Drath, R.; Sauer, O.: Automatische Projektierung eines Produktionsleitsystem
mit Hilfe des Standarddatenaustauschformats CAEX. Oldenburg Industrieverlag, atp –
Automatisierungstechnische Praxis (50), 5.2008, pp.40-47
[KU08] KUKA Systems GmbH
[OP08] OPC Foundation: www.opcfoundation.org, Stand September 2008
[Pr08] http://www.produflexil.de
[Po04] Polke, M. (edit.): Prozeßleittechnik, Oldenbourg
[SD08] Miriam Schleipen, Rainer Drath, Olaf Sauer: The system-independent data exchange
format CAEX for supporting an automatic configuration of a production monitoring and
control system. IEEE International Symposium on Industrial Electronics – ISIE 2008,
p.1786-1791, Cambridge, Great Britain, June 30 to July 2, 2008.
[Sc08b] Miriam Schleipen: OPC UA supporting the automated engineering of production monitoring and control systems. Proceedings of 13th IEEE International Conference on
Emerging Technologies and Factory Automation ETFA, 15.-18.9.2008, Hamburg, Germany, 2008.
[SE07] Sauer, O.; Ebel, M.: Plug-and-work von Produktionsanlagen und übergeordneter Software, Aktuelle Trends in der Softwareforschung, Tagungsband zum do it.softwareforschungstag 2007, Heidelberg, dpunkt.verlag