Als das E-Auto nicht kam

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Als das E-Auto nicht kam
Themen
Mobilität
Die Frau und das Elektroauto
Schon lange könnten wir vernünftige Autos haben: Der
Elektroantrieb existiert seit 100 Jahren. Damals kam er
den Verkehrsteilnehmern allerdings weibisch vor. Mal
abwarten, welche Ausrede ihnen als nächste einfällt.
Von Eva Herold
Der erste Satz des Autos jagte ihr einen Schreck ein. Die Gänge
knirschten beim Schalten, und sie dachte, er würde den Unterricht sofort
abbrechen, aber er lachte. Er sagte: „Brrr, immer mit der Ruhe. Fahren Sie
weiter“, und sie tat es.
(Alice Munro, Leidenschaft)
W
estlich sozialisierte Menschen beiderlei Geschlechts
weht es doch recht eigenartig an, wenn davon die Rede ist, dass Frauen
in manchen islamisch geprägten Umgebungen immer noch am Autofahren gehindert werden. Von Männern. Wie blöd, denken wir: Wo
sonst kann ein Mann denn heute noch einer Frau etwas beibringen –
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Themen
und dann lustvoll an ihr herummeckern, wenn
sie’s endlich kann, aber nicht so gut wie er.
Überhaupt, Autofahren. Die Aufgeklärteren
unter uns, egal ob Mann oder Frau, haben dazu
ein ambivalentes Verhältnis; viele bilden politisch
korrekte Fahrgemeinschaften oder nehmen
immerhin mit schlechtem Gewissen am Individualverkehr teil. Einige sind schon kurz davor,
ihre privaten Diesel- und Benzinschlucker wieder
abzuschaffen, aus Umwelt- und Kostengründen.
Besserverdiener steigen um auf einen Wagen mit
Hybrid-Antrieb – einer Kombination aus Elektro- und Verbrennungsmotor. Das ist angesagter
Öko-Chic, verbraucht weniger Energie, kommt
aber in der Anschaffung sauteuer. Wer zum Beispiel dieses Modell fährt, das sich das MedienPower-Paar Brad Pitt/Angelina Jolie angeschafft
hat, beweist ja nicht nur Verantwortungsbewusstsein, sondern zugleich, dass er es geschafft
hat, nicht wahr, dass er eben nicht zu den Minderleistern gehört, die darüber jammern, wie
heutzutage doch die ganze Gesellschaft Geisel der
„Schlüsselindustrie Kfz“ ist: Opelrettung! Daimlersorgen! Porscheübernahme!
D
mobil, das sich leider nicht, wie der Name verheißt, von selbst bewegt. Also waren zunächst
drei Antriebsenergie-Lieferanten (die lange Zeit
noch in Pferdestärken rechneten) relativ gleichberechtigt im Gespräch: Strom, Wasserdampf
und Erdöl, Letzteres in Form von Diesel und
Benzin. Die Diesel/Benzin-Fraktion hat gewonnen. Wieso eigentlich? Vielleicht auch deshalb,
weil Erdöl spottbillig war und vergleichsweise
leicht zu kriegen, wenn man zu den Kolonialherren gehörte und die Welt gepflegt untereinander
aufteilen konnte?
In ihrem Essay Weiblichkeit und der elektrische
Wagen legt Virginia Scharff Beweise dafür vor,
dass Elektroautos von Anfang an eher als „etwas
für Frauen“ gesehen wurden – schon wegen des
auf wenige Kilometer begrenzten Radius und
weil die Maschinen eben leise und sauber waren.
Diese Einstellung erzählt weniger von dumpfer
Frauenfeindlichkeit (man war viktorianisch-galant und gleichzeitig „frauenfeindlich“ auf eine
Art, die wir heute überhaupt nicht mehr nachvollziehen können) als vom damaligen Zeitgeist:
Die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert kannte noch viele männliche Auto-Skeptiker, die sich
arüber vergessen wir selbstverständlich nicht, welchen Zuwachs an Mobilität und,
ja: Freiheit das Autofahren gerade für Frauen einmal bedeutet hat (und im Irak, im Iran und in
Afghanistan sowie der tiefsten deutschen Provinz
noch immer bedeutet). Und welchen Fetisch-Status das Auto bei Männern inzwischen erreichen
kann. Mal abgesehen von allem, was uns Psychologen über die mannigfachen Konnotationen von
Form, Farbe und Funktion eines roten Ferrari
mit einem Primatenpenis zu sagen haben, erzielte
MTV mit dem Sendungsformat „Pimp My Ride“
(etwa: „Motz mein Fahrzeug auf“) absolute
Traumquoten, und neuerdings gibt es im Pay-TV
einen Spezial-Sender, in dem nur gekesselt und
geschraubt, getestet und gefachsimpelt wird: Motorvision TV gehört zum SKY Welt-Paket, kann
man abonnieren. Selbst die Kosmetikbranche hat
festgestellt, dass sich Duschgel für Männer nur
dann richtig gut verkauft, wenn zumindest die
Verpackung in Form und Anmutung einer Flasche Motoröl gleicht.
