Bericht - Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und

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Bericht - Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Bericht
» Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung im Bereich des Atomrechts
im Auftrag des
Bundesministeriums für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit
Kienbaum Management Consultants GmbH
Public Management
Georg-Glock Straße 8
D-40474 Düsseldorf
Tel. 0 211 / 96 59-330
Fax 0 211 / 96 59-312
Düsseldorf, 22.09.2004
Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
Der Bericht gibt die Auffassung und Meinung des Auftragnehmers wieder und muss nicht
mit der Meinung des Auftraggebers (Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit) übereinstimmen.
© Kienbaum Management Consultants GmbH 2004
Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
» Inhaltsverzeichnis
1
Management Summary_______________________________________________ 7
2
Auftrag und Auftragsdurchführung ___________________________________ 10
3
4
2.1
Aufgabenstellung ___________________________________________ 10
2.2
Abgrenzung des Untersuchungsgegenstands_____________________ 10
2.3
Auftragsdurchführung________________________________________ 10
Zuständigkeiten und Aufgabenverständnis der für den Vollzug des
Atomrechts verantwortlichen Behörden _______________________________ 13
3.1
Gesetzliche Grundlagen______________________________________ 13
3.2
Aufgabenverständnis der Bundesaufsicht ________________________ 14
3.3
Aufgabenverständnis der Landesaufsichtsbehörden________________ 15
Ergebnisse der Ist-Analyse __________________________________________ 18
4.1
Aufbauorganisation auf Landesebene ___________________________ 18
4.2
Aufbauorganisation auf Bundesebene___________________________ 21
4.3
Ablauforganisation __________________________________________ 22
4.4
Personalwirtschaftliche Aspekte _______________________________ 27
4.5
Kostenanalyse _____________________________________________ 30
4.6
5
4.5.1
Kostenanalyse auf Landesebene ______________________ 30
4.5.2
Kostenanalyse auf Bundesebene ______________________ 34
Steuerungsinstrumente und Wissensmanagement _________________ 36
Ableitung von Kriterien zur Bewertung des Status Quo und der
Strukturalternativen ________________________________________________ 37
5.1
Bereitstellung von Ressourcen zur Erfüllung des
gesetzlichen Auftrags in angemessener Qualität und
Quantität__________________________________________________ 39
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Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
5.2
Einheitlichkeit und Anpassungsfähigkeit staatlichen
Genehmigungs- und Aufsichtshandelns im Bereich des
Atomrechts ________________________________________________ 40
5.3
Weiterentwicklung und Anwendung der Grundlagen
zum Vollzug des Atomrechts nach dem aktuellen Stand
von Wissenschaft und Technik ________________________________ 40
5.4
Schneller und ungehinderter Austausch von
Informationen zwischen den Beteiligten über das
Aufsichts- und Genehmigungsgeschehen ________________________ 41
5.5
Eindeutige Verantwortlichkeiten für den staatlichen
Vollzug des Atomrechts ______________________________________ 41
6
Veränderte Rahmenbedingungen für den Vollzug des Atomrechts _________ 43
7
Darstellung der Strukturalternativen __________________________________ 45
8
7.1
Zentralisierungsmodell _______________________________________ 46
7.2
Kooperationsmodell
der
Länder
(Landeseigenverwaltung)_____________________________________ 48
Bewertung des Status Quo und der Strukturalternativen _________________ 50
8.1
8.2
Bewertung des Status Quo ___________________________________ 50
8.1.1
Bereitstellung von Ressourcen zur Erfüllung des gesetzlichen
Auftrags in angemessener Qualität und Quantität _________ 50
8.1.2
Einheitlichkeit
und
Anpassungsfähigkeit
staatlichen
Genehmigungs- und Aufsichtshandelns im Bereich des
Atomrechts _______________________________________ 54
8.1.3
Weiterentwicklung und Anwendung der Grundlagen zum
Vollzug des Atomrechts nach dem aktuellen Stand von
Wissenschaft und Technik ___________________________ 56
8.1.4
Schneller und ungehinderter Austausch von Informationen
zwischen den Beteiligten über das Aufsichts- und
Genehmigungsgeschehen ___________________________ 58
8.1.5
Eindeutige Verantwortlichkeiten für den staatlichen Vollzug des
Atomrechts _______________________________________ 59
Bewertung des Zentralisierungsmodells _________________________ 61
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3
Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
8.3
Bewertung
Kooperationsmodell
der
Länder
(Landeseigenverwaltung)_____________________________________ 68
8.4
Zusammenfassung und Empfehlung ____________________________ 73
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Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
» Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Überblick über die Aufbauorganisation der zuständigen
Landesministerien im Bereich der Atomaufsicht ______________________ 18
Abbildung 2: Überblick über den Personalbestand der zuständigen
Landesministerien; bei den Angaben der Bundesländer BadenWürttemberg (inkl. Abteilungsleitung), Niedersachsen, Hessen und
Nordrhein-Westfalen handelt es sich bei der Anzahl der Mitarbeiter um
Ist-Angaben, die Kienbaum vorliegen; für das Bundesland NRW wurde
die Verteilung der Beschäftigten auf die Referate geschätzt. Bei den
Angaben für die übrigen Bundesländer handelt es sich um
Schätzwerte; die Schätzungen für das Bundesland Rheinland-Pfalz
wurden wie o.g. aus Plausibilitätsgründen angepasst. _________________ 20
Abbildung 3: Aufbauorganisation der Abteilung RS, Sicherheit kerntechnischer
Einrichtungen, Strahlenschutz, nukleare Ver- und Entsorgung___________ 21
Abbildung 4: Entscheidungsprozess „Fortschreibung des kerntechnischen
Regelwerks“ __________________________________________________ 24
Abbildung 5: Prozess „ereignisbezogene Einzelfallaufsicht des Bundes“ _____________ 25
Abbildung 6: Entscheidungsprozess „Genehmigungsverfahren“ ____________________ 26
Abbildung 7: Absolventenstatistik für die Fachbereiche Maschinenbau,
Elektrotechnik, Physik __________________________________________ 27
Abbildung 8: Entwicklung der Absolventenzahlen Kerntechnik, Angaben des
statistischen Bundesamtes 2004 __________________________________ 28
Abbildung 9: Kosten der Atomaufsicht ________________________________________ 32
Abbildung 10: Gesamtausgaben der Aufsicht p. a., geschätzt im Vergleich der
Bundesländer_________________________________________________ 33
Abbildung 11: Gesamtausgaben der Aufsicht auf Bundesebene („Untersuchungen
zur Reaktorsicherheit“ und „Internationale Zusammenarbeit“:
Rechnungsergebnis 2001 im Bundeshaushaltsplan 2003, Einzelplan
16 S. 29 ff; Angaben zum Aufwand der GRS: Haushaltsansatz 2002
vorbehaltlich der Vergabe durch Einzelaufträge im
Bundeshaushaltsplan 2003, Einzelplan 16 S. 29 ff; „KTA“:
Rechnungsergebnis 2002, Angaben KTA-Geschäftsstelle) _____________ 35
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Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
Abbildung 12: Ableitung der Strukturalternativen_________________________________ 46
Abbildung 13: Zentralisierungsmodell _________________________________________ 47
Abbildung 14: Kooperationsmodell der Länder __________________________________ 49
Abbildung 15: Status Quo___________________________________________________ 50
Abbildung 16: Bewertung des Zentralisierungsmodells - Kriterium 1__________________ 61
Abbildung 17: Bewertung des Zentralisierungsmodells - Kriterium 2__________________ 64
Abbildung 18: Bewertung des Zentralisierungsmodells - Kriterium 3__________________ 65
Abbildung 19: Bewertung des Zentralisierungsmodells - Kriterium 4__________________ 66
Abbildung 20: Bewertung des Zentralisierungsmodells - Kriterium 5__________________ 66
Abbildung 21: Bewertung des Länderkooperationsmodells - Kriterium 1 ______________ 68
Abbildung 22: Bewertung des Länderkooperationsmodells - Kriterium 2 ______________ 69
Abbildung 23: Bewertung des Länderkooperationsmodells - Kriterium 3 ______________ 71
Abbildung 24: Bewertung des Länderkooperationsmodells - Kriterium 4 ______________ 72
Abbildung 25: Bewertung des Länderkooperationsmodells - Kriterium 5 ______________ 72
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Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
1
Management Summary
Kienbaum hat im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit im Zeitraum von Januar bis Juli 2004 eine Untersuchung zur Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung im Bereich des Atomrechts durchgeführt.
Untersucht wurde die Frage, welche institutionelle Struktur eine zukunftsfähige und
ökonomisch tragfähige Atomaufsicht am besten gewährleistet. Die Strukturalternativen einschließlich des Status Quo der Bundesauftragsverwaltung wurden insbesondere auf ihre Eignung hinsichtlich der Einstellung auf die veränderten Rahmenbedingungen der Aufsicht geprüft.
Untersuchungsgegenstand waren die zuständigen staatlichen Verwaltungen, also
das BMU und alle zuständigen obersten Landesbehörden (mit ihren verantwortlichen
Organisationsbereichen) der Bundesländer mit kerntechnischen Anlagen (in Betrieb
befindlich oder stillgelegt). Die Untersuchung bezog sich dabei auf die Atomaufsicht
in Hinblick auf Genehmigungs- und Aufsichtsverfahren für Kernkraftwerke, Forschungsreaktoren sowie die Stilllegung dieser Anlagen. Der Aufgabenbereich des
Strahlenschutzes war nicht Gegenstand der Untersuchung und wurde nur im Hinblick
auf den Strahlenschutz in kerntechnischen Anlagen mit betrachtet.
Auf der Grundlage einer Darstellung des Status Quo der Atomaufsicht hinsichtlich
Organisation, Personalwirtschaft, Kosten und Steuerungsmodell wurde ein Kriterienraster zur Bewertung des Status Quo und alternativer Gestaltungsmodelle erarbeitet.
Ausgehend von dem im Atomgesetz formulierten allgemeinen Schutzziel lässt sich
für die Atomaufsicht die Zielsetzung eines qualifizierten Vollzugs des Atomrechts im
Sinne eines optimalen Beitrags zum sicheren Betrieb kerntechnischer Anlagen ableiten. Diese Zielsetzung wurde in 5 Grundkriterien zur Bewertung der Strukturalternativen konkretisiert, die im Rahmen der Untersuchung noch weiter differenziert wurden:
1.
Bereitstellung von Ressourcen zur Erfüllung des gesetzlichen Auftrags in angemessener Qualität und Quantität
2.
Einheitlichkeit und Anpassungsfähigkeit staatlichen Genehmigungs- und Aufsichtshandelns im Bereich des Atomrechts
3.
Weiterentwicklung und Anwendung der Grundlagen zum Vollzug des Atomrechts nach dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik
4.
Schneller und ungehinderter Austausch von Informationen zwischen den Beteiligten über das Aufsichts- und Genehmigungsgeschehen
5.
Eindeutige Verantwortlichkeiten für den staatlichen Vollzug des Atomrechts
Die Anwendung dieses Kriterienrasters erfolgte dann jeweils vor dem Hintergrund
der veränderten Rahmenbedingungen für den Vollzug des Atomrechts. Die Rah© Kienbaum Management Consultants GmbH 2004
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Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
menbedingungen werden u. a. geprägt durch den sogenannten Atomkonsens, die
aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Bund-LänderVerhältnis beim Vollzug des Atomrechts sowie eine Erweiterung des Kompetenzund Anforderungsfeldes im Bereich der Atomaufsicht.
Neben der Bundesauftragsverwaltung wurden zwei weitere Strukturalternativen beschrieben, so dass 3 Modelle Gegenstand der kriteriengestützten Bewertung waren:
•
Status Quo [Bundesauftragsverwaltung]
•
„Zentralisierungsmodell“ [Bundeseigenverwaltung; Bundesoberbehörde mit
Außenstellen]
•
„Kooperationsmodell der Länder“ [Landeseigenverwaltung].
Der grundlegende politische Dissens über die friedliche Nutzung der Atomkraft, die
Auswirkungen des sog. Atomkonsenses und die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts haben die Frage der Zukunftsfähigkeit der bestehenden Verwaltungsstruktur im Bereich der Atomaufsicht verstärkt ins Blickfeld gerückt.
Zudem stellt die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben im Bereich der Bundesauftragsverwaltung für einen Zeitraum von 15 bis 20 Jahren noch weitere bzw. sich verändernde Anforderungen an die zuständigen Organisationseinheiten:
Das Kompetenz- und Anforderungsfeld wird sich in Teilbereichen für die staatliche
Aufsicht erweitern (Sicherheitsmanagement-Systeme auf Betreiberseite; Aufbau von
aufsichtlichen Kompetenzen in Bezug auf Betriebsorganisation, Geschäftsprozessgestaltung sowie das Management von Humanressourcen). Gleichzeitig wächst der
Druck auf die öffentlichen Haushalte und erreicht auch die staatliche Atomaufsicht.
Dies erfordert von den Aufsichtsbehörden auf allen Verwaltungsebenen ein erhöhtes
Maß an Qualifikation, Fähigkeit zur Spezialisierung und Flexibilität. Die Struktur der
Atomaufsicht auf Bundes- und Landesebene gibt Anlass zu Zweifeln, ob diesen Anforderungen in Zukunft entsprochen werden kann.
In vergleichsweise kleinteiligen, unter dem Druck der Personalreduzierung stehenden Organisationseinheiten bleibt kaum Zeit, um die Know-How-Entwicklung des
Personals der Exekutive entsprechend dem Stand von Wissenschaft und Technik zu
gewährleisten und in der praktischen Aufsichtsarbeit sowie zur Steuerung der Gutachter einzusetzen.
An Hand der Kriterienbewertung zeigt sich, dass beide Modellalternativen, Zentralisierung und Kooperationsmodell der Länder (Landeseigenverwaltung), gegenüber
dem Status Quo in Summe Vorteile aufweisen.
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Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
Das Modell einer Zentralisierung in Bundeseigenverwaltung ermöglicht Strukturen,
die hinsichtlich Kompetenzerhalt und wirtschaftlichem Ressourceneinsatz dem Status Quo überlegen sind.
Aufsichts- und Genehmigungsprozesse können verbindlich an gemeinsamen Standards orientiert und einer Qualitätssicherung unterworfen werden. Der Erfahrungsrückfluss, Informations- und Wissensaustausch kann ungehindert und mit zeitgemäßen Mitteln erfolgen.
Das Zentralisierungsmodell eröffnet auch die Grundlage für störungsfreie Entscheidungsprozesse in Bezug auf die Adaption des Stands von Wissenschaft und Technik
und die Weiterentwicklung des kerntechnischen Regelwerks.
Die Bewertung der Landeseigenverwaltung hängt für die wesentlichen Kriterien
davon ab, inwieweit erwartet werden kann, dass die Länder übergreifende Strukturen
zur verbindlichen Kooperation entwickeln und störungsfrei betreiben.
Die beim Vollzug des Atomrechts an die staatlichen Behörden gestellten Aufgaben
wie auch die resultierenden Koordinations- und Kooperationsanforderungen erscheinen jedoch als komplex. Zudem kann nicht erwartet werden, dass bei der bestehenden Vielfalt der politischen Konstellationen im föderalen System Konsensgremien
erfolgreicher agieren als im Status Quo.
Das Zentralisierungsmodell im Rahmen der Bundeseigenverwaltung erscheint daher
als die vielversprechendste Alternative zur Sicherung einer zukunftsfähigen Atomaufsicht.
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Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
2
Auftrag und Auftragsdurchführung
2.1
Aufgabenstellung
Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit hat Kienbaum Management Consultants am 18. Dezember 2003 beauftragt, die Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung im Bereich des Atomrechts zu untersuchen.
Projektziel war die Erarbeitung eines Struktur- und Organisationsvorschlags, der eine
zukunftsfähige und ökonomisch tragfähige Atomaufsicht zum Gegenstand hat. Die
zu betrachtenden Strukturalternativen einschließlich des Status Quo waren insbesondere auf ihre Eignung hinsichtlich der Einstellung auf die veränderten Rahmenbedingungen zu prüfen.
2.2
Abgrenzung des Untersuchungsgegenstands
Untersuchungsgegenstand waren die zuständigen staatlichen Verwaltungen, also
das BMU und alle zuständigen obersten Landesbehörden (mit ihren verantwortlichen
Organisationsbereichen) der Bundesländer mit kerntechnischen Anlagen1 (in Betrieb
befindlich oder stillgelegt). Die Untersuchung bezog sich dabei insbesondere auf die
Atomaufsicht in Hinblick auf Genehmigungs- und Aufsichtsverfahren für Kernkraftwerke, Forschungsreaktoren sowie die Stilllegung dieser Anlagen.
Der Aufgabenbereich des Strahlenschutzes war nicht Gegenstand der Untersuchung
und wurde nur im Hinblick auf den Strahlenschutz in kerntechnischen Anlagen mit
betrachtet. Die beim BMU vorliegenden Informationen zur Aufgabenwahrnehmung
im Bereich des Strahlenschutzes (Abfrage BMU-RS II 3, Frühjahr 2004) wurden deskriptiv im Rahmen der Ist-Analyse des Gutachtens integriert.
2.3
Auftragsdurchführung
Kienbaum hat die Untersuchung im Zeitraum vom 07. Januar 2004 bis zum 22. Juli
2004 durchgeführt. Die Untersuchung wurde auf der Grundlage von uns vom Auftraggeber zur Verfügung gestellten Dokumenten und Materialien durchgeführt, die
von uns gesichtet und ausgewertet wurden.
1
Hierzu zählen die Kernanlagen der Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg,
Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland Pfalz, Sachsen,
Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein gem. der Liste der Kernanlagen nach Art. 13 i.V.m. Abs. 2 a)
i) des Brüsseler Zusatzübereinkommens zum Pariser Atomhaftungsübereinkommen, BMU 2004.
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Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
Parallel dazu wurden strukturierte Interviews mit ausgewählten Fachleuten des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) geführt.
Im Einzelnen handelte es sich um die folgenden Aktivitäten:
»
Auftaktworkshop am 07. Januar 2004 zur Abgrenzung des Untersuchungsbereichs und zur Vorstellung der Vorgehensweise im Projekt
»
Sieben strukturierte Interviews mit Führungskräften und Mitarbeitern der Abteilung RS des BMU mit dem inhaltlichen Schwerpunkt der Erfassung des
Aufsichtsverständnisses und der Aufsichtspraxis der Bundesaufsicht (27. Januar, 28. Januar, 13. Februar 2004)
»
Interview mit der Abteilungsleitung RS des BMU
»
Umfangreiche Dokumentenanalysen und Recherchen
»
Abstimmungsgespräch mit Vertretern der Unterabteilung Strahlenschutz zur
Abgrenzung des Projektauftrags am 11. März 2004
»
Präsentation des Kriterienrasters und der Strukturalternativen im BMU am 19.
März 2004
»
Präsentation des Projektstatus im BMU (16. Februar , 10. Mai, 04. Juni, 02.
und 22. Juli 2004)
Grundlagen für die Erarbeitung der Ergebnisse waren darüber hinaus die folgenden
wesentlichen Materialien und Dokumente:
»
Organisationsplan der Abteilung RS im BMU einschließlich der Geschäftsverteilung aller Referate
»
Geschäftsverteilungsplan des Bundesamtes für Strahlenschutz (Stand März
2002) und Organisationsplan des BfS
»
Geschäftsbericht 2002 der GRS sowie Unterlage „Das Profil“ der GRS
»
Broschüre der GRS „Atomrechtliche Genehmigung und Aufsicht“, „Grundsätze der Sicherheit kerntechnischer Anlagen“ und „Überblick über das kerntechnische Regelwerk“
»
Übersichten zu Tagungsstatistiken und zu den Aufwendungen des Kerntechnischen Ausschusses und der RSK
»
Auszug aus dem Bundeshaushaltsplan 2003 und 2004
»
Organisationspläne der für den Vollzug des Atomrechts zuständigen obersten
Landesbehörden
»
Bericht der Regierung der Bundesrepublik Deutschland für die erste Überprüfungstagung zum Übereinkommen über nukleare Sicherheit im April 1999
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11
Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
»
Bericht der Regierung der Bundesrepublik Deutschland für die zweite Überprüfungstagung zum Übereinkommen über nukleare Sicherheit im April 2002
»
„Die Bundesauftragsverwaltung in der Praxis“, Vortrag von Herrn Dieter Rauscher, in: Koch/Roßnagel (Hrsg.), 12. Deutsches Atomrechtssymposium, Baden-Baden 2004, S. 377ff.
