Arbeitspapier / Abteilung Wirtschaft GünterBuchholz

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Arbeitspapier / Abteilung Wirtschaft GünterBuchholz
Fakultät IV – Wirtschaft und Informatik
Arbeitspapier / Abteilung Wirtschaft
GünterBuchholz (Hrsg.)
Christopher Ballmann
Wirtschaftsethik und Unternehmensethik
im Bereich der Unternehmensberatungen
Arbeitspapier 197/2008
ISSN Nr. 1436-1035 (print) ISSN Nr. 1436-1507 (Internet)
www.fh-hannover.de/f4
Vorwort
1 Anmerkung zur Entstehung
Der hier als Arbeitspapier der Fakultät IV Wirtschaft und Informatik an der FH Hannover
herausgegebene Text von
Christopher Ballmann
„Wirtschaftsethik und Unternehmensethik im Bereich der Unternehmensberatungen“
ist bereits im Jahr 2006 als Diplomarbeit an der Fakultät Wirtschaft Hildesheim der
Fachhochschule Hildesheim/Holzminden/Göttingen entstanden. Im Jahr 2003 fiel die
Entscheidung
des
zuständigen
FH-Präsidiums,
anlässlich
des
damaligen
Hochschuloptimierungsprogramms (HOK) der Landesregierung die Fakultät Wirtschaft zu
schließen. Da es sich um ein interessantes Fallbeispiel im Hinblick auf die Beurteilung des
noch von der SPD durchgesetzten neuen Niedersächsischen Hochschulgesetzes (2002)
handelt, wurde eine kritische Aufarbeitung und Dokumentation erarbeitet, die unter
www.wiwi-online.de/Hochschulpolitik
nach Anmeldung zugänglich und abrufbar ist. Ergänzend wird auf das Vorwort des
AP 196: „Total Quality Management in der Unternehmensberatung“ verwiesen.
2 Wirtschaftsethik zwischen System- und Handlungslogik
Die liberale Theorie hat den Individualismus einseitig als Grundlage der Gesellschaftstheorie aufgefasst. Sie verkennt oder verleugnet damit den Systemcharakter der
bürgerlichen Gesellschaft, d. h. ihre objektiven sozialen Strukturen, die Eigengesetzlichkeit
ihrer Vergesellschaftungsform und deren Vorgängigkeit vor allem individuellem Handeln
sowie ihre Historizität. Dies zeigt sich an ihrer Reduktion der Gesellschaftstheorie auf eine
individualistische Handlungstheorie die schon deshalb unzureichend bleibt, weil sie
fälschlich die immer schon vorhandenen, geschichtlich gewordenen und sich wandelnden
gesellschaftlichen Voraussetzungen und Bedingungen der individuellen Existenz
ausblendet.
Die systemtheoretischen Ansätze gehen, auch methodologisch, zu Recht von diesen
grundlegenden Sachverhalten aus, aber es gerät ihnen leicht aus dem Blick, dass
innerhalb des gesellschaftlichen Systems Individuen handeln. Handeln aber setzt
prinzipiell Freiheit im emphatischen Sinn - mindestens aber Wahlfreiheit zwischen
mehreren Optionen unter gegebenen Bedingungen - voraus, und die Existenz von
Handlungsfreiheit steht im Widerspruch zu einer Determination durch das gesellschaftliche
System. Denn wenn diese Determination vollständig wäre, dann gäbe es faktisch keinerlei
freies individuelles Handeln, im Grunde auch keine Individuen, sondern nur Rollenträger.
Die bürgerliche Gesellschaft ist aber wie keine andere durch Individuation gekennzeichnet, und die Verwirklichung dieses Fortschrittsmoments bedeutet, dass sie den
Menschen gesellschaftliche Handlungsspielräume zur Ausgestaltung und damit zur
Individualisierung freigibt. Daraus hat sich beispielsweise eine Pluralität von Lebensstilen
entwickelt, Gestalten einer konkreten Freiheit im Alltagsleben, die die bürgerlichen
Gesellschaften positiv auszeichnen. Das Insistieren der neoklassischen Theorie auf freien
Präferenzen als Ausdruck eben dieser persönlichen, frei nutzbaren Handlungsspielräume
hat insoweit sowohl sachlich wie moralisch eine gewisse Berechtigung. Diese vom System
gewährten individuellen Handlungsspielräume können Geltungsbereiche einer
individuellen Handlungsethik sein, die sich innerhalb der Systemlogik konstituiert.
Die Vermittlung dieser beiden Ansätze - Systemlogik und Handlungslogik - zum
Verständnis der bürgerlichen Gesellschaft kann so gedacht werden, dass die historisch
gewordenen gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse eine objektive Struktur von
Interessen und Rollen generieren, die sich den Menschen beispielsweise als
vorgefundene Berufsrollen darstellen, die sie übernehmen und unter Nutzung der
gesellschaftlich gegebenen Spielräume subjektiv-individuell ausgestalten können bzw.
müssen. Die Chance, bestimmte, insbesondere attraktive Berufsrollen im Hinblick auf
Einkommen und Macht tatsächlich wählen zu können, hängt allerdings in erheblichem
Maße von der vorgegebenen sozialen Lage und der Herkunft der Menschen ab und wird
dadurch faktisch sehr eingeschränkt.
Jede gewählte Berufsrolle schließt eine objektive gesellschaftliche Interessenlage ein, die
bei Akzeptanz und psychologischer Identifikation auch zum subjektiven Handlungsmotiv
werden kann
und in der Regel auch dazu wird. Und weil in der subjektiven
Selbstwahrnehmung der Individuen nur dieses subjektive Handlungsmotiv präsent ist,
sobald die objektive Notwendigkeit in deren subjektive Präferenzordnung integriert worden
ist, ohne dass dieser Akt überhaupt wahrgenommen worden wäre, fühlen sich die
Individuen subjektiv vollkommen frei. Die Anpassung an die vorgegebene soziale Realität
erscheint ihnen daher nicht als zwanghafte Anpassung an fremdbestimmte
gesellschaftlicher Verhältnisse, sondern als eine Selbstverständlichkeit im Sinne einer
praktisch-realistischen Vernunft; sie wird in diesem Sinne als angewandter Pragmatismus
erfahren und somit in der Regel nicht weiter reflektiert. Das Ergebnis ist die Blindheit der
„freien Individuen“ für die Systemlogik, von der sie, wenn auch unter Einschluss
individueller Handlungsspielräume, insgesamt gänzlich unbemerkt wirksam bestimmt
werden.
Während die individuelle Handlungslogik in vorbürgerlichen Gesellschaften
gesellschaftlich-traditional geprägt ist, führt in der bürgerlichen Gesellschaft die
revolutionäre Überwindung, Entwertung und Eliminierung aller ökonomisch hemmenden
Traditionen dazu, dass einzig der Nutzenaspekt für das bürgerliche Individuum, den
Besitzbürger, das so genannte Wirtschaftssubjekt, orientierend wirkt. Dieser aber zielt,
passend zur Systemlogik, auf ökonomischen Reichtum.
Daraus folgte - im 18. und 19. Jahrhundert - die Begründung einer eben dieses Streben
rechtfertigende utilitaristische Ethik. Ihr zufolge wird zwar das größte Glück der größten
Zahl angestrebt (Jeremy Bentham), wogegen nichts zu sagen wäre; Glück aber ist in der
bürgerlichen Gesellschaft Reichtum, d. h. nicht das Sein sondern das Haben ist
bestimmend. Deshalb ist gut, was ökonomisch nützlich ist, und nur das ökonomisch
Nützliche ist gut. Diese allgemeine normative Vorstellung bestimmt tendenziell das
Alltagsbewusstsein aller Gesellschaftsmitglieder der bürgerlichen Gesellschaft.
Hannover, im Juni 2008
Günter Buchholz
Vorbemerkung
Da die Auswahl des Themas der vorliegenden Arbeit ein erhebliches Maß an Verwunderung in meinem Umfeld hervorrief, möchte ich an dieser Stelle einmal auf die
Gründe eingehen, welche mich dazu veranlasst haben, mich eingehender mit dem
Themenbereich der Wirtschafts- und Unternehmensethik zu befassen.
Die allgegenwärtigen Debatten in Wirtschaft und Politik über den Sinn und den Unsinn dessen, was gemeinhin als Ethik oder als Moral bezeichnet wird, werfen die
Frage auf, ob der Mensch, so wie es regelmäßig von Seiten der Parteien und der Unternehmen geäußert wird, tatsächlich im Mittelpunkt der Wirtschaft steht oder ob dies
nur so lange der Fall ist, wie dieser nicht mit der wirtschaftlichen Größe des Unternehmensgewinns
konkurrieren
muss.
Sogar
für
den
unvoreingenommenen
Betrachter muss der Eindruck entstehen, dass die humanistischen Errungenschaften
der letzten Jahrhunderte, von denen nicht eben wenige hart erkämpft werden mussten, immer mehr der darwinistischen Evolutionstheorie weichen müssen. Der Mensch
ist wohl das einzige Wesen, welches das System, in dem er lebt selbst schaffen
kann, doch steht die Frage im Raum, ob er dies ohne Verantwortungsgefühl den
Mitmenschen gegenüber tun muss und ob dem Begriff der sozialen Gerechtigkeit
tatsächlich durch sein Wirken Genüge getan wird. Faktisch besteht kein Zwang nach
dem Gesetz des Stärkeren zu handeln - wo also sind die Ursachen hierfür zu finden?
Dies stellt für mein Empfinden eine sehr interessante und ebenso relevante Frage für
das Funktionieren einer Gesellschaft dar. Wenn sie auch nicht vollständig im Rahmen dieser Arbeit geklärt werden kann, so war sie doch ausschlaggebend für die
Themenauswahl. Ich möchte deshalb meinen Prüfern Herrn Professor Dr. Günter
Buchholz und Herrn Professor Dr. Matthias Pletke für die Gelegenheit danken, mich
im Rahmen dieser Diplomarbeit mit der für mich „fremden“ Disziplin der Philosophie
auseinandersetzen zu dürfen, die einen nicht unerheblichen Teil dieser Arbeit ausmacht. Schon während der Bearbeitung kam ich zu dem Schluss, dass das
Wissensgut, welches von großen Denkern wie Kant und Smith erarbeitet wurde,
nicht verdient hat, ein so geringes Maß an Berücksichtigung zu finden.
Mein größter Dank gilt allerdings meinen Eltern, die mich stets unterstützt haben und
darüber hinaus wohl immer ein stückweit mehr an mich geglaubt haben, als ich
selbst es vermochte.
III
Inhalt
Inhalt
Vorwort des Herausgebers...........................................................................................I
Vorbemerkung des Autors ....................................................................................... II
Inhalt ......................................................................................................................... IV
Abkürzungsverzeichnis ......................................................................................... VII
Abbildungsverzeichnis .......................................................................................... VII
Tabellenverzeichnis .............................................................................................. VIII
1. Einleitung ............................................................................................................... 1
1.1 Gegenwärtige Entwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft ............................ 1
1.2 Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit ...................................................... 2
1.3 Vorgehensweise ................................................................................................ 3
2. Grundlagen und Herleitung .................................................................................. 5
2.1 Ethik ................................................................................................................... 5
2.1.1 Der Begriff der Ethik .................................................................................... 5
2.1.2 Der Begriff der Moral ................................................................................... 7
2.1.3 Ziele und Grenzen der Ethik ...................................................................... 10
2.1.3.1 Das Prinzip der Freiheit ...................................................................... 10
2.1.3.2 Ziele der Ethik ..................................................................................... 10
2.1.3.3 Grenzen der Ethik ............................................................................... 12
2.1.4 Universelle und partikulare Moralsysteme................................................. 14
2.1.5 Entwicklung des Moralbewusstseins beim Individuum .............................. 16
2.1.6 Entwicklung von Moralkonzepten .............................................................. 18
2.1.6.1 Adam Smith - „Der unparteiische Zuschauer“ ..................................... 19
2.1.6.2 Immanuel Kant - „Der kategorische Imperativ“ ................................... 21
2.1.6.3 Jeremy Bentham & John Stuart Mill – „Der Utilitarismus“ ................... 25
2.2 Ökonomische Modelle ..................................................................................... 30
2.2.1 Die Klassik - Adam Smith’s „unsichtbare Hand“ ........................................ 30
2.2.2 Die utilitaristische Wohlfahrtskonzeption ................................................... 31
2.2.3 Der egalitäre Liberalismus......................................................................... 33
2.2.4 Die Soziale Marktwirtschaft ....................................................................... 35
2.2.5 Reduktion des Sozialstaates ..................................................................... 36
IV
Inhalt
3. Ethik im Bereich der Wirtschaft ......................................................................... 40
3.1 Das Spannungsfeld: Ethik vs. erwerbswirtschaftliches Prinzip ........................ 40
3.2 Das Unternehmen im System .......................................................................... 43
3.3 Wirtschaftsethik ............................................................................................... 46
3.4 Unternehmensethik .......................................................................................... 48
3.5 Ebenen der Ethik in der Wirtschaft .................................................................. 48
3.6 Wirkungsbereich der Unternehmensethik ........................................................ 50
3.6.1 Externe Restriktionen des Managements .................................................. 51
3.6.1.1 Maßnahmen zum Schutz des Verbrauchers ....................................... 51
3.6.1.2 Maßnahmen zum Schutz der Arbeitnehmer ....................................... 52
3.6.1.3 Maßnahmen zum Schutz der Kapitalgeber ......................................... 53
3.6.1.4 Maßnahmen zum Schutz der Umwelt ................................................. 54
3.6.2 Interne Restriktionen des Managements ................................................... 55
3.6.2.1 Das Mitbestimmungsgesetz ................................................................ 56
3.6.2.2 Das Betriebsverfassungsgesetz ......................................................... 56
3.6.3 Einzelwirtschaftliche Anwendung ethischer Grundsätze ........................... 58
3.6.3.1 Selbstverpflichtung von Unternehmen ................................................ 58
3.6.3.2 Formulierung von Handlungsvorschriften ........................................... 60
3.6.3.3 Die Entwicklung von Leitbildern .......................................................... 62
3.6.3.4 Schaffung interner Institutionen .......................................................... 66
3.6.4 Individuelle Anwendung ethischer Grundsätze ......................................... 67
3.7 Shareholder-Value versus Stakeholder-Value ................................................. 69
4. Unternehmensberatungen .................................................................................. 72
4.1 Der Begriff der Unternehmensberatung ........................................................... 72
4.2 Projektmanagement als Instrument ................................................................. 73
4.3 Anforderungen an Unternehmensberater ........................................................ 74
4.4 Besonderheiten des „Produktes“ Unternehmensberatung ............................... 76
4.5 Stellenwert der Ethik für Unternehmensberatungen ........................................ 78
4.6 Beratungsverbände ......................................................................................... 81
4.6.1 Der Bundesverband Deutscher Unternehmensberater ............................. 82
4.6.2 Aufgaben des BDU.................................................................................... 82
4.6.3 Instrumente zur Sicherstellung der Beratungsqualität ............................... 83
4.6.4 Kriterien zur Aufnahme in den BDU .......................................................... 83
V
Inhalt
4.6.5 Berufsgrundsätze ...................................................................................... 84
5. Fazit ...................................................................................................................... 87
Quellenverzeichnis.................................................................................................. 92
Zeitschriften und Fachmagazine ............................................................................ 96
Internetquellen......................................................................................................... 96
Anhang ..................................................................................................................... 97
I.
Der Wirtschaftsprozess um Enron ................................................................. 97
II.
Der Fall Brent Spar ........................................................................................... 98
III. Massenentlassungen bei der Deutschen Bank ............................................. 99
IV. Die Berufsgrundsätze des BDU .................................................................... 101
V.
Das Thomson- Paradoxon ............................................................................. 105
VI
Abkürzungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
BDU
Bundesverband Deutscher Unternehmensberater
BetrVG
Betriebsverfassungsgesetz
bspw.
beispielsweise
FEACO
Fédération Européenne des Associations de Conseil
en Organisation
ICMCI
International Council of Management Consulting Institutes
MitbestG
Mitbestimmungsgesetz
OECD
Organisation for Economic Cooperation and Development
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Herkunft und Bedeutung des Moralbegriffs ............................................ 7
Abbildung 2: Ethik und Moral....................................................................................... 9
Abbildung 3: Stufen der Moralentwicklung nach Lawrence Kohlberg ........................ 17
Abbildung 4: Der Vernunftbegriff bei Kant ................................................................. 24
Abbildung 5: Zeitskala zum Utilitarismus ................................................................... 29
Abbildung 6: Das „magische“ Vieleck in der Bundesrepublik Deutschland ............... 36
Abbildung 7: Systembeziehungen ............................................................................. 44
Abbildung 8: Darstellung der Systemebenen ............................................................ 45
Abbildung 9: Die drei Ebenen der Wirtschaftsethik ................................................... 49
Abbildung 10: Unternehmensordnung und Mitbestimmung ....................................... 57
Abbildung 11: Das Davoser Manifest ........................................................................ 60
Abbildung 12: Ethisch-ökonomische Handlungsorientierung der Unternehmen ........ 62
Abbildung 13: Kriterien zur Aufnahme in den BDU .................................................... 83
VII
Tabellenverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Shareholder- Value versus Stakeholder- Value ........................................ 70
Tabelle 2: Projektmanagement- Aufgaben ................................................................ 74
Tabelle 3: Die soziale Kompetenz des Unternehmensberaters ................................. 76
Tabelle 4: Methoden der ethischen Entscheidungsfindung nach Fletcher ................ 81
Tabelle 5: Beratungsregeln nach Weinberg .............................................................. 85
VIII
1. Einleitung
1. Einleitung
1.1 Gegenwärtige Entwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft
Regelmäßig erschüttern Wirtschaftsskandale oder Vorkommnisse, die als solche bezeichnet werden, das Gerechtigkeitsempfinden der Menschen. Auf Manipulationen
großer Konzerne bei der Bilanzierung1 folgen Lebensmittel- und Umweltskandale.2
Massenentlassungen und die Verlagerung von Arbeitsplätzen nach Osteuropa führen
zu Rekordgewinnen namhafter deutscher Großunternehmen.3 Die Berichte über
exorbitante Prämien für Unternehmensverantwortliche, welche die Übernahme des
eigenen Unternehmens mehr im Sinne der Kapitalanleger denn im Sinne des Unternehmens gestaltet haben sowie jene über Manager, welche sich Insiderwissen für
private Spekulationsgeschäfte zu Nutze machen, schüren zusätzlichen Unmut bei
der Bevölkerung, die sich in einer Zeit, in der beinahe sämtliche sozialen wie wirtschaftlichen Missstände mit Vokabeln wie „Globalisierung“, „Heuschrecken“ und
„Agenda 2010“ erklärt werden.
Sicherlich ist die vielerorts vorherrschende Empörung nachvollziehbar – gerade jenen Teilen der Gesellschaft, deren Realität und Lebensqualität mehr durch den
allgegenwärtigen Begriff „HARTZ IV“ als durch den des „Shareholder Value“ bestimmt wird, muss es geradezu pervers erscheinen, auf welche Weise zusätzliche
Milliardengewinne generiert werden. Das menschliche Grundempfinden der Gerechtigkeit muss an dieser Stelle an seine Grenzen stoßen, denn wie ist es unter
Gerechtigkeitsaspekten zu erklären oder zu begründen, dass Großunternehmen trotz
Rekordgewinnen, Tausende von Mitarbeitern ihrer Existenzgrundlage berauben?
Die Frage der Ethik in der Wirtschaft avanciert in solchen Phasen, wie sie unsere
Gesellschaft zur Zeit durchläuft, von einer Randfrage ökonomischer Theorie und
Praxis zu einem zentralen Thema öffentlicher und wissenschaftlicher Auseinandersetzungen. Klarere gesetzliche Regelungen, schärfere Kontrollen und empfindliche
Strafen, zum Beispiel im Bereich der Bilanzierung sollen und können Manipulationen
erschweren. Allerdings ist es in aller Regel wieder die Gesetzgebung, die regulierend
1
Vgl. Anhang I.
Vgl. Anhang II.
3
Vgl. Anhang III.
2
1
1. Einleitung
interveniert und dafür Sorge trägt, dass der Handlungsspielraum der Unternehmen
beziehungsweise jener der agierenden Verantwortlichen beschränkt wird. So verwundert es nicht, dass Gesellschaft und Politik immer häufiger und vor allem immer
deutlicher die Frage nach dem Ziel und der Verantwortung unternehmerischen Handelns stellen.
1.2 Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit
Begleiterscheinungen der Globalisierung sind auch in diesem Zusammenhang anzuführen. Multinationale Unternehmen agieren auf einem weltweiten Markt, der immer
weniger durch Grenzen und dafür um so mehr durch eine nie in diesem Ausmaß
vorhandene Transparenz geprägt ist. Zwangsläufig werden diese Unternehmen mit
Gesellschaften, Kulturen und nicht zuletzt mit Gesetzgebungen unterschiedlichster
Ausprägungen konfrontiert. Sicherlich existiert abseits unserer westlichen durch Verfassungen und Gesetzgebungen geschützten Wirtschaftswelt eine Anzahl von
Nischen, die bei einer rein wirtschaftlichen Betrachtung unter Kostenaspekten für
verschiedene Unternehmen attraktiv erscheinen können.