Literary Digest, März 1925
Und das bringt uns zum Kern des großen
Auto-Irrtums: Es geht hier nicht um Vernunft.
Männer haben zur Fortbewegung anscheinend
am liebsten etwas, das stark und schnell ist, Lärm
macht und stinkt. Pferde und später Kutschen
waren ihnen nicht genug, sie erfanden das Auto-
1925: Gefährt nur für Blumenmädchen?
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Rauch & Lang Electrics, Cleveland, Ohio
Weniger Ärger, geringere Kosten als ein Gasolin-Auto (Werbung, 1913)
aus Prinzip nicht im wahnwitzigen Tempo von
40 Stundenkilometern durch die Landschaft zu
bewegen wünschten. Wie viel grässlicher musste
so ein Höllenritt erst auf das schwache Geschlecht wirken! Scharff zitiert einen amerikanischen Autor, der den neuen „Sport“ enervierend,
schmutzig und gefährlich fand: „Einen motorisierten Wagen zu fahren ist kein Kinderspiel.
Niemand unter 18 sollte dazu die Erlaubnis bekommen (...) und eine Frau nie, außer, möglicherweise, für einen mit Elektrizität betriebenen
Wagen.“ Damen galten nun einmal als zu zart
für die Fährnisse der Moderne, als wenig belastbare, also schützens- und schonungswürdige Geschöpfe, die im Grunde auf der Straße nichts zu
suchen hatten, außer wenn sie (in Begleitung des
Mädchens) einkaufen gingen, Freundinnen trafen oder zum Essen ausgeführt wurden.
N
atürlich versuchte die aufstrebende
Autoindustrie, auch den männlichen Markt für
das Elektrogefährt zu interessieren – Detroit etwa
bewarb um 1910 händeringend einen ElektroRoadster für Gentlemen, aber der konnte sich bei
der Zielgruppe nicht durchsetzen. Und jene
Frauen, die sich über alle Konventionen hinwegsetzen und ebenfalls motorisiert durch die Gegend brettern wollten, sahen gar nicht ein,
warum sie auf einen Sechszylinder verzichten
sollten. Vor allem, wenn ihnen Typen wie ein gewisser Mr. Claudy, ein früher Fan der Elektroautos, der nachher noch die Auto-Kolumne im
Woman’s Home Companion schreiben durfte,
dermaßen von oben herab ins Gewissen redete:
„Die paar Mal, die eine Frau den Elektrischen
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30 Meilen in der Stunde fahren will, sind ja wirklich selten. (...) Es ist eine unnötig schnelle Geschwindigkeit für eine Vergnügungsfahrt. (...)
Wenn der Wagen, den Sie wählen, 25 Meilen in
der Spitze bringt, ist das schnell genug.“ Soso,
werden die Mädels mit Bubikopf gedacht und
sich gerade extra vom Gatten oder Papi einen
dieser lauten, schnellen Stinker gewünscht haben.
Hier gingen frühfeministische Aufbruchstimmung und ein mit dem Füßchen aufstampfender
Ich-will-aber-auch-Trotz eine bedauerliche, indes
nachvollziehbare Mesalliance ein. Wobei man
auch sagen muss: Das hatte was, wenn so eine Society-Lady, pelzbehangen und lasziv an der Zigarettenspitze ziehend, ihren Donnervogel selbst
um die Kurven lenkte. Scharff arbeitet in ihrem
Essay sehr anschaulich heraus, wie (relative)
Langsamkeit, Sauberkeit und geringe Reichweite
des E-Mobils – proportional zur sich stärker ausprägenden weiblichen Sehnsucht nach Gleichberechtigung und Unabhängigkeit – zu Chiffren
für Untauglichkeit in der (Männer-)Welt wurden. Tempi passati?