»
„Konsequenzen aus dem Biblis-Urteil des Bundesverfassungsgerichts für die
Bundesauftragsverwaltung“, Vortrag von Prof. Dr. Wieland, in:
Koch/Roßnagel (Hrsg.), 12. Deutsches Atomrechtssymposium, Baden-Baden
2004, S. 393ff.
»
„Die Bundesauftragsverwaltung in der Praxis“, Vortrag von Herrn Gerrit Niehaus, in: Koch/Roßnagel (Hrsg.), 12. Deutsches Atomrechtssymposium, Baden-Baden 2004, S. 363ff.
»
„Konsequenzen aus dem Biblis-Urteil des BVerfG für die Bundesauftragsverwaltung“, Vortrag von Prof. Dr. Christoph Degenhart in: Koch/Roßnagel
(Hrsg.), 12. Deutsches Atomrechtssymposium, Baden-Baden 2004, S. 409ff.
»
Brüsseler Zusatzabkommen (BZÜ) zum Pariser Atomhaftungsübereinkommen; Liste der Kernanlagen nach Art. 13 i.V.m. Abs. 2 a) i)
»
„Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen und Strahlenschutz“, Der Bundesminister des Inneren, Bonn, 1974 – hier insbesondere 2. Kapitel zur „Analyse
der Bundesauftragsverwaltung auf ihre Eignung zur Gewährleistung des
Schutzes vor den Gefahren der Kernenergie“
»
Beratungsunterlage des BMU für die Sitzung des Hauptausschusses des LAA
am 17./18. Juni 2004 zum Thema „Sicherheitsmanagement und Kompetenzerhalt“
»
Übersichten zum Länderausschuss für Immissionsschutz
»
Stellungnahme der RSK vom 13.03.2003 zu den KTA-Basisregeln des Vorhabens KTA-2000
»
Inhaltsverzeichnisse des Handbuches Reaktorsicherheit und Strahlenschutz
»
Beratungsunterlage des BMU für die Sitzung des FA Recht am 20./21. September 2001 zum Thema „Verbindlichkeit von Richtlinien/Leitlinien“
»
Bericht der Arbeitsgruppe „Reorganisation des gesundheitlichen Verbraucherschutzes“ vom 14. Dezember 2001
»
Vorläufige Auswertung der Abfrage BMU-RS II 3 zur Aufgabenwahrnehmung
der Länder im Bereich des Strahlenschutzes, Frühjahr 2004
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Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
3
Zuständigkeiten und Aufgabenverständnis der für den Vollzug des Atomrechts verantwortlichen Behörden
3.1
Gesetzliche Grundlagen
Die Sicherheit von Kernanlagen in Deutschland wird durch ein Bundesgesetz, das
Atomgesetz [AtG], geregelt. Vorrangiger Zweck des Gesetzes ist der Schutz von
Leben, Gesundheit und Sachgütern vor den Gefahren der Kernenergie und ionisierender Strahlen. Das Gesetz enthält insbesondere Vorschriften für die Genehmigung
der Errichtung und des Betriebs von Kernanlagen in §§ 7, 9 und 17 AtG, der Aufbewahrung von Kernbrennstoffen in § 6 AtG sowie für die Aufsicht in § 19 AtG.
Die rechtlichen Normen, also das Atomgesetz und die zugehörigen Verordnungen
werden ergänzt und spezifiziert durch Allgemeine Verwaltungsvorschriften, Richtlinien, KTA-Regeln, RSK- und SSK-Empfehlungen und das konventionelle technische
Regelwerk (z.B. DIN, ISO).
Das Atomgesetz sieht als Regelfall vor, die gesetzlichen Aufgaben im Rahmen der
sog. „Bundesauftragsverwaltung“ durch die Länder im Auftrag des Bundes zu vollziehen (§ 24 AtG). Demnach besteht in Deutschland ein zweistufiges Verwaltungssystem zum Vollzug des Atomgesetzes:
»
Die staatliche atomrechtliche Aufsicht über Kernanlagen wird durch die Länder im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung (Art. 85 Grundgesetz) wahrgenommen. Oberste Landesbehörden (Landesministerien) sind die zuständigen Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden für Kernanlagen. Den Ländern
steht damit die Wahrnehmungskompetenz zu, die das Handeln und die Verantwortlichkeit nach außen im Verhältnis zu Dritten umfasst. Die Kompetenz
zur Sachbeurteilung und die Sachentscheidung im Einzelfall liegt grundsätzlich ebenfalls bei den Ländern, kann aber durch den Bund an sich gezogen
werden.
»
Der Bund kann mit Zustimmung des Bundesrates allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen und übt über das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit eine Gesetz- und Zweckmäßigkeitsaufsicht gegenüber den Ländern aus. Die Bundesaufsicht verfügt zu diesem Zweck über
verfassungsrechtlich verankerte Informationsrechte. Die Landesbehörden unterstehen weiterhin den Weisungen des BMU, und stellen den Vollzug dieser
Weisungen sicher.
Weiterhin sieht das Atomgesetz den Einsatz von externen, unabhängigen Sachverständigen (Gutachtern) vor, die für die Durchführung der operativen Aufsicht über die
Kernkraftwerke und kerntechnischen Anlagen beauftragt werden können. Die externen Sachverständigenleistungen werden auf Seiten der Bundesländer überwiegend
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Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
durch die Technischen Überwachungs-Vereine erbracht. Gutachter des Bundes ist
insbesondere die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS).
Das Atomgesetz stellt dynamische Anforderungen an die Aufgabenwahrnehmung
des Bundes und der Länder; Maßgabe für die Sicherheit der deutschen Kernkraftwerke ist die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge
gegen Schäden. Diese erfordert eine entsprechende Interpretation der in den atomrechtlichen Vorschriften und im untergesetzlichen Regelwerk enthaltenen Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffe.
3.2
Aufgabenverständnis der Bundesaufsicht
Das Bundesumweltministerium gewährleistet und verantwortet als Bundesaufsichtsbehörde gemäß den Vorschriften des Grundgesetzes den recht- und zweckmäßigen
Vollzug des Atomrechts im Hinblick auf die kerntechnische Sicherheit, den Strahlenschutz sowie die Entsorgung und Transporte radioaktiver Stoffe. Aufgabe des Bundes ist es, die Genehmigungs- und Aufsichtstätigkeit der Länder zu überwachen und
einen einheitlichen Vollzug des Atomgesetzes zu gewährleisten. Das BMU lässt sich
im Rahmen seiner Aufsichtstätigkeit über die Länder von der GRS sowie der Reaktor-Sicherheitskommission (RSK) und der Strahlenschutzkommission (SSK) beraten.
Das Bundesamt für Strahlenschutz unterstützt das BMU auf den Gebieten der kerntechnischen Sicherheit und des Strahlenschutzes. Es ist für die in § 23 AtG genannten atomrechtlichen Entscheidungen zuständig und vollzieht somit diesen Teil des
Atomrechts in Bundeseigenverwaltung. Die Beratung durch Gremien und Sachverständige ist für das BMU eine fachliche Voraussetzung für die Wahrnehmung seiner
bundesaufsichtlichen Zuständigkeiten.
Die Reaktorsicherheitskommission berät unabhängig und weisungsungebunden bei
Fragen grundsätzlicher Bedeutung und gibt Anstöße für weiter führende sicherheitstechnische Entwicklungen. Ergebnisse der Beratungen sind allgemeine Empfehlungen und einzelfallbezogene Stellungnahmen. Diese werden veröffentlicht.2
Im Kerntechnischen Ausschuss sind Hersteller, Betreiber, Bund, Länder, Gutachter
und Vertreter öffentlicher Belange repräsentiert. Der KTA formuliert und verabschiedet im Konsens detaillierte Regelungen, die in Unterausschüssen und Arbeitsgremien von Fachleuten erarbeitet werden.
Im Rahmen des Länderausschusses für Atomkernenergie wird unter Vorsitz des
Bundes eine Koordination und ein Erfahrungsaustausch über alle für Gesetzgebung
und Gesetzesvollzug relevanten Fragen zwischen Bund und Ländern herbeigeführt.
Die Entscheidungsfindung erfolgt konsensorientiert.
2
Bericht der Regierung der Bundesrepublik Deutschland für die zweite Überprüfungstagung
zum Übereinkommen über nukleare Sicherheit im April 2002, Berlin, 2001, S. 20 ff.
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Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
Aufgabe des BMU ist zunächst die Weiterentwicklung der rechtlichen Grundlagen
und des kerntechnischen Regelwerks. Hierbei geht es insbesondere um die gesetzlichen Grundlagen, die Normkonkretisierung durch Verordnungen bzw. Verwaltungsvorschriften sowie die Erstellung von Richtlinien und Leitfäden, die von den
Landesbehörden anzuwenden sind. Der Erlass von Verordnungen und Allgemeinen
Verwaltungsvorschriften hat mit Zustimmung des Bundesrats zu erfolgen, § 54 AtG,
Art. 85 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz. Rechtlich unverbindliche Leitlinien und Richtlinien, die jedoch eine hohe faktische Bindungswirkung haben, werden in der Regel
nach Beratung im Länderausschuss für Atomkernenergie bekannt gemacht.
Die Erarbeitung und Fortschreibung des untergesetzlichen Regelwerks ist ebenfalls
Bestandteil der Aufgabenstellung der beratenden und koordinierenden Gremien, die
nach dem Konsensprinzip Regelwerke entwickeln.
Das Modell der Bundesauftragsverwaltung ist insgesamt durch die Vorstellung einer
konsensorientierten, kooperativen Zusammenarbeit gekennzeichnet. Im Rahmen der
Arbeit in Beschlussgremien werden fachliche Fragestellungen mit der Zielvorstellung
diskutiert und bewertet, einen Konsens herbeizuführen um bspw. Leitfäden oder einzelne technische Regeln gemeinsam mit den Ländern zu verabschieden.
Die zweite Aufgabe des Bundes besteht in der Aufsicht über die Genehmigungs- und
Aufsichtstätigkeit der Länder. Dabei erfolgt keine ganzheitliche Überwachung der
Aufsichtsprozesse der Länder im Sinne einer Qualitätssicherung. Die Prozessabläufe
und die Einhaltung von Standards werden durch den Bund nicht systematisch überprüft und überwacht. Dies resultiert aus dem rechtlichen Verständnis der Länder,
dass dem Bund keine Einwirkungsmöglichkeiten auf die Binnenorganisation der
Landesaufsichtsbehörden zustehen.
Der Bund handelt vielmehr anlassbezogen und unterwirft Einzelfälle der bundesaufsichtlichen Überprüfung. Das betrifft vor allem ausgewählte Genehmigungsverfahren,
meldepflichtige Ereignisse und sonstige spezielle Befunde, die z. B. aus dem internationalen Erfahrungsrückfluss resultieren.
Erkenntnisse aus Einzelfallüberprüfungen haben in der Praxis exemplarische Wirkung für vergleichbare Tatbestände. Gleichwohl geben Atomgesetz und Rechtsprechung dem Bund keine Handhabe für ein prozessbezogenes Qualitätsmanagement
der Landesaufsichtsbehörden.
Der Bund ist darüber hinaus verantwortlich für die internationale Zusammenarbeit,
d.h. den internationalen Informations- und Erfahrungsaustausch sowie die Gremienarbeit mit Aufsichtsbehörden anderer Länder. Hier sind Vertreter der Landesbehörden nur im Einzelfall beteiligt (vgl. 2.3).
3.3
Aufgabenverständnis der Landesaufsichtsbehörden
Die Aufgaben der Landesbehörden im Rahmen der staatliche Überwachung der
Kernanlagen lassen sich in die Erteilung von Genehmigungen von Anlagen sowie die
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Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
Zuständigkeit für die Aufsicht über den Betrieb der Kernanlagen gliedern. Die Landesbehörden führen im Rahmen der Aufsichtstätigkeit regelmäßig Aufsichtsbesuche
in den Anlagen vor Ort durch. Grundsätzlich gilt das Rollenverständnis einer Kontrollund Überwachungsinstanz gegenüber den Betreibern vor Ort.
Genehmigungen zu wesentlichen Veränderungen von Kernkraftwerken oder ihres
Betriebs bzw. zur Stilllegung von Kernkraftwerken werden durch die zuständigen
Landesbehörden erteilt, § 7 Abs. 1 und 3 und § 24 AtG. Laufende Änderungsverfahren für die Anlagen führen durch neue Genehmigungsauflagen zu weiterem Überwachungsbedarf für die Landesbehörde.
Bei der Gestaltung der Aufsicht über die Kernkraftwerke gemäß § 19 AtG verfügen
die zuständigen Landesbehörden über weit gehende Handlungs- und Gestaltungsspielräume, da die bundesgesetzlichen Vorgaben zur Aufsicht relativ unbestimmt
gefasst wurden.
Durch umfangreiche Genehmigungsauflagen in den Anlagen besteht in einem hohen
Maß die Notwendigkeit, Genehmigungsauflagen und Revisionsarbeiten zu überwachen. Hierdurch wird die Aufsichtstätigkeit der Landesbehörde stark determiniert.
Ereignis- und betreiberunabhängige Aufsichtsmaßnahmen und die präventive Disposition von Aufsichtsschwerpunkten machen einen geringeren Teil der Aufsichtsarbeit
aus.
Das gegenwärtige System der Aufsicht gibt den Landesverwaltungen den Spielraum,
ein eigenes Aufsichtsverständnis und eigene Aufsichtskonzeptionen zu realisieren
und zu entwickeln.
So verfolgt bspw. die Abteilung 7 des Ministeriums für Umwelt und Verkehr in BadenWürttemberg mit dem Ansatz „Mensch-Technik-Organisation“ ein Konzept, das explizit die Schnittstelle zwischen Mensch und Technik erfasst, um potenzielle Risikokategorien in die Aufsichtsarbeit einzubeziehen. Es wird nicht nur der technische und
organisatorische Aspekt in diesem Ansatz berücksichtigt, sondern auch verhaltensbestimmende Faktoren einbezogen. Inwieweit solche Ansätze von anderen Landesaufsichtsbehörden aufgegriffen und umgesetzt werden, obliegt deren Verantwortlichkeit.
Das Atomgesetz sieht weiterhin vor, Sachverständige im Genehmigungs- und Aufsichtsverfahren einzusetzen. Die Landesbehörden haben hierzu Rahmenverträge mit
Sachverständigenorganisationen geschlossen, die als Generalgutachter eingesetzt
werden. Die Tätigkeit der Sachverständigen ist überwiegend auf technische Gesichtspunkte ausgerichtet. Die von den Sachverständigen erstellten Gutachten werden von der Aufsichtsbehörde analysiert und bewertet.
Die Rolle der Landesbehörde gegenüber dem Sachverständigen ist formal durch
eine Auftraggeber-Auftragnehmer-Beziehung determiniert und damit eindeutig: Die
Landesbehörde beauftragt für operative Prüfungs- und Überwachungsaufgaben im
Rahmen der Aufsichtstätigkeit den Gutachter. Dieser verfügt über entsprechende
Anlagenkenntnisse und die Personalausstattung, um die Aufsicht wahrnehmen zu
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16
Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
können. Damit obliegt den Landesbehörden die Verantwortung für Steuerung und
Kontrolle der Gutachter (Auftragnehmer) gemessen an den Anforderungen der Aufsicht. Diese Steuerungs- und Kontrollfunktion muss von dem beauftragenden Referat
in der Aufsichtsbehörde ausgehen.
In Fragen der internationalen Kontakte bestehen sowohl auf Seiten des Bundes als
auch der Länder Aktivitäten und Initiativen. Während der Bund die Wahrnehmung
der internationalen Kontakte zu seinen originären Aufgaben zählt, werden teilweise
auch von Landesaufsichtsbehörden internationale Kontakte aufgebaut.
Die Bundesländer Baden-Württemberg, Hessen und Bayern haben ein Verwaltungsabkommen verabschiedet und eine internationale Länderkommission Kerntechnik
(ILK) eingerichtet. Die ILK besteht aus 13 internationalen Wissenschaftlern und wurde im Oktober 1999 gegründet. Ziel der Kommission ist eine unabhängige und objektive Beratung der drei Länder in Fragen der Sicherheit kerntechnischer Anlagen, der
Entsorgung radioaktiver Abfälle sowie der Risikobewertung der Kernenergienutzung.
Die Kommission unterliegt nicht den Weisungen der Länder.
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass der Internationalisierungsdruck auf das
bestehende System der Bundesauftragsverwaltung steigt und damit auch die Anforderung an die Koordinationsinstrumente.
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17
Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
4
Ergebnisse der Ist-Analyse
4.1
Aufbauorganisation auf Landesebene
In acht Bundesländern (Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen,
Mecklenburg-Vorpommern, Hessen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein) sind in
den zuständigen Ministerien jeweils eigene Abteilungen für die Wahrnehmung der
atomrechtlichen Aufgaben eingerichtet.
Die Länder Berlin, NRW, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg verfügen über
eine andere Aufbauorganisation: in Nordrhein-Westfalen sind die Aufgaben der Atomaufsicht integriert in die Abteilung „Energie, Bergbau und Klimaschutz“, in Sachsen-Anhalt findet sich die Atomaufsicht als ein Referat innerhalb der Abteilung „Zentrales, Kerntechnik“ und in Brandenburg als ein Referat in der Abteilung „Verbraucherschutz“. In Berlin ist die Atomaufsicht in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, im Umweltservice der Abteilung VIII angesiedelt. Das Bundesland Sachsen hat
eine Zuordnung zur Abteilung „Immissions- und Strahlenschutz“ im Ministerium für
Umwelt und Landwirtschaft vorgenommen.
BadenWürttemberg
Bayern
Berlin
Brandenburg
Hessen
Niedersachsen
MecklenburgVorpommern
NordrheinWestfalen
RheinlandPfalz
Sachsen
SachsenAnhalt
SchleswigHolstein
Einen Überblick über die Aufgabenwahrnehmung im Bereich der Atomaufsicht gibt
die nachfolgende Abbildung:
Atomaufsicht in
eigener Abteilung
ja
ja
nein
nein
ja
ja
ja
nein
ja
nein
nein
ja
Anzahl Referate
insgesamt
7
7
1
1
7
6
4
5
6
1
1
6
Funktionale
Querschnittsreferate
3
3
./.
./.
3
4
2
1
5
./.
./.
3
Objektorientierung
Anlagenreferate
ja
ja
ja
ja
ja
ja
ja
ja
ja
ja
ja
ja
Anzahl
Anlagenreferate
4
4
1
1
4
2
2
4
1
1
1
3
Abbildung 1: Überblick über die Aufbauorganisation der zuständigen Landesministerien im Bereich der Atomaufsicht
Die Größe der Abteilungen in den Landesministerien variiert. Die organisatorisch
größten Aufsichtsbehörden finden sich in den Bundesländern mit Kernkraftwerken im
Leistungsbetrieb, was sich auch in der Anzahl der Referate in den Ländern BadenWürttemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein widerspiegelt.
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18
Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
Eine Ausnahme bildet hier das Land Rheinland-Pfalz, das zwar formal sechs Referate in der zuständigen Abteilung eingerichtet hat, jedoch mit jeweils geringerer Mitarbeiteranzahl.
In Berlin, Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt ist jeweils nur ein Referat mit
den Aufgaben der staatlichen Atomaufsicht befasst.
Die Leitungsspanne auf Abteilungsebene beträgt im Durchschnitt der Landesumweltministerien 1 : 6,8. Für die Referatsebene liegen Kienbaum keine Detailinformationen vor. Erfahrungen aus Projekten auf Landesebene zeigen, dass von einer
durchschnittlichen Leitungsspanne zwischen 1:6 und 1:7 auszugehen ist (einschließlich Assistenz- und Unterstützungskräfte).
Die Aufbauorganisation der Abteilungen auf Referatsebene folgt in allen obersten
Landesbehörden dem Prinzip der Objektorientierung, d. h. die Referatszuständigkeiten sind im Grundsatz nach Kernkraftwerken und kerntechnischen Anlagen gegliedert. Hierzu zählen die Aufsichts- und Genehmigungsreferate für Kernanlagen in
Betrieb wie auch die Referate, die Entsorgung und Stilllegung bestimmter Anlagen
beaufsichtigen, da auch hier Gutachterkapazitäten in größerem Umfang gebunden
sind. Bei fast allen Landesbehörden sind Aufsichts- und Genehmigungsaufgaben in
einem Ministerium gebündelt. Ausnahme ist das Land Baden-Württemberg, wo das
Wirtschaftsministerium die zuständige Genehmigungsbehörde und das Ministerium
für Umwelt und Verkehr die zuständige Aufsichtsbehörde ist.
