5. Jg.-Sommer2000

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5. Jg.-Sommer2000
5. Jg.-Sommer 2000
FILMBLATT13
ISSN 1433-2051
Herausgeber
CineGraph Babelsberge V
Berlin-BrandenburgischesCentrum für Filmforschung
Vorstand Dr Gunter Agde,Jeanpaul Goergen, Michael Wedel
ist dringend auf die finanzielle Unterstützung durch die Leser ange¬
Mit einem Forderabonnement von 30 DM tragen sie dazu bei, dass das
FILMBLATT auch weiterhin erscheinen kann
Wer will, kann unsere Arbeit auch mit einem höheren Beitrag fordern Eine
Spendenbescheinigung bzw eine Rechnung wird dann mit der nächsten FILM-
FILMBLATT
wiesen
BLATT-Ausgabe zugestellt
Im September nehmen wir unsere monatliche Reihe „FilmDokument"
in Zu¬
sammenarbeit mit den Freunden der Deutschen Kinemathek e V in den neu er¬
öffneten Arsenal-Kinos am Potsdamer Platz wieder auf Mit Hilfe zahlreicher
deutscher und ausländischer Archive versuchen wir auf diesem Termin, den bis¬
her vernachlässigten deutschen Non-Fiction-Film in all seinen Spielarten vorzu¬
stellen und wissenschaftlich aufzuarbeiten Wir bedanken uns beim Bundesarchiv-Filmarchiv Berlin für die erneute Unterstützung dieser Veranstaltungsreihe
Wir werden die Programme auch weiterhin im FILMBLATT ausführlich doku¬
mentieren
Bitte teilen Sie uns rechtzeitigVeränderungen Ihrer Anschrift mit, wir können
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Berlin, den 20 August 2000
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E-Mail Jeanpaul Goergen@t-onlmede
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500 00
Von Brummer zu Hitler
SeK-Business made in
berg)
Pasing (BRD 1969, R: Hans-Jürgen Syber-
FilmDokument 24, Kino Arsenal, 25. Oktober 1999
In Zusammenarbeit mit den Freunden der Deutschen Kine-
mathek, Berlin
Einführung: Michael Wedel
In Sex-Businessmade in Pasing begibt sich Hans-Jurgen Syberberg vorder¬
hand einmal nicht in die Abgrunde der deutschen Seele, sondern dokumen¬
tiert deren Untiefen. Sechs Tage lang begleitet, befragt und beobachtet er
mit seinem Kameramann Christian Blackwoodden bayerischen Sexfilm-Produ¬
zenten Alois Brummer bei der Arbeit. Syberberg: „Konnten Sie uns die Szene
etwas erklaren, was da gemacht wird?" Brummer: „Ja, das Madchen spielt
das Cowgirl. Hier dreht es sich ja, wie gesagt, um 7 Tochter der Grafin. Dieses
Madchen wird vom Grafen Eder (Porno) verfuhrt, wie ihr Verlobter nicht oder
zu spat zurückkommt.Da gibt es an und für sich nichts zu sagen..." (Das
Kino als Puff In: Syberbergs Filmbuch, Frankfurt/M. 1979, S. 79)
„So harmlos kommen die Dinge, die wir nicht ernst nehmen, bevor sie
Markt und Meinung selbstverständlich beherrschen," kommentierte Syberberg
die skurrilen Tage mit Brummer spater, (ebd., S. 78f) Heute, da die innerfil¬
mische Begegnung des (Pseudo-) Dokumentarischen mit dem Pornographi¬
schen zu den festen Bestandteilendes Reportage-Repertoiresjedes privaten
Nachtmagazins im Fernsehen gehört, markiert Syberbergs hintergrundig-amusanter Film nolens volens den Beginn eines zunehmend von seinem Gegen¬
stand vereinnahmten dokumentarischen Genres; in seiner Rhetorik und sei¬
nen verfremdenden Stilmitteln aber eben auch eine historische Differenz im
Blick der Bilderproduktionauf sich selbst: „Sonst ist alles klar und einsehbar
gemacht: Christian Blackwoodan der Kamera, ruhig sensibel Alles in einer
Woche aufgenommen, chronologisch geschnitten mit Zwischentitelnzur
Anmerkung und Information über Statistisches und Situation des deutschen
Films zur Zeit der Entstehung: 1969." (ebd., S. 79)
Syberbergs Film ist so nicht nur ein aufschlussreiches Dokument der „Ge¬
schäfte mit Film und Madchen" (ebd.) Ende der sechziger Jahre, sondern
auch Beispiel für eine in Ab- und Auseinandersetzung mit seinem Gegenstand
entwickelte Ästhetik der Transparenz: „Der Filmmacher wird sich und seinem
Objekt einen übersehbaren Raum und eine nachvollziehbareZeit schaffen,
worin sich seine Personen bewegen können. (...) Der Zuschauer weiß, wo und
unter welchen Bedingungenaufgenommen wurde und wann." (Zuhören, Mit¬
denken, Dirigieren. Wie ich Dokumentarfilme drehe, ebd., S. 83)
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In der Galerie von Syberbergs frühen dokumentarischen Portraits nimmt
Alois Brummer neben Fritz Kortner, Bertolt Brecht, Romy Schneider und
Winifred Wagner auf den ersten Blick eine etwas absonderlicheStellung ein.
Es spricht für die Konsequenzvon Syberbergs dokumentarischemAnsatz,
dass sein Blick sich dabei nicht verändert, sondern auch hier das Gedulds¬
spiel mit dem Portraitierten über die filmische Bloßstellunggeht: „Die Kame¬
ra wird einfach aufgestellt, und die Person redet oder macht, und wenn es
gut geht, also knifflig, dann hat er sie reingelegt, der Regisseur. Man muß
wissen und akzeptieren, dass erst einmal alle Menschen vor der Kamera dazu
neigen, sich zu verbergen mit Worten und Gesten. Dabei muß man sie lassen.
Es wird ein Versteck- oder Suchspiel sein. Die Widerspruche ergeben dann ein
Assoziationsgeflecht, mit dem der Zuschauer arbeiten kann." (ebd., S. 82)
Auf diese Weise wollte Syberberg seine Portrait-Serie „das Leben erzahlend,
ohne Fernseh-Interesse, als Archivgut unserer Geschichte" (Die freudlose Ge¬
sellschaft. Notizen aus dem letzten Jahr. München, Wien 1981, S. 127) fort¬
setzen, u.a. mit Henry Kahnweiler, Marlene Dietrich, Katia Mann, Oskar Ko¬
koschka, Lotte Lenya, Walter Mehring, Lotte Eisner, Marta Feuchtwanger,
Ernst Junger, Anna Seghers, Carl Schmitt, Karl Popper, Erich Fried, Herbert
Marcuse, Karl Böhm, Herbert Wehner, Alfred Kantorowicz, Lil Dagover, Rosa
Albach-Retty, Ernst Busch, Douglas Sirk, Olga Tschechowa, der Witwe von Alban Berg, Wilhelm Hoegner und Karl Donitz. Anfang der achtziger Jahre, als
viele der Genanntenbereits verstorben waren, mußte er jedoch feststellen:
„Kein Interesse, nicht bei den großen Stiftungen, in Bonn, nicht in den Zei¬
tungen, darüber zu diskutieren, zu ermuntern. Goebbels hatte 80 solche Por¬
traits ohne Ansehen ihrer Parteizugehörigkeitherstellen lassen. Sie sind die
einzigenjetzt im Bundesarchiv, außer dem über WW [Winifred Wagner]."
(ebd)
Vor dem Hintergrund dieses ehrgeizigen Projekts, den Makrokosmoseiner
Kultur am Mikrokosmos einer einzelnen, in dieser Kultur tatigen Figur darzu¬
stellen, erschließt sich der symptomatische Gehalt eines Films wie Sex-Busi¬
ness made in Pasing und eines Protagonisten wie Alois Brummer: „Um eine
Epoche oder sonstige wichtige Ereignisse darzustellen, kann es ergiebiger
sein, das an einer Person, einem Haus, einer Reise, einer Straße oder einem
Ort genau und übersichtlich zu demonstrieren, wenn Gegenstand und/oder
Thema als Zentrum eines Spannungsfeldes gut gewählt sind. (...) Dazu ist es
wichtig, den Mikrokosmos feinnervig und ökonomisch zu organisieren Je de¬
taillierter und subjektiver hier gearbeitet wird, um so weiter greift alles hin¬
aus." (Non-Fiction-Filme. In: Syberbergs Filmbuch, S. 56) Das trifft nicht nur
auf Syberbergs frühe Dokumentarfilme zu, deren methodische und ästheti¬
sche Prämissen eben auch eingegangen sind in die Arbeit an Hitler, ein Film
aus Deutschland (1977) und zum kontroversen Potential dieses Films beige¬
tragen haben: „Immer wird hier zunächst ein dialektisches Programm aufge-
baut; nicht nur im Wenn-Dann oder Gut-Bose, Weich-Hart, sondern auch in
Ambivalenzenund Spiel der Möglichkeiten wird man Leben und Menschen
umkreisen und auswagen und am Ende zur Diskussion stellen, wobei die Wer¬
tung notwendig impliziert, aber sorgsam und nicht terroristisch agitiert
wird." (Noch einmal. Das Requiem als Film-System, ebd., S 88)
In Syberbergs aus dem dokumentarischen Impuls entwickelten dialekti¬
schem Programm, das immer auch als ein dialogisches konzipiert ist, zeichnet
sich somit eine werkgeschichtliche Kontinuität ab, die (neben dem Knoten¬
punkt Bayreuth) auch eine Brücke von Pasing zum Obersalzberg, von Brum¬
mer zu Hitler schlagt: „Vielleicht ist man erstaunt, dass gerade Trivialität aus
der Provinz einer Münchner Vorstadt, vorgetragen in scheinbar harmloser
Form, über Kultur derartige Auskünfte geben kann. Naturlich hatte ich gern
eine Fernsehdiskussion nach der Sendung des Films gesehen. Denn der Film
selbst ist nur ein .Beitrag' zur notwendigenDokumentensammlung in der au¬
genblicklichenKrisensituation des Films. Er mußte ergänzt werden, er ver¬
langt es geradezu, ist nur Rohstoff zum Erfahrungsaustausch über die heutige
Ausbeutungdes Publikums durch gezielte Volksverdummung. Jetzt wäre ein
Film über Lummelfilmherstellerund Heintje-Verkauferfallig, und ich wurde
mir wünschen, einer nähme sich des sogenannten .guten Unterhaltungsfilms'
in Deutschland einmal dokumentarisch an." (Hans-Jurgen Syberberg: Notizen
zum Film [1970], Archiv der Freunde der Deutsche Kinemathek, Berlin)
Sex-Business made in Pasing
Produktion: Syberberg Filmproduktion,München 1969 / Regie, Buch, Idee- Hans Jürgen Sy¬
berberg / Kamera: Christian Blackwood.
Kopie: Freunde der Deutsche Kinemathek, Berlin; Format. 16 mm, s/w,Ton; Lange. 1030 m,
95 Minuten.
Städtebilder aus der Trümmerzeit
DEFA-Dokumentarfilmevon 1946
FilmDokument 25, Kino Arsenal, 26. November 1999
In Zusammenarbeit mit den Freunden der Deutschen Kine¬
mathek und der ICESTORMEntertainment GmbH, Berlin
Einführung: RalfSchenk
Die
Veranstaltung war einer Videoedition gewidmet, mit der die Berliner Fir¬
ICESTORM Entertainment eine Reihe von Kaufvideos zur DEFA-Dokumen¬
tarfilmgeschichte eröffnete. Diese Reihe, die im Laufe der nächsten Jahre den
Fundus des DEFA-Dokumentarfilms wenigstens partiell vorstellen wird, durfte
ma
wichtigen, jedermann zuganglichen Fundgrube für Historiker, Psycholo¬
gen und Soziologen avancieren. Mit Filmen wie Der Weg nach oben (Andrew
Thorndike, 1950), Baumeistei des Sozialismus (Theo Grandy, Ella Ensink,
zur
1953/1997), dass ein gutes Deutschland blühe (Joop Huisken, 1959),
Schaut aufdiese Stadt (Karl Gass, 1962), Lebenslaufe (Winfried Junge, 1980),
Leipzig im Herbst (Andreas Voigt, 1989) oder Die Mauer (Jürgen Böttcher,
1990) ermöglicht sie schon jetzt spannendeAuskünfte über Politik und Le¬
ben in der DDR, über die Degradierung des Medium Films zur Magd der Poli¬
tik, pathetische Heldenbilder, zügellosen Opportunismus aber auch das Be¬
streben von Regisseuren nach künstlerischer Autonomie
Den Anfang dieser Edition macht die Kassette „Aufbau Ost 1946", die vier
kurze Dokumentarfilme aus der unmittelbaren Nachkriegszeitversammelt. Sie
dokumentiert damit zugleich die filmischen Anfange der DEFA, die zum Teil
noch vor der Lizenzubergabe durch die sowjetische Militaradministration im
Mai 1946 begonnen wurden
Es sind weitgehend unpathetisch gemachte Arbeiten, die sich in ihrem zu¬
rückhaltenden Stil wohltuendvom aufpeitschenden Ton der Nazi-Wochen¬
schau abhoben, aber auch noch wenig von dem peinlichen Heroismus spate¬
rer DEFA-Produktionen ahnen lassen. Berlin im Aufbau, eine der ersten Arbei¬
ten des damaligen Wochenschau-Leiters Kurt Maetzig, zeigt die Anstrengun¬
gen der Bevölkerung auf allen Gebieten und über die Sektorengrenzen hin¬
weg. Parteipolitische Propaganda im Sinne der SED kommt fast nicht vor; ge¬
würdigt werden allerdings die Bemühungen der sowjetischen Armee, den All¬
tag in der deutschen Hauptstadt wieder auf zivile Bedurfnisse umzupolen
Potsdambaut aufentstand als erste Regie des niederländischenFilmema¬
chers Joop Huisken, der mit Joris Ivens gearbeitet hatte und als Fremdarbei¬
ter ins faschistische Deutschland zwangsrekrutiertworden war. Im Vorspann
des Films nennt er sich übrigens „Hans Huisken", eine „Eindeutschung" des
Namens, auf die er schon bei folgenden Filmen wieder verzichtete. Sein Debüt
ist dramaturgisch am Stil einer Rechenschaftslegung orientiert: Die berufe¬
nen Mitglieder des Stadtrates berichten ein Jahr nach dem Ende des Krieges
von den Fortschritten auf ihrem jeweiligenGebiet; den verbalen Auskünften,
die wie in einer Spielszene vom Oberburgermeister eingeholt werden, folgen
kurze dokumentarische „Belege".
Dresden fallt unter anderem deswegen etwas aus der Reihe, weil die Stilistik
des deutschen Kulturfilms massiv zum Tragen kommt: nicht zuletzt in der
optischen Gestaltung, die das Bild des im Sonnenschein schuftenden musku¬
lösen deutschen Arbeiters auferstehen laßt. Leipziger Messe schließlich, ein
erweitertes Wochenschau-Sujet, ist unter anderem deswegen interessant, weil
hier die außerordentlichbescheidenen Anfange der deutschen Wirtschaft, des
Handwerksund auch der Mode nach dem Zweiten Weltkrieg dokumentiert
sind In nahezu allen Fallen weisen die Filme auf die Wurzeln des Unheils in
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der deutschen Vergangenheit hin Bevor der Aufbau geschildert wird, lassen
die Regisseure die erste Hälfte des 20 Jahrhunderts und deren militaristische
und imperialistische TraditionenRevue passieren, um die Schuldigen am Zu¬
stand der Städte und Menschen zu benennen Auffällig ist, dass der Duktus
des Kommentars nicht auf Überredung gar Ubertolpelung des Zuschauers
setzt, sondern um Erkenntnis eine Übereinkunft ringt
Nicht auf der Kaufkassette befindetsich der Film Halle der sich mit seinen
Schlussbildernals direkte Wahlwerbung für die SED erweist (er wurde von der
Partei in Auftrag gegeben) Ebenfalls als Ergänzung zum DEFA-Stadteprogramm stellten wir die Produktion Wurzeln von 1986 vor eine Reminiszenz
an die ersten Jahre des ostdeutschen Films die Produktionsbedingungen die
Regisseure, die Versuche, an Traditionender Vor-Nazi-Zeit anzuknüpfen Em
Essay, das vor allem durch seine authentischen Aufnahmen überzeugt, in de¬
nen neben Staudte, Maetzig, Georg C Klaren Dudow, Erich Engel Artur Maria
Rabenalt und anderen auch Jean-Paul Sartre oder Bela Balazs bei DEFA-Besu¬
chen zu entdecken sind
Berlin im Aufbau
Kurt Maetzig / Buch Marion Keller / Kamera Harry Bremer, Otto Baecker, Erich
Nitzschmann, Heinz Jaworsky,Walter Fehdmer, Kurt Kngar, Herbert Korner, C Schlawe,
AlfredWestphal / Musik nach Kompositionen von Borodin,Gronostay, Haydn, Kollo, Schu¬
bert, Rimski-Korsakow / Schnitt Ella Ensink/Ton Karl Tramburg, Elisabeth Padel / Produk¬
tionsleitung Paul Schmidt /Aufnahmeleitung Fritz Anton/Assistenz-Regie Maxjaap
Produktion DEFA, 1946, Premiere unbekannt
Regie
Kopie VHS, 21', s/w (ICESTORM Entertainment)
Potsdam baut auf
Buch, Kamera und
Regie Joop Huisken / Musikalische Beratung,Schnitt Willy Zeunert
ProduktionsleitungAdolf Fischer
/
Produktion DEFA, 1946, Premiere unbekannt
Kopie 35 mm, Lichtton, 18', s/w (Bundesarchiv-Filmarchiv)
Leipziger Alesse 1946
Regie Kurt Maetzig / Kamera Erwin Anders, Richard Groschopp.Walter Roßkopf/ Schnitt
Ella Ensink/Produktionsleitung Paul Schmidt/Aufnahmeleitung Fritz Anton /AssistenzRegie Maxjaap
Produktion DEFA, 1946, Premiere unbekannt
Kopie 35 mm, Lichtton, 7', s/w (ICESTORM Entertainment)
Halle baut auf
Regie und ProduktionsleitungFred Braun /Aufnahmeleitung Fritz Anton /Assistenz-Regie
Max Jaap
Produktion DEFA-Produktion Sachsen-Anhalt,1946, Premiere unbekannt
Kopie 35 mm, Lichtton, 5', s/w (Bundesarchiv-Filmarchiv)
Dresden
Buch und Regie. Richard Groschopp / Szenanum:Vilmos Korn / Kamera Erwin Anders /
SchnittRichard Groschopp
Produktion.DEFA-Produktion Sachsen, 1946; Premiere unbekannt
Kopie:VHS, IS',s/w (ICESTORM Entertainment)
Wurzeln
Regie: Gunter Jordan / Buch: Christiane Muckenberger, Gunter Jordan / Dramaturg: Erwin
Nippert / Kamera-Trick. Michael Bieghold / Musik:Peter Gotthardt / SchnittViktona Diet¬
rich /Ton- Henner Golz, Ulrich Fengler / Produktionsleitung Karlheinz Haarnagell/ Spre¬
cher: RudigerJoswig
Produktion DEFA-Studio für Dokumentarfilme, Gruppe Kinderfilm, 1987;Anlaufdatum: 6
3. 1987
Kopie: 35 mm, Lichtton, 22', s/w (PROGRESS Film-Verleih GmbH)
Nationalsozialistische
Moderne
Kulturpolitik und musikalische
Verbotene Klänge Musik unter dem Hakenkreuz (BRD 1989/90;
R: NorbertBunge, Christine Fischer-Defoy)
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Filmdokument23, Kino Arsenal, 21. Dezember 1999
In Zusammenarbeit mit den Freunden der Deutschen Kine-
mathek, Berlin.
Einführung: MichaelWedel
Ausgangspunktvon
VerboteneKlange ist die Düsseldorfer Ausstellung „Entar¬
Musik", mit der die Nazis im Frühjahr 1938 auf ahnliche Weise die öf¬
fentliche Diffamierung der musikalischen Moderne betrieben, wie sie im Jahr
zuvor mit der Münchner Ausstellung „Entartete Kunst" ihren „Vernichtungs¬
tete
angriff" auf die bildkunstlerische Avantgarde gefuhrt hatten und diesen bis
1941 auf der Wandertournee dieser Ausstellung durch Deutschland und Öster¬
reich weiterführten, (vgl. Christoph Zuschlag: „Entartete Kunst". Ausstel¬
lungsstrategien im Nazi-Deutschland,Worms: Wernersche Verlagsgesellschaft
1995, Rez. in FILMBLATT 4, S. 41)
Die Idee zu diesem Film entstand anlaßlich einer von Albrecht Dumling und
Peter Girth zusammengestellten kommentiertenRekonstruktion der Ausstel¬
lung „Entartete Musik", die 1988 in der Berliner Akademieder Künste zu se¬
hen war. Wahrend Dumling und Girth in ihrer Rekonstruktion und Dokumen¬
tation (3., uberarb Aufl. Berlin: dkv 1993) vor allem den Kontext der natio¬
nalsozialistischen Musikpolitik in den Vordergrund ruckten, geht es Norbert
Bunge und Christine Fischer-Defoyin erster Linie um die
individuellen
Schicksale von Komponisten, Musikern und Musikwissenschaftlern,die in den
30er Jahren staatlichen Repressalienausgesetzt waren und ins Exil gezwun¬
gen wurden. So wird im Film nicht nur die zwiespaltige Kompromissbereit¬
schaft von Wilhelm Furtwangler und anderen Musikfunktionaren kritisch
durchleuchtet,sondern ebenso die Rolle beschrieben, die Musik und Musikauffuhrungen in Ghettos und Konzentrationslagernfür die von Verfolgung
und Internierung Betroffenen hatte man lese hierzu im Vergleich etwa das
beklemmende Kapitel in den Erinnerungen Marcel Reich-Ranickisüber das
judische Orchesterim Warschauer Ghetto, dessen Organisation der spatere Li¬
teraturkritiker übernommen hatte (Mein Leben. Stuttgart: Deutsche VerlagsAnstalt, 1999, S. 217ff)
In zahlreichenInterviewszeichnet der Film die Lebenswege emigrierter Mu¬
siker und Komponistenwie Berthold Goldschmidt, Herbert Zipper oder Ernst
Krenek nach, wobei der offizielle .restaurative' Wagner- und Bruckner-Kult
der Nazis mit der modernen Jazz- und Zwolf-Ton-Musik der diffamiertenund
vertriebenen Avantgarde kontrastiert wird.
Zur sinnfälligen Verschärfung des Kontrastsdienen den Filmemachern ein¬
geschnittene,der Gegenwart des Exillands USA entnommene Straßenszenen
mit afro-amerikanischenRap-Musikern. „Wieder und wieder landen sie dabei
in Los Angeles, filmen schwarze Frauen in China Town, die Einkaufstuten
über die Straße schleppen, Rapper beim Kaugummikauen und die Emigranten
beim Kauf der Tageszeitung in der nun zur Heimat gewordenenFremde",
kommentierte diese vielleicht assoziativ etwas verkürzende Vorgehensweise
Mariam Niroumand: „Das soll wohl so wirken, als hatten die Schwarzen in Los
Angeles irgend etwas mit der Zwölftonmusik zu tun." (Dachau, Los Angeles.
In: die tageszeitung, 9. 4 1992)
Betrachtetwird diese unvereinbare Gegenüberstellung von nationalsoziali¬
stische Kulturpolitik und musikalischerModerne entschieden aus der Per¬
spektive der Opfer. „Nicht der intellektuelle Verstand hat bei unseren Musi¬
kern Pate zu stehen, sondern ein überquellendesmusikalisches Gemüt," zi¬
tiert der Film eine Rede Hitlers aus dem Jahre 1938. Die Nazis erklarten die
Musik zur Domäne des Gefühls, emigrierte Schonberg-Schuler wie Hanns Eis¬
ler dessen „Solidaritatslied" in der Ausstellung „Entartete Kunst" zu den
diffamierten Werken gehorte wehrten sich vehement gegen die Ausschal¬
tung des Verstandes bei der Komposition und Rezeption von Musikwerken
und dekuvrierten muhelos die dahinter stehende Ideologie, (vgl. Eisler, Eini¬
ges über Musik und Politik (1937). In' ders.: Musik und Politik. Schriften
1924-1948. Leipzig: Deutscher Verlag für Musik 1973) Auch darin folgten ih¬
nen ihre tatsachlichen Erben der Gegenwart. So Hans Werner Henze, der 1987
feststellte: „In der Kunst gilt nur die Überwindungder Norm, also die Nicht¬
Norm, die Entartung, mit ihr fangt Kunst überhaupt erst an zu tonen, zu
leuchten, zu sein." (zit. nach Dumling/Girth, S. 7)
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Klange Musik unter dem Hakenkreuz
Norbert Bunge, Christine Fischer-Defoy/ Buch. Christine Fischer-Defoy, nach einer
Idee von Albrecht Dumhng/ Kamera- Norbert Bunge, Klaus Schrader / Schnitt Norbert
Bunge / Produktion: Maxfilm Wolfgang Pfeiffer, Berlin 1989/90
Kopie Freunde der Deutschen Kinemathek, Berlin, 16 mm, Farbe und Schwarzweiß, 83
Minuten
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Verbotene
Regie'
Keine Stadtsinfonie
Gigant
Berlin
(BRD 1964, R: Leo de Laforgue)
FilmDokument 27, Kino Arsenal, 10. Januar 2000
In Zusammenarbeit mit den Freunden der Deutschen Kine¬
mathek, Berlin
Einführung: Jeanpaul Goergen
Es handelt sich um den ersten abendfüllenden Farbfilm über West-Berlin, auf¬
genommen im Schatten des Mauerbaus 1961, zum Teil auch schon vorher. Leo
de Laforgue (1902-1980) porträtiert Berlin als eine „Stadt des Westens", dy¬
namisch und weltoffen. Dann: Beklemmende Szenen an der Berliner Mauer,
schärfste Angriffe gegen den Osten, Kennedy-Besuch1963. Unter dem Schutz
der alliiertenMilitarparadenverbindetsich trotzige Selbstbehauptung mit
ungebrochenemFortschrittsoptimismus.
Ein widerspruchlicherFilm über die „erregendsteStadt der Welt", die sich
naiv in ihren Widersprüchen eingerichtet hatte. Fünfzehn Jahre nach Kriegs¬
ende sind Optimismus und Zukunftsvertrauen angesagt, die Stadt gedeiht
wirtschaftlich, was sich auch in den von Laforgue immer wieder gesuchten
allgegenwärtigen „Werbemaßnahmen" zeigt. Die Filmfestspiele sorgen für in¬
-
ternationalenGlanz. Ein Blick zurück, immerhin: Aufnahmen der Gedenkstat¬
te Plotzensee, ausgerechnet mit Wagner untermalt. Man mag dies als Zeichen
der Unsicherheitwerten, vielleicht auch als Unbedarftheit oder Ungeschick¬
lichkeit.
Leo de Laforgue dessen Leben und Werk wie das so vieler Kulturfilmer
noch zu erforschenbleibt; die wenigen Anhaltspunkte werden hier mit aller
Vorsicht mitgeteilt konnte sich im „Dritten Reich" allem Anschein nach in
einer Zwischenposition behaupten. Einerseits etablierte er sich als weitge¬
hend unabhängiger Kameramann, andererseits arbeitete er als einer der Spe¬
zialisten, die von Leni Riefenstahl für Olympia engagiertwurden: seine Nah¬
aufnahmen von Hitler wurden besonders gelobt. Auch Hitlers Staatsbesuch in
Italien begleitete er mit der Askania-Schulterkamera. Der geburtigeKolner
Stationen: Kunstschule,Studium bei Max Ernst, Flugzeug-Ingenieur bei Ernst
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-
II
Udet, Regie-Assistentbei Max Reinhardt, Schriftsteller (Roman. „Holle im
Hirn", Drama- „Brand am Skaggerak") kam offenbarüber den Amateurfilm
ins Filmgeschaft In Berlin fand er dann das Thema, das ihn ein Leben lang
-
nicht mehr los lies, ein
einem „großangelegten
großer Berlin-Film
Bereits 1933/34 schwärmte er von
Berlin-Film", den er sich „sinfonisch, abendfüllend"
vorstellte, dabei Manuskript, Regie und Kamera in seiner Person vereinend
(Einer filmt „Gigant Berlin", Film-Kurier 263, 8. 11. 1934) „Seit den Tagen
der Olympiade arbeite ich, nur durch den Krieg unterbrochen, in den Straßen
Berlins an filmischenSchnappschuss-Aufnahmen, die spater die Unterlage zu
einem großen
Filmquerschnitt mit dem Thema .Gigant Berlin' ergeben sol¬
len.... Vor allem suche ich die Romantik der Weltstadt filmisch einzufangen." (Noch einmal. Berlin-Film, VolkischerBeobachter,96, 6. 4. 1941)
Es entstanden kleine Kulturfilmeüber Berlin, wie z B. Berliner Bilderbogen,
An den Wassern von Berlin, Vorfrühling in Sanssouci, Berliner Typen, auch
von avantgardistischenKurzfilmen wie Gotische Vision und Reflexe ist zu le¬
sen. Angeblich schuf Leo de Laforgue über 100 Filme allein über Berlin! Eini¬
ge seiner Berlin-Aufnahmen wurden auch in Spielfilmen wie Großstadtmelodie
und Zwei in einer großen Stadt eingesetzt. Helmut Kautners Unter den Brukken (1944/45) entstand nach einem Leo de Laforgue-Manuskript.
Gegen Kriegsende wurde Laforgue enteignet, das Negativmaterialseiner
Berlin-Filme wurde in einem niedersachsischenDorf aufgefunden und 1950
zu dem abendfüllenden Dokumentarfilm Berlin wie es war montiert. Mitte der
fünfziger Jahren entstanden neben weiteren Kulturfilmenauch Spielfilme wie
Kanaillen Drei Ganoven in Berlin In seiner eigenen Farbfilmproduktion ar¬
beitete Laforgue sowohl mit Agfacolor als auch mit Eastmancolor.
In Gigant Berlin steht die moderne Stadt im Vordergrund. Der offenbar in¬
tendierte sinfonische Aufbau, das Leben und Treibender Großstadt von mor¬
gens bis abends gelingt eigentlich nur in den ersten Minuten, danach verliert
sich der Film in Einzelbeobachtungen, die schon in seinen Berlin-Filmender
30er Jahre Laforgues Starke waren. Laforgue war zweifellos ein sehr begabter
Kameramann, auch sein Schnitt überzeugt, als Autor jedoch gelingt es ihm
nicht, sein Konzept über die abendfüllende Distanz durchzuhalten. So finden
sich gleich mehrere filmische Ansätze in Gigant Berlin: der freie künstlerische
Zugriff, der Werbe und Informationsfilm, der politische Agitationsstreifen,
der sachlich-dokumentierende Bericht. Wie schon in Berlin, wie es war kommt
er immer wieder in Filmzitaten auf Walter Ruttmann zurück. Im Gegensatz zu
diesem sucht Laforgue aber stets das Romantische, Idyllische und Wohlig-Ver¬
traute, das gilt sowohl für seine Kulturfilme der 30er Jahre als unterm Strich
auch für Gigant Berlin. Damitsteht er Basse naher als Ruttmann, der in Kadrierung und Anschluss nach Formung und Rhythmus suchte; Experimente
aber waren nicht die Sache von Laforgue, der die Kulturfilm-Behaglichkeit
nicht ablegen konnte.
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12
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Die zahli eichen Unemheitlichkeiten und Ungereimtheiten (etwa die verwir¬
rende Narration des Mauerbaus) von Gigant Berlin mag auf die Fmanzierungsprobleme zurückzuführen sein auch die Musik schwanktzwischen Wagner,
ist aber letztendlich
Berliner Gassenhauern und elektronischenKlangen
nur Ausdruck künstlerischenScheiterns Wenn man will kann man dieses
kuriose Stilgemisch als Ausdruck einer typisch West-BerlinischenNicht-Identitat lesen Es bleiben die zum größten Teil sehr plastische und kraftige Far
bigkeit Berlins der Mauerbau in Farbe auch Kennedys Ich bin ein Berliner
m Farbe
das Schmttmatenal zu Gigant Berlin (angeblich 53 Kilometer
Film1) ist ein ungehobenerSchatz
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Gigant Berlin Die erregendste Stadt derWelt
Produktion Leo de Laforgue Farbfilm-Produktion,1964 Hergestellt mit finanzieller Unterstutzung durch den Berliner Senat/ Gesamtgestaltung, Farbkamera, Regie Leo de Laforgue
/Buch Matthias Waiden / Sprecher Klaus Miedel / Farbverfahren Eastmancolor
FSK Jugendentscheid Nr 32143 vom I 6 1964 zu Gigant Berlin, Lange 2389 m „Der Film,
der längere Passagen über die Errichtungder Berliner Schandmauer und über den trium¬
phalen Besuch Kennedys zeigt, und ansonsten mehr alltäglicheAufnahmen von Berlin
bringt (keine Nachtlokale) konnte uneingeschränktfreigegeben werden
Kopie Archiv der Landesbildstelle Berlin (Nr FA 1708), 35mm, Farbe, 2 370 m 87'
"
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Anmerkungen
Credits It Vorspann Eine Leo de Laforgue Farbfilm-Produktion/ Gigant Berlin / Die er¬
regendste Stadt der Welt / Gesamtgestaltung, Farbkamera, Regie Leo de Laforgue
Uraufführung und Verleih konnten nicht nachgewiesen werden Bereits 1955 erschienen
erste Meldungen, dass Leo de Laforgue „mit Unterstützung maßgeblicher Stellen" dem¬
nächst einen neuen .abendfüllenden Kultur- und Dokumentarfilm über Berlin in Angriff
nehmen (wird), der auf Agfacolor farbig gedreht werden soll (Großes Programm von Leo
de Laforgue, Der neue Film,Wiesbaden, 14 4 1955) Im Sommer 1956 wird die baldige
Fertigstellung des Films angekündigt,der als „Brennpunkt Berlin" (ursprunglicherTitel
„Berlin, wie es weint und lacht') mit dem Untertitel „Das erregendste Pflaster der Welt"
vorgestellt wird „Der Film zeigt den Ablauf eines Tages, das Profil einer Weltstadt und die
verschiedenartigenGesichter des Berliner Leben (Farbfilm bald fertig Dokumentarstreifen über Berlins Leben, Die Welt, 29 8 1956) Im Herbst 1961 melden Berliner Zeitungen
erneut die baldige
Fertigstellung des Films „Mitte Oktober soll der erste abendfüllende
Dokumentarfilm in Farbe über Berlin, an dem der Regisseur Leo de Laforgue seit vier Jah¬
ren arbeitet,
fertig sein Der Film unter demTitel .Gigant Berlin' (,Die erregendste Stadt
der Welt') ist 2 600 Meter lang und enthalt u a auch die neusten Ereignisse der Abnegelung Westberlins Aufnahmen von Johnson und Adenauer bei ihren jetzigen Besuchen so¬
wie aus Ostberlin und ein Panorama des politischen, sportlichen und kulturellen Lebens in
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Berlin Geschildert wird
einTag in Berlin vom Erwachen den Weltstadt bis zur hchterfullNacht" (Die erregendste Stadt der Welt, Spandauer Volksblatt, 3 9 1961) Im Januar
1962 schließlich „Leo de Laforgue, der bekannte Berliner Dokumentarfilmmann, hat Sor¬
gen Wird sein gerade in unseren Tagen so wichtiges Werk .Gigant Berlin' bald den Weg auf
die Leinwand finden'" (Dieter Strunz Gigant Berlin in Farbe 53 Kilometer Film warten
auf eine Premiere, Berliner Morgenpost, 16 11962)
ten
13
Deutsche Filmografie 1895
-
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Die Top 100
Imografischen Daten aller!
Zielfilme bis 1998 und ^
jn zu den wichtigsten
:hen Filmgeschichte.
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Filmmuseum Berlin
Deutsche Kihemathek
Potsdamer Straße 2
10785 Berlin
Fax: 030/300903-13
e-mail:
[email protected]
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1
Nachruf auf eine
von
GünterAgde
27-Jährige
-
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-
Plötzlich und unerwartet verstarb nein nicht plötzlich auch nicht uner¬
wartet sondein leidet voraussehbai starb kürzlich eine Zeitschrift die ubei
lange Jahre ein unentbehrliches durchweg sehr lesenswertesund gehaltvol¬
les Kompendium modernerdeutscher Filmwissenschaftwar Film und Fernse¬
hen Unzureichende Finanzierung zwang zur Aufgabe auch die gutwillige
DEFA-Stiftung konnte sie nicht retten da ihre Satzung eine weitere Finanzie¬
rung untersagt
Immer, wenn eine gutgemachte Filmzeitschnfteingeht (und das war in den
letzten Jahren ja öfter der Fall) wird man traurig, weil wieder ein Teil von
Kultui im weitesten Sinne verloren geht Die aktuelle Trauerüber ein sol¬
ches Ende mischt sich mit Zorn darüber, dass es nirgendwo in diesem doch
wohlhabenden Land gelang eine Finanzieiung zu sichern die das Weiterle¬
ben der Zeitschrift garantiert hatte Nun konnte man sagen, dass nichts wei¬
terleben sollte was sich nicht lechnet Aber für viele Dinge gilt wohl immer
noch Brechts Galilei -Diktum dass sich nur soviel durchsetzt wie wir
duichsetzen Und da ging zu guter Letzt kein Weg rein wie dei Berliner
sagt um die Zeitschrift am Leben zu ei halten
Die Zeitschrift Film und Fernsehen (Berlin DDR) erschien seit 1973 mo¬
natlich im Umfang von mindestens 48 Seiten sie hatte lange Jahre ein DDRtypisches bieder-langweiliges Layout zweispaltig Noimsatz striktes
Schwaiz-Weiß die meisten Fotos nach Ait der phantasielosenSchaukasten
und Pressefotos
Sie tiat die Nachfolge dei Deutschen Filmkunst an der eisten DDR Film
zeitschnft Und sie sollte die filmwissemchafthchen und -historischen Pubh
kationen in Zeitschriften wie Wochenpost und Weltbuhne ebenso flankieien wie die Rezensionen und Voiankundigungen der 14-tagigen Filmillustnei
ten Filmspiegel die mit einei sehi hohen Auflage und schnellem Veikauf
das aktuelle Filminteresse dei potentiellen Zuschauer wachhielt In diesei
konzeitiei ten Aktion sollte Film und Fernsehen voi allem der schmalen
tapferen filmsuchtigen und tief filmkunstverstandigenFilmwissenschaftdei
DDR einen Oit dei Debatte des Nachdenkens dei öffentlichen Reflexion sein
Das hat die Zeitschnft über ein Vieiteljahrhundert
nehmt alles nui in allem
geleistet
enoim
Trotz gelegentlich massivei und so auch in einzelnen Heften abzulesendei
Einflussnahme durch doktunaie Film- und Kunst-Obeie der DDR-Fuhrungveistand sich Film und Feinsehen von Anfang an als ein Veisammlungsort senoser und senos schreibenderFilmwissenschaftler und -pubhzisten denen es
duichweg darum ging Werte Schönheiten Wideispiuche und auch Konflikte
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der Filmkunst in die Öffentlichkeit zu bringen, sie zu diskutieren, zu multi¬
plizieren und somit eine vertrackt-gutmutige,auf Einsicht und auf filmische
Argumente setzende Langzeitwirkung anzupeilen.
Freilich, meist vollzogen sich in dem Blatt wirkliche Diskussionen eher sub¬
kutan, verdeckt, infolge des sehr langen redaktionellen Vorlaufs zuweilen
wohl auch qualitatsmindernd Doch diese Subversivitat blieb hilfreich inso¬
fern, als sie eine Mitleserschaft umwarb und einschloss, die wirklich von der
Sache besessen war. Das gilt für jedes Heft und für das Ensemble aller. Das
bezieht auch diesen sonderbaren Dualismus zwischen Film und Fernsehen in
der DDR ein, der gelegentlich eigenwillige Bluten trieb: „Das DDR-Fernsehen
ist das Mediumder Parteiführung" O-Ton Eberhard Fensch, Agit-Abteilung
im SED-ZK die DEFA aber „betrieb" Kunst.. Der Dualismus war in der Zeit¬
schrift weitgehend aufgehoben, weil Macher und Autoren auf Anspruch und
Ernsthaftigkeit bestanden und folglich die (meisten) Ideologie-SeifenblasenBlaser draußen blieben.
Die Werkstattgesprache mit Filmemachern ein Charakteristikumüber viele
Jahre sind noch heute gültige Selbstaussagen im Sinne seriöser Quellenpu¬
blikationenund authentischerKommentare zu Filmen. Die Festivalberichte
holten filmspezifische Welthaltigkeit in die DDR, die in Tageszeitungsrappor¬
ten eher glattgehobeltblieb, zumal die DDR-Film-Oberen lange Zeit ignorier¬
ten oder diskriminierten, dass es eine internationale Bildsprachevia Welt¬
filmkunst gab.
Auch die Rezensionen einzelner Filme liest man noch heute mit Gewinn,
weil sie durchweg das Filmische darstellten und davon ausgehend erst urteil¬
ten (gelegentliche ideologie-trachtige „Ausrutscher"durchaus inbegriffen)
Gewiss, die Filmkunst der ehemals sozialistischen Lander wurde bevorzugt,
aber nirgendwo sonst in deutscher Sprache konnte man so fundierteund ma¬
terialreiche Arbeiten über Zoltan Fabri, Andrzej Wajda, Jerzy Hofman, Alex¬
ander Mitta, die georgischen Filme und und und lesen.
Zur Wende 1989/90 geriet die Zeitschrift in Not, da sie der Henschelverlag
in die Marktwirtschaftentließ. Rolf und Erika Richter, nach Rolfs Tod 1992
Erika allein, haben mit immensem personlichen Aufwand (immer dicht an der
Selbstausbeutung) die Zeitschrift 10 Jahre lang weitergeführt; nun mit sechs
Ausgaben im Jahr, doppeltem Umfang, mit modernem (bisweilen auch exzen¬
trischem) Layout bei gleichbleibendhohemNiveau. Werkstattgesprache und
weitergreifende Aufsatze nahmen nun auch kritisch unter die Lupe, welche
Defizite und Verzerrungen es in der DEFA-Filmkunst und -Wissenschaft gege¬
ben hatte, ein notwendiger Prozess auch der Selbstreinigung.
Zum Abschied von einem langjährigenguten Gefährten ein (schwacher)
Trost die Jahrgange von „Film und Fernsehen" stehen in jeder guten Fachbi¬
bliothek, ein ordentliches Jahresregister hilft beim Recherchieren,und der
Ausblick: ein jahrliches DEFA-Jahrbuch soll DEFA-Gehalte weiterfuhren...