Entscheiden sich Unternehmen allerdings dafür, solche für sie als vorteilhaft ausgemachten Gegebenheiten in ihrem Sinne zu nutzen, so muss ihnen bewusst sein,
dass aufgrund der erhöhten Transparenz durch die Medien und der sich stetig und
schnell weiterentwickelnden Informationstechnologie, diese Vorgehensweise rasch
publik und - wie gegenwärtig in der Nachrichtenberichterstattung zu beobachten –
skandalträchtig aufbereitet wird. Die in einem solch medial aufbereiteten Skandal erlittenen Imageschäden eines Unternehmens bleiben der Gesellschaft und somit auch
den Konsumenten für gewöhnlich noch auf Jahre hin negativ im Gedächtnis. Noch
immer spricht man im Zusammenhang mit dem Unternehmen Shell vorwiegend von
deren Versuch, die Bohrinsel Brent Spar in der Nordsee zu versenken.
Der Wirtschaft, den einzelnen Unternehmen, wie auch der Gesellschaft, deren Teil
eben diese Unternehmen sind, kann nicht daran gelegen sein, dass ihr Handeln seitens der Gesetzgebung bis ins Detail reglementiert wird. Letztlich könnten die
unternehmerischen Freiheiten derart beschränkt werden, dass negative Auswirkungen im globalen Wettbewerb die Folge wären.
2
1. Einleitung
Ein Ziel dieser Arbeit ist es, den grundsätzlichen und größtenteils historisch gewachsenen Rahmen, in dem die Unternehmen agieren, darzustellen. Es soll erarbeitet
werden, wodurch das unternehmerische Handeln sowie die unternehmerische Entscheidungsfreiheit beschränkt werden. Ein weiterer Aspekt dieser Arbeit ist die
Frage, ob es sich bei dem Konflikt zwischen wirtschaftlichem Handeln, also dem erwerbswirtschaftlichen Prinzip und den ethischen und moralischen Grundsätzen,
denen sich unsere Gesellschaft verbunden fühlt, tatsächlich um einen Konflikt handelt. Es wird also auf die Frage eingegangen, ob Ethik und Wirtschaft tatsächlich
zwei Größen sind, die sich gegenseitig ausschließen.
Weiterhin soll der Rahmen dargestellt werden, in dessen Grenzen eine Unternehmensethik ihre Wirksamkeit entfalten kann, ebenso mögliche Instrumente und deren
Anwendung. Anhand des Beispiels der Unternehmensberatungsbranche soll ferner
erörtert werden, dass die Orientierung an formulierten Grundsätzen - den so genanten Codes of Conduct - nicht ausschließlich den Klienten, sondern darüber hinaus
auch den Unternehmen erhebliche Vorteile im Wettbewerb ermöglichen kann. Dabei
sollen die Besonderheiten der Unternehmensberatung erörtert werden, welche die
besondere Affinität dieser Branche zu Fragen der Unternehmensethik begründen.
1.3 Vorgehensweise
Um der Aufgabenstellung dieser Arbeit gerecht zu werden, also unter anderem den
Wirkungsbereich von Wirtschafts- und Unternehmensethik sowie deren Begrenzungen darzustellen, ist es erforderlich, die Begriffe „Moral“ und „Ethik“ im klassischen eben nicht wirtschaftlichen Sinne - zu erklären, um in der Folge mit den klar abgegrenzten und definierten Begriffen in den nachfolgenden Kapiteln arbeiten zu
können. Das Kapitel „Grundlagen und Herleitung“, dessen Schwerpunkt eindeutig
philosophischer Natur ist, stellt den ersten Teil der vorliegenden Arbeit dar. Inhaltlich
werden in diesem Kapitel einige Modelle großer Denker wie Immanuel Kant und
Adam Smith dargestellt, deren Werke zur menschlichen Moral die Entwicklung unserer gegenwärtigen Gesellschaft erheblich geprägt haben. Im Anschluss daran soll
versucht werden, die verschiedenen philosophischen Modelle mit den entsprechenden wirtschaftlichen Modellen in Bezug auf Überschneidungen und Abweichungen
darzustellen.
3
1. Einleitung
Das dritte Kapitel „Ethik im Bereich der Wirtschaft“ beschäftigt sich mit einem grundsätzlichen
Konflikt,
dem
wirtschaftlichen
Handeln
im
Rahmen
des
erwerbswirtschaftlichen Prinzips und dem Handeln in den Grenzen dessen, was die
Gesellschaft als ethisches oder moralischen Agieren ansieht. Ferner wird der Frage
nachgegangen, ob es sich tatsächlich zwingend um einen Konflikt handeln muss.
Des weiteren werden in diesem Zusammenhang die Wirkungsbereiche und das mögliche Zusammenspiel von Wirtschaftsethik und Unternehmensethik erläutert.
Weiterhin sollen in diesem Kapitel einzelwirtschaftliche sowie individuelle Anwendungsmöglichkeiten ethischer Grundsätze dargestellt werden.
Der inhaltlichen Kern des vierten Kapitels „Unternehmensberatungen“ ist zunächst
die knappe Darstellung der Besonderheiten dieser sensiblen Branche. Dies ist zwingend erforderlich, da im Anschluss eine Übertragung der in den vorangegangenen
Kapiteln erörterten Fragen der Unternehmensethik auf die Unternehmensberatungsbranche erfolgen soll. Dies geschieht mit der Zielsetzung, darzustellen, in welchem
Umfang ethische und moralische Normen in die Beratungstätigkeit einfließen. Grundlage dieser Fragestellung werden die Verhaltensregeln des Bundesverbandes
Deutscher Unternehmensberater sein und die freiwillige Selbstverpflichtung der beratenden Unternehmen, sich nach ihnen zu richten.
4
2. Grundlagen und Herleitung
2. Grundlagen und Herleitung
2.1 Ethik
Da im Rahmen dieser Arbeit der Begriff der Wirtschaftsethik beziehungsweise jener
der Unternehmensethik verwendet werden und erläutert werden sollen, ist es zu Beginn dringend erforderlich, den Begriff der Ethik im allgemeinen zu erläutern. Dies
soll an dieser Stelle geschehen - ohne jedoch einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu können oder zu wollen.
2.1.1 Der Begriff der Ethik
Die Ethik scheint im täglichen Leben nicht mehr die Relevanz zu besitzen, welche ihr
zustünde. So ist es wohl zu erklären, dass der Begriff der Ethik allgemein zwar geläufig ist, vielen Menschen allerdings in der Definition Schwierigkeiten bereitet. Dies
erscheint um so verwunderlicher, als die Disziplin der Ethik einer der ältesten wissenschaftlichen Bereiche des Abendlandes ist. Etwas präziser ausgeführt handelt es
sich bei ihr um eine Teildisziplin der Philosophie, welche von Aristoteles abgegrenzt
und als eigenständige Disziplin begründet wurde.4 Ethik wird als eine Wissenschaft
des moralischen Handelns verstanden, beschäftigt sich also mit der menschlichen
Praxis im Hinblick auf deren Moralität.
Die greifbare Geschichte der Ethik beginnt circa 500 Jahre vor Christus bei Sokrates
und seinem Schüler Platon im antiken Griechenland. Das Wort Ethik leitet sich daher
von dem griechischen Wort ethos ab, welches wiederum die Gewohnheit, die Sitte
oder den Brauch bezeichnet. Ethisch handelte dementsprechend dann derjenige, der
sich durch sein Erziehung geprägt an den Gegebenheiten orientierte, welche zu dieser Zeit in der Gesellschaft Sitte waren, da er durch entsprechendes Verhalten diese
Normen anerkannte.5
Sokrates verwehrte sich dagegen, ethisches Verhalten im oben dargestellten Sinne
lediglich an den von den Vorfahren im Rahmen der Erziehung erlangten Normen
4
5
Vgl. [Pieper 1994]; S. 25.
Vgl. [Pieper 1994]; S. 25.
5
2. Grundlagen und Herleitung
festzumachen. Vielmehr war er der Auffassung, dass die Erziehung ein an der Idee
des Guten orientierter Lernprozess sei, dessen Ziel es sei, das Individuum dazu zu
befähigen, kritisch urteilen zu können.6 Ethisch handeln würde nach Sokrates demnach derjenige, der überlieferten Handlungsregeln und Wertmaßstäben nicht fraglos
folgt, sondern aus Einsicht oder kritischer Überlegung zu dem Schluss kommt, etwas
Gutes zu tun. Diese Form von ethos verfestigt sich dann letztlich zur Grundhaltung
der Tugend, also dem Charakter.7
Die Abspaltung der Ethik als eigenständige Disziplin hatte seine Ursache in dem
Lehrstreit zwischen den Sophisten, welche die traditionelle Interpretation von Ethik
vertraten, auf der einen und den beiden Philosophen Sokrates und Platon auf der
anderen Seite. Für die Sophisten standen praktische Fragen der Erkenntnistheorie
und deren Nutzen für den Menschen im Vordergrund.8 Ihr Denken war stets von
Skeptizismus und Relativismus geprägt, das heißt, dass nach Interpretation der Sophisten keinerlei Werte oder Tugenden existieren, welche von Natur aus objektive
Gültigkeit besitzen.9 Die allgemeine Gültigkeit geht stets, so besagt die sophistische
Lehre, auf eine entsprechende Setzung, also eine Vereinbarung zwischen den Menschen
zurück.
Dementsprechend
besäßen
Werte
und
Tugenden
zu
unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten differente Gültigkeit, in Abhängigkeit von den Vereinbarungen, welche die Menschen untereinander treffen.10
Sokrates und in der Folge auch Platon hingegen waren bei ihren Überlegungen darauf aus, zu beweisen, dass das Gute in einer objektiven Form existiere, allerdings
wäre es dann derart, dass es nicht in dem Sinne erlernbar wäre, wie es beispielsweise die Mathematik sei, da das objektiv Gute ausschließlich auf dem Wege der
Selbsterkenntnis und des Hinterfragens zu definieren sei. Die Selbsterkenntnis war
für Sokrates der einzige Weg, im Ergebnis tugendhaft handeln zu können. Er praktizierte seinen Weg zur Selbsterkenntnis, indem er sein jeweiliges Gegenüber befragte
und jede Antwort wiederum hinterfragte.11 Zielsetzung dieser Vorgehensweise war
die Erlangung praktischen Wissens und die Reflexion konkreter Erfahrungen aus
6
Vgl. [Pieper 1994]; S. 25.
Vgl. [Pieper 1994]; S. 26.
8
Vgl. [Dietzfelbinger 2002]; S. 34.
9
Vgl. [Dietzfelbinger 2002]; S. 34.
10
Vgl. [Dietzfelbinger 2002]; S. 35.
11
Vgl. [Dietzfelbinger 2002]; 36.
7
6
2. Grundlagen und Herleitung
dem Leben, nicht die Konstruktion abstrakter logischer Gedankengänge, wie es das
Bestreben der Sophisten war. Dieser pragmatische und direkt auf den Menschen zugeschnittene Ansatz wurde als Gotteslästerung verstanden, was dazu führte, dass
Sokrates zum Tod durch Gift verurteilt wurde.12
2.1.2 Der Begriff der Moral
Im allgemeinen Sprachgebrauch werden die Begriffe Ethik und Moral annähernd
synonym verwendet. Beide Begriffe bezeichnen Ordnungssysteme oder -gebilde,
welche die Sinn- und Wertvorstellungen einer Gesellschaft oder Gemeinschaft widerspiegeln.13 Vollkommen korrekt ist diese Gleichsetzung der beiden Begriffe
allerdings nicht, weshalb der Begriff der Moral im Folgenden erläutert werden soll.
Bei historischer Betrachtung werden die Zusammenhänge zwischen den Begriffen
deutlich. Die lateinische Übersetzung der beiden im vorangegangenen Kapitel erläuterten unterschiedlichen Interpretationen des Ethikbegriffs, nämlich Sitte (Sophisten)
und Charakter (Sokrates), lautet mos (Plural: mores). Der lateinische Begriff mos,
von dem sich das deutsche Wort Moral herleitet, bedeutet sowohl Sitte als auch Charakter.14
Abbildung 1: Herkunft und Bedeutung des Moralbegriffs
15
12
Vgl. [Dietzfelbinger 2002]; 36.
Vgl. [Pieper 1994]; S. 26.
14
Vgl. [Pieper 1994]; S. 26.
15
Eigene Darstellung in Anlehnung an: [Pieper 1994]; S. 27.
13
7
2. Grundlagen und Herleitung
Noll definiert die Moral als ein auf Regeln basierendes System zur Steuerung sozialer Beziehungen, welches in komplexen Prozessen menschlichen Zusammenwirkens
entstanden ist. Beeinflusst wird und wurde dieses System durch die wirtschaftlichen
und gesellschaftlichen Entwicklungen in der Form, dass es in vielfältiger Art und
Weise ausdifferenziert ist und Widersprüchlichkeiten aufweist.16
Die historische Quelle von Werten und Normen liegt in religiösen Einsichten und
Glaubensausprägungen begründet. Im christlichen Glauben können für die Formulierung moralischer Werte beispielsweise die Zehn Gebote angeführt werden. In der
Vergangenheit stellte sich also die Frage der Normgebung nicht, da Gott als Normschöpfer angesehen wurde. Moral wurde demnach als ein Gesetzgebungsakt Gottes
verstanden.17 Erst im Zuge der Aufklärung und des Humanismus konnte sich der
Mensch und mit ihm das Denken aus der Vormundschaft der Kirche befreien. Diese
beiden Bewegungen hatten für das moralische Verständnis weitreichende Folgen.
Die Freiheit und das Individuum als solches traten in den Vordergrund, wodurch die
im religiösen Glauben überindividuelle Wertordnung verloren ging. 18
Immanuel Kant war im Zuge dieser Veränderung ein Verfechter der Ansicht, dass rational handelnde Wesen sich nicht auf die allgemeine übergeordnete Gültigkeit der
Worte Gottes berufen und aus diesen moralische Normen ableiten könnten. Die
„praktische Vernunft“ stellte für ihn - ganz ähnlich den Theorien Sokrates - das Mittel
dar, für das rational orientierte Individuum die Klassifizierung moralischer Normen als
gut oder eben böse vorzunehmen.
Moralische Normen stellen von ihrem Ursprung und ihrer Funktion eine soziale Erscheinung dar, welche die Interaktion kleiner und großer Gruppen steuern und
verlässliche Verhaltenserwartungen bedingen. Die Moral erlangt ihre Wirksamkeit
über Verhaltensbeschränkungen des Individuums, wohingegen ihre Verbindlichkeit
am Gewissen des Individuums festgemacht wird.19 Die Moral, definiert als ein gesellschaftlich akzeptiertes Verhalten, entspricht also einem allgemein verbindlichen
Handlungsmuster, dem als Träger der Wert- und Sinnvorstellungen einer Gesell16
Vgl. [Noll 2002]; S. 25.
Vgl. [Noll 2002]; S. 26.
18
Vgl. [Noll 2002]; S. 26.
19
Vgl. [Noll 2002]; S. 26.
17
8
2. Grundlagen und Herleitung
schaft eine quasi normative Geltung zukommt.20 Ziel dieser Regeln ist der Schutz vor
der Willkür einzelner in den Bereichen, die nicht gesetzlich reglementiert sind, übermäßig starke Abweichungen sind freilich im Gesetz verankert.
Lorenzen definiert die beiden Begriffe ähnlich differenziert. Während mit Moral der
Bestand an faktisch herrschenden Normen eines abgegrenzten Kulturkreises gemeint ist, bezeichnet die Ethik demgegenüber das methodisch disziplinierte
Nachdenken über diese faktisch herrschenden Moralen.21 In dieser Unterscheidung
ist die Ethik also mit einem wissenschaftlichen Anspruch versehen, als Moralphilosophie eine Lehre zu sein, die sich mit der Rechtfertigung von Normen befasst.
Zusammenfassend kann die Ethik demnach als die Hinterfragung der Differenz zwischen Sein (Moral) und Sollen (Ethik) verstanden werden, mit deren Hilfe eine
kritische Distanz zu den bestehenden Moralvorstellungen gewonnen werden kann.22
Abbildung 2: Ethik und Moral
23
20
Vgl. [Pieper 1994]; S. 26.
Vgl. [Steinmann/Löhr 1994]; S. 8.
22
Vgl. [Steinmann/Löhr 1994]; S. 9.
23
Eigene Darstellung in Anlehnung an: [Steinmann/Löhr 1994]; S. 11.
21
9
2. Grundlagen und Herleitung
2.1.3 Ziele und Grenzen der Ethik
2.1.3.1 Das Prinzip der Freiheit
Die Ethik als wissenschaftliche Disziplin beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Moral im Zusammenhang mit dem menschlichen Wirken. Das menschliche Wirken
wiederum ist geprägt durch das Prinzip der Freiheit. Das menschliche Handeln ist offen gestaltet, da zwischen der Situationswahrnehmung eines Menschen und einer
Handlung in aller Regel eine urteilende Reflexion und eine Willensentscheidung liegen.24 Die unterschiedlichen Möglichkeiten der Reflexion, der Reaktion und die
daraus entspringenden Handlungen stellen in diesem Zusammenhang die menschliche Freiheit dar, aus der allerdings erhebliche Unsicherheiten im Umgang
miteinander entstehen können. Demzufolge kann die Ethik definiert werden als eine
philosophische Freiheitslehre.25
2.1.3.2 Ziele der Ethik
Ausgehend von den alltäglichen Handlungsgewohnheiten des Menschen, versucht
die Ethik moralisches von nicht moralischem Handeln abzugrenzen. Handeln, welches als moralisch gut begriffen wird, soll dem Menschen vor Augen geführt
werden.26 Dies geschieht mit dem Hintergrund, dass dem grundsätzlich freiheitlichen
Handeln des Menschen bestimmte Grenzen gesetzt sind. So wird sein Handeln eingeschränkt durch natürliche Grenzen, welche sich auf
sachlich-technische
Gegebenheiten beziehen. Beispielsweise ist es dem Menschen naturgemäß nicht
möglich zu fliegen, da ihm hierfür die körperlichen Voraussetzungen fehlen.27
Die für den Bereich der Ethik relevanten Begrenzungen menschlichen Handelns sind
auf der normativen Ebene angesiedelt. Der Mensch kann und darf nicht nach Belieben und vollkommen willkürlich sein Handeln und sein Nicht- Handeln bestimmen. Er
hat den Ansprüchen seiner Mitmenschen - so sie denn berechtigt sind - Rechnung zu
tragen. Dementsprechend endet die Freiheit des menschlichen Handelns dort, wo
24
Vgl. [Noll 2002]; S. 8.
Vgl. [Pieper 1994]; S. 149.
26
Vgl. [Pieper 1994]; S. 149.
27
Vgl. [Noll 2002]; S. 8.
25
10
2. Grundlagen und Herleitung
die legitimen Interessen von Mitmenschen berührt oder gar verletzt werden.28
Da dem Menschen die Freiheit gegeben ist, subjektive Entscheidungen zu treffen,
aus denen unterschiedliche Handlungen resultieren können, müssen diese Handlungen objektiv zu rechtfertigen beziehungsweise zu verantworten sein, damit
ausgeschlossen werden kann, dass andere Mitglieder einer Gesellschaft eingeschränkt oder geschädigt werden. Die Frage, ob eine Handlung als gut oder als böse
zu bewerten ist, bedarf der Reflexion durch das Individuum, in dessen Verantwortungsbereich die jeweilige Handlungsentscheidung fällt. Die Übernahme von
Verantwortung in diesem Zusammenhang und die Möglichkeit zur Reflexion wiederum machen es erforderlich, dass das Individuum einen ausreichenden Freiraum zur
Erfüllung seiner Eigeninteressen zur Verfügung hat.29 Zusammengefasst impliziert
also ethisches oder moralisches Wollen die gegebene Voraussetzung des Könnens.
Hier sind auch die Ansatzpunkte der Ethik zu finden.
Die Ethik hat eine reflexive Aufklärung von Praxis und Geltungsansprüchen
zum Ziel. Dem Menschen soll vermittelt werden, warum bestimmte Handlungen erstrebenswert oder aber verwerflich sind. Da diese Einsicht in die
Struktur moralischen Handelns nicht auf gesetzlicher Basis herbeigeführt werden
kann,
muss
sie
das
Bewusstsein
der
Menschen
erreichen.30
Dementsprechend muss also „Überzeugungsarbeit“ geleistet werden.
Weiterhin besteht die Aufgabe der Ethik darin, zu vermitteln, dass die oben erläuterte Einsicht des Menschen keinen rein theoretischen Ansatz für Idealisten
darstellt, der ohne Folgen für die Praxis allgemeinen Handelns bleibt, sondern
als Anstoß für das Denken und eine kritische Würdigung der Praxis fungiert.
Der Mensch soll folglich zum eigenständigen Hinterfragen seines Wirkens im
Zusammenhang mit dem oben erläuterten Prinzip der Freiheit angeregt werden. Die Ethik zielt folglich darauf ab, den Menschen in die Lage zu versetzen,
selbständig Unterscheidungen zwischen Gut und Böse zu treffen und sich die
Fähigkeit der moralischen Urteilskraft anzueignen.31
28
Vgl. [Noll 2002]; S. 8.
Vgl. [Noll 2002]; S. 9.
30
Vgl. [Pieper 1994]; S. 150.
31
Vgl. [Pieper 1994]; S. 150.