Darüber hinaus sind i. d. R. funktionale Querschnittsreferate eingerichtet. Hier
werden Grundsatzangelegenheiten der Kernenergieaufsicht, des Strahlenschutzes
und Sicherheit sowie Rechtsfragen bearbeitet. Nur die kleinen Einheiten in Berlin,
Brandenburg und Sachsen-Anhalt verfügen nicht über dieses Organisationselement.
Die Länder Niedersachsen und Baden-Württemberg haben zusätzlich Querschnittsaufgaben in Form von personengebundenen Stabsstellen (sog. Projektreferenten, Fachkoordinatoren) gebündelt. Es handelt sich in beiden Fällen um Funktionen, die zunächst der Bündelung und Vertiefung von Know-How dienen und den
Erkenntnisrückfluss in die jeweilige Abteilung sicherstellen sollen. Darüber hinaus
wurde in Baden-Württemberg eine sog. Clearing-Stelle eingerichtet, ein referatsübergreifender Expertenkreis aus Mitarbeitern der Abteilung, der zur frühzeitigen
Bewertung von potenziell meldepflichtigen und meldepflichtigen Ereignissen aktiv
wird.
Zur Analyse der Organisation, des Personalbestands und der Kosten der Aufsicht
auf Länderebene im Rahmen der vorliegenden Untersuchung hat das BMU, RS I 1
mit Schreiben vom 06.04.2004 ein entsprechendes Auskunftsersuchen an die zuständigen obersten Landesbehörden gerichtet.
Die große Mehrzahl der Länder hat von einer inhaltlichen Beantwortung der Anfrage
jedoch abgesehen.
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19
Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
Insofern mussten sich die folgenden Darstellungen auf öffentlich bzw. dem BMU bereits zugängliche Informationen und Angaben stützen. Informationen zum Personalbestand lagen für die Bundesländer Hessen, Baden-Württemberg, Niedersachsen
und Nordrhein-Westfalen vor.
Soweit auch solche Informationen nicht vorlagen, wurde der Personalbestand der
übrigen Landesministerien auf der Basis von durchschnittlichen Mitarbeiterzahlen je
Referat qualifiziert geschätzt. Ausgehend von einer durchschnittlichen Leitungsspanne von 1:6 wurde von 7 Mitarbeitern je Referat ausgegangen.
Zur Plausibilisierung der durchschnittlichen Mitarbeiterzahlen wurde der schätzweise
ermittelte Personalbestand mit den vorliegenden Daten aus Hessen, BadenWürttemberg und Niedersachsen abgeglichen. Hierbei ergab sich für das Ministerium
für Umwelt und Forsten des Landes Rheinland-Pfalz Anpassungsbedarf, da die Abteilung Aufsichts- und Genehmigungsbehörde nur für eine Anlage -das außer Betrieb
befindliche Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich- zuständig ist. Aufgrund der Anzahl von 6
einschlägigen Referaten würde der Personalbestand in Rheinland-Pfalz gegenüber
Landesbehörden, in denen jeweils mehrere von Kernanlagen betreut werden (bei
vergleichbarer Anzahl der Referate), voraussichtlich zu hoch geschätzt.
BadenWürttemberg
Bayern
Berlin
Brandenburg
Hessen
Niedersachsen
MecklenburgVorpommern
NordrheinWestfalen
RheinlandPfalz
Sachsen
SachsenAnhalt
SchleswigHolstein
Der geschätzte Personalbestand in den Landesumweltministerien ist in der nachfolgenden Abbildung dargestellt.
Anzahl Mitarbeiter
49
49
7
7
44
46
28
20
21
7
7
42
davon in
Anlagenreferaten
28
28
./.
./.
29
21
14
15
7
./.
./.
21
davon in
Querschnittsreferaten
21
21
./.
./.
15
25
14
5
14
./.
./.
21
Abbildung 2: Überblick über den Personalbestand der zuständigen Landesministerien; bei den Angaben der Bundesländer Baden-Württemberg (inkl. Abteilungsleitung), Niedersachsen, Hessen und Nordrhein-Westfalen handelt es
sich bei der Anzahl der Mitarbeiter um Ist-Angaben, die Kienbaum vorliegen; für das Bundesland NRW wurde die
Verteilung der Beschäftigten auf die Referate geschätzt. Bei den Angaben für die übrigen Bundesländer handelt es
sich um Schätzwerte; die Schätzungen für das Bundesland Rheinland-Pfalz wurden wie o.g. aus Plausibilitätsgründen angepasst.
Insgesamt sind für die staatliche Überwachung der Kernanlagen auf Landesebene
circa 327 Mitarbeiter im Einsatz.
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20
Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
4.2
Aufbauorganisation auf Bundesebene
Auf Bundesebene werden die Aufgaben in der Abteilung RS des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit mit 104 Mitarbeitern wahrgenommen. Aufbauorganisatorisch ist die Abteilung RS in drei Unterabteilungen gegliedert.
Untersuchungsrelevant sind die Unterabteilungen RS I „Sicherheit kerntechnischer
Anlagen“ und RS III „Nukleare Ver- und Entsorgung“. In der dritten Unterabteilung
RS II werden Aufgaben des Strahlenschutzes wahrgenommen.
Insgesamt arbeiten in den beiden untersuchungsrelevanten Unterabteilungen 67
Beschäftigte, zzgl. der Abteilungsleitung.
Die nachfolgende Ansicht zeigt die Aufbauorganisation der Abteilung RS im Überblick:
Abteilung RS
Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen,
Strahlenschutz, nukleare Ver- und Entsorgung
Unterabteilung RS I
Unterabteilung RS II
Unterabteilung RS III
Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen
Strahlenschutz
Nukleare Ver- und Entsorgung
Arbeitsgruppe RS I 1
Atomrecht, Länderausschuss für Atomenergie,
Arbeitsprogramme
Referat RS I 2
Koordinierung, Fachaufsicht BfS,
Verwaltungsangelegenheiten einschließlich
GBS-Beteiligungsverwaltung
Arbeitsgruppe RS I 3
Bundesaufsicht bei Atomkraftwerken,
Grundsatzangelegenheiten der
nuklearen Sicherheit ,Regelwerk
Referat RS I 4
Internationale Angelegenheiten der nuklearen
Sicherheit, des Strahlenschutzes und der
nuklearen Ver- und Entsorgung
Referat RS I 5
Multilaterale regulatiorische Zusammenarbeit
Arbeitsgruppe RS II 1
Referat RS III 1
Strahlenschutzrecht
Recht der nukleare Ver- und Entsorgung
Referat RS II 2
Referat RS III 2
Grundsatzangelegenheiten des
Strahlenschutzes
Grundsatzangelegenheiten der nukleare
Entsorgung, Endlagerung
Referat RS II 3
Bundesaufsicht im Strahlenschutz
Referat RS II 4
Medizinisch-biologische Angelegenheiten
des Strahlenschutzes
Referat RS III 3
Sonstige Angelegenheiten der nuklearen
Entsorgung, nukleare Versorgung
Referat RS III 4
Stilllegung kerntechnischer Anlagen
Referat RS II 5
Radioökologie, Überwachung der Radioaktivität
in der Umwelt, Notfallschutz
Referat RS I 6
Referat RS II 6
Sicherung kerntechnischer Einrichtungen,
Fachkunde
Strahlenschutz bei bergbaulichen und
industriellen Hinterlassenschaften
Abbildung 3: Aufbauorganisation der Abteilung RS, Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen, Strahlenschutz, nukleare Ver- und Entsorgung
Auf Referatsebene in Unterabteilung I wird zum einen die Rolle des BMU als koordinierende Instanz für Rechtsetzungsfragen und rechtliche Grundsatzfragen (AG RS I
1), die Sicherung kerntechnischer Einrichtungen (einschließlich der Bundesaufsicht
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21
Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
in diesem Bereich) sowie die Fachkunde (RS I 6) und die internationale Zusammenarbeit und multilaterale regulatorische Zusammenarbeit (RS I 4, I 5) deutlich.
Für die Bundesaufsicht über die Sicherheit der Atomkraftwerke, also insoweit insbesondere über die Genehmigungs- und Aufsichtsverfahren in den Bundesländern, ist
die Arbeitsgruppe RS I 3 zuständig. Bezogen auf die Mitarbeiterzahl handelt es sich
mit 11 Mitarbeitern um die größte Arbeitseinheit der Abteilung. Hier sieht der Geschäftsverteilungsplan des BMU eine Zuständigkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu einzelnen Reaktortypen vor. In der Arbeitsgruppe RS I 3 werden auch
Grundsatzangelegenheiten der nuklearen Sicherheit sowie Fragen des kerntechnischen Regelwerks bearbeitet.
Die Unterabteilung III besteht aus vier Referaten. Drei Referate beschäftigten sich
mit Aufgaben der nuklearen Ver- und Entsorgung. Hierzu zählen Rechtsfragen (RS
III 1), Grundsatzangelegenheiten (RS III 2) und sonstige Angelegenheiten (RS III 3).
In einem weiteren Referat (RS III 4) wird die Stilllegung kerntechnischer Anlagen
bearbeitet.
Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) ist als Genehmigungsbehörde für Genehmigungen nach § 6 AtG zur Aufbewahrung von Kernbrennstoffen zuständig. In diesem Bereich sind 22 Mitarbeiter des höheren Dienstes, 3 Mitarbeiter des gehobenen
Dienstes sowie 10 Mitarbeiter des mittleren Dienstes tätig.
Daneben unterstützt das BfS die Zweckmäßigkeitsaufsicht des BMU in den Bereichen Zuarbeit für konkrete Verfahren, Störfallmeldestelle, internationale Zusammenarbeit und Koordination von Untersuchungsvorhaben mit insgesamt 25,5 Mitarbeitern im höheren, 6,5 Mitarbeitern im gehobenen und 8 Mitarbeitern im mittleren
Dienst. Im Aufgabenbereich Endlagerung, in dem das BfS als Antragsteller bzw.
Betreiber tätig ist, arbeiten 45 Mitarbeiter im höheren, 22 Mitarbeiter im gehobenen
und 11 Mitarbeiter im mittleren Dienst (Stand: Juni 2004).
4.3
Ablauforganisation
Bei der Analyse der Ablauforganisation geht es in erster Linie um eine nähere Betrachtung der Schnittstellen zwischen Bund und Ländern im System der Bundesauftragsverwaltung. Exemplarisch werden für bestimmte Entscheidungs- und Aufsichtsprozesse die Schnittstellen herausgearbeitet. Der Fokus für die Analyse liegt dabei
auf
»
der Informationsübermittlung zwischen Bund und Ländern,
»
den aufsichtlichen Handlungen und
»
den Verantwortlichkeiten.
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22
Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
Im Folgenden werden zum einen die Entscheidungsprozesse für die Fortführung des
kerntechnischen Regelwerks und zu Genehmigungsverfahren sowie andererseits der
Prozess zur ereignisbezogenen Einzelfallaufsicht des Bundes dargestellt.
Entscheidungsprozess: Fortschreibung des kerntechnischen Regelwerks
Die Weiterentwicklung des kerntechnischen Regelwerkes erfolgt nach der gegenwärtigen Praxis in Beschlussgremien, in denen Bund und Länder zusammenarbeiten.
Beschlussgremien sind der Länderausschuss für Atomkernenergie (Haupt- und
Fachausschüsse), die RSK, die SSK sowie der Kerntechnische Ausschuss (KTA).
Die dort erarbeiteten Normen sollen faktische Bindungswirkung entfalten.
Der Bund übernimmt bei diesem Prozess eine Koordinationsfunktion und bringt neue
Themen und Informationen zur Weiterentwicklung des kerntechnischen Regelwerks
in die Gremien mit ein, wo sie diskutiert werden. Ziel ist es, einen Konsens unter den
beteiligten Akteuren zu erzielen, damit die Vorgaben in allen Bundesländern Anwendung finden und der aktuelle Stand von Wissenschaft und Technik im kerntechnischen Regelwerk widergespiegelt ist.
Die einzelnen Prozessschritte dieses Entscheidungsprozesses sind in der nachfolgenden Ansicht dargestellt:
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23
Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
Entscheidungsprozess "Fortschreibung des kerntechnischen Regelwerks"
Fortführung des kerntechnischen
Regelwerks durch das BMU
Definition von Themen, in denen das
kerntechnische Regelwerk
überarbeitungswürdig ist und nicht
mehr auf dem aktuellen Stand von
Wissenschaft und Technik, insbesondere
unter Berücksichtigung neu verabschiedeter
internationaler Standards
Entwicklung von Anforderungen und
ggf. Entwurf von Regelungen
Befassung der Beschlussgremien zur
Beratung und Verabschiedung von
Leitlinien, Richtlinien und Regeln
Länderausschuss Atomkernenergie
[Fach- u. Hauptausschüsse tagen
mindestens 2x jährlich]
SSK für Strahlenschutz,
RSK für Fragen der nuklearen Sicherheit
Diskusion der Themen
im Fach- u. Hauptauschuss
Diskussion der Themen
in Beratungsgremien
Konsens wird
erzielt
Konsens wird
nicht erzielt
abgestimmtes
Vorgehen beim
Gesetzesvollzug
Richtlinien
Beschlussmehrheit
vorhanden
Verabschiedung
von
Empfehlungen /
Stellungnahmen
Beschlussmehrheit nicht
vorhanden
Kerntechnischer Ausschuss (KTA)
[hoher Detaillierungsgrad der Ausführung]
Diskussion der Themen im KTA
Beschlussmehrheit
vorhanden
Beschlussmehrheit nicht
vorhanden
Verabschiedung
von KTA-Regeln
ggf. Rundschreiben
an Länder
ggf. Durchsetzung
per Weisung
im Einzelfall
Abbildung 4: Entscheidungsprozess „Fortschreibung des kerntechnischen Regelwerks“
Grundsätzlich gilt für alle Beschlussgremien, dass die vom BMU vorgeschlagenen
Richtlinien, Hinweise und Empfehlungen nur dann verabschiedet werden, wenn eine
Beschlussmehrheit für die Vorschläge erzielt werden kann. Wird keine Beschlussmehrheit erreicht, so werden die Vorschläge bzw. Entwürfe des BMU zu einem späteren Zeitpunkt erneut in das Gremium eingebracht.
Prozess: ereignisbezogene Einzelfallaufsicht des Bundes
Im Rahmen der Aufsicht über die Aufsichtstätigkeit der Länder hat der Bund die Möglichkeit, anlassbezogen Einzelfälle zu überprüfen. Das BMU entscheidet nach Vorliegen und Auswertung der relevanten Informationen, ob es im Rahmen der Einzelfall-
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24
Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
aufsicht aktiv wird. Die einzelnen Prozessschritte verdeutlicht die nachstehende Abbildung:
Prozess "ereignisbezogene Einzelfallaufsicht des Bundes"
Übermittlung von Informationen
zur Aufsichtstätigkeit, insbesondere zu meldepflichtigen
Ereignissen, durch die zuständigen Landesministerien
Informationen aus
anderen Quellen
Eingang der Informationen im BMU Abteilung RS
Eingang und Prüfung
der Informationen
bei GRS
Eingang und Prüfung
der Informationen
beim BfS (Meldestelle)
Prüfung der Information im Hinblick auf
Einzelfallaufsicht durch das BMU
ereignisbezogene
Aufsicht des BMU
erforderlich
ereignisbezogene
Aufsicht des BMU
nicht erforderlich
Berichtsbitte an zuständiges
Landesministerium
Bewertung des
Sachverhalts durch BMU
ggf. Beratung des
Sachverhalts in RSK
ggf. Hinzuziehung externer
Sachverständiger
Bewertung der
Beratungsergebnisse
Bewertung der
Stellungnahmen der
Sachverständigen
Bundesaufsichtliche
Stellungnahme
keine Intervention von
Seiten des BMU
Umsetzung Land
nein
Weisung BMU
ja
ggf. generische
Aufarbeitung
ggf. Beratung RSK
ja
Kontrolle
Umsetzung BMU
nein
Abbildung 5: Prozess „ereignisbezogene Einzelfallaufsicht des Bundes“
Die in Abbildung 5 dargestellten Prozessschritte sind stark abstrahiert; hinter einzelnen Prozessschritten stehen umfangreiche Teilprozesse, die hier nicht näher behandelt werden.
Die Landesbehörden verfügen über detaillierte Informationen über die Praxis und
Ergebnisse des Aufsichtsgeschehens. Im Fall von meldepflichtigen Ereignissen bestehen eindeutige Informationspflichten von Seiten der Landesministerien gegenüber
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25
Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
dem BMU. Generelle Informationen zum Aufsichtsprozess und zu den Standards der
Aufsichtstätigkeit wie z.B. die Bildung von Aufsichtsschwerpunkten, Ergebnisse aus
Wiederkehrenden Prüfungen, Informationen aus der Basisaufsicht etc. auf Landesebene müssen dem BMU nicht zur Verfügung gestellt werden. Dies ist bedingt durch
das rechtliche Verständnis der Länder, dass dem Bund keine Einwirkung auf die
Binnenorganisation der Landesbehörden zusteht.
Prozess: Genehmigungsverfahren nach § 7 AtG
Die Landesministerien sind die zuständigen Genehmigungsbehörden zu Veränderungen, Betrieb oder Stilllegung von Anlagen nach § 7 AtG. Das BMU wird im Rahmen der Genehmigungserteilung durch die zuständigen Landesbehörden informiert
und entscheidet seinerseits, ob eine bundesaufsichtliche Begleitung der Genehmigungstätigkeit erfolgt.
Im Einzelnen lässt sich dies wie folgt darstellen:
Entscheidungsprozess "Genehmigungsverfahren"
Antrag des Betreibers auf
Genehmigungserteilung nach
§ 7 AtG
Antragseingang in der zuständigen
Landesbehörde
Information des BMU
als Bundesaufsicht
Entscheidung, ob
bundesaufsichtliche Begleitung
nein
Prüfung des Antrags anhand der
atomrechtlichen Voraussetzungen
Hinzuziehung externer
Sachverständiger
Bewertung des Sachverhaltes durch die
zuständige Landesbehörde
Vorlage des Gutachtens
ja
Entwurf des Genehmigungsbescheids
ggf. Hinzuziehung
externer
Sachverständiger
ggf. Beratung
in RSK
evtl. Umsetzung bundesaufsichtliche
Stellungnahme / Weisung
Umsetzung
erfolgt nicht
bundesaufsichtliche
Stellungnahme
Umsetzung
erfolgt
neuer
Genehmigungsentwurf
evtl. Weisung
Weisung
nicht
erforderlich
Weisung
erforderlich
Genehmigung
wird erteilt
Genehmigung
wird nicht erteilt
Abbildung 6: Entscheidungsprozess „Genehmigungsverfahren“
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26
Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
Die Wahrnehmungskompetenz für die Genehmigungserteilung liegt bei den Landesministerien. Kann im Fall einer einzelfallbezogenen Begleitung des Genehmigungsverfahrens keine Einigung zwischen BMU und dem zuständigen Landesministerium erzielt werden, hat das BMU die Möglichkeit der Weisung gegenüber dem
Land.
4.4
Personalwirtschaftliche Aspekte
Der Kompetenzerhalt der Exekutive ist eine wesentliche Grundlage für die Wahrnehmung der behördlichen Aufgaben.
Bei der Gewinnung von qualifizierten Nachwuchskräften stehen Aufsichtsbehörden,
Kernkraftwerksbetreiber und Gutachter in einem Wettbewerb, der sich durch sinkende Absolventenzahlen der letzten Jahre sowie das kerntechnische Lehrangebot an
den deutschen Hochschulen tendenziell intensiviert hat.
Derzeit bieten 17 Universitäten und 11 Fachhochschulen kerntechnische Lehrangebote an; breite Angebote finden sich nur an den Universitäten Dresden, München
und Stuttgart. Insgesamt ist das Angebot an Nachwuchskräften rückläufig. Die nachfolgende Abbildung verdeutlicht dies. Dargestellt sind die Absolventenzahlen der
Studienfächer Physik, Elektrotechnik und Maschinenbau sowie die Zukunftsprognose
der Kultusministerkonferenz.