-
-
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PS 1: Dorothea Becker hat jungst in ihrer Dissertation „Zwischen Ideologie
und Autonomie. Die DDR-Forschung über die deutsche Filmgeschichte" (Mun¬
ster 1999) den filmhistorischen Beitrag der Zeitschrift, der sich scheibchen¬
weise über die Jahre hin verteilte, angemessendargestellt.
PS 2: Das bemerkenswerte Zeitschriftenarchiv ist gerettet worden und harrt
im Filmmuseum Potsdam der archivarischenund wissenschaftlichenErschlie¬
ßung.
Dokumentarfilmin Deutschland:
Perioden Stile
-
von
Ralf Forster
-
Strategien
Die diesjährige Fachtagung der Medienwissenschaften an der Universität Sie¬
gen am 3. und 4. Februar 2000 (unterstutzt vom Haus des Dokumentarfilms
Stuttgart) stand ganz im Zeichen der Forschungen zum dokumentarischen
Film in Deutschland bis 1945. Die Wahl des Themas korrespondiertmit ver¬
stärkten Bemühungen, schwerpunktmäßigden lange vernachlässigtenNonFiction-Film zu untersuchen. In diesem Sinne arbeitet CineGraph Babelsberg
seit September 1997 mit der Filmreihe „FilmDokument". Und seit 1999 gibt es
das DFG-Projekt „Geschichte und Ästhetik des dokumentarischen Films in
Deutschland 1895-1945". [siehe FILMBLATT 12, S. 45] Das Siegener Forum bot
Gelegenheit, Anregungen zum Forschungsgegenstand auszutauschen und in
der Fachoffentlichkeit für dieses unterbelichtete Kapitel der Filmgeschichte
zu werben. Leider war die Publikumsresonanz an beiden Tagen eher gering.
Das ist um so erstaunlicher, als die Organisatorendurchwegsachkundige Re¬
ferenten gewinnen konnten.
Klaus Kreimeier und Peter Zimmermann führten in die Tagung ein und stell¬
ten das DFG-Projekt zum dokumentarischen Film in Deutschland bis 1945 vor.
Die Kooperation der medienwissenschaftlichen Institute der Universitäten
Siegen und Trier, dem Haus des Dokumentarfilms und dem BundesarchivFilmarchiv verspricht eine grundliche Aufbereitung der erhaltenen filmischen
Quellen und ihrer wissenschaftlichenAuswertung, die, so Peter Zimmermann
vom Haus des Dokumentarfilms (Stuttgart), auch neue Sichten auf den NSFilm als Propagandamediumeroffnen könne. Aus der Arbeit des Projektes
präsentierte Jeanpaul Goergen (Berlin) drei Filmbeispiele zum Thema Wo¬
chenschau, wobei die unterschiedlichenInhalte und Funktionen dieser Film¬
gattung in den zehner, zwanziger und dreißiger Jahren deutlich wurden
Michael Wedel (Berlin) skizzierte in seinem Vortrag über den Non-FictionFilm in Deutschland bis 1918 anhand von Filmbeispielen frühe ästhetische
Schemata. Zunächst den Panoramen entlehnt, waren „Bilder" von Straßen,
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-
Platzen oder Landschaften zumeist mit statischer Kamera aufgenommen und
sollten durch Objekte im Vordergrund (z B. eine vorbeifahrendePferdebahn)
Tiefe und damit Raumerlebnisse vermitteln. Diese Kurzfilmestellten auch
durch den oft im Titel verwandten Begriff „Bild" eine Beziehung zum beweg¬
ten oder unbeweglichen Schaubild her.
In ihrer spezifischen Ästhetik prägten Non-Fiction-Filme, so Wedel, die
Filmkultur in jedem Fall bis 1905 Mit der Etablierung ortsfester Kinos domi¬
nierten nun Spielfilme das Programm Wedel spitzte seine Ausfuhrungenzu,
indem er die Frage aufwarf, ob Non-Fiction-Filmeüberhaupt dem Kino als Ort
angemessenseien: eine Vermutung, die schon allein durch die Bedeutung des
dokumentarischen Films in Wissenschaft,Forschung und Lehre also in kino¬
fernen Bereichen sinnfällig erscheint.
Den Anfangen des Filmessays widmetesich der Beitrag von Thomas Tode
(Hamburg) Anhand von Inflation von Hans Richter (dem Inflationsbild aus
dem Ufa-Spielfilm Die Dame mit der Maske, 1928, Regie: Wilhelm Thiele) de¬
stillierte er zunächst die Grundzuge des Essay-Films, insbesondere den Ein¬
satz „erweiterter filmischer Möglichkeiten" wie Trick, Blenden, AnalogieMontagen usw. zur Kenntlichmachung brisanter Ereignisse und Fragestellun¬
gen der Zeit. Die Position Richters in seinem „Bildkommentar" sei, so Tode, in
„bestem Falle sozialdemokratisch".
Die Diskrepanz zwischen Richters kritischemBewusstsein und des im Film¬
essay abgegebenen Statement wurde in einem anderen Film noch deutlicher.
In Die Börse, 1939 von Richter im Schweizer Exil für die Zürcher Börse herge¬
stellt, dominiert der lehrfilmhafte Bericht über die Geschichte der Börse und
die Arbeitsablaufe. Dem fugte sich auch die Bild- und Montagestruktur. Nur
wenig sei hier von Richters üblicher filmischer Handschrift bzw kritisch-iro¬
nischer Position gegenüber dem Filmgegenstand zu spuren, eine Aussage To¬
des, die in der DiskussionWiderspruch hervorrief. Die Börse, so der Referent
weiter, sei aber mehr Auftrags- denn Autorenfilm.Die Anfange des Filmessays
bewegten sich demnach häufig im Rahmen von Auftragsproduktionen als
Autorenfilm entstanden Filmessays erst nach 1945.
Den Ausklang des ersten Konferenztages bildete der Vortrag von Rainer
Rother (Berlin). Sicher ist über Leni Riefenstahl schon viel geforscht und pu¬
bliziert worden und es bedeutet auch immer ein kleines Wagnis, auf einer
Fachtagung das strapazierte Thema aufzugreifenund dabei neue Erkenntnis¬
se zu präsentieren. Rothers Ausfuhrungen zu Riefenstahls Dokumentarfilmen
im Kontext einer Film-Avantgarde-Diskussionim Nationalsozialismus zeigten
jedoch durchaus bemerkenswerte Forschungsergebnisse,die wesentlich auf
einem genauen Quellenstudium, insbesondere einer Auswertungder Filmfach¬
presse, fußten. Der Referentzeichnete die (z.B. von Hans Schuhmacher) ge¬
führten Debatten um den absoluten Film anhand der Riefenstahl-Filme nach.
Bemerkenswert ist allein die Tatsache, dass solche ästhetischenDiskussionen
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überhaupt stattfandenund dass sie mit dem Vokabular der verfemten Avant¬
garde gefuhrt wurden Gleichzeitig kanonisierteder zeitgenossischePresse¬
diskurs zu den Riefenstahl-Filmendie angeblich „schöpferischenMomente im
deutschen Dokumentarfilm". Dass die hochgestochen geführte Debatte aber
letztlich nur sehr wenige filmische Kategorien berührte (und damit einer
Film-Avantgarde nicht gerecht wurde), zeige sich, so Rother, in der Beschran¬
kung auf Kameraeinsatz und einen nebulosen „Symphonie-Charakter". Die
These, dass Dispute um einen „vorbildlichen" deutschen Film kaum im Spiel¬
filmbereich, dafür um so mehr im Kultur-, Dokumentär-und Werbefilm ge¬
fuhrt wurden, lasst sich sicher auch anhand der Filme von Walter Ruttmann
oder von Oskar und Hans Fischinger nachweisen.
Der zweite Konferenztag begann mit einem Vortrag von Thomas Meder
(Frankfurt/M),der unter der Fragestellungstand, wie der Kulturfilm zu einer
„zutiefst deutschen Gattung" wurde. Nach Meder impliziere schon die Ver¬
wendung des Begriffes Kultur im Terminus „etwas Festes", eben Inhalte einer
realen Kultur, die dann oft durch einen didaktischenVoice-Over-Kommentar
begleitet wurden.
Dieser „Gestus des Wahren" fand im Nationalsozialismusauch seine Entspre¬
chung im Kinospielplan: Kulturfilmebildeten als Pflichtbestandteil jeder Vor¬
stellung das Bindeglied zwischen Wochenschau und Spielfilm. Der festen in¬
haltlichen und rezeptorischenStruktur des Kulturfilms in der NS-Zeit stunde,
so Meder, der Bereich Produktion gegenüber: Gerade kleinerenKulturfilmher¬
stellern gelang es, auch in der Diktatur ein Stuck Unabhängigkeit zu bewah¬
ren So schlussig auf den ersten Blick Meders Hypothesenscheinen,hatten
sie doch starker mit Filmbeispielen unterlegtwerden müssen. Notwendig
wäre sicher auch eine Abgrenzung zu verwandten Filmgenres wie Industrie¬
oder Lehrfilm.
Horst A. Wessel, Leiter des Mannesmann-Archivsin Bochum, behandelte die
Geschichte des Wirtschaftsfilms bis 1945. Zunächst definierte er sie als „Fil¬
me, die sachbetriebliche Vorgange, auch soziale, zeigen und von den Betrie¬
ben gedreht oder in Auftrag gegeben wurden." Werbefilme seien dabeijeweils
im Einzelfall zu prüfen. Chronologisch zeichnete er die Geschichte des Genres
nach, hob auf die ersten firmeneigenen Filmabteilungen ab (1911 SiemensSchuckert-Werke) und erwähnte frühe Wirtschaftsfilme (etwa eine MessterProduktion über die Kabelherstellungder AEG, 1912). BreitenRaum nahmen
dann Beschreibung und Interpretation des WerbekulturfilmsMannesmann
(1937/38, Ufa, Regie: Walter Ruttmann) in Anspruch, allerdings ein aufgrund
seiner ästhetischenQualität und ideologischenAufladung wenig repräsentati¬
ves Beispiel für den „sachbetrieblichen" Wirtschaftsfilm. Hinzu kommt, dass
Wessel zeitgenossische Kritiken zum Ruttmann-Film unhinterfragt anführte.
In dem abschließenden Beitrag von Thomas Leder (Köln) wurde die Medien¬
entwicklung nach 1945 thematisiert, technische Innovation, Medienproduk-
19
und -rezeption miteinander verknüpft Leder beschrieb die Entwicklung
der 16mm-Synchronkamera zunächst als Schritt, die Effizienz in der Fernseh¬
produktion zu erhohen. In diesem Zusammenhang kam es, bedingt durch die
neue Aufnahmetechnik, auch zur Steigerung des „vermeintlichDokumentari¬
schen" Mit der Möglichkeit, Bild und Ton zusammen aufzuzeichnen, konnten
beispielsweise „Menschen vor der Kamera miteinander reden" So gelang mit
der beweglichen Kamera ein Sprung in die soziale Wirklichkeit. Auf der Seite
der Rezipienten wurde, wie Leder anschaulich darstellte, der unreine und im¬
mer ein wenig unprofessionell wirkende 16-mm-Filmnun starker als doku¬
mentarisch empfunden und so die Vorstellung erhöht, dass das Fernsehen die
Realität stetig begleite und beobachte
Nach dieser anregungsreichen Fachtagung bleibt zu hoffen, dass die für wei¬
tere Forschungen zum deutschen Non-Fiction-Filmsehr nutzlichen Beitrage
recht bald publiziert werden.
tion
Verstreutes zu Dr. Caligari
von
Jeanpaul Goergen
I.
September 1925 veröffentlichte der Film-Kurier (Nr. 210) auf Seite 1
der Überschrift „Dr. Caligari als Buhnenstuck" folgende kurze Meldung:
„Paul Czinner, der bekannte Buhnenschriftsteller und Regisseurvon Nju und
des im Entstehen begriffenen Films Der traumende Mund hat ein Buhnen¬
stuck ,Dr. Caligari' auf Grund des Films Das Kabinettdes Dr. Caligari verfasst.
Den Buhnenvertrieb hat die „Schmiede" übernommen. Übrigens hat das
Theätre Guignol in Paris ebenfalls die Absicht, eine Dramatisierung des Dr
Am 7
unter
-
Caligan zur Auffuhrung
zu
bringen."
-
Letztere Auffuhrung kam tatsachlich zustande, und zwar Anfang Dezember
1925 im Theätre du Grand Guignol, wie Kristin Thompson (Dr. Caligari at the
Folies Bergeres, in: Mike Budd (Hg.): The Cabinet ofDr. Caligan Texts, Contexts, Histories. London 1990, S. 154f) mitgeteilt hat. Die Autoren waren An¬
dre Lorde und Henri Bauche. Nach dem Caligari-Theaterstuck von Paul Czin¬
ner wurde bisher offenbar noch nicht gesucht. Paul Czinner hatte Carl Mayer
nach 1914 in Wien kennengelernt so das CineGraph Lexikon zum deutsch¬
sprachigen Film Konnten Czinners Grotesken (z.B. „Satans Maske", 1914)
den Caligan von Janowitz/Mayer beeinflusst haben? Bemerkenswert auch,
dass der hier bereits als „im Entstehen begriffene" Film Der traumende Mund
(Drehbuch: Paul Czinner/CarlMayer, Dramaturgische Leitung: Carl Mayer) erst
1932 realisiertwurde.
20
2.
Die folgende autobiographische Skizze des Caligari-Regisseurs Robert Wiene
erschien auf Seite 14 der „Sonderausgabe des D.L S Aus Anlaß der Jubilaumstagung des Reichsverbandes Deutscher Lichtspieltheaterbesitzer am 15.18. August 1927 in Nürnberg". Es durfte sich um den einzigen bekannten und
selten zitierten Text Wienes handeln, in dem er sich auch zu Das Cabinet des
Dr Caligari äußert. In einer unsignierten Notiz wird Wiene als „Der Regisseur
unserer Zeit" vorgestellt „Die wenigsten wissen, daß Das Kabinettdes Dr. Ca¬
ligari der stummen Kunst die Tore zu einer unbekanntenZukunft geöffnet
hat. Dr. Wiene erstrebte die kinematographische Erneuerung und er suchte
dieses Ziel zunächst auf dem Wege der Aufnahmetechnik. Wohl war der Caligari-Film kein großer Geschaftserfolg, aber er leitete er Periode der Reinigung
und künstlerischenKraft beim deutschen Film ein. Es war die plastische
Sinnlichkeit, die dem bewegten Bild einen bisher ungeschatzten Wert gab. In
ihrer Einfachheitlag die reine Tendenz, und der neue Stil zeichnete sich
durch klare Formengebung aus." Der von Wiene für das Deutsche LichtspielSyndikat (D.L S.) inszenierte Film Die berühmte Frau wurde am 29. 10. 1927
in Nürnberg uraufgeführt, die Berliner Premiere war am 7. 11. 1927. Inwie¬
weit Wiene an dem Film Die Landstraße (D 1913, R- Paul von Worringen, nach
einer Vorlage von Paul Lindau) beteiligt war, bleibt noch zu erforschen. Über
Robert Wiene informiert bestens das Buch von Uli Jung und Walter Schatz¬
berg: „Robert Wiene. Der Caligari-Regisseur" (Berlin: Henschel 1995).
-
Wie ich
von
zum
Film kam?
Robert Wiene
Ich bin in der Tschechoslowakei geboren als der Sohn einer echten Kunstler¬
familie. Vater und Bruder fuhren auf dem Tespiskarren. Da der Apfel nicht
weit vom Stamm fallt, wurde ich Theaterdirektor. Der größte Teil meiner Le¬
bensarbeit galt der Buhne und Literatur. Ich darf mir das Verdienst zurech¬
nen, als einer der ersten von den Brettern, die die Welt bedeuten, zu der
Leinwand übergegangen zu sein, die dem Kunstlersowohl wie dem Volk heu¬
te das Weltall darstellt. Mein erster Film war Die Landstraße nach einem Buh¬
nenstuck von Paul Lindau. Dann versuchte ich es mit dem Kabinettdes Dr
Caligari. Die Idee dieses Films entstand bei mir aus dem Willen zum Subjekti¬
vismus Was ich damals erstrebt und vielleicht nur bedingt erreicht habe, wie
Moses, dem nur vergönnt war, Kanaan zu schauen, haben Spatere als Neuland
der Filmkunst entdeckt, indem sie das innere Leben der handelnden Personen
bildmaßig darstellten. Es ist das Los aller Bahnbrecher, zunächst von der
Menge nicht verstanden zu werden, denn schließlich gilt jeder, der aus der
Reihe vorspringt, für anormal. In den Augen des Durchschnittsaber und der
Mittelmäßigkeitwachsen die Erkenntnisse so langsam, daß der überragende
Geist des einzelnen die Anerkennung leider oft selbst nicht mehr erlebt. Für
21
die dekorativeBildillustration hatte ich die Ausdruckskunst gewählt; sie ins
Filmischezu übersetzen, war nicht leicht, und wenn es mir gelungen ist, so
verdanke ich es vor allem einem der größten Schauspieler, die es heute gibt'
Werner Krauß.
Tatsachlich ist der Dr. Caligari das Grundwerkzu allen meinen spateren
Schöpfungengewesen. Richtig ist wohl, daß der Impressionismus [sie!] im
Zusammenhang einen klaren Aspekt bildet. Die Welt in ihrer sinnlichen Er¬
scheinung ist nicht nur Illusion. Ebenso wie zu dem Kabinettdes Dr. Caligari
habe ich zu dem Film Raskolmkoff, den ich mit dem Moskauer Kunstlerthea¬
ter gedreht habe, die expressionistische Form der Szene nach den Entwürfen
von Konstantin Stanislawski [recte- Andrej Andrejew] gewählt Überall liegt
ihr die Auffassung von der einfachen Darstellungsformder Vorgange zugrun¬
de Immer muß der Regisseur, wenn er ein Kunstler ist, vor allem daran den¬
ken, ein Kunstwerkzu schaffen. Selbstverständlich habe ich den Naturalis¬
mus nicht verleugnet, soweit beim Film davon die Rede sein kann. Die filmi¬
sche Handlung muß lebensecht und in der Psychologieder Konflikte begrün¬
det sein.
Es sind dieselben Methoden, nach denen ich auch jetzt Die berühmte Frau
mit Lily Damita drehe. Die Innenaufnahmensind in Tempelhof fertiggestellt
worden, und zu den Außenaufnahmen haben wir uns nach Barcelona bege¬
ben, wo ein großer Teil des Films spielt. Lily Damita zeigt sich in diesem Film
in einem neuen Stil; es war eine Freude, mit dieser Frau zu arbeiten, die eine
Künstlerinvon höchsten Graden ist und deren Stern in eine aussichtsreiche
Zukunft strahlt.
Die deutsche Produktion nimmt innerhalb der europaischen eine fuhrende
Stellung ein. Am deutschen Wesen wird das Wesen des Films überhaupt gene¬
sen können. Amerika hat das Geld und fabriziert nach der Schablone der
Klassenproduktion. Was ihm fehlt, ist der Mut zur künstlerischenErneue¬
rung Der amerikanische Film ist äußerlich, der deutsche, der europaische
will Verinnerlichung, Vertiefung, Beseelung
Die Bildkunst ist eine Welt für sich. Wen der Film einmal gepackt hat, den
laßt er so leicht nicht mehr los. Es ist weniger der Wettlauf um Sieg und
Ruhm, als die innere Besessenheit, mit der wir einer Menschheitsaufgabe an¬
gehören.
3.
Am 15. Februar 1932
gab es im Rahmen der montaglichen Kulturfilmveran¬
der
staltungen Degeto (der sogenannte Degeto-Montag) im Berliner Film¬
kunstkino „Die Kamera" eine Wiederaufführung von Das Cabinetdes Dr. Cali¬
gari. Oskar Kaibus von der Ufa sprach zum Thema „Rund um den Film-Expres¬
sionismus" einleitende Worte. „Er führte aus, dass der Caligari-Film als Kind
seiner Zeit angesehen werden mußte, einer Zeit, die eben den Umsturz erlebt
22
-
und neue Werte gesucht hatte Okkultismus und das Sehnen nach transzen¬
dentalen Dingen seien die naturliche Folge des Krieges gewesen Verbindung
zu den Toten der Schlachtfelder sollten sie geben Dr Kaibus kam sodann auf
die Formulierungen von Impressionismus und Expressionismus zu sprechen
Der Cahgan-Film, der als Experiment gewagt worden und dessen Erfolg in al¬
len Landern so groß gewesen sei habe keine Basis für neue Filme werden
können, da er den Stilbruch zwischen naturalistischen Menschenund expres¬
sionistischer Umgebung nicht vermieden hatte, wahrend der von der Zensur
verbotene Karl-Hemz-Martin-Film Von Morgens bis Mittewacht als einziger
Stileinheit bewahrt hatte (Dr Kaibus-Vortrag, Film-Kurier 40, 16 2 1932)
Die LichtBildBuhne bringt m ihrem Bericht (Dr Kaibus spricht zu Cahgari'
in der „Kamera
LBB 39, 16 2 1932) daruberhmauseine wichtige Zusatzin¬
formation zur offenbar endlosen Produktionsgeschichte des Cahgan In ei¬
ner Beziehung unterlief Dr Kaibus ein filmgeschichtlicher Irrtum der Pro¬
duktionschef der Decla, der den „Cahgan ermöglichte, war kein andererals
Rudolf Memert und dies werden auch Robert Wiene, der „Cahgari'-Regisseur,
und Walter Reimann, der „Cahgari"-Architekt, die der Vorführung beiwohn¬
ten, bestätigenmüssen Die bisher bekannten Versionen, die insbesondere
Erich Pommer m den Vordergrund stellen, sind bei Jung/Schatzberg nachzu¬
lesen (Uli Jung, Walter Schatzberg Ein Drehbuch gegen die Cahgan-Legenden, in Das Cabmet des Dr Cahgan Drehbuch von Carl Mayer und Hans Ja¬
nowitz zu Robert Wienes Film von 1919/20 München edition text+kntik
1995, S 113-138, hier S 119ff)
,
,
,
"
4.
Die beste Website zu Das Cabmet des Dr
mengestellt
Cahgan wurde von Olaf Bnll zusam¬
//www
http
filmgeschichtede/f_cahgan htm
Drei Texte von Hans Janowitz
zusammengestellt von Helmut G.Asper und Jeanpaul Goergen
Tageblatt (Nr 189) eine von Walter Zadek re¬
digierte Themenseite „Revolutioniertdas Drehbuch1" ua mit einem Drehbuchauszug von
Henrik Galeen / Hans Janowitz,den wir hier dokumentieren Im Hauptartikel dieser Son¬
derseite versprach Karl Freund in seiner Eigenschaft als Leiter der deutschen Fox „Wir
brechen mit der Tradition'" Unter demTitel „Wie schreibt man Filmmanuskripte'" wur¬
den dann an Stelle eines Lehrbuches „praktischeBeispiele aus guten, noch unveröffentlich¬
ten Drehbuchern" abgedruckt die ersten Einstellungen aus Metropolis (Theavon Harbou),
zwei Einstellungen aus einem Film von Bela Balazs
(es handelt sich um das verschollene
Werk Die Abenteuer eines Zehnmarkscheines K 13513) sowie |eweils ein Ausschnitt aus Die
Reise nachTilsit (Carl Mayer) und aus Die Geliebte Roswolskys (Henrik Galeen / Hans Jano¬
witz)
Am 16 Oktober 1926 brachte das Berliner
23
Der Film Die Geliebte Roswolskys(R Felix Basch, UA 2.9 i 921) wurde vor einigen Jahren
Walter Seidler als viragiertes Fragment in Sao Paulo ausfindig gemacht, das noch unge¬
sicherte Nitromatenal liegt heute im Bundesarchiv-Filmarchiv. Ebenfalls im Bundesarchiv
überliefert ist Zirkus des Lebens (R-Johannes Guter, UA 15. 12. 1921) nach einem Dreh¬
buch von Hans Janowitz und Franz Schulz, und zwar in der russischen Fassung, derzeit
ebenfalls noch nicht gesichert (Jeanpaul Goergen)
von
Der verwandelte Auftritt.Wie sieht eine
Romanepisodeim Film aus?
„Die Geliebte Roswolskys", Roman von Georg Froschel (Rudolf Masse, Buch¬
verlag), S. 59/60, aus der Erzählung der
misch" gesehene
Schilderung:
Mia, die an sich schon sehr „fil¬
Das Unwetter war zu wild und mein Herz klopfte zu stark Da öffnete sich
die Tur eines vornehmen Wagens, der neben dem Fußsteig stand, und ein
grauhaariger Herr winkte mir, einzusteigen. Ohne zu wissen, was ich tat,
folgte ich ihm Seltsam still war es in dem Coupe, in dem ein Duft frischer
Blumen schwebte. Der Herr mit dem kleinen grauen Bart zog mich auf den
Platz neben sich, breitete eine Pelzdecke über meine Knie und sagte: ,Ich will
Sie nach Hause bringen, Kind.' Von diesem Augenblick an war mein Leben an¬
ders..."
..Ich wusste nicht, dass es Eugen Roswolsky war, mit dem ich im Wagen
saß Tief in die Polster gelehnt, fuhr ich dahin und hatte die Augen halb ge¬
schlossen Er fragte mich nach meiner Adresse und gab dem Kutscher durch
das Sprachrohr einen Befehl Wir fuhren schnell, die Hauser wichen zur Seite,
Baume und Buschwerk traten an den Weg, wir waren am Ausgang der Stadt.
Schon wurde zwischen den jagenden Wolken heller Sternenhimmel sichtbar.
Über einer hohen Mauer, an der wir dahinfuhren, wogten die Wipfel alter
Baume. Ich öffnete die Augen ganz, und ein frohes, reines Gefühl erfüllte
mich. Ich sagte: ,Es wäre schon, unter diesen Bäumen spazieren gehen zu
dürfen'
,Das dürfen Sie, wann und wie oft Sie wollen', sagte der Herr neben mit,
griff in die Tasche und reichte mir einen Schlüssel .Dieser Schlüssel öffnet
jedes Tor der Parkmauer. Der Garten ist groß und einsam, er gehört Ihnen
und mir allein...'"
„
„
Im Filmmanuskript, bearbeitet von Henrik Galeen und Hans Janowitz, fin¬
det sich neben den meist stark veränderten Szenen auf Seite 9/10 die obige
mit nur
geringer Umdeutung.
24. Sturmischer Wasserwirbel unter der Brücke.
25
Brückenpfeiler.
heftiger Gebärde
Maria in
24
Sie
ringt nach einem äußersten Entschluss,
vor
dem ihr unsagbar graut
26. Straße mit Brücke
a) Gesamt' Der Brücke zu fahrt eine Equipage Galonierte Bediente auf dem
Bock
b) Nah. Die langsam heranrollende Equipage Aus dem Fenster hinaus beugt
sich der Kopf eines scharf blickenden-Mannes. Er laßt halten.
c) Maria wendet sich jah um sieht staunt: Der Wagenschlag fliegt auf. Ein
scharf prüfender Blick unter buschigen Brauen liegt lange auf ihr. Der Mann
steigt aus. Mit einer hoflichen Geste sagt er, auf den Wagenschlag zeigend:
Titel „Bitte, steigen Sie ein! Es regnet Sie haben nichts zu befurchten."
Ruhig liegt sein Blick auf ihr. Maria hebt den Kopf. Sie weiß, ihre Schicksals¬
stunde hat geschlagen. Sie geht auf den Wagen zu und steigt ein
d) Der Wagen fahrt über die Brücke. Nach einer kleinen Weile erscheint auf
der Brücke ein Radfahrer, der dem Wagen folgt.
27 Straßenkreuzung vor dem Hotel Excelsior.
a) Gesamt: Es regnet nicht mehr. Roswolskys Wagen passiert die Straße. Wa¬
genverdeck aufgeschlagen.Ein Passant grüßt devot. Es ist Jean Meyer. Er¬
staunt blickt er dem Wagen nach.
28. Ein Gittertor mit schmiedeeisernen Ranken, darin große Initialen
-
-
-
-
„E. R."
Von halber Blende auf ganze aufgeblendet.
Die Equipage fahrt vor. Der Lakai springt hinunter und springt an den Wagen¬
schlag. Er empfangt von dem Alten den Torschlussel, entfernt sich, um zu
offnen
b) Nah: Im Wageninnern. Mia blickt, neben dem fremden Manne sitzend, er¬
staunt vor sich.
29. Das Tor.
Es ist geöffnet. Einblick in einen herrlichen Park
30. Vor dem Tor.
a) Nah: Das Wageninnere. Mia atmet die frische Luft des Parkes ein. Sie flü¬
stert vor sich hin:
Titel: „Paradiesisch schon!"
Der grauhaarige Herr sieht sie von der Seite an. Er lächelt, steigt aus und
wartet. Mia senkt die Augen. Sie macht keine Anstalten auszusteigen. Der
Fremde nimmt vom Schlüsselbund einen Schlüssel und überreicht ihn Mia mit
den Worten:
Titel. „Dieser Schlüssel öffnet jedes Tor der Parkmauer... Kommen Sie, wann
Sie wollen nicht früher und nicht spater Ich warte."
-
25
Die Geliebte Roswolsky's. Ein Wort derAutoren
Henryk Galeen und Hans Janowitz
von
Dieser offene Brief (erschienen im Film-Kurier213, 13 9 1921) ist einer der wenigen film
bezogenen Texte, die von Hans Janowitz bekannt sind Er dokumentiert vor allem, über
den Einzelfall hinaus, wie schwer sich Film-Autoren mit dem Funktionsverlustsowohl ih¬
rer Rolle als auch ihrerTexte im Rahmen der Filmproduktion abfinden konnten, berührt
aber auch grundlegende Fragen der Autorenrechte
redaktionellenNachwort verweist der mit J-s (Paul Ickes ') zeichnende Redak¬
des Film-Kurierauf einenAufsatz von Willy Haas („An die Filmdichter", Film-Kuner
64, 16 3 1921), wo diesersich mit einem vergleichbarenProtestThea von Harbous aus¬
einandersetzt Und fugt u a hinzu „Ja, meine Herren, was geht die Kritik denn das Manu¬
skript an, das Sie für Ihren Hausgebrauch herstellten'Was kümmert sich das Publikum,
von dem der Kritiker nur ein kleiner, bescheidener Teil ist, denn um das, was nicht gewor¬
den ist' Sie stehen auf dem Programm,Ihre Namen zieren die Vorblatterdes Films, also
sind Sie verantwortlichfür das, was Sie decken1 Von Ihrem besseren Manuskript, und
wenn es fünfzig Kritiker lesen, haben doch die zwanzig Millionen Kinobesucher Deutsch¬
lands nichts' Setzen Sie es doch durch einmal mehr sei es gesagt, daß auch Ihr geistiges
Eigentum ungeschmälert bleibe, wenn Sie Ihren guten Namen hergeben
Die Messter-Produktion der Ufa Die Geliebte Roswokkys in der Regie von Felix Basch mit
Paul Wegener und Asta Nielsen wurde im Film-Kurier202, 30 8 1921 rezensiert, einige
Tage spater vemss Paul Ickes in seiner Rubrik „Dramaturgische Streifzuge" (Film-Kurier
207,5 9 1921) das Manuskript als „in seiner ganzen Anlage verfehlt" Auf diese Kritik be¬
zieht sich der hier abgedruckte Text von Henryk Galeen und Hans Janowitz (Jeanpaul
In
einem
teur
—
"
Goergen)
Der künstlerische Film sieht bereits auf die Erfahrung immerhin einiger Jahre
zurück Seltsam daß es trotz immer wiederkehrender gleicher Lehre kaum
einen Kritiker gibt der sich in der Beurteilungdes Manuskriptes wel¬
ches er in den seltenstenFallen auch nur gelesen haben kann gewisse
Schranken auferlegen wurde Weiß man immer noch nicht, daß Manuskript
und Film Begriffe sind die nur dann zur Deckung gebracht werden können,
wenn der Regisseur, der den Film macht, mit dem Autor, der ihn geschrieben
hat identisch ist, oder zumindest in gemeinsamer Arbeitübereinstimmt7
Weiß man immer noch nicht, daß Auslassung eines grundlegenden Texttitels,
die Fortlassung einer charakterologischentscheidenden Szene den Sinn des
ganzen Dramas ins Wanken bringen, daß einschneidende Änderungen Fort¬
lassungen und Zutaten, die ein Regisseuram Manuskript begeht, den kompli¬
zierten Aufbau eines in allen Teilen organischverknüpften, dramatischen Ge¬
bildes zerstören müssen7
Zur Not kann ein Theaterkntikerein Drama das er nicht gelesen hat, aus
der Auffuhrung beurteilen denn das geistige Eigentum des Buhnendichters
ist geschützt sowohl vom Gesetz wie auch von der Tradition des Theaters
26
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27
das sich seiner kulturellen Verantwortung doch bewußt zu sein pflegt. Mehr
als der Buhnendramatiker mußte daher der Film-Autor von der Kritik verlan¬
gen, daß sie, ehe sie sein Werk beurteilt, es auch liest. Rudimentare Bruch¬
stucke des ursprunglichen Manuskriptes dürfen jedoch wohl kaum die Basis
einer ernsthaften kritischen Beurteilungsein.
Wir sagten der Sinn des ganzen Dramas käme ins Wanken, wenn eine Sze¬
ne, ein Text von grundlegender Bedeutungfortgelassen wurde, wird aber
eine Reihe solcher Szenen und Texte einfach gestrichen oder durch andere
ersetzt, wird die Exposition der Charaktere auf den Kopf gestellt oder ver¬
schoben, so hört die Verantwortung des Autors für das resultierende Werk
selbstverständlich auf.
Mit Recht wird der Kritiker fragen, warum in einem so eklatanten Falle die
Autorennamen auf einem Produkt prangen, dessen dramaturgisches Niveau
sie in künstlerischer Hinsicht herabsetzt. Hierzu ein Wort: Hatte man die Au¬
toren, wie es ihnen seitens der Ufa-Direktionzugesagt war, zu einer Probevorfuhrung vor der öffentlichen Premiere zugezogen, so waren zumindest die
gröbsten Änderungen und Auslassungen nicht gebilligt worden. Eine grundli¬
che Reparatur des Filmes durch textliche und szenische Korrekturen wäre
vielleicht noch möglich gewesen. Eine Weigerung seitens der Hersteller wurde
in diesem Augenblick noch das selbstverständliche Zurückziehen der Auto¬
rennamen bewirkt haben. Weil aber den Autoren der Film leider erst in der
Premiere zuganglich gemacht wurde und der Regisseures auch nicht der
Muhe Wert gefunden hatte, die Autoren eines Filmes, den er doch nur darum
zur Inszenierung bekam, weil der vorgesehene Autor-Regisseurerkrankte, zur
Beratung in Regiefragen heranzuziehen, so konnte selbst ein nachtragliches
Zurückziehen der Namen an der Sache selbst nichts mehr andern
Hier ist gewiß nicht der Ort, diese Angelegenheit in all der Ausführlichkeit
zu besprechen, wie sie sie verdienen wurde. In aller Kurze sei noch gesagt,
daß die Autoren an einer Fülle von Beispielen dartun können, wie der sorg¬
faltig verknüpfte,logische Zusammenhang und Aufbau des Sujets, offenbar
nur durch hastige Arbeitsubemahme, in einer sonst völlig unbegreifbaren,
die Sache selbst naturlich sehr schädigenden Weise über den Haufen ge¬
worfen wurde.
Die schiedsgerichtliche Untersuchung eines so eklatanten Falles von Nicht¬
beachtung durchdachter Szenenvorschriftenmußte für alle Mitarbeiter am
Film von exemplarischerBedeutungsein. Die Autoren sind bereit, ihre Sache
vor jedem literarisch und filmtechnischeinwandfreien Schiedsgerichtezu
vertreten und das schwere Unrecht zu beweisen, welchem sie als Verfasser
von Filmdramen sowohl von Seiten der Hersteller wie auch von Seiten einer
allzu uninformiertenKritik andauernd ausgesetztwerden.
28
Ein Leben an der Kamera. Zum Tode von Otto Kanturek
von Hans Janowitz
—
Der hier dokumentierte Text erschien am 4 Juli 1941 im Aufbau, New York, S.9-10 Es ist
der einzige von vier Aufsätzen,die HansJanowitz zwischen 1941 und 1952 im Aufbau pu¬
blizierte,der sich mit einem Filmthema beschäftigt Im Aufbau (4. 6 1954, S 12) erschien
auch der einzige bisher ermittelte Nachruf auf Hans Janowitz. Franz Spencer (= Schulz).
Hans Janowitz Aus der Grabrede, die der Freund des Verstorbenen Franz Spencer hielt.
(Helmut G.Asper)
Otto Kanturek, Kameramann der Twentieth Century-Fox-Film in London, 43
Jahre alt, geburtiger Tscheche, der seit sieben Jahren zu den besten Kamera¬
leuten Englands zahlte, berühmt wegen seines erfinderischen Geistes, ein
Mann, der wie kaum ein anderer von der Pique auf dem Film gedient hat, ist
mit einem Flugzeug der Royal Air Force, wahrend er Aufnahmen für den Fox¬
film A Yank in the R A.F. drehte, abgestürzt
Im August 1940 ist er aus London nach New York gekommen, nachdem er
die Aufnahmen zu The Girl in the News und Night Train beendet hatte. Im
September ging er nach Hollywood, um am 21. April 1941 nach London zu¬
rückzukehren. Keiner seiner Freunde hatte den wohlbeleibten, immer tati¬
gen, immer lustigen Mann jemals so verbittert gesehen, wie in den letzten
New Yorker Tagen, da er sich gezwungen sah, nach England zurückzukehren,
weil die Organisationseiner amerikanischen Kollegen, die Cameramen Union
in Hollywood, trotzdem er bereits vor vier Jahren in die U.S.A. eingewandert
war und trotzdem er viele Jahre hindurch in den Diensten von TwentiethCentury-Fox-Film,einer amerikanischen Gesellschaft in London gearbeitet
hatte, seine Aufnahme in die Union abgelehnt und seine Tätigkeit in Holly¬
wood verhinderte.
Als Knabe fand er alle Anregung für seine spatere technische Findigkeit in
der Wohnungseines Vaters: der war der österreichische Generalvertreter grosser Spielwarenerzeuger,die Wohnung in Prag war stets ein Lager von neue¬
stem Kinderspielzeug. Als die Eltern nach Wien übersiedelten, gelang es dem
fünfzehnjährigen Jungen, ohne Wissen des Vaters, als Beleuchter im ApolloTheater auszuhelfen, wo er zum ersten Assistentendes Oberbeleuchtersauf¬
ruckte Für das erste, selbstverdiente Geld kaufte er sich ein Fahrrad, um
nach der Vorstellung einer zweiten heimlichen Stelle im Prater nachgehen zu
können: Filmvorführer in einem Kino. Im Wurstelpraterwar er bald so be¬
kannt, dass er da und dort aushalf, wo seine Beleuchtungskunste oder Kino¬
kenntnisse gebraucht wurden. Eines Tages hatte er den Ausrufer im Flohzir¬
kus zu ersetzen, als ein Onkel im Zuschauerraum auftauchte, der ihn eruierte
und sein Doppelleben enthüllte... Endlicherlaubte ihm dann sein Vater, Photographie und alles, was dazu gehorte, an der Kunstakademie zu studieren.