29
11
2. Grundlagen und Herleitung
Darüber hinaus verfolgt die Ethik das Ziel, auf die Bedeutsamkeit der oben
angeführten Ziele aufmerksam zu machen. Nimmt man an, dass die durch die
Ethik angeregte Aneignung der Fähigkeit der kritischen Hinterfragung des
menschlichen Wirkens vom Individuum verinnerlicht wird, kann davon ausgegangen werden, dass sich durch Nutzung der moralischen Urteilskraft im
Verlaufe des Lebens- und Lernprozesses eine sich festigende Grundhaltung
herausbildet, die Moralische Kompetenz.32 Pieper bezeichnet den Begriff der
Moralischen Kompetenz als einen „modernen Begriff der Tugend“ und erklärt
diesen wie folgt:
„Moralische Kompetenz (...) impliziert soziale Verantwortung, insofern die jedem abverlangte Fähigkeit, moralisch zu handeln und zu urteilen, die Bereitschaft, in jedem
menschlichen Gegenüber die Freiheit zu achten und vor dieser Freiheit jederzeit Rechenschaft abzulegen.“33
Durch die Darstellung der Ziele der Ethik wird deutlich, dass der Rahmen der Ethik
als eine theoretische Wissenschaft des moralischen Handelns diesen nicht genügen
kann. Die angestrebten Ziele können nur in der Praxis unter Bezug auf die Theorie
erreicht werden. Somit kann die Ethik als Leitfaden zur Lebensgestaltung verstanden
werden.
2.1.3.3 Grenzen der Ethik
Der Einwand, die Ethik sei nutzlos oder erfülle nicht ihren Zweck ist immer dann zu
vernehmen, wenn ein besonderer Umstand oder ein besonders mediengerecht in
Szene gesetzter Fall eben nicht-ethischen Handelns Aktualität besitzt. Der Vorwurf
ist im Grunde genommen stets gleicher Art – die Ethik sei ein theoretisches Konstrukt, welches für die Praxis keinerlei Relevanz besitze. Vorwürfe wie die genannten
stellen Indizien dafür dar, dass die Rolle und der Wirkungsbereich der Ethik gemeinhin falsch eingeschätzt wird. Der Ethik sind Grenzen gesetzt, welche nachfolgend
erläutert werden sollen.
32
33
Vgl. [Pieper 1994]; S. 150.
Vgl. [Pieper 1994]; S. 151.
12
2. Grundlagen und Herleitung
Der Vorwurf, die Ethik besäße keinerlei Relevanz für die Praxis, spiegelt ein
gewisses Unverständnis ihr gegenüber wider. Die Ethik stellt eine Theorie
über die Praxis dar, ohne selbst dabei „Praxis“ sein zu können oder zu wollen.
Sie fungiert als Denkanstoß für die Praxis und soll motivieren, das individuelle
Handeln und dessen mögliche Folgen kritisch zu hinterfragen. Sie ist eine
Theorie, welche um ihre Wirksamkeit zu erlangen, auf eine Umsetzung in der
Praxis angewiesen ist und sollte nicht als Instrument angesehen werden.34
Die Ethik als „philosophische Freiheitslehre“ bezieht sich ausdrücklich auf die
gegebene Freiheit des Menschen, Entscheidungen nach eigenem Ermessen
zu treffen. Sie kann allerdings selbst keine Freiheit im Sinne einer zu erbringenden moralischen Leistung generieren. Es ist weder die Aufgabe, noch liegt
es in der Macht der Ethik als Wissenschaft, den Menschen moralisch zu machen. Zu einem guten oder einem schlechten Menschen kann das Individuum
ausschließlich durch seine Willensbestimmung selbst werden. Die Grenze der
Ethik befindet sich in diesem Zusammenhang also an der Stelle, an welcher
der Mensch ihre Argumentation und ihren Appell zum moralischen Handeln
entweder nicht verinnerlicht oder ignoriert. Die Ethik kann und darf nicht gegen
die eigene Willensbestimmung des Menschen einen anderen Willen erzeugen,
dies verstieße gegen dessen Freiheit.35
Die Ethik stellt keinen Katalog von moralischen Normen auf, der für alle Menschen gleichermaßen Gültigkeit besitzt. Ihre Aufgabe besteht darin, formale
Normen zu begründen, welche als Grundlage zur eigenständigen kritischen
Beurteilung des Menschen und seines Handelns, insbesondere im Hinblick
auf die eigene Freiheit im Zusammenspiel mit der Freiheit anderer Menschen
dienen sollen. Die Ethik wird fälschlicherweise oftmals mit moralischen Normen gleichgesetzt. Letztere definiert Pieper als „praktische Regeln der
Selbstbeschränkung von Freiheit um der Freiheit anderer willen“.36 Jeder einzelne hat anhand der formalen Normen permanent danach zu streben, die
gewünschte kritische Reflexion zu vollziehen. Die Hauptarbeit liegt beim Men-
34
Vgl. [Pieper 1994]; S.152.
Vgl. [Pieper 1994]; S.153.
36
Vgl. [Pieper 1994]; S.153.
35
13
2. Grundlagen und Herleitung
schen, die Ethik kann nur als Maßstab wirken.37
Die Ethik beansprucht nicht stellvertretend für die handelnden Individuen moralische Kompetenz und kann nicht als höhere oder gar höchste moralische
Instanz fungieren. Im Ergebnis gibt sie also keinerlei Handlungsanweisungen,
sondern fordert lediglich dazu auf, Normen zu problematisieren und selbst zu
denken und zu entscheiden.38
Es wird deutlich, dass die Ethik den Menschen dazu aufruft, sich der Freiheit seines
Handelns bewusst zu sein. Im gleichen Maße gibt die Ethik dem Menschen eine gewisse Hilfestellung bezüglich der Grenzen seiner Freiheit, die dann erreicht werden,
wenn die persönliche Freiheit anderer durch Handlungen verletzt oder missachtet
werden. Die Ethik versteht sich wie weiter oben erläutert als Leitfaden bewussten
Handelns. Unethisches Handeln ist nicht als Versagen der Ethik zu interpretieren
oder als Begründung für eine mangelnde Relevanz in der Praxis zu sehen. Der Träger einer Handlung ist stets eine Person.39 Demzufolge versagt nicht die Ethik,
sondern die Person, sei es durch den Mangel an Reflexionsvermögen, Unwissenheit
oder Vorsatz.
2.1.4 Universelle und partikulare Moralsysteme
Im Hinblick auf die in der Historie und der Gegenwart angewandten Moralsysteme
können universelle und partikulare unterschieden werden. Unter partikularen Moralsystemen versteht man solche, die lediglich auf bestimmte Bevölkerungsgruppen
angewandt werden. Universelle Moralsysteme beinhalten den Anspruch, eine allgemeine Verbindlichkeit zu besitzen.
Beispielhaft für ein partikulares Moralsystem wird in der Literatur regelmäßig die Gesellschaft der Eskimos angeführt, in welcher es moralisch legitimiert und letztlich
Sitte ist, dass alte Menschen, die nicht mehr eigenständig in der Lage sind, ihren Arbeitsanteil für die Gesellschaft zu erbringen und sich zu versorgen, zu töten, um die
37
Vgl. [Pieper 1994]; S.153.
Vgl. [Pieper 1994]; S.153.
39
Vgl. [Molitor 1989]; S. 9.
38
14
2. Grundlagen und Herleitung
Gesellschaft nicht zusätzlich zu belasten.40 Weitere Beispiele moralischer Grundsätze in anderen Kulturen stellen die Rolle der Frau im Islam sowie die Polygamie dar,
welche in unserer westlichen Kultur entweder gesetzlich ausgeschlossen oder aber
gesellschaftlich nicht toleriert sind.
An diesen Beispielen wird deutlich, dass partikulare Rechts- oder Moralsysteme stets
eine Benachteiligung spezifischer Bevölkerungsanteile bedingen beziehungsweise in
Kauf nehmen. Die Wahrscheinlichkeit der Herausbildung eines solchen Moralsystems ist in Ländern, die durch politische Instabilität gekennzeichnet sind –
beispielsweise Diktaturen und Militärregierungen – als erheblich höher einzuschätzen
als in gegenwärtigen westlichen Demokratien, wobei auch diese vor derartigen Entwicklungen aktiv geschützt werden müssen, wie der Blick auf die Diktatur der
Nationalsozialisten im vergangenen Jahrhundert beweist. Es ist also zu festzuhalten,
dass eine Vielzahl von verschiedenen Interpretationen der Moral existiert. Aufgrund
dieser Tatsache sieht sich die Moral dem Vorwurf des Relativismus ausgesetzt, der
beinhaltet, dass es unmöglich sei, allgemeingültige Normen zu formulieren, die gesellschaftsübergreifend Verbindlichkeit beanspruchen könnten. Begründet wird
dieser Vorwurf damit, dass die Begriffe des „Guten“ und des „Bösen“ im Vergleich
der Interpretation in verschiedenen Gesellschaften als relativ zu bezeichnen seien.41
Wie weiter oben ausgeführt wurde, sind die Ethik und mit ihr die Moral geprägt durch
das Prinzip der Freiheit. Das menschliche Miteinander darf nicht als ein statischer
Zustand, sondern muss vielmehr als ein in sich nie abgeschlossener Prozess betrachtet
werden.
Im
Hinblick
auf
die
Unterschiede
der
sozio-kulturellen
Rahmenbedingungen, welche in den verschiedenen Gesellschaften vorherrschen,
kann angenommen werden, dass in diesen auch unterschiedliche Ausprägungen des
Freiheitsverständnisses vorzufinden sind. Gemein haben diese Ausprägungen, dass
sie sich jedoch in gemeinsamen Basisnormen wie Gerechtigkeit und Humanität artikulieren.42
Als relativ ist nicht die Moral als solche zu bezeichnen. Vielmehr sind es die Basisnormen, deren Konkretisierung abhängig ist von der Anerkennung und ihrer
40
41
Vgl. [Pieper 1994]; S. 49.
Vgl. [Pieper 1994]; S. 49.
15
2. Grundlagen und Herleitung
Ausgestaltung durch die entsprechende Handlungsgemeinschaft. Diese leitet also
Folgenormen aus den Basisnormen ab. Beim Vorwurf des Relativismus muss die
Unterscheidung zwischen Basisnormen und Folgenormen beachtet werden. Moralische Normen und Werte können nach Herskovits als relativ bezeichnet werden,
jedoch nur im Hinblick auf die Kultur, aus der sie stammen, nicht aber im Allgemeinen.43 Keine Form der Moral scheint den Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben
zu können, da die unterschiedlichen Ausprägungen sich immer auf eine bestimmte
Gruppe beziehen, für deren Verständnis diese berechtigt erscheinen.44
Die Schlussfolgerung, Moral sei damit an sich als relativ zu betrachten, da moralisches Handeln als solches relativ sei, drängt sich allerdings auch nicht auf. Im
Ergebnis würde dies bedeuten, dass jede Handlung, die einer Überlegung, welche
unter moralischen Gesichtspunkten angestellt wird, entspringt, unabhängig davon, ob
sie nach den geltenden Maßstäben als gut oder böse bezeichnet werden kann,
gleichgesetzt würde. In einem konkreten Fall wäre die Lüge also wertmäßig mit der
Wahrheit gleichzustellen. Wäre dem so, würde das Handeln die Moral und nicht wie
angestrebt die Moral das Handeln bestimmen.
2.1.5 Entwicklung des Moralbewusstseins beim Individuum
Der Mensch steht zu Beginn seines Lebens vor einer langen Entwicklungszeit. Eine
erheblichen Zeitspanne davon ist er nicht in der Lage, seine Existenz eigenständig
zu sichern und daher auf die Hilfe der Angehörigen angewiesen. Durch diese wird er
in die Gegebenheiten seiner natürlichen und sozialen Umwelt eingeführt und diesen
angepasst.45
Zu Beginn des Entwicklungsprozesses steht die Nachahmung von Handlungen, Gewohnheiten und Umgangsformen der Menschen, die das Individuum in dieser Phase
begleiten und somit prägen. Weitere Faktoren dieser prägenden Frühphase sind die
Sprache sowie Vorschriften und Gebote. Im Zuge dieser Sozialisation übernimmt der
Mensch die typischerweise vorherrschenden Verhaltensmuster und die Wertvorstel-
42
Vgl. [Pieper 1994]; S. 49.
Vgl. [Pieper 1994]; S. 50.
44
Vgl. [Pieper 1994]; S. 55.
45
Vgl. [Noll 2002]; S. 29.
43
16
2. Grundlagen und Herleitung
lungen einer Gesellschaft und adaptiert deren Werte und Normen.46
Der Entwicklungsverlauf eines moralischen Bewusstseins lässt sich mit Hilfe des
dreistufigen Modells von Lawrence Kohlberg darstellen.47 Zu Beachten ist, dass trotz
der allgemein anerkannten Gültigkeit des Konzeptes des dargestellten Entwicklungsund Reifeprozesses Abweichungen im Hinblick auf die Geschwindigkeit der individuellen Entwicklung sowie den Endpunkt eben dieser Entwicklung auftreten
können.48 Sowohl kulturelle als auch genetische Einflüsse kommen hierbei zum Tragen, durch die jeder Mensch eine spezifische gelebte Moralebene erwirbt.
Abbildung 3: Stufen der Moralentwicklung nach Lawrence Kohlberg
49
Nach obenstehendem Modell lassen sich drei Ebenen der Moralentwicklung unterscheiden:
In der präkonventionellen Phase werden dem Kind im Alltag Regeln und
Gebote nahegebracht, die es zu akzeptieren und denen es zu gehorchen
lernt. Im Kern stehen in dieser Lebensphase das Vermeiden von Strafe sowie
die Schaffung von Nutzen durch die Befolgung der angebrachten Regeln. Dieser
heteronome
-
also
fremdbestimmte
-
Lernprozess
ist
streng
46
Vgl. [Noll 2002]; S. 30.
Vgl. [Kohlberg 1974]; S. 59 f.
48
Vgl. [Noll 2002]; S. 30.
47
17
2. Grundlagen und Herleitung
situationsbezogen. Das urteilende Kind wägt sein Handeln gegen die sich
daraus ergebenden Folgen ab.50
Die konventionelle Phase ist die Ebene der autonomen Moral, die durch das
Erkennen geprägt ist, dass Normen und Regelungen nicht einseitig seitens
der Erwachsenen vorgegeben sind, sondern dem Zweck dienen, ein funktionierendes Zusammenleben erst zu ermöglichen. Mit dieser Erkenntnis beginnt
das Streben des Heranwachsenden, den vorgelebten moralischen Normen
des Umfeldes oder der Gesellschaft nachzueifern und diesen zu entsprechen.
Der Urteilende orientiert sich dementsprechend an seinem Umfeld oder der
Gesellschaft.51
Auf der postkonventionellen Ebene, also der eines mündigen Erwachsenen, haben
die in der Kindheit erlernten Verhaltensweisen und Normen ihre absolute Gültigkeit
verloren, da diese durch Reflexion und Abwägung in Frage gestellt werden. Die zu
Vergleichen und zur Reflexion herangezogenen Beispiele werden im Normalfall
selbst gewählt, da der Mensch auf dieser Ebene eine gewisse Unabhängigkeit von
gesellschaftlichen Erwartungen erreicht, die ihn dazu ermächtigt, die Gesellschaft
und ihre Praktiken kritisch zu beurteilen.52
2.1.6 Entwicklung von Moralkonzepten
Moralkonzeptionen entwickelten sich in der Gesellschaft historisch gesehen permanent
und
stufenweise.
Ihren
Ursprung
fanden
sie
zum
Beispiel
in
der
religionsübergreifend formulierten „goldenen Regel“53 oder dem Gebot der christlichen
Nächstenliebe.
Normen
und
Institutionen
können
sich
in
modernen
Gesellschaften ausschließlich durchsetzen, wenn sie durch die Zustimmung und die
Akzeptanz der Betroffenen gestützt werden. In diesem Fall spricht man von einer
Konsensethik. Ein Konsens kann auf unterschiedliche Weisen erzielt werden, beispielsweise im Dialog. Dementsprechend ist die Diskurs- oder Dialogethik von
49
Eigene Darstellung in Anlehnung an: [Noll 2002]; S. 31.
Vgl. [Noll 2002]; S. 30.
51
Vgl. [Noll 2002]; S. 30.
52
Vgl. [Noll 2002]; S. 30.
53
Die Goldene Regel lautet: „Was Du nicht willst, dass man Dir tu’, das füg’ auch keinem andern zu“,
(Vgl. hierzu [Strombach 1992]; S. 185).
50
18
2. Grundlagen und Herleitung
besonderer Relevanz.54
2.1.6.1 Adam Smith - „Der unparteiische Zuschauer“
In seinem Werk „Theorie der ethischen Gefühle“ unternahm der schottische Moralphilosoph Adam Smith den Versuch, allgemeingültige Verhaltensregeln für die
Menschen aufzustellen. Bereits vor Smith versuchten verschiedene Philosophen wie
beispielsweise Immanuel Kant und David Hume mit Hilfe von Untersuchungen der
menschlichen Natur und des menschlichen Wirkens, das moralische Sollen begründen zu können. Hume kam zu dem Schluss, dass es aufgrund der unendlichen
Vielfalt menschlicher Handlungsweisen nicht möglich sei, allgemein gültige Prinzipien
zu ergründen und entsprechende Gesetze zu formulieren, da diese nur im Modelldenken und einer damit verbundenen Vereinfachung des komplexen menschlichen
Verstandes erarbeitet werden könnten und somit nur begrenzte Gültigkeit besäßen.55
Kant hingegen war davon überzeugt, dass eine allgemeine Moral philosophisch begründbar sei, wenn nur die Vorgehensweise von ihrer empirischen Prägung gelöst
und eher formal und apriorisch gestaltet werden könne.
Adam Smith untersuchte die menschliche Natur, da er eben in der von David Hume
als Kritikpunkt angebrachten Handlungsvielfalt Gesetzmäßigkeiten zu entdecken
hoffte, die sich dazu anböten, normative Gesetze menschlichen Handelns zu formulieren.
In
einem
zweiten
Schritt
wollte
Smith
dann
die
entwickelten
Gesetzmäßigkeiten dazu nutzen, menschliches Verhalten zu beurteilen, da diese
erarbeiteten Grundgesetze nach Smith’s Verständnis der menschlichen Natur entsprachen. Das zu beurteilende Verhalten der Menschen würde diesen dann
entweder genügen oder widersprechen.56 Der Bezug bei der Herleitung dieser Gesetzmäßigkeiten auf den Menschen war für Smith absolut notwendig, da er der
Auffassung war, dass moralische Gesetze ihren Ursprung im Menschen haben
müssten und nicht etwa im göttlichen Wirken.57
Abweichend von der utilitaristischen Schule, die moralisches Handeln letztlich als
54
Vgl. [Noll 2002]; S. 26.
Vgl. [Hume 1964]; S. 15.
56
Vgl. [Trapp 1987]; S. 36.
57
Vgl. [Trapp 1987]; S. 36.
55
19
2. Grundlagen und Herleitung
Mittel zur Legitimierung eigennütziger Zwecke interpretierte, vertrat Adam Smith die
Ansicht, der Mensch sei auch unabhängig von Berechnung und Besinnung auf den
eigenen Vorteil zu moralischem Handeln fähig. Darüber hinaus sei der Mensch nach
Smith nicht nur dazu in der Lage, sondern vielmehr dazu verpflichtet, sich selbst und
sein Handeln im Hinblick auf Tugendhaftigkeit und Menschlichkeit zu hinterfragen, da
dies die Eigenschaften seien, welche der Mensch erfüllen müsse, wollte er seine
Forderungen an sich selbst, nämlich die, ein vernunftorientiertes Wesen zu sein, erfüllen.58
Das von ihm gesuchte Grundgesetz der Moral verstand Adam Smith als ein angemessenes menschliches Handeln, welches sich an der jeweiligen Situation und den
Gegenständen, mit denen es sich befasst, orientiert.59 Er verwerte sich gegen die
Ansicht, moralische Regeln könnten aus dem Verstand - also auf theoretischer Basis
- gewonnen werden. Laut Smith sei die einzig mögliche Basis der Praxisbezug menschlichen Handelns und Urteilens. Die Moralphilosophie beginnt für ihn mit dem
praktischen Verhältnis zwischen den Mensch und der Welt, in der sie leben. 60 Dazu
gehört dementsprechend die Selbstbeurteilung des Verhaltens des Individuums dahingehend, ob dieses als gesellschaftstauglich angesehen werden kann. Das Mittel
dies zu bestimmen ist für Smith die Beobachtung nicht nur des eigenen Verhaltens,
sondern auch das der Mitmenschen.
Im Bewusstsein, dass Urteile durch verschiedene Faktoren, wie beispielsweise individuelle Interessen, verzerrt werden können und daher nicht unbedingt als objektiv
gelten können, schuf Smith einen unparteiischen Beobachter, der im Gegensatz zu
den wirklichen Beobachtern, die dem Umfeld des Menschen entspringen, frei von
Einflüssen, richtergleich den moralischen Wert einer Handlung beurteilt, unabhängig
davon, welche Bewertung diese Handlung im gesellschaftlichen Verkehr erfährt. 61
Der unparteiische Beobachter ist keine reale Person, sondern eine abstrakte und
idealisierte, jedoch nicht übermenschliche, Instanz, welche aber dennoch nicht
unabhängig vom menschlichen Leben und den entsprechenden Moralvorstellungen
definiert werden kann, da nach Adam Smith - wie weiter oben ausgeführt - die Mora58
Vgl. [Trapp 1987]; S. 37.