„Sexy, hip, elektrisch“ titelte die Abendzeitung
im August 2008 auf Seite 3 zum Thema
„Elektro-Fahrzeuge sind die Zukunft – aber wie
weit ist die Technik wirklich?“. Die Frage sollte
eigentlich lauten: Wie weit könnte sie heute
schon sein, wenn das Elektrofahrzeug seinerzeit
nicht in die Damenautofalle geraten wäre? Und:
Wird es wieder passieren? Den richtigen Durchbruch haben die Ingenieure schließlich immer
noch nicht geschafft, etwa bei den Batterien: Der
rasanteste Elektro-Roadster mit einer Reichweite
von knapp 400 Kilometern – er wird gerade in
geringer Stückzahl an wohlhabende Kundschaft
ausgeliefert, außer der ihn sich niemand leisten
kann – benötigt momentan zum Aufladen seiner
Lithium-Ionen-Akkus noch volle 16 Stunden,
schafft dann allerdings 200 kmh und verbraucht
auf 100 Kilometer den Gegenwert von nicht ganz
zwei Litern Super. Und das ist schon state of the
art – die anderen Hersteller pusseln entweder an
Autogas-Antrieben oder Feststoff-Batterien herum oder müssen schlicht zugeben, dass sie den
Trend verschlafen haben.
Wobei dieser Schlaf nicht gerade ein
unschuldiger war. In trautem Zusammenwirken
mit der Werbewirtschaft belieferten die Kfz-Hersteller ganz gezielt die Ohnmächtigen mit Träumen von Stärke und Potenz, rechneten eiskalt
mit der Gemütslage der meisten Männer und vieler Frauen, für die der satte Sound eines röhren-
Wikimedia
Das langlebigste E-Auto, der Detroit Electric, wurde von 1909 bis 1938 produziert.
den Auspuffs nun einmal Freiheit und Abenteuer
bedeutet. Wenn jetzt nicht rasch neue Vorbilder
auftauchen, die das Schumi-Prekariat jenseits der
Brangelina-Schiene für energiesparende Technologie begeistern können, werden die Manager der
global verbandelten Autoindustrie weiterhin keinen Anlass sehen, endlich in die Puschen zu
kommen.
Wir, die Verbraucher, Männer wie Frauen,
müssen vorerst selbstständig umdenken lernen:
Frauen müssen sich also abgewöhnen, den
schnittigen Sport- oder schweren Dienstwagen
ihres Auserwählten unterschwellig mit seinen vermutlichen Ernährerqualitäten zu assoziieren,
Männer müssen sich darauf einstellen, dass der
jeweils nächste Wagen nicht unbedingt teurer,
größer und schneller sein muss, um den sozialen
Aufstieg des Halters zu belegen. Denn der männliche Abiturient, der 2009 mit einem gebrauchten Polo anfängt, wird sicher nicht mit 40 einen
der heute üblichen Audis fahren, und selbst seine
gleichaltrige Kollegin, die eher dazu neigt, auf
Statussymbole zu pfeifen, wird in zwanzig Jahren
einen jetzt noch als „vernünftig“ geltenden Golf
oder so ein „Mädchenauto“ – denn die gibt’s
auch mit Verbrennungsmotor – wie den Nissan
Micra als absurd belächeln.
Nein, es muss schon irgendwie total
fett abgefahren endgeil werden, sich vernünftig
fortzubewegen. Damit es so weit kommen kann,
gehörten zunächst wohl auch etliche alte Vorstellungen von Kraft und Dominanz auf den Müll
der Geschichte oder ins Verkehrsmuseum. Werden Männer in der Zwischenzeit auf Hybrid-
Traktoren umsteigen, betrieben mit Rasierwasser-Gas-Gemisch oder irgendwelchen vom
Munde abgesparten Alkoholika? Werden sie im
Jahr 2020 (bis dahin, verspricht man uns, soll der
E-Antrieb ausgereift sein) mit einem dann superleisen Motorbike die Route 66 hinuntersäuseln
wollen, die immer noch kosmetikkoffergroße
Batterie im Beiwagen oder Kinderanhänger?
Wobei man einem gestandenen Hell’s Angel
damit natürlich nicht kommen kann – aber dafür
gibt es ja Sound-Designer. Die werden dann der
E-Maschine einfach den Lärm einer aufjaulenden
BMW Boxer oder Harley-Davidson implantieren, wie sie’s heute bereits für Mittelklasseautosmit dem Geräusch eines zufallenden Wagenschlags der Luxusklasse machen. Also, da gäbe es
schon noch Spielraum.
O
der die Welt wird insgesamt weiblicher, wie es die ZEIT im Sommer 2009 zumindest in der Arbeitswelt schon beobachtet hat?
