Einfluss des Störgeräuschs und der Testmethode auf die

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Einfluss des Störgeräuschs und der Testmethode auf die
11. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Audiologie
Einfluss des Störgeräuschs und der Testmethode auf die
Sprachverständlichkeitsschwelle von jüngeren und älteren
Normalhörenden
Inga Holube, Sabine Blab, Katrin Fürsen, Silke Gürtler, Katrin Meisenbacher, David
Nguyen, Stefan Taesler
Fachhochschule Oldenburg/Ostfriesland/Wilhelmshaven, Institut für Hörtechnik und Audiologie
Schlüsselwörter
Sprachverständlichkeit, Alter, stationäres und fluktuierendes Störgeräusch, offene und geschlossene Testmethode,
Oldenburger Satztest
Einleitung
Zur Beurteilung einer Kommunikationsstörung werden in der Regel Sprachtests eingesetzt, die in einem
Hintergrundgeräusch durchgeführt werden sollten. Eine schnelle und reproduzierbare Messmethode stellt der von
Wagener et al. (1999a-c) entwickelte Oldenburger Satztest (OLSA) dar. Er wird in der Regel in offener Form
(mündliche Wiederholung des verstandenen Satzes, Beurteilung durch den Testleiter) angewandt. Als Störgeräusch
wird ein sprachsimulierendes stationäres Rauschen, das Oldenburger Rauschen (OLnoise), verwendet. Das OLnoise
wurde aus dem Sprachmaterial des OLSA generiert. Ziel ist die Bestimmung des Signal-Rausch-Verhältnisses für
eine Sprachverständlichkeit von 50 % (SRT). Für diesen Satztest wurden Referenzdaten mit einer Gruppe von
jungen Normalhörenden erhoben. Die Ergebnisse wurden mit denjenigen bei geschlossener Testdurchführung
(Auswahl der verstandenen Worte aus dem gesamten Sprachmaterial durch den Probanden) und unter Verwendung
von fluktuierendem Störgeräusch verglichen, wobei sich ein großer Unterschied zwischen jungen Normalhörenden
und älteren Schwerhörigen ergab (Brand et al., 2004; Wagener et al., 2006). Um einen möglichen Einfluss des
Alters auf die Messergebnisse zu erfassen, wurde für diesen Beitrag der SRT bei jüngeren und älteren
Normalhörenden in offener und in geschlossener Form bestimmt. Darüber hinaus stellte sich die Frage, ob beide
Probandengruppen in gleicher Weise von den zeitlichen Lücken in einem fluktuierenden Maskierer profitieren
können. Deshalb wurde neben dem OLnoise auch das für die Hörgerätemesstechnik entwickelte internationale
Sprachtestsignal (ISTS, Holube et al., 2007), das aus sechs verschiedenen Sprecherinnen zusammengesetzt ist,
sowie auch ein daraus generiertes stationäres Störsignal (internationales weibliches Rauschen, IFnoise) als
Maskierer verwendet. Zusätzlich wurde die Verwendbarkeit der geschlossenen Testdurchführung durch die
Erfassung der Messzeit beurteilt.
Material und Methodik
An der Untersuchung nahmen 15 jüngere Probanden (7 Frauen und 8 Männer) im Alter von 18-30 Jahren
(Mittelwert: 23 Jahre) und 15 ältere Probanden (10 Frauen und 5 Männer) im Alter von 50-63 Jahren (Mittelwert: 55
Jahre) teil. Alle Probanden wiesen eine Hörschwelle von maximal 20 dB HL im Frequenzbereich von 125 Hz bis 6
kHz auf. Die mittlere Hörschwelle betrug 1,5 dB HL für die jüngere und 10,7 dB HL für die ältere
Probandengruppe. Für die Durchführung des OLSA wurde das Oldenburger Messprogramm der HörTech gGmbH
verwendet. Die Darbietung des Satzmaterials erfolgte beidohrig über einen Sennheiser-Kopfhörer HDA 200 in einer
schallisolierten Kabine. Bei der offenen Testdurchführung wurden die verstandenen Wörter von den Probanden laut
artikuliert und von dem Versuchsleiter außerhalb der Kabine registriert. Für die geschlossene Variante des
Oldenburger Satztests wurde vor das Kabinenfenster ein Monitor für die Eingabemaske positioniert. Der Proband
klickte das Verstandene per Computermaus an. Jeder Proband führte zwei Übungslisten und sechs Testlisten, je eine
Liste für drei Störgeräusche und zwei Testvarianten (offen/geschlossen), mit je 30 Sätzen durch. Der
Störgeräuschpegel betrug immer 65 dB SPL. Als stationäre Störgeräusche dienten OLnoise, ISTS und IFnoise. Das
ISTS ist ein internationales Sprach-Testsignal, das aus den Aufnahmen von sechs weiblichen Sprecherinnen in sechs
verschiedenen Sprachen generiert wurde. Die Aufnahmen wurden in Abschnitte mit einer Dauer zwischen 100 und
600 ms unterteilt, welche anschließend in zufälliger Reihenfolge aneinander gehängt wurden. Das
Modulationsspektrum des Signals entspricht dem Modulationsspektrum der ursprünglichen Sprachaufnahmen und
damit auch demjenigen natürlicher Sprache. Das Langzeitspektrum des ISTS stimmt mit dem internationalen
Langzeitspektrum weiblicher Sprache überein (Byrne et al., 1994). In dieser Studie wurde das ISTS erstmalig als
Maskierer für einen Sprachverständlichkeitstest verwendet. Zur Erzeugung des IFnoise wurden 90 verschiedene
Abschnitte aus dem 60 s langen ISTS ausgeschnitten. Jeder Ausschnitt besitzt eine Länge von ca. 2,5 bis 3 s. Dies
entspricht nach Wagener et al. (1999) in etwa der Dauer eines Satzes des Oldenburger Satztests. Analog zur
Erzeugung des OLnoise wurden aus dem Material 180 Satzreihen mit einer Dauer von 60 s gebildet. Alle Satzreihen
besitzen jeweils zwischen den Ausschnitten zufällig generierte Pausendauern von 5 ms bis 2 s. Anschließend wurde
das IFnoise durch eine 30-fache Überlagerung aller zufällig zeitlich verschobenen Satzreihen generiert.