Vgl. [Smith 1985]; S. 17.
60
Vgl. [Smith 1985]; S. 533.
61
Vgl. [Trapp 1987]; S. 83.
59
20
2. Grundlagen und Herleitung
lität in der Beschaffenheit des wirklichen Menschen begründet liegen muss.62
„Wir bemühen uns, unser Verhalten so zu prüfen, wie es unserer Ansicht nach irgendein anderer gerechter und unparteiischer Zuschauer prüfen würde.”63
Smith’s unparteiischer Beobachter formuliert keinen Moralkodex und schreibt keinerlei Handlungsweisen vor. Er dient dem Menschen als innerer Richter bei
Auseinandersetzungen mit sich selbst unter Zuhilfenahme der Urteile anderer. Diese
geben den Anstoß dazu, sich mit den eigenen Wünschen und möglicherweise daraus entspringenden Handlungen kritisch auseinander zu setzen, wobei das Urteil
anderer nicht als letzte Instanz moralischer Fragen verstanden werden sollte.64 Nach
Smith lässt sich der Mensch mit dem Zweck, sich als gesellschaftliches Wesen zu
bewähren, auf einen Prozess der Auseinandersetzung mit sich selbst ein.
2.1.6.2 Immanuel Kant - „Der kategorische Imperativ“
Anders als Adam Smith setzte der deutsche Philosoph Immanuel Kant (1724 – 1804)
bei der Bewertung der Handlungen nach ihrer Moralität auf den Menschen selbst.
Smith implementierte – wenn auch auf streng rationale Art und Weise – den unparteiischen Zuschauer als unabhängige Instanz zur Selbstkontrolle des eigenen
Handelns, während Kant seine Ansichten tugendhaften Handelns derart formulierte,
dass in einem weitergehenden Schritt, die Selbstverantwortung des Individuums zum
Tragen käme. Den Schwerpunkt von Kants Moralvorstellungen bildete somit das liberale, selbstverantwortliche Denken. Schon Adam Smith galt als Vertreter des
Liberalismus, Kant formulierte dieses Gedankengut allerdings weitaus präziser.
Kant sprach als naturwissenschaftlich geprägter Philosoph übergeordneten Größen
wie der Religion die Fähigkeit zur Bildung für den Menschen geeigneter moralischer
Normen ab.
Auch die empirische Praxis erschien ihm nicht als adäquater Ansatz-
punkt. Allein die Vernunft erschien ihm als geeignet, universelle Sollenssätze
formulieren zu können. Der kantische Formalismus stellt sich als Mischsystem mit
objektiven und subjektiven Elementen dar. Während das Sittengesetz absolute Gül62
Vgl. [Trapp 1987]; S. 84.
Vgl. [Smith 1985]; S. 167.
64
Vgl. [Trapp 1987]; S. 95.
63
21
2. Grundlagen und Herleitung
tigkeit besitzt, also objektiv geprägt ist, stellt der „gute Wille“, der noch genauer
niert wird, eine subjektive Komponente dar.65
Kant definierte den Menschen als eine Art Zwitterwesen, welches einerseits durch
Vernunft und rationales Denken, andererseits auch durch Sinnlichkeit geprägt ist. Allerdings setzte er voraus, dass der Mensch als intelligibles Wesen in der Lage sei,
unabhängig von sinnlichen und triebhaften Einflüssen des Selbst, also unter streng
rationalen Gesichtspunkten, zu denken und Entscheidungen zu treffen. In seinen
Schriften „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ (1785) und „Kritik der praktischen
Vernunft“ (1788) stellte Kant sein ethisches System ausführlich dar. Als höchste und
letzte Autorität der Moral definierte Kant die menschliche Vernunft. Der Mensch trägt
nach kantischem Gedankengut den Maßstab der Sittlichkeit in sich, und da der
Mensch in der Lage ist, vernunftorientiert Entscheidungen zu treffen, kann sich dem
Menschen durch die Auseinandersetzung mit der jeweiligen Frage - „Was soll ich
tun?“ - sittliches Verhalten auf Basis der Vernunft erschließen. Einen weiteren Parameter in der kantischen Ethik stellt die Freiheit des Willens dar (Prinzip der Freiheit),
welche aussagt, dass der Mensch autonom ist, die Entscheidungen also im Subjekt
selbst liegen.66 Diese Autonomie des Willens ist für Kant gleichzeitig die Vorraussetzung für die Vernunft.67
Als einziges uneingeschränktes moralisches Gut, wenn auch nicht als einziges moralisches Gut, gilt der gute Wille. Die strikte Unterscheidung Kants bezieht sich darauf,
dass Glück, Tugenden und menschliche Neigungen in ungünstigen Fällen moralisch
fragwürdig erscheinen können, der gute Wille an sich jedoch stets als moralisch gut
anzusehen sei. Dieser Formulierung muss vorangestellt werden, dass Kant unter
dem Begriff des Willens nicht den bloßen Wunsch oder die bloße gute Absicht einer
Handlung verstand. Vielmehr definierte Kant den guten Willen als eine sorgfältig
entwickelte Intention eines rein vernünftigen und verantwortungsvollen Wesens.68
65
Vgl. [Strombach 1992]; S. 185.
Vgl. hierzu Kapitel 2.1.3.1
67
Vgl. Kant, Immanuel, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA 4, S. 452, In: [Kraft/Schönecker
1999]; S. 82.
68
Vgl Kant, Immanuel, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA 4, S. 452, In: [Kraft/Schönecker
1999]; S. 12.
66
22
2. Grundlagen und Herleitung
„Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer
derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille.“69
Die Bewertung von Handlungen oder deren Folgen erfolgt bei Kant ebenfalls auf Basis des guten Willens. So sind die möglicherweise negativen Folgen einer Handlung
für die moralische Bewertung der Person oder ihrer Handlung nicht relevant, sofern
dieser eine sorgfältige - wie weiter oben dargestellte - Entwicklung einer Handlungsintention vorausgeht und die Umstände, welche die negativen Folgen bedingen, nicht
von der handelnden Person zu verantworten sind.70
Dem von der Sinnlichkeit beeinflussten oder geleiteten Menschen bliebe der gute
Wille im kantischen Sinne demnach verschlossen, da er sich diesem lediglich annähern könnte. Als Vernunftwesen kann der Mensch einen guten Willen haben, als
Sinneswesen besitzt er jedoch auch Neigungen und Begierden, welche Widerstände
erzeugen können, die beim Handeln aus gutem Willen zu überwinden sind. Nach
Kants Ausführungen kommt das rein vernunftorientierte Wesen aus sich selbst und
aus innerer Überzeugung dazu, Gutes zu tun. Für Wesen jedoch, die ihre Sinnlichkeit überwinden müssen, sind moralische Imperative in Form von Pflichten
erforderlich.
Kant formulierte zwei Arten von Bestimmungsgründen des Willens, den hypothetischen oder bedingten Imperativ und den kategorischen Imperativ. Ersterer erwächst
aus einer subjektiven Neigung und verfolgt ein bestimmtes ebenso subjektives Ziel,
während der kategorische Imperativ Handlungen objektiven und allgemeingültigen
Gesetzen unterwirft. Der kategorische Imperativ wird von Kant auch als Grundlage
der Sittlichkeit oder als Sittengesetz bezeichnet und besitzt unbedingt und unabhängig von individuellen Wünschen und Bedürfnissen Gültigkeit.
69
70
Vgl. Kant, Immanuel, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA 4, S. 452, In: [Kraft/Schönecker
1999]; S. 11.
Vgl. Kant, Immanuel, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA 4, S. 452, In: [Kraft/Schönecker
1999]; S. 18.
23
2. Grundlagen und Herleitung
Abbildung 4: Der Vernunftbegriff bei Kant
71
Kant formulierte den kategorischen Imperativ als Instrument, mit dessen Hilfe ein jeder Mensch seine Handlungen moralisch beurteilen kann. Ausgehend von folgender
Grundformel wird der kategorische Imperativ durch drei weitere Formeln erläutert.
„Der kategorische Imperativ ist also nur ein einziger, und zwar dieser:
handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, das sie ein
allgemeines Gesetz werde.“72
Die Naturgesetzformel:
„Handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen
zum allgemeinen Naturgesetze werden sollte.“73
Die Formel von Menschen als Zweck:
„Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.“74
71
Eigene Darstellung in Anlehnung an: [Störig 1992]; S. 409.
Vgl. Kant, Immanuel, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA 4, S. 452, In: [Kraft/Schönecker
1999]; S. 45.
73
Vgl. Kant, Immanuel, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA 4, S. 452, In: [Kraft/Schönecker
1999]; S. 45.
74
Vgl. Kant, Immanuel, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA 4, S. 452, In: [Kraft/Schönecker
1999]; S. 54.
72
24
2. Grundlagen und Herleitung
Die Autonomieformel:
(Es ist) „keine Handlung nach einer anderen Maxime zu tun,
als so,(...) dass der Wille durch seine Maxime sich selbst zugleich
als allgemein gesetzgebend betrachten könne.“75
In der praktischen Anwendung der kantischen Ethik muss die Maxime 76 eines Menschen in sich widerspruchsfrei sein und mit seinem tatsächlichen Willen
übereinstimmen. Kants Ethik kann also im Gegensatz zu Aristoteles’ Tugendethik als
eine Pflichtethik interpretiert werden.
2.1.6.3 Jeremy Bentham & John Stuart Mill – „Der Utilitarismus“
Der Utilitarismus – abgeleitet aus dem Lateinischen „utilitas“ (Nutzen) – wird auch als
„Nutzenprinzip“ oder als „Prinzip der Nützlichkeit“ bezeichnet. 1789 veröffentlichte
der englische Philosoph und Jurist Jeremy Bentham sein Werk „Eine Einführung in
die Prinzipien der Moral und der Gesetzgebung“. Ähnlich wie Adam Smith sah Bentham keinen Widerspruch zwischen dem persönlichen und dem allgemeinen
Wohlergehen. Das Streben des Einzelnen nach dem persönlichen Vorteil stellte für
beide ein Mittel dar, das allgemeine Wohlergehen zu fördern. Gemein haben beide
Philosophen, dass sie die Ansicht vertraten, dass der Einzelne am ehesten beurteilen könne, was für ihn am besten sei. Benthams Ethik des Utilitarismus kann mit
folgender Aussage dargestellt werden:
“Man kann also von einer Handlung sagen, sie entspreche dem Prinzip der Nützlichkeit (...), wenn die ihr innewohnende Tendenz, das Glück der Gemeinschaft zu
vermehren, größer ist als irgendeine ihr innewohnende Tendenz, es zu vermindern.“77
75
Vgl. Kant, Immanuel, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA 4, S. 452, In: [Kraft/Schönecker
1999]; S. 61.
76
Maximen stellen für Kant subjektive praktische Grundsätze dar, welche anders als praktische Gesetze lediglich das Handeln desjenigen berühren, der sich die Maxime gibt. Sie sind zur Regel
gemachte Handlungsabsichten, welche wiederum mehrere Handlungsregeln bedingen können. In
der Literatur besteht ein Auslegungsstreit über die Allgemeinheit von Maximen nach Kants Verständnis.
77
Vgl. Bentham, Jeremy, in: [Höffe 1992]; S. 57.
25
2. Grundlagen und Herleitung
Laut Jeremy entham spielen Freude und Leid als Konstante der menschlichen Natur eine entscheidende Rolle. Darüber hinaus vertrat er die Ansicht, Freude und Leid
- in all ihren unterschiedlichen Ausprägungen - gegeneinander aufrechnen und daraus eine Gesamtbilanz menschlichen Glückes ableiten zu können. Für die
notwendige Quantifizierung dieser abstrakten Begriffe legte Bentham Kriterien fest,
welche er als Umstände bezeichnete und die als Bemessungsgrundlage des Wertes
einer Freude oder eines Leids fungierten: die Intensität, die Dauer, die Gewissheit
oder Ungewissheit, die Nähe oder Ferne, die Folgenträchtigkeit und die Reinheit der
Freude oder des Leids.78 Als Grundlage für die Sittlichkeit sah er das menschliche
Streben nach Glück an. Der angestrebte Nutzen, der von Bentham mit Lust gleichgesetzt wurde, konnte seiner Ansicht nach anhand der oben genannten Kriterien,
erweitert um die Anzahl der beteiligten Personen, bemessen werden.
In dem oben zitierten Ansatz sah Jeremy Bentham eine rationale und praktische
Orientierungshilfe, welche es dem vernunftbegabten Individuum ermöglichen sollte,
seine Handlungen im Zuge eines moralischen Kalküls zu überdenken und die durch
Egoismus geprägte kurzfristige Lust dem langfristigen Gesamtnutzen gegenüber abzuwägen. Kritisiert wurde dieser Ansatz der utilitaristischen Ethik nach Bentham
oftmals dahingehend, dass aufgrund der Nutzenabwägung des Einzelnen gegenüber
einem Gesamtnutzen ein gemeinhin als unmoralisch angesehenes Handeln als moralisch gelten könne, wenn sich denn die Rahmenbedingungen entsprechend
darstellen würden. Als Beispiel wird in diesem Zusammenhang die Folter eines Einzelnen zum Zwecke der Informationsgewinnung herangezogen, welche im Ergebnis
zum Wohle der Gesellschaft führen könnte. Nach der Argumentation Benthams hätte
die gesamtgesellschaftliche Menge an Glück Vorrang vor dem Leid des Einzelnen.
Für den juristisch geschulten Bentham selbst stellte die Gesetzgebung den Rahmen
dar, welcher den Umgang miteinander regeln und die Grenzen der Entfaltung der
Persönlichkeit sowie der Persönlichkeitsrechte abstecken sollte.
Der Utilitarismus wurde Jahre später ausgebaut und überarbeitet. Sein berühmtester
Vertreter fand sich in dem englischen Philosophen und Ökonomen John Stuart Mill.
In seinem 1861 als Artikelserie im Frazer’s Magazine veröffentlichten und 1863 als
eigenständiges Buch erschienenen Werk „Der Utilitarismus“ wurden die Unterschie78
Vgl. Bentham, Jeremy, in: [Höffe 1992]; S. 79.
26
2. Grundlagen und Herleitung
de in der Sichtweise Mills und Benthams anhand einiger Modifikationen der
tischen Ethik seitens Mills deutlich.
„Die Auffassung, für die die Nützlichkeit oder das Prinzip des größten Glücks
die Grundlage der Moral ist, besagt, dass Handlungen insoweit und in dem Maße
moralisch richtig sind, als sie die Tendenz haben, Glück zu befördern, und insoweit
moralisch falsch, als sie die Tendenz haben, das Gegenteil von Glück zu bewirken.
Unter >Glück< (happiness) ist dabei Lust (pleasure) und das Freisein von Unlust
(pain), unter >Unglück< (unhappiness) Unlust und das Fehlen von Lust verstanden”79
Während Benthams Modell eine Quantifizierung der Lust beziehungsweise der Unlust vorsah, stellte Mill die Freiheit der persönlichen Entfaltung des Menschen als
dessen wahres Glück in den Mittelpunkt seiner Überlegungen, regte also einen
Übergang vom rein quantitativen Utilitarismus zu einer qualitativeren Form an.80 Einig
waren sich beide Denker darin, dass das übergeordnete Ziel sittlichen Handelns, das
Erreichen größtmöglichen Glücks aller sein müsse. Jedoch setzte Mill bei seinen
Überlegungen zur Ethik als Bedingung, dass diese einen befriedigenden Ausgleich
zwischen Individuum und der Gesellschaft gewährleisten müsse.
Anders als Jeremy Bentham, welcher das menschliche Streben nach Lust (pleasure)
als einen zentralen Ansatzpunkt seiner Überlegungen ansah, wobei der Lustbegriff
bei Bentham mit Sinnlichkeit und physischer Lust gleichzusetzen war, definierte Mill
den Lustbegriff als geistige Erfüllung oder Glück (happiness). Demzufolge hatte der
Lustbegriff nach Mill zwei Dimensionen, eine physische und schlichte, die in seinem
Werk mit dem Glücksstreben eines Schweins oder eines Narren dargestellt wird, und
eine, welche das Streben nach einer höheren Entwicklungsstufe oder einer geistigen
Reife beinhaltet.81 Mills Argumentation ging dahin, dass selbst eine geringe geistige
Freude einem größeren physischen Lustempfinden vorzuziehen sei.82
79
Vgl. [Mill 1976]; S.13.
Vgl. [Mill 1976]; S.15.
81
Vgl. [Mill 1976]; S.14.
82
Vgl. [Mill 1976]; S.14.
80
27
2. Grundlagen und Herleitung
„Es ist besser, ein unzufriedener Mensch zu sein als ein zufriedenes Schwein;
besser ein unzufriedener Sokrates als ein zufriedener Narr. Und wenn der Narr oder
das Schwein anderer Ansicht sind, dann deshalb, weil sie nur die eine Seite der Angelegenheit kennen. Die andere Partei hingegen kennt beide Seiten.“83
Betrachtet man das recht radikale Moralverständnis von Bentham, nach dem das gerecht ist, was nützlich ist, so wird deutlich, dass seiner Ansicht nach stets das
quantitativ größere Glück dem quantitativ kleineren Glück der einzelnen Person vorzuziehen ist, worauf auch die Kritik anhand des Folterbeispieles Bezug nimmt. Im
Mittelpunkt der Überlegungen John Stuart Mills stehen der Mensch als solcher und
seine Handlungen, wobei auch Mill als Norm des Utilitarismus „nicht das größte
Glück des Handelnden selbst, sondern das größte Glück insgesamt“ ansieht.84 Nach
Mill kann der Utilitarismus seine Ziele lediglich durch „die allgemeine Ausbildung und
Pflege eines edlen Charakters erreichen“.85 Dies ist in diesem Zusammenhang zwingend notwendig, damit der Mensch in die Lage versetzt wird, abwägen zu können,
ob eine Verringerung des persönlichen Glücks zu einer Mehrung allgemeinen Glücks
führen könnte und in diesem Falle dementsprechend zu handeln.
Die Grenzen zwischen beiden Ansätzen sind fließend. Mill erweiterte Benthams Utilitarismus in Bezug auf die Lust unter rein quantitativen Gesichtspunkten um
qualitative Kriterien. Ein weiterer Punkt, in dem sich Mill und Bentham unterscheiden,
ist die Motivation der Menschen, die im utilitaristischen Sinne richtigen und damit moralischen Entscheidungen zu treffen. Während Bentham davon ausging, dass
mögliche Sanktionen seitens der Staatsgewalt und Missbilligung der Gesellschaft
ausschlaggebend seien, da diese den Menschen motivierten, aus egoistischen Motiven – eben aus Furcht vor Sanktionen - im Sinne der Gesellschaft zu handeln, sah
Mill die Gewissenhaftigkeit und das Pflichtgefühl als entscheidendes Kriterium an.
Kritisch ist zum Utilitarismus zu bemerken, dass er Konflikte mit allgemeinen Ethikund Moralvorstellungen hervorrufen kann, wie beispielsweise das ThomsonParadoxon aufzeigt.86 Zudem tritt bei der Verteilung des Glückes auf die Menschen,
bei der allen die selbe Menge an Nutzen entstehen soll, das Problem auf, dass we83
Vgl. [Mill 1976]; S.14.
Vgl. [Mill 1976]; S.20.
85
Vgl. [Mill 1976]; S.21.
86
Vgl. hierzu Anhang V
84
28
2. Grundlagen und Herleitung
der die Präferenzen, noch der Nutzen für den Einzelnen messbar sind.
Um die unterschiedlichen Moralkonzepte und deren Bedeutung korrekt zu erfassen,
sollten diese vor dem Hintergrund ihrer Zeit betrachtet werden. Die untenstehende
Abbildung 5 soll dies veranschaulichen.
Abbildung 5: Zeitskala zum Utilitarismus
87
87
Vgl. http://theologie.uni-hd.de/epg/Brunn/ZeitskalaUtilitarismus.gif, Stand: 23.05.2006
29
2. Grundlagen und Herleitung
2.2 Ökonomische Modelle
Im Mittelpunkt der im Folgenden vorgestellten ökonomischen Modelle, beziehungsweise der volkswirtschaftlichen Thesen, auf denen diese fußen, steht primär die
ungleiche Güter- und Vermögensverteilung in der Gesellschaft. Grundsätzlich wird
von einer Knappheit der Güter ausgegangen, da diese gegeben sein muss, da andernfalls die ungerechte Verteilung von Gütern und Vermögen keinerlei Problem im
volkswirtschaftlichen Sinne darstellen würde.88 Im nachfolgenden Kapitel soll versucht werden, die weiter oben dargestellten Moralkonzepte mit Modellen der
Ökonomie in Zusammenhang zu bringen.
2.2.1 Die Klassik - Adam Smith’s „unsichtbare Hand“
Die für die Gesellschaft mittlerweile als selbstverständlich angesehene Marktwirtschaft verdankt ihre Entstehung und Durchsetzung der Theorie des Ökonomen
Adam Smith. Im Jahre 1776 legte dieser mit seinem Klassiker „Der Wohlstand der
Nationen“ den Grundstein der klassischen Nationalökonomie. Smith’s Idee der effizienten freien Märkte stellte in einer Zeit, in der absolutistische Nationalstaaten
bemüht waren, die Edelmetallvorräte der Welt zu vereinnahmen und mit Hilfe einer
dirigistischen Exportpolitik den eigenen Reichtum zu mehren, geradezu revolutionäres Gedankengut und rückblickend einen Meilenstein in der Analyse des Handels
dar.