Physik
Elektrotechnik
Maschinenbau
[Zahl der Absolventen]
25.000
Ist-Werte
Prognose
20.000
15.000
10.000
5.000
0
1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010
[Jahr]
Abbildung 7: Absolventenstatistik für die Fachbereiche Maschinenbau, Elektrotechnik, Physik 3
Obwohl mittelfristig wieder mit einem leichten Anstieg der Absolventenzahlen gerechnet wird, sind die Absolventenzahlen für die einschlägigen natur- und ingenieur-
3
Quelle: Statistisches Bundesamt Fachserie 11, R 4.3, PJ 2002, Kultusministerkonferenz 2004
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27
Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
wissenschaftlichen Studiengänge seit 1996 rückläufig. Dies verdeutlichen auch die
Absolventenzahlen für das Studienfach „Kerntechnik/Kernverfahrenstechnik“.
[Zahl der Absolventen]
100
Kerntechnik
80
60
40
20
0
1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002
[Jahr]
Abbildung 8: Entwicklung der Absolventenzahlen Kerntechnik, Angaben des statistischen Bundesamtes 2004
Dem oben dargestellten sinkendem Angebot steht die Nachfrage von Seiten der
Aufsichtsbehörden, Betreibern und Gutachtern gegenüber. Diese resultiert zum einen aus dem anstehenden „Generationswechsel“ und zum anderen aus der Notwendigkeit, qualifiziertes Personal auch für den auslaufenden Betrieb, Stilllegung
und Rückbau von Anlagen vorzuhalten. Die Analyse der Altersstruktur in den einschlägigen Abteilungen der Landesministerien Baden-Württemberg und Niedersachsen belegen dies.
Eine Abfrage des BMU zum Kompetenzerhalt bei den Landesministerien (2003) hat
gezeigt, dass im Fall von altersbedingtem Ausscheiden von Personal auf diese Situationen mit Neueinstellungen und entsprechenden Einarbeitungszeiten für die
Nachwuchskräfte reagiert wird. Deutlich wurde darüber hinaus die Skepsis einzelner
Länder hinsichtlich der konsequenten Realisierung von angemessenen Einarbeitungszeiten angesichts angespannter Haushaltssituationen.
Aus personalwirtschaftlicher Sicht wird derzeit angestrebt,
(a) eine breite Kompetenz- und Erfahrungsbasis bei den Mitarbeitern durch geeignete personalwirtschaftliche Instrumente wie z. B. Job Rotation zu fördern und angemessene Einarbeitungszeiten (training on the job) zu gewährleisten.
(b) Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen für die Beschäftigten in einem angemessenen Umfang anzubieten, sowohl im allgemeinen Bereich wie auch für Fachfortbildungen. Die Abfrage des BMU aus dem Jahr 2003 hat gezeigt, dass neben internen
Weiterbildungsmöglichkeiten durch Multiplikatoren in den Ministerien externe Veranstaltungen (z.B. von der GRS, TÜV) für erforderlich gehalten werden. In einigen
Bundesländern (Sachsen, Brandenburg) kann jedoch eine Teilnahme an externen
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28
Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
Fortbildungsveranstaltungen aufgrund der fehlenden finanziellen Mittel nicht durchgängig gewährleistet werden.
Die Fortbildungsbudgets je Mitarbeiter schwanken zwischen den Bundesländern. In
Baden-Württemberg beträgt das Fortbildungsbudget für fachliche und überfachliche
Maßnahmen 1.000 € je Mitarbeiter; Hessen gibt an, dass jährlich rd. 2.500 € je Mitarbeiter für Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen veranschlagt werden (BMU Abfrage 2003). Nach Kienbaum-Informationen betrug im Jahr 2002 in Niedersachsen das
Fort- und Weiterbildungsbudget rund 3.600 € und in Bayern rund 2.100 € je Mitarbeiter bei durchschnittlich 3,5 Tagen. Vergleichswerte für Weiterbildung in der Schweiz
(HSK) liegen bei 1.200 € je Mitarbeiter.
(c) Karrierewege und berufliche Perspektiven für qualifizierte Nachwuchskräfte aufzuzeigen, damit die Aufsichtsbehörde auch innerhalb der Landesverwaltungen als
attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen wird.
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29
Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
4.5
Kostenanalyse
4.5.1 Kostenanalyse auf Landesebene
Eine Kosten- bzw. Ausgabenanalyse nach relevanten Kostenarten wurde für jede
Landesbehörde auf Basis verfügbarer Haushaltsdaten4 und Gutachten vorgenommen. Auch diesbezüglich war das o. g. Auskunftsersuchen bei den Ländern ergebnislos.
Die eingeschränkte Datenlage machte es daher auch hier erforderlich, bestimmte
Grundlagen wie Mengengerüste und Durchschnittskostensätze qualifiziert zu schätzen. Auch ein einheitliches Referenzjahr konnte für die Ausgabenermittlung nicht zu
Grunde gelegt werden. Dennoch lassen sich grundsätzliche Aussagen zu Höhe und
Struktur der Ausgaben für die Aufsicht im Bereich der Länder treffen.
Die Ausgaben für Sachverständige der Länder Hessen, Bayern und BadenWürttemberg sind dem Kienbaum-Gutachten entnommen5; die übrigen Sachverständigenausgaben sind den entsprechenden Einzelplänen der Landeshaushalte entnommen.
Für die Ermittlung der Personalausgaben wurden folgende Prämissen definiert:
»
Für die Bundesländer Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen und
Nordrhein-Westfalen wurden die Personalausgaben auf Basis der tatsächlichen Mitarbeiterzahlen ermittelt; für die übrigen Bundesländer erfolgte die
Ermittlung der Personalkosten auf Basis der geschätzten durchschnittlichen
Mitarbeiterzahl (sieben Mitarbeiter) je Referat. Ausnahme bildet hier wiederum das Bundesland Rheinland-Pfalz (siehe Abbildung 2).
»
Die Personalkosten wurden auf der Basis von durchschnittlichen Personalkostensätzen ermittelt6. Annahmen zur Eingruppierung wurden differenziert
für Abteilungsleitung, Referatsleitung und Mitarbeiter getroffen.
4
Rechnungsergebnisse der Jahre 2002 (Berlin, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Niedersachsen,
Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg) bzw. 2001 (Bayern, Brandenburg, Hessen, MecklenburgVorpommern, NRW, Sachsen)
5
Kienbaum Management Consultants 2002: Organisationsuntersuchung der Abt. 7 im Ministerium für
Umwelt und Verkehr; hierbei handelt es sich um Sachverständigenkosten für die Reaktorblöcke der
KKW (ohne sonstige Anlagen); in den Bundesländern Bayern und Hessen rechnen die Sachverständigen einen Großteil der Kosten direkt mit den Betreibern kerntechnischer Anlagen ab.
6
Bundesamt für Finanzen (2002): Durchschnittliche Personalkostensätze für Kostenberechnungen und
Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen. Durchschnittsbezüge der Besoldungsgruppen einschließlich Sonderzuwendung und Urlaubsgeld, inkl. Versorgungszuschlag und Personalnebenkosten als Pauschbetrag.
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Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
»
In den kleinen Einheiten in Berlin, Brandenburg, Sachsen und SachsenAnhalt (ohne eigene Abteilung für die Wahrnehmung der atomrechtlichen
Aufgaben) wurden keine Personalkosten für die Abteilungsleitung angesetzt.
In Nordrhein-Westfalen wurde die Abteilungsleitung zu 50% in die Betrachtung mit einbezogen, da in der Abteilung weitere Referate (Klimaschutz,
Bergbau, Energiepolitik) angesiedelt sind.
Die nachfolgende Ansicht zeigt die Ausgaben der Atomaufsicht auf Landesebene im
Überblick. Die Daten sind aus Gründen der Übersichtlichkeit gerundet.
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Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
Haushaltsdaten Atomaufsicht, inkl. Strahlenschutz (Ist-Werte 2000/2001/2002)
Bundesland
Ministerium
BadenWürttemberg
Bayern
Berlin
Bayerisches
Staatsministerium für
Ministerium für
Umwelt, Gesundheit Senatsverwaltung für
Umwelt und Verkehr und
Stadtentwicklung,
Baden-Württemberg Verbraucherschutz Strahlenmessstelle
Brandenburg
Hessen
Ministerium für
Landwirtschaft,
Umweltschutz und
Raumordnung des
Landes Brandenburg
Hessisches
Ministerium für
Umwelt, ländlichen
Raum und
Verbraucherschutz
MecklenburgVorpommern
Niedersachsen
NRW
Rheinland-Pfalz
Sachsen
Sachsen-Anhalt
Ministerium für
Umwelt-ministerium
Ministerium für
Ministerium für
Staatsministerium für Landwirtschaft und
umwelt des Landes
MecklenburgNiedersächsisches Umwelt und Verkehr Umwelt und Forsten Umwelt und
Landwirtschaft
Sachsen-Anhalt
Vorpommern
Umwelt-ministerium Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz
Schleswig-Holstein
Ministerium für
Soziales, Gesundheit
und
Verbraucherschutz
Schleswig-Holstein
Ausgaben [T €]
Kosten für Sachverständige
26.500
25.600
k.A.
1.828
15.300
5.675
22.629
3.846
44
331
662
18.861
geschätzte Personalausgaben
4.100
4.300
600
600
3.700
2.500
3.900
1.800
1.900
600
600
3.700
KFÜ
2.866
593
k.A.
k.A.
697
91
801
71
k.A.
k.A.
k.A.
2.295
Strahlenschutzvorsorge
k.A.
274
k.A.
k.A.
1.492
166
388
169
240
k.A.
k.A.
66
Verwaltung für Durchführung
AtG, insbes. Aufsicht/
Genehmigung inkl.
Investitionsausgaben
k.A.
643
k.A.
k.A.
514
351
36
k.A.
k.A.
52
54
127
33.466
31.410
600
2.428
21.703
8.783
27.754
5.886
2.184
983
1.316
25.049
Gesamtausgaben Atomaufsicht
[T €]
Abbildung 9: Kosten der Atomaufsicht
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32
Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
Die nachfolgende Abbildung zeigt die Gesamtausgaben für die Aufsicht im Vergleich
der Bundesländer:
30.000
20.000
Sachverständige
Personalausgaben
KFÜ
Strahlenschutz
Schleswig-Holstein
Sachsen-Anhalt
Sachsen
Rheinland-Pfalz
NRW
Niedersachsen
Mecklenburg-Vorpommern
Hessen
Brandenburg
Berlin
0
Bayern
10.000
Baden- Württemberg
Kosten der Aufsicht [T €]
40.000
Verwaltungsausgaben
Abbildung 10: Gesamtausgaben der Aufsicht p. a., geschätzt im Vergleich der Bundesländer
Insgesamt betragen nach der oben dargestellten Ermittlung die Ausgaben für die
Aufsicht auf Landesebene rund 161,6 Mio. € pro Jahr. Die Gesamtausgaben der
Aufsicht schwanken zwischen den Bundesländern stark, was auf die Anzahl der betriebenen Kernkraftwerksblöcke zurückzuführen ist. In den Bundesländern Bayern
und Baden-Württemberg mit jeweils fünf Kernkraftwerksblöcken sind die Kosten der
Aufsicht mit je rund 31 Mio. bzw. 32 Mio. € am höchsten.
Im Gegensatz dazu entstehen in den Bundesländern Berlin, Brandenburg, Sachsen
und Sachsen-Anhalt die niedrigsten Kosten. Hier, wie auch in den Ländern Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz, befinden sich keine Kernkraftwerke im Leistungsbetrieb.
Das Atomgesetz (§ 21 Abs. 2) sieht vor, dass Sachverständigenkosten durch die
Kernkraftwerksbetreiber getragen werden und als Auslagen gegenüber der beauftragenden Behörde zu erstatten sind. Dies erfolgt in der Regel über den Landeshaushalt des zuständigen Ministeriums. In den Ländern Bayern und Hessen werden die
Sachverständigenkosten direkt zwischen Gutachter und Kernkraftwerksbetreiber
abgerechnet.
Die Landesministerien erheben für Aufsichtsmaßnahmen nach dem Atomgesetz Gebühren und Auslagen nach der Kostenverordnung zum Atomgesetz [AtKostV]. Die
Spanne für die gebührenpflichtigen Amtshandlungen ist sehr groß und kann z. B. bei
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33
Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
Maßnahmen der staatlichen Aufsicht zwischen 25,- € und 250.000,- € betragen. Kostenpflichtig sind
»
die Überwachung mit Hilfe des Kernkraftwerks-Fernüberwachungssystems
(KFÜ),
»
die Prüfung nicht genehmigungsbedürftiger Änderungen,
»
Maßnahmen der Aufsichtsbehörde nach meldepflichtigen Ereignissen in den
Anlagen,
»
Wiederkehrende Prüfungen von Anlagen,
»
Sonstige Überprüfungen und Kontrollen von Anlagen soweit die Hinzuziehung
von Sachverständigen geboten ist und
»
die Überprüfung der Zuverlässigkeit von Personen, die bei Errichtung und
Betrieb tätig sind.
Durch die Gebühreneinnahmen wird ein Teil der Personalkosten der Landesministerien gedeckt, die im Rahmen der atomrechtlichen Aufsichts- und Genehmigungsverfahren über Kernkraftwerke und sonstige kerntechnische Einrichtungen eingesetzt
werden. So wurden bspw. in Baden-Württemberg im Haushaltsjahr 2000 rund 4,6
Mio. € an Gebühren aufgrund der Kostenverordnung zum Atomgesetz sowie im
Rahmen von Sachverständigenleistungen der Landesanstalt für Umweltschutz in
atomrechtlichen Verfahren vereinnahmt. Aus dem Haushaltsansatz geht hervor, dass
von den Gesamteinnahmen ca. 2 Mio. € auf Gebühren und Auslagenersätze im Genehmigungs- und Aufsichtsverfahren nach dem Atomgesetz entfallen. Bei geschätzten Personalkosten von 4,1 Mio. € entspricht dies einem Kostendeckungsgrad von
rund 49 %.
4.5.2 Kostenanalyse auf Bundesebene
Eine Kosten- bzw. Ausgabenanalyse in Bezug auf die relevanten Kostenarten wurde
für die Betrachtung auf Bundesebene auf Basis verfügbarer Haushaltsdaten und Geschäftsberichte vorgenommen.
Die sächlichen Verwaltungsausgaben sind dem Bundeshaushaltsplan 2003 entnommen. Die Ausgaben für Aufträge an die GRS wurden analog zu den Angaben im
Haushalt mit rund 21 Mio. € angesetzt. Bei der GRS entfallen rund 67% der Umsatzerlöse auf Personaufwendungen, rund 33% sind den Sachaufwendungen zuzurechnen.
Die Personalausgaben wurden auf Basis der angegebenen Mitarbeiterzahlen der
Referate im Geschäftsverteilungsplan abgeleitet. Analog zur Ermittlung der Perso-
© Kienbaum Management Consultants GmbH 2004
34
Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
nalausgaben auf Landesebene wurden durchschnittliche Personalkostensätze zu
Grunde gelegt. Die Eingruppierung wurde pauschal für Abteilungsleitung, Unterabteilungsleitung, Referatsleitung und Mitarbeiter vorgenommen.
Gesamtausgaben der Aufsicht auf Bundesebene [T€ p. a.]
Untersuchungen zur Reaktorsicherheit
23.166
davon an die GRS
21.000
davon für die RSK
740
davon für KTA
199
Internationale Zusammenarbeit
Personalausgaben (BMU), geschätzt
Personalausgaben (BfS), geschätzt
Sachausgaben (geschätzt)
Insgesamt p. a.
3.747
[5800]*
1.850
[3000]*
37.563
* Von den Personal- und Sachausgaben des BMU entfällt lediglich einTeil auf den
Untersuchungsgegenstand, da diese Ausgaben auch Aufgaben der Unterabteilungen
RS I und RS III ausserhalb der Bundesaufsicht betreffen (insbesondere im Hinblick
auf die Rechtsetzung im Bereich des Atomrechts).
Abbildung 11: Gesamtausgaben der Aufsicht auf Bundesebene („Untersuchungen zur Reaktorsicherheit“ und
„Internationale Zusammenarbeit“: Rechnungsergebnis 2001 im Bundeshaushaltsplan 2003, Einzelplan 16 S. 29 ff;
Angaben zum Aufwand der GRS: Haushaltsansatz 2002 vorbehaltlich der Vergabe durch Einzelaufträge im Bundeshaushaltsplan 2003, Einzelplan 16 S. 29 ff; „KTA“: Rechnungsergebnis 2002, Angaben KTA-Geschäftsstelle)
Insgesamt betragen die Ausgaben für die Aufsicht auf Bundesebene rund 38 Mio. €
jährlich. Davon entfallen rund 22 Mio. € auf Personalausgaben, da von Seiten der
GRS rund 14 Mio. €, auf Seiten des Bundesumweltministeriums rund 5,8 Mio. € und
auf Seiten des BfS (Unterstützung der Zweckmäßigkeitsaufsicht des BMU durch den
Fachbereich „Sicherheit in der Kerntechnik“ und die AG Forschungskoordinierung)
circa 1,85 Mio. € aufgewendet werden. Die Personalausgaben des BMU umfassen
das Personal der Unterabteilungen RS I und RS III sowie der Abteilungsleitung auf
Basis durchschnittlicher Personalkostensätze für die einzelnen Vergütungs/Besoldungsgruppen.
Nicht enthalten in diesem Betrag sind die Ausgaben für atomrechtliche Genehmigungsverfahren des BfS nach § 6 AtG und die Ausgaben für die Sicherheitsforschung für kerntechnische Anlagen (einschließlich Forschung zur Endlagerung radioaktiver Abfälle) des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit (BMWA).
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35
Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
Im Hinblick auf Genehmigungsverfahren nach § 6 AtG betrugen 2003 die Vollzugsausgaben des BfS ca. 15,1 Mio. €, die Sachverständigenausgaben ca. 8,9 Mio.
€. Diese Ausgaben sind bei den Antragstellern bzw. Genehmigungsinhabern refinanzierbar.
Die Sicherheitsforschung für kerntechnische Anlagen (einschließlich Forschung zur
Endlagerung radioaktiver Abfälle) ist im Bundeshaushaltsplan 2004 mit rd. 25,5 Mio.
€ dotiert. Darüber hinaus sind für Leistungen an die Internationale AtomenergieOrganisation (IAEO) für 2004 27,16 Mio. € vorgesehen.
4.6
Steuerungsinstrumente und Wissensmanagement
Informations- und Erfahrungsaustausch wird derzeit über die Arbeit der Gremien
sowie informelle Kontakte realisiert. Die untersuchungsrelevanten Gremien sind
»
die RSK, deren Schwerpunkt in der Beratung von Fragen grundlegender Bedeutung und in der Initiierung sicherheitstechnischer Entwicklungen liegt. Pro
Jahr finden etwa 70 Treffen der RSK, ihrer Ausschüsse und Arbeitsgruppen
statt
»
der Länderausschuss Atomkernenergie mit seinen Fachausschüssen und
Arbeitskreisen zur Koordination der Genehmigungs- und Aufsichtstätigkeiten
der Länder
»
der Kerntechnische Ausschuss und seine Unterausschüsse, die sicherheitstechnische Regelungen verabschieden, welche über das BMU im Bundesanzeiger veröffentlicht werden.
Behördenübergreifende Datenbanken existieren derzeit nicht. Im Bundesumweltministerium (RS I 5) wird zur Zeit eine internetgestützte Plattform für ein portalbasiertes
Wissensmanagement aufgebaut. Es ist geplant, dass sowohl alle Referate der Abteilung RS wie auch die Landesministerien Zugriff auf diese Plattform haben. Inhalte
werden durch das BMU bereitgestellt. Ein konkreter Produktivsetzungstermin besteht
noch nicht.
Die Landesministerien haben z. T. eigene Instrumente für ein Wissensmanagement
aufgebaut; allgemeingültige Vorgaben oder Standards bestehen nicht.
Die Steuerung der Gutachter erfolgt z. B. in Baden-Württemberg auf der Basis von
Quartalsübersichten. Es ist davon auszugehen, das jede Landesbehörde ähnliche,
eigene Steuerungsinstrumente und Anwendungen für die Ergebnis- und Terminüberwachung entwickelt hat.
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36
Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
5
Ableitung von Kriterien zur Bewertung des Status Quo und der Strukturalternativen
Die Bewertung des Status Quo und der im folgenden Abschnitt zu entwickelnden
Gestaltungsalternativen soll an Hand von Kriterien erfolgen. Die Entwicklung eines
Kriterienrasters soll möglichst alle Bewertungsgesichtspunkte erfassen, um eine
transparente Darstellung und Abwägung der Argumente zu ermöglichen, die für oder
gegen eine Alternative sprechen.