So stand er also schon mit siebzehn Jahren an der Filmkamera. Und Erich
'
29
-
Pommer damals der Wiener Repräsentant von Pathe Paris beschäftigte ihn
mit Lokalaufnahmen Seine erste Leistung brachte ihm den unheimlichen Ruf
des Mannes der den Erzherzog Franz Ferdinand geköpft hat er nahm eine
Truppenparade bei Wien auf und der hohe Herr Truppeninspektor der K
und K Armee erschien auf dem Bilde ohne Kopf Er war es der die letzte
Ausfahrt des Kaisers Franz Josef aufgenommen hat Er wai es der Franz Fer
dinands letzte Truppenparade gefilmt hat Im Krieg war er dann dem Stabe
des Kaisers Karl zugeteilt und machte Aufnahmen des Kaisers wahrend dei
Offensive im Frühjahr 1918 gegen Italien filmte den Vormarsch vom Isonzo
an der Piave den Ruckzug der italienischen Armee und General Hotzendorff
kurz vor dem Zusammenbruch der Monarchie
Im Dienste des österreichischen Knegspresse Quartieres wurde er eines Ta
ges nach dem KnegshafenPela abkommandiert
Der einzige österreichische Dreadnought die Viribus Unitis schaukelte in
einer Distanz von fünfhundert Schrittenfriedlich in der Sonne Spielerisch
stellte Otto die Kamera auf das Schiff ein steckte sich eine Zigarette an und
schaute gähnend auf die Meeresflache Drüben sah er ein kleines Torpedoboot
in den Hafen fahren offenbar von Patrouille zurück Das fiel niemanden auf
das war tägliche Routine hier Aber plötzlich ertönte eine dumpfe Detonati¬
on Kanturek sah wie das Verdeck des Dreadnought sich
langsam senkte und
er begann zu drehen
er drehte den berühmten Untergang des von einem
italienischen Torpedo getroffenen Dreadnought Nach dem Krieg begann er
Filme zu drehen erst in Wien dann in Rom endlich in Berlin Und hier in
den grossen Jahren des deutschen Filmes wurde er zum Meister Nahezu alle
grossen Regisseure und Produzenten haben ihn durch zwanzig Jahre dauernd
beschäftigt F W Murnau Joe May Erich Pommer Konrad [recte Robert]
Wiene Hanns Schwarz Korda Pressburger 1933 verhess er Berlin und be
gann zunächst in Prag Filme zu produzieren Dann ging er als Kameramann
nach England wo Korda eine englische Filmproduktion aufzuziehen begann
Kanturek wurde in London unentbehrlich er wurdeder fuhrende Kamera
mann der englischenFilmproduktion Eine eigene Firma Bntish Color Pro
-
cess
30
-
verwertete seine
Farbfilmpatente
„SelbstmörderischeSachlichkeit"
Aus einem unveröffentlichten
über Wilfried Basse
vorgestelltvon ThomasTode
Manuskript von Gertrud T. Basse
Wilfried Basse der aus Hannoverstammende Pionier des Dokumentär-und Avantgarde¬
films, wurde vor allem durch seinen Kurzfilm Markt in Berlin I Wochenmarkt aufdemWitten
bergplatz (1929) bekannt In der Endzeitder Weimarer Republik vibriert er im Umfeld be¬
kannter Kunstler wie Hans Richter, Mohoiy Nagy, DzigaVertov
Basse dreht Filme über modernes Bauen und einen Film über die kommunistische Thea¬
tergruppe Das Rote Sprachrohr Für seinen abendfüllenden QuerschnittsfilmDeutschland
zwischen gestern und heute (1932/34) fahrt er kreuz und quer durch seine Heimat, spurt
interessante Bilder eines großenteils noch agrarisch geprägten Deutschlands auf, das aber
in großen Veränderungen zur Industrienation begriffen ist Der visuell herausragend foto¬
grafierte Streifen wird von dem HannoveranerVerleger und Kunstmazen August Madsack
finanziert und auf den Filmfestspielen von Venedig 1934 ausgezeichnet Es ist kein Nazifilm,
aber einer der sich unpolitisch gibt, um nicht anzuecken Treffend makaberbeschreibt ei¬
ner der verworfenen Titelvorschlage für diesen Film Basses Schicksal in der Nazizeit
„Zwischen zwei Stuhlen"
Er wird von Lern Riefenstahl als einer der Kameramanner für den Olympia-Film ange¬
heuert und glaubt durch unpolitische Arbeiten für die Reichsstelle für den Unterrichtsfilm
(RfdU, spater RWU) in der Nazizeit „überwintern" zu können Es gelingt nur schlecht Be¬
reits lange Zeit sehr krank, erlebt er zwar noch die Befreiung, stirbt aber nach dem ersten
hartenWinter 1945/46 durch eine Rippenfellentzündung In der Nachkriegszeitwird er in
der Filmszene weitgehend vergessen Allein bei den Filmtagen in Gottingen 1953 wird
noch einmal Basses Bedeutung für die Avantgarde hervorgehoben Auf Anregung des nach
London emigrierten Filmkritikers Andor Kraszna-Krausz widmen ihm die Internationalen
Filmfestspiele Berlin 1977 eine Retrospektive Sein Deutschland-Film,der seit 1968 von
den Landesbildstellen „als Klassiker der Filmgeschichteund als lebendigeshistorisches
Filmdokumentaus dem letzten Jahr der Weimar Republik" (FWU-Beiheft FT 2000) erneut
verliehen wird, wird 1980 auch vom Fernsehen .entdeckt' und ist inzwischen mehrfach
ausgestrahlt worden
Der Kulturfilmer Hans Curlis hatte nach Basses Tod 1946 dessen Frau „Tucki" angeregt,
das Leben und Arbeiten ihres Mannes aufzuschreiben Seltsamerweise ist das informative
und ungemein kurzweiligeTyposknpt (1948,253 Seiten,ArchivGerhard P Pennger) nie¬
mals verlegt worden Ein kurzer Extrakt zu den Filmen Baumblutenzeitin Werder und
Deutschland zwischen gestern und heute erschien zur Retrospektive der Berliner Filmfest¬
spiele 1977 (Kraft Wetzel, PeterA Hagemann üebe.Tod und Technik/WilfriedBasse Ber¬
lin Spiess 1977, S 78-83), der Auszug zu Das rote Sprachrohr wurde im Januar 1981 von der
Hamburger Zeitschrift „medienarbeit/Video-Magazin" (Nr 27/Nr 20, S 62-64) publiziert
Hier ein weitererAppetithappen, auch in der Hoffnung, dass sich Geldgeber für emeVeroffenthchung finden (Kontakt Gerhard P Pennger, Nernstweg24,22765 Hamburg,Tel
040-396476) Der Auszug ist auf Mitte der 20er Jahre zu datieren, als Wilfried Basse nach
dem Tod seines Vaters (1923) dessen Bankhaus übernimmtund die elterliche Villa in der
hannoverschen Jagerstraße nach der allerletzten Bauhaus-Modeeinrichtet
-
-
31
Einer von denen, die diese ganze Skala von Geselligkeit und Genüssen mun¬
ter auf- und niederbalancierten, ohne je das Gleichgewicht zu verlieren, war
Wilfried Basse Die Maskenballe und Ateliers kannten ihn in seinem frechen
und doch irgendwie korrekten zinnoberroten Seidenhemd mit den gutmuti¬
gen breiten Händen und dem überlebensgroßen Siegelring, auf dem er ge¬
machlich seine Zigarette auszuklopfen pflegte, wenn er hinter den mutwillig
funkelnden Brillenglasern seinen Spott zusammenbrauteund den Angriff
präparierte Man liebte ihn in allen Kreisen Nicht nur die witzigen, schlag¬
fertigen Intellektuellen sondern ebenso die schwerfalligen und leicht emp¬
findlichen Honoratioren der Gesellschaft warteten geradezu darauf, von ihm
angegriffen zu werden, und waren dann seiner Treffsicherheit ebenso wehrlos
preisgegeben wie entwaffnet von seinem aufrichtigen Lausejungenlachen.
Es war ein fröhlicher, unschuldiger Spott, der aus reinem Herzen kam; darum
tat er nicht weh. Ohne ihn fehlte jedem Fest die richtige Würze.
-
-
Und immer war dieser Basse guter Laune nie gekrankt odei eifersuchtig,
dazu war ihm die Zeit viel zu kostbar langst war er schon wieder anderwei¬
tig interessiert. Leben und leben lassen! So kannten ihn die Freunde ge¬
sellig und unbekümmert, übermütig auf Festen und die halbe Nacht. Am an¬
deren Morgen aber wieder ein nüchterner und kuhler Bankier, ein sehr
junger noch und ein bisschen wider Willen, aber gewissenhaft und fleißig.
Ein eisgrauer Prokurist stand ihm zur Seite, als er anstelle des Vaters das er¬
erbte Geschäft durch die Sintflut der Inflation steuerte. Es war viel Verant¬
wortung und gar kein Spaß. Abgesehenvon gelegentlichenpsychologischen
Studien an den „gehenkten" Rollegen auf der Börse oder an der Kundschaft,
wenn es um ihre heiligsten Guter' ums Geld ging. Ja, Geld hatten sie
aber
meistens keinen Humor, und deshalb konnte der junge Basse nicht viel mit
ihnen anfangen. Er hielt sich zurück und galt als äußerst zugeknöpft Man¬
che spurten sogar ein bisschen Unbehagen, wenn er ihre Vertraulichkeiten
geflissentlich überhörte und nur sachlich reagierte.
Außerdem war etwas Fremdes in diesem sehr weltmannischen Anzug im¬
mer helles Beige Ton in Ton, leger und doch unangreifbar korrekt. Dazu die
schiefe Schulter, die der Haltung einen Ausdruck von Verwegenheit und An¬
griffslustgab eine langhaarige, braunlich melierte Melone, wie sie sonst
kein Mensch in Hannover trug, und einen Malakka-Spazierstock über den
Arm gehangt. Das war keine Eleganz aus dem Modejournal, sondern ein An¬
zug von so erstaunlicher Qualität und so nobler Unauffalligkeit, dass der an¬
dere sich dagegen immer irgendwie minder gut angezogen fühlte und deswe¬
gen zu Neid und unfreundlichen Gefühlen neigte Man fühlte sich herausge¬
fordert und witterte den Snob.
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Und dann das eigene Heim! Aus schierem Protest gegen die Jugendstil- und
Villa hatte er sich selber mit einer geradezu
selbstmörderischenSachlichkeit eingerichtet streng nach den Prinzipien Le
Fachwerkpracht der elterlichen
-
32
-
Corbusiers. „Das Haus ist eine Maschine zum Wohnen" Großspurig und pomp¬
haft präsentierten sich die riesigen Räume des Hannoverschen Palazzo, den
Basse nun in eine solche Maschine umzuwandeln trachtete Vor die schwefel¬
gelben oder pompejanischroten Wände stellte er monumentale, aber quälend
schmucklose Möbel alle schwarz wie Sarge und so massiv, dass man sich
selber dazwischen nur noch wie ein vergänglichesNichts empfand, was einen
ja nicht gerade froh macht Alles war eingebaut sogar die Schlafkabine für
die „Biche", das englische Whippet, ebenso das Grammophon und das seltsa¬
me Jazzgerat, das aus allerlei Trommeln, Becken und sonstigen gerauschvol¬
len Instrumenten kombiniert war und womit man die Negermusik der
Schallplatten eventuell noch untermalen oder übertönen konnte. Alles ver¬
schwand hinter schwarzer Täfelung; die Räume schienen völlig kahl und
gähnten vor Hunger nach Formen Als Einziges, was nicht eingebaut war,
prunkte das gewaltigeBett Es stand auf einem Thron mit drei Stufen mitten
im Zimmer wie ein schwarzer Katafalk. Der Raum war so groß, dass man nur
mit Hilfe eines Fernstechers feststellen konnte, wer am anderen Ende in die
Tur trat; und das Bett war wie ein Haus in der Stube.
-
-
Aus der Nüchternheit seines Berufes und aus der seiner streng modernen
Wohnungzog sich Basse gern zurück auf diese Lagerstatt, sobald eine Erkal¬
tung oder sonstige Anfälligkeit nur einen leidlichen Vorwand dafür lieferte.
Das eingebaute Telefon auf dem eingebauten Nachttisch alarmierte seine
Freundinnen, die sich alsbald auf den Stufen seines Thrones gruppierten,
um
-
dem munteren Patienten die Zeit zu vertreiben Sie kamen mit ihren Her¬
zensangelegenheiten und kleinen Noten, und Wilfried hatte für alles Ver¬
ständnis. Die Schwachen und Eitelkeiten seiner Mitmenschensah er mit
scharfem Auge, aber für ihre Kummernisseund deren Ursachen hatte er et¬
was wie einen sechsten Sinn; hinter der Maske des Eulenspiegels verbarg sich
ein hellhöriges Herz und ein treuer Freund. So genoss er seine vielen vertrau¬
ten Freundinnen, und wenn er so aufsein üppiges Lager hingestreckt
nach allen Seiten guten Rat erteilte, fühlte er sich wohl wie der weise Konig
Salomo zwischen seinen tausend Frauen.
-
Auch die Biche zog das königlichePfuhl dem eingebauten Sarg in der Zim¬
merecke vor. Und da sie zur Familie gehorte, begnügte sie sich nicht wie die
Besucherinnen mit den Stufen des Thrones, sondern schlupfte geschmeidig
am Fußende unter die rohseidene Steppdecke. Die Freundinnen protestierten:
es sei unästhetisch, einen Koter im Bett zu haben; aber Basse, der seine Bi¬
che mindestens für eine verzaubertePrinzessin hielt, nickte begütigend:
„Nur kein Neid!" und machte ihr freundlich Platz, bis die Prinzessin eines Ta¬
ges wahrscheinlich einen verzauberten Magen hatte und ihrem guten Herrn
grausiges Zeug an seine seidenen Pyjamabeine kotzte. Niemand konnte über
seine eigenen Reinfalle so schadenfroh und hemmungslos lachen wie Basse
selber
33
Interview mit dem aus Berlin
ton Giulio Bragaglia (1928)
zurückgekehrtenAn¬
Autorentagung Ende April 1928 hielt sich der italienische Theater- und
Anton Giulio Bragaglia (1890-1960) einige Zeit in Berlin auf Der Film-Kurier
brachte neben einer Notiz (94,20 4 1928) auch ein langes Interview (95,21 4 1928 Ein
romischerTheaterdirektor in Berlin Anton Giulio Bragaglia uberTheater und Film), in
dem es vor allem um Bragaglias Avantgarde-Theater Teatro degh Indipendenti ging, der
Film wird nur am Rande angesprochen Um den italienischen Film sieht es ja leider trübe
aus Unser italienisches Publikum lehnt unsere heutige italienische Filmproduktion ab, sie
will bei Regisseuren und Stars neue Gesichter sehen Um 1918 herum habe ich übrigens
sieben Filme hergestellt, in der Art des Dr Caligan, den ich damals noch nicht kannte ( )
Ich habe mit Absicht zehn Jahre gewartet, um letzt wieder neu anzufangen Vielleicht zeigt
sich mit Deutschland emeVerbindungsmoglichkeit Ich wurde gerne hier arbeiten, zumal
wir in Italien auch nicht die geeigneten Ateliers haben "Von Bragaglias frühen Filmen ist
offenbar nur der futuristisch inspirierte Spielfilm Thais (1916) erhalten
Im Mai 1928 veröffentlichte die Rom erscheinende Filmzeitschnft „Cinematografo" ein
Gesprach mit Bragaglia über die Berlin gesammelten Eindrucke (Libero Solaroli Intervista
con A G Bragaglia dl ntorno da Berlino, Cinematografo, Rom, 2 Jg, H 11,27 5 1928, S
lOf) Wir dokumentieren diesen Text in der Übersetzung von Sylvia Brandt
Anlasslich
einer
Filmregisseur
Dieses Interviewkann als Beleg gelesen werden für den regen Austausch und Dialog im
Film-Europa der zwanziger Jahre vgl hierzu auch die entsprechenden Kongresse von CineGraph Hamburg sowie als Anregung genommen werden, sich intensiver mit den
deutsch-italienischen Filmbeziehungen der zwanziger und dreißiger Jahre zu beschäftigen
Die von Bragaglia angesprochene italienische Filmknse kommt auch in folgenden Zahlen
-
—
zum Ausdruck 1928 wurden in Mailand 72,5% amerikanische Filme, 9,2% deutsche und
österreichischeFilme, 8,5% franzosische, aber nur 7,7% italienische Filme aufgeführt (Jean¬
paul Goergen)
Wir haben Bragaglia besucht der gerade letour dAHemagne ist um ihn nach
seinen Eindrucken über das was er dort gesehen hat zu befragen Wir waren
der Tat sicher, dass unser regisseur in der Hauptstadt der europaischen
Filmkunst (soweit es sich um künstlerischenFilm handelt) erneut von seiner
alten Liebe ei griffen wurde und dass die Nostalgie ihn in die Kinos und in die
Studios getriebenhatte Da wir nun einmal gezwungen sind, auf die Vorteile
zu verzichten die das Genie Bragaglias unserer nationalen Filmkunst hatte
zukommenlassen müssen wir uns mit seinem erhellenden Urteil über einige
in
umstrittene
Fragen zufriedengeben
-
Deutsche Filme habe ich nur wenige gesehen In Deutschland richtet sich
das Interesse der Zuschauer eher auf das russische als auf das nationaleKino
Der einzige Film der es wert ist genannt zu werden ist Spione von Fritz
Lang1 Es handelt sich hierbei um einen dramatischen Film in starken Zügen,
der im Eisenbahner-Miheu spielt KomplizierteVerwicklungen, Schicksals-
34
schlagejeder
-
-
-
-
Art unglaubliche Situationen Auflosungen die an Wunder
gienzen Aber dem Wesen und dem Ziel dieses Films hegt ein so deutliches
Bekenntnis zugrunde die Lust des epatei ist so offensichtlich die phantasti
sehe Handlung ist ein so erkennbares und scharfsinniges An der Nase herum
fuhien seitens des Autois und des Regisseurs dass der Film letztlich unter
halt und ein Beispiel des besten Geschmacksdarstellt Die Umsetzung des
Stoffes und die optimale Technik an der man Lang immer wieder erkennt
tragen auf der anderen Seite zum guten Gelingen bei
Und die Russen?
Der russische Film wird als Ausnahme betrachtet Das heißt aber nicht dass
er keinen Erfolg beim normalen Publikumhatte Ganz im Gegenteil Der beste
Film aus der russischer Produktion der Jahre 27-28 Die letzten zehn Tage von
Petersburg [recte Das Ende von St Petersburg]2 beschwort eindringlich die
Erinnerung an das Ende des Zarismus herauf und wird dabei von deutlichen
politischen Zielen bestimmt Diesen Filmen liegt eine spezielle Technik zu
gründe die stark der Technik der Commedia dellArte ähnelt Die russischen
Regisseure die im Staatsauftrag arbeiten bilden alles von der Wirklichkeit
ab Sie improvisierenoder rufen echte Tatsachen hervor die sie dann in ihre
Geschichten einpassen Die längste Arbeit ist somit die Montage des Films
die von dem gewaltigen und chaotischen Material das sich ansammelt be
stimmt wird Um einen Filmstreifen zusammenzuklebenbraucht man sechs
Monate Aber hieraus entstehen Filme von einzigartiger Kraft Staatsfilme
versteht sich Wer sonst konnte mit einer ähnlichen Technik arbeiten7 Nur
mit dieser Technik aber gelingt es die Massen zu beeindrucken und somit die
propagandistischeZielsetzung zu erreichen Es ist ein sicheres Verfahren
Man kann ihm nicht widerstehen
Das heißt also dass sich auch die russische Produktion in die von den
Amerikanern eingeleiteten Tendenz des gegenwartigen Kinos eingliedert Der
Tendenz eines zeitgenossischenRealismus oder um es mit einem heute mo¬
dischen Ausdruck zu sagen eines formalen Realismus Aber neben dieser re
gularen Produktion gibt es wie wir gehört haben in Deutschland auch noch
eine ganz andere Produktion a cote eine der Ausnahme bzw der Avantgar
de
Das stimmt Außer den Initiativen der kleinen Gruppen oder den Randpro¬
duktionen der großen Hauser die ihren Ausdruck oft auch durch große Fil
memacher finden gibt es in Berlin das Kino Die Kamera* (Experimentelles
Kino) wo all das voigefuhrt wird was es an neuen Versuchen im internatio
nalen Kino gibt Aufgrund der Seltenheitdieser Versuche wäre es aber etwas
voreilig die Aktivitätender deutschen Gruppen bewerten zu wollen Im All
gemeinen versuchen sie mit einer ausschließlich experimentellenAktivität
um nicht zu sagen Technik den filmischen Ausdrucksmoghchkeiten neue An¬
stoße zu liefern Das ist eine sehr verdienstvolle Arbeit weil sie beschweihch
35
und undankbar ist Es ist eine Arbeit der Auswahl und dei Analyse aus der
moigen die Kinoasthetik in ihrer ganzen Reinheit deutlich hei vorgehen wird
Deshalb sind diese Filme Untersuchungen über die Fehler und Missverstand¬
nisse, die nach wie vor die Filmkonzeptionen beherrschen Mehr als alles an¬
dere sind sie Abhandlungen über den besonderen Wert des Ausdrucks Es sind
Beweise von Staike, Übertreibungen in denen sich wie unter einem Mikro¬
skop, die ganze komplexe Struktur der genanntenWerte zeigt Naturlich sind
nicht alle diese Filme gut und interessant Manchmal sind auch sie selbst Ver¬
irrungen
Der Maler Richter konnte in Berlin zum Beispiel einen Film vorfuhren, in dem
sich abstrakteVolumen nach den strengsten Konstruktionsregelnder Konstruktivisten und Suprematisten bewegen 4 Pannaggf der sich gerade in
Berlin aufhalt, kam zur Premiere Als er aber gesehen hatte, worum es sich
handelte, fing er an, auf italienisch zu pfeifen und auf deutsch zu protestie¬
ren Das zunächst überraschtePublikum stimmte m den Protest des italieni¬
schen Malers ein, wodurch der Misserfolg des Films besiegelt wurde Aber das
war ein Einzelfall Der Avantgardefilm m Berlin existiert und hat seine Lieb¬
haber Er bringt der regulärenFilmproduktion einen wirklichen Vorteil Einen
Vorteil der von allen Regisseuren, die diese Versuche mit Interesse verfolgen,
anerkannt wird Bei uns ist der Avantgardefilm leider noch immer ein zehn
Jahre altes „Hirngespinst' von mir
An diesem Punkt muss sich wohl plötzlich mein Gesichtsausdruckverfinstert
haben denn Bragagha zog es vor dieses Thema zu verlassen um em anderes
Argument, das mich in besonderer Weise interessiert, anzusprechen
Im Kino Die Kamera werden auch die alten Filme von Chaplin Harald Lloyd
Buster Keaton vorgeführt In Paris werden diese Filme im Vieux Colombier,
das ohnehin schon als der heilige Tempel der reinen dramatischen Kunst gilt,
gezeigt Ich habe in Berlin drei alte Possen von jeweils einem dieser Komiker
gesehen Klassische Filme' Es ist bewunderungswürdig diese Arbeiten wie¬
derzusehen Sie haben eine Manier, besonders die von Buster Keaton, wie aus
dem 15 Jhd
Wir denken einen Moment an die Büste des Mino da Fiesole6 die unsere Le¬
ser kennen, und wurden gerne versuchen mit A G B eine Parallele zwischen
der klassischen Vornehmheit der Kunstlerdes 15 Jahrhunderts und der suprematistischenVornehmheit Buster Keatons zu ziehen Wir sind jedoch ge¬
zwungen mit unseren Fragen fortzufahren
Und was können sie uns über die andere, die normale Produktion sagen7
Ich bin bei einer Premiere gewesen Das deutsche Publikum ist, was die
Aufnahme der Filme und der Schauspielerangeht, überaus offen und großzu¬
gig Es lasst sich leicht zum Lachen bringen, übt die ganze Zeit über fast an¬
dachtige Aufmerksamkeit, lasst nie Zeichen von Müdigkeit odei Ungeduld er-
-
,
-
36
kennen und folgt den Vorführungen gesammeltvier Stunden lang als ob es
aus Holz wäre Bei uns lasst sich eine solche Andachthöchstens im Augusteo
beobachten In Berlin werden die Filme vom Publikum genauso feierlich auf
genommen wie das Theater Dei Grund dafür hegt dann dass bei den Premie¬
ren die Filmschauspieler anwesend sind und dass sie bereit sind sich vom Pu
bhkum auf die Buhne rufen zu lassen Diese Anwesenheit der Schauspieler in
Fleisch und Blut an der Buhnenrampe verleiht dem Bildertheater die Koket
tene des Personentheateis
A propos Was konnten ihrer Meinung nach die Ergebnisse der offensichth
chen Tendenz zur Verbindung von Kino und Variete sein?
Wir sehen heutzutage, dass die Kinos versuchen, sich durch die Beigabe
von Vaneteeinlagen oder durch von Kinoschauspielerngespielte Sketche dem
Theater anzunähern Wir sehen weiter dass sich das Theater die Leinwand als
ein Mittel wie jedes andere einverleibt hat und dass sie bei Piscator Eindrukke und Emotionenhervorruft die anderweitig nicht zu übermitteln waren
Meiner Überzeugungnach ist aber schließlich alles Theater, ob es nun durch
die Musik bestimmt oder mit der Kamera aufgenommen wird, ob es für das
Radio produziert oder m irgendeineranderen seiner vielfaltigen modernen
Möglichkeiten komponiert ist Ich sehe daher mit Freude jede Art von Vor¬
stellung und bringe jeder ein angemessenes Interesse entgegen Ich habe so¬
mit auch nicht das Vorurteil dass die üblichen kleinen Grenzuberschreitungen eine Verunreinigung darstellen wurden Im Grunde handelt es sich bei al¬
len um neue Methoden, auf denen die Auffuhrung der Zukunft gründen wird
Das vorausgesagte Theatralische Theater wird daraus zweifellos seine Vor
teile ziehen Aber kommen wn auf die preimere zurück
Es handelte sich um einen italienischen Film, der in Deutschland produ¬
ziert wurde Scampolo, ein Film von Genina nach einer Komödie von Nircode
mi7 Es ist sicher kein anspruchsvollerFilm Wie sollte er auch da er einem
Lustspiel nachempfunden ist Man muss allerdings anerkennen, dass Genina8
mit dem glücklichenInstinkt dei ihn gerade für diese Alt von Komödien be¬
rühmt macht, genug von seiner Filmkunst eingebracht hat um sich aus der
Verlegenheitzu ziehen Die einfacheund lebhafte Carmen Boni mit ihrer an¬
genehmen Natürlichkeit hat das Publikum erobert An diesem Abend wartete
eine begeistert applaudierende Menge vor dem Theater Das deutsche Publi¬
kum nimmt die italienischen Filme mit der gleichen Herzlichkeit auf wie die
eigenen oder die russischen Ist der Film aber amerikanisch so werden die
Zuschauer sofort sehr streng und verzeihen nur schwer Es fangt an ernst zu
werden mit der Kontingentierung Dieses Jahr wurden 147 amerikanische Fil¬
me gegenüber 207 deutschen vorgeführt Ein schöner Sieg'
Zusammenfassendkann man also sagen Interesse für den nach wie vor ex¬
perimentellenAvantgardefilm und Beifall für das russische Kino Überein¬
stimmend mit den anderen Nationen gibt also auch Deutschland den neoiea-
-
-
-
-
37
-
listischen Tendenzenden Vorzug Glauben Sie dass hierin die wahre Zukunft
des Kinos liegt7
In diesem Augenblick schon Ich glaube dass es m diesem Moment nur die
Einfachheit gibt intelligent und ohne Ansprüche ohne gesellschaftliche Auf¬
geregtheiten, ohne kaputten Asthetizismus,ohne haifischhafte Prahlereien
Das sind meine Vorstellungen ein antifilmischer Film also, der sich nicht lan¬
ger neureich gebärdet
Die Stellungnahmen von AGB beruhigen uns stark Er hat mit der Autorität
seines Urteils genau die Ideen unterstutzt die wir in den alltäglichen Debat¬
ten
verteidigen
'Uraufführung 22
2
Deutsche
3 1928
Erstaufführung 27
2 1928
Die Kamera Unter den Linden 14 war das einzige Repertoirekino Berlins, das sich der
Pflege des „guten Films" verschrieben hatte „Die Kamera vermittelt einem nach Tausen¬
den zahlenden Stammpublikum regelmassig die dauernden künstlerischen und bildenden
Werte der internationalen Filmproduktion (Eigenwerbung)
4
Möglicherweise Filmstudie (Produktion und Regie Hans Richter, Berlin, I Akt, 134 m,
Zensur 17 2 I928.B 18237) Uraufführung 19 2 1928, Berlin (Ufa-Theater am Kurfur3
"
stendamm)
5 Der
Maler.Architektund Buhnenbildner Ivo Pannaggi (1901-1981) war einer der Prota¬
gonisten der futuristischen „mechanischen Kunst" Von 1926-33 lebte er offenbar in Berlin
und Dusseldorf und besuchte das Bauhaus bis zu dessen SchließungAnschließend wander
te er nach Schweden aus Info http//rebel netMutunst/pannaggi htm
6 Mino da
Fiesole, florentmischerBildhauer (1431-1484) Gemeint ist möglicherweise sei¬
ne Büste von Piero de' Medici (1453), Museo Nazionale del
Bargello, Florenz
7
Das Madchen der Straße (D 1928, P Nero-Film, R Augusto Genina, nach „Scampolo" von
Dario Nicodemi und M Morton.D Carmen Boni.Livio Pavanelh, Hans Junkermann UA
17 4 1928,Titania-Palast, Berlin)
8
Der italienische RegisseurAugusto Genina
Filmen in Deutschland
von
38
(1892-1957) inszenierte
ab 1927
eine
Reihe
Stalin meets Piscator
von
GünterAgde
die wirklich genaue Auffuhrungs- und Wirkungsgeschichte von
Erwin Piscators einzigem Spielfilm Aufstand dei Fischer (Wosstanije lybakow)
erst noch geschrieben werden muß, so ist doch bislang soviel bekannt, dass
der Film nach seiner Uraufführung am 5 Oktober 1934 in Moskau auf sehr
geteilte Resonanz traf und bald wieder aus den Kinos verschwand.1 Nach sei¬
ner Übersiedlung von Moskau nach Paris 1936 bedauerte Piscator heftig, dass
sein Film dort nicht gezeigt werden konnte und er ihn auch nicht als künst¬
lerisches Zeugnis für seine bevorstehende Emigration in die USA nutzen
konnte 2 Noch vor der Uraufführung sah sich Stalin den Film an.
Der seinerzeit für die gesamte Filmproduktion der Sowjetunion zustandige
Boris Sacharowitsch Schumjazkij1 richtete die zahlreicheninternen Filmvor¬
führungen für Stalin im Moskauer Kreml aus und fertigte über die Gespräche
mit Stalin und Mitgliedern der sowjetischenParteiführung wahrend und nach
den Vorführungen Notizen an. Stalins TochterSwetlana Allilujewa erinnerte
sich an diese Filmvorführungen, „in jener Zeit, vor dem Krieg, [war es] noch
nicht üblich geworden, die Filme zu kritisieren und Änderungen zu veranlas¬
sen. Man sah sie an, billigte sie, und der Film ging in den Verleih Wenn ir¬
gendetwas auch nicht ganz dem offiziellen Geschmack entsprach, so wirkte
sich das für den Film und diejenigen, die ihn geschaffen hatten, doch keines¬
wegs verhängnisvollaus."4 Sie übermitteltejedoch nicht, ob sie auch Auf¬
stand der Fischer gesehen hat, außerdem war sie zum Zeitpunkt der Vorfüh¬
rung 8 Jahre alt
Wenngleich
Schumjazkijs Niederschrift:
„Fluchtige Niederschrift der Bemerkungen J.W.s5
zur Vorführung von 21 48
Uhr am 13. V. bis 1.20 Uhr am 14. V. 34
J W. begann mit der Frage. Wer stellt solche langweiligen, düsteren Filme wie
Aufstand der Fischer her, wer nimmt sie auf?6
Er wies darauf hin, dass die Düsternissolcher Filme doch im wesentlichen
fehlerhaft sei.
B.Sch 7 erklart, dass der Film schon im Jahr 1931 begonnen worden ist und
dass das Ziel verfolgt worden sei, die erhebliche Theaterkulturdes bedeu¬
tendsten europaischen Regisseurs Piscator auszunutzen, dass dieser Film tat¬
sachlich kein Massenfilm sei, dass aber an vielen Stellen in ihm erstklassige
Arbeit mit Schauspielern gezeigt wurde, hinter der viele unserer Regisseure
noch zuruckblieben.
J.W.: Darum handelt es sich nicht, sondern um den Einfluss des Films auf den
39
wen
-
ohne Aufldaiung duster, absichtlich kalt Warum solche Filme,
sie wer wird sie ansehen für wen werden sie gemacht7 Über
diesen Film sagt man, dass für ihn maßlose Summen sowjetischen Geldes und
s
sogar Valuta verbraucht wurden Fui wen das, weshalb sogar Valuta veigeuden7
B Seh fuhrt aus, dass Piscator kein sowjetischer Regisseur ist dass für ihn
tatsächlich begünstigende Vereinbarungen geschaffen wurden die er in ge¬
wissemSinne zweifellos missbraucht hat9
JW Und Sie dulden das'
B Seh Er arbeitet in einer autonomen Organisation, die von meiner Aufsicht
ausgenommen ist
J W Das ist nicht richtig Sie sind für alles verantwortlich und eine solche
Lage kann man nicht zulassen Geld wird jede Menge aufgewendet und der
Film wird äußerst schlecht unnötig Wieso duldetdies noch der Zuschauer
bei uns, weshalb schweigt darüber die Presse7 Übrigens, ich las nichts wur¬
de irgendetwas über diesen Film in der Presse gedruckt7
B Seh Ein bisschen sowohl Verneinendes, richtig Kühles als auch sogar
sehr Lobendes
J W Welcher Dummkopf konnte so etwas loben Nicht nur, dass der Film un¬
erträglich, langweilig ist, sondern er singt auch immer das alte Lied nach al¬
ten Motiven Überhaupt muß man aufhören, den Zuschauer mit alten The¬
men, selbst wenn sie nicht schlecht sind, vollzustopfen, wie Denkmalerder
vergangenen Kultur in der Art von Das Gewitter'"
L M " und Juduschka Golowljow'2 ist ebenfalls langweilig, obwohl er nicht
schlecht gemacht ist
B Seh Auch wenn den Filmen die neue Thematik fehlt, sind natürlich diese
guten Filme kein besonderes Plus Aber man muß bei alledem in Betracht zie¬
hen, dass sie kulturvoll sind, sie wurden von Meistern gedreht, sie werden
von einem unerhört großen Auditorium angesehen, zum Beispiel haben Ge
witterund Golowljowm 1 1/5 bis 2 Monaten in den Theatern der hauptsäch¬
lichsten Städte mehr als 4 Millionen Zuschauer angesehen, jeden der Filme
MI11 Ja, man sagt, Das Gewitter sei großartig und interessant gemacht
J W Interessant das ist sicherlich so, aber ungeachtet dessen ist dies alles
alt, sogar sehr langweilig Aber der Zuschauer braucht Freude, Frische, La¬
chen Er mochte sich selbst in den Filmen sehen Meisterschaft und Talent
der gezeigten Filme kann man nicht bestreiten genauso wenig dass der Zu¬
schauer sie ansieht Jedoch ist das noch nicht das, was wir brauchen, obwohl
man es uns nicht selten aus unserem Leben anbietet aber eben fade, ge¬
schraubt und absichtlich langweilig
B Seh sprach darüber, dass in nächster Zeit die lebensvollen, fröhlichen Fil¬
me Lustige Buischen, Enthusiasten, Harmonika herauskommen werden
Zuschauer
ergreifen
-
-
-
-
40
-
L M Ist das die Wahrheit lustige Filme oder ist das auch nur ein Piojekt?
B Seh Sie sind alle fertiggestellt und sie sind genau so geworden Bald wer
den Sie sie sehen und daiuber urteilen können
Zum Schluss fiagte J W wie die Lage insgesamt ist Ich legte kurz unsere Be
duifmsse dar besonders auf dem Gebiet der technischen und Rohstoff-Basis
J W antwortete Sie haben einen guten Appetit weil Sie lange kein eigenes
Filmmatenal [Farbrohfilm G A ] und Tonkmo hatten Und wenn man Ihnen
das alles schafft so wollen Sie noch mehr Natürlich das ist berechtigt Man
muß das weiter bewegen sich mit den Genossen besprechen um zu helfen
Der Charakter aller Hinweise und Repliken von Seiten J W s war sehr wohl¬
wollend aufmerksam Man empfand seinen Wunsch dem Kino zu helfen und
in einzelnen Spaßen und ironischenBemerkungen die Unterstützung durch
Genossen
14 V 34 '4
14 Tage spater nahm Stalin den Titel des Piscator-Films als
Wortspielauf
Schumjazkij
Wahrend man die Vorführung des Spielfilms Rückkehr^ vorbereitete fragte
J W Nun fuhren Sie die Langeweile von Aufstand der Fischer weiter7 Setzen
Sie noch mehr solcher Filme ein? Ist der Zuschauer bei uns noch nicht dage
gen aufgestanden?
Ich antwortete Bedauerlicherweisehaben wir bis jetzt noch viele langweilige
Filme aber nun kämpfen wir dagegen und hetzen sie leidenschaftlich gegen¬
einander und produzieren eine Reihe munterer schlagkraftiger Filme
J W Aber dieser schlug einen Rekord an Langeweile und Dunkel weiß der
Teufel wer das braucht
Ich wies daraufhin dass es Genossen gibt die umgekehrt diesen Film als
großes Werk preisen als positive Erscheinung der Filmkunst
J W Sagen Sie ihnen dass das nicht sein kann dass ihre Lobpreisung kei¬
nen Groschen wert ist Diese Filme sind unnötig ohne Lichtblick "¦
-
-
Schumjazkij nutzte kurz darauf eine weitere Filmvorführung bei Stalin an
der auch Shdanow'7 und Mikojan's teilnahmen um erneut auf die techm
sehen und Rohstoffprobleme hinzuweisen die die Beschleunigung der sowje
tischen Ton- und Farbfilmproduktion hemmten Wieder bemerkte Stalin dass
Schumjazkij für die gesamte sowjetische Filmproduktion verantwortlichsei
Mikojan und Shdanow stimmten ausdrücklichzu zudem sei Meshrabpom
Film nicht auszunehmen Shdanow zu Schumjazkij Wie ein Hausherr des
-
Kinos er ist für alles verantwortlich "
Nur rund fünf Wochen nach der Stalin Vorführung und knapp ein halbes
Jahr vor der Uraufführung des Films Aufstand dei Fischei veröffentlichte der
Moskauer Szenanst Ossip Maksimowitsch Bnk in der Fachzeitschrift Kino
41
heftigen Angriff auf den Film Buk stellte fest Lebendige Menschen
sind in dem Film nicht anzutreffen '' Er prognostizierte Der Zuschauer
wird sich langweilen und warf Piscator vor den sowjetischen Zuschauei
nicht zu kennen [man sollte] Piscator mit sowjetischen Menschen sowjeti
sehen Zuschauern bekannt machen die viel wissen viel gesehen haben In
17 Jahren [d h seit der Oktoberrevolution G A ] hat der sowjetischeZu
schauer einen langen Weg zurückgelegt den Piscator nicht zurückgelegt
hat " Und Bnk griffMeshrabpom Film an Die Leute aus diesem Studio wa
ren immer selbstsicher und borniert
Meshrabpom konnte einen großen ta
lentierten revolutionärenMeister nicht richtig einsetzenund führte ihn zum
Misserfolg Und er gab eine Richtung für weitere Auseinandersetzungen vor
Doch das [der Einsatz von Piscator G A ] war nicht nur eine Angelegenheit
vom Meshrabpom sondern der gesamten sowjetischen Filmoffenthchkeit
Sollte das Allumonszentrum [der Filmindustrie G A ] sich etwa nicht ener
gisch einmischen wenn diese ein Unternehmen von Allumonsbedeutungauf
sich ladt und damit nicht fertig wird7 22
Vokabular und Argumentationsstrategie seiner Attacke weisen verbluffende
Analogien zu Stalins Einwandenauf jedoch ist ein Zusammenhang admini
strativer Art zwischen der Stalin Position und Bnks Attacke ebenso wenig
nachweisbar wie (denkbare) Änderungen an dem Film bis zur Uraufführung
Bnk spielte noch auf die schon mehrere Jahre andauernden öffentlich
nicht ausgetragenen aber intern in der Branche und im Parteiapparat weit¬
hin bekanntenKonfliktezwischen der staatlichen sowjetischen Kinoindustrie
und Meshrabpom Film an (Die Firma Meshrabpom Film hatte sich unter
Berufung auf ihren besonderen Status und bisher erfolgreich immer wieder
den rigorosen Versuchen der sowjetischen Exekutive entzogen sie vollständig
in die Planungs und Finanzierungs Struktur des Staates einzubeziehen )
Auf Bnk antworteten entschieden und energisch fünf wichtige Regisseure
des Studios und Kollegen Piscators etliche von ihnen mit Deutschland Erfah
rung in Form praktischer Filmarbeit'1 Sie bezeichneten im Zentralorgan der
sowjetischenRegierung Iswestija vom 10 Juni 1934 den Film als Ergebnis
einer gewaltigenschöpferischenArbeit die Bilanz des Experiments eines
Theatermannes der sich kühn eine Aufgabe gestellt hat den Film um Aus
drucksmittel der benachbarten Künste zu bereichern '4 und ordneten damit
den Film in die innovativen Versuche der Filmkunst vor allem eben bei Mesh
rabpom Film ein Sie räumten infolge der Unermesshchkeit der Aufgabe
auch Fehler im Fabelbau und in der Komposition des Films ein
Unuberhorbar forderten sie eine Diskussion über Grundprobleme moderner
Filmkunst und verurteilten dass die Besprechung gravierenderProbleme
durch pnnzipienlosen Geschmacksstreitund Politmtrigen [sie G A ] ersetzt
wird Das zeugt von einer bedrohlichen Situation in unserer Filmkritik deren
ästhetische Einschatzungen oft durch rein amtliche Interessen [sie G A ]
einen
-
-
42
diktiert sind Auf eine Polemik zui Rangelei zwischen ihrem Studio und dei
Exekutive verzichteten sie
Zwischen beiden ngoiosen diametral entfernten Positionen entstand vor al¬
lem wegen dei innen- und kulturpolitischen Entwicklungen in der Sowjetuni¬
on in der Folge kein öffentlicher Meinungsstieit Mag auch sein dass das
künstlerische Gewicht der fünf Untei Zeichner und dei prominente Ort lhiei
Antwort Auftntte a la Bnk stoppten
Jedoch in der Pioduktionsfnma Meshrabpom-Film wechselte im August
1934 jah die Leitung Umstände und begleitende Dokumente dieser Übergabe
am 11 August 1934 lassen auf eine Radikalisierung und weitere Dominierung
von Meshrabpom-Film durch den Staat schließen, ganz im Sinne Schumjazkys und Stalins
Im Januar 1935 tauschten Stalin und Schumjazkij öffentlich Briefe aus
auf dem Weg ubei die Presse Grußschieiben anlasslich des 15 Jahrestages
der Sowjetkinematographie^ Stalin schrieb an Schumjazkij u a Die So
wjetmacht erwaitet von Euch [den sowjetischen Filmschaffenden G A ] neue
Erfolge, neue Filme, die sowohl den Errungenschaften wie auch^ den
Schwierigkeiten des sozialistischen Aufbaus Denkmaler setzen Und
Schumjazkij antwortete u a Wn veispiechen dem ZK der Partei dass wir
bolschewistisch um die Eifullung dei uns von Genossen Stalin gestellten Auf¬
gaben kämpfen weiden und ei zitierte exakt alle Formulierungen Stalins
auch die von den Denkmälern In seinem Brief wurde der Name Stalins 5x ge¬
nannt und unmei in Vcisahen geschneben v Solch massiver Wunsch nach
Denkmalein wai mit Filmen wie Piscators Aufstand dei Fischei nicht zu ei fül¬
len
Im Juni 1936 wurde Meshrabpom Film liquidiert Einrichtungen,Rohfilm,
Produktionskapitaletc
der neuen Fiinia Sojusdetfilmzugeschlagen Am
Juli 1936 verließ Piscator die Sowjetunion und emigrierte weiter nach Pans Dei sogenannte Große Teiror begann
dei eiste Schauprozess fand im
8
1936 statt Wilhelm Pieck Moskauei Voisitzendei der Exil-KPD ließ
Piscdtoi diveise Warnungen nach Paus zukommen nicht wieder in die So¬
wjetunion zui uckzukehren 1S Als Pieck intern zeitgleich eine Art Zwischenbi¬
lanz dei Filmarbeit deutscher exihertei Künstlet zog erwähnte er Aufstand
dei Fischei nicht1K> Der Film blieb im Archiv, bis zu seiner Wiederentdeckung
™
zu den Westdeutschen Kurzfilmtagen 1960 in Oberhausen
Die Unterdiuckung der Avantgarde im sowjetischen Film die vielfaltig und
auf veischiedenen Ebenen ei folgte, hat eine Wurzel auch in der Art wie Sta¬
lin solche Film wie Aufstand dei Fischei beui teilte, nur intern im kleinen
Ki eis abei doch mit weitei reichenden Folgen (Dank an Carola Tischler Andiej Doronin und Wladislaw Hedelei)
August
43
1
-
Zwei Marginalien
Eine amüsante Das Politbüro der Exil KPD beschloss am 23 Mai 1936 für
die Unterbringung der Kinder [deutscher Pohtemigranten in der Sowjetunion
G A ] in einem Sommerlager den von Piscator aus seinen Filmertragnissen
m der Sowjetunion der Deutschen Vertretung zur Veifugung gestellten Betrag
M
von 6 500 Rubeln für die Karl-Liebknecht-Schulezur Verfugung zu stellen
immerhin reichlich vier Monatsgagen
Und die bittere Schumjazkij wurde 1935 für seine Verdienste um die sowje¬
tische Kinematographie mit dem Leninorden ausgezeichnet am 17 Januar
1938 zusammen mit seiner Frau als aktiver Teilnehmer einer konterrevolu¬
tionären terroristischen Organisation' verhaftet am 1 August 1938 erschos¬
sen und 1956 rehabilitiert12
vgl CineGraph Lexikon des deutschsprachigen Films, München
I984ff Stichwort Pisca-
tor.S B 15
2
vgl Maria Ley-Piscator, Der Tanz im Spiegel, Mein
Hamburg 1989, S 194,204f, 256 und 296ff
3
Schumjazki) war
Leiter der
Hauptverwaltung
der
Leben
mit
Erwin Piscator, Reinbek bei
sowjetischen Kinoindustrie(Glavnoje
Uprawl)eme)e sowjetskoi Kmematografii) Weiteres zu ihm in Wernitje mnje swobodu
(Gebt mir die Freiheit1),Literatur- und Kunstschaffende Rußlands und Deutschlands Op¬
—
fer des Stalmschen Terrors, Memonal-Sammelband von Dokumenten aus den Archiven des
ehemaligen KGB, Moskau 1997, hrsg von Wladimir Fjodorowitsch Koljasin in Zusammen¬
arbeit mit WA Gontscharow (ZentralesArchiv FSB RF),darm wird die NKWD-Akte
Schum|azki]Sabgedruckt, S 162 ff Zu Schumjazkijs Position in der sowjetischen Kinemato¬
graphie siehe auch Hans-Joachim Schlegel, Das stahnistische Hollywood, in Als die Filme
singen lernten, Red Malte Hagener,Jan Hans, München 1999, S I38f
4
SwetlanaAllilujewa, Zwanzig Briefe an einen Freund, Zunch-Wien-Frankfurt 1967, S
2l2f
5
JosifWissanonowitsch Stalin, Generalsekretär des Zentralkomitees der WKP(B), damali¬
ge Bezeichnung für Kommunistische Partei der Sowjetunion
'
Piscators Film wurde von Meshrabpom-Film Moskau produziert, einer gemischten
deutsch-sowjetischenAktiengesellschaft, die der 1921 gegründeten Meshrabpom (Interna¬
tionale Arbeiterhilfe) gehorte
7
Bons Schumjazkij
8
Schon am 2 10 193 I, beim ersten Anlauf der Filmproduktion,wandte sich die Leitung
von Meshrabpom-Film mit einem als „streng geheim" uberschnebenen detaillierten Be¬
richt über Piscators aufwendige Filmarbeit an die Komintern (Kommunistische Internatio¬
nale), die faktisch die politische Aufsicht über die Filmfirma innehatte Vgl Meshrabpom,
Dokumente, zusammengestellt von Jekatenna Chochlowa, in Die ungewöhnlichen Aben¬
teuer des Dr Mabuse im Lande der Bolschewiki, hrsg von Oksana Bulgakowa, Berlin 1995,
S 202f
44
'Tatsächlich rangierte Piscator 1934 unter den 20 festangestellten Regisseuren von Meshrabpom-Film mit I 500 Rubeln pro Monat als hochstbezahlter Regisseur des Studios, vgl
spisok rabotnikow meshrabpom-filma vom Juli 1934, Rossiskij Gosudarstwennyj Archiv
Sozialno-Polititscheskoj Istorn, Moskwa (RGASPI).fond 538, opis 3,delo 190, S 115
10
Das Gewitter (Grosa),Verfilmung des gleichnamigenTheaterstucks von Aleksandr Nikolalewitsch Ostrowski), Regie Wladimir MichailowitschPetrow, 1934
"
Lasar Moissejewitsch Kaganowitsch, Mitglied des Politbüros derWKP(B),Vorsitzender
der Kommissionfür Parteikontrolle undVolkskommissar furVerkehrswesen
n
juduschka Golowlpw (juduschka Go/ow//ow),nachdem Roman „Die Herren Golowljow'
von Michail Jewgrafowitsch Saltykow-Schtschednn, Regie AleksandrWiktorowitsch
Iwanowski, 1934
13
Michail Iwanowitsch Kalmin, Mitglied des Politbüros derWKP (B).Vorsitzenderdes
Zentralen Exekutivkomitees des Deputiertensowjets der UdSSR
14
RGASPI,fond 558, opis I I, delo 828, Blatt 32 f
15
Rückkehr (Woswraschtschemje),Regie Konstantin Wladimirowitsch Eggert, 1934
"
RGASPI,aaO.BI 35
17
Andre) Aleksandrowitsch Shdanow, Sekretär des ZK und Sekretär des Leningrader Ge¬
biets- und Stadtkomitees derWKP (B)
18 Anastas Iwanowitsch
Miko|an,Volkskommissar für die Lebensmittelindustrieund Kandi¬
dat des Politbüros derWKP (B)
19
RGASPI,aaO.BI 38
20
Ossip Bnk, Fruchte des Separatismus (deutsch), Kino Moskau vom 22 5 1934, zitiert
nach Die Abenteuerdes Dr Mabuse ,aaO,S 2l7f
21
ebenda, S 218
22
ebenda, S 218
23
Pudowkinhatte großeTeile seines Spielfilms Desertir (Der Deserteur) in Hamburg gedreht.Andnjewski verlegte den Stoff seines Filmes G/fae/ sensacn (Untergang der Sensatio¬
nen) nach Karel CapeksTheaterstuck „RUR" nach Deutschland etc
24Wsewolod Pudowkm.WladimirSchnejderow, Bons Bamet.AlexanderAndnjewski, 1
Mutanow, (ohne Überschrift), in Iswestija, 10 6 1934, deutsch, zitiert nach Bulgakowa, Die
Abenteuer ,aaO,S 218
25 In der
Sowjetunion wurde die Verstaatlichung der Filmindustrie 1920 als Grundungs|ahr
der Kinematographie angesetzt
26
Deutsche Zentralzeitung Moskau, 12 I 1935
27 ebenda
28 Wilhelm
Pieck, Brief an die Auslandsleitungder KPD vom 8 10 1936, Bundesarchiv Ber¬
lin SAPMO I 2/3 28, Bl 214
29
ebenda
30
vgl Vosstame rybakov Eine Dokumentationvon Jeanpaul Goergen, Berlin 1993, S 4
31
Protokoll Nr 20 der PB-Sitzung vom 23 Mai 1936, Bundesarchiv SAPMO, I 2/3 19,
Bl 197
32
vgl Wernitje mnje swobodu, a a O S 166
,
45
„Filmstudio
Menschen am
1929
zeigt seinen ersten Versuch'
Sonntag: restauriert
Aufbauend auf frühere Bemühungen von Enno Patalas, der vor einigen Jah¬
ren bereits eine Restaurierung von Menschen am
Sonntag erstellt hatte, legte
Martin Koerber 1997 für das Nederlands Filmmuseum eine weitere Restaurie¬
rung vor, die nicht nur langer ausfallt (1.839 m im Vergleich zu 1.744 m),
sondern auch eine erheblichverbesserte Bildqualitat aufweist. Das Original¬
negativ bzw. eine vollständige Kopie gelten als verschollen. Dass im Vergleich
zur Originallange weiterhin 175 m fehlen (vor allem aus den ersten beiden
Akten), bietet Raum für weitere Restaurierungen. So konnte Koerber noch ei¬
nige Filmmeter ausfindig machen, die als KombinationsaufnahmeBerliner Ba¬
deleben zeigen eine Sequenz, die sich aber begründet nirgends einfügen
ließ.