Einfluss des Störgeräuschs und der Testmethode auf die Sprachverständlichkeitsschwelle von jüngeren und älteren
Normalhörenden
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Ergebnisse
In Abb. 1 und 2 sind die Ergebnisse in Form von Boxplots dargestellt. Diese zeigen jeweils den Median, das 25%- und das 75-%-Quartil, den kleinsten und größten Wert innerhalb der inneren Eingrenzung (1,5 x
Interquartilspannweite) und Ausreißer. In Abb. 1 ist der SRT der jüngeren und der älteren Probandengruppe für die
drei Störgeräusche in der offenen (links) und der geschlossenen (rechts) Testversion aufgetragen. Sowohl für beide
Probandengruppen als auch für die beiden Testversionen ist zu erkennen, dass das OLnoise die stärkste
Maskierungswirkung aufweist. Das IFnoise zeigt eine um ca. 1 dB reduzierte Schwelle. Das ISTS führt zu einer
deutlichen Verbesserung des SRT von ca. 12 dB bei vergrößerter Interquartilspannweite. Bei dem Vergleich der
beiden Altersklassen zeigt sich ein um ca. 1,4 dB verringerter SRT für die jüngere Probandengruppe bei allen
Störgeräuschen und unabhängig von der Testmethode. Die Unterschiede zwischen den Altersklassen und den
Störgeräuschen sind signifikant auf dem 5-%-Niveau. Bei einem Vergleich der linken und der rechten Seite von
Abb. 1 sind nur geringe Unterschiede im SRT für die offene und die geschlossene Testversion erkennbar.
Signifikante Unterschiede ergeben sich nur für das IFnoise und das ISTS.
Deutlich stärker als auf den SRT wirkt sich die Wahl der Testmethode auf die Messdauer aus (siehe Abb. 2). Die
linke Seite von Abb. 2 zeigt die jeweils benötigte Messzeit für die drei Störsignale, die aus der offenen und der
geschlossenen Testversion für die jüngere Probandengruppe resultierte. Die rechte Seite von Abb. 2 beinhaltet die
entsprechenden Ergebnisse für die älteren Probanden. Die Messdauer ist sowohl bei den jüngeren als auch bei den
älteren Probanden in der geschlossenen Testversion deutlich erhöht. Der Unterschied beträgt zusammengefasst über
alle Maskierer ca. 2,0 min für die jüngere und ca. 3,1 min für die ältere Probandengruppe und ist statistisch
signifikant auf dem 5-%-Niveau. Bei einem Vergleich der linken und rechten Seite in Abb. 2 ist eine deutlich
größere Interquartilspannweite für alle Maskierer bei der älteren Probandengruppe unter Verwendung der
geschlossenen Testversion erkennbar. Bei der offenen Testversion sind diese Schwankungen deutlich kleiner.
Statistisch signifikante Unterschiede zwischen den Probandengruppen ergeben sich nur für die geschlossene
Testversion bei Verwendung von IFnoise und ISTS.
Abb. 1: Einfluss von Maskierer (OLnoise, IFnoise, ISTS) und Alter (< 30 Jahre, > 50 Jahre) auf den SRT für die offene (links) und
die geschlossene (rechts) Testversion.
Abb. 2: Einfluss von Maskierer (OLnoise, IFnoise, ISTS) und Testversion (g: geschlossen, o: offen) auf die Messdauer für eine
Testliste für die jüngeren (links) und die älteren (rechts) Probanden.