Smith vertrat die Ansicht, der Markt benötige keinerlei regulative Instanzen. Das freie
Spiel von Angebot und Nachfrage sei in der Lage, Ungleichheiten effizienter auszugleichen, als es der Staat durch Intervention vermöge. Dieser solle sich laut Smith
darauf beschränken, für bestimmte öffentliche Güter sowie einen Ordnungsrahmen
zu sorgen. Mit dieser Forderung sowie seiner Arbeitswertlehre, nach der sich der
Wert einer Ware nach der dafür aufgewandten Arbeit bemisst, stellte sich Smith recht
offen gegen die Einmischungspolitik des seinerzeit vorherrschenden Merkantilismus.89
88
89
Vgl. [Mankiw 2001]; S. 62.
Vgl. [Smith 2005]; S. 33 - 50.
30
2. Grundlagen und Herleitung
Begründet wurde seine These damit, dass die Marktteilnehmer stets ihrem Eigeninteresse folgten und die in der Literatur oft zitierte „unsichtbare Hand“ dieses
Eigeninteresses zu einer Förderung des allgemeinen Wohles führe. 90 Smith gilt als
Wegbereiter für die ökonomische Lehre des Liberalismus, also des Laissez- faire.
Diese geht davon aus, dass Privateigentum und freie Konkurrenz auf dem Markt dem
Menschen angemessen sind und zur bestmöglichen Versorgung mit wirtschaftlichen
Gütern führen.
Adam Smith gilt als der Begründer der modernen Volkswirtschaftslehre.91 Sein Wirken inspirierte in den vergangenen zwei Jahrhunderten die Arbeit nahezu jedes
Ökonomen der klassischen (David Ricardo und John Stuart Mill) sowie der neoklassischen Nationalökonomie (Vilfredo Pareto), was um so faszinierender erscheint,
wenn man berücksichtigt, dass Smith ursprünglich in der Disziplin der Moralphilosophie beheimatet war. Seine Veröffentlichungen in diesem Bereich, wie die in Kapitel
2.1.6.1 vorgestellte „Theorie der ethischen Gefühle“ wurden oftmals als widersprüchlich zum „Reichtum der Nationen“ angesehen und werden es noch.
2.2.2 Die utilitaristische Wohlfahrtskonzeption
Unter dem Begriff des Utilitarismus versteht man eine politisch geprägte Philosophie,
die darauf aufbaut, dass der Staat mit Hilfe spezifischer Maßnahmen regulierend
eingreift, um den Gesamtnutzen aller Mitglieder einer Gesellschaft zu maximieren. 92
Wie in Kapitel 2.1.6.3 dargestellt wurde, geht die populäre Denkschule der politischen Philosophie auf das Wirken der englischen Philosophen Jeremy Bentham und
John Stuart Mill zurück.
Zentraler Ansatzpunkt des Utilitarismus ist der Nutzenbegriff. Allerdings existieren
unterschiedliche Interpretationen des Nutzenbegriffs. Bentham definierte den Begriff
des Nutzens als Glück und Glückseeligkeit (pleasure), während Mill ihn eher als Lust,
Erkenntnis oder Liebe interpretierte.93 Die Utilitaristen verstehen den Nutzen als
Wohlfahrtsmaß, welchem in diesem Zusammenhang eine überragende Bedeutung
90
Vgl. [Smith 2005]; S. 58 – 67.
Vgl. [Mankiw 2001]; S. 62.
92
Vgl. [Mankiw 2001]; S. 465.
93
Vgl. [Gabler Wirtschaftslexikon 2000]; S. 3206.
91
31
2. Grundlagen und Herleitung
zugesprochen wird, da er das oberste Ziel allen staatlichen und privaten Handelns
darstellt.94 Um nun ein Höchstmaß an gesellschaftlichen beziehungsweise volkswirtschaftlichen Nutzens erreichen zu können, wird die Einkommensverteilung in diesem
Sinne entsprechend instrumentalisiert. In der utilitaristischen Konzeption wird die
Wohlfahrt einer Gesellschaft als Summe der in Nutzeneinheiten ausgedrückten
Wohlfahrten ihrer einzelnen Mitglieder verstanden.95
Die Annahme des abnehmenden Grenznutzens impliziert, dass eine geringfügige
Einkommensminderung eines Wirtschaftssubjekts mit hohem Einkommen und der
anschließende Transfer des Differenzwertes an ein Wirtschaftssubjekt mit niedrigerem Einkommen, letzterem einen größeren Nutzen stiftet, als es bei dem ersten
Wirtschaftssubjekt der Fall gewesen wäre, wäre sein Einkommen nicht gemindert
worden. Der Grenznutzen des ersten Wirtschaftssubjekts sinkt also in einem geringeren Maße, als der Nutzen des zweiten Wirtschaftssubjekts steigt. Durch eine
derartige Einkommensverteilung wird entsprechend der Gesamtnutzen erhöht, was
der Zielsetzung der Utilitaristen entspricht.96
Um nun die angestrebte Einkommensumverteilung gewährleisten zu können, stehen
dem Staat verschiedene Modellkonzeptionen zur Verfügung, wobei stets auch beachtet werden muss, den Wirtschaftssubjekten ausreichend Leistungsanreize zu
bieten. Wenn höheren Erträgen des Steuerzahlers eine entsprechend höhere Einkommensteuer oder aber verminderte Transferzahlungen gegenüberstehen, so kann
unter Umständen der Anreiz des Wirtschaftssubjektes sinken, hart zu arbeiten. Als
Folge sinkt dann das volkswirtschaftliche Gesamteinkommen der Gesellschaft und
somit der Gesamtnutzen. Damit der Anreiz zur Arbeit erhalten bleibt, ist davon Abstand zu nehmen, eine vollkommene Gleichheit der Einkommen zu schaffen.97
Gängige Möglichkeiten, in diesem Sinne zu verfahren, stellen die progressive Besteuerung des Einkommens, bei der einkommensstarke Haushalte einen höheren
Prozentsatz ihres Einkommens an Steuern zahlen als einkommensschwache Haushalte, sowie der Ausgleich durch Sozialleistungen dar. Die Anwendung einer
94
Vgl. [Mankiw 2001]; S. 465.
Vgl. [Gabler Wirtschaftslexikon 2000]; S. 3206.
96
Vgl. [Mankiw 2001]; S. 465.
97
Vgl. [Mankiw 2001]; S. 466.
95
32
2. Grundlagen und Herleitung
negativen Einkommensteuer berücksichtigt bei der Besteuerung besonders die einkommensschwächeren Haushalte in dem Sinne, dass das Existenzminimum nicht
nur von der Besteuerung befreit ist, sondern ebenfalls, dass bei Unterschreitungen
einer definierten Grenze die entsprechende Differenz durch staatliche Transferzahlungen ausgeglichen wird.98 Dieser sicherlich recht soziale Ansatz birgt allerdings
das Risiko, dass wiederum der Anreiz zur Arbeit nicht eben erhöht wird.
2.2.3 Der egalitäre Liberalismus
Der Philosoph John Rawls befasste sich ebenso wie die Vertreter des Utilitarismus
mit dem Problem der ungleichen Verteilung. In seinem 1971 veröffentlichtem Buch
„Eine Theorie der Gerechtigkeit“ stellte er seine Betrachtungsweise dieses Problems
dar, welche als egalitärer Liberalismus bezeichnet wird.
Da Rawls die Ansicht vertrat, dass gesetzliche Regelungen und politische Maßnahmen innerhalb einer Gesellschaft gerecht sein sollten, regte er an, den Begriff der
Gerechtigkeit zu überdenken.99 Davon ausgehend, dass ein jeder Standpunkt zu dieser Fragestellung von der persönlichen Situation des jeweiligen Mitgliedes der
Gesellschaft abhänge, kam er zu dem Schluss, dass bei der Verteilung des gesellschaftlichen
Vermögens
das
einkommensbezogen
schwächste
Mitglied
der
Gesellschaft als Richtgröße fungieren müsse.
„Es ist vielleicht zweckmäßig, aber nicht gerecht, dass einige weniger haben, damit
es anderen besser geht. Es ist aber nichts Ungerechtes an den größeren Vorteilen
weniger, falls es dadurch auch den nicht so Begünstigten besser geht.“100
Um seine These zu verdeutlichen, wies er darauf hin, dass es unbestimmbar sei, in
welches soziale Umfeld ein Mensch hineingeboren würde. Vereinfacht formuliert
animierte Rawls zu einem gedanklichen Rollentausch, der dazu führen sollte, dass
Maßnahmen verabschiedet würden, die auch ein Mensch als gerecht ansehen würde, der nicht an der einkommensbezogenen Spitze der Gesellschaft beheimatet
98
Vgl. [Mankiw 2001]; S. 472.
Vgl. [Rawls 1991]; S. 23 – 27.
100
Vgl. [Rawls 1991]; S. 32.
99
33
2. Grundlagen und Herleitung
ist.101 Da in dieser angenommenen Situation alle Individuen gleichgestellt wären,
könnten ohne Einwirkung gesellschaftlicher Einflüsse Grundsätze verabschiedet
werden, welche den Begriff der Gerechtigkeit im Sinne der Fairness interpretieren
würden, da diese hinter einem „Schleier des Nichtwissens“ festgelegt würden.102
Diese „Gerechtigkeit der Fairness“ fußt auf dem von Rawls als Urzustand bezeichneten und weiter oben dargestellten gedanklichen Rollentausch. Das Nutzenprinzip des
Utilitarismus wird von Rawls in Frage gestellt, da er einerseits den Menschen für wenig geneigt hält, die eigenen Grundrechte und Interessen stets hinter den Interessen
der Gesellschaft zurückzustellen103 und andererseits dem Utilitarismus vorwirft, die
Verschiedenheit der einzelnen Menschen nicht ernst zu nehmen.104 Darüber hinaus
vertritt er die Ansicht, dass die Unverletzlichkeit des Menschen auch nicht zum Wohle der ganzen Gesellschaft aufgehoben werden könne.105 Die Gestaltung staatlicher
Maßnahmen zielt also anders als im Utilitarismus nicht darauf ab, den Nutzen aller
Mitglieder einer Gesellschaft zu maximieren, sondern darauf, jenen der am schlechtesten gestellten Personen unter Gerechtigkeitsaspekten zu erhöhen.106
Rawls’ Ansatz des Maximin-Kriteriums beabsichtigte keine vollständige Gleichverteilung des Einkommens, da dies fast zwangsläufig den Arbeitsanreiz in Frage stellen
würde. In der Folge würde das Gesamteinkommen einer Volkswirtschaft merklich
sinken, was wiederum dazu führen würde, dass sich die Einkommenssituation der
am schlechtesten gestellten Menschen der Gesellschaft zusätzlich verschlechtern
würde. Die Rawlsche Wohlfahrtsfunktion als formale Darstellung des Rawlschen Maximin-Kriteriums steht also im direkten Gegensatz zur Darstellung des ParetoOptimums.107 Letzterer kam zu dem Schluss, dass es nicht möglich sei, ein Wirtschaftssubjekt besser zu stellen, ohne dass gleichzeitig ein anderes schlechter
gestellt würde.
101
Vgl. [Rawls 1991]; S. 28 – 29.
Vgl. [Rawls 1991]; S. 29.
103
Vgl. [Rawls 1991]; S. 31.
104
Vgl. [Rawls 1991]; S. 45.
105
Vgl. [Rawls 1991]; S. 19.
106
Vgl. [Mankiw 2001]; S. 467.
107
Vgl. [Gabler Volkswirtschaftslexikon 1997]; S. 910.
102
34
2. Grundlagen und Herleitung
2.2.4 Die Soziale Marktwirtschaft
Das System der Sozialen Marktwirtschaft, das Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts in
der Bundesrepublik Deutschland verwirklicht wurde, bedient sich verschiedener Elemente der liberalen sowie der utilitaristischen Wirtschaftstheorie. Sie erfüllt die
Forderung nach Gewährleistung einer funktionsfähigen Wettbewerbsordnung, ergänzt jedoch den staatlichen Wirkungsbereich um sozialpolitische Ziele. Im
Mittelpunkt stehen allerdings weniger die Verteilungsprobleme des vorhandenen
Vermögens als beispielsweise in der utilitaristischen Theorie.
Mit Hilfe einer sozialorientierten Ordnungspolitik sollen sozial unerwünschte Marktergebnisse vermieden oder beschränkt werden. Die Stabilität des privatwirtschaftlichen
Sektors wird nicht als prinzipiell gegeben angesehen und daher der jeweiligen Situation entsprechend durch die staatliche Konjunkturpolitik angeregt beziehungsweise
gedrosselt.108 Zentrales Anliegen der Sozialen Marktwirtschaft ist es, den Individualismus und das eigenverantwortliche Handeln der einzelnen Mitglieder der
Gesellschaft zu fördern, statt diese durch übermäßige Intervention zu hemmen oder
zu beschränken. Die Marktmechanismen bleiben vollständig erhalten und sollen so
zu Innovationsprozessen, technischem Fortschritt und einer leistungsgerechten Einkommensverteilung führen. Lediglich Ballungen von zu viel Marktmacht wird
entgegengewirkt. Weitere staatliche Aufgabenbereiche sind die aktive Arbeitsmarkt-,
Vermögens-, Wohnungsbau- und Bildungspolitik sowie die Gewährleistung einer sozialen Gestaltung der Unternehmensverfassung.109
Rechtlich fixiert wurden die staatlichen Aufgaben im Jahre 1967 in Form des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft. Demzufolge
haben rechtliche Regelungen von Bund und Ländern so getroffen zu werden, dass
diese zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand, zum außenwirtschaftlichen Gleichgewicht sowie einem stetigen und angemessenen
Wirtschaftswachstum beitragen.110 In der Literatur werden diese wirtschaftlichen
Zielsetzungen als „magisches Viereck“ bezeichnet, welches im Laufe der Jahre um
weitere Ziele erweitert wurde, beispielsweise um den Terminus der gerechten Ein108
Vgl. [Gabler Wirtschaftslexikon 2000]; S. 2800.
Vgl. [Gabler Wirtschaftslexikon 2000]; S. 2800.
110
Vgl. [Baßeler et al. 1995]; S. 34.
109
35
2. Grundlagen und Herleitung
kommensverteilung oder die Erhaltung einer lebenswerten Umwelt. Die Bezeichnung
des Zielsystems als „magisch“ dokumentiert hierbei die auftretenden Schwierigkeiten
beim Versuch die genannten Ziele gleichzeitig zu erreichen, insbesondere da einige
der Ziele in bestimmten wirtschaftlichen Situationen miteinander konkurrieren.111 Die
untenstehende Abbildung 6 soll dies verdeutlichen.
Abbildung 6: Das „magische“ Vieleck in der Bundesrepublik Deutschland
112
Als „Vater des Wirtschaftswunders und der Sozialen Marktwirtschaft“ gilt Ludwig Erhard, ehemaliger Wirtschaftsminister (1949 bis 1963) und Bundeskanzler (1963 bis
1966) der sich nach dem Zweiten Weltkrieg im Wiederaufbau befindlichen Bundesrepublik. Unterstützung bei der Entwicklung der Konzeption und deren späteren
Umsetzung erfuhr Erhard durch Alfred Müller-Armack.113
2.2.5 Reduktion des Sozialstaates
Die Auswirkungen der Globalisierung haben auch in der Bundesrepublik Deutschland
Spuren hinterlassen. Spätestens seit dem Zeitpunkt, als die Zahl der Erwerbslosen
Rekordhöhe erreichte, wurde die Frage nach der Bezahlbarkeit des Sozialstaates
111
Vgl. [Baßeler et al. 1995]; S. 35.
Eigene Darstellung in Anlehnung an [Baßeler et al. 1995]; S. 35.
113
Vgl. http://www.bmwi.de/BMWi/Navigation/Wirtschaft/Wirtschaftspolitik/soziale-marktwirtschaft.html
; Stand: 31.03.2006
112
36
2. Grundlagen und Herleitung
lauter - wobei diese bereits seit Jahrzehnten regelmäßig gestellt wurde. Zu Beginn
des neuen Jahrtausends nun wurde der Begriff der „Neuen Mitte“ geprägt und die
Agenda 2010 vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder auf den Weg gebracht. Der britische Premierminister Blair schlug einen ähnlichen innenpolitischen
Kurs ein. Die Folgen für die Bürger der Bundesrepublik Deutschland muten teilweise
zumindest fragwürdig an, wenn die Frage der sozialen Verträglichkeit diskutiert wird.
Umfangreiche Reformen der damalige Bundesregierung sollten dazu beitragen, die
Staatsausgaben zu reduzieren. Inhaltlich stellen diese Reformen Ziele dar, welche
bereits von vergangenen Regierungen angestrebt wurden. Im wesentlichen galt und
gilt es, zwei Ziele durchzusetzen, einerseits das System der Sozialversicherungen
durch Angleichung der Einnahmen und Ausgaben mittelfristig zu stabilisieren, andererseits
die
Arbeitnehmerschutzrechte
an
die
sich
ändernden
Wettbewerbsbedingungen anzupassen.114 Da in der Bundesrepublik Deutschland
das Sozialversicherungssystem an Lohnleistungen gekoppelt ist und im Gegensatz
zu Teilen des europäischen Auslandes wohl auch nicht angestrebt wird, dieses an
die Steuern zu knüpfen, waren und sind beide Ziele nur gemeinsam zu realisieren.
Das Hauptinteresse galt also damals wie heute dem Abbau der Arbeitslosigkeit mit
dem gleichzeitigen Ziel, die Arbeitslosenversicherung, Rentenversicherung sowie die
Gesetzliche Krankenversicherung zu konsolidieren.115
Verschiedene Einflussfaktoren sind für den Abbau von Sozialleistungen zur Erklärung heranzuziehen, der Begriff der Globalisierung ist hierbei lediglich einer von
mehreren.
Der Anstieg der Erwerbslosenzahlen schwächte die Arbeitslosenversicherung
erheblich. Ursächlich hierfür waren unter anderem die Entwicklung in den
neuen Bundesländern, deren Struktur wohl als erheblich stärker eingeschätzt
wurde, sowie die zunächst gewollten Frühverrentungen, die eigentlich zum
Ziel hatten, Beschäftigung zu fördern.116
Die Kostenexplosion im Gesundheitswesen, welche sich 1985 und dann noch
114
115
Vgl. [Berger 1999]; S. 235.
Vgl. [Berger 1999]; S. 236.
37
2. Grundlagen und Herleitung
einmal nach der Wiedervereinigung beschleunigte, ging voll zu Lasten der
Gesetzlichen Krankenversicherungen, welche nicht dafür ausgelegt waren,
diese Zusatzbelastung kompensieren zu können.117
Die Rentenversicherung krankt an der Überalterung der Gesellschaft mit noch
dramatischeren Folgen als in der Krankenversicherung. 1992 erfolgte eine
entsprechende Reform, die zur Folge hatte, dass die Rentenentwicklung sich
an der Entwicklung des Nettolohnes orientierte.118
Zusammengefasst kann also das zentrale Anliegen vergangener und gegenwärtiger
Regierungen so dargestellt werden, dass die Zahl der Beschäftigten in der Bundesrepublik mit Hilfe sozialpolitischer Maßnahmen erhöht werden soll, was in der Folge
für den Staat Einnahmen in Form von Beiträgen statt die Ausgabe von Leistungen
bedeuten würde. So wurden beispielsweise Eingriffe in den Bereich des Arbeitnehmerschutzes regelmäßig mit dem Argument der Gerechtigkeit der Arbeitsverteilung
legitimiert. Im Ergebnis wurden mit derartigen Maßnahmen allerdings vielfach negative Nebenwirkungen generiert, welche weitere Reformen nach sich zogen, um diese
auszugleichen. Exemplarisch ist an dieser Stelle anzuführen, dass die Reduzierungen in der Arbeitslosenversicherung Frauen im stärkeren Maße benachteiligten als
Männer. Kurzfristig konnte auf diese Weise eine Reduzierung der Rentenhöhe erreicht werden, allerdings waren die familienpolitischen Folgen eher kontraproduktiv,
wie letztlich an den aktuellen Bemühungen der Regierung abgelesen werden
kann.119
Bei der Betrachtung wirtschafts- und sozialpolitischer Maßnahmen im Zeitablauf entsteht der Eindruck, dass ein Großteil der angestrebten und durchgeführten
Maßnahmen den Charakter eines Flickwerkes kurzfristiger Steuerungserfolge haben.
Ein konkretes und nachhaltiges Konzept erschließt sich nicht zwingend. Reformen
und Programmen – sei es in der Familien-, Steuer- oder der Bildungspolitik – folgen
stets weitere Programme, welche die verursachten Schäden regulieren sollen.
116
Vgl. [Berger 1999]; S. 236.
Vgl. [Berger 1999]; S. 236.
118
Vgl. [Berger 1999]; S. 236.
119
Vgl. [Berger 1999]; S. 236.