Die restaurierte Fassung von Menschen am Sonntag mit einer neuen Musik
der australischen Komponistin Elena Kats-Chernin wird am 16. 11. 2000 auf
ARTE gesendet
Neu in der jetzt verfugbaren Kopie sind vor allem dokumentarische Aufnah¬
men in der Filmmitte Ein anderer Film ist so nicht entstanden; das war auch
nicht zu erwarten Abei die fotogiafische Qualität dieser Restaurierung ver¬
blufft duich feinste Abstufungen insbesondere in den Nahaufnahmen, so dass
Schuftdns Kameiakunst vwedei voll zur Geltung kommt.
Diese Restauneiung sollte auch Anlass sein, endlich die Verdienstevon Moriz Seeler als Grunder und Leiter des Filmstudios 1929 angemessenzu würdi¬
gen die Filmgeschichtsschreibungfolgt bevorzugt den Spuren der Erfolgreichen und Seeler war der einzige dieses sich als Kollektiv verstehenden Stu¬
dios dei niii seinen weiteren Filmprojekten keinen Erfolg hatte.
Ergänzend /ui IV Piemiere der restaurierten Fassung von Menschen am
Sonnlag wird die DokumentationWeekend am Wannsee von Gerald Koll ausgestiahlt Koll zeit hnet sowohl die Entstehungsgeschichte von Menschen am
Sonntag dls dii( h die Arbeit an der Restaurierung nach, bringt Interview-Ausschnme nin der Hduptdaistellerin Brigitte Busch (geb. Borchert) sowie mit
Gurt Siodiiidk und verfolgt die weitere Karriere der Mitglieder des Filmstudios
1929 Ddss Koll dabei die Rolle von Moriz Seeler als dem Leiter des Filmstu¬
dios nii hl entspiei hend berücksichtigt, sei ihm nicht angelastet, hielt er sich
doch an den Sidiul der Forschung Kolls Film präzise in der Darstellung und
sinnlich in der Umsetzung lasst hoffen schließlich konnte man FernsehDokumentation zur deutschen Filmgeschichtein letzter Zeit nur noch selten
sehen (JeanpaulGoergen)
Wenn uns Menschen am Sonntag in seiner Rekonstruktion heute weniger als
cinema vente-Vorlauferdenn als ausgefeilt konstruiertes Werk erscheinen
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bleibt doch umso mehi die Abwesenheit einfacher psychologischer
Charakterisierungenzu bewundern Hier ist Wilders Drehbuchauch heutigen
Drehbuch-Lehrern überlegen, die Psychologie für das höchste Gut halten
Abei wie nähert sich Filmmusik, die üblicherweisegerade diese Seite der Figuienzeichung unterstutzt einem solchen Sujet und solchen Charakteren?
Die nahe liegende Antworthieße mit subtiler Unterhaltungsmusik so war
Otto Stenzel seinerzeit voi gegangen Das stand allerdings offensichtlich nicht
muss so
Debatte, und so nähert sich Elena Kats-Chernm den Idiomen des Pop der
zwanziger Jahre mit den Mitteln postmoderner E-Musik Sie schafft gewisser¬
zur
maßen ein klangliches Simulakrumder Epoche, die in ihrer Partitur vor allem
in den Klangfarben des Kammerensembles stets präsent ist Klarinette, Fa¬
gott, Trompete, Posaune, Percussion, Klavier Akkordeon, Streichquartett und
Kontrabass erinnern an em Salonorchestervon damals
Hinzu kommt eine das ganze nicht nur im Notenbild überhöhende So¬
pranstimme Der wortlose Gesang (in der Filmmusik von Morncone und Jarre
oft, aber stets im Bewusstsein seines gefährlichenAufmerksamkeitswerts ein¬
gesetzt) wirkt in diesem entemotionahsierten Kontext als Referenz an den
Pionier minimahstischer Filmmusik, Philip Glass Wann immer postmoderne
Konzertmusik populär sein will, ist sie gut beraten, sich bei den Formen der
minimal music zu bedienen und hier bewegt sich Kats-Chernm höchst souve¬
,
rän
Wenn man es also als Ideal ansieht sich den Charakteristiken von Pop-Musik zu nahern ohne selbst solche produzieren zu wollen ist ihre Musik ein
großer Erfolg Und wenn man es für geboten halt, auch in der berühmten
Schallplatten-Szenekeine source music oder found-footage-Elemente zu ver¬
wenden, ist auch ein stilistischerAusbruch in orientalische Klangwelten eine
Losung, die funktioniert, ohne den Klangkörper zu verlassen
Innerhalb lhier Vorgaben ist dies eine vorzüglich unterhaltende ernste Mu¬
sik' Andererseits zementieren solcheVersuche die es ja auch schon bei
Hindemith in den zwanziger Jahren gab eine Grenze zwischen U und E die
niederzureißen doch langst geboten ist und die auch die Filmemacher selbst
möglicherweise überwinden wollten Immerhinhaben wir es auf der visuellen
Ebene mit einem wahren fusion -Pionierwerkzu tun Der Bildstreifen Men
sehen am Sonntag fuhrt jedenfalls mainstream- und independent-Asthetiken
ohne Attitüde und Schubladendenken zusammen Dagegen steht doch noch
immer dei musikalischeErnst (Daniel Kothenschulte)
-
-
Menschen am Sonntag
Filmstudio 1929 zeigt seinen ersten Versuch / Leitung Monz Seeler/ Manuskript Billie
Wilder,nach einer Reportage von Kurt Siodmak/ Kamera Eugen Schuftan / Kamera-Assi¬
stenz Fred Zinnemann/ Regie Robert Siodmak, Edgar G Ulmer / Darsteller Erwin Splettstoßer (fahrt die Taxe 1A 10088), Brigitte Borchert (hat im letzten Monat 150mal die Plat-
47
„In einer kleinen Konditorei" verkauft),Wolfgangvon Waltershausen (Offizier,Landwirt,
zur Zeit Weinreisender), Christi Ehlers (lauft sich als Film-Komparsin
die Absatze schief),Annie Schreyer (ein Mannekin), Kurt Gerron,Valeska Gert, ErnstVerebes / Zensur B 24926,29 1/18 2 1930,Jv, 35mm, s/w, stumm, 6 Akte, 2014 m
Uraufführung 4 2 1930 (Berlin, UT Kurfurstendamm, Kino-Musik Otto Stenzeel [Sten-
te
Antiquar, Eintänzer,
—
zel])
Restaurierung (1997)
Unter Verwendung von zeitgenossischen Kopien der Archive Nederlands Filmmuseum,
CinemathequeRoyale, Brüssel, Gnematheque Suisse, Lausanne, Fondazione Cineteca Italiana, Milano / Konzeption der Restaurierung Martin Koerber / Kopierwerk L'immagine
Ritrovata, Bologna
Lange der restaurierten Kopie 35mm, s/w, I 839 m (= 73'30" bei 22 B/sec)
Kopien Filmmuseum Berlin Deutsche Kinemathek, Filmmuseum,Amsterdam,Cinema¬
theque Suisse, Lausanne, Fondazione Cineteca Itahana, Milano
Restaurierungsbericht Martin Koerber, On the Restoration of Menschen am Sonntag
Examination of a Specific Case, „Cmegrafie 11 /1998" (S 262 275)
Musik (2000) Elena Kats-Chernm/ Einspielung Czech Film Orchestra / Leitung Frank
-
Strobel / Redaktion Nina Goslar / Produktion KirchMedia
in
Zusammenarbeitmit ZDF/
Begleitmatenal Plakat und Pressemappe
Sendetermin 16 II 2000, ARTE, mit der DokumentationWeekend am Wannsee (D 2000,
ARTE /
Regie Gerald
Koll / Kamera und Schnitt Rene Perraudm /Ton Erich Lutz /
Bela Balazs
—
30')
Der sichtbare Mensch
Ein Film von Claudia Lenssen und Reka Gulyäs
Bela Balazs war einer der faszinierendsten Grenzganger zwischen der ungari¬
schen und deutschen Kultur des zwanzigsten Jahrhunderts Er war Dramati¬
ker, Erzähler und prominenter Librettist in Budapest, ehe er den Film ent¬
deckte Balazs, schrieb sich in Wien und Berlin in den Rang eines der besten
und umstrittensten Filmkritikers hinauf Heute sind seine Bucher „Der sicht¬
bare Mensch" und „Der Geist des Films bekannter als seine schillernde Per¬
sönlichkeit Bela Balazs, ein undogmatischer Sozialist deutsch-ungansch-judischer Herkunft, war der Ko-Autor von Lern Riefenstahl bei Das blaue Licht
(ARTE, 18 9 2000) Nach dem Krieg gründete er die Filmhochschule m Buda¬
pest Das Filmportrait Der sichtbare Mensch zeigt Bela Balazs als exemplari¬
schen Typus, dessen hochfliegende avantgardistische Lebenskonzepte mit
den realen repressiven Machtsystemen kollidierten
Bela Balazs Der sichtbare Mensch
Ein Film von Claudia Lenssen und Reka Gulyas / Kamera Ulrich Seifert / Schnitt, Michaela
Stasch / Eine Produktion der Cine Impuls Film und Video KG im Auftrag von ZDF/ARTE 1999
Deutsch-franzosischeErstausstrahlung 20 9 2000.ARTE, 23 25 Uhr
—
48
Ende der Spaßgesellschaft
Frauen, die man oft nicht grüßt (D 1925, R: Friedrich Zelnik)
von
Jeanpaul Goergen
Die Auffuhrung dieses Films aus den Bestanden des Gosfilmofond in Moskau
auf dem CineGraph-Kongress CinErotikon (1999) sowie in einer Sonderveran¬
staltung von CineGraph Babelsberg [Vgl. FILMBLATT 12, S. 24] konnte zu ei¬
ner Wiederentdeckung Zelniks fuhren, den die Filmgeschichte nur als den Re¬
gisseur von Die Weber (1927) gelten lasst. Gewiss: Frauen, die man oft nicht
grüßt von 1925 ist ein unterhaltsamer Mittelfilm, das Stationendrama der
„Tänzerin" Nina (Lya Mara), die aus der Spaßgesellschaftder „Goldenen
Zwanziger" aussteigt und nach allerlei Wirnissen uneheliches Kind, Tot¬
schlag in Notwehr ihren reichen Geliebten in die Arme schließt. Man kann
den trivialen Stoff aber auch als Geschichte einer Emanzipation lesen, als
Darstellungeiner Frau, die ihr Lebenselbst in die Hand nimmt. Auch aber
und vielleicht mehr noch als Kritik am Lebensstil einer bestimmten Gesell¬
schaftsschicht angesiedelt im Milieu der reichen Kaufleute, topografisch
verankert am Bayerischen Platz in Berlin, in einer furiosen Eingangsmontage
mit Kombinationsaufnahmen, Überblendungen und Zerrspiegeln den gro߬
stadtischenAmüsierbetrieb der Tanzpalasten aufrufend. Nina ist Teil dieser
Szene, aus der sie auch angesichts des Elends einer ihrer Kolleginnen aus¬
bricht und ihr Gluck in Zweisamkeit und Familie sucht. Das Großstadtleben,
auf das moralisch verwerfliche Leben in der Tanzsalen das sogar ehrbare
Bankbeamte (Paul Günther) zu Dieben werden lasst reduziert, wird negativ
konnotiert; die Liebe dagegen und das Muttergluck, auch wenn es unehelich
zustande kam, hochgehalten. Im trivialen Gewand eine scharfe Kritik an der
hemmungslosen Vergnügungssucht des Berliner Bürgertums und ihrer Doppel¬
moral Zelnik inszeniert konventionell, die Räume (Hans Sohnle, Otto Erd¬
mann) nur selten auslotend, alles spielt fast durchgehend auf einer Ebene,
die Kamera starr, gelegentlich Vorhange, um die Räume zu strukturieren. Be¬
merkenswert sind zahlreiche Groß- und Nahaufnahmen,mit denenZelnik
zum Teil aus der Erzahldramaturgie ausbricht: das feiste Gesicht eines Party¬
gastes, ein urberlinischer Taxifahrer, ein hinterhaltiger Wucherer. Wie ein
Fremdkörper wirkt auch eine Traumsequenz: Ninas Liebhaber, der Ingenieur
Fred (Alfons Fryland), als Kapitän unterwegs, sieht sie, verarmt und mittel¬
los, von der Not auf die Straße getrieben, auf der Flucht vor einer Razzia In
scharfen Schwarz-Weiß-Kontrasten erhebt sich eine surreale Großstadtkulis¬
se, darin „Russengesichter"nah. Eingeschnitten zwei dokumentarische Nah¬
aufnahmen eines Penners, so als wollte Zelnik hier sagen: aus der Wirklich¬
keit nehme ich meine Vorbilder. Schließlich Ninas Mord an dem verblendeten
Liebhaber, der mit der Spaßgesellschaftin ihr Heim einbrach: die emblematische Einstellung des Toten neben dem Saxofon sowie Ninas Entsetzen nach
der Tat Zelniks Kameramann war hier, wie in Die Weber, Frederik Fuglsang.
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49
Frauen die
man
oft
nicht
grüßt Traumsequenz Razzia
Frauen die
50
man
DokumentanscheAufnahme
oft nicht grüßt Traumsequenz
eines
alten Mannes
Razzia Inszenierte
Einstellung
Frauen die
man
oft nicht grüßt Lya
Frauen die
man
oft
nicht
Mara nach dem Mord
grüßt
Der
tote
an
dem
aufdringlichen Verehrer
Verehrer Das Ende der Spaßgesellschaft
(Photos Marian Stefanowski)
51
Das Filmarchiv der Akademie der Künste
von
Torsten Musial
Die Stiftung Archiv der Akademie der Künste wurde 1993 von den Landern Berlin und
Brandenburggemeinsam mit dem Bundesmmistenum des Innern gegründet In dieser
Stiftung wurden die großen Archive der beiden Berliner Akademien der Künste aus Ost
und West zusammengeführt Damit entstand das bedeutendste interdisziplinäre Archiv
zur Kunst des 20 Jahrhunderts im deutschen Sprachraum Nachlasse und Sammlungen
von Kunstlern aus den Bereichen Baukunst, Bildende Kunst Literatur Darstellende
Kunst, Film und Musik werden hier aufbewahrt
Sowohl die spatere Akademie der Künste der DDR als auch die Akademie der Künste
im Westteil von Berlin hatten bereits kurz nach ihrer Gründung 1950 bzw 1954 mit der
Einrichtung von personenbezogenenArchiven begonnen Zu deren ersten Aufgaben ge¬
horte die Sicherung von Zeugnissen und von Dokumenten der Kunstler, die von den
Nationalsozialistenins Exil gezwungen worden waren
Nachlasse von Filmkunstlern wurden schon sehr früh gesammelt Die Betreuung der
Sammlungen von Theater- und Filmkunstlern erfolgte über lange Jahre hinweg in einer
gemeinsam Archivabteilung DarstellendeKunst und Film Erst in den neunziger Jahren
wurde mit dem Aufbau eines eigenständigen Filmbereichs begonnen und es entstand
schließlich die heutige Archivabteilung Film- und Medienkunst
Derzeit betreut die Akademie der Künste über 140 filmbezogene Bestände Ein großer
Teil sind Nachlasse von Filmschaffenden der DEFA, darunter die Archive der wichtig¬
sten DEFA-Regisseure wie Konrad Wolf, Heiner Carow, Kurt Maetzig, Erich Engel, Ger¬
hard Klein, Siegfried Kuhn, Herrmann Zschoche, Schauspieler wie Erwin Geschonneck,
Rolf Ludwig Fred Delmare, Raimund Scheicher Damit ist die Akademie der Künste ne¬
ben dem Bundesarchiv Filmarchiv, wo die Verwaltungsakten der DEFA lagern, zur wich¬
tigsten Quelle für die Erforschung der DEFA-Geschichte geworden Der Nachlass von
Konrad Wolf, der von 1965 bis 1982 zugleich Präsident der Akademie der Künste der
DDR war, ist einer der größten Bestände Er umfasst Entwürfe, Treatments, Drehbucher
zu allen Filmen von Konrad Wolf, zahlreiche Briefe, biographische Unterlagen u a zu
seiner Zeit in der Sowjetunion, Entwürfe von Reden und Aufsätzen sowie tausende Fo
tos Unter seinen biographischen Dokumenten befinden sich seine Kriegstagebücher
Auf hunderten engbeschriebenen Seiten notierte er seine Erlebnisse als Offizier der Ro¬
ten Armee auf seinem Weg bis nach Bernau Diese Erlebnisse bildetenspater die Grund¬
lage für seinen Film Ich war 19 (1967) Eine ebenso interessante Quelle ist der umfang¬
reiche Bestand von Kurt Maetzig mit vielen Dokumenten zur Frühgeschichte der DEFA
und zur kulturpolitischenEntwicklung in der DDR
BedeutendeBestände im Filmarchiv der Akademie der Künste sind die Nachlasse von
Theo Lingen, Elisabeth Bergner Paul Czinner, Werner Hinz Carl-Heinz Schroth, Ludwig
Berger, Leopoldt Lindberg 0 E Hasse, Albert Venohr, Ernst Schröder, Valeska Gert und
Brigitte Horney Großen Quellenwert besitzen auch die Nachlasse der Kritikei Alfred
Kerr, Friedrich Luft und Herbert Ihenng Von herausragender Bedeutung ist der Be¬
stand von Helmut Kautner In den dann enthalten Unterlagen spannt sich der Bogen
von seinen Anfangen als Kunstler mit dem Kabarett Die vier Nachnchter über seine
ersten Kontakte zum Film als Drehbuchautor bis hin zu den großen Filmen der Nach¬
kriegszeit und schließlich seinen Fernsehspielen
52
Ein großer Bereich umfasst die Archive
von Regisseuren und Autoren von Fernsehfil
Peter Beauvais Eberhard Itzenphtz Oliver Storz Der Bestand
Fritz Umgelter einer der Begründer des Fernsehfilms in der Bundesrepublik umfasst
nahezu sämtliche Drehbucher zu seinen über 100 Fernsehproduktionen darunter zu
sogenannten Straßenfegern wie Soweit die Fuße tragen (1959)
men u a
Fritz
Umgelter
Mit dem interdisziplinären Ansatz ihrer Arbeit den sie der Akademie der Künste ver
dankt unterscheidet sich die Stiftung Archiv von anderen Kunstarchiven die aus
schließlich einzelnen Kunstsparten verpflichtet sind Dadurch ist es möglich dem Zu
sammenwirken einzelner Kunstgattungen bei der Entstehung eines Films gerecht zu
werden Bedingt durch diesen interdisziplinären Ansatz werdenKunstler bei denen der
Film nicht den Mittelpunkt ihre Schaffens bildete oder deren Nachlasse überwiegend
kunstgattungsspezifische Dokumente enthalten wie z B Notenhandschriften von
Fachwissenschaftlern anderer Archivabteilungen betreut So befinden sich die Samm
lungen von Komponistenwie Friedrich Hollaender Werner Richard Heymann oder
Hanns Eisler in der Obhut des Musikarchivs und von Schriftstellern wie Franz Fuh
mann Thomas Brasch oder Helga Schutz in der des Literaturarchivs
Neben den Personalarchiven werden von den Benutzern des Archivs häufig die Samm
lungen bzw Dokumentationenfrequentiert Die Filmdokumentation beinhaltet u a
Filmprogramme Kritiken Werbemateriahen Zeitungsinterviews biographische Artikel
überwiegendzu Filmen und Filmkunstlern aus dem deutschen Sprachraum Die Plakat
Sammlung verfugt über etwa 5 000 Filmplakate darunter mehrere hundert Plakate zu
sowjetischen Produktionen In der Filmfotosammlungbefinden sich mehr als 100 000
Szenen und Werkfotos Schauspielerportratsund Autogrammpostkarten
Die Filmsammlung schließlich enthalt über 1 000 Titel aller Formate Darunter befln
den sich nur wenige Spielfilmkopien Der größte Teil sind Dokumentarfilme und private
Dokumentaraufnahmen die überwiegend den Personalarchiven und Sammlungen zuge
hörig sind Über 300 Titel sind Filmaufnahmen mit oder über Bertolt Brecht bzw über
Inszenierungen seiner Stucke Jeweils 30 bis 40 Filme sind Dokumentaraufnahmen von
Gret Palucca Hanns Eisler Hans WernerRichter Paul Dessau Theo Lingen KonradWolf
und John Heartfield Ein Teil der Filme befindet sich als Depositumim Bundesarchiv
Filmarchiv und ist einfach erschlossen
Seit 1998 wird die Filmsammlung sukzessiv in das Filmlager der Stiftung Deutsche Ki
nemathek überfuhrt Dort werden die Filme in enger Kooperation mit der Stiftung
Deutsche Kinemathek erschlossen Die Filmangaben werden in den Datenbankender
Akademie der Künste bzw der Stiftung Deutsche Kinemathek abrufbar sein Dieser Pro
zess steht jedoch erst am Anfang Nach der Erschließung der Filme können sie mit Ge
nehmigung der Akademie der Künste im Bundesarchiv Filmarchiv bzw in der Stiftung
Deutsche Kinemathek gesichtet werden Da die Mehrzahl der Filme nur als Unikat in
der Filmsammlung der Akademie der Künste existiert wird eine Sichtung allerdings nur
eingeschränkt möglich sein Wir sind daher bemuht Benutzerkopien herzustellen
Wichtige Quellen für die Forschung sind die Aktenarchive des Hauses Die Akademie
der Künste der DDR bot häufig den einzigen in engen Grenzen gestatteten Freiraum
für Diskussionen über Filme und Filmpolitik Die Verwaltungsakten geben Einblick in
diese Vorgange angefangen von den Kontroversen um den Film Das Beil von Wandsbek
von Falk Harnack (DDR 1951) bis hin zu Coming out von Heiner Carow (DDR 1988/89)
In den Akten der Akademie der Künste (West) lasst sich beispielsweise der Verlaufder
Diskussion über die Gründung einer Deutschen Mediathek die von Akademiemitghe
53
dem wie Eberhard Fechner, Erwin Leiser und Egon Monk initiiert worden war verfol
gen Die Bibliothek des Hauses betieut mehrere hunderttausend Bande darunter zahl¬
reiche filmwissenschaftlichePublikationen Schwerpunkte des Bibliothekbestandes bil¬
den Nachlassbibliotheken und graue Literatur
Im Zentrum der Erwerbungstatigkeit des Filmarchivs der Akademie der Künste stehen
Nachlasse von Filmkunstlem aus dem deutschen Sprachraumseit den Anfangen des
Films bis heute Schwerpunktesind Berliner und Brandenburger Filmemacher, Mitglie¬
der der Akademie der Künste, die Filmgeschichte der DDR sowie die Geschichte des
Fernsehfilms
Aufgabe der Stiftung Archiv ist es die Archive und Sammlungen zu erschließen und
der Forschung sowie der interessierten Öffentlichkeit zur Auswertung zur Verfugung zu
stellen Zu diesem Zweck verfugt die Stiftung über große Lesesale, die lange geöffnet
und mit der notwendigen Infrastrukturwie Computer, Audio- und Videowiedergabegerate sowie Mikrofichelesegerateausgestattet sind Die Bibliothek-und Archivrecher¬
chen durch die Nutzer erfolgen überwiegend am Computer Dennoch werden zu jedem
Bestand auch Fmdbucher erstellt Eine Präsentation der Fmdbucher im Internet ist in
Vorbereitung Damit kann über die Bestandsubersicht hinaus nach dem einzelnen Do¬
kument recherchiertwerden Die Aufgabe, der Forschung Quellen zu erschließen und
für die Auswertung bereitzustellen, ist sicher einer der wesentlichsten Unterschiede
etwa zu Museen, die Filmgeschichte durch die Ausstellung von Filmtechmk, Requisi¬
ten, Kostümen, Modellen u a anschaulich machen
Die Akademie arbeitet mit vielen anderen Filmarchiven und -museen zusammen und
unterstutzt diese in ihrer Arbeit z B durch Leihgaben für Ausstellungen 1999 wurden
größere Leihgaben u a für Ausstellungen im Filmmuseum Potsdam (Alfred Hirschmeier), im DeutschenFilmmuseum Frankfurt am Main (Romy Schneider) sowie in Wien
und Speyer (Romy Schneider) zur Verfugung gestellt In begrenztem Umfang stellt die
Akademie der Künste ihre Bestände selbst in Ausstellungen, Veranstaltungen und Pu¬
blikationen vor Die Publikationen sind neben Ausstellungskatalogen hauptsächlich
Werkverzeichnisse der einzelnen Kunstler
Einen Überblick über die Bestände des Archivs geben die Publikationen Nachlasse
und Sammlungen zur deutschen Kunst und Literatur des 20 Jahrhunderts Die Bestän¬
de der Stiftung Archiv der Akademie der Künste Berlin' (Berlin 1995) sowie „Neuzugange in der Stiftung Archiv der Akademie der Künste 1995-1999' (Berlin 1999)
,
Postanschrift und Adresse
Robert-Koch-Platz 10, 101 15 Berlin
Telefon. 30884-258,-251, Einwahl 30884-0,Telefax 30884-102
E-mail musial@adkde, filmarchiv@adk de
Öffnungszeiten des Lesesaals Montag bis Freitag 9-17 Uhr, Do 9-19 Uhr
Telefon 30884-247, E-mail filmarchiv@adk de
Internetseite der Akademie der Künste wwwadkde
Internetseite des Filmarchivs (im Umbau) adk de/archiv/verz_filmmedienhtml
54
„Die
Kunst demVolke"
-
was
blieb?