Einfluss des Störgeräuschs und der Testmethode auf die Sprachverständlichkeitsschwelle von jüngeren und älteren
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Diskussion
Die Ergebnisse zeigen, dass die Verdeckungswirkungen von OLnoise und IFnoise annähernd gleich sind, so dass
die Unterschiede zum ISTS auf die zeitliche Struktur des Maskierers zurückzuführen sind. Die zeitlichen „Lücken“
ermöglichen kurze Sprachwahrnehmungen ohne Verdeckung durch Störgeräusch. Die Pausendauern erscheinen mit
bis zu 650 ms recht lang und sollten in einer weiteren Untersuchung reduziert werden. Mit einer Pausendauer von
250 ms, wie bei dem fluktuierenden Maskierer ICRA5-250, könnten die relativ großen Interquartilspannen
möglicherweise reduziert werden.
Die jüngeren und die älteren Probanden zeigen nur geringe Unterschiede im SRT, die jedoch für alle drei
Maskierer erkennbar sind. Inwieweit kognitive Leistungen oder die um ca. 10 dB unterschiedlichen Hörschwellen
für diese Differenz verantwortlich sind, kann auf Basis der Messergebnisse nicht geklärt werden. Wünschenswert
wären hier auch weitere Untersuchungen mit einem noch älteren Versuchspersonenkollektiv, das möglicherweise zu
einer stärkeren Differenzierung führen würde.
Die geschlossene Testversion führt zu einer deutlich erhöhten Messdauer. Der vergrößerte Schwankungsbereich
für die ältere Probandengruppe resultiert daraus, dass einige Probanden Schwierigkeiten im Umgang mit der
Computermaus hatten. Der Kontakt mit dem Computer gehört für die jüngeren Probanden zum Alltag und
beeinflusste deshalb nicht deren Ergebnisse. Die geschlossene Testversion kann deshalb in der durchgeführten
Variante nicht empfohlen werden. Möglicherweise würde ein Touchscreen zu verbesserten Ergebnissen führen.
Zusammenfassung
In der vorliegenden Studie wurden drei verschiedene Maskierer hinsichtlich des SRT und der Messdauer mittels
des Oldenburger Satztests untersucht. Sowohl die stationären Störgeräusche OLnoise und IFnoise als auch das ISTS,
welches als fluktuierender Maskierer zum Einsatz kam, wurden in einer offenen und einer geschlossenen
Testvariante von jüngeren und älteren Normalhörenden durchgeführt. Die Art des Maskierers und auch das Alter der
Probanden hatte einen signifikanten Einfluss auf den ermittelten SRT. Für die beiden Testvarianten ergaben sich nur
geringe Unterschiede. Große Unterschiede für die beiden Testvarianten ergaben sich stattdessen bei der Messdauer
für eine Testliste, die durch Probleme einiger älterer Probanden bei der Bedienung der Computermaus noch weiter
erhöht wurde.
Acknowledgement
Wir danken Dr. Daniel Berg und Prof. Dr. Jörg Bitzer für ihre technische Unterstützung. Ebenfalls gedankt sei
allen Versuchspersonen für ihre Teilnahme an den Tests. Das ISTS wurde im Auftrag und mit finanzieller
Unterstützung der EHIMA und in Zusammenarbeit mit deren ISMADHA-Projekt erstellt.
Literatur
Brand T, Wittkop T, Wagener K, Kollmeier B (2004) Vergleich von Oldenburger Satztest und Freiburger Wörtertest
als geschlossene Versionen. 7. DGA-Jahrestagung, 10.-13. März 2004 in Leipzig.
Byrne D, Dillon H, Tran K, Arlinger S, Wibraham K, Cox R, Hagerman B, Hetu R, Kei J, Lui C, Kiessling J, Kotby
M, Nasser N, El Kholy W, Nakanishi Y, Oyer H, Powell R, Stephens D, Meredith R, Sirimanna T, Tavatkiladze
G, Frolenkov G, Westerman S, Ludvigsen C (1994) An international comparison of long-term average speech
spectra. J. Acoust. Soc. Am. 96(4), 2108-2120.
Holube I, Fredelake S, Bitzer J, Vlaming M (2007) Erstellung eines Testsignals mit Sprachcharakteristik.
Fortschritte der Akustik – DAGA 2007, 33. Jahrestagung für Akustik, 19.-22. März 2007 in Stuttgart.
Wagener K C, Brand T, Kollmeier B (1999a) Entwicklung und Evaluation eines Satztests für die deutsche Sprache
I: Design des Oldenburger Satztests. Zeitschrift für Audiologie 38(1), 4-15.
Wagener K C, Brand T, Kollmeier B (1999b) Entwicklung und Evaluation eines Satztests für die deutsche Sprache
II: Optimierung des Oldenburger Satztests. Zeitschrift für Audiologie 38(2), 44-56.
Wagener K C, Brand T, Kollmeier B (1999c) Entwicklung und Evaluation eines Satztests für die deutsche Sprache
III: Evaluation des Oldenburger Satztests. Zeitschrift für Audiologie 38(3), 86-95.
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