117
38
2. Grundlagen und Herleitung
Die Gesellschaft kann verständlicherweise einen erheblichen Teil der staatlichen
Maßnahmen nicht nachvollziehen, was sicherlich auch in der Informationspolitik begründet liegt. Nichtsdestotrotz muss sie die jeweiligen verabschiedeten Maßnahmen
tragen, mit sämtlichen Konsequenzen, die daraus entstehen könnten. So wurde beispielsweise das Arbeitslosengeld gegenwärtig und zukünftig so knapp bemessen,
dass ein würdiges Leben erheblich beeinträchtigt wird. Auch die Frage der Bedürftigkeit ist problematisch. Jedwedes Kapital und jegliche Form von Besitz müssen
aufgebraucht werden, falls Erwerbslose staatliche Hilfe in Anspruch nehmen wollen
oder eben müssen. Der Bedürftige ist gezwungen, sich vollkommen in die Abhängigkeit des Staates zu begeben, somit bietet der Sozialstaat in sich ausreichend
Nährboden für unethisches Verhalten.
39
3. Ethik im Bereich der Wirtschaft
3. Ethik im Bereich der Wirtschaft
3.1 Das Spannungsfeld: Ethik vs. erwerbswirtschaftliches Prinzip
Oftmals wird der Begriff des Unternehmens mit dem des Betriebes gleichgestellt.
Dies ist nicht in vollem Umfang als korrekt anzusehen, da ein Unternehmen durchaus
mehre Betriebe umfassen kann.120 Nach Wöhe ist der Begriff der Unternehmung enger gefasst als der des Betriebes. Demnach kann jede Unternehmung als ein
Betrieb, nicht aber jeder Betrieb als eine Unternehmung verstanden werden.121
Unternehmen im wirtschaftswissenschaftlichen Sinne, also jenem einer produzierenden
Wirtschaftseinheit,
kombinieren
bei
der
Leistungserstellung
die
ihnen
zugänglichen Produktionsfaktoren. Allgemein erfolgt diese Kombination nach dem
Wirtschaftlichkeitsprinzip (ökonomisches Prinzip), wobei in Abhängigkeit von dem
Wirtschaftssystem, in welchem das Unternehmen agiert, die Zielsetzungen der Unternehmen unterschiedlich ausgeprägt sein können. So waren die Zielsetzungen der
Unternehmen in planwirtschaftlich organisierten Wirtschaftssystemen eher daran
ausgerichtet, ein bestimmtes Produktionssoll zu erfüllen, als jene, die in marktwirtschaftlichen
Systemen
beheimatet
waren
und
daher
schon
aus
reinem
Überlebenswillen bestrebt sein mußten, einen möglichst hohen Gewinn zu erzielen.
Unabhängig vom Wirtschaftssystem kommt aber das Wirtschaftlichkeitsprinzip zum
Tragen.122
Für Unternehmen, welche in einer Marktwirtschaft agieren, ist charakteristisch, dass
diese nach eigenem Ermessen, also nach dem Autonomieprinzip, ihren Wirtschaftsplan anhand der Kosten der Produktionsfaktoren bestimmen können. Als Triebfeder
der Unternehmen gilt das erwerbswirtschaftliche Prinzip. Dieses beinhaltet das Bestreben, ein Gewinnmaximum zu erzielen, welches durch die Leistungserstellung und
-verwertung generiert wird.123
120
Vgl. [Dietzfelbinger 2002]; S. 136.
Vgl. [Wöhe 2002]; S.6.
122
Vgl. [Wöhe 2002]; S.5.
123
Vgl. [Wöhe 2002]; S.6.
121
40
3. Ethik im Bereich der Wirtschaft
Die in Kapitel 2.2.4 dargestellten Funktionsweisen und Vorteile der Marktwirtschaft,
also die Gegebenheit des Privateigentums, die persönliche Freiheit bei der unternehmerischen Entscheidungsfindung, der freie Wettbewerb sowie der Zwang,
technischen Fortschritt zu nutzen, um konkurrenzfähig zu bleiben, weisen allerdings
auch bedenkliche Ansätze auf. Zweifellos ist unter dem Aspekt der Wohlstandssteigerung die Marktwirtschaft anderen Wirtschaftsordnungen überlegen, doch trägt
dieses System, welches sich in der Theorie selbst regulieren sollte, Tendenzen in
sich, welche der angestrebten Funktionsweise die Grundlage entziehen.
Die weltweit zu beobachtenden Konzentrationsvorgänge schränken den Wettbewerb - und so die damit theoretisch angestrebte Preisentwicklung erheblich ein. In verschiedenen Fällen wird der Preismechanismus als Regulativ der Marktwirtschaft vollkommen außer Funktion gesetzt124, wie das Beispiel
der Mineralölkonzerne verdeutlicht.
Auch trägt das System der Marktwirtschaft das negative Potenzial sozialer
Spannungen in sich, da die Diskrepanzen bezüglich des Einkommens durch
Arbeit und jenem aus Gewinnen eine sehr unterschiedlich ausgeprägte Vermögensbildung und -verteilung bewirken.125 Exemplarisch dafür können die
Managergehälter verschiedenster Großunternehmen, welche die Gehälter der
Arbeiter um ein vielfaches übersteigen, herangezogen werden.126
Angebot und Nachfrage unterliegen regelmäßig konjunkturellen Schwankungen, die in der Folge dazu führen, dass das System durch Preissteigerungen,
Inflationseffekte, Über- und Unterbeschäftigung und sozialen Probleme, die
der Massenarbeitslosigkeit entspringen, erschüttert wird.127
Zwar wird diesen Effekten in der sozialen Marktwirtschaft, wie sie in der Bundesrepublik praktiziert wird, mit Hilfe einer gesteuerten Konjunkturpolitik entgegengewirkt,
124
Vgl. [Wöhe 2002]; S.6.
Vgl. [Wöhe 2002]; S.6.
126
Nach einer Studie des „manager magazins“ verfügte beispielsweise der umstrittene Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann über ein Jahreseinkommen von 11,9 Millionen Euro im Jahre 2005,
was in einem krassen Missverhältnis zu den Gerechtigkeitsvorstellungen der Gesellschaft steht, da
der Zusammenhang zwischen Entlohnung und Leistung nicht zwingend erkennbar ist. (Vgl.
http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,422959,00.html, Stand : 26.06.2006.
127
Vgl. [Wöhe 2002]; S. 7.
125
41
3. Ethik im Bereich der Wirtschaft
vollständig zu eliminieren sind diese aller Wahrscheinlichkeit nach aber nicht. Erschwert wird die Aufgabe der Bundesregierung dadurch, dass eine Balance
zwischen der Überreglementierung der Wirtschaft, welche die unternehmerische
Freiheit der Unternehmen erheblich einschränken würde, und dem darwinistischen
Gedankengut, welches bei uneingeschränkter Anwendung seitens der Unternehmen,
mittelfristig dazu führen würde, dass die Bezeichnung „Soziale Marktwirtschaft“ ihrem
Namen nicht mehr gerecht werden könnte, gefunden werden muss.
In diesem System der Marktwirtschaft agieren unterschiedlichste Unternehmen, deren Bestreben darin liegt, unter den gegebenen Bedingungen der Knappheit mit
einem möglichst geringen Aufwand Gewinne zu erzielen. Demzufolge ist es aus
Sicht der Unternehmen nur natürlich, dass sie in erster Linie, wenn auch nicht ausschließlich, ihre eigenen ökonomischen Interessen vertreten.128
Der in der Literatur und vor allem in den Modellen der ökonomischen Theorie verwendete „homo oeconomicus„ ist als streng rational und ökonomisch handelnd
definiert.129 Er würde, um nach dem erwerbswirtschaftlichen Prinzip handeln zu können, alle sich ihm bietenden Wege beschreiten, um seine Ziele zu erreichen.
Demnach würde nach dem Verständnis des „homo oeconomicus“ jedes Mittel zur
Zielerreichung legitim sein, welches nicht ausdrücklich anderslautend reglementiert
ist. Der Vorwurf, die Ökonomik arbeite mit einem verkürzten Menschenbild, ist nicht
vollständig von der Hand zu weisen, verfehlt doch der „homo oeconomicus“ empirisch gesehen den wirklichen Menschen.130 Nicht zuletzt daran scheitern bisweilen
die ökonomischen Modelle, soweit es die Vorhersage menschlichen Verhaltens betrifft. Denn der für wissenschaftliche Zwecke geschaffene Modellmensch ist
keineswegs geneigt, stets zu maximieren, wo immer sich ihm die Gelegenheit dazu
bietet.131
128
Vgl. [Dietzfelbinger 2002]; S. 136.
Vgl. [Molitor 1989]; S. 67.
130
Vgl. [Homann/Blome-Drees 1992]; S. 92.
131
Vgl. [Homann/Blome-Drees 1992]; S. 94.
129
42
3. Ethik im Bereich der Wirtschaft
3.2 Das Unternehmen im System
Das heutige Wettbewerbsumfeld der Unternehmen ist geprägt von einer wachsenden
Dynamik, hochgradiger Komplexität und ausgesprochener Unsicherheit. Um die
eben erwähnten Effekte und Ausprägungen zu verdeutlichen, sollte eine isolierte Betrachtung des Managements beziehungsweise des Unternehmens vermieden
werden. Vielmehr sollte das Unternehmen als ein System interpretiert werden, welches in ständigem Austausch mit diversen Zwischen- und Umsystemen agiert.
Unternehmen sind umgeben und durchdrungen von einem Geflecht sozialer Bindungen und Institutionen, welche unterschiedliche Ansprüche an die Unternehmen
formulieren, die es beim unternehmerischen Handeln zu berücksichtigen gilt.
Im Mittelpunkt dieses systemtheoretischen Ansatzes steht das Konzept eines der
Umwelt gegenüber offenen Systems. Mit Hilfe der Systemtheorie wird versucht, Gesetzmäßigkeiten zu formulieren, welche das Verhalten von Systemen erklären. Im
Allgemeinen wird unter einem System eine geordnete Gesamtheit nicht weiter zerlegbarer
Elemente
mitsamt
der
zwischen
diesen
Elementen
existierenden
Beziehungen verstanden.132
Bei einer ganzheitlichen Betrachtung gliedert sich das Gesamtsystem in mehrere
vornehmend autonome Subsysteme auf. Innerhalb eines solchen Teilsystems bilden
die einzelnen Elemente die kleinste Einheit. Das Gesamtsystem des Unternehmens
wird von einer Grenze umschlossen, die das Insystem vom Umsystem, also der externen Umwelt, trennt. Der Begriff der externen Umwelt bezeichnet die Gesamtheit
physischer und sozialer Faktoren, die das Entscheidungsverhalten der Individuen in
den Unternehmen beeinflussen, obwohl sie außerhalb der Unternehmensgrenze angesiedelt sind. Der Zustand eines Systems wird durch die Austauschbeziehungen mit
anderen Systemen beeinflusst. Diese Austauschbeziehungen finden im so genannten Zwischensystem statt.133
132
133
Vgl. [Hentze et al. 2001]; S. 77.
Vgl. [Hentze et al. 2001]; S. 77.
43
3. Ethik im Bereich der Wirtschaft
Abbildung 7: Systembeziehungen
134
Mit zunehmendem Wandel und ebenso zunehmender Komplexität steigt zwangsläufig die Umweltunsicherheit. Als Konsequenz für das „System Unternehmen“ entsteht
ein erhöhter Analysebedarf der Unternehmen, um das Insystem mit seiner Vielzahl
von Subsystemen effizient den Umwelterfordernissen anzupassen. Die erhebliche
Dynamik der Veränderung erfordert von den Entscheidungsträgern einen hohen
Grad an Flexibilität und Übersicht.135 Zur Unterscheidung der in ständiger Wechselbeziehung befindlichen Systeme, werden nachfolgend die drei Ebenen des In-,
Zwischen- und Umsystems unterschieden und dargestellt.
134
135
Eigene Darstellung in Anlehnung an [Hentze et al. 2001]; S. 77.
Vgl. [Hentze et al. 2001]; S. 80.
44
3. Ethik im Bereich der Wirtschaft
Abbildung 8: Darstellung der Systemebenen
136
1) Das Insystem dieser Darstellung ist durch die Unternehmensfunktionen sowie
das betriebliche Zielsystem, die Organisationsstruktur, die in ihr agierenden
Personen, die angewandte Technologie sowie die Unternehmenskultur gekennzeichnet.
2) Das Zwischensystem ist geprägt durch externe Unternehmensteilnehmer,
welche in verschiedenen Ausprägungen Ansprüche an das Unternehmen richten. Zu nennen sind hier exemplarisch Kreditinstitute, Anteilseigner, Kunden
und Wettbewerber.
3) Bei den im Umsystem angesiedelten Elementen handelt es sich um solche,
die einen indirekten Einfluss auf das Unternehmen ausüben.
Als ökonomisches Umsystem bezeichnet man alle Faktoren des wirtschaftlichen Rahmens, in dem das Unternehmen agiert. Hervorzuheben sind hierbei
die Wirtschaftsordnung sowie die Konjunktur.
Das kulturelle oder auch sozio-kulturelle Umsystem umfasst die gesell136
Eigene Darstellung in Anlehnung an [Hentze et al. 2001]; S. 81.
45
3. Ethik im Bereich der Wirtschaft
schaftlichen Faktoren, welche sich in Form individueller Einstellungen, Werte
und Verhaltensweisen im Unternehmen niederschlagen.
Das technologische Umsystem definiert sich durch den Entwicklungsstand
der angewandten Produktions- beziehungsweise Informationstechnologie.
Die für ein Unternehmen bedeutenden rechtlichen Regelungen sowie ihre
Anwendung durch die verschiedenen Organe der Jurisdiktion stellen das
rechtliche Umsystem dar.
Die als ökologisches Umsystem zusammengefassten Faktoren beeinflussen
das Verhalten der Individuen in den Unternehmen indirekt. Zu nennen sind
hierbei geographische und klimatische Bedingungen sowie die Infrastruktur
des jeweiligen Standortes.
3.3 Wirtschaftsethik
Zur Erläuterung des Spannungsfeldes zwischen ökonomischem Handeln im Sinne
des erwerbswirtschaftlichen Prinzips und ethischem oder moralischem Handeln, ist
es erforderlich, die allgemein verwendeten Begrifflichkeiten näher zu untersuchen.
Hierzu wird die Definition des Gabler Wirtschaftslexikons herangezogen:
„Wirtschaftsethik befasst sich mit der Frage, wie moralische Normen und Ideale unter
den Bedingungen der modernen Wirtschaft zur Geltung gebracht werden können
(Implementationsproblematik). Neuere Ansätze erweitern den Begriff, indem sie entsprechend einem modernen Begriff von Ökonomik als allgemeiner Verhaltenstheorie
Wirtschaftsethik als ökonomische Theorie der Moral verstehen. Damit sind auch die
Begründung von Normen, zum Beispiel von Menschenrechten, und die ökonomischen Folgen moralischen Verhaltens Gegenstand von Wirtschaftsethik.“137
Die in der oben dargestellten Definition „neueren Ansätze“ der Wirtschaftsethik nehmen darauf Bezug, dass die strikte Trennung ökonomischer und ethischer Fragen,
welche unter dem Einfluss Max Webers zu Beginn des 20. Jahrhunderts stattfand,
137
Vgl. [Gabler Wirtschaftslexikon 2000]; S. 3510.
46
3. Ethik im Bereich der Wirtschaft
der Gegenwart nicht mehr entsprechen kann. Die Etablierung der philosophischen
Disziplin der Ethik als Theorie der Moral und die gleichzeitige Beschränkung der
Ökonomik als wissenschaftliche Disziplin, welche sich mit den Verteilungsproblemen
einer Gesellschaft beschäftigte, hatte zweifellos Erkenntnisgewinne in beiden Fachdisziplinen zur Folge, da sich die Ökonomik fortan darauf beschränken konnte, das
Wirtschaftsgeschehen zu beschreiben und daraus Aussagen über dieses abzuleiten,
während gesellschaftliche Werte als gegeben anzusehen waren. Diese quasi arbeitsteilige Betrachtungsweise des menschlichen Verhaltens ermöglichte es aber
schwerlich, Probleme im Gesamtkontext zu sehen.138
Die Wirtschaftsethik als selbständige Disziplin kann als ein Produkt zweier Muterdisziplinen - nämlich der Ökonomik und der Ethik - verstanden werden, welche sich
beide mit dem menschlichen Handeln befassen, dabei allerdings verschiedene
Blickwinkel für ihre Betrachtungsweise wählen. Während die Ökonomik die Probleme
analysiert, die sich bei eigennützigen Handlungen der Wirtschaftssubjekte im Hinblick auf Produktion und Verteilung einstellen, beschäftigt sich die Ethik mit der Frage,
welche der möglichen menschlichen Handlungen als legitim oder dem Zusammenleben zuträglich angesehen werden können. Dementsprechend beschäftigt sich die
Wirtschaftsethik mit der Frage, welches wirtschaftliche Handeln moralisch zu rechtfertigen ist und welches nicht.139
138
139
Vgl. [Noll 2002]; S. 33.
Vgl. [Noll 2002]; S. 33.
47
3. Ethik im Bereich der Wirtschaft
3.4 Unternehmensethik
Wie im Falle des Begriffs der Wirtschaftsethik geschehen, soll auch hierbei das Gabler Wirtschaftslexikon mit seiner Definition den Einstieg in die Thematik ermöglichen:
„Form der Ethik als Lehre von denjenigen idealen Normen für Unternehmen, die in
der Marktwirtschaft zu einem friedenstiftenden Gebrauch der unternehmerischen
Handlungsfreiheit anleiten sollen. Sie ist eine Verfahrenslehre für Dialogprozesse,
die dann angewendet werden sollen, wenn die ausschließliche Steuerung der konkreten Unternehmensaktivitäten nach den Regeln des Gewinnprinzips und des
geltenden Rechts zu konfliktträchtigen Auswirkungen mit den internen und externen
Bezugsgruppen des Unternehmens führt. Die in solchen Verständigungsprozessen
begründeten Normen sind von Unternehmen dann im Sinne einer Selbstverpflichtung
in Kraft zu setzen.“140
Gemeinhin wird vielfach argumentiert, eine Unternehmensethik als eigenständiger
Ansatz sei nicht erforderlich, da der Gesetzgeber den unternehmerischen Alltag reglementiert.
Nach
diesem Verständnis wäre
die
Unternehmensethik in die
Wirtschaftsethik eingebunden. Der Rahmen der Wirtschaftsethik wiederum wird
durch die Gesetzgebung gestaltet. Richtig an diesem ordnungspolitischen Ansatz ist,
dass keine Unternehmensethik entwickelt werden kann, welche der Wirtschaftsethik
– also den im jeweiligen Wirtschaftssystem vorherrschenden Wertvorstellungen –
entgegenwirkt. Voraussetzung hierfür ist, dass die in einer Wirtschaft anerkannten
Werte von der gesamten Gesellschaft mitgetragen werden.141
3.5 Ebenen der Ethik in der Wirtschaft
Aufgrund der Komplexität des Aufgabengebietes, welchem sich die Wirtschaftsethik
widmet, erscheint es zweckmäßig, die Ebenen zu unterscheiden, auf denen moralische Anliegen und Bedenken im Zusammenhang mit wirtschaftlichem Handeln zum
Tragen kommen. Die Wirtschaftsethik lässt sich in drei Ebenen untergliedern, welche
mit den Zwischen- und Umsystemen korrespondieren, in denen Unternehmen agieren. Die Untergliederung in Ordnungsethik, Unternehmensethik und Individualethik
140
141
Vgl. [Gabler Wirtschaftslexikon 2000]; S. 3162.
Vgl. [Dietzfelbinger 2002]; S. 179.
48
3. Ethik im Bereich der Wirtschaft
entspricht derjenigen in Makro-, Meso- und Mikroethik, wie sie beispielsweise bei
Dietzfelbinger142 und Enderle vorgenommen wird.143
Abbildung 9: Die drei Ebenen der Wirtschaftsethik
144
Die Ebene der Ordnungsethik (Makroebene) befasst sich mit der Wirtschaftsordnung und dem „richtigen“ oder „gerechten“ Wirken des Gesamtsystems.
Adressat der Ordnungsethik ist die Politik. Ihr fällt die Aufgabe zu, eine effiziente und gerechte Rahmenordnung zu gestalten, welche sich aus ethischen
Überlegungen rechtfertigen lässt.145
Im Zentrum der Unternehmensethik (Mesoebene) steht die Institution der Unternehmung. Hier geht es um die Gestaltung der unternehmensstrukturellen
und -kulturellen Bedingungen, die ein ethisch gerechtfertigtes Handeln ermöglichen.146 Eine Schlüsselrolle kommt hierbei der Unternehmensführungen zu,
die in organisatorischer wie personalpolitischer Sicht verantwortlich agieren
müssen, da nach Lenk/Maring Unternehmen als ein vertragliches Geflecht von
Individuen zu interpretieren sind und dementsprechend die Verantwortung für
das Handeln eines Unternehmens letztlich wieder auf natürliche Personen zu142
Vgl. [Dietzfelbinger 2002]; S. 180.
Vgl. [Noll 2002]; S. 35.
144
Eigene Darstellung in Anlehnung an: [Noll 2002]; S. 35.
145
Vgl. [Noll 2002]; S. 36.
146
Vgl. [Noll 2002]; S. 36.