Die Aufarbeitung des Nachlasses der Volksbuhne Hannovere.V. im
Kulturarchiv der hannoverschen Hochschulen
75 Jahre nach ihrer Gründung schloss die Volksbuhne Hannover e V ihre Pforten Der
Geschaftsnachlass der traditionsreichenEinrichtung wurde dem Kulturarchiv der han
noverschen Hochschulen zur Aufarbeitung und Archivierung übergeben Die Volksbuh
ne Hannover wurde im Mai 1922 anknüpfend an die sozialdemokratische Losung Die
Kunst dem Volke gegründet Der anfängliche Mitgliederbestand von 5 600 konnte be
reits in den ersten beiden Monaten auf 10 000 gesteigert werden Ein Kunstbeirat un
ter Vorsitz von Theodor Lessing entschied über die Auswahlder Inszenierungen die
den Mitgliedern angeboten und in einem Mitteilungsblatt besprochen wurden In den
ersten zehn Jahren wuchs die Mitgliedschaft auf über 40 000 womit die Volksbuhne
Hannover den höchsten Organisationsgrad aller im Verband der deutschen Volksbuh
nenvereine zusammengeschlossenenVereine aufwies Im Zuge der nationalsoziahsti
sehen Machtergreifung wurde auch die Volksbuhne Hannover gleichgeschaltet
Im Jahre 1949 erfolgte die Neugrundung der Volksbuhne in Hannover unter der Mit
Wirkung von Remigranten Zu den Zielen des Vereins gehorte die Inanspruchnahmeder
Kunst (neben dem Theater vor allem auch der Film) im Sinne des demokratischen Neu
aufbau der Gesellschaft Nach einigen Jahren stabilisierten sich die Mitghederzahlen
des Vereins bei 20 000 Hervorzuheben ist die vereinseigene Zeitschrift theater die
zu einem streitbaren
unter Henning Rischbieter u a mit Beitragen von Hans Mayer
Forum für das kulturelle Leben in Hannover wurde Dass die Aufmerksamkeit der Re
daktion nicht nur Theaterfragen sondern auch dem Medium Film galt davon zeugen
die zahlreichen Rezensionen in der Zeitschrift Volksbuhne bzw theater
In den 70er Jahren wurde das erste EDV gestutzte Kartenvermittlungssystem in der
Bundesrepublik entwickelt das 1974 von der Niedersachsischen StaatstheaterHanno
ver GmbH übernommen wurde und bis heute als Basis der Abonnementsverwaltung
dient Die Kooperation mit dem Staatstheaterschwächte jedoch die Mitghederbmdung
der Volksbuhne Die Kartenvermittlungsfunktion der ältesten und größten niedersach
sischen Besucherorganisation musste daher zum Ende der Spielzeit 1994/95 ebenso wie
die Herausgabe der theater Mitteilungen eingestellt, werden 1997 wurde auch die
Geschäftsstelle der Volksbuhne aufgegeben
Der Geschaftsnachlass des Vereins der im gleichen Jahr dem Kulturarchiv zur Aufar
beitung übergeben wurde umfasst Unterlagen aus der Zeit 1949 bis 1995 Der Bestand
ist inzwischen erschlossen und archiviert der Zugang erfolgt über ein Findbuch sowie
über eine Datenbank Die von der Volksbuhne Hannovernach 1945 herausgegebenen
Zeitschriften ( Volksbuhne und Theater ) sind gleichfalls erschlossenworden (Auf
satztitel und Verfasser) Die komplett überlieferte und als Korpus erhaltene Volksbuh
nenbibliothek ca 2 000 Bande wird zur Zeit erschlossen
-
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Nähere Informationen bei
Fachhochschule Hannover, Kulturarchiv
Dr Peter Stettner
Tel 0511-9296-433
E-Mail PeterStettner@ikfh-hannoverde
55
Die
„Viking-Eggeling-Gesellschaft" (Lund)
von
Patrick Vonderau
Die
Forschungslage zu
den Filmarbeiten des schwedischen Kunstlers Viking Eggeling
(1880 1925) nimmt sich immer noch recht bescheiden aus Vielversprechend erscheint
deshalb das Anliegen der Viking-Eggeling Gesellschaft im sudschwedischen Lund die
Kenntnis über Eggeling zu verbreiten und die Forschung über ihn zu unterstutzen
Bengt Rooke, Mitbegründer der Viking-Eggeling sallskapet hat seiner Homepage
(www rooke pp se) Informationen über die Vereinigung sowie über Eggeling und dessen
Film SymphonieDiagonale (1924/1925) beigeordnet Für den Filmhistorikerist die
Freude über diese Entdeckungnur von begrenzter Dauer, und das nicht nur, weil der
Text ausschließlichauf Schwedisch vorliegt Als Performance-Kunstler mit einer Affini¬
tat zu Dada und Fluxus interessiert sich der 68jahnge Rooke vor allem für jene Aspekte
von Eggehngs Wirken die mit seinem eigenen ästhetischen Programm korrespondieren
Dies schlagt sich im Aufbau seines Webangebotesnieder hat aber offenbar auch dazu
gefuhrt, dass die Gesellschaft inzwischen nur noch dem Namen nach besteht
Rooke sieht die Aufgabe der Vereinigung die 1988 im Kunstmuseum / Archiv für de
korative Kunst in Lund begründet wurde, vor allem in der Forderung des kunstlen
sehen Nachwuchses Als Spielbuhne, Kommunikations und Vermittlungsweg einer
Kunst, die die Gegenwart anhand von Prozessen im Bild, der Musik Bewegung Licht,
Ton, multimedialen oder anderen Formen oder Strukturen beschreibt
(www rooke pp se/text/viking html)
In den Grundungsjahren scheintjedoch gerade die Kooperation von Kunstwissen
schaftlern wie Gunnar Brähammer und Oscar Reutersvard und Filmhistonkern wie Jan
Olsson und Costa Wernerfür die Gesellschaftproduktiv gewesen zu sein Im März 1989
wurde erstmalig ein Viking Eggeling-Symposium in Lund veranstaltet, das sich aus Vor
tragen zur Kunst und Filmgeschichte, Konzerten und einer Ausstellung von Zeichnun¬
gen Eggehngs zusammensetzteSpater sprachen u a Gosta Werner (, Die Diagonalsinfo
nie aus quellenkntischer Perspektive ) und Kristin Thompson ( Film exhibitions, Con¬
ferences and festivals dunng the 1920s ), und für 1994 waren Vikmg-Eggehng-Tagege¬
plant, zu denen auch Miriam Hansen erwartet wurde Warum die Gesellschaft zu diesem
Zeitpunkt ihre Arbeit einstellte, geht aus Rookes Text nicht hervor Seine über die Sei¬
ten verstreuten polemischen Anwürfe gegenüber der Filmgeschichtsschreibung lassen
jedoch einen Kompetenzstreit vermuten
Entsprechend dünn bleibt der filmhistonsche Informationswert von Rookes Seiten
Einer wenig aussagekraftigen künstlerischen Interpretationder SymphonieDiagonale
ist der Film in drei unterschiedlichen Auflosungen zum Herunterladen beigefugt
(www rooke pp se/ rooketimell html) allerdings ohne den Hinweis welche Filmkopie
dieser Ladeversion zugrundelag Immerhin finden sich in der teilweise schon nicht
mehr aktuellen Linksammlung (www rooke pp se/rookehnks html) auch einige nutzli¬
che Literaturhinweise etwa auf die knappe Eggehng-Bibliographie, die das Internatio
nal Dada Archive der Umversity of Iowa ins Netz gestellt hat
(www4 lib uiowa edu 8080/dada/eggbib html)
-
Rooke selbst zitiert trotz seiner demonstrativen Skepsis gegenüber der Zunft der
Film-Akademiker wiederholt drei Texte die an der Universität Stockholm entstanden
sind die Dissertation von Louise O'Konor ( Viking Eggeling 1880-1925, Artist and Film
56
maker Life and Work Stockholm Almquist & Wiksell 1971) eine Hauptseminarsar
beit von Henrik Orrje zu Eggeling und seinen künstlerischen Erben ( Abstrakt anime
rad avantgarde film Viking Eggeling och hans efterfoljare Cl-uppsats 3 Oktober
1988 Institutionen for teater och filmvetenskap) sowie Gosta Werners und Bengts Edlunds musikwissenschaftlich fokussierte Interpretation der Symphonie Diagonale
( Viking EggelingDiagonalsymfomn Spjutspets i ätervandsgrand Lund Novapress
1997 mit deutscher Zusammenfassung)
Triumph der Bilder. Der deutsche Kulturfilm der zwanziger
und dreißiger Jahre im internationalen Vergleich
des Dokumentarfilmsin Kooperation mit der
Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), dem Bundesarchiv-Film¬
archiv, der Urania und ARTE (I. 2. Dezember2000)
Tagung des Hauses
-
Begriff Kulturfilm war in Deutschland bis in die fünfziger Jahre ein Sammelbe¬
griff für dokumentarische Filme der unterschiedlichstenArt vom Lehrfilm Der Hirsch
kafer (1920) über Kino-Vorfilme zum Thema Kunst und Kultur bis zu Propagandafilmen
Der
Lern Riefenstahls Triumph des Willens (1934/35) Der Einsatzfür die Ziele der
NSDAP hat dem deutschen Kulturfilm den Ruf eingetragen nichts anderes als ein
Transportmittel für faschistische Propaganda zu sein, obwohl er weit starker als bisher
angenommen internationalen Genrekonventionen und Filmstilen folgte, die sich auch
in der Dokumentarfilmproduktion anderer Lander wie der Sowjetunion, den USA, Gro߬
britannien Frankreich, Italien und den Niederlanden finden Eine andere Frage ist es
inwieweit die deutschen Kulturfilme schon in der Weimarer Republik neben Sachwissen
auch mentale und ideologischeDispositionen vermittelten,auf denen dann auch die
faschistischenVerfuhrungsstrategien aufbauen konnten Der pauschale PropagandaVerdacht hat dazu gefuhrt, dass die deutsche dokumentarische Filmtraditionnach 1945
fast in Vergessenheit geraten ist Auf der Tagung sollen einige dieser Fragen von inter¬
nationalen Experten diskutiert und mit Filmbeispielenveranschaulicht werden
Die Referenten Nico de Klerk, Filmhistonker am Filmmuseum in Amsterdam, Thomas
Elsaesser Professor für Medien- und Filmwissenschaft an der Universität Amsterdam,
Ulrich Jung, Dr phü Wiss Mitarbeiterdes DFG-Forschungsprojekts zum Dokumentär
film an der UniversitätTrier, Klaus Kreimeier, Professorfür Medienwissenschaft an der
UniversitätSiegen Hans-JoachimSchlegel, Publizist und Filmhistonker in Berlin, Wil¬
liam Uncchio Professorfür Comparative Media Studies am Massachusetts Institute of
Technology (MIT) und an der Universität Utrecht, Laurent Veray, Professor/ Dozent für
Filmgeschichte an der UniversitätParis III Brian Winston, Professor für Kommunikati¬
onswissenschaft an der Universität Westminster in London, Peter Zimmermann, Pnvatdozent für Literatur- und Medienwissenschaft WissenschaftlicherLeiter im Haus des
Dokumentarfilms Stuttgart
wie
,
Ort
Urania,
10787 Berlin,An der Urania 17 / Kleiststr 13
Teilnahmegebuhr 100 DM / ermaßigt 50 DM
Anmeldung und Information Haus des Dokumentarfilms.VillaBerg 1,70190 Stuttgart
Tel 071 I -166680 / Fax 071 I -260082 / Homepage www hdf de
57
Call for Papers
ChangingIdentities in Film.Television and the New Media
XIV IAMHIST Congress, University of Leipzig, Germany
18-22
July 2001
-
The International Association for Media and History will hold lts XIXth Congress at the
University of Leipzig Germany Plenary sessions (plus at least one additionalWorkshop
on each theme) will inculde
Changing Film Cultures Changing Television Cultures, 1986 to the Present (The former Soviet Union, Georgia The Baltic States, Czechoslovakia, German Democratic Re-
pubhc)
-
Changing Media Identities, 1948-1968 (Re-education and the Marshall Plan The NouVague in Eastern Europe, The Movements of 1968)
Changing Identities m/by Early Cinema
Sources researching identities for film and television production
Forging Identities race, class and gender
Media History and the Future a discourse on IAMHIST s changing identity
Proposais (maximum 200 words) for papers on these or related topics should be sent no
-
-
-
velle
later than 1 December 2000 to
Prof Dr Rudiger Steinmetz, Institut für Kommunikations-und Medienwissenschaft,
Universität Leipzig, Augustusplatz 9, 04109 Leipzig
e-mail rstein@r z um-leipzig de
URL http //www um-leipzig de/kmw
Call for
Papers
Living Pictures:TheJournal of the Populär and
before 1914
ProjectedImage
Living Pictures aims to stimulate research and interdisciphnarystudies in relation to
populär forms of Visual entertainment It will examine the uses and exploitationof the
populär and projected image within the fields of entertainment education, science
and the domestic environment
The Journal will be concerned with the diffenng social, cultural, technological and
economic contexts which these images occupy, and will include study of the following
media magic lanterns optical toys the populär photographic image, fairground entertainments (ghost shows peepshows phantasmagona and tableaux vivants), the moving image (Cinema the kinetoscope and chronophotography), Panoramas, Dioramas
and image-related advertising
Living Pictures will not only offer histoncal study of these media but also seek to
develop new approaches to interdisciphnarystudy and encourage cross-media research
The Journal will be jointly edited by Simon Popple of University of Teeside and Vanessa
Toulmin Director of the National Fairground Archive at the UniversitySheffield Articles will be refereed by an internationalpanel of histonans
58
Living Pictures will be published twice yearly by Flicks Books commencing in Spring
2001 Each lssue will contain 5 or 6 main essays as well as reviews and research re
ports news and archival repnnts Contnbutions and proposals for the first lssues of the
Journal are now being sought and should be addressed to
Simon Popple Department of Communication and Media The School of Law Arts and
Humanities The Umversity of Teeside Middlesborough Tower Middlesborough United
Kingdom
Simon popple@teesac
uk
Call for papers
The
vists
Moving Image:Journal
of the Associationof Moving
ImageArchi-
The Association of Moving Image Archivists Board has approved the creation of a new
Professionaljournal which will represent the interests of AMIA while also providing
an open forum for archivists libranans technical speciahsts scholars and academics
interested in our rapidly expanding field Moving Images will reflect in in depth artic
les the diverse interests of the membership including lts Special interest groups for
news and documentarycollections amateur film regional archives and academic
users The Journal with be published by the Umversity of Minnesota Press
The Journal will address issues involving all moving image matenals including histo
nc and contemporary film television and Video new and emerging digital technolo
gies as well as paper and three dimensional collections documentingthe history of
moving image media The journal will offer a compelhng mix of content including
*
Traditionalscholarly papers and histoncal essays
*
In depth examinations of specific preservation and restoration projects
*
Detailed profiles of moving image collections or archives
*
Interviews with leading figures in the Community
*
Behind the scenes looks at the techniques used to preserve and restore our moving
image hentage
*
Theoreticaland visionary articles and columns on the future of the field
*
Technical and practical articles on research and development in the field
*
Essays on the role of moving image archives and collections in the wnting of history
*
Reviews of books and films directly related to the archival field
*
Illustrations still reproductions frame enlargements and before and after image
compansons
An editonal team and editonal board has been assembled Pubhcation of the first is
sue is slated for Spring 2001 This will be a refereed journal maintaimng the highest
academic Standards of wnting Anyone whether a member of the Association or not is
welcome to submit manuscnpts and/or proposals
Inquines for Information and manuscript submissions should be
AMIA Office c/o Pubhcations Committee Chair
AMIA@AMIANET ORG
Sally
sent to
the
Ann Hubbard
59
Deutsches FilmmuseumFrankfurt
am
Main
Neuerwerbungen des Archivs
Ergänzendzu den schon in umfangreicher Anzahl im DFM-Filmarchiv aufbewahrten Ne
gativmatenahenhat uns Pavel Schnabel Kinokopien in 16 und 35 mm zur Einlagerung
übergeben Es handelt sich hierbei um 45 Vorfuhr- bzw Archivkopien zu 18 Filmtiteln
Damit verwahrt das Deutsche Filmmuseum (vermutlich) die umfangreichste Sammlung
Arbeiten der Pavel Schnabel Filmproduktion
Desweiteren wurden 121 Buchsen Bild- und Tonnegative zu 3 Filmen der Münchner
Produktionsfirma Kuchenreuther eingelagert Also sprach Bellavista (Italien 1984) Tele
Vaücano (Italien 1980) und Malina (BRD/Osterreich 1990, R Werner Schroeter)
Der bis Juni 1997 in Sudfrankreich aufbewahrte Nachlass von Curd Jürgens kam grö߬
tenteils ungeordnet in 40 Holzkisten verpackt ins Archiv des Deutschen Filmmuseums
Im Nachlass finden sich Materialien zu einem Großteilvon Curd Jürgens Arbeiten am
Theater für den Film und das Fernsehen, hierunter über 3000 Szenen- und Werkfotos,
rund 70 Drehbucher und Skripte, 45 Plakate, zahlreiche Programmhefteund anderes
werkbezogenesSchriftgut, ein Konvolut von Schriftwechseln zu realisierten TheaterFilm- und Femseharbeiten sowie samtliche verliehene Preise und Auszeichnungen,
Textbucher und Korrespondenzen Aufzeichnungenzu der Autobiografie und kein
bisschen weise' und das Verlagsmanusknpt des 1980 erschienen Romans Der süße
Duft der Rebellion' dokumentierendie schriftstellerischen Ambitionenvon Curd Jür¬
gens Einblicke in sein Privatleben liefern u a die Korrespondenz mit seiner Familie,
über 2300 PR- und Pnvatfotografien, Tagebucher und Terminkalender Fast drei Jahre
wurde der Nachlass wissenschaftlich aufgearbeitet, die Ergebnisse werden derzeit in ei¬
ner großenAusstellung und einem umfangreichen Katalog präsentiert
Bereits 1996 erhielt das Deutsche Filmmuseum ein umfangreiches Konvolut mit Re¬
cherchematerial, Produktionsunterlagen und Film- und Videobandern aus dem Besitz
des Regisseurs Romuald Karmakar zu seinen Arbeiten insbesondere zu seinem 1995
entstandenen Film Der Totmacher Das Museum konnte seine Sammlung mit produktionsbezogenenUnterlagen und Requisiten nach Abschluss der Dreharbeiten als auch
zum Bundesstart von Manila im Juni 2000 erganzen In dieser Lieferung enthalten sind
auch Materialien zu Frankfurter Kreuz (1997), Unterlagen zu Der Totmacher, aber auch
zu frühen und weniger bekannten Filmprojekten von Karmakar Das Filmmuseum wird
das gesamte Konvolut wissenschaftlichaufarbeiten und in einem Bestandsverzeichnis
der Öffentlichkeit zuganglich machen
von
,
7.6. 10.9.2000: Curd Jürgens
-
Margie Jürgens, die Witwe von Curd Jürgens, übergab 1997 den gesamten filmischen
Nachlass ihres Mannes an das Deutsche Filmmuseum Drei Jahre dauerte die wissen¬
schaftliche Aufarbeitung des Nachlasses, die Ergebnisse werden seit Juni in einer gro¬
ßen Ausstellung präsentiert Zu den Exponatengehören Arbeits- und Szenenfotos,
Bild- und Tondokumente,Requisiten und persönliche Aufzeichnungen, Filmpreise und
Filmkostume und das Schachspiel aus seinem franzosischen Haus Begleitend zur Aus¬
stellunghat das Deutsche Filmmuseum einen 224 Seiten starken Katalog mit ca 400
Abbildungen herausgegeben Hierin finden sich Beitrage von Filmwissenschaftlern und
60
-
Filmhistonkern die Aspekte beleuchten die bislang noch nicht in der Literatur aufge
arbeitet wurden Ergänzend und mit sehr persönlichen Erinnerungen beschreiben Texte
von Freunden Kolleginnen und Kollegen sowie Geschäftspartnern den Menschen Curd
Jürgens Ein ausfuhrlicherAnhang mit einem Verzeichnis aller Film- und Theaterarbei
ten sowie ein bebilderter Blick in den filmischen Nachlass komplettieren den Band Der
Katalog beleuchtet nicht nur textuell bislang vernachlässigteBereiche sondern zeigt
auch bisher unveröffentlichte Fotografien und Dokumente Er ist für DM 39 im Deut
sehen Filmmuseum erhältlich
27.9.- 12. 11.2000:
Marilyn Monroe-Augenblicke/ Doppelausstellung
-
-
I The Last Sitting Fotografien von Bert Stern
1962 erhalt Bert Stern den Auftrag, Marilyn Monroe für das Modemagazin Vogue zu
portraitieren Drei Tage verbringen Fotograf und Modell miteinander, und es entstehen
jene legendären Aufnahmen, die als Last Sitting von Marilyn Monroe gelten Die In¬
tensität des Fototermins, für den sich der Star ungewöhnlichviel Zeit nahm manife¬
stiert sich in diesen Portraits
II Norma Jean Baker Arbeiten an der Legende Moderne Ikonen und Objekte von Eugema Gortchakova
Zu sehen sind hier u a Regiestuhle,versehen mit Dialogfetzen aus den Filmen der
Monroe Kleider, ebenfalls versehen mit Filmzitaten Interpretationen von Marilyn als
Botticellis Venus oder Toulouse-Lautrecs Jane, ein gemalter Filmstreifen a la Warhol
Videokunst und Fundstucke von Mankke Heinz-Hoek, Videoskulpturen und Digital
pnnts derjungen Norma Jean, auf einem Tisch vor einer Videoinstallation Marilyn
verfremdet in strahlendem Blau, Titel Glamour liegt das vermeintliche Tagebuchder
Schauspielerin in einer Vitrine Fundstucke' und schließlich das Last Rondo Mari¬
lyn tanzt einen unendlichen Reigen um einen blühendenBaum und singt dabei ent¬
ruckt
,
FilmmuseumDüsseldorf
Zur Industrialisierung des Sehens
schütz (24. 11. 2000 -25.2. 2001)
-
Lebende Bilder
von
Ottomar An-
Die ersten hundert Jahre des Kinos wurden gefeiert, doch Ottomar Anschutz, der preu¬
ßische Photograph und Chronophotograph(6 5 1846 in Lissa 10 5 1907 in Fnedenau) war zu dieser Geburtstagsfeiernicht eingeladen Dabei trug vor allem seine Erfin¬
dung der elektrische Schnellseher m Deutschland zum Siegeszeug der Kinematogra¬
phie bei Die von Deac Rosseil und dem Filmmuseum konzipierte Ausstellung soll die
Verdienste dieses Pioniers auf dem Weg zur Kinematographie deutlich machen Nach¬
dem Ottomar Anschutzsich auf dem Gebiet der Momentphotographieeinen Namen ge
macht hatte mit dem von ihm konzipierten Schlitzverschluss nahm er Tiere in freier
Natur auf beschäftigte er sich mit der Reihenphotographie Wahrend seine Kollegen
Eadweard Muybndge (Amerika) und Etienne-Jules Marey (Frankreich) sich der wissen¬
schaftlichen Erforschung von Bewegungsabläufenwidmeten konzentrierte sich An
schütz als ausgebildeterPhotograph auf die Ästhetik der Aufnahmen Seine gestochen
-
-
-
,
61
scharfen Bilder zeigten subtile Kontraste wie sie von Marey und Muybndge nicht er
reicht wurden Anders als seine Kollegen dachte Anschutz von Anfang an auch an ihre
Verbreitung als Unterhaltungsmittel Er konnte 1890 die Firma Siemens & Halske ge
winnen die den elektrischenSchellseher in Serie baute und bis nach Amerika ver
tneb Ab 1894 projizierte Anschutz seine Bilder vor Zuschauern in mehrerendeutschen
Städten Als die Firma Edison ihr Kinetoskop in Deutschland einführte war das Inter
das Publikumkannte hochwertigere laufende Bilder
esse gering
-
Das Filmmuseumin „neuem Gewand"
-
Als das Filmmuseum im Sommer 1999 aus den alten Räumlichkeiten in der Kasernen
Straße in die Schulstraße zog musste es den Look der 70er Jahre mitnehmen Nach
einem Jahr sind jetzt auch äußerlich neue Zeiten eingezogen Die Kollegen vergessen
auf ruckengerechten Stuhlen ihre Kreuzschmerzenund genießen Beinfreiheit an ho
henverstellbaren Tischen Dank neuer Archivmobel kann ein Teil der filmverbundenen
Sammlung demnächst in klimatisierte Räume unter dem Dach ziehen Auch die Besu
eher der Schulstraße profitieren von der Modernisierung Für die Neugestaltung des Le
sesaals wurde eine elegant praktischeLosung gefunden die eine freundliche Atmo¬
sphäre zum Studium schafft
Durch die Umwidmung des alten Bunkers in eine Leitstelle für den Katastrophen
schütz musste das Filmmuseum Dusseldorf vor einiger Zeit aus seinem klimatisiertem
Filmlager ausziehen Nach halbjährigerSuche wurde das Filmmuseum dank einer Dus
seldorfer Immobilienfirma fundig Insgesamt 1000 qm wurden mit Hilfe der Stadt auf
15 Jahre angemietet Das Filmlager besteht aus zwei Räumen deren Klimatisierung
stufenweise regelbarist Dank der Beratung von Herrn Brandes und seiner Kollegen
vom Bundesarchiv konnte der beauftragte Klimatechmkerdie jüngsten Erkenntnisse
eines technischen Symposiums in Paris {Januar 2000) mit in die Planung einbeziehen
Auf der Suche nach Untermietern wurde das Filmmuseum bereits fundig Eine große
deutsche Firma lagert ihre Schatze ein Archivare aus NRWwollen sich das Filmlager
demnächst ansehen weitere Interessenten werden gesucht Diesen steht nicht nur
ein unabhängiger verschließbarerPlatz zur Verfugung sondern auch ausgestattete
Sichtungs und Arbeitsraume oberhalb der Lagers
Deutsches Filminstitut- DIF
„Die deutschen Filme" eine CD-ROM mit der deutschen Filmogra-
fie und den deutschen Top 100
Auf einer CD ROM mit dem Titel Die deutschen Filme sind jetzt die Ergebnisse zweier
Projekte des Deutschen Kinematheksverbundes publiziert Die deutsche Filmografie
sowie Materialien zu den Top 100 den wichtigsten 100 Filmen der deutschen Filmgeschichte
Der erste Teil der CD ROM Die deutsche Filmografie erfasst die wichtigsten fümo
grafischen Angaben zu allen 17 905 Spielfilmen die in Deutschland von der Geburt der
Kinematografie im Jahre 1895 an bis zum Jahr 1998 produziert worden sind Die Mate
62
-
-
-
nahen zu den Top 100 bilden den anderen Bereich auf der CD ROM neben ausfuhrh
chen Stab und Besetzungsangaben Inhaltsbeschreibungen und Filmkntiken zu den
100 Höhepunkten der deutschen Filmgeschichte präsentiertdie CD ROM das umfangrei
ehe Material das die sieben Institutionen die den Deutschen Kinematheksverbundbil
den zu diesen Filmen aufbewahren 2 659 Abbildungen Stand und Arbeitsfotos
Filmplakate Filmpartituren Drehbuchseiten und Architekturentwurfe erschließen
die Bestände dieser sieben Archive
Die CD ROM ist zum Preis von DM 55 (zzgl Versandkosten) beim Deutschen Filmin
stitut DIF und beim Fümmuseum Berlin / Deutsche Kinemathek erhaltlich Weitere
Informationen zum Inhalt der CD ROM auch auf der Website www filminstitut de
Deustches Filminstitut DIF Deutsches Füminstitut@em um frankfurtde
Filmmuseum Berlin Deutsche Kinemathek info@kinemathek de
Lern- und Informationssysteme zur Filmgeschichte: Eine Sozialge¬
schichte des bundesrepublikanischen Films
-
Das gemeinsame Internet Projekt des Deutschen Füminstituts DIF und des Instituts
für Theater Film und Medienwissenschaften der Johann Wolfgang Goethe Universität
Frankfurt am Main ist abgeschlossen und kann auf DIF Website www filminstitut de
eingesehen werden Finanzieller Trager der Arbeit war die Landesinitiative Hessen me
dia Eine Sozialgeschichtedes bundesrepublikamschen Films ist der Titel dieses Pro
jekts das die vergangenen fünf Jahrzehnte bundesrepublikamschen Filmschaffens un
ter sozialgeschichthchen und gesellschaftspolitischen Aspekten analysiert
Studierende der Johann Wolfgang Goethe-Umversitat erarbeitetendie Kriterien für
die Auswahlder Filme recherchierten in den umfassenden Archiven des DIF und zeigen
die Ergebnisse ihrer sozialgeschichthchen Filmanalyse jetzt mit den multimedialen
Möglichkeiten des Internets
Die Präsentation umfasst mehr als 400 Seiten Text mehr als 400 Fotos und über 170
Zeitungsartikel Darüber hinaus sind Audiofilesmit kurzen Tonsequenzenaus Filmen
sowie Interviewauszuge verfugbar Ausführliche Filmografien statistische Angaben
Biografien thematische Essays Literatur und Linkhsten sowie ein Forum runden die
Internetprasentation ab
Ziel des Projekts war es neue Modelle der Rekonstruktion und Aneignung von Film
geschichte zu entwickeln und sie dem Bildungsbereich und allgemein einer breitenOf
fentlichkeit zugänglich zu machen Dem tragt das Internet als Publikationsform Rech
nung Aber auch inhaltlich beschreiten die Studierenden mit einem subjektiven An
satz der auf Vorgaben und filmhistonsche Kanonisierung verzichtet neue Wege
goEast
-
Festival des mittel- und osteuropaischenFilms
11.4.2001
Wiesbaden,4.4. 2001
-
Das Deutsche Filminstitut DIF organisiert für den April 2001 die Premiere von
goEast einem Festival des mittel und osteuropaischen Films in Wiesbaden Mit dem
neuen Festival knüpft das DIF an seine filmkulturelle Tradition an Osteuropaische
Filmwochen frühererJahrzehnte an Als ein internationalesFilmforum neuen Typs wird
-
63
die sich verändernde soziale, psychologische und politische Situation in
den nuttel- und osteuropaischen Landern transparent machen Mit seinem Wettbewerb
will das Festival die Aufmerksamkeitdes deutschen Publikums auf aktuelle Entwicklun¬
gen der Filmkultur in den postkommunistischen Landern lenken Lander, deren öko¬
nomische und kulturelle Bedeutung für den Westen seit der Öffnung Mittel- und Osteu¬
ropas standig wachst Für den Wettbewerb werden 15 bis 17 abendfüllende Spiel- und
Dokumentarfilmeder vorangegangenenzwei Jahre ausgewählt, bei denen es sich um
rein mittel- und osteuropaische Produktionen oder deutsche Coproduktionen handelt
Eine unabhängige, internationalbesetzte Jury entscheidet über die Festivalpreise Hin¬
zu kommen voraussichtlichPreise der Filmkritik und des Publikums Nach Abschluss
des Festivals sollen die Preistrager-Filme durch ausgewählte Kinos in der Bundesrepu¬
blik und im Ausland teuren Auch ein spezieller Symposium-Teil des Festivals, der sich
jährlich einem neuen für Ost und West gleichermaßen relevanten Thema widmen wird,
hat die Aufgabe, internationale Dialoge anzuregen Ein Programm mit thematischen
und Hochschul-Filmreihen rundet das Angebot von goEast ab
-
goEast auch
Bundesarchiv Filmarchiv
-
Das Bundesarchiv Filmarchiv, Fehrbelhner Platz 3, 10707 Berlin, hat neue Telefon¬
-
nummern
Zentrale 01888 7770-0
Fax 01888 7770-999
E-Mail barch@-barch-fa b uunet de
FilmmuseumBerlin Deutsche Kinemathek
-
-
-
Die Stiftung Deutsche Kinemathek hat ihr neues Domizil im Filmhaus am Potsdamer
Platz bezogen und firmiert ab sofort als Filmmuseum Berlin Deutsche Kinemathek
Telefon- und Faxnummern werdenbeibehalten Filmverleihund Fotoarchiv sind ab so¬
fort geöffnet die Sammlungen sind ab 1 August und die Bibliothek ab 1 Oktober zu¬
gänglich Die Dauerausstellung des Filmmuseumswird am 26 9 2000 eröffnet
Fümmuseum Berlin Deutsche Kinemathek
Potsdamer Straße 2
10785 Berlin
www filmmuseum-berhnde
64
Personalia
Filmmuseum Düsseldorf
Am 15 April verstarb der frühere Leiter des Filmmuseums der Landeshauptstadt Dus
seldorf HartmutW Redottee nach schwerer Krankheit In Königsberg am 25 Juni 1935
geboren wuchs er in Essen auf Nach einem Studium der Kunst- und Theaterwissen
Schäften in Köln baute HartmutW Redottee in den sechziger Jahren den mitgheder
stärksten Fümclub der Bundesrepublik in Essen mit auf 1970 bis 1982 unterrichteteer
Filmtheone -geschichte und -asthetik im Fachbereich Kunst der Universität-Gesamt
hochschule Essen
Klaus G Jaeger holte ihn 1980 an das damalige Filminstitut der Landeshauptstadt
Dusseldorf wo er sich um den filmpadagogischen Bereich kümmerte Im Rahmen seines
Studio-Programmes in der BLACK BOX am Mittwochabendzeigte er avantgardistische
Filme Gleichzeitig boten diese Veranstaltungen jungen Fümmachern deren Filme kei¬
nen Verleih gefunden hatten, ein Forum, ihre Arbeiten zu präsentieren Das Studio
Programm entwickelte sich zu einer festen Traditionfür ein cinephiles studentisches
Publikum
Mitte der achziger Jahre erhielt er den Auftrag, ein Konzept für das zukunftige Filmmuseum der Landeshauptstadt Dusseldorf zu erarbeiten Mit der ihm eigenen Begeiste¬
rung für den Film erfüllte er diese Aufgabe wollte die weitverzweigten Aspekte erleb
bar machen, die wesentlichen Stationen des Films in seiner Entwicklung zur Kunst
durch die großen Filmschöpfer den Besuchern nahebringen und die Entstehung und
Entwicklung dieser über hundertjährigen Kunst dokumentieren
Für Redottee war das Filmmuseum eine Chance, Versäumtes nachzuholen, um auch
die unterentwickelte Filmkultur in unserem Land auf ein breites Fundament zu stellen
Zuletzt war er als Museumsleiter und -padagoge für das Filmmuseum tatig Er bannte
seine Zuhörer und Seminarteilnehmer mit seiner engagierten und sehr personlichen
Sicht auf den Film HartmutW Redottee setzte sich vehement dafür ein, dass der Film
in Deutschland nicht nur als Ware, sondern auch als ein den anderen Künsten ebenbür¬
tiges ästhetischesPhänomen angesehenwird
Am 31 Januar 2000, nach zwanzig Jahren, ging HartmutRedottee krankheitsbedingt
in Pension [FILMBLATT 12, S 54] Er hinterließeine große Lücke die Hoffnung der
Mitarbeiterdes Filmmuseums ihn als freiberuflichen Kollegen wieder in den Kreis auf¬
nehmen zu dürfen, hat sein für alle überraschender Tod zunichte gemacht
Deutsches Filmmuseum Frankfurtam Main
Ab September2000 wird Ulrike Stiefelmayer die Nachfolge von Kitty Vincke als Leiterin
des Kinos antreten Wahrend ihres Studiums der Kulturgeschichte Osteuropas, der
Kunst- und Kulturwissenschaften beschäftigte sie sich u a in Vorlesungen von Irmbert
Schenk mit dem deutschen Film der zwanziger Jahre und dem Filmschaffen der Sowjet¬
union dieser Zeit Längere Auslandsaufenthalte führten sie nach Frankreich Rußland
und in die Ukraine 1997 ging sie nach Berlin und nahm an der Fortbildung Film- und
Medienmanagement teil 1998 und 1999 war sie als Assistentindes Auswahlkomitees
65
des Internationalen Forums des Jungen Films sowie für das FilmFest Potsdam tatig im
Oktober 1999 wechselte sie ans Kommunalkino nach Bremen wo sie zusammen mit ih¬
ren Kollegen für Programmauswahl und -Organisation sowie für Presse- und Öffentlich¬
keitsarbeit zustandig war Für das Internationale Forum des Jungen Films übernahm sie
wahrend der Filmfestspiele 2000 die Kinoleitung im Cinemaxx am Potsdamer Platz Ihre
Interessenschwerpunkte liegen beim europaischen Film der zwanziger und sechziger
Jahre sowie beim aktuellen außereuropäischen Film
Deutsches Filminstitut
-
DIF
Ursula von Keitz, Leiterin der Sammlungen des Deutschen
Filminstituts DIF, Frankfurt am Main, zum 31 7 2000 aus Abi 10 2000 tritt sie eine
Stelle als wissenschaftlicheAssistentin am Seminarfür Filmwissenschaft der Universi¬
tät Zunch an
Betriebsbedingt schied Dr
Filmmuseum München
Die stellvertretende Leitung des FilmmuseumsMünchen hat seit dem 17 Juli 2000
Claudia Engelhardt (34) aus Köln übernommen Nach dem Studium Film- und Fernseh
Wissenschaft und Anglistik in Berlin arbeitete sie in der Disposition Filmverleih (TiMe
München und Köln) sowie u a beim Kinofest Lunen und beim Internationalen Filmfest
Emden (Pressearbeit) Bis Juni 2000 leitete sie die Geschäftsstelle der Arbeitsgemein¬
schaft der unabhängigen Filmverleihere V (ag verleih) in Köln Neben der Programm¬
planung obliegt ihr beim Filmmuseum München vor allem die Offentlichkeits- und
Pressearbeit
13. Internationaler Filmhistorischer Kongress, Hamburg
16.-19. 11.2000
Deutsche Universal -TransatlantischeVerleih- und
Produktionsstrategieneines Hollywood-Studios
Info:
CineGraph Hamburg, Gansemarkt 43, 20354
Tel.: 040 35 21 94; Fax: 040 34 58 64
E-mail: [email protected]
-
http://www.cinegraph.de
66
-
Hamburg
Neu in der
edition text
+
kritik
FILMEXIL
Filmmuseum Berlin
Deutsche Kinemathek
vom
¦¦
.
—
Herausgegeben
*
I
FILMEXILerscheint mit
zwei Nummern im Jahr zum
Abonnementpreis
von
DM 28-/ÖS 204,-/sfr26,Alle Hefte sind auch einzeln
erhältlich.
Die Zeitschrift, die früher in
der Edition Hentrich publiziert
wurde, erscheint ab Heft 12
in der edition text + kritik.
Malte Hagener (Hg.)
Geschlecht in Fesseln
Sexualitätzwischen
Heft 12/2000
Aufklärung
und Ausbeutung
im Weimarer Kino
Schauspieler
1918-1933
64
Ein CineGraph Buch
etwa 180 Seiten, zahlreiche
Abbildungen
im Exil
Seiten, zah/r. Abb.
DM 18.-/ÖS 131,--/sfM7,~
ISBN 3-88377-656-4
Bisher unveröffentlichte
Archivmaterialien und Zeit¬
ca. DM 35,ca. öS 256,-/sfr32,50
zeugnisse sowie analytische
ISBN 3-88377-643-2
Jahrmarkt und Wissenschaft:
diese beiden Traditionen des
Kinos treffen im Aufklärungs¬
film der Weimarer Republik
zusammen. Die überkomme¬
ne Gesellschaft des Kaiser¬
reichs war gesprengt, Ge¬
schlechterrollen begannen
sich zu wandeln, neu ge¬
wonnene Freiheiten erschie¬
nen je nach Blickwinkel
als Versprechen oder
-
Aufsätze und Untersuchun¬
gen bieten ein Forum, auf
dem die enge Verflechtung
von Kunst und Gesellschaft,
von Film und Politik diskutiert
werden kann.
-
Drohung.
Die Beiträge dieses Cine-
edition text
+
kritik
Levelingstraße 6a
81673 München
www.etk-muenchen.de
graph-Buches analysieren
Darstellung von Sexualität
zwischen Aufklärungund
Ausbeutung im deutschen
die
Kino zwischen 1918 und
1933 aus unterschiedlichen
Perspektiven.
67
Neue Filmliteratur
vorgestellt von... Claudia Lenssen
¦ Deutsch/and auf der Mattscheibe. Die Geschichte der Bundesrepublikim Fern¬
sehspiel. Hg Martin Wiebel Frankfurt am Main Verlag der Autoren, 1999,421 Seiten, III
ISBN 3-88661-216-3, DM 38,00
Ein aktives Museum keine Endlagerung für Sendebander soll das Fernsehmuseum in
Berlin werden Die Idee ist am Beispiel von Programmen deutsche Zeit- und Mentalitatsgeschichte den sozialen, politischen und ästhetischen Wandel in beiden Deutsch¬
lands sinnfällig zu machen Die Institution für diese Archivierungs- und Aufberei¬
tungsarbeit, die Mediathek, existiert auch Jahre nach dem Tod ihres Crundervaters
Eberhard Fechner aus finanziellen und rechtlichen, aber auch aus Prestigegründen im¬
mer noch nicht
-
Im letzten Jahr war eine vorläufigeWiederbegegnungmit der westdeutschen, öffent¬
lich-rechtlichen Programmgeschichte möglich nachdrücklich als Mahnung an die feh¬
lende Mediathek gedacht Martin Wiebel, langjährigerFernsehspielredakteur und -dramaturg beim WDR in Köln und jetziger Filmconsultant, stellte für das Beiprogramm der
Ausstellung des Deutschen HistorischenMuseums eine Retrospektive zusammen und
veröffentlichte ein Begleitbuch dazu Fünfzig Fernsehspiele von 1958 bis 1997, mit
kurzen Inhaltsangaben Stabilsten und je zwei zeitgenossischen Texten aus der Ma¬
cher- und der Kritikerperspektivepräsentiert, ergeben auf diese Weise eine Chronologie
exemplarischer Themen und Stoffe aus fünf Jahrzehnten Die Auswahl und medienhi¬
storische Einordnung im vorangestellten Text von Wiebel zielen jedoch auf einen höhe¬
ren Anspruch Er beschreibt das Fernsehspiel in Anlehnung an Hickethier und Koebner
als .Spiegel der Zeit" und betont, wie das jeweilige Einzelstuck in einem Kontext von
Programmpolitik, gesellschaftskntischenOrientierungsprozessen innerhalb der Redak¬
tionsgruppen und kritischenAnstoßen durch die kreativen Schreiber und Filmemacher
entstand Leider macht er seine Rolle in der Produktionsgeschichte des WDR-Fernseh¬
spiels nicht deutlich Auch die Beitrage zu der Retrospektive,die er aus dem eigenen
Stall wichtig fand, sind nur Insidern kenntlich Es sollte also kein persönliches Buch
werden, sondern ein Denkmal für eine im Untergang begriffene Medienkultur, die ge¬
gen den populistischen Quotendruck des Privatfernsehenskeine prinzipiell alternative
Programmpohtikmehr aufzubieten hat Ein elegischer Unterton mischt sich so in das
Plädoyer für mehr Aufmerksamkeitgegenüberder Fernsehgeschichte
Die Widerspruche, die das Buch aufwirft, entwerten seine Idee ebenso wenig wie die
dann enthaltene Tendenz zur Museahsierung des Mediums Das Fernsehspiel lauft ein¬
mal und verschwindet dann im unendlichen Archiv, heißt es an einer Stelle, an ande¬
rer Fernsehen ist unser Selbstverstandigungsmedium, eine identitatsbildendeDauer¬
veranstaltung Wie sich die Einzelstucke zu den Programmformen ihrer Zeit insgesamt
verhalten, wäre eine interessanteFrage über das Buch hinaus, ein Projekt für die Me¬
diathek Es konnte die Perspektive erweitern nicht nur belegen, dass Fernsehspiele
ihre Zeit und deren Weltvorstellungen abbilden, sondern auch fragen, wie das Fernse¬
hen umgekehrtdie Gesellschaft, die Individuen verändert hat Das Private, der Raum,
den das Fernsehen heute dominiert, ist nämlich in diesem Sinne politisch, anders als
Martin Wiebel es in seinem Buch wahrhaben will
68
vorgestelltvon... Uli Jung
Meg Gehrts Weiße Göttin der Wangora: Eine Filmschauspielerin 1913
Wuppertal P Hammer, 1999 278 Seiten, III
¦
ISBN 3-87294-813-X, DM
in Afrika.
39,80
Die Anfange des deutschen Kolonialfilmszu Beginn des Jahrhunderts sind bisher wenig
erforscht, die Überlieferung der Filme ist bruchsluckhaft und überdies bis heute nicht
systematisch erfaßt worden Um so erfreulicher ist es, auf eine autobiographische
Schrift hinweisen zu können die aus der Sicht einer Protagonistin über eine Filmexpedition in den deutschen Togo im Jahre 1913/14 berichtet
Die Hamburgenn Meg Gehrts schloss sich dem Afrikaforscherund Filmemacher Hans
Schomburgk an, als der sich anschickte, in den deutschen Kolonien Spielfilmezu dre¬
hen, für die sie als Hauptdarstellenn vorgesehen war Ihre Erinnerungen an diese Reise
erschienen 1915 unter dem Titel A Camera Actress in the Wilds of Togoland' in Eng¬
land und den USA, knegsbedingt durfte sie dieses Buch selbst nie in Händen gehabt
haben Nun, mit 85-jahnger Verspätung, macht der Wuppertaler Peter Hammer Verlag
ihr Buch erstmals einem deutschen Lesepublikum zuganglich
Man erwarte keine analytische Studie Auch die Dreharbeiten selbst nehmenin
Gehrts Erinnerungen keine herausragende Stellung ein Interessantfür den Erforscher
des frühen Kinos ist hingegen die Perspektive der Autorin, die sich einerseits in zeitge¬
bundenerkultureller Überheblichkeit Urteile über afrikanischeMenschen anmaßt, die
von keinen Detailkenntnissen belastet sind, die aber andererseits vor allem in der
Schilderung der Lage der Frauen ein Interesse, bisweilen gar Empathiebezeugt, wie
sie auch einige der ethnographischen Filme beflügelt haben mögen, die quasi am Ran¬
de der Expedition ebenfalls entstanden
-
-
Gehrts Erinnerungen sind nicht dokumentarisch eher romanhaft, aber sie dokumen¬
dennoch den Gestus des frühen Kolonialfilms, belegen die legitimatonsche
Funktion, die er für die europaischen Kolonialreichegehabt hat und bezeugen den en¬
thusiastischen Exotismus, der Teile des Pnmarpubhkums in die Kinos getrieben haben
mag
Alle auf der Expedition 1913/14 gedrehten Filme gelten heute als verschollen Major
Hans Schomburgk hat sich durch seine Aktivitäten in den zwanziger und dreißiger
Jahren seinen Platz in der Filmgeschichte gesichert
Die kleine Rolle, die Meg Gehrts im deutschen Film gespielt hat, haben Gudrun Honke
und Janos Riesz in ihrem Nachwort, so gut es die überliefertenDokumente zulassen,
nachgezeichnet Aus der 1891 geborenen Hamburger Kaufmannstochter und Zufallsschauspielenn, einer .guten Sportlerin und „begeistertenReiterin mit „großen
schauspielerischenFähigkeiten wird 1922 für wenige Jahre Schomburgks Ehefrau
Statt einer Hochzeitsreisebereist sie mit ihrem Mann 1922 bis 1924 Liberia, wo
Schomburgk seinen dokumentarischen Film Mensch und Tier im Urwald dreht Nach der
Trennung schlagt sie sich mit Verlagsarbeitendurch und wird schließlich von der Ufa
als Cutterin angestellt, eine Position, die sie nach dem Krieg der sowjetischen Besat¬
zungsmacht Gehrts lebt zu dieser Zeit in Potsdam verdachtig macht Nach einem
Intermezzo in Hamburg lasst sie sich in West-Berlin nieder und arbeitet für den Sender
Freies Berlin 1966 stirbt sie in Berlin
tieren
-
-
,
69
¦ Ernst Kienmger, Nikola Langreiter.Armin Loacker,Klara Loffler (Hg)
Wien FilmarchivAustna,2000 (= Edition Film undText,Bd2)
379 Seiten, III,
I.April
2000.
plus VHS-Videokassette
ISBN 3-90I932-07-0.ATS 298
westeuropaischer Filmgeschichte ist sicherlich WolfgangLiebeneiners
April 2000, jener staatlicher Aufragsfüm mit dem die österreichischeStaatsregie
Eine Kuriosität
l
rung 1952 auf die anhaltende Präsenz alliierter Besatzungstruppen im Lande aufmerk¬
sam machen wollte
In einer vierjährigenProduktionsphase an deren Beginn ein Preisausschreiben um
die beste Drehbuchidee stand und die die damals gigantische Summe von weit mehr als
11 Millionen Schilling verschlang, kam ein satirisch gemeinter, bieder-futuristisch ge¬
stalteter Film heraus, der die Alliierten von der historischenund gegenwartigen Harm¬
losigkeit Österreichsund der Österreicherüberzeugensollte Die creme de la creme
österreichischerSchauspieler wurde aufgeboten, die Museen des Landes waren die
Leihgeber der Fümrequisiten darunter die k u k Kronjuwelen, Originalschauplatze
wurden für die Dreharbeiten hergerichtet, darunter der Stefansdom, für den erstmalig
eine Drehgenehmigungerteilt wurde Diese Begleitumstände wurden intensiv zu Rekla¬
mezwecken ausgewertet und belegen heute den Stellenwert, den die Staatsregierung
dem Osterreichfilm in den fünfziger Jahren zuerkannt hat
Der Film dessen Handlung den Besatzungszustand des Landes noch für das Jahr
2000 annimmt beginnt damit, dass der neu gewählte Ministerpräsident Osterreichein¬
seitig für unabhängig erklart, woraufdie Weitschutzkommission der Globalunion das
Land besetzt und wegen Bruchs des Weltfriedens vor Gericht stellt Gelegenheit für den
Ministerpräsidenten,die Fnedfertigkeit seines Landes durch seine tausendjährige (sie')
Geschichte an Beispielen zu belegen und seine kulturellen Errungenschaften die Mu¬
sik, den Wein, die Gemütlichkeit klischeehaft gegen die Anklage des Gerichts ins Feld
zu fuhren
Der Film konntenach seiner Uraufführung am 19 November 1952 nur knapp die
Hälfte seiner Produktionskosten einspielen errang aber in den achtziger Jahren einen
unpolitisch zu verstehenden Kultstatusund wurde kurzlich aus Anlass seines Jahresta¬
ges vom Filmarchiv Austna in einer restauriertenFassung wieder aufgeführt und mit
einem vielseitig argumentierenden Begleitbuch produktions und rezeptionsasthetisch
-
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perspektiviert
Im zentralen Aufsatz des Bandes geht Ines Steiner der Frage
nach, wie es geschehen
Aufgebot mehr oder weniger hochkarätiger, auf jeden Fall
hoch professioneller Beteiligter ein solches, nachgerade aberwitziges Produkt zustande
brachte (S 152) Und sie kommt auch sogleich zu einer möglichen Antwort, namheh
,dass es das Thema selbst, dass es die Problematik der Erinnerung an Osterreich ist,
die statt eines kohärenten Legitimationsdiskurseseine Fülle merkwürdiger und irritie¬
konnte, dass das gesamte
render Effekte erzeugt (ebd ) Im filmischen Diskurs spielt entsprechend die jüngere
Vergangenheit Österreichs keine Rolle warum Osterreich überhaupt von den vier Alli¬
ierten besetztworden war, wird im Film überhauptnicht angesprochen Die geschicht¬
liche Perspektive wird also in einer Weise verkürzt, dass die Gegenwartaus ihr nicht
mehr erklart werden kann
Dass 1 April 2000 irgendeinen Einfluss auf die Entscheidung der Alliierten gehabt
haben sollte Osterreich 1955 mit einem Staatsvertragwieder in die Unabhängigkeit zu
70
entlassen kann getrost bestritten werden, dafür war der Erfolg des Films vor allem im
Ausland zu verschwindend gering Filmhistonsch aber geht es um mehr als nur eine
Kuriosität der Film ist ein Beleg dafür dass Staatsregierungen zu Fümproduzenten
nicht taugen und dass nationale Identität im Film sich nicht von oben diktierenlasst
sondern sich auf andere Weise in die filmischen Diskurse einschreibt Filmanalyse ver¬
folgt unter anderem das Ziel diese Prozesse sichtbarzu machen
¦ Andreas Weber (Hg) Er kann fliegen lassen. Gespräche undTexte über Bernhard
Wicki (19l9-2000).St Polten Literaturedition Niederosterreich,2000, 122 Seiten,III
ISBN 3-901117-47-4,ATS 300
-
Die in Bernhard Wickis Geburtsstadt St Polten beheimatete Literaturedition Nieder¬
osterreichhat dem am 5 Januar 2000 in München verstorbenen Schauspieler und Re¬
gisseur einen originell ausgestatteten Band gewidmet, der doch mehr ist als eine bloße
Hommage Der Vorteil dieses Sammelbandes gegenüberden monographischenZugangen
von Robert Fischer (1991, a1994), Peter Zander (1994) und Richard Blank (1999) liegt
in der Möglichkeit, Wickis Filme nicht chronologisch analysieren und sie einem klassi¬
schen Werkbegriff unterstellen zu müssen, sondern sie auch übergreifenden Fragestel¬
lungen unterwerfen zu können und so Kontexte zu schaffen, die in strukturellenVer¬
gleichsmustern hervortreten So hat Robert Buchschwenterin seinem Beitrag „Der Ver¬
such der Selbstfindung in der Onentierungslosigkeit in den Filmen von Bernhard
Wicki auf die von keiner Ethik gelenkten Konstellationen hingewiesen, aus denen
heraus Wickis Protagonisten sich oft erfolglos Schneisen zu schlagen suchen
Stefan Gnssemann untersucht die Filme Warum sind sie gegen uns? und Die Brücke
auf Wickis Kinder- und Jugenddarstellungen, die er unter dem schonenTitel „Triumph,
des Unwillens gegen die Darstellungskonventionen anderer deutscher (Die Halbstar
ken) und amerikanischer (James Dean/MarlonBrando) Filme der Zeit absetzt
-
Bernhard Seiter zeigt, wie Wickis Die Brücke sich dem Genre des Antiknegsfilms ge
verweigert wie dem des Knegsfilms, da er einen Diskurs einführe, wo andere
Genrebeispiele nur ein Modell verfolgten Die Selbstfindung des Protagonisten und sei¬
ne selbstgewahlte Ruckkehr [ ] zur (echten) Gemeinschaft
wie in Milestones AU
Quiet on the Western Front werde in Die Brücke verweigert, das Erlebnis des Kneges als
besonders abenteuerliche Form der Reise, wie in Peckinpahs Cross oflron werde in Die
Brücke als verheerende Bewegung der Welt über einen hinweg ins Gegenteil verkehrt,
der zufälligen Inkoharenz von Mahcks The Thin Red Line stelle Die Brücke die Imma¬
nenz des Zufalls gegenüber
Dem Schauspieler Bernhard Wicki nahern sich zwei Beitrage von Stefan Gnssemann
und Andrea Lang und Franz Marksteiner Vor allem letzteren gelingt eine souveräne
Kontextuahsierung von Wickis Darsteller-Oeuvreim Umfelddes deutschen und österrei¬
chischen Nachkriegsfilms Wicki stehe in diesem Zusammenhang ,fur den wortkargen,
hintergrundigen Mann, nicht selten ergänzt um den Wesenszugdes Fremdartigen
Sein Spiel ist immer ein intellektuelles, im Dialog verankertes das dann ruckartig in
eine körperliche Berührung Besitznahme übergeht, die stets ungelenk und im Grunde
gewalttatig erscheint Wickis Darstellungsweise passe sich somit in ein narratives Mu
ster ein, das den deutschsprachigen Film seiner Zeit dominiert habe, und der den Sub
text des Schauspielers der beim Zuseher abgerufen werden kann, noch bevor der ei¬
gentliche Spielakt beginnt, zum stilistischen Moment überhöhe
nauso
-
,
,
71
Wahrend Michael Omasta Wickis Kurzfilm Die Tiane der 1967 als Teil des Episoden¬
films Paukenspieler kurzzeitigin die Kinos kam, als Vorstudie zu seinem spateren Das
falsche Gewicht interpretiert und auf diese Weise so etwas wie einen österreichischen
Block in Wickis Werk auszumachen scheint ist es Paulus Ebner in seiner Annäherung
über Selbstzeugnissen unter anderem darum zu tun, den Regisseur vor einer Verein¬
nahmung als österreichischerFilmemacher zu bewahren, wie es als Teil der alten Filmgeschichtsschreibung allzu gern mit Zinnemann, Wilder oder gar Strohheim geschehen
ist Vielmehr stehe seine Karriere doch in untrennbaremZusammenhang mit der bun¬
desdeutschen Geschichte, und zwar der politischen wie auch der Fümgeschichte
Abgerundetwird der schone Band mit Interviews und Erinnerungen zahlreicher von
Wickis Mitarbeitern,darunter seine zweite Ehefrau Elisabeth Endnss, Peter Kremer
sein Neffe Helmut Furthauer, Michael Hanecke (der Wicki in zwei Filmen inszeniert
hat) und Armin Mueller-Stahl
vorgestellt von... Jürgen Kasten
¦ Friedrich Knilli fch war Jud Süß. Die Geschichte des Filmstars Ferdinand Marion.