Die Bewertung der Alternativen soll dabei nicht anhand eines kardinalen ScoringModells erfolgen, das mit Punktwerten o. Ä. letztlich nur eine Scheinaussage erzeugt. Es kommt vielmehr darauf an, in der Gesamtsicht der Argumente diejenigen
zu identifizieren, die für die Bewertung einer Alternative den Ausschlag geben.
Wichtig ist jedoch, dass die Kriterien differenzieren, d. h. bei Anwendung auf die Gestaltungsalternativen auch zu unterschiedlichen Bewertungen führen, und gegeneinander inhaltlich abgegrenzt sind.
Alle Kriterien zur Bewertung von Gestaltungsalternativen müssen sich dabei aus
dem Oberziel bzw. dem inhaltlichen Auftrag ableiten, den die Verwaltung mit dem
Vollzug des Atomgesetzes erfüllt:
Mit dem Vollzug des Atomgesetzes soll der Schutz „von Leben, Gesundheit und
Sachgütern der Beschäftigten und der Bevölkerung vor den Gefahren der Kernenergie und den schädlichen Wirkungen ionisierender Strahlung“ gewährleistet sowie
„die Sicherheit bei Errichtung und Betrieb von Kernanlagen“7 geregelt und überwacht
werden.
Zunächst knüpft das Atomgesetz Errichtung, Betrieb und Änderung von Kernanlagen
sowie den Umgang mit Kernbrennstoffen an behördliche Genehmigungen (§§ 6, 7, 9,
17 AtG). Grundlage des staatlichen Handelns bei Genehmigung und Aufsicht ist dabei insbesondere, dass „die Maßnahmen zur Vorsorge gegen Schäden dem Stand
von Wissenschaft und Technik“ entsprechen müssen“8.
Während der gesamten Lebensdauer unterliegen kerntechnische Anlagen weiterhin
der staatlichen Aufsicht (§ 19 AtG). Durch die Aufsicht soll ein bestmöglicher Beitrag
7
Deutscher Bundestag, 13. WP, Drucksache 13/11350, Übereinkommen über nukleare Sicherheit: Bericht der Regierung der Bundesrepublik Deutschland für die erste Überprüfungstagung im April 1999, S. 5
8
dto., S. 14
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37
Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
zu einem sicheren Betrieb der kerntechnischen Anlagen gewährleistet werden. Bei
der Wahrnehmung dieser Aufgabe orientiert sich die staatliche Aufsicht an den Vorschriften, Bestimmungen und Auflagen des gesetzlichen und untergesetzlichen Regelwerks und der erteilten Genehmigungen sowie am jeweils aktuellen Stand von
Wissenschaft und Technik.
Die „anlagenbezogene“ Präsenz staatlichen Gesetzesvollzugs und dessen einheitliche Handhabung sind allgemeine Ansprüche an staatliches Handeln, die durch die
Anzahl und das Gefährdungspotenzial der Genehmigungs- und Aufsichtsobjekte des
Atomrechts besondere Bedeutung haben.
Ein weiteres allgemeines Gebot staatlichen Handelns ist der wirtschaftliche Umgang
mit den zur Wahrnehmung der Aufgaben eingesetzten Ressourcen. Der Wirtschaftlichkeitsbegriff im Sinne der Erreichung eines bestimmten Erfolgs bei optimalem Mitteileinsatz ist angesichts der erheblichen Aufwendungen (ca. 200 Mio. Euro p. a.)
auch beim Vollzug des Atomrechts nicht ohne Bedeutung.
Aus diesen Überlegungen zu einem qualifizierten Vollzug des Atomrechts im Sinne
eines optimalen Beitrags zum sicheren Betrieb kerntechnischer Anlagen lassen
sich zunächst 5 Grundkriterien ableiten, auf die im Folgenden noch weiter eingegangen wird:
1. Bereitstellung von Ressourcen zur Erfüllung des gesetzlichen Auftrags in
angemessener Qualität und Quantität
2. Einheitlichkeit und Anpassungsfähigkeit staatlichen Genehmigungsund Aufsichtshandelns im Bereich des Atomrechts
3. Weiterentwicklung und Anwendung der Grundlagen zum Vollzug des Atomrechts nach dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik
4. Schneller und ungehinderter Austausch von Informationen zwischen
den Beteiligten über das Aufsichts- und Genehmigungsgeschehen
5. Eindeutige Verantwortlichkeiten für den staatlichen Vollzug des Atomrechts
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38
Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
5.1
Bereitstellung von Ressourcen zur Erfüllung des gesetzlichen Auftrags
in angemessener Qualität und Quantität
Die Erfüllung des gesetzlichen Auftrags erfordert auf Seiten der Exekutive den Einsatz von qualifiziertem Personal und Sachmitteln, im vorliegenden Fall vor allem
Fremdleistungen in Form von gutachterlicher Tätigkeit.
»
Finanzierbarkeit der Ressourcen: Ein elementares Kriterium in diesem Zusammenhang ist die Finanzierbarkeit der o. g. Ressourcenausstattung in dem
zur Aufgabenwahrnehmung für erforderlich gehaltenen Umfang.
»
Zweckmäßiger Einsatz der Ressourcen und Kompetenzerhalt: Der
zweckmäßige Einsatz dieser Ressourcen, also eigenes Personal und Gutachterleistungen sowie der Auftrag zur Weiterentwicklung und Konkretisierung
der gesetzlichen Normen begründen Verantwortlichkeiten, die nicht an externe Dienstleister delegiert werden können. Vollzug und Fortschreibung des
geltenden Rechts machen es erforderlich, dass auf Seiten der Exekutive
selbst die notwendigen Kompetenzen bestehen und erhalten werden (Kompetenzerhalt). Auch die Steuerung des Gutachtereinsatzes und die Auswertung
der Empfehlungen und Ergebnisse erfordert entsprechende Kompetenzen.
»
Einsatz personalwirtschaftlicher Instrumente: Die Gewinnung, Qualifizierung und Bindung geeigneten Personals machen es erforderlich, dass die
staatliche Verwaltung im Bereich des Atomrechts über personalwirtschaftliche
Optionen wie Flexibilität, Verwendungsbreite und Entwicklungsmöglichkeiten
verfügt. Diese bestimmen die Attraktivität eines Arbeitgebers im Wettbewerb
um die fähigsten und geeignetsten Mitarbeiter/innen.
»
Gewährleistung der wirtschaftlichen Nutzung der bereitgestellten Mittel:
Wichtige allgemeine Einflussgrößen, welche die wirtschaftliche Nutzung von
Personalressourcen bestimmen, sind
• die Wahl der optimalen Betriebsgröße und
• der Grad der Realisierung von Vorteilen durch funktionale Spezialisierung des Personals.
»
Räumliche Nähe und Anlagenbezug: Es erscheint als sinnvoll, dass die mit
dem Vollzug beauftragten Behörden hinsichtlich ihrer Zuständigkeiten, Befugnisse, Finanzmittel und Personalausstattung einen Anlagenbezug und räumliche Nähe zu den Anlagen, Anlagenbetreibern und Flächenverwaltungen
(Landesbehörden, kommunale Gebietskörperschaften) herstellen.
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39
Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
5.2
Einheitlichkeit und Anpassungsfähigkeit staatlichen Genehmigungsund Aufsichtshandelns im Bereich des Atomrechts
Das Kriterium der Einheitlichkeit bezieht sich auf eine einheitliche Zieldefinition, auf
einheitliche Standards sowie auf einheitliche Prozesse. Im einzeln lassen sich folgende Unterkriterien definieren
»
Einheitliche Auslegung und Anwendung der Generalklauseln und unbestimmter Rechtsbegriffe: Die Einheitlichkeit des staatlichen Vollzugs hat
zunächst zur Voraussetzung, dass die Grundlagen und Maßstäbe des staatlichen Genehmigungs- und Aufsichtshandelns überall die gleichen sind. Dies
erfordert insbesondere eine einheitliche Auslegung und Anwendung der Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffe im bestehenden gesetzlichen
und untergesetzlichen Regelwerk. Das bedeutet nicht, dass jede Einzelfallentscheidung durch eine entsprechend differenzierte Auslegung im Vorhinein
determiniert sein könnte. Das Kriterium ist vielmehr, dass im Grundsatz gewährleistet ist, dass jeder Einzelfall, unabhängig von der Aufsicht führenden
Institution, in gleicher Weise entschieden würde.
»
Genehmigungsprozess: Gewährleistung einer einheitlichen Anwendung
definierter Standards im Genehmigungsprozess.
»
Ganzheitliche, integrierte Anwendung von bundes- und landesrechtlichen Normen: Einheitlichkeit der Durchführung von Genehmigungsverfahren
kann aber auch eine ganzheitliche Anwendung von atomrechtlichen, baurechtlichen, gesundheits-, naturschutz-, wasserrechtlichen etc. Genehmigungsanforderungen betreffen.
»
Organisation nach dem Best-Practice-Prinzip: Aufgrund des Gefährdungspotenzials der Anlagen erscheinen allzu große Abweichungen von erreichten, mittleren Standards als nicht sinnvoll. Gemeinsame Standards werden i. d. R. durch einen Prozess gewährleistet, der Ermittlung und Weiterentwicklung einer optimalen (Aufsichts)Konzeption zum Gegenstand hat (In der
betrieblich- unternehmerischen Praxis werden solche Prozesse oft nach dem
Best-Practice-Prinzip organisiert).
5.3
Weiterentwicklung und Anwendung der Grundlagen zum Vollzug des
Atomrechts nach dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik
Die Weiterentwicklung der Grundlagen nach dem aktuellen Stand von Wissenschaft
und Technik erfordert zunächst einen funktionierenden Erkenntnisfindungs- und Entscheidungsprozess, der ein aktuelles und vollständiges anzuwendendes kerntechnisches Regelwerk zum Ergebnis hat. Dieser Prozess ist durch folgende Kriterien gekennzeichnet.
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40
Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
»
Erfahrungsrückfluss: Sicherstellung eines schnellen und vollständigen Erfahrungsrückflusses in das Regelwerk aus der nationalen und ausländischen
Aufsichts- und Genehmigungstätigkeit
»
Internationale Einflüsse: Schnelle und vollständige Berücksichtigung der
Entwicklungen zum internationalen Regelwerk im deutschen kerntechnischen
Regelwerk
»
Aktueller Stand von Wissenschaft und Technik: Gewährleistung einer
breiten Berücksichtigung aktueller Erkenntnisse von Wissenschaft und Technik, die sich aus den praktischen Kenntnissen vor Ort und wissenschaftlichen
Erkenntnissen zusammensetzen - auch über den unmittelbaren kerntechnischen Erkenntnisgegenstand hinaus - z. B. Betriebsorganisation, Verhaltenspsychologie, etc.
5.4
Schneller und ungehinderter Austausch von Informationen zwischen
den Beteiligten über das Aufsichts- und Genehmigungsgeschehen
Weiterhin muss gewährleistet sein, dass Erfahrungswissen und Erkenntnisse zum
Stand von Wissenschaft und Technik sowie Informationen über das Aufsichts- und
Genehmigungsgeschehen zwischen den Beteiligten schnell und ungehindert
ausgetauscht und verbreitet werden können.
Dies erfolgt i. d. R. durch den Einsatz zeitgemäßer Instrumente für Datenhaltung und
Wissensmanagement.
Darüber hinaus gilt es, Reibungsverluste zwischen den beteiligten Akteuren zu vermeiden.
5.5
Eindeutige Verantwortlichkeiten für den staatlichen Vollzug des Atomrechts
»
Gewährleistung der Exekutivverantwortung des staatlichen Aufsichtssystems: Dieses Kriterium wird zunächst durch die Anforderung bestimmt,
dass die Exekutive fachlich und personell in der Lage ist, Bewertungen technischer Sachverhalte eigenständig vorzunehmen.
»
Eindeutige Verantwortlichkeit gegenüber Dritten: Hinzu tritt die Anforderung einer eindeutigen Verantwortlichkeit der Exekutive gegenüber Dritten,
also i. d. R. gegenüber den Betreibern kerntechnischer Anlagen.
»
Eindeutige Verantwortlichkeiten innerhalb der Exekutive: Weiterhin ist es
erforderlich, dass Kompetenz und Verantwortlichkeit auch auf Seiten der Exekutive (im Innenverhältnis zwischen Bund und Ländern) eindeutig und verbindlich geregelt sind.
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41
Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
»
Fachliche Unabhängigkeit der atomrechtlichen Aufsichtsbehörden: Unter Berücksichtigung der Prinzipien demokratischer Legitimation ist zu gewährleisten, dass die Aufsichts- und Regelsetzungsprozesse an den sachlichfachlichen Notwendigkeiten ausgerichtet sind und ihre Weiterentwicklung
nicht nachhaltig gestört wird.
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42
Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
6
Veränderte Rahmenbedingungen für den Vollzug des Atomrechts
Die Rahmenbedingungen für den Vollzug des Atomrechts haben sich geändert. Bei
der Bewertung des Status Quo und der Strukturalternativen müssen insbesondere
die nachfolgenden Entwicklungen berücksichtigt werden:
•
Mit der Vereinbarung der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen vom 14. Juni 2000 wurde der sogenannte Atomkonsens verabschiedet, der die geordnete Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität vorsieht. Bis etwa zum Jahr 2020 werden
die in Betrieb befindlichen 18 Anlagen im Bundesgebiet sukzessiv vom Netz
genommen. Der Atomausstieg wurde auf dieser Grundlage gesetzlich geregelt.
•
Die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum BundLänder-Verhältnis beim Vollzug des Atomrechts im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung räumt dem Bund mehr Gewicht bei der Wahrnehmung der
sog. Sachkompetenz ein und stärkt damit tendenziell die Kompetenz des
Bundes gegenüber den Ländern.
•
Die Entscheidungsprozesse in den Beschlussgremien sind wegen grundsätzlicher atompolitischer Dissense zwischen Bund und Ländern gestört. Die
politischen Gegensätze führen zu einer z. T. entgegenstehenden Bewertung
und Interpretation wissenschaftlich-technischer Sachverhalte. Entscheidungsprozesse nach dem Mehrheitsprinzip sind blockiert; die auf Konsensfindung ausgerichteten Beratungs- und Beschlussgremien sind in ihrer Regelsetzungsfunktion beeinträchtigt. Es entstehen z. T. Widersprüche und Minimalkonsense.
•
Von Seiten der Europäischen Union sind nachhaltige Bestrebungen zur
Ausdehnung der Zuständigkeiten festzustellen. Eine supranationale Kontrollund Aufsichtsfunktion über nationale Atombehörden würde in Deutschland
faktisch zu einem 4-stufigen Aufsichtssystem führen, wenn man den hohen
Grad der Aufgabendelegation von Seiten der Länder auf die Gutachterorganisationen entsprechend wertet:
Supranationale Aufsicht → Bundesaufsicht → Länderaufsicht → Gutachterorganisationen im Auftrag.
•
Die gesellschaftsrechtliche Konzentration auf Betreiberseite und der in
den letzten 10 Jahren gewachsene wirtschaftliche Druck auf die Betreiber
führten dazu, dass hier mit Organisationsänderungen und einer verstärkten
Unternehmenskonzentration reagiert wurde. Es ist daher zu erwarten, dass
© Kienbaum Management Consultants GmbH 2004
43
Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
die Energieversorgungsunternehmen auch zukünftig ihre Interessen in atomrechtlichen Genehmigungs- und Aufsichtsverfahren nachhaltig und gut
koordiniert vertreten werden.
•
Das Kompetenz- und Anforderungsfeld wird sich in Teilbereichen für die
staatliche Aufsicht erweitern. Dies gilt z. B. für den Bereich des Sicherheitsmanagements, wo sich die Aufsichtsbehörden zunehmend mit dem Sicherheitsmanagement-Systemen der Betreiber auseinander setzen müssen. Die Aufsichtsbehörden müssen hier zu dem kerntechnischen, anlagenbezogenen Wissen weiteres Know-How aus anderen Disziplinen maßgeblich auf- und ausbauen: Hier sind insbesondere Kompetenzen in Bezug
auf Betriebsorganisation, Geschäftsprozessgestaltung, den Einsatz und das
Management von Humanressourcen und die daraus resultierenden Risiken
gemeint.
•
Schließlich ist der gewachsene und anhaltende Druck auf die öffentlichen Haushalte anzuführen, von dem auch die staatlichen Aufsichtsbehörden berührt werden (z. B. durch Stellenabbau, temporäre Wiederbesetzungssperren oder durch reduzierte Fortbildungsbudgets).
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44
Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
7
Darstellung der Strukturalternativen
Die Untersuchung von Strukturalternativen zur Wahrnehmung der Atomaufsicht zielt
generell auf die Frage ab, ob eine neue Struktur gegenüber dem Status Quo als zukunftsfähiger bzw. vorteilhafter erscheint und setzt zunächst die Darstellung und
Formulierung von denkbaren Alternativen zum Status Quo der Bundesauftragsverwaltung voraus.
Die Darstellung der Strukturalternativen erfolgt insbesondere vor der Fragestellung,
ob grundsätzlich eine zentrale oder dezentrale Aufgabenwahrnehmung in Betracht
kommt. Hier wird der Frage nachgegangen, wie an Hand der o. g. Kriterien die Länderaufsicht im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung oder alternativ der Vollzug in
Landeseigenverwaltung bzw. ein bundeseigener Vollzug zu bewerten ist.
Mit der Option der gesetzlichen Beleihung einer privatrechtlich konstituierten Institution mit der Vollzugsfunktion tritt eine weitere denkbare Dimension hinzu – die Wahrnehmung der Aufgaben außerhalb der Verwaltungsstrukturen. Die privatrechtsförmige Organisation des Atomrechts-Vollzugs in Deutschland wird dabei allerdings als
eine eher theoretische Option verstanden und daher in diesem Zusammenhang nicht
weiter betrachtet.
Angesichts der Verantwortung der Exekutive für die Bewertung sicherheitsrelevanter
Sachverhalte könnte diese Option nur dann in Betracht gezogen werden, wenn die
Vollzugstätigkeit eines Beliehenen im Detail durch rechtlich verbindliche abstraktgenerelle Regelungen (Verordnungen, Verwaltungsvorschriften) gesteuert würde.
Entsprechende Vorschriften liegen jedoch in wichtigen Bereichen des Atomrechts
nicht vor. Gegebenenfalls könnten an die Beleihung in diesem Bereich zudem erhöhte verfassungsrechtliche Anforderungen gestellt werden, etwa durch höchstrichterliche Rechtsprechung.
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45
dezentral
Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
Kooperationsmodell
der Länder
zentral
Status Quo
Zentralisierungsmodell
Behördenorganisation
Privatrechtsförmiges
Modell [GRS GmbH]
Privatrechtsförmige
Organisation
Abbildung 12: Ableitung der Strukturalternativen
Die dargestellten Strukturalternativen werden nachfolgend beschrieben.
7.1
Zentralisierungsmodell
Das Modell basiert auf dem Grundgedanken der Zentralisierung der Aufgaben der
staatlichen Atomaufsicht in bundeseigener Aufsicht. Die den Ländern übertragenen
Genehmigungs- und Aufsichtsaufgaben werden nicht mehr dezentral wahrgenommen, sondern im Rahmen des Zentralisierungsmodells in einer Bundesoberbehörde
gebündelt.
Es besteht hierbei die Notwendigkeit, dass neben einer Konzentration der gegenwärtigen Landesaufgaben in einer Organisationseinheit, die Präsenz vor Ort i. S. eines
konkreten Anlagenbezugs gewährleistet sein muss. Dies führt dazu, dass im Zentralisierungsmodell eine Außenstellenstruktur im Bundesgebiet vorzusehen ist, die es
den Aufsichtsbeamten ermöglicht, die Anlagen vor Ort kurzfristig und im Bedarfsfall
schnell aufzusuchen.
Die Aufsichtsabteilungen in den Länderministerien werden aufgelöst, das Fachpersonal z. T. in die Außenstellen der Bundesoberbehörde überführt.
Die nachgeordnete Bundesbehörde untersteht der Rechts- und Fachaufsicht des
BMU und übernimmt alle von den Ländern wahrgenommenen atomrechtlichen Angelegenheiten. Die Behörde nimmt über ihre Außenstellen die anlagenbezogene Auf-
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46
Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
sicht wahr und bündelt in einem Zentralbereich die anlagenübergreifenden Funktionen, Grundsatz- und Querschnittsaufgaben in technischen Stäben.
Die zentrale Organisationseinheit baut u. a. auch ein geeignetes Qualitätssicherungssystem zur Steuerung der Prozesse und zur Gewährleistung der Prozesssicherheit im Aufsichts- und Genehmigungshandeln auf.