143
49
3. Ethik im Bereich der Wirtschaft
rückgeführt werden muss.147
Die Individualethik (Mikroebene) umfasst die Fragen und die Pflichten des
einzelnen Individuums gegenüber sich selbst und dem jeweiligen Umfeld. Im
Unternehmen kommt diesen individualethischen Fragen im Zusammenhang
mit dem Führungsethos oder dem Ethos eines bestimmten Mitarbeiters eine
Bedeutung zu. Ebenso aber beispielsweise auf der Ebene des Kunden, des
Kapitalgebers oder des Arbeitnehmers.148
3.6 Wirkungsbereich der Unternehmensethik
Nachdem in den vorangegangenen Kapiteln die Begriffe der Wirtschaftsethik und der
Unternehmensethik ausführlich erläutert wurden, kann an dieser Stelle zusammenfassend formuliert werden, dass es sich bei der Unternehmensethik um einen
Teilbereich der Wirtschaftsethik handelt. Die Unternehmensethik bezieht sich auf die
Unternehmung im Sinne einer Organisation. Ihr Anliegen wird in der Frage ausgedrückt, wie moralische Normen und Ideale im Rahmen einer modernen Wirtschaft von
Unternehmen implementiert und angewandt werden können.149
Sowohl die Vergangenheit als auch die Gegenwart machen deutlich, dass die freie
Preisbildung am Markt keineswegs für alle Beteiligten als hinreichende Bedingung für
den gesellschaftlichen Frieden genügen kann. In den Fällen, in denen die ökonomischen Systeme nicht allein die friedliche Koordination wirtschaftlichen Handelns
bewerkstelligen können, müssen politische Verständigungsprozesse unterstützend
oder regulierend zum Tragen kommen.150 Die politischen Bemühungen betreffen dabei
in
der
Regel
sowohl
geeignete
rechtliche
Rahmenbedingungen
des
ökonomischen Handelns der Unternehmen, als auch die Beiträge des jeweiligen Managements in der Form, dass im Ergebnis die erfolgsorientierte ökonomische
Handlungsfreiheit und der rechtliche Handlungsraum deckungsgleich sind.151
147
Vgl. Lenk/Maring, in: [Blickle 1998]; S. 28.
Vgl. [Noll 2002]; S. 36.
149
Vgl. [Noll 2002]; S. 106.
150
Vgl. [Steinmann/Schreyögg 2000]; S. 95.
151
Vgl. [Steinmann/Schreyögg 2000]; S. 96.
148
50
3. Ethik im Bereich der Wirtschaft
3.6.1 Externe Restriktionen des Managements
Das Bürgerliche Recht baut auf der Annahme auf, dass Vertragsparteien, die miteinander in Beziehungen treten, als gleichberechtigt gelten. In der Praxis lässt sich
allerdings feststellen, dass diese beabsichtigte Gleichstellung in vielen Fällen der
Realität nicht gerecht werden kann. Bestimmte Interessengruppen wie beispielsweise Verbraucher oder Arbeitnehmer haben sich aufgrund ihrer Abhängigkeit von
Entscheidungen und vom Handeln der Unternehmen als besonders schützenswert
erwiesen.
3.6.1.1 Maßnahmen zum Schutz des Verbrauchers
Die Maßnahmen zum Schutz des Verbrauchers haben verschiedene Ansatzpunkte.
Darüber hinaus dienen sie nicht ausschließlich dem Schutze des Verbrauchers, sondern auch dem der Unternehmen. So soll zum Beispiel das Gesetz gegen
Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) die Funktionsfähigkeit des Marktes garantieren. Auf diesem Wege sollen neben den Konsumenten auch die Marktteilnehmer –
also die Unternehmen – vor Übervorteilung geschützt werden. Dem Management
werden gewisse Pflichten auferlegt, was in der Folge den Austauschprozess in der
Wirtschaft in der Form gestalten soll, dass die Möglichkeiten der Ausbeutung der
Marktparteien verhindert oder zumindest eingeschränkt werden.152
Zu nennen wären hier bspw.:
Das Recht der Produzentenhaftung, welches zum Schutze der Verbraucher
vor gefährlichen oder defekten Produkten beinhaltet, dass den produzierenden Unternehmen empfindliche Schadensersatzansprüche drohen, falls diese
bei der Konstruktion ihrer Produkte nachlässig verfahren oder den Benutzer
nicht über die möglichen Gefahren eines jeweiligen Produktes aufklären.153
Administrative Kontrollsysteme, welche vorbeugend dem Verbraucherschutz
dienen sollen. Unter den Begriff der administrativen Kontrollsysteme fallen das
Lebensmittel- und das Arzneimittelrecht sowie das Maschinenschutzgesetz
152
Vgl. [Steinmann/Schreyögg 2000]; S. 97.
51
3. Ethik im Bereich der Wirtschaft
von 1986, nach dem alle auf dem Markt vertriebenen Produkte bestimmten
DIN-Normen sowie den Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften genügen
müssen.
Letzteres
bezieht
sich
vornehmlich
auf
technische
154
Arbeitsmittel.
Im Gesetz über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB), die den täglichen
Wirtschaftsverkehr
zwischen
den
Wirtschaftssubjekten
erheblich
vereinfachen, da andernfalls im Rahmen der vorherrschenden Vertragsfreiheit
zumindest in der Theorie für jede Transaktion ein separater Kaufvertrag ausgehandelt werden müsste, ist verankert, dass der Kunde nicht „im
Kleingedruckten“ mit für ihn nachteiligen Vertragsinhalten überrascht werden
darf. Das Gesetz schließt bestimmte Klauseln aus den AGBs aus, die als unsittlich betrachtet werden.155
Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) verbietet gegen die guten Sitten verstoßende Wettbewerbshandlungen, wie beispielsweise die
Nachahmung fremder Leistungen, den Wettbewerber denunzierende Werbung oder das Abwerben fremder Arbeitskräfte.
3.6.1.2 Maßnahmen zum Schutz der Arbeitnehmer
Durch das Arbeitsrecht soll das beabsichtigte Gleichgewicht zwischen den Vertragspartnern – hier Arbeitgeber auf der einen und Arbeitnehmer auf der anderen Seite –
welches in der Praxis zumindest bezweifelt werden kann, zu Gunsten der Arbeitnehmerseite korrigiert werden. Das Ziel des Arbeitsrechts war in seiner
Entstehungszeit ein besserer Ausgleich der Interessen als Beitrag zum sozialen
Frieden. Im Bereich des Arbeitsrechts muss unterschieden werden zwischen kollektiven Arbeitsrecht, welches im Tarifvertragsrecht und dem Betriebsverfassungsgesetz
formuliert wird und dem Individualarbeitsrecht. Das Individualarbeitsrecht beinhaltet
unter anderem das Kündigungsschutzgesetz, das Bundesurlaubsgesetz oder das
Jugendarbeitsschutzgesetz.156
153
Vgl. [Steinmann/Schreyögg 2000]; S. 97.
Vgl. [Steinmann/Schreyögg 2000]; S. 97.
155
Vgl. [Steinmann/Schreyögg 2000]; S. 98.
156
Vgl. [Steinmann/Schreyögg 2000]; S. 98.
154
52
3. Ethik im Bereich der Wirtschaft
Gesetzliche sowie tarifliche Einschränkungen und Vorgaben regeln mittlerweile die
zentralen Bestandteile eines Arbeitsvertrages fast vollständig. Lohn, Arbeitszeit, Urlaubsanspruch und Kündigungsfristen werden quasi vorgegeben, hängen demnach
nicht mehr primär von der Übereinkunft der Vertragspartner ab, sondern vielmehr
vom Verhandlungsgeschick der Arbeitgeberverbände und den Gewerkschaften im
Rahmen der Tarifverhandlungen. Zusätzlich wird die Position des Arbeitnehmers
durch das Betriebsverfassungsgesetz gestärkt, welches den Vertretern der Arbeitnehmerseite - den Betriebsräten - Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte in
sozialen, personellen und wirtschaftlichen Fragen einräumt. Fraglich ist, ob die genannten Regelungen und Instanzen, welche dem Schutz der Arbeitnehmer dienen
sollen, nicht durch ihre Fülle die Unternehmen in ihrer Entscheidungsfreiheit und damit in ihrer Wettbewerbsfähigkeit hemmen.157
3.6.1.3 Maßnahmen zum Schutz der Kapitalgeber
Auch ihre wirtschaftliche Lage betreffend unterliegen einige Unternehmen einer Anzahl von Bestimmungen. Die Berichtspflicht orientiert sich an der Größe einer
Unternehmung, wobei der Begriff der Größe in diesem Zusammenhang anhand verschiedener Merkmale gemessen wird, nämlich der Bilanzsumme, der Umsatzerlöse
des Unternehmens sowie der Anzahl der Beschäftigten. Für jedes dieser drei Größenmerkmale sind gesetzlich Spannen fixiert, mit denen sich die Unternehmen
anhand der jeweiligen Gegebenheiten einordnen lassen, sobald mindestens zwei
dieser drei Kriterien erfüllt sind.158
Das Publizitätsgesetz gibt den Unternehmen vor, in welcher Form und in welchem
Umfang diese ihre wirtschaftliche Lage publik machen und dokumentieren müssen.
Rechnung trägt das Publizitätsgesetz hierbei dem Wandel, welchem Großunternehmen unterliegen. Neben den privaten Kapitalgebern sind die Manager nun auch der
breiten Öffentlichkeit gegenüber argumentationspflichtig, da deren Interesse an den
Großunternehmen mittlerweile anerkannt wurde. Auch das Bilanzrichtliniengesetz,
welches 1986 in Kraft trat, trägt dazu bei, dass die Handlungen eines Unternehmens
dem Interessierten übersichtlich und nachvollziehbar nahegebracht werden kann.159
157
Vgl. [Steinmann/Schreyögg 2000]; S. 98.
Vgl. [Steinmann/Schreyögg 2000]; S. 100.
159
Vgl. [Steinmann/Schreyögg 2000]; S. 101.
158
53
3. Ethik im Bereich der Wirtschaft
3.6.1.4 Maßnahmen zum Schutz der Umwelt
Umweltgüter wie Wasser, Landschaften, Luft und Pflanzen gelten als freie Güter. Als
solche haben sie keinen natürlichen Marktpreis oder vielmehr lediglich einen, der
sich nur langsam und nicht von selbst bildet. Über Jahrzehnte wurde dieser Tatsache
nicht all zuviel Bedeutung beigemessen – die Folgen dieses Verhaltens werden noch
zukünftige Generationen spüren. Da die am Wirtschaftsprozess beteiligten Unternehmen und Interessengruppen nicht durch das Marktgeschehen zum Umweltschutz
angehalten wurden, war es erforderlich, eine staatliche Umweltpolitik ins Leben zu
rufen.160 Allerdings ist zu bemerken, dass sich aufgrund der wachsenden Sensibilisierung der Bevölkerung für Umweltschäden und der Schädigung der Gesundheit
von Menschen und Tieren, die Anforderungen an die Unternehmen erhöht haben. Es
zeichnet sich ein Umdenken bei den Unternehmen in der Form ab, dass diese nicht
nur ihre Eigenschaft als Umweltverschmutzer erkennen, sondern darüber hinaus
aufgrund ihrer sozialen Verantwortung gegenüber Mitarbeitern und Kommunen dazu
übergehen, auch in ökologischen Fragen zunehmend Verantwortung zu übernehmen
und neue Wege im Sinne der nachhaltigen Erhaltung der Umwelt einschlagen. 161
Auch die Politik bedient sich einer Vielzahl an Instrumenten, mit denen Umweltpolitik
betrieben wird:
ordnungsrechtliche Gebote und Verbote,
wirtschaftliche Anreize in Form von Emissionsgutschriften oder Finanzierungshilfen für besonders umweltverträgliche Verfahrensweisen,
Absprachen und koordinierte Umweltplanung zwischen Staat und Wirtschaft.
Die aufgeführten Instrumente mündeten in eine Vielzahl von Verordnungen und Gesetzen, welche die zentralen Bereiche des Umweltschutzes im Sinne der
Nachhaltigkeit abdecken. Zu nennen sind hierbei beispielsweise das BundesImmissionsgesetz, das Wasserhaushaltsgesetz, das Pflanzenschutzgesetz, das
Chemikaliengesetz sowie das Abfallbeseitigungsgesetz.162
160
Vgl. [Steinmann/Schreyögg 2000]; S. 101.
Vgl. [Staehle 1991]; S. 578.
162
Vgl. [Steinmann/Schreyögg 2000]; S. 101.
161
54
3. Ethik im Bereich der Wirtschaft
3.6.2 Interne Restriktionen des Managements
Abgesehen von den externen Restriktionen nehmen darüber hinaus noch interne
Faktoren Einfluss auf betriebliche Entscheidungen. Besonders in großen Unternehmen, in dem Sinne, wie die Gesetzgebung die Größen definiert, kann bspw. durch
die Mitbestimmung erheblicher Einfluss ausgeübt werden. Im Wesentlichen sind die
Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) von
1972, dem Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) von 1976 und den jeweiligen Tarifverträgen
geregelt.
Ebenso
wie
das
Betriebsverfassungsgesetz
sind
die
Mitbestimmungsgesetze als ein Versuch zu verstehen, einen Interessenausgleich
zwischen Kapital und Arbeit zu gewährleisten, welcher abgekoppelt von Marktprozessen und dem erwerbswirtschaftlichen Prinzip zum Tragen kommt.163 Für
bestimmte Branchen wie beispielsweise den Bergbau und die Stahlindustrie gibt es
gesonderte Bestimmungen im Rahmen des Montan-Mitbestimmungsgesetzes von
1951.
Historisch gesehen wurde die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Betrieb nach dem
Ende des Zweiten Weltkrieges durch den damals starken Einfluss der Gewerkschaften erreicht. Ihren Ausgangspunkt fand sie in der Enteignung der Montanindustrie
(Bergbau, Eisen, Stahl) im Rhein- und Ruhrgebiet durch die britische Besatzungsmacht. Nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der Rückgabe der
Betriebe an die Alt- Eigentümer, erwirkten die Gewerkschaften die paritätische Besetzung der Aufsichtsräte aus Vertretern der Arbeitnehmern und den Anteilseignern.
In der Folge wurden im Jahre 1951 das Montan-Mitbestimmungsgesetz und im Jahre
1952 das Betriebsverfassungsgesetz verabschiedet. Letzteres übertrug die getroffenen Vereinbarungen auf jene Betriebe, welche nicht Teil der Montanindustrie waren.
Das Mitbestimmungsgesetz schließlich, welches im Jahre 1976 verabschiedet wurde, trug dem Ansteigen der Anzahl an Kapitalgesellschaften mit mehr als 2000
Beschäftigten Rechnung und stellt seitdem die Gesetzesform für diesen Bereich
dar.164
163
164
Vgl. [Steinmann/Schreyögg 2000]; S. 102.
Vgl. [Schneck 2000], S. 663.
55
3. Ethik im Bereich der Wirtschaft
3.6.2.1 Das Mitbestimmungsgesetz
Unter dem Begriff der Mitbestimmung versteht man die institutionelle Teilnahme der
Beschäftigten, vertreten durch die Betriebsräte, an den Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen in einem Unternehmen.165 Das Mitbestimmungsgesetz von
1976 regelt die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der Rechtsform der Kapitalgesellschaft mit mehr als 2000 Beschäftigten. Nach dem Mitbestimmungsgesetz soll
der Aufsichtsrat, der in einer solchen Gesellschaftsform als Kontrollorgan des Vorstandes fungiert, paritätisch besetzt werden, sich also aus einer gleichen Anzahl von
Arbeitnehmervertretern sowie Anteilseignern zusammensetzen. Um bei möglichen
Abstimmungen eine Entscheidung betreffend handlungsfähig zu bleiben, wird dem
Aufsichtsratsvorsitzenden einer zweite Stimme zuerkannt.166 Die Tatsache, dass der
Aufsichtsratsvorsitzende von Seiten der Anteilseigner gewählt wird, verdeutlicht allerdings,
dass
es
die
genannten
Gesetze
mit
Ausnahme
des
Montan-
Mitbestimmungsgesetzes effektiv bei einem unterparitätischen Einfluss der Arbeitnehmer belassen.167
3.6.2.2 Das Betriebsverfassungsgesetz
Das Betriebsverfassungsgesetz wurde im Jahre 1952 verabschiedet und im Jahre
1972 erweitert. Es regelt die Informations-, Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte
der Arbeitnehmer in privaten Betrieben mit mehr als fünf ständig Beschäftigten. Nach
dem Betriebsverfassungsgesetz stellt der Betriebsrat das Vertretungsorgan der Beschäftigten in derartigen Betrieben dar. Das Betriebsverfassungsgesetz sieht für die
Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten eine regelmäßige Drittelparität vor, ein Drittel der
Sitze ist also für die Arbeitnehmerseite vorgesehen.168 Die Möglichkeiten der Einflussnahme der Betriebsräte beinhalten nach dem Betriebsverfassungsgesetz
Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte bei den Entscheidungen des Arbeitgebers:
Die Mitwirkungsrechte umfassen verschiedene rechtlich abgesicherte Arten der
Einflussnahme von Arbeitnehmern auf betriebliche Entscheidungsprozesse und drü-
165
Vgl. [Olfert 2005]; S. 55.
Vgl. [Schneck 2000]; S. 663.
167
Vgl. [Steinmann/Schreyögg 2000]; S. 102.
168
Vgl. [Schneck 2000]; S. 130.
166
56
3. Ethik im Bereich der Wirtschaft
cken sich in Form von Informationsrecht, Vorschlagsrecht, Anhörungsrecht und
ragsrecht aus. Sie beinhalten Beratung und Mitsprache bei Entscheidungen des
Arbeitgebers, die endgültige Entscheidung liegt allerdings letztlich auf Seiten des Arbeitgebers, der seine Absichten gegebenenfalls auch gegen die Vorstellungen des
Betriebsrates durchsetzen kann.169
Die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates an Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen im Unternehmen unterscheiden sich von den Mitwirkungsrechten
insofern, dass dem Betriebsrat die Möglichkeit gegeben ist, den Entscheidungen des
Unternehmers zu widersprechen oder diese zu verhindern. Nach dem Betriebsverfassungsgesetz
beziehen
sich
diese
Mitbestimmungsrechte
auf
soziale,
arbeitsplatzbezogene, personelle sowie wirtschaftliche Angelegenheiten.170
Ein weiteres Mittel, mit dessen Hilfe nach dem Betriebsverfassungsgesetz dem Betriebsrat die Einflussnahme ermöglicht wird, stellen die Betriebsvereinbarungen dar,
welche der Betriebsrat in Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber in Form privatrechtlicher Verträge ausarbeiten kann. Mittels Betriebsvereinbarungen können individuelle
Vereinbarungen getroffen werden, die lediglich durch die Tarifverträge begrenzt werden.171
Abbildung 10: Unternehmensordnung und Mitbestimmung
172
169
Vgl. [Olfert 2005]; S. 54.
Vgl. [Olfert 2005]; S. 55.
171
Vgl. [Olfert 2005]; S. 56.
172
Eigene Darstellung in Anlehnung an [Steinmann/Schreyögg 2000]; S. 102.
170
57
3. Ethik im Bereich der Wirtschaft
3.6.3 Einzelwirtschaftliche Anwendung ethischer Grundsätze
Unabhängig von dem Handlungsrahmen, der den Unternehmen durch externe und
interne Restriktionen für ihre Entscheidungen zugestanden wird, sollten sich die Unternehmen ihrer verantwortungsvollen Rolle in der Gesellschaft bewusst sein und
unabhängig von gesetzlichen Rahmenbedingungen entsprechend handeln. Verfolgen die Unternehmen weiterhin innerhalb des gesetzlichen Rahmens ihre
unternehmerischen Ziele, und ist ihre Ausrichtung streng daran orientiert, so kann
regelmäßig beobachtet werden, dass nach dem Prinzip verfahren wird, dass „alles
erlaubt ist, was nicht verboten ist“. Steinmann/Löhr stellen in diesem Zusammenhang
die Frage in den Raum, ob in der gegebenen dezentralen Wirtschaftsordnung mit ihrem Prinzip der Gewinnorientierung noch andere Rationalitäten zur Geltung kommen
können oder ob diese sich der Gewinnmaximierung unterordnen müssen.173
In diesem Zusammenhang wird die Frage aufgeworfen, ob nicht eine dialogorientierte Unternehmensethik einer allgemeinen Wirtschaftsethik, die zwangsläufig in
gesetzliche Regelungen münden würde, vorzuziehen wäre, da diese die Handlungsfreiheit auf der einzelwirtschaftlichen Bezugsebene nicht in gleichem Maße
einschränken würde. Voraussetzung für eine effektive Unternehmensethik wäre nach
Steinmann/Löhr, dass nicht nur zufällig, sondern systematisch Handlungsspielräume
verfügbar sind oder verfügbar gemacht werden, die nicht bereits durch das Gewinnprinzip vollständig konditioniert sind.174
3.6.3.1 Selbstverpflichtung von Unternehmen
Unter Berücksichtigung der Unvollkommenheit der Wirtschaftsordnung, die wie weiter oben ausgeführt an Defiziten des Markt- und Preissystems leidet, sollten die
Unternehmensverantwortlichen die Schutzbedürftigkeit der unterschiedlichen Interessengruppen
wie
sie
Kapitaleigner,
Arbeitnehmer,
Verbraucher
und
die
Öffentlichkeit darstellen, erkennen und auf der Betrachtungsebene der Unternehmen
entgegenwirken.175 Die in den Unternehmen verantwortlichen Personen sollten ihre
Aufgabe weiter fassen. Die Gewinnmaximierung als betriebswirtschaftliches Oberziel
173
Vgl. [Steinmann/Löhr] 1991; S. 7.