Mit einem Vorwort von Alphons Silbermann Berlin Henschel 2000,208 Seiten
ISBN 3-89487-340-X, DM 39,90
Im Schatten seiner Filme stand nicht nur Veit Harlan Sondern wohl auch Ferdinand
Manan, der Hauptdarsteller einer der perfidesten, wirkungsasthetisch wahrscheinlich
aber auch einer der perfektesten NS-Filme Jud Suß (1941) Der emeritierte MedienwissenschaftlerFriedrichKnilli versucht diesen Schatten zu lichten Einerseits, indem er
die Vor- und Nach-, somit die Rollengeschichte der Laufbahn Manans aufblättert An¬
dererseits wenn er versucht, den Film Jud Suß neu zu bewerten, indem er im Gang
durch die literarische Figurengeschichte des Joseph Suß Oppenheim und ihrer verschie¬
denen medialen Aneignungen bereits früh einen Prototyp antisemitischerErotik und
Pornographie ausmacht Diese anscheinend stets publikumswirksamenAttribute ver¬
stärkt Harlans Film in einer geschickt gebauten melodramatischen Konstruktion In ihr
kommt dem virilen Charme Manans, der bereits in früheren Filmrollen gern als verfüh¬
rerische dunkler Schurke (tall, dark and at least not handsome) eingesetzt worden war,
ein besonderer, aber eben auch bekannter, vom Publikum genossener Stellenwert zu
Bereits in der verdienstvollenAnalyse von Manans Buhnenrollen in Graz, Aachen,
Mönchengladbach, Trier, Hamburg München und Berlin markiert Knilli vor allem die
auffälligen Figuren, in denen bereits Aspekte der spateren Jud-Suß-Rolle aufscheinen
Ähnliches gilt auch für die Filmrollen Die Kapitelüberschrift,Vom heißblutigen Araber
zum Filmbosewicht mit sex appeal unterstreichtdieses manchmal vielleicht etwas zu
sehr verfolgte forshadowing Der Theaterabend, an dem für Knilli Manans Schauspiel¬
kunst zum ersten Mal die bis dato überwiegende Schmierendarstellung überwand, soll
denn auch die Rolle eines Lustmorders gewesen sein, in der Manan eine „Selbstentdekkung der eigenen sadistischenAnteile (S 70) gelungen sein soll Aussehenund
Rollenpragung hatten bereits 1933 seinen Typus als den eines jüdisch-orientalischen
Zuhalters' (S 80) nahelegt
Zwar erwähnt Knilli auch alle anderen FilmrollenManans, zuweilen sind es jedoch
kurze Hinweise bzw Nacherzählungen der Story Vielleicht hatte man sich in Bei-
nur
72
Spielanalysen auch Rollen intensiverannehmen sollen die abseits des etwas linear
markierten Weges zu Jud Suß gelegen haben
Leider fallt eine Nachprüfungder vorgelegten Rollenbilderäußerst schwer bzw ist
dem Buch heraus unmöglich und das nicht, weil viele der von Manan gespielten
Figuren selbst für Theatergeschichtler kaum gelaufig sind Der Anmerkungsapparatist
nämlich merkwürdigerweise ins Internet verbannt Somit fehlen in der Pnntausgabe
zunächst einmal sämtliche Quellen und Literaturangaben Filmo und Theatrografien
Auch wenn im Internet umfangreiches Quellen und Begleitmatenal ausgelegt ist ver
mag diese nur modern wirkende Textaufteilung nicht zu überzeugen Zuweilen er¬
schwert sie zudem die zeitliche und örtliche Orientierung im Text
Knilli erzahlt die Geschichte des Filmstars Ferdinand Manan (der eigentlich Ferdinand
Haschokowetzhieß und den Kunstlernamen seines Vaters eines Opernsängers, über¬
nommen hatte) mit ungewöhnlichgroßer Empathie und zuweilen etwas überbordender
landsmannischer Zuneigung Zurecht fehlt deshalb der Untertitel Biographie und der
Begriff Geschichte verweist nicht allein auf den historischen sondern auch auf den
erzahlten (um nicht zu sagen fabulierten) Umstand Schnell wechselt der Autor ge¬
genüber seinem Untersuchungsgegenstand zu einem vertrauten Du und für eine wis
senschafthche Studie ungewöhnlich gar zum kumpelhaften „Ferdl Ja, Knilli scheut
in seinen persönlichen Assoziationen nicht davor zurück, mit dem Gedanken zu spie¬
len seine Mutter (die des Autors) hatte mit Manan etwa haben können schließlich
waren sie einmal im selben Grazer Haus eingekehrt
Einige zentrale Fragen, die an die Karriere Manans zu stellen waren beantwortet der
Autor nur unscharf oder mit Hilfe recht vager psychologischer Umschreibungen So
meint Knilli zum zugigen Aufstieg des Schauspielers in den NS-MedienRundfunk und
Film ebenso lapidar wie großmutigeinfühlend, den wurde Ferdl mit sehr viel Selbst¬
aufgabe und Selbstverleugnung im Voraus bezahl (en) (S 84) Zwar werden die Versu¬
che Manans und anderer Kollegen die für Probeaufnahmenzu dem Jud Suß-Film gela
den wurden, recht genau beschrieben Doch der Grund, warum die Rolle schließlich
ihm (und nicht den ebenfalls ins Auge gefassten bekannten Schurken-Darstellern Paul
Dahlke, Siegfried Breuer, Rene Deltgen, Rudolf Fernau und Richard Haußler) aufge¬
druckt werden konnte, klingt nicht gerade überzeugend Er soll in dem bei Manan seit
der Adoleszenz so tief eingeschliffenen Schema vom Immer-wieder-Aufbegehren und
letztlich doch Immer-wieder-Unterordnen unter die Autorität begründet (S 128) he¬
gen Ganz im Gegensatz zu dieser kaum belegbaren Personhchkeits-Vermutung arbeitet
Knilli jedoch überzeugend heraus, dass sich alle an den ProbeaufnahmenBeteiligten
ziemlich darüber im Klaren waren an was für einen Film sie mitwirken sollen
-
aus
-
¦ Michael Toteberg (Hg) Szenenwechsel.
Films. Reinbek rororo 1999,256 Seiten
ISBN 3-499-60659-3, DM 19,90
Momentaufnahmen des jungen deutschen
Michael Toteberg hat etwa zwei Dutzend Autoren, Regisseure und Produzenten der ak
tuellen deutschen Filmbranche zu Wort kommen lassen Versammelt sind vor allem Einzelportraits von jungen Filmemachern und jungst herausgekommenen Filmen ein filmpohtisches Statement des Drehbuchautors Jochen Brunow zur neu aufgekeimten Kino¬
debatte (ausgelost durch die Bemühungen um ein Bündnis für den Film das Staats
minister Naumann ausgerufen hat) sechs Gespräche zum Selbstverstandnisvon Pro,
73
duktions bzw Vertriebsfirmen (X Filme Claussen+WobkeZero Wüste Film Studio
Babelsberg Independents und den WeltvertriebGerman Independents) sowie die Be
trachtung eines Hamburger Kinomacherszur Zukunft dieser bedrohten Art der Filmre
zeption Es ist durchaus neu in Filmpublikationen dass Produzenten und ihren Firmen
soviel Raum gewidmet wird Auch dies ein deutlichesZeichen für die neue Relevanz der
deutschen Produzenten die Land auf Land ab beschworen wird
Fast alle Texte über neue Produzenten und junge Regisseure (etwa zu Tom Tykwer
Nico Hofmann oder Sebastian Schipper) sind Gespräche Das gibt ihnen zwar etwas le
bendiges grundsatzliche produktionsasthetische Fragen oder da zumeist über einzel
ne Filme gesprochen wird kritische Analysen stehen dagegen manchmal etwas zu
ruck Die findet man am ehesten in den Filmanalysen des Herausgebers (etwa zu Lola
rennt und 23) Sehr spannend und aus intimer Betrachtung bzw Beteiligung verfasst
ist die Produktionsgeschichte des Films Nichts als die Wahrheit geschildertaus der Per
spektive des Autors Johannes W Betz im Kampf mit dem Produzenten Werner Koenig
Drehbuchautoren und Regisseure über diese in letzter Zeit aufgrund der Fokussie
rang auf den neuen Heilsbnnger Produzent leider etwas in den Hintergrund getretene
Zusammenarbeit(die vom ästhetischen her gesehen sicherlich der wichtigste Faktor ei
nes Films ist) berichten die Autoren Michael Farm (über Romuald Karmarkar) Torsten
Schulz (über Andreas Dresen) und Frank Gohre der sich mit Sonke Wortmann über die
Realisierung seines Romans bzw Drehbuchs St Pauli Nacht unterhalt Matthias AI
tenburg schreibt über Oskar Roehler Max Farberbock erzahltüber die Zusammenarbeit
mit sich selbst bei Aimee und Jaguar
Szenenwechsel offenbart viele oft interne Details der aktuellen Filmherstellung So
entsteht ein buntes oft witzig und sensibel dargelegtes kaleidoskophaftes Bild der
jüngsten deutschen Fümproduktion Die grossen Fragestellungen zu Stil Weltsicht
Dramaturgien oder dem Traum von Hollywoodhaben sich etwas aufgelost in den Beob
achtungender eigenen Arbeit an Stoff Produktion oder Set Angesichts des internatio
nalen Stellenwertsdes deutschen Films bzw dessen Umklammerung durch das heimi
sehe Fernsehen eine verstandliche manchmal jedoch etwas enge Perspektive
¦ Peter Rabenalt Ftlmdramaturgie. Berlin
ISBN 3-89158-245-5, DM 40,00
Vistas-Verlag
1999 228 Seiten
Dramaturgien des Films die im engeren Sinne Kompositionsmodelle des Film oder
Femsehdramas ausschliesslich aus den strukturellenund funktionalen Wesensbedin
gungen dieses Mediums entwickeln und diese systematisch zu erfassen versuchen sind
selten Peter Rabenalts Filmdramaturgie versucht filmanalytischeund theoretische
Einzelaspekte mit historischen Herleitungsversuchen und Bemerkungen zum Wesen des
Dramas im klassischen Theater wie im Film zu verbinden Die historischenExkurse und
Hinweise sind nicht immer ganz auf der Hohe der Filmgeschichtsschreibung Auch die
Ausfuhrungenzur Gattungsspezifik von Film und Drehbuch sind eher stichwortartig
und selten wirklich systematisch ausgeführt Der zentrale Umstand des Primats der
sichtbaren Erzählung in zeitlichem Verlauf und der bildlichen Narration war nicht
ganz unbekannt Was das für das Wesen des Drehbuchs bedeutet hatte man gern etwas
ausführlichermitgeteilt bekommen
Als strukturellenLeitaspekt seiner Lesart des Dramatischen und damit auch des Dreh
buchs und Films betont der Autor die besondere Fähigkeit der dramatischen Hand
74
lung
unmittelbar Affekte auszulosen Für des Wesen des Dramas im engeren Sinn
also für die Aspekte des Baus von Fabel Figuren Szenen Konflikte etc hat Rabenalt
neben Lessing vor allem zwei interessante Gewahrsieute Aristoteles und Hegel So sind
Aristoteles Hinweise zur Peripetie immer wieder lesenswert ermöglichen sie doch
spannendeVerlaufe durch Handlungsumschwunge die vor allem den Zuschauer fesseln
und damit zentral an der Generierung von Affekten beteiligt sind Die Begriffe und
Techniken des Schicksalswechsels und vor allem der Erkennungsszene weisen noch im
mer auf die Möglichkeit der Kreation grosser dramatischer Situationen Eine Handlung
ist für Hegel überhaupt nur dramatisch wenn sie in anderen Individuen andere ent
gegengesetzte Zwecke und Leidenschaften hervorruft Die Handlung (hat) Hindernisse
und (gerat) in Verwicklungen und Gegen
von selten anderer Individuen zu erfahren
satze welche das Gelingen und Sichdurchsetzen einander wechselseitigbestreiten
(Ästhetik Band 1)
Über den wichtigen Aspekt der Verknüpfungdieserdramatischen Begebenheiten sagt
Hegel wenig und auch Rabenalt bleibt hierunbestimmt Naturlichstellt er das dreiak
tige Modell Aristoteles und das funfaktige Shakespeares kurz vor Er liefert sogar eine
Synopsis der wichtigsten Begriffe (Exposition steigende Handlung Umkehr Losung
des Knotens Katastrophe/HappyEnd) von Aristoteles und des amerikanischen Dreh
buch Didaktikers Syd Field Über die jeweiligen Anwendungsbedingungenund die hau
fig beschworene Kausalität hatte man gern mehr erfahren zumal in spateren Kapiteln
Avantgarde und Aussenseiterformen des mchtlinearen sich dem klassischen Erzahlen
zum Teil verweigernden Filmen etwa von Antomom Tarkowsky oder Godard betrachth
chen Raum gewidmet wird Tarkowsky etwa lehnt die penibel genaue Ereignisverket
tung ab Er sieht in der Logik der Bilderabfolge eine Banahsierung der komplexen
Lebensrealitat Diese Einschätzung ist nicht völlig von der Hand zu weisen Die Kunst
des Autors konnte aber gerade dann bestehen in dieser Banalisierung des Erzahlki
nos (und fernsehens) trotzdem Originalität zu beweisen und Weltsichten zu formulie
ren Die Frage etwa ob nicht jedes mimetische Aufzeigen eines oder mehrerer
Menschenschicksal (e) in 90 Minuten (oder gar weniger) mit Banahsierungstendenzen
zu kämpfen hat wäre hier angebracht
Im weiteren Verlauf reiht die Filmdramaturgie immer starkereinzelne Filmanalysen
aneinander Die sind zum Teil recht lesenswert etwa wenn Rabenalt eine originelle
Lesart von Titanic mit Hegeischen Kategonen präsentiert Insbesondere die Ausfuhrun
gen zum Komischenverzetteln sich jedoch in Einzelaspekten (etwa zu den dramen
oder drehbuchtheoretisch nicht gerade grundlegenden Situationen der Verwechslung
oder Verkleidung) Eine dramaturgische Systematisierung gelingt dem Autor kaum
noch Vielmehr wird der Band Bela Balazs scheint hier Pate gestanden zu haben zu
einer Sammlung von Einzelanalysen die den Anspruch auf dramaturgische Verallgemei
nerung erheben
Jean Claude Carnere Pascal Bomtzer Praxis des Drehbuchschreibens. Jean Claude
Carnere Über das Geschichtenerzähler! Berlin Alexander Verlag 1999 254 Seiten
ISBN 3 89581 033 9 DM 39 80
¦
Jean Claude Carnere ist wahrscheinlich der bekannteste Drehbuchautor
in
Europa
Mehr als 60 Filme hat er geschrieben die u a Bunuel Wajda Forman oder Schlondorff
inszeniert haben Schon in der Art wie er über das Geschichtenerzahlen von Dreh
buch Film und Schauspiel spricht macht Carnere deutlich Poetiken sind ihm ziemlich
75
vor allem die amerikanischen Drehbuchmanuale Die handwerklichen Hinweist
sind schmal und mit Skrupel formuliert Der Autor der gerade noch den Mut des Er/ah
lers gepriesen hat nimmt sich wenn es um die Darstellung von Techniken des Erzah
lens geht immer wieder zurück und verweist in weiten Exkursen der Erzähl Di amen
und Theatergeschichte lieber auf Traditionen und Überlieferungen vor allem auf die
indischen afrikanischen und orientalischenAnfange des Geschichtenerzahlens
Manche Ratschlage die immer helfen deuten bereits in der selbstironischen Kapi
teluberschnft an dass sie so zutreffen wie ein Kalenderblatt und ein dort vermerkter
Tagesspruch Hier liest man dass der Drehbuchautor stets zuerst das Bild und dann
erst den Dialog suchen sollte (was bei Fernsehwerken ja immer seltenerwird) Dass
man vom Klischee ausgehen aber nicht bei ihm ankommensollte Dass etwa die Nacht
ein besonderes zeitliches und visuelles Rhythmus und Strukturproblem im Drehbuch
darstellt Dass jedes dramatische Ereignis sowohl unerwartet als auch unausweich
lieh sein muss Und dass sich der Autor so gut wie möglich durch diesen wunderba
suspekt
ren
Widerspruch hindurchbewegenmuss
Zwar lasst Carnere immer wieder einmal Strukturmerkmale anklingen So variiert er
etwa die Aristotelische Binsenwahrheit vom Anfang der Mitte und dem Ende die eine
Geschichte eine Handlung ja eine Szene haben soll mit dem Godardschen Bonmont
Ja sicher aber nicht zwangsläufig in dieser Reihenfolge Oder er zitiert einen japam
sehen Autor des No Theaters der für die dramatische Erfindung drei Grundtakte vor
schlagt die er Vorbereitung Entwicklung Ereignis nennen will
Starker um Systematik und theoretische Einbettung bemuht ist Pascal Bomtzer wie
Carnere Lehrer an der Pariser Fümhochschule Das Drehbuch definiert er als eine Wu
cherung von Verkettungen und Ereignisreihen die nur eine Richtung kennen sie
schreiten voran Ein Drehbuch geht fast immer von einem Stereotyp aus dem die
Geschichte gleichzeitig folgen und entgehen muss Die Originalität des Autors be
steht in Folge dessen in der verborgenen Anordnung und manchmal unmerklichen
Umstellung Dabei sei er eine Art Kliniker der aus einem Symptom das Ereignis ab
zuleiten hat welches das Symptom repräsentiert so dass ein vielleicht banaler Aus
gangspunkteinen allgemeinen Sinn bekommt In der Entwicklung einer Geschichte
gehe es darum die Logik von etwas aufzudecken was ursprunglich unerklärlichoder
sogar absurd erschien Es gelte Das weil im obwohl zu entdecken
Der Erzählerspricht nie von sich selbst meint Carnere in seinem abschließenden
Exkurs über die Grundfunktionen und elemente des Geschichtenerfindens Deshalb sei
es eher unzutreffend wenn viele Menschen glaubten dass sie eine Geschichte erzählen
konnten weil sie glaubten viel erlebt zu haben Die Wirklichkeit präsentiere sich
vielmehr nie als mögliche Erzählung geschweige denn als dramatische Handlung
Wirklichkeitund Fiktion sind für Carnere die verfeindetenSchwestern Eine erzahlte
Geschichte gibt vor das Wahre das nicht wahr ist zu sein
Auch in Über das Geschichtenerzahlen springt Carnere zwischen Zeiten Diskursen
historischenund gegenwartigen Erzahlumstanden Zuweilen streut er theoretische Sy
stemuberlegungen ein ohne sie als solche zu benennen oder zu behandeln Dass das
Verlangen des Helden und seine Möglichkeiten es zu realisieren Konflikt Gefahr
und Krise bewirken findet sich seit Aristoteles in vielen Dramen- und spateren Dreh
buchhandbuchern Auch dass sich diesem Verlangen ein Hindernis entgegenstellt das
so unüberwindlich wie möglich sein sollte Origineller ist der Hinweis dass der Autor
dieses Verlangen sowohl zu befriedigen als auch zu unterlaufen hat Er sollte also
76
Anstrengungenauf beiden Seiten unternehmenund hat gewissermaßen im Kampf des
Helden auf beiden Seiten des Kriegsschauplatzes zu agieren
¦ Oliver Schutte Die Kunst des Drehbuchlesens.
238 Seiten
ISBN 3-404-94003-2, DM 29,80
Bergisch-Gladbach
Bastei Lubbe 1999
eigentlich gar keine Anleitung wie ein Drehbuch adäquat zu lesen ist,
sondern über weite Strecken eine Norm Dramaturgie Schutte macht kein Hehl daraus
dass er sich vor allem der Didaktik des tschechisch-amerikanischen Autors und Dreh
buchlehrers Frank Daniels verpflichtet fühlt Weniger explizit ausgeführt wird, dass er
sich auch an Lajos Egn, Linda Seger und anderen amerikanischen Drehbuch-Handbu¬
chern orientiert
Der Autor versucht, eine „Grammatikfilmischen Erzählens zu entwerfen versteht
seinen Text aber nicht als Anleitung zum Drehbuchschreiben (obwohl er sich manchmal
fast verführerisch so gibt), sondern als ein Kompendium, das Autor (oder Drehbuchrezipient) nach der ersten Fassung zur Hand nehmen soll Möglich wäre damit es als
eine Art Prufdramaturgie zu verstehen auf deren Hintergrund sich dann Abweichun¬
gen im vorliegenden Drehbuch abzeichnen
Nutzenund Gefahren einerjeden Norm- oder Prufdramaturgie liegen auf der Hand
Die solide Struktur wird oft erkauft mit einem gewissen Schematismus Die Kunst des
Drehbuchschreibens liegt aber gerade dann, den vorgefertigter Strukturen und Bausatzen Originalität einzuhauchen Das erfolgversprechendste Mittel des Films ist deshalb
wohl vor allem die Variationund der kleine Schritt vom Wege Schutte beginnt mit ei¬
nem Kapitel über Figuren, es folgt eines über den Konfhktaufbau, und erst in der Mitte
gibt es eines über Drehbuch-Struktur Bei den Figuren ist, daraufhabendie amerikani¬
schen Manuale bis zur Ermüdung hingewiesen, das wichtigste das Ziel des Helden her¬
auszuarbeiten Dahinter stehen, am Anfang verdeckt, die Bedurfnisse Der Held hat
eine Achillesferse, in die es auf einem Hohe- und möglichst Wendepunkt gilt, nachhal¬
tig einzustechen Schutte plädiert dafür, den Helden der Geschichte nie zu schonen
und regelrechtmit GAU-Situationen zu malträtieren Er verweist auf den Antagonisten,
kurz auf Nebenfiguren und den Umstand der ausgewogenen figuralen .Orchestrierung
Die Ausfuhrungenzur Fallhohe sind nur knapp gehalten Gerade die wäre es angesichts
anscheinend immer spärlicher werdender wirklicherTragödien und Gluckserlebnisseim
postmodernenZeitalter wert, auf den neusten Stand der Möglichkeiten gebracht zu
werden Der Hinweis, dass der Einsatz für die Figuren hoch sein muss, genügt da
nicht Außerdem gibt es noch einige Tips, etwa einen Steckbrief für Figuren anzulegen
oder die Orchestrierung mittels eines einfachen Skalen-Psychogramms zu überprüfen
Nach den umfangreichen Ausfuhrungenzu den Figuren fallen die zu Konfhktmustern
erheblich schmaler aus Schutte weist darauf hin, dass im aktuellen deutschen Film das
antagonistische Böse häufig zu schwach entwickelt ist und stellt den Grundsatz auf,
dass beim Antagonisten in der Regel keine Charakterentwicklung stattfindet
Bei der Struktur eines Drehbuchs favorisiert Schutte das bekannteamerikanische
3-Akt-Modell mit einer Aufteilung in acht Sequenzen 1 Akt Exposition, 2 Akt Kon¬
frontation Hauptspannung und Höhepunkt (der durch zwei Wendepunkte eingerahmt
ist und dadurch die notige Spannung durch Handlungsumschwung erhalt) Hier findet
die emotionale Reise des Helden hauptsachlich statt, die Katastrophe schlagt um in
Das Buch ist
,
77
Hoffnung bzw. umgekehrt; der 3. Akt lost die Spannung in der Klimax und der Losung
Die Untergliederung in acht Sequenzen gibt zwar einen sehr einprägsamen, weil sym¬
metrisch gegliederten Aufbau, völlig einsehbar ist sie jedoch nicht Andere Akt-Model¬
le, sei es bei Aristoteles oder Shakespeare, sind ebenso geläufig und können auch zu
anderen Sequenzunterteilungen fuhren Dass alle berühmten Filme letztlich eine AchtSequenz-Struktur aufweisen ist eher eine, manchmal etwas gewollte, Interpretations¬
leistung von Frank Daniel und anderen dramaturgischen Linear-Analytikern aus den
USA
Als „Elemente der Dramaturgie" macht Schutte Strukturen aus, die sich auch in den
klassischen Dramenlehrenfinden, etwa Anfang, Enthüllung, Entdeckung, Umkehrung.
Er gesellt dazu einige handwerkliche Tricks, die eigentlich keine Strukturelemente
sind, etwa das bekannte Prinzip des „Andeutens und Ausfuhrens" und der Verdoppe¬
lung Die Ausfuhrungen zum Szenenbau, insbesondere die zur Verbindung von Szenen,
und zur Dialogform bleiben etwas knapp In den „Grundlagen der Drehbuchanalyse"
betont er die Notwendigkeit des Kontrastes zwischen den Figuren und in der Szene als
Voraussetzung für Spannung Dabei formuliert Schutte einen schonenMerksatz zum
Zufall: den „darf es nur geben, wenn er dem Protagonisten schadet".
vorgestelltvon... Horst Claus
¦ Luise Dirscherl, Günther Nickel (Hg.): Der blaue Engel. Die Drehbuchentwürfe.
St IngbertRohrig Universitatsverlag, 2000,517Seiten, III.
ISBN 3-86110-243-9 (Pbk), DM 78.00
Der blaue Engel gehört zu den Klassikern des deutschen und internationalen Films.
Sein Erfolg und seine Reputation werden Josef von Sternberg und seinem Star Marlene
Dietrich zugeschrieben. Die Debatte um die Frage der adäquaten Umsetzung des Ro¬
mans von Heinrich Mann ist abgehakt und gehört zum alten Eisen. So ist es nicht ver¬
wunderlich, dass in den weiterhin regelmäßig erscheinenden Analysen und Debatten
um den Film die Drehbuchautoren kaum noch erwähntwerden. In seiner Autobiogra¬
phie erhebt von Sternberg Anspruch auf die alleinige Autorschaft des Skripts Dass
dem nicht so ist, vielmehr der damals erfolgreichste deutsche Dramatiker Carl Zuck¬
mayer einen wesentlichen Anteil an der Entwicklung der Filmhandlung und der Dialoge
hat, belegtjetzt die Publikation verschiedener Vorstufen des endgültigen (nicht über¬
lieferten) Drehbuchs, bestehend aus der „Filmnovelle" (einer von Zuckmayer verfassten, ersten Version in Prosaform), dem Treatment, einer Liste mit Vorschlagen und Er¬
gänzungen zu einer nicht erhaltenen Drehbuchfassung, dem „zweiten Drehbuchent¬
wurf", dem (hier korrigierten, erstmals 1965 in der Nr 1 des 3. Jahrgangs der Zeit¬
schrift Film erschienenen) Filmprotokollsvon Eckhart Schmidt, sowie dem Text des
Trailers, mit dem in den deutschen Kinos für den Film geworben wurde.
Darüber hinaus enthalt der Band eine informative, übersichtlicheund klare Einfüh¬
rung (in dem die Herausgeber das Material in den Kontext bisheriger Arbeiten über Der
blaue Engel rucken und eigene Schlussfolgerungen anbieten) und eine umfangreiche
„Chronik der Entstehung des Films" von 1927 bis 1933, in der Werner Sudendorf unter
Auswertungder Ufa-Akten und zeitgenossischerZeitungs- und Zeitschriftenliteratur
Produktionsgeschichte und frühe Reaktionen stichwortartigzusammenfasst
Anders als z B. Pauline Kael, die sich mit ihrem Artikel „Raising Kane" und der an-
78
schließenden Publikation des Original-Skripts im „Citizen Kane Book" bemuht hat, die
Filmautorschaft an dem Klassikervon Orson Welles dessen Drehbuchautor Herman J
Mankiewicz zuzuschreiben, geht es Dirscherl und Nickel nicht darum, von Sternbergs
künstlerischeLeistung in Frage zu stellen oder einem vernachlässigten oder verkann¬
ten Skriptautor zu seinem Recht an einem Filmkunstwerk zu verhelfen Für sie „stellt
[die Frage der Autorschaft] sich zwar neu, wirft am Ende aber wieder Probleme auf, die
damit seit je verbundensind Unabhängig von dem Blick auf die Verantwortlichkeiten
ergibt sich durch die Beschäftigung mit den Texten ein neues Verständnis für den Film,
denn erst im Durchgang von der ersten bis zur letzten Fassung erschließtsich die Ent¬
wicklung des Handlungsgefüges in seinen Details Ihrer Meinung nach können solche
schriftlichen Dokumente „immer nur ein Hilfsmittel sein Das gilt für Drehbucher und
Filmprotokollegleichermaßen Und so ist es nicht erstaunlich, dass der Film seine eige¬
nen Vorlagen durch die Dimensionenund Möglichkeiten der Filmsprache der Imaginati¬
on, der Musikregie und der Dialoggestaltung bei weitem übertrifft."
"
Der Wert der sorgfaltig edierten Publikation liegt denn auch in dem Einblick, den die
vorgelegten Dokumente in den Entstehungsprozess (nicht nur) von Der blaue Engel
bieten. Außerdem eröffnet das Material Möglichkeiten neuer Interpretationsansatze,
die wie ein kurzlich in Mainz stattgefundenes Symposium über „Carl Zuckmayer und
die Medien" belegte noch lange nicht ausgeschöpft sind.
Nebenbei wirft das Buch die Frage der Definition des Begriffs „Treatment" auf. Ein
Dokument mit einer solchen Bezeichnungist für den Film Der Blaue Engel nicht über¬
liefert Die Herausgeber identifizieren daher eine bereits in Drehbuchform angelegte
Fassung als „Treatment". Möglich ist aber auch, dass die „Filmnovelle" als Treatment
anzusehenist. Obgleich Zuckmayer der Arbeit für den Film wohl nicht immer so ableh¬
nend gegenübergestanden hat, wie es in seiner Autobiographie erscheint, besaß er eine
ausgesprochene Abneigung gegen die Ausarbeitung von Drehbuchern, die er als „Fron¬
arbeit" ansah Das Schreiben von Prosafassungen (also die Entwicklung von Handlung
und Charakteren) hat ihm dagegen verschiedentlichsogar Vergnügen bereitet, beson¬
-
-
ders dann, wenn der Stoff nicht mit seinen dichterischen Aspirationen kollidierte Die
Lektüre der „Filmnovelle"zu Der blaue Engel entsprichtin Form und Aufbau zahlrei¬
chen, im Zuckmayer-Nachlass des Deutschen Literaturarchivs überlieferten, vom Autor
mit der Bezeichnung „Expose" oder „Film-Expose" versehenen Dokumenten und durfte
daher von ihm als Treatment aufgefasst worden sein. Derlei Definitions-Uberlegungen
scheinen auf den ersten Blick nicht sonderlich relevant, sind aber doch wichtig, wenn
man über Abfolge und Zahl möglicher, nicht erhaltener Skriptfassungen und ihrer Be¬
ziehungen zueinander spekuliert.
Die Lektüre dieser Veröffentlichung ist ein ausgesprochenes Vergnügenund durfte
für alle, die sich mit Der blaue Engel beschäftigen, von starkem Interesse sein.
Es ist zu wünschen,dass gelegentlich weitere Publikationen in dieser Richtung ge¬
wagt werden, die ohne gleich literarische Ansprüchezu erheben auf die im Laufe
der Zeit vernachlässigtebzw. in den Hintergrund getretene Bedeutungdes Skripts für
einen Film verweisen (Im Fall von Carl Zuckmayer und Josef von Sternberg wäre es
-
-
Beispiel spannend, einem breiterenInteressentenkreisdie verschiedenen Fassun¬
gen zu dem nicht vollendeten Charles-Laughton-Film „I, Claudius" von 1937 zugang¬
lich zu machen ) Weit davon entfernt, sie zu schmälern, durften sich Filmregieleistungen durch genauere Einblicke in die Skriptentwicklung besser bewerten lassen. Gleich¬
zeitig erinnern derlei Kenntnisse daran, dass Filmarbeitimmer auch Teamarbeit ist
zum
79
vorgestelltvon... PatrickVonderau
Filmvetenskaplig tidskrift I Film Studies Journal. Stockholm: Stiftelsen Filmvetenskaplig tidskrift, I995ff. Erscheinungsweise:Vierteljährlich (Schwedisch/Englisch). Um¬
fang zwischen ca. 70 und 160 Seiten.
ISSN 1400-8386,Preis:zwischen SKR 70:- und SKR ISO:- [ca. DM 16,00 bis 30,00]
Zu beziehen über Stiftelsen Filmvetenskaplig tidskrift, Stockholms Universitet, Filmvetenskapliga Institutionen, Box 27062, S 102 51 Stockholm.
¦ Aura.
In Skandinavien ist die Filmwissenschaft als eigenständige Disziplin innerhalb des dy¬
namisch expandierenden Fachangebots der Medienwissenschaft deutlich unterrepräsen¬
tiert. Auch wenn sie im Lehr- und Forschungsprofil von Institutsgründungen der 70er
Jahre in variierendstarker Anlehnung an geisteswissenschaftliche(Mutter-)Disziplinen
wie Geschichts-, Theater- und Literaturwissenschaftnoch relativ fest verankert
scheint, verliert sie an Instituten, die in den letzten zehn Jahren neugegründet, um¬
strukturiert oder erweitert wurden, doch zunehmend an Präsenz. Kommunikations¬
und Medienwissenschaft wird hier meist unter dezidiert gesellschaftswissenschaftli¬
chen Vorzeichen entwickelt, mit deutlichem Interesse am Bezug zur Medienpraxis und
an den audiovisuellenNeuen Medien.
Die einzige Einrichtung in Schweden (wenn nicht in Skandinavien), die sich heute
speziell als Institut für Filmwissenschaft zu erkennen gibt, ist „Filmvetenskapliga In¬
stitutionen"der UniversitätStockholm. Aus dem seit der Institutsgründung im Jahre
1970 bestehenden Verbund mit der Theaterwissenschaft löste sich das Fach 1995; ein
eher soziologischund publizistisch orientierter Teil der Stockholmer Medienwissen¬
schaft machte sich schon 1989 mit dem Institut für Journalistik, Medienund Kommu¬
nikation (JMK) selbständig.
Filmvetenskapliga Institutionenverfügt traditionell über einen Arbeitsschwerpunkt
im Bereich der (schwedischen) Filmgeschichte,was nicht nur mit der früheren Nähe zu
einer historisch orientiertenTheaterwissenschaft und den Forschungsinteressen der er¬
sten Professoren Rune Waidekranz und Leif Furhammer zusammenhängt. Begünstigt
wird dies auch dadurch, dass das Institut im Filmhuset [Filmhaus] unter einem Dach
mit den filmhistorischenSammlungen und der Bibliothek von Svenska Filminstitutet
(dem Schwedischen Filminstitut) untergebracht ist. Dass die Einrichtung seit Jan 01ssons Berufung als Professor 1993 die Perspektive über filmgeschichtlicheGrundlagen¬
forschung hinaus signifikant erweitert hat und überdies u.a. durch Olssons eigene Ar¬
beit an der University of Southern California, wechselnde Gastprofessuren (z.B. Tom
Gunning) und regelmässige Gastvorträge (David Bordwell, Kristin Thompson u.v.a.) im
internationalen Fachzusammenhang fest verankert ist, davon legt nicht zuletzt „Aura.
Filmvetenskaplig tidskrift" Zeugnis ab.