Zur Stärkung und Verbreiterung der Exekutivkompetenz und der Eigenständigkeit
der Bundesoberbehörde ist auch die Überleitung von Personalressourcen aus der
GRS GmbH denkbar.
Das Aufgabenspektrum des BMU bleibt funktional in seiner gegenwärtigen Form
bestehen und erstreckt sich bei der Rechts- und Fachaufsicht auf die Gesetzmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der Ausführung des Atomgesetzes. Das BMU übt weiterhin
seine Rolle bei der internationalen Zusammenarbeit aus und sorgt dafür, dass internationale Standards in das kerntechnische Regelwerk in Deutschland umgesetzt
werden.
Das Prinzip der Trennung zwischen behördlicher Bewertung und Entscheidung durch
die Bundesoberbehörde und der Inanspruchnahme von Beratungsleistungen der
Sachverständigenorganisationen bleibt grundsätzlich erhalten. Eine fachliche Gegenprüfung von einzelnen Sachverhalten im atomrechtlichen Verfahren durch die
GRS für das BMU, wie im gegenwärtigen System der Bundesauftragsverwaltung,
könnte weit gehend entfallen.
Die folgende Abbildung gibt einen Überblick über das Zentralisierungsmodell. Die
Bewertung des Modells erfolgt in Kapitel 7.
RSK
SSK
Beratung
BMU
Abteilung RS
Beratung, Gutachten
Sachverständige (GRS)
ggf. Überleitung von Personalressourcen
Sachverständige (TÜV)
weitere Bundesoberbehörden
Bundesoberbehörde
für die Atomaufsicht
Beratung
Gutachten
Genehmigung,
Aufsicht
Betreiber
Außenstelle Außenstelle Außenstelle
Außenstelle
Außenstelle
Behörden
Privatrechtl. Körperschaften
Abbildung 13: Zentralisierungsmodell
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Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
7.2
Kooperationsmodell der Länder (Landeseigenverwaltung)
Dieses Modell sieht vor, die atomrechtliche Aufsicht und die Erteilung von Genehmigungen über die Kernanlagen vollständig auf die Bundesländer im Rahmen der Landeseigenverwaltung zu delegieren. Die atomrechtlichen Aufsichts- und Genehmigungsaufgaben gehen in die Verantwortung der zuständigen Landesverwaltungen
über.
Die Länder agieren in Landeseigenverwaltung und unterliegen hinsichtlich der
Zweckmäßigkeit ihres Handelns nicht mehr der Aufsicht und den Weisungen des
Bundes.
Die bestehende Gremienstruktur wird fortgeführt; die Länder übernehmen im Wechsel den Vorsitz; der Bund ist mit Gastmitgliedern in den Gremien repräsentiert.
Die Gremienstruktur wird ergänzt um ein geeignetes Qualitätssicherungssystem zur
Steuerung der Prozesse und zur Gewährleistung der Prozesssicherheit. Auf der Ebene der Qualitätssicherung erfolgt eine enge Kooperation auf Länderebene, die
durch eine gemeinsame Instanz im Rahmen der Gremienstruktur unterstützt wird
und die für die einheitliche Anwendung der gemeinsam erarbeiteten Regelwerke
verantwortlich ist.
Diese Instanz koordiniert dabei insbesondere eine gegenseitige Zweckmäßigkeitsaufsicht der Länder z. B. in Form von „Peer Reviews“.
Auf diese Weise werden die Länder in die Lage versetzt, eine prozessbezogene Überprüfung der Einhaltung des Regelwerks vorzunehmen und diese in geeigneter
Form zu dokumentieren. Dies ist verbunden mit einem Verzicht auf eine abschließende Kontrolle durch das BMU, wie sie derzeit einzelfallbezogen erfolgt. Die dezentrale Struktur ermöglicht –analog zum Status Quo– einen konkreten Anlagenbezug
und die Nähe zu den Kernanlagen vor Ort.
Die Vorstellung dieses Modells basiert weiterhin auf dem Kooperationsverständnis
der Länder, die auch einen umfänglichen Wissenstransfer untereinander herbeiführen.
Der Bund hat weiterhin die Kompetenz, Verwaltungsvorschriften zu erlassen und
führt Rechtsaufsicht. Die Länder stellen dem Bund die hierfür notwendigen Informationen aus der Aufsichts- und Genehmigungstätigkeit zur Verfügung. Der Bund kann
sich zudem weiterhin der GRS als Beraterorganisation bedienen.
Das BMU übt darüber hinaus weiterhin seine bisherige Rolle bei der internationalen
Zusammenarbeit aus. In bestimmten technischen Gremien werden die Länder in
stärkerem Umfang auf Grund ihrer Expertise vertreten sein.
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Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
RSK
SSK
Beratung
BMU
Abteilung RS
Aufgaben im
Bereich der
Rechtsetzung
Land G
Land F
Land E
Land H
Land D
Information
Land A
Verwaltungsaufgaben und
Unterstützung des BMU im Bereich
der kerntechnischen Sicherheit und
des Strahlenschutzes
weitere
Bundesbehörden
BfS
Land B
Land C
Beratung, Gutachten
Sachverständige
(GRS)
Sachverständige
(TÜV)
Betreiber
Behörden
P-rechtl. Körperschaften
Abbildung 14: Kooperationsmodell der Länder
Die Bewertung des Status Quo und der Strukturalternativen erfolgt auf Basis der oben dargestellten Kriterien und vor dem Hintergrund der oben beschriebenen veränderten Rahmenbedingungen für den Vollzug des Atomrechts.
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49
Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
8
Bewertung des Status Quo und der Strukturalternativen
8.1
Bewertung des Status Quo
Die Leistungsbeziehungen im gegenwärtigen System der Bundesauftragsverwaltung
lassen sich wie folgt darstellen:
RSK
SSK
Beratung
BMU
Abteilung RS
Sachverständige (GRS)
u.a. Gutachter
Beratung, Gutachten
Verwaltungsaufgaben und
Unterstützung des BMU im Bereich
der kerntechnischen Sicherheit und
des Strahlenschutzes
weitere
Bundesbehörden
[in Einzelfällen Fachaufsicht]
BfS
Landesministerium 1
Landesministerium 2
Beratung,
Gutachten
Landesministerium 3
Genehmigungen,
Aufsicht
Sachverständige (TÜV,
u.a. Gutachter)
Betreiber
Landesministerium 12
Behörden
Privatrechtl. Körperschaften
Abbildung 15: Status Quo
8.1.1 Bereitstellung von Ressourcen zur Erfüllung des gesetzlichen Auftrags
in angemessener Qualität und Quantität
Die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben im Bereich der Bundesauftragsverwaltung
stellt für einen Zeitraum von 15 bis 20 Jahren noch weitere bzw. sich verändernde
Anforderungen an die zuständigen Organisationseinheiten:
Zunächst sind voraussichtlich bis etwa 2020 Kernkraftwerke in Betrieb. Hinzu tritt die
zunehmend in den Vordergrund rückende Aufgabenstellung der Stilllegung und des
Rückbaus nicht mehr in Betrieb befindlicher Anlagen. Zwar ist das Gefährdungspotenzial der Anlagen in diesem Stadium um Größenordnungen geringer. Geringer ist
aber auch die Erfahrung der Länderaufsichtsbehörden mit der Strukturierung und
Überwachung der Stilllegungsprozesse. Außerdem entwickeln die Betreiber ihre Sicherheitsmanagement-Systeme weiter. Diese Entwicklungen beruhen auf der weiter
wachsenden Erkenntnis, dass sich die Maßnahmen zur Vorsorge für einen sicheren
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50
Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
Betrieb der Anlagen auf das Zusammenspiel zwischen technischen, organisatorischen und personengeprägten, verhaltensseitigen Faktoren im Betriebsprozess
erstrecken müssen („Mensch-Technik-Organisation“). Damit erweitert sich auch das
Aufgabenspektrum für die Aufsichtspraxis insbesondere hinsichtlich der Vorgabe von
Standards und Kriterien sowie der Überwachung dieser Systeme.
Dies erfordert von den Aufsichtsbehörden auf allen Verwaltungsebenen ein erhöhtes
Maß an Qualifikation, Spezialisierung und Flexibilität, die u. a. durch entsprechend
große und disponible Organisationseinheiten gewährleistet werden kann.
Die Organisationsstrukturen der Aufsichtsbehörden auf Bundes- und Landesebene
geben Anlass zu Zweifeln, ob diesen Anforderungen in Zukunft entsprochen werden
kann.
Auf Seiten der Bundesaufsicht wurden im Bereich der Sicherheit von in Betrieb befindlichen Kernkraftwerken die Kernaufgaben Aufsicht, Genehmigungsüberwachung
und Normenkonkretisierung in der Arbeitsgruppe RS I 3 gebündelt, um eine ‚Betriebsgröße’ zu erreichen, die Flexibilität und Spezialisierung ermöglichen soll.
In der Praxis muss sich die Arbeitsgruppe jedoch kapazitätsbedingt weit gehend auf
die ereignisgetriebene Einzelfallbefassung beschränken, also auf die Bearbeitung
und Bewertung weniger einzelner Ereignisse mit hoher Priorität. Darüber hinaus
steht keine ausreichende Kapazität mehr zur Verfügung, um die übrigen Aufgaben
der Aufsicht (insbesondere im Zusammenhang mit der Fortschreibung des kerntechnischen Regelwerks und der internationalen Zusammenarbeit) vollständig wahr zu
nehmen.
Bundesaufsichtliche Aufgaben im Hinblick auf kerntechnische Anlagen werden außerdem in den Referaten/Arbeitsgruppen RS I 6 (Sicherung und Fachkunde), RS I 1
(Deckungsvorsorge), RS III 1, RS III 2 , RS III 3 (kerntechnische Anlagen der nuklearen Ver- und Entsorgung) und RS III 4 (Stilllegung kerntechnischer Anlagen) wahrgenommen.
Diese Referate arbeiten teilweise mit sehr geringer Personalausstattung. Generell
fehlt im Bereich der Bundesaufsicht die personelle Basis zur Spezialisierung auf bestimmte Regelungsfelder (im technischen Bereich, aber auch in Bezug auf das Management von Betriebsprozessen und Humanressourcen).
Auch die zuständigen Landesbehörden sind personell so ausgestattet, dass sie nicht
die gesamte Bandbreite des erforderlichen technischen Sachverstands zur wirksamen Wahrnehmung der Aufsichts- und Genehmigungsaufgaben abdecken können.
Bund und Länder bedienen sich daher zur Aufgabenwahrnehmung in großem Umfang des Einsatzes externer Gutachter.
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Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
Es wird mithin darauf ankommen, die neuen Themenfelder nicht nur mit dem eigenen Personal zu erschließen und zu entwickeln, sondern diese Fragestellungen auch
noch qualifiziert an die Gutachterorganisationen heran zu tragen und diese entsprechend zu steuern.
Genau hierin liegt eine Herausforderung, die künftig die bestehenden Organisationsstrukturen in Bund und Ländern in Bezug auf ihre Steuerungsfähigkeit überfordern
könnte.
Bereits heute wird die Kapazität eines Aufsichtsbeamten auf Länderebene schätzweise zu zwei Dritteln durch die Steuerung der Gutachter und die Bewertung von
gutachterlichen Berichten und Stellungnahmen gebunden. Der zunehmende technische Überwachungsbedarf durch Genehmigungsauflagen (z. B. durch Änderungsgenehmigungen) führt tendenziell dazu, dass dieser Anteil weiter steigt.
Es bleibt immer weniger Zeit, um die Know-How-Entwicklung des Personals der Exekutive entsprechend dem Stand von Wissenschaft und Technik zu gewährleisten
und in die praktische Aufsichtsarbeit umzusetzen.
Auf der anderen Seite besteht mit dem absehbaren altersbedingten Ausscheiden von
qualifizierten Beschäftigten, die z. T. über sehr detailliertes Anlagenwissen verfügen,
die Gefahr eines nachhaltigen Kompetenzverlustes (in Form von Erfahrungswissen) auch im Bestand.
Einige Bundesländer haben dies frühzeitig erkannt und erste Maßnahmen zur Nachwuchssicherung eingeleitet. Eine flächendeckende Analyse oder Transparenz in Bezug auf die Frage des Kompetenzerhalts der staatlichen Aufsicht existiert jedoch
nicht.
Zur Zeit sind bei der Gewinnung geeigneten Personals nach Einschätzung der Verantwortlichen marktseitig noch keine Engpässe spürbar. Es bleibt aber festzuhalten,
dass die Absolventenzahlen in den einschlägigen Studiengängen sinken. Das lässt
einen stärkeren Wettbewerb um die besten Absolventen nicht nur zwischen den
Landesbehörden, sondern insbesondere zwischen den privaten Arbeitgebern wie
Betreibern und Gutachtern einerseits und der staatlichen Aufsicht andererseits erwarten.
Dies stellt mittel- bis langfristig erhöhte Ansprüche an die personalwirtschaftlichen
Instrumente, um geeignetes Personal zu akquirieren und zu binden. Entwicklungsmöglichkeiten können insbesondere in den bestehenden kleinen organisatorischen
Einheiten der Bundes- und Länderaufsicht nur bedingt aufgezeigt werden. Die Verwendungsbreite und Einsatzmöglichkeiten beschränken sich in der Regel auf die
Arbeit in unterschiedlichen Anlagenreferaten (oder den Wechsel in fachfremde
Sachgebiete). Angesichts fehlender Einsatzalternativen und dem Einarbeitungsaufwand in die Aufgabengebiete verbleiben die Beschäftigten im Bereich der staatlichen
Aufsicht häufig lange in den jeweiligen Positionen.
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Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
Betrachtet man die Gesamtheit dieser Aspekte, kann der Kompetenzerhalt im Bereich der atomrechtlichen Behörden zur Wahrnehmung der nicht delegierbaren Exekutivaufgaben nicht als gesichert gelten.
Zur Erfüllung des gesetzlichen Auftrags gehört auch die Gewährleistung der wirtschaftlichen Nutzung der bereitgestellten Ressourcen.
Bezogen auf die Zahl der Beschäftigten ist die Betriebsgröße der Landesaufsichtsbehörden recht unterschiedlich; die Spannbreite reicht von ca. sieben bis zu ca. 49
Beschäftigten. Unabhängig von der Anzahl der betreuten Atomanlagen besteht eine
kritische Grenze, bei deren Unterschreitung die Sachkunde auf Seiten der Aufsichtsbehörde mit der notwendigen Präsenz und in der notwendigen Breite und Tiefe nicht
mehr aufrecht erhalten werden kann: Mit der sukzessiven Beendigung der Betriebszeit der Atomanlagen wird der Druck auf die jeweiligen Aufsichtsbehörden der Länder wachsen, entsprechend proportional Personal und Gutachteraufwendungen einzusparen, so dass in der Folge die kritische Grenze unterschritten wird.
Ein weiterer Aspekt bezieht sich auf den Grad der Realisierung von Vorteilen durch
funktionale Spezialisierung und arbeitsteilige Erledigung komplexer Aufsichts- und
Genehmigungsprozesse. Neben den anlagenbezogenen Aufgaben sind in jeder Aufsichtsorganisation sowie auch auf Bundesebene übergreifende fachliche Funktionen
und Kompetenzen abzubilden. Bereits heute bleibt die Bildung funktionaler Spezialisierung den größeren Landesaufsichtsorganisationen vorbehalten. Im Zuge der sukzessiven Stilllegung der Anlagen wird dies immer weniger möglich sein.
Die Finanzierung der notwendigen Ressourcen muss auf Bundesebene aus dem
allgemeinen Haushalt erfolgen. Die Bundesaufsicht unterliegt damit weiter zunehmenden haushaltsseitigen Beschränkungen bei der Beschäftigung eigenen Personals sowie der Beauftragung von Sachverständigen (wirtschaftliche Restriktion) und
hat keine Möglichkeit der Refinanzierung bei den Anlagenbetreibern durch Erstattungsfähigkeit der Maßnahmen im Einzelfall. Im Rahmen der Landesaufsicht ist der
überwiegende Teil der Gutachterleistungen refinanzierbar und wird nach dem Verursacherprinzip von den Betreibergesellschaften bzw. indirekt von den Stromkunden
getragen.
Zur Erfüllung des gesetzlichen Auftrags ist auch die angemessene Präsenz der
Aufsichtsbehörden in der Fläche erforderlich. Im Status Quo sind Anlagenbezug
und räumliche Nähe zu den Anlagen durch die zuständigen Landesbehörden gewährleistet. Die Häufigkeit der Präsenz vor Ort hängt dabei von der Ausstattung mit
Personal- und Sachmitteln sowie der Aufsichtskonzeption und Praxis der jeweiligen
Aufsichtsbehörde ab.
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Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
8.1.2 Einheitlichkeit und Anpassungsfähigkeit staatlichen Genehmigungsund Aufsichtshandelns im Bereich des Atomrechts
Die Prüfung einer einheitlichen Anwendung definierter Standards9 im Genehmigungsprozess erfolgt im Sinne einer Ergebniskontrolle an Hand der von den Ländern der Bundesaufsicht vorgelegten Genehmigungsentwürfe. Der Genehmigungsprozess selbst unterliegt keiner systematischen Aufsicht.
Dies bedeutet, dass auf die Anwendung von Genehmigungsgrundlagen in gleicher
Art, Qualität und Intensität im Verfahren durch die Bundesaufsicht nur vom Ergebnis
her und ex post geschlossen werden kann. Eine durchgängige Sicherung der Prozessqualität im laufenden Verfahren besteht nicht.
Bei atomrechtlichen Genehmigungsverfahren besteht eine Verbindung zwischen
bundes- und landesrechtlichen Regelungsinteressen, die eine ganzheitliche Anwendung bundes- und landesrechtlicher Normen als vorteilhaft erscheinen lässt
(z.B. Wasserrecht, Baurecht). Diese Anforderung wird gegenwärtig erfüllt, da die
zuständigen Verwaltungsbereiche auf Landesebene derselben staatlichen Körperschaft angehören. Bei Änderungsgenehmigungen in den bestehenden Anlagen ist
dieses Kriterium allerdings nur noch zum Teil von Bedeutung.
Die Landesbehörden haben jeweils eigenständige Standards für die Durchführung
der Aufsichtsprozesse etabliert. Die Bundesaufsicht hat mit Ausnahme der Verfolgung von Einzelereignissen keine rechtliche Handhabe, um auf die Aufsichtsprozesse und die Aufsichtsphilosophie der Landesbehörden Einfluss zu nehmen.
Unabhängig davon hätte die Bundesaufsicht weder die personellen Ressourcen und
die erforderlichen Informationen, noch die materielle Grundlage im Sinne einer standardisierten, prozessorientierten Darstellung des Aufsichtsgeschehens, um eine
durchgängige Qualitätssicherung zu leisten.
Gerade die laufende Prüfung und Sicherung der Geschäftsprozesse auf Basis definierter Standards ist aber ein Konzept des Qualitätsmanagements, das sich zunehmend in der Privatwirtschaft und auch in der öffentlichen Verwaltung durchsetzt.
Bei Abwesenheit von Standards z. B. für die Aufsichtsprozesse entwickeln die Landesaufsichtsbehörden eigene Aufsichtsgrundsätze, die u. U. zu einer großen Anwendungsbreite in der tatsächlichen Aufsichtspraxis führen. Einen Vergleich nach
9
organisatorische, methodische, instrumentelle Standards als allgemein akzeptierte, verbindlich angewandte Richtlinien oder gemeinsame Vorgehensweisen mit dem Ziel, bestimmte Mindesteigenschaften sicher zu stellen
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54
Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
einheitlichen Qualitätskriterien unterstellt, würde sich eine Rangfolge ergeben, wobei
sich jeweils die Hälfte der Maßnahmen als über- bzw. auch als unterdurchschnittlich
geeignet zur Erreichung der definierten Qualitätsziele erweisen würde. Je größer die
Anwendungsbreite unter den Ländern, desto mehr erscheint es als sinnvoll, die unterschiedlichen praktischen Erkenntnisse mit dem Ziel der (Weiter)Entwicklung optimierter Prozesse auszuwerten (Best-Practice-Analyse).
Dieses Verfahren führt i. d. R. zu gemeinsamen Standards und zu einer Niveauanhebung der mittleren Prozessqualität.
Ein Beleg für die Anwendung dieser Qualitätsmanagementkonzepte sind die Aktivitäten der Anlagenbetreiber zum Aufbau sogenannter SicherheitsmanagementSysteme, die konform zu internationalen Entwicklungen auf einer laufenden, indikator- bzw. kennzahlengestützten Überwachung der Betriebsprozesse beruhen.10 Hierfür wird jeweils ein entsprechendes Soll-Prozessmodell unterlegt.