Frauen bekämen schließlich in der krisengebeutelten Wirtschaft schneller ihre Jobs und demnächst wohl auch die besseren. Auch in der Autokonstruktion? Bisher wurden sie, außer in
Ausnahmefällen, höchstens zum Design konsultiert, und heraus kommen dann zum Beispiel geschmackvollere Farben für den Innenraum und
die optimale Position zum Einstöpseln eines
i-Pods im neuen kleinen Alfa. Wenn weibliche
Ingenieure sich erst der technologischen Seite annehmen dürfen, sind die Tage der Verortungsversuche männlicher Psyche beim herkömmlichen Verbrennungsmotor mit seinem Lärm,
Dreck und Gestank vermutlich erst mal gezählt.
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Vielleicht verhilft uns die Ressourcenknappheit
sogar noch früher zu Einsicht und Umkehr. Jetzt,
da der asiatische Drache endgültig erwacht ist,
wollen schließlich die Durchschnitts-Chinesen
bald ebenso selbstverständlich mit ihren Autos
am Individualverkehr teilnehmen wie wir. Ob
die wohl alle den indischen Billigheimer Tata
Nano in der E-Variante bestellen, der 2010 auf
den Markt kommt? Ist momentan etwa so wahrscheinlich wie beim Durchschnittseuropäer oder
-amerikaner. „Mein neuer Roman wird ein Ökodrama“, sagt der Schriftsteller T. C. Boyle (Die
Frauen), „auch wenn ich selbst fünf Autos in der
Garage stehen habe. Wir sind fünf Leute, das bedeutet fünf Autos, so ist das leider in Amerika.“
Folgerichtig befürchten viele Experten, dass der
Peak Oil noch schneller erreicht wird als befürchtet; einige meinen, er sei schon überschritten. Das
restliche Öl kostet, selbst wenn es aus den neuen
Pipelines von Kasachstan kommt, auf jeden Fall
noch mehr. Strom könnte hier tatsächlich die
günstigere Alternative sein.
Und irgendwo muss der Strom ja hin, den das
Alte Europa einspart, wenn wir dank Brüssel nur
noch Energiesparlampen statt Glühbirnen verwenden dürfen und dank des prächtigen deutschen Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) unseren Strom auf Solardächern gewinnbringend
selbst produzieren können. Gut, dann verschwinden die alten Stromfresser, dafür stolpert man anfangs überall noch über Leitungen, die unsere
Autos abends aufladen, damit wir morgens zur
Arbeit fahren können. „Himmelnochmal“, wird
der Hausmann gereizt maulen, wenn seine Alleinverdienerin mal wieder das Kabel nicht ordentlich aufgerollt hat, bevor sie zum Flughafen
losgedüst ist, „Frauen sind einfach zu schlampig.“
Aber irgendwann wird auch das nicht mehr als
Ausrede taugen, den Benzinern nachzutrauern,
und nach und nach wird Normalität einkehren.
In der Yellow Press werden die Schwiegertöchter
von Charles dem Publikum huldvoll aus ihren EBentleys zuwinken; die erwachsenen Adoptivkinder von Madonna und Angelina erzählen im
Privatfernsehen – vor der Kulisse kalifornischer
Shopping-Malls und brandneuer E-Funmobiles
– von ihren modischen Präferenzen, und eine
sichtlich gereifte Heidi Klum wird im TV-Spot
ihrem vielleicht schon etwas klapprigen Seal ein
neckisches Rennen im E-Offroader liefern (oder
eben werbewirksame Klone dieser Personen – wer
weiß schon, wer noch alles zum „Promi“ ernannt
wird, um dem Volk die Trends zu verklickern).
S
pätestens jetzt erhöhen auch E.ON,
RWE, Vattenfall und die anderen Absahner den
Strompreis und den Druck auf die Regierungen,
ein paar neue Atomkraftwerke zu bauen. Aber das
werden nur Rückzugsgefechte sein, und in einer
noch etwas ferneren Zukunft dürfte das Pendel
des „Fortschritts“ wieder in die andere Richtung
ausschlagen. Hat sich nämlich der E-Antrieb einmal durchgesetzt, werden auch schon, was wollen
wir wetten, die ersten Stimmen laut: dass man
doch so etwas Altmodisches wie Strom eigentlich
nicht mehr zur Fortbewegung nutzen sollte. Es
werden männliche Stimmen sein. Wahrscheinlich
erfinden die Herren als Nächstes etwas mit Wasserdampf, etwas, das wunderbar umweltfreundlich und preiswert ist, aber schön schnell anzieht,
dabei die Lenden angenehm kribbeln lässt und
außerdem ordentlich was auf die Ohren gibt.
Und vielleicht sogar ein bisschen stinkt.
Polmars, Wikimedia
Man sieht ihn kaum noch, aber er ist es: Michael Schumacher im Ferrari 248 F1 in Monaco (29. Oktober 2006).
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