Die Fachzeitschrift, seit 1995 von Olsson und den InstitutsmitarbeiternJohn Fullerton, Maaret Koskinen und Astrid Söderbergh Widding in Abstimmung mit einem vier¬
köpfigen Redaktionsbeirat (dem u.a. Yuri Tsivian und Tom Gunning angehören) heraus¬
gegeben, druckt schwedische und internationale Originalbeiträge, einführende Überset¬
zungen .klassischer' Texte und bislang wenig beachtetes Quellenmaterial. Ähnlich wie
„Sekvens" und „Kosmorama" (Kopenhagen) oder „Norsk medietidsskrift" (Trondheim)
profitiert „Aura" damit einerseits von der engen Institutsanbindung, ohne sich jedoch
andererseits lokal gepflegten Präferenzen zu ergeben. Nicht unähnlich der deutschen
80
für Kinogänger
1998 XIV, 794 Selten,
307 Abb, geb
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*
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Götz George, Heinz Ruhmann,
RomySchneider, Hanna
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2000. VI, 342 Seiten,
207 Abb, kart.
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In
Schauplatz
exemplarischen Unter¬
suchungen zu sechs Stars
bietet dieses Buch eine
anschauliche Darstellungder
wesentlichen filmischenund
historischenAspekte des
1997. XIX, 313 Seiten,
31 Abb., geb
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Kino: Eine
Kinos in
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Kulturgeschichtedes
1999. XVI, 382 Seiten,
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metzlerverlag de
81
-
montage/av verbirgt sich hinter dem Assoziationsbegriffein wie es im Editonal der
Ausgabe heisst „Forum, in dem filmwissenschaftlicheDiskurse fortentwickelt
werden, die ihre methodologischen Fahnchen nicht nach dem Winde richten Ge¬
schichte, Theorie und Analyse der audiovisuellenMedien finden hier ebenso Platz wie
Studien zu historischer Rezeption, Intermediahtat sowie ökonomischenund kulturtheoretischen Aspekten Abgesehen vom ersten Heft (in dem sich u a ein längerer,
quellenreicher Beitrag Jan Olssons über den Zusammenhang von „Film, Macht und Zen¬
sur in der Fruhzeit des schwedischen Kinos findet), wurde „Aura' bislang von wech¬
selnden (Gast-) Herausgebern als Themenheft gestaltet
Einige Beispiele Bo Florin und Trond Lundemo präsentierten in einem Heft zu Rus¬
sland / UdSSR' (Jg 1, 1995, Nr 2) Quellentexte von Maxim Gorkij, Wladimir Majakowsky und Jakob Lintsbach in Kombinationu a mit einem Aufsatz Tsivians über die Hin¬
tergrunde von EisensteinsTheorie des „intellektuellen Films', Mats Bjorkin stellte das
.Publikum" (Jg 2, 1996, Nr 4) u a anhand filmsoziologischerPionierarbeitenwie Emilie Altenlohs (als Auszug) oder David Lunds schwedischer Arbeit „Der suggestive Einersten
-
"
,
fluss des Films auf das Kind" (1920) vor und ergänzte dies etwa mit Studien von Willi¬
am Uncchio („Zur Wahrnehmung des frühen deutschen Fernsehpublikums, 1935-1944')
und Annette Kuhn („Kinokultur und Weiblichkeit im England der 30er Jahre")
Astrid Soderbergh Widdinglegte mit „Wort und Bild" (Jg 3, 1997, Nr 1-2) Texte Ro¬
bert Musüs und Paul van Ostaijens sowie Aufsatze u a von John Fullerton („Zur Bezie¬
hung zwischen Text und Bild in einem vor-klassischenschwedischen Film') und ManeClaire Ropars-Wuilleurmers („Das Bild im Wort") vor In „Stadt und Film" (Jg 4, 1998,
Nr 2-3) hat Lars Gustaf Andersson Autoren wie Bo Flonn („Aufzeichnungen zu Klei¬
dern und Städten Stiller, Modernität und das Urbane"), Marina Dahlquist („Fritz Lang
und der leere Raum der modernen Stadt") und Tom Gunning („Vom Kaleidoskop bis
Röntgen Betrachter der Stadt, Poe, Benjamin und Traffic in Souls") versammelt Des¬
weiteren hat Maaret Koskinen ein Heft zu „Bergman und die Quellen" (Jg 4, 1998, Nr
4), Jan Holmberg eines zur „Nahaufnahme" (Jg 2, 1996, Nr 1-2) und Martin Thomasson eines über „Technologie" (Jg 3, 1997, Nr 3-4) gestaltet
Neben diesen schwedischsprachigen Heften, deren oft auch aus filmhistonscher Per¬
spektive interessanteBeitrage hier im Einzelnen leider nicht weiter aufgeführt werden
können, hat „Aura" von Anfang an das Ziel verfolgt, zumindest eine der vier jährlich
anvisierten Ausgaben auf Englisch vorzulegen Bisher erschienen u a die von Ceciha
Olsson redigierte Nummer zu „Bodies in Motion' (Jg 4, 1998, Nr 1) und Björn S0renssens Heft zum Dokumentarfilm (Jg 2, 1996, Nr 3)
Daneben hat „Aura" als Verlag bereits eine Reihe von Buchern veröffentlicht, darun¬
ter zwei Dissertationen,namhchBo Flonns Studie zu Fragen des .nationalen Stils im
schwedischen .Goldenen Zeitalter („Den nationella Stilen Studier i den svenska filmens guldälder", 1997) und Mats Bjorkins Untersuchung zur .internationalisierten
schwedischen Produktion der 20er Jahre (, Amerikanern, Bolsjevism och korta kjoler
Filmen och dess publik i Svenge under 1920-talet", 1998), nicht zu vergessen schlie߬
lich Astrid Soderbergh Widdings Buch über die Filme des schwedischen Stummfilmre¬
gisseurs Georg af Klercker 1999 sind statt der Hefte zwei weitere Bucher erschienen J
Fullertonund J Olsson (Hg ) Nordic Explorations Film before 1930" sowie J Fuller¬
ton und A Soderbergh Widding (Hg) „Moving Images From Edison to the Webcam
Im Jahr 2000 werden die vier Ausgaben auf Englisch publiziert, geplant sind Themen¬
hefte zu „Televisuahty' (mit Jeffrey Sconce als Gastherausgeber), „European Art Cine-
82
(Erik Hedhng) Silent Cinema After World War F (Kristin Thompson) so
ma Revisited
wie eine von den
Doktorandendes Stockholmer Institutes gestaltete Nummer Da auch
für 2001 wiederum die Veröffentlichung zweier Bucher anvisiert wird, ist es vielleicht
angemessener, von Aura als von einem Projekt denn von einer Zeitschrift zu spre¬
chen Ein Projekt, zu dessen Aura nicht nur die spielerische Vielfalt bei der Themenge¬
staltung und eine auf durchweg hohem Niveau geführte Fachdiskussion sondern auch
die hochqualitativeAufmachung in Druck, Papierwahl und Illustration beitragen Es er¬
scheintdaher völlig unverstandlich, dass sich hierzulande bisher kaum eine Bibliothek
imstande sah, die Aura -Publikationen anzuschaffen
¦ John
Libbey,
Fullerton, Jan Olsson (Hg) Nordic Explorations: Film before 1930. Sydney John
1999 (= Stockholm Studies in Cinema) 280 Seiten, III
ISBN 1864620552(Hardback), £ 27,50
EnglischsprachigeDarstellungen zur Geschichte des Films in Skandinavien erschienen
bislang meist im Uberbhcksformat, wobei Kunstler, Meisterwerke, Epochen und Natio¬
nen den roten Faden der .großen Erzählung bildeten und auf eine Auswertung origi¬
nalsprachigerQuellentexte in der Regel verzichtet wurde Erwähnt seien hier nur die
zahlreichen Publikationen eines Peter Cowie, die trotz ihrer Verdienste um das Genre
der kommentiertenFümographiekeinen Ersatz für das darstellen, was bisher in Skan¬
dinavien an Forschung geleistet wurde, einem internationalen Publikum mangels Über¬
setzung jedoch nicht zuganglich war
Einen ersten Anlauf zur Aufarbeitung dieses Publikationsdefizitesunternahmen Tytti
Soila, Astrid Soderbergh Widding (Stockholm) und Gunnar Iversen (Trondheim) 1997
mit dem Buch Nordic National Cinemas (London Routledge), das seine Beschreibung
der .nationalen Filmkulturen Skandinaviens jedoch weder theoretischnoch empirisch
plausibel machte Umso begrüßenswerter ist es, dass sich Jan Olsson und John Fuller¬
ton (Stockholm) mit Nordic Explorations nun auf eine dezidiert revisionistische Er¬
kundung des Nordens eingelassen haben
Aus Anlass des Skandinavien-Schwerpunktes der Giornate del cinema muto 1999 ver¬
sammeln die Herausgeber 20 Beitrage, die einen Einblick in die laufende Forschung zur
schwedischen, danischen, norwegischen und finnischen Filmgeschichte zwischen 1906
und 1930 ermöglichen Dass Fullerton und Olsson dabei eine Öffnung des vormals eng
abgesteckten Arbeitsfeldes zum skandinavischen Film anstreben, macht sich schon in
der Zusammenstellung der Autorenund Themen bemerkbar Die Herausgeber proben
den Schulterschlussvon nordeuropaischer und anglo-amerikamscher Filmwissenschaft
und bnngen die .etablierte und die junge' Generation der einheimischen Filmhistonker
mit Archivaren und freiberuflichen Forschern zusammen Studien zur Ästhetik des Me
diums stehen neben solchen mit sozial- und wirtschaftshistorischerGewichtung, die
Analyse .nationaler Filmkulturen ist um die Untersuchung internationalerBezüge er¬
gänzt Fazit Ein hochwertiges Fachbuch, das über einen Index zu Personen- und Fir¬
mennamen, Publikationen und Filmtiteln außerdem gut zu erschließen und reich mit
Standbildvergroßerungen und Werkfotos illustriert ist
Ausführlicher zu diskutieren sind an dieser Stelle nur drei Beitrage, die sich mit den
skandinavisch deutschen Filmbeziehungen beschäftigen und damit an die Erkundun
gen des CineGraph-Teams in Hamburg anknüpfen Thomas C Chnstensen (Kopenhagen)
versucht den Niedergang der Nordisk wahrend des Ersten Weltkrieges vertnebsokono,
83
misch zu erklaren Den Rahmen seiner Argumentationbildet die polemische Abgren¬
zung von der Methodik und dem Erklaransatzalterer danischer Fümgeschichten, die
den Marktverlust der Nordisk firmenintern und ästhetisch, namhch als Folge von Ole
Olssons künstlerischem Missmanagement ausweisen (S 12ff) Für Christensen liegen
die Ursachen indes weder in Olssons Produktionskonzept noch in Danemark Vielmehr
sei es der Verlust der deutschen Vertriebs- und Auffuhrungskanale durch die Protektionsmaßnahmen der deutschen Regierung gewesen, den die Firma nicht verkraftethabe
(S 16) Gemessen an Christensens eigenen methodologischen Imperativen erscheint
nicht nur der monokausaleSchematismusproblematisch, mit dem Deutschland zum
Anfang vom Ende der .goldenen' danischen Jahre gemacht wird, sondern auch der volli¬
ge Verzicht auf zeitgenossische deutsche Quellen. Dass die schlechte Uberlieferungslage
eine ästhetische Beschäftigung mit dem danischen Stummfilm pauschal ausschließt
(S 12), kann ebenfalls in Zweifel gezogen werden.
Mit den danisch-deutschen Filmbeziehungen beschäftigt sich auch Ib Monty (Kopen¬
hagen) in einer Studie zur Rezeption und zur TätigkeitBenjamin Christensens in Ber¬
lin Auf Basis einer umfassenden Auswertungvon Tages- und Fachpresse, Produktions-,
Vertriebs- und Zensurunterlagen zeichnet Monty chronologisch den Werdegang des
Schauspielersund Regisseurs vom danischen Debüt in den frühen 10er Jahren über sei¬
ne Regiearbeit bei der Decla-Bioscop 1923 und den großenErfolg in Dreyers Michael
(1924) bis zur Abwerbung durch die MGM im folgenden Jahr nach Können das Thema
der Studie und die Erschließung des Quellenmaterials im Kontext der .Neuen Filmge¬
schichtsschreibung1auch als relevant betrachtet werden, so beschrankt sich Montys Er¬
kenntnisinteressedoch auf die Untermauerung der alten filmhistorischenThese, als
Folge einer nordischen .Invasion' habe sich ein danischer Einfluss im WeimarerKino
geltend gemacht (S. 41) Einerseits erscheinen Christensens „rather modest efforts m
Germany" (ibid.) als Beleg hierfür weniggeeignet. Andererseits legen Montys eigene
Ausfuhrungennahe, dass sich die danische Produktion, so sie auf dem deutschen
Markt zu reüssieren suchte, eher den ästhetischen Normen des Nachbarlandes anpassen
musste als umgekehrt. (S. 42ff)
Ein weiteres spannendesKapitel der skandinavisch-deutschen Beziehungenöffnet
Gunnar Iversen (Trondheim) mit seinem Aufsatz zur Produktionstätigkeitder Norwege¬
rinnen Aud, Gerd und Ada Egede-Nissen in Berlin zwischen 1917 und 1920 Ausgehend
von einer Beschreibung der norwegischen Herstellungspraxisder 10er Jahre mochte
Iversen das Verdienst dieser weiblichen Pioniere um den skandinavischen und deut¬
schen Film verdeutlichen. Den mittelbaren Grund für die Übersiedlung der auch als
Schauspielerinnen und Regisseurinnen aktiven Schwestern sieht er in den einge¬
schränkten Arbeitsmoglichkeiten in Norwegen zwischen 1913 und 1917 In diesem
Zeitraum wurden keine Spielfilme hergestellt, da die Kommunalisierungder Kinos den
Kapitalruckflussan die Produktionsfirmen eindämmte. Wahrend Iversens (interessan¬
ter) Abriss der norwegischen Produktionsbedingungen sehr ausfuhrlich ausfallt, ist sei¬
ne Darstellung zur Gründung und Tätigkeit der Egede-Nissen-Comp. in Berlin recht
knapp gehalten. Der Autor gibt ein Plotreferat von Erblich belastet (1919), dem ver¬
mutlich einzig erhaltenen der insgesamt 30 Spielfilme, die unter der Leitung Aud Egede-Nissens hergestellt wurden Gerne hatte man genaueres über Produktionskonzepte
und -kontexte der Firma erfahren, Quellenangaben fehlen leider ganz
Im Kontext der skandinavisch-deutschen Filmbeziehungen sind schließlich auch die
Beitrage von Gunnar Stram und Costa Werner von Interesse. Strom gibt einen kursori¬
schen Überblick zur Geschichte des skandinavischen Animationsfilms Er macht zu-
84
nächst mit den Filmen ihren Herstellern den wichtigsten Techniken und Sujets be¬
kannt Dann geht er auf animierte Filmwerbungin Norwegen und Schweden ein, wobei
er am Beispiel Julius Pinschewers auch die norwegisch-deutsche Zusammenarbeitauf
diesem Gebiet beleuchtet
Gosta Wernerversucht sich gemeinsam mit Bengt Edlund an einer musikwissenschaft¬
lichen Interpretationvon Vikmg Eggelings SymphonieDiagonale (1924/25) Ausgehend
von einer knappen Biographie des schwedischen Kunstlers, einem Abnss zur Berliner
Entstehungs- und Auffuhrungsgeschichte und einer Analyse des Films stellt Werner die
These auf, die SymphonieDiagonale sei strukturell einer klassischen Sonate vergleich¬
bar und möglicherweise als erster Satz einer filmischen Sinfonie intendiertgewesen
Werners Aufsatz ist identisch mit der englischen Synopsis seines 1997 erschienenen
Buches zum Thema, leider haben die Herausgeber (nicht nur in diesem Fall) darauf ver¬
zichtet, den ursprunglichen Erscheinungsort bekannt zu geben
Trotz dieser kleineren Einwendungen lost der Band ein was er im Titel verspricht die
innovative fümhistonsche Aufarbeitung jener „Entdeckungen' aus dem Norden, die seit
1986 in Pordenone zu machen waren
vorgestellt von... Ralf Schenk
¦ Rainer Dick Lexikon der Fi/mkomiker. Berlin Lexikon
III
ISBN 3-89602-223-7, DM 29,80
ImprintVerlag 1999,352 Seiten,
In seinem ausführlichen, im Großen und Ganzen gut recherchierten Lexikon der Filmkomiker" konzentriert sich Rainer Dick vor allem auf Stars aus Deutschland und den
USA macht Abstecher nach Frankreich, Italien und Großbritannien und vernachläs¬
sigt ein bisschen Osteuropa (einschließlich der DDR) und den Rest der Welt Das ent¬
spricht den Sehgewohnheiteneines in der alten Bundesrepublik aufgewachsenen Fümfreaks (Dick ist Jahrgang 1967) und so bleibt diesem Band eine kontinuierlicheErgan
zung und Erweiterung zu wünschen
Rund dreihundert Biografien sind versammelt, darunter auch bei den Amerikanern
viele wenig Bekannte, inzwischen Vergessene In jedem Text versucht Dick, den be
vorzugten Rollentyp, die Spezialltat des Darstellers oder der Darstellerin zu charakten
sieren So nennt er Margaret Rutherford, die grandiose (und einzig wahre) Miss Marple,
eine Greisin mit detektivischem Scharfsinn', Gino Cervi alias Peppone den streitbaren
Dorfburgermeister oder Oskar Sima den Wienerischen Dicken vom Dienst An die No
tizen zur Person schließt sich jeweils eine Liste der wichtigsten Filme an, für die be¬
kanntesten Komiker, knapp zwanzig, hat der Autor diese Liste komplett zusammenge
tragen Woody Allen, Chaplin, Heinz Ehrhardt, Fernandel Buster Keaton, Laurel & Har
dy, Jerry Lewis Lingen, Tati, Karl Valentin und so weiter Leider sind, zum Beispiel
Kurt Gerron und Gert Frobe vergessen worden, und um Herbert Achternbusch macht
Dick einen ebensolchen Bogen wie um Walter Bockmayer vielleicht liegen ihm die ko¬
mischen Avantgardisten weniger als die klassischen Spaßmacher, über die man immer
wieder interessanteDetails erfahrt etwa dass Budd Abbott, mit dem das Lexikon be¬
ginnt, das Kind einer Kunstreiterinwar und in einem Zelt des Zirkus Barnum & Baüey
zur Welt kam
,
-
-
-
-
85
-
Ein paar Zungenschlage der Texte sollten bei einer Neuauflage verändert werden
Wenn Dick schreibt, dass Vlastimü Brodsky .jenseits des Eisernen Vorhangs Jahrzehnte
lang einer der meistbeschaftigtsten und beliebtestenSpaßmacher (S 39) war so
scheint mir das noch der Ton aus der Ära das Kalten Krieges zu sein Grundlicher sollte
sich der Autor auch um die großen Filmkomodianten aus der Sowjetunion Ungarn und
Polen kummern, die zumindestin der DDR ein Publikumhatten Ljubow Orlowa, die in
Arbeiten ihres Mannes Gngon Alexandrow (Lustige Burschen, Wolga Wolga) berühmt
wurde, fehlt ebenso wie Ferenc Kallai, Eva Ruttkai, Deszo Garas die Liste ließe sich
fortsetzen
Außerdem Wer jeden dnttklassigen westdeutschen Gnmasseur in ein Lexikon auf¬
nimmt, sollte wenigstens die erst- (und zweitklassigenostdeutschen nicht unter¬
schlagen Marianne Wunscher, Fred Delmare, auch Axel Tnebel Und bei Rolf Ludwig,
der vertreten ist, fehlt einer seiner wichtigsten Komödien Der Mann mit dem Objektiv
von 1961, in der er, als Raketenpilot Os, aus dem Jahr 2222 ins Jahr 1960 zurück kata¬
pultiert wird und in der DDR in zahlreiche Schwierigkeiten gerat nicht nur, weil er
weder Personalausweis noch Geld besitzt, sondern vor allem, weil er über ein Cefuhlsund Gedankenobjektiv verfugt, mit dem er die Seele seiner Mitmenschenaushorchen
kann
vorgestelltvon... MichaelWedel
Hohenberger(Hg) Bilder des Wirklichen.Texte zurTheorie des Dokumentar¬
films. Berlin Vorwerk 8, 1998 (= Texte zum Dokumentarfilm, Bd 3), 340 Seiten
¦ Eva
ISBN 3-930916-13-4, DM 36,00
im Film als dokumentarisch gelten kann,
den letzten Jahren einen spurbaren Aufschwung erlebt, wobei die einzelnen An¬
satzpunkte zunehmend terminologisch differenziert, die in der Fachdiskussion vertre¬
tenen Positionen aber auch kontrovers und nicht selten polemisch eingenommen wur¬
den Eva Hohenbergers Sammlung klassischer und neuerer Texte zur Dokumentarfilmtheone lasst erstmals im größeren Rahmen die historische Entwicklung einer Debatte
nachvollziehen, die sich wie kaum ein anderer filmtheoretischerDiskurs am mdexikahschen bzw mimetischen Reabtatsbezug des Mediums abgearbeitet und politisch aufge¬
laden hat
Fungierte der genensch vorgegebene Reahtatsbezug lange als Nullpunkt der Diskussi¬
on, wird er im einleitenden historischenÜberblick der Herausgeberin als Ausgangs¬
und Angelpunktfür eine Re Lektüre der theoretischen Auseinandersetzung mit dem
Dokumentarfilm produktiv gemacht ,Der Dokumentarfilm filmt nicht die, sondern eine
vorfilmische Realität, die der Film selbst produziert (S 27)
Vor diesem Hintergrund einer grundlegenden Diskursivitat nicht nur der filmischen
Repräsentation sondern auch der vorfilmischen Bezugsebene des dokumentarischen
Prozesses, tritt besonders deutlich das durch argumentative Strategien und rhetorische
Figuren unterschiedlichgelagerte „Gegenstandsverstandnis (S 29) der einzelnen Au¬
toren hervor Es lasst sich, so der Vorschlag der Herausgebenn und die entsprechende
Gliederung des Bandes, grob in drei Kategonen der Theonebüdung unterteilen norma
tive, reflexive und dekonstruktive Dokumentarfilmtheonen
Die wissenschaftlicheDiskussion dessen, was
hat
in
86
Klassischen Texten von Dziga Vertov John Gnerson, Jons Ivens Paul Rotha, aber
auch noch Klaus Wüdenhahns Vorlesungen Über synthetischen und dokumentarischen
Film (1975) ist demzufolge als normativen Dokumentarfilmtheonen der Impuls ge¬
meinsam programmatisch einen Sollzustand für den Dokumentarfilmzu formulieren
und einzufordern Wiedergegebenwerden in dieser Sektion fünf Texte von Vertov, zwei
von Gnersonund drei von zwölf Lesestunden Wüdenhahns Gerade in dieser ersten
Sektion scheint in der geballten Konzentration auf einige wenige Autoren ein ver¬
meintlicher Uberblickscharakter bewusst zurückgenommen gegenüberdem Anliegen,
die jeweilige Entwicklung der einzelnen Standpunktedifferenziert begreiflich zu ma¬
chen
Die reflexiven Dokumentarfilmtheorien der zweiten Sektion verbindet, dass sie
textonentiert,frühere (normative) Theorien aufgreifend und bearbeitend, den Doku¬
mentarfilm als eine spezifische Gattung verstehen, die sich durch ihren .ontischen
Wirklichkeitsbezug auszeichnet und von anderen Fümgattungen absetzt Dieser Ansatz
wird exemplarisch von Bill Nichols vertreten, hier in einem frühen Text von 1976, m
dem er in Auseinandersetzung mit Metz sehen Kategorien die rhetorische Spezifik des
Dokumentarischen im Film herauszuarbeiten sucht Auf ahnliche Weise basiert Vivian
Sobchaks „semiotische Phanomenologiedes Todes ( ) im Medium ( ) des Dokumen¬
tarfilms' (S 183) auf einer grundsatzlichen Unterscheidung der Zeichenfunktion doku¬
mentarischer und narrativer Todesdarstellungen im Film, der zufolge „der Dokumentar¬
film ( ) vor allem indexikalisch, der narrative Film vor allem ikonisch und symbo¬
lisch (S 201) ist Wobei es in der ikonischen und symbolischen Sphäre des Eingebil¬
deten ( ) mehr ethischen Freiraum zu geben (scheint) als in der indexikahschen
Sphäre des Abgebildeten (ebd ) Bietet Sobchaks Text (aus dem Jahre 1984) im Rah¬
men dieses Bandes vielleicht die vielschichtigste Reflexionder ästhetischen wie der
ethischen Konsequenzen des dokumentarischen Diskurses, weist Francois Josts narra
tologischerAnsatz an verschiedene Stufen von Dokumentantat (S 226) in seinerzu¬
mindest tendenziellen Auflosung des Gattungsbegriffs bereits auf die Beitrage der drit¬
ten Sektion voraus, die als dekonstruktive Dokumentarfilmtheonen"den reflexiven
Theorien generell in der Frage des genenschen Status widersprechen und in der Verla¬
gerung vom Text zum Zuschauer die Demontage eines spezifischenGattungsbegriffs be¬
treiben wahrend etwa für Jean-Louis Comollü am Beispiel des emema direct nachzu¬
weisen ist, dass sich in einem System der Wechselseitigkeit die Felder des .Doku¬
mentarischen und des .Fiktionalen zunehmend durchdringen (S 242), lasst sich für
William H Guynn und Roger Odin eine Definition des Dokumentarischen nur im Rah¬
men einer übergreifenden Funktionsanalyse der Institution Kino und vor dem Hinter¬
grund eines komplexenNetzes von ästhetischen Effekten und Lektüre-Strategien ge¬
ben
In der Zusammenstellung kontrovers miteinander kommunizierenderPositionen liegt
die Starke des Bandes, dem es in seiner Textauswahl gelingt, die in der Dokumentar¬
filmtheorie vertretenen Ansätze nicht in ihrer ganzen Breite verstreut, sondern argu
mentativ so konkret verzahnt zu präsentieren,dass der Impuls zum Weiterdenken
nicht verloren geht In diesem Sinne engt Noel Carrolls den einzelnen Sektionen des
Bandes vorgeschalteteskognitivistisches Plädoyer, das polemisch gegenjüngste dekon¬
struktive anglo-amenkamscheTheorien vorgeht, die Diskussion vielleicht allzu sehr
auf die dortige Fachdebatte ein, in seinem pragmatischen Meta-Diskurs über den Status
rationaler wissenschaftlicherArgumentationschärft es aber auch die Sinne für eine
kntische, dialogische Rezeption der übrigen Beitrage
,
'
,
,
87
¦ Mette Peters und Egbert Barten Meestal m't verborgene. Ammatiefilm in Neder¬
land /940-J 945. Abcoude Uitgeveri) UniepersAbcoude/ Nederlands Instituut voorAnimatiefilm, 2000, 128 Seiten, III
ISBN 90-6825-152-X, hfl 39,90
großer Sorgfalt gestaltete und reichhaltig illustrierte Band versteht sich als
knappe Ubersichtsdarstellungder Entwicklung des niederländischen Animationsfilms
in der Zeit der deutschen Besatzung
Ein erstes Kapitel beschreibt die Vorknegsgeschichte des Animationsfilms in den Nie¬
Der mit
derlanden, die zwischen 1934 und 1939 wesentlich vom Studio des Ungarn George Pal
geprägt wurde Nach Pals Emigration und dem Wegfall der bisher den Ammationssektor
dominierenden amerikanischen Importe (die Disney-Ästhetik blieb jedoch noch m den
Folgejahren weitgehend verbindlich), verlegten sich eine Reihe von einheimischen Fir¬
verstärkt auf die Produktion von Animationsfilmen So stellte im Herbst 1940 die
Filmfabnek Profilti den erfahrenen TrickfilmerHendrik de Vogel ein dessen Til Eulenspiegel-Produktionen Tuyl als Bakkergezel (1940/41) und De Nar en de Kleermakeis
(1941) im Mittelpunkt des zweiten Kapitels stehen
men
Unter dem Einfluss des niederländischen nationalsozialistischen Ablegers NSB ent¬
stand 1941 die Nederland Film, deren Propagandabemuhungenauf diesem Gebiet in der
antisemitischen Tierfabel Van den Vos Reynarde (1941-43) kulminierten, die jedoch in
den Kinos keine nennenswerte Verbreitung fanden Detailliert rekonstruieren die Auto¬
ren im dritten Kapitel ihres Buches sowohl die institutionellen Rahmen- als auch die
konkreten Produktionsbedingungen dieses Films (an dem eine Reihe ehemaliger PalMitarbeiter mitwirkten) Über das Ausbleiben einer breiten Kinorezeption lasst sich al¬
lerdings heute nur noch spekulieren Neben den bekanntenVorbehalten gegenüber all¬
zu unverblümter antisemitischerFilmpropaganda spielten hierbei möglicherweise auch
die Errichtung der Deutschen Zeichenfilm 1942 sowie ein Jahr spater die Einrichtung
von Animationsfilm-Abteilungen der Bavana Filmkunst und der Fümproduktionvon Fischerkoesen in den Niederlanden eine Rolle durch die der Nederland Film nicht nur
eine Reihe von Mitarbeitern,sondern auch beträchtlichefinanzielle Mittel abzogen
wurden Um die Arbeit der beiden Abteilungsleiter Hans Held und Hans Fischerkoesen
zentriert sich das vierte Kapitel
Im Mittelpunkt der folgenden beiden Kapitel stehen die Aktivitäten der produktiv
sten niederländischen Animationsfilmer der Knegsjahre, Märten Toonder und Joop Gee
sink, die zunächst in einem gemeinsamen Studio Auftragsfdme für Philips und die
deutschen Firmen Degeto und Ufa herstellten bevor sie im März ihr Studio gegen
den Willen der NSB in eine Zeichen (Toonder) und eine Puppenfilm Abteilung (Geesink) aufteilten Das abschließende siebente Kapitel skizziert die Entwicklung der
Nachkriegsjahre die, so die Autoren der Blute des Genres wahrend der Besatzungszeit
zahlreiche Impulse verdanke Soweit aus dem bisher Dargelegten ersichtlich, bedeute¬
te die Besatzungszeit für die Produktion von Animationsfilmen keinen Bruch Die Pro
duktion der dreißiger Jahre kam nicht zum Stillstand Ganz im Gegenteil kann man
von einer Fortsetzung der Produktion und von einem Impuls für neue Initiativen spre
chen ( ) Auf der hier gelegten Grundlage konnte nach der Befreiung aufgebaut wer¬
den (S 83ff)
-
-
In
seiner
wie
schen
88
genauen Auswertungaller heute noch bekanntenund verfugbaren filmi¬
nichtfümischen Quellen ist der schmale Band durchaus als Pionierleistung
auf einem Cebiet zu begrüßen das im Schnittpunkt der niederländischen und deut¬
schen Filmgeschichte bisher zu unrecht vernachlässigtwurde Diese klaffende Lücke
mit einer bundigen dabei aber äußerst materialreichen Darstellung gefüllt zu haben
ist das Hauptverdienst der beiden Autoren
Aus der redlichen Einsicht heraus diese Lücke noch keineswegs schließen zu können,
haben Peters und Barten ihrer Darstellung eine ausführliche, Überlieferung und Kopi
enlage vorbildlich erfassende Filmographie beigegeben, in der auch noch immer vermisste Filme und solche, deren abschließender Produktionsfortschrittnicht mit Sicherheit
ermittelte werden konnte, verzeichnet sind Der Charakter eines Arbeitsbuchs zum
Thema den der vorliegende Band hierdurch gewinnt, ist in seinem Wert für die For¬
schung kaum weniger hoch zu veranschlagen
¦ 1953 Syberbergfilmt bei Brecht. Berlin Alexander Verlag, 1993 VHS, s/w, 91 Minuten
ISBN 3-923854-80-3, DM 59,00
¦ Hans Jürgen Syberberg: Die Fritz-Kortner-Filme.Berlin AlexanderVerlag, 1993 VHS,
s/w, 190 Minuten
ISBN 3-923854-73-0, DM 69,00
¦ Hans Jürgen Syberberg: Winifred Wagner und die Geschichte des Hauses Wahn¬
fried 1914-1975. 2 Teile. Berlin AlexanderVerlag, 1993 VHS, s/w, 300 Minuten
ISBN 3-923854-85-4, DM 99,00
-
In den reichlich nostalgischangehauchten Ruckblicken auf die Blutezeit des Neuen
deutschen Films fiele der Name Hans Jürgen Syberberg kaum noch, stellte Bernd Kiefer
1993 in einer der wenigen fundierten deutschsprachigen Arbeiten zu dessen Filmasthetik fest (Kulturmontage der Posthistoire In Horst Fritz (Hg) Montage in Theater und
Film Tubingen und Basel Francke, 1993) Dies, so Kiefer, sei durchaus erstaunlich,
wurde Syberberg doch seinerzeit im Ausland u a von Susan Sontag, Michel Foucault
und Alberto Moravia als ,der deutsche Filmemacher schlechthin angesehen Es ist
andererseits aber auch durchaus erklärlich hat sich das kontroverse Werk Syberbergs
doch mit derselben Konsequenz, mit der es von der deutschen Öffentlichkeit (nicht
selten hohnisch) abgelehnt wurde seinerseits aus den Spielplänen deutscher Kinos
verabschiedet und der Wiederverwertung im Fernsehen entzogen Was für die bekann¬
teren Hitler-, Parsifal- und Ludwig Filme Syberbergs zutrifft, gilt in noch höherem
Maße für sein weithin unterschatztes dokumentarisches Fruhwerk, das wohl nicht ganz
zufällig auch in Kiefers Reflexion keine Betrachtung fand
Um so verdienstvoller mutet die Video-Edition an, die der Alexander Fest Verlag
ebenfalls 1993 vorlegte und die, über ihren theater- und kulturhistorischenWert hm
aus, einen genaueren Einblick in die filmasthetischeEntwicklungsgeschichte Syber¬
bergs erlaubt Einen eigenen Komplex dieses Fruhwerks bilden die Arbeitsportrats zwei
er Ikonen des Weimarer Theaters Bert Brecht und Fntz Kortner Die Brecht Filme
1953 im Berliner Ensemble mit einer 8mm-Amateurkamera aufgenommen, 1971 bear
beitet, auf 35mm aufgeblasen, mit einem Kommentar von Hans Mayer versehen und
unter dem Titel Nach meinem letzten Umzug veröffentlicht
finden sich in der Edition
in einer elektronischen Neubearbeitung, in der die an jene von Brecht so geschätzten
Stummfilmgrotesken ennnerndenfilmischen Verfremdungseffekte in der doppelten
technischen Transformation noch deutlicherhervortreten zum ungleichmäßigen Bewe¬
gungstempo und dem Einsatz von Zwischentiteln kommt nun noch das für Syber
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bergs spatere Filme so zentrale Element der Bilduberlagerung hinzu Eine kleine
Überraschung findetsich nirgendwo ausgewiesen auf der Kassette mit Syberbergs
Kortner-Filmen Fritz Kortnerprobt .Kabale und Liebe', 5 Akt 7 Szene und Fritz Kortner
spricht Monologe für eine Schallplatte, die 1965 bzw 1966 in den Münchner Kammer¬
-
spielen aufgenommen
wurden am Ende des Bandes stoßt man als unverhoffte Zugabe
hinein in die letze halbe Stunde von Marcel Ophuls Kortnergeschichten (BRD
1980), ohne Vorspann zwar, dafür aber komplett mit anschließendem NDR-Programm
hinweis auf weitere Sendungen anlasslich des 100 Geburtstages Kortners im Mai 1992
Syberbergs 300-minutiger, filmisch schmerzhaft zurückgenommener,dabei aber um
so konzentnerterer nur von Zwischentiteln begleiteter Monolog Winifred Wagners von
1974, den Hilde Spiel einmal das große, von der Literatur schuldig gebliebene Zeitbild
der letzten sechzig Jahre nannte, ist nicht nur als einzigartiges historisches Lot aktu¬
eller Familienstreitigkeitenum das Erbe Wagners neu zu entdecken, sondern vor allem
als die wohl radikalste Einlösung Syberbergscher Dokumentarfilmasthetik Die unbeirr¬
bare Konsequenz, mit der sie im Rahmen eines ausgreifenden, mittlerweileaber medienpolitisch verschütteten Filmprojektszur deutschen Kulturgeschichte umgesetzt wur¬
de [vgl hierzu auch FilmDokument 24, in diesem Heft S 4ff], lasst sich in den hier auf
Video wieder verfugbar gemachten Filmen exemplarisch nachvollziehen Und auf eine
Fortsetzung der Edition hoffen
mitten
vorgestelltvon... WolfgangMühl-Benninghaus
¦ Hans H Hiebet, Heinz Hiebler, Karl Kogler, HerwigWalitsch Große Medienchronik.
München Wilhelm Fmk Verlag 1999, 1095 Seiten
ISBN 3-7705-3332-1, DM 98,00
Die vorliegende Medienchronik ist
in fünf Teile gegliedert Schrift, Druck, Post, Opti¬
sche Medien, Akustische Medien, Ubertragungsmedien und Computer Eine Medienchro¬
nik (Zeittafel) und ein Literaturverzeichnis runden das Buch ebenso ab wie ein genau¬
er Sach- und Personenindex Die Gemeinschaftspublikation ist die Erweiterung der von
den o g Autoren bereits 1997 im Beck-Verlag München publizierten .Kleinen Medien¬
chronik Von den ersten Schnftzeichen zum Mikrochip
Die Chronik basiert auf einer profunden Literatur- und Quellenauswahl, die zum Teil
Anhang angeführt wird Um offensichtlich nicht nur ein Fachpublikum anzuspre¬
chen, findet der Leser hier auch Literaturangaben populärerer Darstellungen zu medienhistonschen Entwicklungen
im
Die Auswahlder Daten und die einzelnen Textbeitrage verdeutlichen,dass die Verfas
sich nicht um allgemeine Menschheitsentwicklungen, wie die Entstehung
von Schrift handelte primär europaische und insbesondere deutsche Medienentwick¬
lungen in das Zentrum ihrer Betrachtungen stellten Hervorzuheben sind die Annahe
rungsmoglichkeiten die dem Leser des Buches angeboten werden
ser, soweit es
Zum einen kann der Nutzer das ihn interessierende Medium unter den entsprechen¬
den Jahreszahlen in denen sich signifikante Veränderungen vollzogen,auswählen
Zweitens enthaltdie Chronik eine Zeittafel, die alle wichtigen Daten stichpunktarüg
benennt und auf diese Weise eine schnelle Orientierung ermöglicht Zugleich liefern
die Tabellen auch wesentliche Anhaltspunkte für zeitgleiche Entwicklungen in anderen
90
Medien Zum dritten liefert das umfangreiche Sach- und PersonenregisterMöglichkei¬
ten sich ausgewählten Fragestellungen zu nahern Die zu jeder Jahreszahl bzw. zu je¬
dem Stichwort angegebenenLiteraturangaben erlauben zudem, sich ohne größeren Re¬
chercheaufwand über weitergehende Sachverhalte zu informieren
Vor dem Hintergrund der Vielgestaltigkeit der Stoffgebiete kann es trotz des volumi¬
nösen Umfangs der Chronik nicht verwundern, dass die Medienunterschiedlich er¬
schlossen wurden. So sind etwa die Tonfilmentwicklungen in den USA und Deutschland
relativ umfangreich dokumentiert Der Begriff „Bibliothek"findet dagegen insgesamt
nur siebenmal Erwähnung,was bei einer Chronik, die mehr als 250 Seiten über schrift¬
liche Medien reflektiert, nicht angemessenerscheint. Trotz einer partiellen Unausgewogenheit in Bezug auf die Darstellung einiger medienhistorischer Sachverhalte ist die
vorliegende Arbeit von allen mir bekanntenMedienchroniken nicht nur die umfang¬
reichste, sondern auch die didaktisch am besten aufbereitete
vorgestelltvon... Daniel
Kothenschulte
¦ Robin Allan: Walt Disney and Europe. European Influences on the Animated
Feature Films ofWalt Disney- London:John Libbey 1999,304 Seiten, III.
ISBN I-86462-041-2, £ 22,50 (Paperback)
-
-
Als Elefanten Schlittschuh liefen, musste sich ein Walt Disney einfach angesprochen
fühlen 1938, mitten in der Arbeit am Elefanten-und Mpferdballet zu Fantasia, stieß
er auf die Skizzenbucher des Simplicissimus-ZeichnersHeinrich Kley, erschienen drei¬
ßig Jahre zuvor. „Er trifft die Anatomie von allem, aber es sieht dabei immer mensch¬
lich aus", freute er sich wahrend einer Story-Konferenz, die in einer Mitschrift überleb¬
te. „Haben wir sein Zeug hier7" Wohl nicht, das sollte sich das ändern Aus der künst¬
lerischen Affinitat wurde eine lebenslange Leidenschaft.Für seine Familie sammelte er
Originale des deutschen Malers und Karikaturisten, wahrend die Welt in seinen Filmen
von Dumbo (1941) bis zum Dschungelbuch (1967) noch allerhandElefanten bestaunen
konnte- Jeder Vaterschaftstestdarüber wäre wohl zu Kleys Gunsten entschieden wor¬
den.