Für die Landesaufsichtsbehörden resultiert hieraus zum einen voraussichtlich eine
Weiterentwicklung ihrer Aufsichtsphilosophie in Richtung Prozessüberwachung und optimierung.
Zum andern ergibt sich die Frage, ob ein Prozessmanagement auf der Basis gemeinsamer, definierter Standards künftig nicht auch für das Aufsichtsgeschehen
selbst bestehen muss.
Grundlagen und Ansätze hierfür bestehen in den Aufsichtskonzeptionen der einzelnen Länder (soweit dem Gutachter bekannt; insbes. BW). Übergreifende Grundsätze
für das Aufsichtshandeln der Länder existieren jedoch nicht.
Die Gewährleistung eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses zur Weiterentwicklung der Aufsichtskonzepte ist eine Aufgabe, die heute insbesondere dem
Länderausschuss für Atomkernenergie zufiele. Für die Wahrnehmung dieser Aufgabe wären aber detaillierte Informationen über die Praxis des Aufsichtsgeschehens in
den Ländern erforderlich, die gesammelt so nicht vorliegen. Ein organisierter kontinuierlicher Verbesserungsprozess, der eine durchgängige ‚Diffusion’ als sinnvoll erkannter Aufsichtsverfahren und -methoden in alle Länderorganisationen gewährleistet und der dabei gemeinsamen Regeln wie z. B. der Anwendung des Best-PracticePrinzips folgt, existiert derzeit nicht.
10
Das indikatorgestützte Sicherheitsmanagement-System der EnBW, Präsentationsunterlage
zum BMU-Gespräch am 26. Januar 2004
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55
Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
8.1.3 Weiterentwicklung und Anwendung der Grundlagen zum Vollzug des
Atomrechts nach dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik
Kerntechnische Regelungen, außer Gesetzen, Verordnungen und Allgemeinen Verwaltungsvorschriften (AVV), erlangen ihre regulatorische Bedeutung allein aufgrund
der gesetzlichen Anforderung des Standes von Wissenschaft und Technik. Die
Rechtssprechung trifft hier die Aussage, dass vermutet werden kann, dass das kerntechnische Regelwerk diesen Stand zutreffend wiedergibt11. Allerdings verdrängt
eine anerkannte Weiterentwicklung des Standes von Wissenschaft und Technik die
Anwendung einer dadurch veralteten Regel, ohne dass diese aufgehoben werden
müsste. Die gesetzlich vorgesehene Dynamisierung der sicherheitstechnischen Anforderungen ist damit formal nicht an Regelsetzungsverfahren gebunden.
Der Bund verfügt im Einzelfall über hinreichende Instrumente (bis hin zur Weisung),
auf Entscheidungen der Landesbehörden - auch im Hinblick auf die Feststellungen
des Standes von Wissenschaft und Technik - einzuwirken. Darüber hinaus ist es
jedoch aus Gründen der Rechtssicherheit, der Transparenz und des einheitlichen
Vollzugs der bundesrechtlichen Vorschriften geboten, dass die dem Vollzug durch
die zuständigen Behörden zugrunde liegenden Maßstäbe formal generell möglichst
vollständig im untergesetzlichen Regelwerk niedergelegt sind, um soweit wie möglich
eine Handlung der zuständigen Behörden nach einheitlichen Maßstäben ex ante zu
gewährleisten.
Eine verbindliche Weiterentwicklung des untergesetzlichen Regelwerks jenseits von
Entscheidungen im Einzelfall bedarf in den bisherigen Strukturen der Zustimmung
des Bundesrates (AVV) oder der Herstellung des Einvernehmens im Länderausschuss für Atomkernenergie.
Derzeit existieren vier einschlägige Verwaltungsvorschriften, die nach dem Verfahren
gemäß Artikel 85 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes mit Zustimmung des Bundesrates zu erlassen sind, die letzte vom September 1995.12 Es ist wahrscheinlich, dass
diese geringe Zahl auch dadurch erklärt werden kann, dass bedingt durch den
grundsätzlichen politischen Dissens die erforderlichen Mehrheiten in der Vergangenheit über viele Jahre nicht erreichbar waren.
Bericht der Regierung der Bundesrepublik Deutschland für die Zweite Überprüfungstagung
im April 2002, Berlin, 2001
11
12
Handbuch Reaktorsicherheit und Strahlenschutz („RS-Handbuch“), Band 1
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Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
Dem stehen 74 Richtlinien, Leitlinien und Empfehlungen gegenüber, deren Zweckmäßigkeit zwar allgemein anerkannt wird, über deren rechtlichen Bindungscharakter
für die Länder aber Dissens besteht.13
Die Erarbeitung dieser Richtlinien erfolgt in einer Gremienstruktur, in der die Bewertung von Einzelfällen, untergesetzliche Empfehlungen, Leitlinien und Hinweise zu
technisch-wissenschaftlichen Sachverhalten diskutiert und abgestimmt werden. Im
Rahmen seiner Koordinationsfunktion in den Bund-Länder-Gremien war und ist der
Bund darauf angewiesen, Konsens bzw. Einstimmigkeit unter den beteiligten Akteuren zu erzielen, um eine Grundlage für eine einheitliche Anwendung zu schaffen.
Das System baut letztlich auf „die freiwillige Verfolgung rechtlich nicht (direkt) bindender Normen durch die Länder auf[...]“.14
Die Funktionsfähigkeit dieses Regelungssystems ist insbesondere bei Dissensen in
materiellen Sicherheitsfragen beeinträchtigt (z.B. das ohne abschließendes Ergebnis
beendete Projekt „KTA 2000“).
Im Ergebnis führt diese Konstellation zu Lücken im untergesetzlichen Regelwerk.
Der Regelbestand stammt in weiten Teilen aus den 70er und 80er Jahren und gibt
nicht den aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik wieder. Hierdurch können
Aussagen zu im Einzelfall erforderlichen Maßnahmen selten auf einen Abgleich mit
dem bestehenden untergesetzlichen Regelwerk gestützt werden, sondern es ist regelmäßig die gesonderte Erhebung des Standes von Wissenschaft und Technik
durch Gutachten etc. erforderlich.
Ein ähnlicher Befund ergibt sich bei einem Vergleich des deutschen untergesetzlichen Regelwerks mit dem internationalen Regelwerk. Während in Deutschland in
den letzten 20 Jahren ein Defizit bezüglich der förmlichen Festlegung genereller Regelwerksinhalte festzustellen ist, hat im internationalen Rahmen eine kontinuierliche
Regelwerksentwicklung stattgefunden. Seither ist das deutsche Regelwerk nicht im
Gesamtzusammenhang auf Unterschiede zum internationalen Regelwerk geprüft
worden.
Das internationale kerntechnische Regelwerk wird zur Zeit mit dem gegenwärtig in
Deutschland geltenden Regelwerk verglichen, um die Bedeutung der Unterschiede
zwischen diesen Regelwerken beurteilen zu können, insbesondere im Hinblick auf
die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Schadensvorsorge.
Aus dem Vergleich wird sich auch ergeben, welche Aktualisierungen und Ergänzun-
Auszug aus der Ergebnisniederschrift der 61. Sitzung des Fachausschusses Recht am
20./21. September 2001; zu TOP 8 „Verbindlichkeit von Richtlinien / Leitlinien“
13
14
Rauscher, D., „Die Bundesauftragsverwaltung in der Praxis“, aaO, S. 381
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57
Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
gen im deutschen kerntechnischen Regelwerk notwendig sind. Maßgeblicher Bezugspunkt ist hierbei das Regelwerk der IAEA. Die IAEA-Sicherheitsstandards stellen die im Wesentlichen international anerkannte Referenz dar.
Weiterhin beteiligt sich das BMU an einer Arbeitsgruppe "Harmonisierung" der Western European Nuclear Regulators Association (WENRA). Das Ziel dieser Arbeiten
sind einheitliche hohe Referenzniveaus für die Sicherheit der derzeit betriebenen
Kernkraftwerke in der Europäischen Union. Diese Referenzniveaus werden gegenwärtig auf der Grundlage der IAEA-Sicherheitsstandards erstellt und durch darüber
hinausgehende europäische regulatorische Anforderungen oder betriebliche Praxis
ergänzt. Mit entsprechenden Ergebnissen wird bis Ende 2006 gerechnet. Anschließend soll die Erfüllung der Referenzniveaus von jedem der an den Arbeiten der
WENRA beteiligten Staaten national überprüft werden. Abweichungen sollen bewertet und in Maßnahmenprogramme zu Verbesserungen umgesetzt werden.
Ergebnis wird die Feststellung sein, in wieweit das bestehende deutsche Regelwerk
nach internationalem Stand von Wissenschaft und Technik aktualisiert werden muss.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass die bestehenden Strukturen dazu geführt
haben, dass das untergesetzliche Regelwerk zur Zeit den aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik nicht vollständig wiedergibt.
Zur tatsächlichen Umsetzung der Erkenntnisse der oben genannten Aktivitäten erscheint es daher erforderlich, Strukturen zu schaffen, die eine zeitnahe Adaption der
erzielten Ergebnisse in das deutsche untergesetzliche kerntechnische Regelwerk
ermöglichen.
8.1.4 Schneller und ungehinderter Austausch von Informationen zwischen
den Beteiligten über das Aufsichts- und Genehmigungsgeschehen
Die Bewertung des Informations- und Wissensaustausches muss vor dem Hintergrund erfolgen, dass die Beteiligten auf Bundes- und Landesebene im mit der Bundesauftragsverwaltung vorgesehenen Rechtsrahmen aktiv sind (bundesaufsichtliches Instrument der Weisung, formale Beteiligungs- und Informationspflichten, Gremienarbeit o. a.).
Dieser Rechtsrahmen wird derzeit so ausgefüllt, dass ein schneller und ungehinderter Austausch von Informationen und Wissen – insbesondere zwischen Bundesaufsicht und Länderaufsichtsbehörden – i. d. R. nicht über das rechtlich verbindlich vorgegebene Maß hinaus erfolgt. In einzelnen Fällen ist streitig, in welchem Umfang die
Landesbehörde zur Vorlage bestimmter Informationen, die die Bundesaufsicht als
sicherheitsrelevant ansieht, rechtlich verpflichtet ist.
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Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
Darüber hinaus existiert im Ergebnis kein Überblick über die aktuelle Anzahl des in
Deutschland im Bereich des Atomrechts tätigen Aufsichtspersonals oder den Umfang, in dem Sachverständigenleistungen zu diesem Zweck in Anspruch genommen
werden.
Ausnahmen zu diesem Informationsverhalten bestehen dort, wo in einzelnen Arbeitsbereichen langjährige persönliche Kontakte den gegenseitigen und informellen
Rückgriff auf Informationen ermöglichen.
Darüber hinaus fehlen auf Seiten der staatlichen Aufsicht die in der Unternehmenspraxis heute weit verbreiteten methodischen oder IT-anwendungsseitigen Instrumente, die den Informations- und Wissensaustausch übergreifend und zentral - oft nach
dem Portalprinzip - organisieren und unterstützen (Wissensmanagement).
Hier erfolgt die Dokumentation und Archivierung von Sachverhalten und Gutachten
überwiegend noch in Papierform; allgemein zugängliche Datenbanken mit komfortablen Suchfunktionen existieren nicht.
Ein serverbasiertes, zentrales Informationsportal im BMU mit Zugriffsrechten für alle
Akteure der staatlichen Aufsicht befindet sich noch in der technischen Realisierung.
Das Konzept stößt aber absehbar auf Akzeptanzprobleme (voraussichtlich auch wegen mangelnder personeller Ressourcen), wenn es um die zentrale Hinterlegung von
Inhalten und Erkenntnissen der Aufsichtsarbeit und den Aufbau der entsprechenden
Datenbestände geht.
8.1.5 Eindeutige Verantwortlichkeiten für den staatlichen Vollzug des Atomrechts
Die Exekutivverantwortung des staatlichen Aufsichtssystems ist formal gewährleistet. Ihre Wahrnehmung erfordert jedoch ein überdurchschnittlich hohes Maß an
(technischem) Sachverstand, der nicht ausschließlich durch die Inanspruchnahme
von Sachverständigen kompensiert werden kann.
Die Vorhaltung und Erhaltung eines hohen Kompetenzniveaus auch auf Seiten der
behördlichen Aufsicht wird damit zu einer Voraussetzung für die Wahrnehmung der
Exekutivverantwortung. Die unter Abschnitt 7.1.1 dargestellten Risiken wirken letztlich auch auf dieses Kriterium.
Rechtlich-formal ist die Verantwortlichkeit für die Entscheidungen und das Handeln
der Aufsichtsbehörden gegenüber Dritten, also i. d. R. den Betreibern von kerntechnischen Anlagen, eindeutig geregelt.
Das Handeln und die Verantwortlichkeit nach außen, also die Wahrnehmungskompetenz, obliegen im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung unentziehbar den
Landesbehörden. Öffentlich zu Tage tretende Konflikte zwischen Bundes- und Lan-
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Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
desaufsichtsbehörden beeinträchtigen jedoch in der Wahrnehmung Dritter diese Eindeutigkeit.
Die Regelung von Kompetenzen und Verantwortlichkeiten im Innenverhältnis
der staatlichen Aufsicht ist von anhaltenden Konflikten geprägt, die in der Vergangenheit immer wieder z. T. höchstrichterliche Klärung erforderlich gemacht haben.15
Es erscheint zumindest als zweifelhaft, dass die Zuständigkeitsklärung auf dem Wege der Rechtsprechung dauerhaft die gewünschte Klarheit bringt in einem Verwaltungssystem, das der ständigen inhaltlichen und informatorischen Fortentwicklung
unterworfen ist.
15
BVerfGE 81, 310 ff. „Kalkar-Urteil 1990“; BVerfGE 104, 249 ff. „Biblis-Urteil 2002“
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Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
8.2
Bewertung des Zentralisierungsmodells
Bewertung Kriterium 1: Bereitstellung von Ressourcen zur Erfüllung des gesetzlichen Auftrags in angemessener Qualität und Quantität
Abbildung 16: Bewertung des Zentralisierungsmodells - Kriterium 1
Mit dem Zentralisierungsmodell verbindet sich zunächst die Erwartung der wirtschaftlicheren Ressourcennutzung und einer verbesserten Kompetenzsicherung: Ein großer Bestand von qualifizierten Beschäftigten kann in diesem Modell innerhalb einer
Behörde disponiert und geführt werden.
Dies eröffnet zunächst die Möglichkeit, durch Bündelung von anlagenübergreifenden
Funktionen in einem Zentralbereich Spezialisierungsvorteile zu nutzen. Diese bestehen zum einen darin, dass mit der gleichen Anzahl von Spezialisten ein wesentlich
breiteres Kompetenzfeld abgedeckt werden kann, da insbesondere das anlagenübergreifende Grundlagenwissen nicht mehr redundant vorgehalten werden muss.
Zum andern bedeutet die Möglichkeit zur Spezialisierung erfahrungsgemäß ein höheres Kompetenzniveau in den jeweiligen technischen (und organisatorischen) Disziplinen.
Die Besetzung der Außenstellen könnte quantitativ und qualitativ übergreifend und
nach den jeweiligen Anforderungsschwerpunkten vor Ort disponiert werden. Bei
temporärer Mehrbelastung (z. B. durch das Auftreten meldepflichtiger Ereignisse, die
öffentliche Bedeutung erreichen), kann die Kapazität in der betroffenen Außenstelle
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Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
durch zeitweise Verstärkung mit qualifiziertem behördlichem Aufsichtspersonal den
Anforderungen angepasst werden.
Vertretungsregelungen werden generell erleichtert. Der interne Wissenstransfer kann
auf einer breiteren Basis organisiert werden, Personalabgänge von wichtigen KnowHow-Trägern sind besser kompensierbar, weil ein größerer Beschäftigtenpool für
den Transfer und Erhalt von Know-How zur Verfügung steht.
Dies hat jedoch zur Voraussetzung, dass ein Wissensmanagement übergreifend
Anwendung findet.
Personalwirtschaftliche Instrumente wie z. B. Job Rotation eröffnen eine größere
Verwendungsbreite und Einsatzoptionen innerhalb der Organisation. Es eröffnen
sich potenziell mehr Perspektiven für einen internen Aufstieg und Fachkarrieren. Die
Attraktivität als Arbeitgeber für qualifizierte externe Bewerber wird entsprechend zunehmen.
Durch gezielte Überleitung von Personalressourcen aus der GRS in die Bundesoberbehörde können bestehende Kapazitäts- und Kompetenzdefizite der Exekutive
kompensiert werden.
Wirtschaftliche Vorteile ergeben sich erwartungsgemäß durch den Entfall von Redundanzen bei Querschnitts- und Verwaltungsaufgaben. Weiterhin ist mit Effizienzgewinnen bei der Gutachterbeauftragung und –steuerung durch eine einheitliche
Vorgehensweise und zentrale Auftragskoordination, -verhandlung und –steuerung zu
rechnen.
Bei der Erhaltung einer flächendeckenden Präsenz durch Außenstellen könnte ein
Umsetzungsrisiko in der mangelnden Bereitschaft der Landesbeamten liegen, in die
jeweilige Außenstelle der Bundesoberbehörde zu wechseln. Gerade die spezialisiertesten Aufsichtsbeamten werden außerhalb der Atomverwaltung nur wenige alternative Tätigkeitsfelder von vergleichbarer Qualität in der Landesverwaltung vorfinden
und bei entsprechender Versetzung könnte auch ein Ortswechsel nicht ausgeschlossen werden. Daher ist die Wahrscheinlichkeit für einen Verbleib gerade der KnowHow-Träger beim Land erwartungsgemäß eher gering, wenn ein Wechsel zur Bundesoberbehörde ohne persönliche Nachteile möglich ist.
Die Spezialisten der Landesaufsichtsbehörden könnten die Veränderung in der Zuständigkeit weiterhin zum Anlass nehmen, ihre Position in der Verwaltung zu Gunsten einer Stellung in der Privatwirtschaft, z. B. bei einem Betreiber oder einer Gutachterorganisation aufzugeben. Erfahrungen bei anderen Restrukturierungen in der
öffentlichen Verwaltung sprechen allerdings dafür, dass auch hierfür nur eine geringe
Wahrscheinlichkeit besteht.
In Bezug auf die Finanzierbarkeit des Ressourceneinsatzes würden sich bei Fortbestehen der diesbezüglichen Rechtslage zunächst keine Änderungen ergeben. Die
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62
Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
Erstattung der Sachverständigenauslagen der Behörden durch die Betreiber (§ 21
Abs. 2 AtG) sowie auch die Erhebung von Gebühren für gebührenpflichtige Amtshandlungen nach der Kostenverordnung zum Atomgesetz wären prinzipiell nicht berührt.
Allerdings würde bei einem Kostendeckungsgrad durch Gebührenerlöse von ca. 50%
der Personalkosten in den Länderaufsichtsbehörden auf den Bund eine Mehrbelastung durch die Außenstellen i. H. v. rd. 15 Mio. Euro p. a. zukommen [vgl. Abschn.
3.6 Kostenanalyse auf Landesebene: Die geschätzten Personalkosten aller Landesaufsichtsbehörden betragen rund 30 Mio. € p. a.].
Dem steht gegenüber, dass die Arbeit des BMU sich im Zentralisierungsmodell auf
Rechts- und Fachaufsicht über die Bundesoberbehörde beschränken würde. Die
Rechts- und Fachaufsicht wird dabei nicht den gleichen Umfang haben wie für eine
zukunftsfähige Bundesaufsicht mit entsprechender Soll-Stärke notwendig wäre.
Zusätzliche Expertisen könnten entfallen, die im Auftrag der Bundesaufsicht heute
zur Belastbarkeit von Sachverständigen-Begutachtungen der Länder erstellt werden.
Bei Umsetzung des Zentralisierungsmodells würden sich voraussichtlich neue Möglichkeiten für eine verursachungsgerechte Refinanzierung durch ein zentrales und
transparenteres Abrechnungsverfahren eröffnen. Dies würde auch der Praxis in anderen Staaten entsprechen. So stammen z.B. nach Information des BMU 94% des
Budgets der Nuklearen Regulierungsbehörde der USA (NRC) für das Haushaltsjahr
2003 aus Gebührenrückflüssen.