Dass auch die Popkultur eine Archäologie besitzt, die man mit kunsthistorischem Ei¬
fer und ikonografischem Auge betreiben kann, lehrt uns jetzt Robin Allan. In jahr¬
zehntelanger Recherche sprach er mit unzahligen Trickfilmveteranen,viele davon
langst verstorben, und trotzte auch dem Disney-Archiv,nicht eben berühmt für seine
Auskunsftsfreude gerade in Fragen von wissenschaftlichem Interesse, zahllose Skizzen
und Arbeitsprotokolleab
Wahrend Kulturpessimisten jahrzehntelang den europaischen Märchen- und Klassi¬
kerschatz für verloren glaubten im Augenblick Disney'scherInbesitznahme das Unwort „disneyfication" gehört dafür zum Standardvokabular der cultural studies
ging
Allan den umgekehrten Weg: In minutiöser Rekonstruktion sowohl des Arbeitsprozes¬
ses wie der Filme selbst verfolgt er die Spuren zurück, die früherebildkunstlerische Vi¬
sualisierungen aus Kunst und Gebrauchsgraphik darin hinterließen. Für jeden, der ein¬
mal Schneewittchen oder eine der berühmten SillySymphomes gesehen hat, ist es of¬
fensichtlich, wieviel Disneys klassische Animationsfilme der dreißigerbis fünfziger
Jahre der Illustrationsgrafik des neunzehntenJahrhunderts schulden Hochkulturelle
91
und triviale Ressourcen vermischen sich bei Disney ohne ihre Herkunft zu verleugnen
Von einer Banalisierung kann dabei keine Rede sein Disney vereinfachte aber er egali
sierte seine Quellen nicht zur Unkenntlichkeit wie Allan beweist es war durchaus die
individuelle Handschrift die er in der Bilderfulle ausfindig machte
Dabei gab Disney sich nicht damit zufrieden Ludwig Richters Märchen Hausschatz
für die (inzwischen leider vernichtete) Studiobibliothekanzuschaffen Er verpflichtete
bedeutende Zeichner und Illustratoren wie den Danen Kay Nielsenund den Schweden
Gustav Tenggren als Inspirationszeichnerund Art Directors in sein Studio Nielsenbe
stimmte das Design der Nacht auf dem kahlen Berge in Fantasia Tenggren entwarf das
ganz und gar nicht italienische Italien von Pinocchio nach einem Studienaufenthalt im
bayerischen Rothenburgob der Tauber Selbst Salvador Dali stempelte ein halbes Jahr
seine Karte in der Stechuhr des Studios doch sein Filmprojekt Destino wurde nie
vollendet
Auch wenn Dali nie etwas auf Disney kommen ließ den er spater sogar in einer ob
skuren Graphikmappe Vier große Amerikaner verewigte verließen nicht wenige euro
paische Kunstler das Studio im Streit Disney gab ihren Entwürfen Leben aber er ord
nete sie zugleich seinem kollaborativen Anspruch unter der 1941 zu einem Streik
führte und das ist nichts für Individualisten
Martin Scorsese hat die Regisseure des alten Hollywood als Schmuggler bezeichnet
die ihre geheimen Botschaften auch in industrielle Produkte einschrieben Auch Robin
Allan ist ein Schmuggler denn eigentlich hat er eine Monografie Disneys geschrieben
die sich im Gewand des Themas versteckt das genau besehen denkbar weit gefasst ist
Disney und Europa das ist fast der ganze Disney Den Kunstler hinter dem Namen sei
nes eigenen Konzerns wieder zu entdecken ist heute dringend geboten So großzugig
Allan auch die Kunstler im Schatten des Studiomoguls zu Wort kommen lasst so sehr
unterstreichter dabei den oft heruntergespielten kreativen Beitrag Walt Disneys an
seinen klassischenZeichentrickfilmen Heute ist der von der internationalen Avantgar
de der frühen DreißigerJahre allen voran Sergej Eisenstein so sturmisch begrüßte In
novator Disney ein vergessener Kunstler Nicht der einzige mit dem Allan in seinem
wunderschon gestalteten Band bekanntmacht
Apropos Was wurde eigentlichaus Heinrich Kley? Vom Meister der tanzendenElefan
ten glaubte man in den USA er hatte in Deutschland ein Ende im Wahnsinn gefunden
so blieb dem damals Mitte 60jahngen der Ruf nach Hollywood erspart Ob er ihm
wohl gefolgt wäre? Verarmt und vergessen hatte er sich als Industriemaler in Bayern
einem anderen Sujet verschrieben und nicht mal das brachte ihm
Erfolg Hitlers
Reichsautobahn
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-
vorgestelltvon... Ralf Forster
¦ Christoph Classen Bilder der Vergangenheit. Die Zeit des Nationalsozialismus im
Fernsehen der Bundesrepublik Deutschland 1955-1965. Köln,Weimar,WienBohlau
Verlag 1999 242 Seiten (= Medien in Geschichte und Gegenwart Bd 13)
ISBN 3 412-01999 2 DM 58 00
Christoph ClassensStudie widmet sich
suchten
92
einem interessanten und
bisher kaum
unter
Kapitel der jüngeren deutschen Mediengeschichte der Präsenz des National
-
Sozialismus im westdeutschen Fernsehen von 1955-1965 Leider ist die logisch struktu¬
rierte Studie mit Grafiken und Tabellen etwas überfrachtet, wahrend Fotos etwa aus
den angeführten Filmbeispielennur spärlich eingsetztwerden
Die Arbeit will mittels einer fundierten Empirie verbreitete Vorurteile einer NichtThematisierung des Nationalsozialismus im Fernsehen der Bundesrepublik aufbrechen
Tatsächlichhatte sich im Fernsehen der fünfzigerJahre ganz im Gegensatz zum Kino
eine breite Ennnerungs- und Aufarbeitungskultur zur NS-Vergangenheit herausgebil¬
det Nicht unwesentlich ist in diesem Kontext der Fakt, dass es gerade ein sich entwikkelndes Leitmedium war, in dem so eine Kernthese Classens Maßtabedes gesell¬
schaftlichen „Umgangs mit dem Nationalsozialismusgesetzt wurden (S 186-189)
Komplexe Studien zur frühen Fernsehgeschichte stehen vor der Schwierigkeit,kaum
auf Primarquellen zurückgreifen zu können, da von einem bereits hohen Programmum¬
fang nur wenige Sendungen überliefert sind So gerat die Auswertungder Sekundarquellen zur Fleißarbeit und zum Spagat zwischen bloßer Statistik und qualitatvoUerin¬
haltlicher Differenzierung Classen geht diesem Problem nicht aus dem Weg Er gliedert
seine Abhandlung in einen quantitativen' Teil in den als Basis Programmankundigungen der Zeitschrift „HÖR ZU' einfließen und einen „qualitativen" Abschnitt, in
dem vier überlieferte längere dokumentarische Produktionen exemplarisch analysiert
werden Zwei Unterkapitel sollen beide Untersuchungsstrange verbinden „Dimensionen
der Thematisierung (S 54ff) hinterfragen die ermittelten Sendungen nach acht The¬
men-Spektren (z B Krieg, Widerstand, Alltag, Politik), ein Schlussteil verknüpft die Er¬
gebnisse der beiden Analyse-Bereiche mit dem Verhältnis von bundesrepublikanischer
Öffentlichkeit und Nationalsozialismusund entwirft „Muster der öffentlichenThemati¬
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,
sierung' (S 164ff)
Mittels eines differenzierten Fragenkataloges konnte Classen 671 Sendungen zur NSZeit zwischen 1955-1965 ermitteln das sind etwa 2 Prozent des Gesamtprogramms In
der gesamten Zeitspanne wurde das Thema überwiegend in fiktionalen Produktionen
aufgegriffen, was offenbar dem kinogewohntenRezeptionsverhaiten entgegen kam Die
Repräsentanz in den fünfziger Jahren unterscheidet sich dabei stark von der in den
sechziger Jahren Wahrend zunächst unkommentierteAusstrahlungen von NS-Spielfllmen dominierten, standen die sechziger Jahre im Zeichen einer verstärkteninhaltli¬
chen Diskussion des Nationalsozialismus Nun stieg parallel zur Etablierung fernseh¬
gerechter Magazinformate auch der Anteil mchtfiktionaler Beitrage
In Zurückweisung der Position Hermann Lubbes („Der Nationalsozialismusim deut¬
schen Nachkriegsbewußtsein, in HistorischeZeitschrift 236, 1983) könne aber nicht,
so Classen, von einer .gewissen Stille' der NS-Auseinandersetzung in den Zeit bis 1960
ausgegangen werden (S 180ff) Entscheidend verändert hatten sich jedoch die Diskurs¬
muster Der Autor resümiert das Aufgreifen des Nationalsozialismusin den fünfziger
Jahren als meist enthistorisierend, umversalisierend,überhöht und insgesamt wenig
konkret „Die NS-Zeit (erschien) als Ausdruck allgemeiner zivilisatorischer Verfallspro¬
zesse der Moderne, lediglich als eine von verschiedenen Manifestationen totalitärer
Herrschaft" (S 182)
Ein unrühmliches Bild der frühen bundesrepublikanischen Geschichte zeichnen Ana¬
lyse-Ergebnisse, die ein Fehlen der Themen Holocaust und Kollektivschuld, dafür ver¬
mehrte Sendungen zu den Kriegsfolgen in Deutschland (z B eine Übertragung einer
Feierstunde des „Volksbundes Deutsche Knegsgraberfursorge e V' aus dem Bundestag
am 16 11 1958) als typisch herausstellen Ausdruck der Adenauer-Ära sind ferner
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93
zahlreiche Verweise auf die kleine Fuhrungselite die allein die nationalsozialistischen
Verbrechen zu verantworten hatte NS Verstrickungen gewendeter Pohtker, Juristen
und Repräsentanten der Wirtschaft blieben im westdeutschen Fernsehen ebenso ausge¬
spart wie entsprechende DDR-Kampagnen, die die Tragbarkeit von Regierungsmitghedern wie Globke und Oberlander anprangerten Die Loyalität der Bevolkerungsmehrheit gegenüber der Bundesrepublik" (S 183) sollte in den fünfzigerJahren keinesfalls
beschädigt werden Hier zeigt sich der ausserordentlicheGewinn dieser Publikation
auch im Kontext einer offenen Auseinandersetzung mit den fünfziger Jahren und dem
Verbleib nationalsozialistisch belasteter Personen in Fuhrungspositionen
Wie sehr jedoch auch in den sechziger Jahren der Geist einer konservativen Nachknegspohtik über dem bundesrepublikanischen Fernsehen lastete, zeigen z B Ausein¬
andersetzungen über das FernsehspielStalingrad (31 1 1963, NDR) In einem Fern¬
schreiben an alle Bundeswehreinheiten denunzierte der Generalinspekteur des Heeres,
Foertsch, die Autoren der Sendung (Claus Hubalekund Theodor Phvier) als „Gegner der
Freiheit und Erfüllungsgehilfendes Ostens" (S 73) Die Ehre deutschen Soldatentums
sollte im Kontext der Traditionshme der Bundeswehr in keiner Weise befleckt wer¬
den Die Wehrmacht war eben nur missbraucht worden und wer anderes behauptet,
,der musste einfach mit den Kommunisten im Bunde sein (S 74)
Erst ausgelost durch den Eichmann-Prozess (Januar 1960) und eine Welle nazistischer
Schmierereien in der Bundesrepublik habe sich, so Classen, das Profil der TV-Beitrage
zur NS-Zeitmerklich gewandelt Herausragende Bedeutung kamen der 14-teihgen Do¬
kumentation Das Dritte Reich (SWR/WDR 1961/62), sowie modernen Fernsehmagazinen
wie Report und Panorama zu (S 159) Nun gelangten auch einige ausländische Produk¬
tionen über den Nationalsozialismus in westdeutsche Fernsehkanale, wie z B Andorra
(NDR 1964, Studio-Aufzeichnung einer Inszenierung des ZüricherSchauspielhauses;
oder Fleischers Album des Polen Janusz Majewski (Panorama, Nr 88, NDR 21 10 1963)
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vorgestelltvon... von RolfAurich
¦ Weimar-Index.DeutscherReichsanzeiger und Preußischer Staatsanzeiger.
Register 1918-1933. Bearbeitetvon Martin Schumacher (Handbucher zur Geschichte
des Parlamentarismus und der politischen Parteien, hrsg von Hans Booms und Rudolf
Morsey, Band 4) Dusseldorf Droste 1988,901 Seiten
Was ist ein Weimar-Index7 Etwa der Versuch, einen kurzen und durch politische Zäsu¬
ren definierten Zeitraum der Zeitgeschichte vielschichtig erschließbarzu machen?
Nicht ganz, aber doch ein wenig Genaugenommen ist dieser Index ein inzwischen alter
Hut, er erschien bereits 1988, und er ist überdies eigentlich der vierte Band der von
Hans Booms und Rudolf Morsey herausgegebenen „Handbucher zur Geschichte des Par¬
lamentansmusund der politischen Parteien was wiederum die richtige Fahrte weist
und klar macht man erwarte bitte nicht zuviel und man erwarte bitte nur Auskunft
darüber, was in den Amtsblattern der Reichs- und der preußischen Staatsbehörden zwi¬
schen November 1918 und Juli 1933 (formliches Ende der Weimarer Parteien) Nieder¬
schlag gefunden hat es handelt sich also um ein Teilregister des 1819 noch als „All¬
gemeine Preußische Staatszeitung' durch eine KabinettsorderFriedrich Wilhelms III
begründeten und seit dem 4 Mai 1871 als Deutscher Reichsanzeiger und Königlich
,
-
94
Preußischer Staatsanzeiger"firmierenden Organs, dem wahrend der Revolution 1918
lediglich das königliche Attribut abhanden kam, kaum aber seine kontinuierliche, wo¬
chentagliche Erscheinungsweise.
Was bietet dieser Index, dessen
Objekt sich gliederte
in die
Abteilungen „Amtliches"
-
(Personalnachrichten aus der Verwaltung, Verordnungen, Bekanntmachungen so etwa
Verbote), Nicht-Amtliches (hauptsachlich politisch-parlamentarischeBerichterstattung
aus
Reichstag und Preußischem Landtag) und Mitteilungen über Gesundheitswesen, Han¬
del, Industrie und Verkehr sowie eine Rubrik „Mannigfaltiges",dem Filmhistorikerim
engeren Sinne? Im Abschnitt über „Staatsschutz- und Zensurmaßnahmen" werden „die
-
staatlichenMaßnahmenzur Wiederherstellung der öffentlichenSicherheitund Ord¬
nung und die Verbote bzw. deren Aufhebungen oder Einschränkungen" (S. 15) doku¬
mentiert also auch die (leider unvollständig) publiziertenFilmverbote und Zulas¬
sungslisten der Filmprufstellenin Berlin und München. „Bei den amtlichen Bekannt¬
machungen der Film- und Zeitungsverbote bzw. Wiederzulassungen werden, soweit im
Dokument erkennbar, jeweils das Datum der Entscheidung und der Publikation ge¬
nannt (ebd.) Die instruktiveEinfuhrung, verfasst (vermutlich) vom Bearbeiter Martin
Schumacher, nennt ausfuhrlichauchjene Bereiche des Organs, die bei der Auswertung
unberücksichtigt geblieben sind. Erschlossenwerden die insgesamt 23.176 durchlau¬
fend numerierten (und innerhalb der thematisch gegliederten Abschnitte als Kalendarium nutzbaren) Fundstellen von einem Register sowie vom Orts-, Sach- und Personen¬
index.
Die Meldungen über Staatsschutz-und Zensurmaßnahmen gegen Filme beginnen im
„Weimar-Index" in der Nummer 242 des Reichsanzeigers vom 15. Oktober 1921 mit dem
Verbot des Titels Die Hochbahnkatastrophe durch die Berliner Prufstelle und schließen.
in der Nummer 154 vom 24. April 1933 mit dem Widerruf der Zulassung des Films Ver¬
fassungstag Zweieinhalb Monate zuvor, am 24. April 1933, ist schon optisch ein Ein¬
schnitt zu erkennen' widerrufen wurden zwei Tage zuvor unter anderen die Zulassun¬
gen von Filmen wie Zehn Tage, die die Welt erschütterten, Die Rote Front marschiert,
Sturm über Asien, Mutter Krausem Fahrt ins Gluck, Niemandsland, Aufmarschder Eiser¬
nen Front, Verfassungsvolksfest. Angesichts einer solchen quantitativen Arbeit, die tat¬
sachlich schnell ins qualitative umschlagt, ist naturlich zu fragen, weshalb bislang
noch nicht die Publikation aller Zensurlisten in Deutschland (nach Birett) realisiert
worden ist.
"
vorgestelltvon... Jeanpaul Goergen
Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933. Band 311. USA. Hg.: John M. Spalek, Konrad
Feilchenfeldt, Sandra H. Hawrylchak. Bern und München:K. G. Säur, 2000.471 Seiten
¦
ISBN 3-908255-16-3, DM 248,00
Von den 25 Einzelportrats dieses Teilbandes über deutschsprachige Literatur im ameri¬
kanischen Exil nach 1933 behandeln fünf auch emigrierte Drehbuchautoren und Regis¬
seure. Helmut G. Asper liefert eine kompromierte Darstellung der Exilaktivitaten von
Max Ophuls [vgl. FILMBLATT 12, S. 89f], wahrendRolf Riess das Leben und Werk von
95
Hans Janowitz nachzeichnet, ohne aber detaillierter auf seine Drehbucher und sonsti¬
gen Filmaktwitaten etwa die 1922/23 zusammen mit Ernst Deutsch gegründete Film¬
gesellschaft „Comedia einzugehen Der Filmmann Janowitz bleibt so noch zu erfor¬
schen, diese und andere Arbeiten von Riess haben hierzu das Fundament gelegt [Vgl
auch FILMBLATT 12, S 57f und zu Janowitz in diesem Heft S 23ff]
Die Schriftsteller und Drehbuchautoren Otto Eis (1903, Budapest 1952, USA) und
Egon Eis (1910 Wien 1994, München) waren insbesondere auf dem Gebiet des Krimi¬
nalromans und -films erfolgreich Zwischen 1930 und 1933 lieferten sie zusammen mit
Rudolf Katscher Stones und Bucher zu fünfzehn Kriminalfilmen wie z b Der Tiger
(1930), Der Schuß im Tonßlmateher (1930) oder D-Zug 13 hat Verspätung (1931) Über
Wien emigrierten die Bruder Eis 1938 nach Paris, wo sie an mehreren Filmen mitarbei¬
teten Otto Eis emigrierte über Kuba in die USA, wo er bis zu seinem frühen Tod für
MGM arbeitete, wahrend sein Bruder in Kuba und Mexiko an zahlreichen Drehbuchern
beteiligt war 1953 kehrte Egon Eis nach Europa zurück und verfaßte neben Knminalgeschichten und Sachbuchern in den 70er Jahren auch Fernseh- und Dokumentarspiele
für das ZDF ihr Portrat stammt von Johanna W Roden
Albrecht Joseph (1901 1991) und sein Bruder Rudolf (1904 1998) kannten in Ber¬
lin und spater in Hollywoodin Theater- und Filmkreisen fast alle, die Rang und Namen
hatten Therese Ahern Äugst beschreibt die lebenslange Freundschaft der Bruder mit
ihren unterschiedlichen Charakteren der lieber hinter den Kulissen agierende Albrecht
und der als .geborenerOrganisator (S 287) auf öffentliche Anerkennung drangende
Rudolph Im Berlin der frühen dreißigerJahre leitete Rudolph den Buhnen- und Filmvertneb Drei Masken Verlag, wahrend Albrecht in München beim Film debütierte, u a
mit dem Drehbuch zu Zuckmayers Der Hauptmann von Köpenick (1931) seine Kollabo¬
ration mit Zuckmayer in jener Zeit „bleibt umstritten (S 288) In Österreicharbeitete
er mit seinem Freund Alexander Lemet-Holema an weiteren Drehbuchern ungenannt,
da die Filme auch in Deutschland laufen sollten In den USA schließlich weitere Dreh¬
buchauftrage sowie Arbeiten als Cutter bei Film und Fernsehen RudolphJoseph dage¬
gen war 1933 nach Paris emigriert, wo er in der Produktionsgesellschaftvon G W
Pabst mitarbeitete In den USA arbeitete er als Filmproduzent und drehte auch zwei
Dokumentarfilme für das U S Department of Health 1957 wurde er zum Direktor des
Münchner Filmmuseums ernannt
Die informativen Beitrage hatte man gerne um Werkverzeichmsse und ausführlichere
Literaturangaben ergänzt gesehen, insbesondere bei den weniger bekanntenAutoren
Dieser Einwandsoll aber die Leistung dieser wertvollen Edition nicht schmalem, die
aber auf Grund des hohen Preises wohl nur für Bibliotheken erschwinglich sein durfte
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¦ Irmbert Schenk (Hg) DschungelGroßstadt. Kino und Modernisierung.
Schuren 1999 203 Seiten, III (= Bremer Symposien zum Film III)
ISBN 3-89472-313-0, DM 29,00
Marburg
Um die Wechselwirkungen zwischen Kino und Modernisierung, die der Untertitel dieser
aus dem III Bremer Symposium zum Film hervorgegangenen Sammelbandes verspricht,
geht es nur am Rande Die meisten Autoren versuchen vielmehr, der Repräsentation der
Großstadt in den bekannten Spielfilm-Klassikern neue Aspekte abzugewinnen, was al¬
lerdings nicht immer gelingt Wenn man Film und Kino als Teil und Motor der gesell¬
schaftlichenModernisierung (so Irmbert Schenk im Vorwort, S 10) untersuchen will,
,
96
dann muß
man Film
als Medium der Massen ernstnehmenund nicht immer wieder nur
Metropolis M Asphalt oder Sunnseanfuhren wichtige Stadtfilmesicherlich aber doch
Ausnahmefilme Wirkungsmachtiger war doch wohl die Masse jener Filme die man in
Weimar als Mittelfilme bezeichnete und die zu einem gewichtigen Teil im großstadti
sehen Milieu spielten ohne dieses aber von der Filmarchitekturher so imposant ins
Bild zu setzen wie es etwa Fritz Lang tat Dagegen durfte das luxuriöseMilieu der Rei
chen und Schonen insbesondere mit dem ewiggleichen Schauplatz des Nachtlokals
elegante Herren verführerischeFrauen Sekt im Überfluß immer wieder Luftballons
das Spielzimmer nicht zu vergessen mehr zur Vorstellung Großstadt beigetragen ha
ben als jene Filme die ausdrücklich Modernität hervorstreichen ein negativ konnotier
tes Großstadt Bild zweifelsohne
Anders gesagt Modernisierung (und antimodernistische Tendenzen) im Film mußten
viel starker im Drehbuchals in der Filmarchitektur gesucht werden Der von Irmbert
Schenkedierte Sammelband beschrankt sich weitgehend auf Spielfilme der Dschun
gel Großstadt im Dokumentarfilm wird eigentlich nur von Leonardo Quaresima er
forscht der dem filmischen Futurismus in einer Reihe von bisherkaum rezipierten
lateliemschen Dokumentarfilmen u a in dem 1929 von Corrado DErrico gedrehten
kurzen Stadtefüm Stramilano nachspurt
Enno Patalas erzahlt die schier endlose Geschichte der Mutiherung und Restaurierung
von Metropolis Thomas Elsaesser denkt über das Paradox nach wie Metropolis seiner
zeit als naiv und reaktionär rezipiert heute zum Archtetyp eines neuen Filmgenres
geworden (ist) des post fordistischen Kitsch Techno Noir (S 29) Klaus Kreimeier ar
beitet Längs Hyper Dokumentansmus (S 59) in Mheraus und Thomas Koeber grübelt
u a über die merkwürdige Verspätung des Schocks der Moderne im frühen Film der
zwanziger Jahre (S 68) nach
Eva Wahrt untersucht in einer Verknüpfungvon Großstadt und Geschlechterdiskurs
die nationalsozialistischen Großstadtfilme mit ihrer Umdeutung von Stadt zu Heimat
(S 108) Den Einsatz von Film und Radio im Nationalsozialismus analysiert David Bath
nck anhand der Sendereihe Wunschkonzert und des auf dieser populären Sendung
beruhendenUfa Films Wunschkonzert (1940) wobei es ihm um die politische Brisanz
der leichten Unterhaltung innerhalb einer von vornherein ideologischgefärbten Of
fenthchkeit (S 113) geht
Über film noir als Ausdruck und Bilder schreibt Norbert Grob Frank Arnold geht in
seinem Streifzug durch die Stadt im Science Fiction Film auch auf den hierzulande nur
selten gezeigten bntischen Film Things to Come (1936) ein dessen Architektur er als
Gegenentwurfzu Metropolisliest
Guntram Vogt analysiert in einem spannendenEssay Wim Wenders liebevolle Stadt
Wahrnehmung (S 177) und geht dabei wie auch Klaus Kreimeier für M- auf die Be
deutung der Tonspur ein denn filmische Großstadt ist schließlich nicht nur Architek
tur und Bild sondern auch Geräusch und Klang Den Band beschließt Knut Hickethier
mit Überlegungen zur filmischen Großstadterfahrung im neueren deutschen Film in
denen er eine modernisierungsbedingte Reduktion der Selbstinszemerung der Stadt
(S 197) ausmacht Stadt wird auf eine Chiffre reduziert
Leider stehen die Illustrationen überwiegend Abbildungen die man schon aus vie
len anderen filmhistonschen Publikationen kennt häufig ohne Bezug zum Text Alles
in allem doch ein anregender Band der einige Schneisen in den filmischen Dschungel
Großstadt schlagt
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¦ Wolfgang Muhl-Benninghaus: Das Ringen um den Tonfilm. Strategien der Elektround der Filmindustrie in den 20er und 30erJahren. Dusseldorf:Droste, 1999.427 Sei¬
ten (Schriften des Bundesarchivs;54)
ISBN 3-7700-1608-4, DM 78,00
Vielleicht eines der wichtigsten Filmbucher der letzten Zeit auch, aber nicht nur we¬
gen der akribischen und mit vielen neuen Quellenfunden untermauerten Darstellung
der Tonfilmumstellung, sondern vor allem wegen der interdisziplinären Herangehens¬
weise Muhl-Benninghausbeschreibtden Übergang von stummen Film zum Tonfilm als
Medienumbruch,berücksichtigt also „die technische Entwicklung, die Ausbreitung, die
Versuche staatlicher Einflussnahme, die Veränderungen der Inhalte und Ästhetiken so¬
wie die Auswirkungen des neuen Mediums auf die Rechtsprechung." (S. 7)
Mehr noch' auch benachbarte Medien wie Rundfunk, Schallplatte und Theater werden
hier zum ersten Mal in ihren komplexen Wechselbeziehungen mit dem neuen Medium
Tonfilm in die Analyse einbezogen. So entsteht im Rahmen einer interdisziplinär ver¬
standenen Mediengeschichte ein breites Panorama medialer Verflechtungen, in denen
ästhetische Innovationen nicht mehr isoliert, sondern stets auch als Ausfluss techni¬
scher und wirtschaftlicher Veränderungen interpretiert werden.
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Mit diesem Buch hat Mühl-Benninghausden Grundstein gelegt für eine noch zu
schreibende umfassende Wirtschafts- und Mediengeschichte des deutschen Films eine
Aufgabe, die wohl nur im Team angegangenwerden kann' volks- und betriebswirt¬
schaftliche Kenntnisse müssen mit umfassenden Kenntnissen der Schallplatten-, Rund¬
funk- und Filmgeschichte einhergehen, die Technikgeschichte ist ebenso einzubeziehen wie die Veränderungen im politischen und sozialen Gefuge, um nur die wichtigsten
Bereiche anzuführen. Diese Verknüpfungist dem Autor weitgehend gelungen; nur im
Bereich der zugegebenermaßen komplizierten technischen Details der zahlreichen Ton¬
filmverfahrenfühlt er sich nicht ganz so zu Hause Erschwerend kommt hinzu, dass es
heute kaum noch möglich ist, die Kritikerurteile über die technische Qualität der er¬
sten Tonfilme, die zahlreichen PR-Texte der involviertenFirmen und die naturlich auch
von wirtschaftlichenErwägungen beeinflusstenfirmeninternen Berichte und Stellung¬
nahmen angemessenzu bewerten. Zum Gluck ist die Quellenlage gerade zur Tonfilm¬
umstellung recht gunstig, was leider nicht für alle Epochen der deutschen Filmge¬
schichte zutrifft, da viele Firmenarchive nicht überliefert sind.
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Muhl-Benninghausbeschrankt sich in seinem Buch keineswegs auf die heiße Phase
der Tonfilmumstellung 1929/30, sondern geht zurück auf die Tonbilder Vor 1914, die
Experimente der Tri-Ergon-Gruppe in den frühen zwanziger Jahren und erste mediale
Verflechtungen zwischen Film, Rundfunk und Schallplatte. Und er weitet seine Darstel¬
lung auf die Entwicklung des Tonfilmmonopols wahrend der NS-Zeitsowie nach dem
Ende des II. Weltkriegs aus Zugegeben: das Buch ist streckenweise nicht einfach zu le¬
sen, was sicherlich dem Thema geschuldet ist, aber auch den Einschuben und Exkur¬
von einigen
sen, die den Erzahlbogen brechen, zudem wurde ganz auf Abbildungen
Tabellen abgesehen verzichtet. Über verschiedene Thesen und Einschatzungen wird
zu streiten sein, nicht aber über die „interdisziplinäre Betrachtungsweise des Medien¬
umbruchs". (S 405)
Wichtig auch' Muhl-Benninghauslegt zahlreiche Fahrten aus, die durch Detailstudien
ausgeführt werden müssen, etwa die Wechselbeziehungen zwischen Rundfunk und
Film, sowohl im Bereich der Technik, insbesondere der Tonaufzeichnung, als auch as-
98
thetisch, etwa in der Horspielentwicklung oder in Bezug auf die Diskussion um die
„Konservenkunst", die wahrend der Einfuhrung der Schallaufzeichnung im Rundfunk
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entbrannte und die in den entsprechen Vorbehalten gegenüber dem Tonfilm ihr Gegen¬
stuck fand Ein anderes Beispiel die Rolle des Kulturfilmsin der Einfuhrungsphase des
Tonfilms in Deutschland scheint bei Muhl-Benninghausimmer wieder auf auch hier
werden Spuren gelegt, die es zusammenzufuhren gilt Auch eine Fallstudie zur Tn-Ergon, der wohl wichtigsten Firma in der Fruhphase der Tonfümeinfuhrung, mit ihren
besonderen Beziehungen sowohl zum Rundfunk als auch zur Schallplatte drangt sich
auf Muhl-Benninghaushat mit diesem Buch Pionierarbeit geleistet es gilt, auf die¬
sen Weg weiterzuschreiten.
vorgestelltvon... Francesco Bono
¦ Alexander Horwath, Giovanni Spagnoletti (Hg.): Michael Haneke. Turin: LindauVerlage,
1998. 218 Seiten (MitTexten von Michael Haneke und Essays von Giona A. Nazzaro, Bert
Rebhandt.Andreas Kilb, DominiquePaini,Jean-Claude Polak, Olaf Moeller, Nicole Brenez,
Vaath Othmer und Thomas Assheuer. Filmografie und Bibliografie: Regina Schlagnitweit)
ISBN 88-7180-252-7, Lire 20.000
Zunächst mit dem Film Der siebenteKontinent,dann mit Bennys Video und Funny Ga¬
hat sich der österreichischeRegisseur Michael Haneke einen festen Platz im neuen
europaischen Film gesichert. Und doch drangt sich der Eindruck auf, dass nur wenige
ihn kennen, zumal es kaum Texte über seine Arbeit gibt
Ein Blick in die Bibliographiedes vorliegenden Bandes, den Alexander Horwath und
Giovanni Spagnoletti dem Regisseur widmen, bestätigt unsere Vermutung, fuhrt sie
doch lediglich zwei Publikationen über den Regisseur an: „Der siebente Kontinent Mi¬
chael Haneke und seine Filme" (Wien und Zürich. Europa Verlag, 1991} sowie „Utopie
und Fragment. Michael Hanekes Filmwerk" (Thaur, Wien und München' Kulturverlag,
1996). An den Fingern einer Hand lassen sich anderseits die Beitrage zahlen, die sich
mit mehr als einem Film von Michael Haneke beschäftigen.
Wie bei den oben genannten Titeln handelt es sich auch beim vorliegenden Buch, das
von Alexander Horwath (Herausgeber von „Der siebente Kontinent" und lange Zeit Di¬
rektor der Viennale) und Giovanni Spagnoletti (einem italienischen Kenner des deut¬
schen Films) herausgegeben wurde, um einen Sammelband.Das Buch sollte auch au¬
ßerhalb Italiens beachtet werden, tragt es doch dazu bei, einen Regisseur bekannter zu
machen, der bereits seit den siebziger Jahren stark im Fernsehen engagiert ist, auf den
jedoch die Kritik erst seit seinem Kino-Debut Der siebente Kontinent aufmerksamwur¬
de Gerade dieser Film, so Spagnoletti, bewirkt eine „thaumaturgische" Änderung im
ArbeitsverlaufMichael Hanekesund bildet einen Einschnitt seines Schaffens
Beachtenswert an diesem Band ist die Fülle des dem Leser zur Verfugung gestellten
Materials, das von einem gut geführten Interview mit Michael Haneke, drei Texten des
Regisseurs über seinen Film 71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls, über Gewalt
und Medienund Robert Bressons Film Au hasard Balthazar bis hin bis zu der detaillier¬
ten Filmografie und Bibliografie von Regina Schlagnitweit reicht.
Die Beitrage über HanekesFilme stammen von 9 (vorwiegend österreichischen, deutmes
99
-
sehen aber auch franzosischen) Kritikern, die das Filmschaffen des Regisseurs von ver¬
schiedenen Gesichtspunkten aus beleuchten. Schade nur, dass ihre Texte den Beitrag
nur selten über subjektiveEinfühlung hinaus¬
von Alexander Horwath ausgenommen
und
eine
des
gehen
organische Vertiefung Stoffes eher verfehlen. Dies mag mit dem
fluchtigenAnlass zusammenhangen, auf den die Beitrage dieses Bandes zurückgehen,
nämlich eine Filmschau des Regisseurs anlaßlich des Torino Film Festival im Herbst
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1998
Kurz
vorgestellt
¦ Manuel Koppen, Klaus R. Scherpe (Hg.): Bilder des Holocaust. Literatur
dende Kunst. Koln.Weimar.Wien: BohlauVerlag, 1997 (= Literatur- Kultur
Kleine Reihe 10), 231 Seiten, III.
ISBN 3-412-05197-7, DM 35,00
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Film
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Bil¬
Geschlecht,
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In den so kontrovers und polemisch wie kaumje zuvor geführten Debatten der neunzi¬
ger Jahre ist die Frage nach der Darstellbarkeit des Holocaust Teil der öffentlichen
Streitkultur geworden. Vor diesem Hintergrund heben sich die sorgfaltig analysieren¬
den und fundiert kommentierendenBeitrage dieses Sammelbandes wohltuendab. Ver¬
folgt wird in den einzelnen Untersuchungen der Prozess der Ablösung eines dokumen¬
tarisch bezeugenden „Pathos des Primaren" durch ein neues, medial vermitteltes
„Ethos der sekundären Repräsentation".Diese von den Herausgebern als solche emp¬
fundenen „Anzeichen einer neuen .Holocaust-Kultur', für die das Auschwitz-Trauma,
wie gebrochen auch immer, als emotional aktives Zeichen der eigenen Erinnerungs¬
und Erlebnisfahigkeit nachwirkt" (S. 6), werden auf dem Gebiet der filmischen Reprä¬
sentation zumeist in der Opposition zwischen Claude Lanzmanns Shoa und Steven
SpielbergsSchindlers List beschrieben.
Manuel Koppens Beitrag „Von Effekten des Authentischen Schindlers Liste' Film und
Holocaust" (S. 145 170) korrigiert einige Missverstandnisseder deutschen Rezeption
von SpielbergsFilm etwa über dessen vermeintlichen „Wochenschau-Stil" -, indem er
die authentifizierendeWirkungsstrategie vielmehr in der konsequent verdichtenden
Metaphorisierung historischer Zeichen (Züge, Schienenstränge, Schornsteine) und einer
doppelten ästhetischen Referenz ausmacht einerseits auf Greuelbilder aktuellerNach¬
richtensendungen ä la CNN, anderseits auf die Konventionen filmischer Gewaltreprasentation im amerikanischen Kino nach Vietnam: „Die Wahrheit der historischenEreig¬
nisse wird bei Spielberg nicht durch das Dokument oder die Aura des historischen
Schauplatzes verbürgt, sondern durch die Ausspielung der Szenen und visuellen Signi¬
fikanten, die im Fundus des gegenwartigen durch Filme, Museen, Gedenkstätten an¬
gereicherten kulturellenGedächtnisses lagern." (157f)
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Auf diesem semantischen Feld der medialen Erinnerung ist, wie Koppen abschließend
feststellt,jeder ethisch-ästhetischePolarisierungsversuchhöchst problematisch: „Auch
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100
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Lanzmanns Aufnahmen besetzen als Substitute des Nicht-Dargestellten das Bildergedachtnis und aktualisieren damit das Paradigma der Bilder, wie sie als Neueinschrei¬
bungen das Repertoire der Holocaust-Bildererweitern. Unter Schindlers Liste zeichnet
sich auch Shoa ab. Das ist keine List Spielbergs, sondern Konsequenzmedial gestalte¬
ten Eminems." (S. 165) Dass nicht nur den Bildern, sondern auch der Tonebene im
Film eine gewichtige Rolle in dieser medialen Gestaltung zukommt, wird in Koppens
Diskussion leider nicht einmal angedeutet Dies mag dem Hauptaugenmerk des Bandes
insgesamt entsprechen, wird aber weder der tatsachlich weitaus komplexeren Wir¬
kungsweise des betrachteten Mediums noch der ästhetischen Problematik „Film und
Holocaust" in umfassendenSinne gerecht (MW)
¦ Filmerleben. Zur emotionalen Dramaturgie von Titanic, medien praktisch TEXTE 2.
Sonderheft der Zeitschrift medien praktisch. Frankfurtam Main:Gemeinschaftswerk der
EvangelischenPublizistik e.V, September 1999,71 S.,Abb.,DM 14,00
Im Mittelpunkt des zweiten Sonderheftes der Zeitschrift medien praktisch steht mit
James Camerons Titanic (1997) wiederum ein einzelner Film, der exemplarisch aus ver¬
schiedenen analytischen und theoretischen Perspektiven unter dem Aspekt des „Film¬
erlebens" untersucht wird Im Anschluss an Norbert Neumanns und Hans J Wulffs ein¬
leitende Annäherung an den Erlebnisbegriff als „Problem der Medienforschung" widmet
sich der Beitrag von Katja Kirste und Wolfgang Struck der komplexenVerschrankung
der Zeitebenen, die den Film zu einer „Erzählung kultureller Erinnerung" macht Im
Spannungsfeld „zwischen Kitsch und Katharsis" erläutert Jürgen Grimm die wirkungsasthetischen Merkmaledes Untergangsmythos, wie sie sich einigermaßen konstant
durch die Rezeptions- und Deutungsgeschichte der Titanic-Katastrophe bis hin zu Ca¬
merons wohl definitiver Verfilmung ziehen.
Ergebnisse empirischer Befragungen innerhalb eines kommunikationstheoretischen
Analysemodells dienen Andreas Hepp und Waldemar Vogelsang zur Beurteilung von
„Erwartungsformierung", „emotionaler Beurteilung" und „kommunikativer Aneignung"
des gesamten Medienereignisses Titanic. Auf Basis von 13 nachtraglich verfassten Gedachtnisprotokollen liefert Renate Luca eine Diskussion des psychoanalytischen Sym¬
bolbegriffs und seiner Bedeutungfür die Rezeptionsqualitat „im Zusammenspiel von
emotionalemErleben und der Reflexion dieses Erlebens", aus der sie eine Reihe über¬
greifendermedienpadagogischer Schlussfolgerungen zieht. Manfred Behr stellt in sei¬
ner texthermeneutischen Betrachtung der vielfaltig angelegten und miteinander ver¬
knüpften Motivkomplexe eingehend das Potentialeiner philologischenLektüre der
„literarischen" Dimensionen des Films heraus. Eine von Thomas Hammerschmidt zu¬
sammengestellte und kommentierte Material- und Datensammlung zum Titanic-Kom¬
plex schließtdas gehaltvolle Heft ab. (MW)
¦
http://Mrww.uni-trier.de/~kintop/
deutsch/englisch angelegte Internet-Auftritt von KINtop, dem Jahrbuch zur Erfor¬
schung des frühen Films, ist zwar erst im Aufbau präsentiert wird bereits das Inhalts¬
verzeichnis der bisher erschienenen Ausgaben sowohl des Jahrbuchs als auch der KIN¬
top Schriften aber man sollte sich die Seite schon jetzt merken; wenn es dem KINtopDer
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Team gelingt, ihre Präsentation zu einem offenen Forum zum frühen Film auszubauen,
entstehen. (JpG)
so konntehier eine wertvolle Diskussions-Plattforra
101
Inhaltsverzeichnis
Von Brummer
zu
Hitler Sex-Business made in Pasing
(Michael Wedel) [4]
(BRD 1969,
R
Hans-Jurgen Syberberg)
Stadtebilder aus derTrummerzeitDEFA-Dokumentarfilme von 1946 (Ralf Schenk) [6]
Nationalsozialistische Kulturpolitik und musikalische Moderne Verbotene Klange Musik
unter dem Hakenkreuz (BRD 1989/90, R Norbert Bunge, Christine Fischer-Defoy)(Michael
-
Wedel) [9]
Keine Stadtsinfonie
Nachruf auf
eine
Gigant Berlin (BRD 1964, R
Leo de
Laforgue) (Jeanpaul Goergen) [II]
27-Jahnge (Gunter Agde) [15]
in Deutschland Perioden Stile
Strategien 3 Jahrestagung des Medienstudiengangesan der Universität Siegen (Ralf Forster) [17]
Verstreutes zu Dr Caligan (Jeanpaul Goergen) [20]
Drei Texte von Hans Janowia (Helmut G Asper,Jeanpaul Goergen)[23]
„Selbstmörderische Sachlichkeit" Aus einem unveröffentlichten Manuskript von GertrudT
Basse über Wilfried Basse (ThomasTode) [31]
Interview mit dem aus Berlin zurückgekehrten Anton Giulio Bragaglia (1928) (Jeanpaul
Goergen) [34]
Stalin meets Piscator (Gunter Agde) [39]
„Filmstudio 1929 zeigt seinen ersten Versuch" Menschen am Sonntag" restauriert (Jeanpaul
Goergen, Daniel Kothenschulte) [46]
ßefa Balazs Der sichtbare Mensch [48]
Ende der Spaßgesellschaft. Frauen, die man oft nicht grüßt (D 1925, R Friedrich Zelnik)
(Jeanpaul Goergen) [49]
Dokumentarfilm
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-
Das Filmarchiv der Akademie der Künste (Torsten Musial) [52]
„Die Kunst demVolke" was blieb' Die Aufarbeitung des Nachlasses derVolksbuhne Han¬
nover e V im Kulturarchiv der hannoverschen Hochschulen [55]
Die „Viking-Eggehng-Gesellschaft"
(Lund) (PatrickVonderau)[56]
Triumph der Bilder Der deutsche Kulturfilm der zwanziger und dreißiger Jahre im interna¬
tionalen Vergleich [57]
Changing Identities in Film.Television and the New Media XIV IAMHIST Congress [58]
Living Pictures The Journal of the Populär and Projected Image before 1914 [58]
The Movmg Image Journal of the Associationof Moving Image Archivists [59]
Deutsches Filmmuseum [60]
Filmmuseum Dusseldorf [61]
Deutsches Filminstitut- DIF [62]
Bundesarchiv-Filmarchiv[64]
Filmmuseum Berlin Deutsche Kinemathek [65]
Personalia [66]
-
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Deutschland auf der Mattscheibe Die Geschichte der Bundesrepublik
Hg Martin Wiebel (Claudia Lenssen) [68]
102
im
Fernsehspiel
Meg Gehrts Weiße Gottin derWangora Eine Filmschauspielern 1913 in Afrika (Uli Jung)
[69]
Ernst Kienmger, Nikola Langreiter, Armin Loacker, Klara Loffler (Hg) / April 2000 (Uli
Jung) [70]
Andreas Weber (Hg) Er kann fliegen lassen Gespräche und Texte über Bernhard Wicki
(1919-2000) (Uli Jung) [71]
Friedrich Knilli Ich war Jud Suß Die Geschichte des Filmstars Ferdinand Manan (Jürgen
Kasten) [72]
MichaelToteberg (Hg) Szenenwechsel Momentaufnahmen des jungen deutschen Films
(Jürgen Kasten) [73]
Peter Rabenalt Filmdramaturgie (lurgen Kasten) [74]
Jean-Claude Carnere, Pascal Bonitzer Praxis des Drehbuchschreibens Jean-Claude Carnere Über das Geschichtenerzähler)(Jürgen Kasten) [75]
Oliver Schutte Die Kunst des Drehbuchlesens (Jürgen Kasten) [77]
Luise Dirscherl, Günther Nickel (Hg) Der blaue Engel Die Drehbuchentwurfe (Horst
Claus) [78]
Aura Filmvetenskaplig tidsknft / Film Studies Journal (PatrickVonderau)[80]
John Fullertonjan Olsson (Hg) Nordic Explorations Film before 1930 (PatrickVonderau)
[83]
Rainer Dick Lexikon der Filmkomiker (Ralf Schenk) [85]
Eva Hohenberger(Hg) Bilder des Wirklichen Texte zurTheone des Dokumentarfilms
(M.chacl Wedel) [86]
Mette Peters und Egbert Barten Meestal in't verborgene Animatiefilmin Nederland 1940I94S (Michael Wedel) [88]
1953 Syberberg filmt bei Brecht VHS / HansJürgen Syberberg Die Fntz-Kortner-Filme
VHS / HansJürgen Syberberg Winifred Wagner und die Geschichte des Hauses Wahnfried
1914-1975 VHS (Michael Wedel) [89]
-
Hans H Hiebel, Heinz Hiebler, Karl Kogler, Herwig Walitsch Große Medienchronik (Wolf¬
gang Muhl-Benninghaus) [90]
Robin Allan Walt Disney and Europe European Influences on theAnimated FeatureFilms
ofWalt Disney (Daniel Kothenschulte) [91]
Christoph Classen Bilder der Vergangenheit Die Zeit des Nationalsozialismus im Fernse¬
hen der Bundesrepublik Deutschland 1955-1965 (Ralf Forster) [92]
Weimar-Index Deutscher Reichsanzeigerund Preußischer Staatsanzeiger Register 19181933 Bearbeitetvon Martin Schumacher(Rolf Aurich) [94]
Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933 Band 3/1 USA Hg von John M Spalek, Konrad
Feilchenfeldt und Sandra H Hawrylchak (Jeanpaul Goergen) [95]
Irmbert Schenk (Hrsg) Dschungel Großstadt Kino und Modernisierung (jeanpaul Goer¬
gen) [96]
Wolfgang Muhl-Benninghaus
Das Ringen um den Tonfilm Strategien der Elektro- und der
Filmindustrie in den 20er und 30er Jahren (Jeanpaul Goergen) [98]
Alexander Horwath, Giovanni Spagnoletti (Hg) Michael Haneke (Francesco Bono) [99]
Kurz
vorgestellt [100]
103