Bewertung Kriterium 2: Einheitlichkeit staatlichen Genehmigungs- und Aufsichtshandelns im Bereich des Atomrechts
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Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
Abbildung 17: Bewertung des Zentralisierungsmodells - Kriterium 2
Im Zentralisierungsmodell kann das Genehmigungs- und Aufsichtshandeln selbst in
Bezug auf Methodeneinsatz, Qualität und Intensität an den gleichen, verbindlichen
Grundlagen und Standards ausgerichtet werden.
In einer Bundesoberbehörde besteht die Möglichkeit, die Prozessqualität beim Aufsichts- und Genehmigungshandeln der Außenstellen nicht nur durch Standards,
sondern durch geeignete Instrumente der Prozessüberwachung und –optimierung, z.
B. durch regelmäßige Reviews, laufend zu sichern.
Eine ganzheitliche Anwendung bundes- und landesrechtlicher Normen in Genehmigungsverfahren wäre bei einer zentralen Lösung gegenüber dem Status Quo zweifellos erschwert, da die Bundesoberbehörde das jeweilige Landesrecht bzw. durch die
Länder zu vollziehendes Bundesrecht nicht anwenden könnte (z.B. im Bereich des
Katastrophenschutzes). Hier müsste eine intensive Abstimmung mit den zuständigen
Landesbehörden erfolgen; ggf. kann gegenüber den Antragstellern weiterhin ein gemeinsamer Ansprechpartner für die Koordination des Verfahrens benannt werden.
Auf die eingeschränkte Bedeutung dieses Kriteriums bei den heute dominierenden
Änderungsgenehmigungen wurde bereits hingewiesen.
Die wichtigste Grundlage für die Etablierung eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses sind detaillierte Informationen über die Praxis und Ergebnisse des Aufsichts- und Genehmigungsgeschehens. Diese könnten im Rahmen der Bundesoberbehörde ohne Hindernisse gesammelt und dokumentiert werden. Die Aufbereitung
dieser Informationen z. B. durch Best-Practice-Analysen könnte ungehindert erfolgen. Verbesserungsmöglichkeiten könnten organisationsintern umgesetzt, erkannte
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im Bereich des Atomrechts
Schwächen ohne öffentliche Auseinandersetzungen zwischen Behörden behoben
werden. Die durchgängige Diffusion als optimal erkannter Verfahren und Methoden
kann verbindlich gewährleistet werden.
Bewertung Kriterium 3: Weiterentwicklung und Anwendung der Grundlagen
zum Vollzug des Atomrechts nach dem aktuellen Stand von Wissenschaft und
Technik
Zentralisierungsmodell
Erfahrungsrückfluss
Umsetzung int. Regelwerke
Aktueller Stand von
Wissenschaft und Technik
Abbildung 18: Bewertung des Zentralisierungsmodells - Kriterium 3
Im Rahmen des Zentralisierungsmodells könnten durch die Bundesoberbehörde einheitliche Maßstäbe für die Auslegung und Anwendung des gesetzlichen und untergesetzlichen Regelwerks erarbeitet und verbindlich umgesetzt werden. Einstimmigkeit bzw. Mehrheiten erfordernde Entscheidungsprozesse in Sachfragen zwischen
Bund und Ländern würden faktisch durch die Instrumente der oberbehördlichen Entscheidungsfindung ersetzt.
Eine zentrale Lösung bietet bei der Weiterentwicklung und Anwendung der atomrechtlichen Grundlagen nach aktuellem Stand von Wissenschaft und Technik eindeutige Vorteile bei der zeitnahen Organisation des Erfahrungsrückflusses aus der nationalen und ausländischen Aufsichts- und Genehmigungstätigkeit. Zwischen den Außenstellen der Bundesoberbehörde bestünde keine organisatorische Distanz mehr.
Die Überwindung der räumlichen Distanz würde nicht mehr primär durch Reisetätigkeit zu Gremien und Postverkehr bestimmt, sondern durch den Einsatz moderner
Kommunikationskonzepte wie integrierter Datenbanken und Portallösungen.
Die Umsetzung des internationalen Regelwerks in das deutsche Regelwerk und die
Abbildung des aktuellen Stands von Wissenschaft und Technik wird erwartungsgemäß begünstigt durch eine höhere Spezialisierung und bessere Kapazitätsausstattung in einem oberbehördlichen Zentralbereich.
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im Bereich des Atomrechts
Bewertung Kriterium 4: Schneller und ungehinderter Austausch von Informationen zwischen den Beteiligten über das Aufsichts- und Genehmigungsgeschehen
Zentralisierungsmodell
Wissensaustausch
Abbildung 19: Bewertung des Zentralisierungsmodells - Kriterium 4
Wie oben dargestellt, bietet das Zentralisierungsmodell bessere Voraussetzungen für
die Schaffung der notwendigen Grundlagen für einen ungehinderten Informationsund Wissensaustausch.
Zeitgemäße Instrumente der Erfassung, Erschließung und Bereitstellung von Informationen und Wissen basieren auf integrierten IT-Anwendungssystemen mit zentraler Datenhaltung. Ein besonderer Vorzug besteht in der sofortigen, flächendeckenden und auch dezentralen Verfügbarkeit der einmal im System bereitgestellten Informationen. Die Einführung, der Einsatz und die Pflege solcher Systeme im Rahmen einer zentralen Behörde zum Vollzug des Atomrechts ist ohne Einschränkung
möglich und geboten. Hindernisse für einen offenen Austausch aller verfügbaren
Informationen bestehen nicht.
Bewertung Kriterium 5: Eindeutige Verantwortlichkeiten für den staatlichen
Vollzug des Atomrechts
Zentralisierungsmodell
Gewährleistung der
Exekutivverantwortung
Eindeutige Verantwortlichkeit
gegenüber Dritten
o
Eindeutige Verantwortlichkeit
„im Innenverhältnis“
Abbildung 20: Bewertung des Zentralisierungsmodells - Kriterium 5
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im Bereich des Atomrechts
Hinsichtlich der Gewährleistung der Exekutivverantwortung der staatlichen Aufsicht
kann im Zentralisierungsmodell dem Risiko eines Verfalls der aufsichtsbehördlichen
Kompetenz wirksam begegnet werden.
Die Verantwortlichkeit gegenüber Dritten geht auf die Bundesoberbehörde über und
ist damit weiterhin eindeutig geregelt.
Zuständigkeitsfragen im Innenverhältnis können im Zentralisierungsmodell nur noch
zwischen dem Rechts- und Fachaufsicht führenden Ministerium und der Bundesoberbehörde auftreten. In dieser Konstellation sind die Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten grundsätzlich klar definiert.
Falls dies für erforderlich gehalten wird, kann der Bundesoberbehörde darüber hinaus eine gesteigerte Selbständigkeit bei der Wahrnehmung der Aufsichtsaufgaben
durch geeignete staatsorganisationsrechtliche Regelungen gewährt werden.
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im Bereich des Atomrechts
8.3
Bewertung Kooperationsmodell der Länder (Landeseigenverwaltung)
Bewertung Kriterium 1: Bereitstellung von Ressourcen zur Erfüllung des gesetzlichen Auftrags in angemessener Qualität und Quantität
Kooperationsmodell
der Länder
Finanzierbarkeit der
Ressourcen
o
Zweckmäßiger Einsatz der
Ressourcen, Kompetenzerhalt
o
Personalwirtschaftliche
Instrumente
o
Wirtschaftliche Nutzung der
bereitgestellten Mittel
o
Flächendeckende Präsenz
o
Abbildung 21: Bewertung des Länderkooperationsmodells - Kriterium 1
Mit der Realisierung des Länderkooperationsmodells ist die Vorstellung verbunden,
die Landesaufsichtbehörden in ihren gegenwärtigen Strukturen zu belassen und den
Vollzug des Atomgesetzes in Landeseigenverwaltung zu realisieren.
Hinsichtlich der Bereitstellung der Ressourcen zur Erfüllung des gesetzlichen Auftrags ergeben sich keine erkennbaren Änderungen gegenüber dem Status Quo. Die
Aufsichtsbeamten sind aufbauorganisatorisch den jeweiligen Landesministerien unterstellt. Sie entscheiden im Rahmen ihrer Organisationshoheit und Eigenständigkeit,
wie der Kompetenzerhalt und die Weitergabe von Know-How organisiert wird. Gleiches gilt für den Einsatz personalwirtschaftlicher Instrumente; hier ist davon auszugehen, dass insbesondere kleine organisatorische Einheiten weiterhin geringere
Handlungsspielräume haben als große Abteilungen.
Mit Synergievorteilen bei der Ressourcennutzung oder Kapazitätsauslastung ist bezogen auf den Status Quo nicht zu rechnen. Betriebsgrößeneffekte sowie die Möglichkeit der Spezialisierung wären ansatzweise weiterhin nur in größeren Landesaufsichtsbehörden gewährleistet.
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im Bereich des Atomrechts
Die flächendeckende Präsenz wird durch die dezentralen Strukturen auch weiterhin
sichergestellt.
Bei der Finanzierung des Ressourceneinsatzes ergeben sich aufgrund der Reduzierung der Bundesaufgaben auf die Rechtsaufsicht über die Landesbehörden voraussichtlich Einsparungen beim Einsatz externer Gutachter (GRS) durch den Bund.
Bewertung Kriterium 2: Einheitlichkeit staatlichen Genehmigungs- und Aufsichtshandelns im Bereich des Atomrechts
Kooperationsmodell
der Länder
Standardisierter
Genehmigungsprozess
o
Ganzheitliche Anwendung
bundes- und landesrechtlicher
Normen
o
Standardisierter
Aufsichtsprozess
o
Gewährleistung eines kontinuierlichen Verbesserungsproz.
o
?
?
?
Abbildung 22: Bewertung des Länderkooperationsmodells - Kriterium 2
Im Rahmen der Landeseigenverwaltung würden die Länder voraussichtlich die Arbeit
in den bestehenden Konsensgremien in eigener Verantwortung (mit wechselndem
Vorsitz) weiter fortsetzen.
Die Bewertung dieses Kriteriums hängt letztlich davon ab, ob die Ergebniswirksamkeit der Gremienarbeit im Sinne allgemein akzeptierter, verbindlich angewandter Regelwerke, Standards und Auslegungen verbessert werden kann, wenn die Länder
ohne den Bund in Eigenverwaltung handeln.
Einerseits entfällt damit ein erhebliches Potenzial für politisch motivierte Konflikte
zwischen der Bundes- und der Länderebene. Andererseits ändert sich am Konsensprinzip und dem Grundsatz der Regelsetzung ohne rechtliche Bindungswirkung zunächst nichts. Angesichts der Vielfalt der im föderalen System repräsentierten politischen Konstellationen kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass bei Grund-
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im Bereich des Atomrechts
satzfragen wie im Status Quo nachhaltige Störungen im Entscheidungsfindungsprozess auftreten.
Einheitliche Standards für die Durchführung der Genehmigungs- und Aufsichtsprozesse würden auch im Länderkooperationsmodell den Aufbau eines Systems zur
Sicherung der Prozessqualität erfordern. Mindestens in diesem Bereich erfordert der
Einsatz entsprechender Instrumente eine Selbstbindung der Länder an die Einhaltung verbindlicher Verfahren.
Die Überwachung der Standards könnte z. B. durch Peer Reviews erfolgen, die letztlich die Zweckmäßigkeitsaufsicht durch den Bund ersetzen. Hier bestünde die Herausforderung darin, unabhängige und auch kritische Analysen unter gleichberechtigten Partnern sowie eine verbindliche Umsetzung der Ergebnisse und Empfehlungen
zu gewährleisten. Erfahrungen mit dem Instrument der Peer Reviews auf internationaler Ebene sprechen aus Sicht von Vertretern des BMU eher dafür, die Wirksamkeit
des Instruments nicht zu überschätzen.
Die ganzheitliche Anwendung bundes- und landesrechtlicher Normen wird mit der
Landeseigenverwaltung wie im Status Quo gewährleistet.
Beim Aufbau eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses könnte für das Länderkooperationsmodell sprechen, dass eine große Anwendungsbreite ggf. ganz unterschiedlicher Aufsichtsphilosophien und Vorgehensweisen besteht, die zunächst nicht
zentral koordiniert werden. Dadurch ergibt sich ein größerer Pool an unterschiedlichen praktischen Erkenntnissen über die zweckmäßige Gestaltung der Aufsichtsarbeit, was wiederum der Suche nach optimierten Prozessen z. B. durch Best-PracticeAnalysen zu gute kommt.
Dieses Potenzial erschließt sich jedoch nur, wenn tatsächlich in einem koordinierten
Verfahren Erkenntnisse über die Aufsichtsarbeit systematisch ausgetauscht und zur
(Weiter)Entwicklung gemeinsamer Standards genutzt werden.
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Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
Bewertung Kriterium 3: Weiterentwicklung und Anwendung der Grundlagen
zum Vollzug des Atomrechts nach dem aktuellen Stand von Wissenschaft und
Technik
Kooperationsmodell
der Länder
Erfahrungsrückfluss
o
Umsetzung int. Regelwerke
o
Aktueller Stand von
Wissenschaft und Technik
o
Abbildung 23: Bewertung des Länderkooperationsmodells - Kriterium 3
Wie beim Zentralisierungsmodell sind auch hier die Grundlagen für einen wirksamen
Erfahrungsrückfluss, ungehinderter Informationsaustausch sowie schnelle und flächendeckende Erschließung von Wissen durch zeitgemäße Anwendungssysteme zu
gewährleisten. Der Aufbau des Wissensmanagement-Systems ist ein weiteres Feld,
das explizit eine länderübergreifende Kooperation (und Finanzierung) erfordern würde. Gegenüber dem Status Quo wird im Modell der Landeseigenverwaltung eine
solche Lösung aber wahrscheinlicher, da die rechtlichen Vorbehalte der Länder gegen eine umfassende Partizipation des Bundes am verfügbaren Wissen entfallen.
Die Mitarbeit in internationalen Gremien und die Einbringung des internationalen Regelwerks in die nationale Regelsetzung obliegt in diesem Modell weiterhin dem
Bund. Gegenüber dem Status Quo ergeben sich erwartungsgemäß keine grundsätzlichen Veränderungen. Gleiches gilt für die Abbildung und Berücksichtigung des aktuellen Stands von Wissenschaft und Technik.
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Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
Bewertung Kriterium 4: Schneller und ungehinderter Austausch von Informationen zwischen den Beteiligten über das Aufsichts- und Genehmigungsgeschehen
Kooperationsmodell
der Länder
Wissensaustausch
o
Abbildung 24: Bewertung des Länderkooperationsmodells - Kriterium 4
Grundsätzlich besteht hier die Chance auf eine Verbesserung gegenüber dem Status
Quo, wenn die Länder den Informationsaustausch untereinander gezielt, offen und
unter Anwendung gemeinsamer Methoden und Anwendungen gestalten (s. o.).
Bewertung Kriterium 5: Eindeutige Verantwortlichkeiten für den staatlichen
Vollzug des Atomrechts
Kooperationsmodell
der Länder
Gewährleistung der
Exekutivverantwortung
o
Eindeutige Verantwortlichkeit
gegenüber Dritten
o
Eindeutige Verantwortlichkeit
„im Innenverhältnis“
Abbildung 25: Bewertung des Länderkooperationsmodells - Kriterium 5
In Bezug auf die Gewährleistung der Exekutivverantwortung und die Verantwortlichkeit im Außenverhältnis ändert sich durch die Landeseigenverwaltung gegenüber
dem Status Quo nichts.
In diesem Modell werden aber die Verantwortlichkeiten „im Innenverhältnis“ zwischen Bund und Ländern durch die Einführung der Landeseigenverwaltung geklärt.
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Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
Der Bund konzentriert sich auf die Rechtsetzung und führt nurmehr Rechtsaufsicht
gegenüber den Ländern. Sachentscheidungen und Aufsichtshandlungen werden
vollständig von den Ländern verantwortet.
Auch im Modell der Ländereigenverwaltung kann sich eine größere Autonomie der
Landesaufsichtsbehörden für die Konsensfindung in den gemeinsamen Fachgremien
als zweckmäßig erweisen. Ob in dieser Frage ein Einvernehmen zwischen den Landesregierungen herbeigeführt werden kann, ist vom Gutachter nicht zu beantworten.
8.4
Zusammenfassung und Empfehlung
Der grundlegende politische Dissens über die friedliche Nutzung der Atomkraft, die
Auswirkungen des sog. Atomkonsenses und die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts haben die Frage der Zukunftsfähigkeit der bestehenden Verwaltungsstruktur im Bereich der Atomaufsicht verstärkt ins Blickfeld gerückt.
Zudem stellt die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben im Bereich der Bundesauftragsverwaltung für einen Zeitraum von 15 bis 20 Jahren noch weitere bzw. sich verändernde Anforderungen an die zuständigen Organisationseinheiten:
Das Kompetenz- und Anforderungsfeld wird sich in Teilbereichen für die staatliche
Aufsicht erweitern (Sicherheitsmanagement-Systeme auf Betreiberseite; Aufbau von
aufsichtlichen Kompetenzen in Bezug auf Betriebsorganisation, Geschäftsprozessgestaltung sowie das Management von Humanressourcen). Gleichzeitig wächst der
Druck auf die öffentlichen Haushalte und erreicht auch die staatliche Atomaufsicht.
Dies erfordert von den Aufsichtsbehörden auf allen Verwaltungsebenen ein erhöhtes
Maß an Qualifikation, Fähigkeit zur Spezialisierung und Flexibilität. Die Struktur der
Atomaufsicht auf Bundes- und Landesebene gibt Anlass zu Zweifeln, ob diesen Anforderungen in Zukunft entsprochen werden kann.
In vergleichsweise kleinteiligen, unter dem Druck der Personalreduzierung stehenden Organisationseinheiten bleibt kaum Zeit, um die Know-How-Entwicklung des
Personals der Exekutive entsprechend dem Stand von Wissenschaft und Technik zu
gewährleisten und in der praktischen Aufsichtsarbeit sowie zur Steuerung der Gutachter einzusetzen.
An Hand der Kriterienbewertung zeigt sich, dass beide Modellalternativen, Zentralisierung und Kooperationsmodell der Länder (Landeseigenverwaltung), gegenüber
dem Status Quo in Summe Vorteile aufweisen.
Das Modell einer Zentralisierung in Bundeseigenverwaltung ermöglicht Strukturen,
die hinsichtlich Kompetenzerhalt der Exekutive und wirtschaftlichem Ressourceneinsatz dem Status Quo überlegen sind.
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Zukunftsfähigkeit der Bundesauftragsverwaltung
im Bereich des Atomrechts
Aufsichts- und Genehmigungsprozesse können verbindlich an gemeinsamen Standards orientiert und einer Qualitätssicherung unterworfen werden. Der Erfahrungsrückfluss, Informations- und Wissensaustausch kann ungehindert und mit zeitgemäßen Mitteln erfolgen.
Das Zentralisierungsmodell eröffnet auch die Grundlage für störungsfreie Entscheidungsprozesse in Bezug auf die Adaption des Stands von Wissenschaft und Technik
und die Weiterentwicklung des kerntechnischen Regelwerks.
Die Bewertung der Landeseigenverwaltung hängt für die wesentlichen Kriterien
davon ab, inwieweit erwartet werden kann, dass die Länder übergreifende Strukturen
zur verbindlichen Kooperation entwickeln und störungsfrei betreiben. Solche Überlegungen sind nicht ganz ohne Beispiel, wie die länderübergreifende Zusammenarbeit
z. B. beim gesundheitlichen Verbraucherschutz zeigt. Hier wird u. a. angestrebt, die
Zusammenarbeit der Untersuchungsstellen auf der Grundlage von Verwaltungsvereinbarungen arbeitsteilig zu organisieren.16
Die beim Vollzug des Atomrechts an die staatlichen Behörden gestellten Aufgaben
wie auch die resultierenden Koordinations- und Kooperationsanforderungen erscheinen jedoch noch als deutlich komplexer. Zudem kann nicht erwartet werden, dass
bei der bestehenden Vielfalt der politischen Konstellationen im föderalen System
Konsensgremien erfolgreicher agieren als im Status Quo.
Das Zentralisierungsmodell im Rahmen der Bundeseigenverwaltung erscheint daher
als die vielversprechendste Alternative zur Sicherung einer zukunftsfähigen Atomaufsicht.
Düsseldorf, 22.09.2004
Dr. Frank Fleischle
16
Iris Oguz-Burchart
Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, „Bericht der
Arbeitsgruppe Reorganisation des gesundheitlichen Verbraucherschutzes“, Dezember
2001, S. 35
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