Vgl. [Steinmann/Löhr] 1991; S. 7.
175
Vgl. [Steinmann/Schreyögg 2000]; S. 105.
174
58
3. Ethik im Bereich der Wirtschaft
ist nicht nur ungenügend, da es eine Vielzahl von Ergebnissen nach sich zieht, die
unter Umständen zum Nachteil einer oder mehrerer der genannten Interessengruppen nach sich ziehen könnte, auch ist es ökonomisch nicht korrekt ausgedrückt –
das Oberziel besteht stets in der Existenzsicherung.
Ein Anknüpfungspunkt für ethisches Handeln auf Unternehmensebene ist eben dieses Oberziel der Existenzsicherung. Ist die Existenz langfristig gesichert, so könnte
der nächste Schritt bezogen auf die Implementierung einer Unternehmensethik darin
bestehen, einen Interessenausgleich der genannten Gruppen zu berücksichtigen.
Den Kern für eine solche Vorgehensweise würden demnach ausreichende Gewinne
und nicht maximale Gewinne darstellen. Die Gewinne eines Unternehmens würden
also nicht mehr als Hauptziel, sondern als Mittel der Zielerreichung angesehen.176
176
Vgl. [Steinmann/Schreyögg 2000]; S. 105.
59
3. Ethik im Bereich der Wirtschaft
3.6.3.2 Formulierung von Handlungsvorschriften
Es wurden in der Vergangenheit verschiedene Versuche unternommen, den geforderten Moralkodex und die angestrebte interessenausgleichende Rolle der
Unternehmen durch Formulierung von rechtlich unverbindlichen ethischen und moralischen Standards konkreter zu formulieren. Exemplarisch sind hierbei das „Davoser
Manifest“ und die „OECD- Leitsätze“ zu nennen. Das „Davoser Manifest“ wurde am
Schlusstag des Dritten Europäischen Management-Symposiums im Jahre 1973 in
Davos verabschiedet und ist in Abbildung 11 dargestellt. Die „OECD- Leitsätze“ wurden 1976 vom Ministerrat der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung in Form von Verhaltensregeln für multinationale Unternehmen formuliert.177
Abbildung 11: Das Davoser Manifest
177
178
178
Vgl. [Staehle 1991]; S. 577.
Eigene Darstellung in Anlehnung an Europ. Management Forum 1973, in: [Staehle 1991]; S. 578.
60
3. Ethik im Bereich der Wirtschaft
Bedauerlicherweise haben die formulierten Normen, welche die Idee der gesellschaftlichen Verantwortung tragen sollen, aufgrund der Tatsache, dass diese nicht
sanktionsfähig sind, den Charakter ethischer und moralischer Appelle an ein Wohlverhalten, welches sich bei der Selbstbeschränkung des Managements im
Zusammenhang mit der Ausübung der gesellschaftlichen Rolle widerspiegeln soll. Es
steht also zu erwarten, dass die Befolgung nur so lange zu gewährleisten ist, wie sie
nicht mit den Interessen von beispielsweise den Kapitalgebern kollidiert. 179
Das Grundproblem der Anwendbarkeit der aufgeführten Handlungsnormen liegt darin
begründet, dass diese voraussetzt, dass das handelnde Management entweder eigenständig in der Lage ist, einzuschätzen und abzuwägen, was für die
unterschiedlichen Anspruchsgruppen gut oder akzeptabel ist.180 Dabei wird gleichzeitig die Frage aufgeworfen, wie sich Manager verhalten sollen, wenn konkurrierende
Zielsysteme die Entscheidungsfindung beeinflussen, das Handeln nach den Interessen der einen Gruppe also Nachteile für eine andere nach sich zieht. In diesem Falle
wäre das Management unter Umständen in der unkomfortablen Situation abwägen
zu müssen, gegen welche Interessen eher verstoßen werden kann, was aufgrund
der Subjektivität der Entscheidungsträger entweder vollkommen willkürlich oder im
Zusammenhang mit der Macht oder Ohnmacht der jeweiligen Anspruchsgruppe korrespondieren kann.
Möglich ist immerhin eine Lösung, die dialogorientiert ausgerichtet ist. So sollten
Entscheidungen, die mehrere Anspruchsgruppen betreffen, in einem gleichberechtigten Dialog getroffen werden. Die so geschaffene ethische Komponente würde dann
zur Folge haben, dass innerhalb eines Unternehmens Handlungsregeln entwickelt
werden, die im Sinne einer fixierten und verbindlichen Selbstbindung gemeinsam in
Kraft gesetzt würden, um die durch das wirtschaftliche Handeln entstehenden Konflikte friedlich zu regeln.181 Solche Verfahrensvorschriften können ihre Wirkung
allerdings lediglich dann entfalten, wenn diese zu situationsgerechten Handlungsaufforderungen führen.
179
Vgl. [Staehle 1991]; S. 579.
Vgl. [Steinmann/Schreyögg 2000]; S. 105.
181
Vgl. [Steinmann/Schreyögg 2000]; S. 106.
180
61
3. Ethik im Bereich der Wirtschaft
Abbildung 12: Ethisch-ökonomische Handlungsorientierung der Unternehmen
182
3.6.3.3 Die Entwicklung von Leitbildern
Abgesehen von der unternehmensinternen Schaffung von Verfahrensvorschriften zur
Haltung des Friedens und deren Befolgung, besteht für Unternehmen die Möglichkeit, diese der Umwelt gegenüber zu kommunizieren. Ein erheblicher Anteil der
Unternehmen bedienen sich bereits des Instruments der Unternehmensleitsätze. Sie
dienen dazu das Wertesystem eines Unternehmens zu beschreiben und zu kodifizieren.
Die
gesellschaftliche
Einbindung
des
Unternehmens,
das
Verantwortungsbewusstsein für die Gesellschaft und das Anliegen, diesem gerecht
zu werden, können sowohl internen wie auch externen Stakeholdern dargestellt werden.183
Die Leitbilder sind so unterschiedlich ausgestaltet, wie es auch die jeweiligen Unternehmen sein können. Sie unterscheiden sich sowohl in Aussehen, Inhalt, Umfang,
182
Eigene Darstellung in Anlehnung an: [Steinmann/Löhr 1994]; S. 122.
62
3. Ethik im Bereich der Wirtschaft
Anspruch und Detailliertheit. Während sich einige Unternehmen darauf beschränken,
einige wenige Grundprinzipien der unternehmenseigenen Philosophie darzustellen,
beziehen sich andere Unternehmen auf konkrete ethische Grundsätze. Die dargestellten Unternehmensleitsätze können auch den Charakter eines Regelkataloges der
„dos and don’ts“ aufweisen.184 In vielen Fällen werden die Leitsätze eines Unternehmens auch als eine Kombination ökonomischer Zielsetzungen und ethischer
Anliegen formuliert, so soll beispielsweise kommuniziert werden, dass ein Unternehmen die Marktführerschaft auf einem bestimmten Markt erringen will, dieses Ziel
allerdings nicht durch die Ausbeutung der dort heimischen Bevölkerung zu erreichen
trachtet.
Die Entwicklung eines Leitbildes ist als ein Prozess zu verstehen, in dem angestrebte
und gelebte Werte und Normen offengelegt und reflektiert werden müssen, soll sie
über den Marketingaspekt hinausgehen. Diktierte Verhaltensregeln können regelmäßig Widerstände nach sich ziehen, zumindest aber ist ihre Annahme aufgrund
subjektiver, davon abweichender Ansichten des Einzelnen erschwert. In der Regel
kommt in der Formulierung eine Wertebasis zum Ausdruck, da es aufgrund der Vielfalt der unterschiedlichen Ausprägungen der Moral, die sich automatisch aus der
Unterschiedlichkeit der Mitarbeiter, der Märkte und der Wirtschaftssysteme ergeben
können, kaum möglich erscheint, mehr als eben diese Basis im Zuge einer gemeinschaftlichen Entwicklung darzustellen.185 Unternehmensleitsätze haben grundsätzlich
folgende Funktionen:
Unternehmensleitsätze erfüllen eine Orientierungsfunktion, indem sie moralische Mindeststandards setzen und Verhaltenserwartungen formulieren.
Darüber hinaus sorgen sie hierarchieübergreifend für Transparenz – sowohl
183
Vgl. [Noll 2002]; S. 116.
Vgl. [Noll 2002]; S. 116.
185
Eine zwischen Oktober 2003 und Mai 2004 durchgeführte Studie von Susanne Blazejewski und
Wolfgang Dorow beschäftigte sich mit der Frage, worin in international tätigen Unternehmen die
tatsächlichen Probleme der Entwicklung und Implementierung einheitlicher Unternehmensleitbilder
begründet sind. Herangezogen wurden hierzu eine repräsentative Anzahl von 200 Managern verschiedenster Nationen, die in Großunternehmen unterschiedlichster Branchen international tätig
sind. Die Defizite bei der erfolgreichen Umsetzung lassen sich wie folgt zusammenfassen: Die Führungskräfte leben die gemeinsamen Grundwerte nicht vor; die Grundwerte werden als von der
Muttergesellschaft dominiert wahrgenommen und entsprechen darüber hinaus nicht den lokalen
Gepflogenheiten; eine Diskussion über Werteunterschiede findet nicht statt; eine systematische
Kontrolle der Einhaltung der Grundwerte ist nicht vorhanden; die Personalpolitik spiegelt die Unternehmenswerte nicht wider. (Vgl. [„Harvard Business manager“ 01/2006]; S. 37 – 46).
184
63
3. Ethik im Bereich der Wirtschaft
Mitarbeiter als auch Führungskräfte werden auf diese Weise mit der spezifischen Wertebasis konfrontiert. Da Unternehmensleitsätze naturgemäß zu
ethisch sensiblen Themen Stellung beziehen, wird den handelnden Personen
in nicht eindeutigen Situationen die Entscheidung erleichtert oder gar abgenommen. Im Normalfall stellen Unternehmensleitsätze keine konkreten
verbindlichen Handlungsanweisungen dar. Jedoch kann die Orientierung an
ihnen dazu führen, dass spontane und willkürliche Entscheidungen, die auf
subjektivem Empfinden beruhen, reduziert oder gar vermieden werden. Gerade bei international agierenden Unternehmen, in denen auch die Akteure aus
unterschiedlichen Ländern oder Kulturkreisen stammen, also unter Umständen über keinen gemeinsamen Wertehintergrund verfügen, erscheinen
Leitbilder zum Zwecke einer Orientierung an gesetzten Mindeststandards
sinnvoll.186
Unternehmensleitbildern der oben dargestellten Ausprägung kann eine Motivationsfunktion zuerkannt werden. Nutzt das betreffende Unternehmen sein
intern wie extern kommuniziertes Leitbild, um sich vom Wettbewerb zu abzuheben, so kommt dem Leitbild neben der handlungsgestaltenden Funktion
auch eine Funktion als identitätsgestaltendes Instrument zu. Es kann also bei
der Verfolgung unternehmerischer Ziele als Inspiration dienen, insbesondere
dann, wenn das Leitbild von den Mitarbeitern unterstützte Werte repräsentiert
und daher zur Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen und dessen
Handeln führt.187
Mit der Entwicklung eines Verhaltenskodexes kommunizieren Unternehmen
ihre Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung innerhalb der Gesellschaft. Gegenüber der Öffentlichkeit und den Mitarbeitern wird explizit zum
Ausdruck gebracht, dass das Unternehmen aktiv ist, sich selbst als moralischen Akteur versteht und auch als solcher wahrgenommen werden will. In
diesem Zusammenhang erfüllen Unternehmensleitbilder eine Legitimationsfunktion. Als positiver Nebenaspekt ist zu bemerken, dass unter Umständen
durch eine offen kommunizierte Selbstbindung verstärkter staatlicher Regulie186
187
Vgl. [Noll 2002]; S. 117.
Vgl. [Noll 2002]; S. 117.
64
3. Ethik im Bereich der Wirtschaft
rung vorgebeugt werden kann, da Häufungen nicht moralischen Handelns –
gerade, wenn diese medienwirksam aufbereitet werden – oftmals staatliche
Interventionen provozieren.188
Die Wirksamkeit von Unternehmensrichtlinien ist nur dann zu gewährleisten, wenn
diese im Konsens mit möglichst vielen der Anspruchsgruppen verabschiedet werden.
Andernfalls könnten Leitbilder als diktiert wahrgenommen werden, was im Ergebnis
dazu führen könnte, dass diese nicht von der Mehrzahl oder gar allen Mitarbeitern
mitgetragen würden. Außerdem sollten Unternehmensleitsätze klar und eindeutig
formuliert sein und sich mit den Themen beschäftigen, die tatsächlich zu Kontroversen führen könnten oder dies bereits getan haben. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist
die Ehrlichkeit und damit eng verknüpft die Durchführbarkeit der Orientierung an einem Leitbild. Die angestrebte Wirkung eines Leitbildes kann nur erreicht werden,
wenn die Versprechungen auch tatsächlich im Alltagsgeschäft eingehalten werden
können.189
Der mögliche Vorwurf, Unternehmensleitbilder seien zu abstrakt formuliert oder die
dort aufgeführten Aspekte der Unternehmenspolitik seien als selbstverständlich anzusehen, soll in Kapitel 4 noch ausführlicher aufgegriffen werden. Generell kann
dieser Vorwurf an dieser Stelle schon einmal so weit relativiert werden, dass ein
Ethik-Kodex den Mitarbeitern eine Entscheidungshilfe bieten soll, ohne die Entscheidungsfreiheit über Gebühr einzuschränken. Während ein eng gefasster Regelkatalog
dem „autoritätsgläubigen Mitarbeiter“ ein höheres Maß an Entscheidungssicherheit
vermitteln würde, könnte bei engagierten eigenständig agierenden Mitarbeitern ein
gegenteiliger Effekt auftreten. Im schlimmsten Fall, würde letzterer die Regelungen
als Bevormundung oder Einschränkung auffassen, was zu mehr Schaden als Nutzen
führen könnte.190
Die Kommunikation und die Befolgung ethischer Grundsätze kann zu einem erheblichen Imagegewinn des Unternehmens führen - frei nach dem Motto „Tue Gutes und
erzähle davon“. Allerdings kann sich der Erfolg bei Nichteinhaltung der selbstgesetzten Grenzen ins Gegenteil wandeln. Image- und Reputationsverluste könnten
188
189
Vgl. [Noll 2002]; S. 117.
Vgl. [Noll 2002]; S. 117.
65
3. Ethik im Bereich der Wirtschaft
folgen.191 Es liegt in der Natur des Menschen, dass er sich stets an die negativen
Schlagzeilen eines Unternehmens erinnert, weshalb die Unternehmen für die Einhaltung der aufgestellten Regeln Sorge tragen sollten. Im Falle der Nichteinhaltung gilt
es, die Verstöße zu sanktionieren, um die Ernsthaftigkeit und die Glaubwürdigkeit
des Unternehmens und seines Anliegens zu dokumentieren - vorzugsweise in ebenso medienwirksamer Form, wie die Berichterstattung bezüglich des Verstoßes.
3.6.3.4 Schaffung interner Institutionen
Um die Befolgung geeigneter und verabschiedeter Handlungsrichtlinien durchzusetzen oder aber diese zu unterstützen, kann die Einrichtung von unabhängigen
Instanzen eine adäquate Möglichkeit darstellen. Bei auftretenden Interessenkonflikten in einem Unternehmen könnten Ethikkommissionen, Verbraucherschutz- und
Umweltschutzbeauftragte als anrufbare Institutionen fungieren.192 Sinnvoll erscheint
dies insbesondere dann, wenn aufgrund der Größe, der Komplexität und der Anonymität eines Unternehmens das Verhalten der einzelnen Agierenden nicht mehr
überschaubar ist.
Diese formale Form der Ethik wird als Institutionenethik bezeichnet und beschränkt
das Verhalten über die Grenzen des Marktes und der Gesetzgebung hinaus. Dietzfelbinger definiert den Begriff der Institutionenethik wie folgt:
„Institutionenethik ist die Theorie der menschlichen Lebensführung, die sich auf das
Verhalten, die Entscheidungssituationen und die Güterabwägungen von überindividuellen Gruppen bezieht. Sie berücksichtigt zugleich, dass es sich bei den
überindividuellen Institutionen um Gebilde handelt, die ihrerseits wiederum aus Individuen bestehen und durch diese konstitutiv verankert sind.“193
Die oben genannte Definition verdeutlicht, dass auch die Individualethik keinesfalls
als irrelevant anzusehen ist, obwohl die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen durch
die Institutionenethik eingeschränkt werden kann. Nur ein ausgewogenes Zusam-
190
Vgl. [Noll 2002]; S. 117.
Vgl. [Noll 2002]; S. 118.
192
Vgl. [Steinmann/Schreyögg 2000]; S. 107.
193
Vgl. [Dietzfelbinger 2002]; S. 136.
191
66
3. Ethik im Bereich der Wirtschaft
menspiel von Individual- und Institutionenethik erscheint erfolgversprechend. Die
Aufgabe der Unternehmen und der weiter oben dargestellten Institutionen liegt darin,
einen moralischen Minimalkonsens unter den Beteiligten durchzusetzen und dessen
Einhaltung im Durchschnitt zu gewährleisten.194 Demzufolge werden moralische
Werte des Einzelnen nicht ausgeschlossen, sondern in der Konzeption der Institutionenethik in das System integriert.195
3.6.4 Individuelle Anwendung ethischer Grundsätze
Die Individualethik versucht mit Hilfe von Appellen an das Gewissen Einzelner moralische Intentionen im Wirtschaftsprozess durchzusetzen oder zu generieren. 196
Während die Individualethik die Handlungen der einzelnen Agierenden durch moralische Normen zu beeinflussen versucht, was unter Berücksichtigung der Präferenzen
erfolgversprechend erscheinen kann, ist deren Entscheidungsspielraum durch Restriktionen und das Wirtschaftssystem recht eingeschränkt. Im Gegensatz zur
Individualethik erfolgt die moralische Beurteilung des unternehmerischen Handelns
im institutionenethischen Ansatz nicht direkt, sondern indirekt, also in einem zweistufigen Vorgang, womit die Tatsache berücksichtigt wird, dass einzelne Handlungen
erst durch den sie umgebenden Ordnungsrahmen, in dem sie vollzogen werden, ihren Sinn erhalten.197
Der Ansatz der Individualethik baut auf den Handlungsmotiven des Einzelnen auf
(Tugendethik) und ist somit bei der Betrachtung komplexer wirtschaftlicher oder sozialer Problemstellungen nicht zwingend ein geeignetes Mittel, um in einem
weitläufigen System wie der Volkswirtschaft oder eines weltweit agierenden Konzerns die gewünschte Wirkung zu entfalten. Unter den Bedingungen der modernen
Wirtschaftssysteme treffen Unternehmen in der Regel auf Situationen, welche bedingen, dass das Ergebnis ihres Handelns nicht allein dadurch bestimmt wird, wie sich
der Einzelne oder das einzelne Unternehmen verhält. Vielmehr hängt das Handeln
von den Reaktionen der anderen Unternehmen ab. Appelle an die moralische Einstellung der Unternehmen können also unter Umständen systematisch ins Leere
194
Vgl. [Noll 2002]; S. 153.
Vgl. [Noll 2002], S. 154.
196
Vgl. [Homann/Blome-Drees 1992]; S. 119.
197
Vgl. [Homann/Blome-Drees 1992]; S. 119.
195
67
3. Ethik im Bereich der Wirtschaft
laufen, wenn berücksichtigt wird, dass das Handlungsergebnis eines Unternehmens
unter Wettbewerbsbedingungen nicht mehr zwingend von den eigenen moralischen
Vorstellungen bestimmt und kontrolliert wird.198
Unternehmen sind keine Personen. Unter Umständen handelt es sich zwar im rechtlichen Sinne um juristische Personen, letztlich aber nicht um Menschen. Daraus
folgt, dass Unternehmen nicht für ihr Handeln verantwortlich gemacht werden können. Stets sind es die Menschen, die es steuern, denen man unethisches Verhalten
vorwerfen kann. Vielleicht bietet sich an genau dieser Stelle ein Ansatzpunkt, der gegenwärtigen Situation entgegenzuwirken.
Wenn es gelingt, die in den Unternehmen handelnden Personen im ethischen Sinne
zu sensibilisieren, könnte ein erheblicher Beitrag zur Verbesserung der herrschenden
Moralvorstellungen erbracht werden. Wird das Stufenschema von Lawrence Kohlberg in diese Überlegungen mit einbezogen, so könnten sowohl die Ausbildung als
auch die Weiterbildung eine Schlüsselgröße zur gewünschten ethischen Sensibilisierung darstellen.199 Erfolgversprechend erscheint diese Überlegung freilich nur in dem
Fall, in dem die Strukturen eines Unternehmens den Inhalten von Aus- und Weiterbildung nicht entgegenwirken.200
Nach Lind belegen empirischen Studien die Annahme, dass beispielsweise die Lehrzeit die moralisch-kognitive Entwicklung eines Menschen beeinflusst. Der Einfluss ist
allerdings im Verhältnis zur stimulierenden Wirkung schulischer Allgemeinbildung
eher marginal. Zurückzuführen ist diese Tatsache auf die Vermittlung überwiegend
praktischer und handwerklicher Fertigkeiten während der Ausbildung. Würden nun
die Anstrengungen im Bereich der Allgemeinbildung und die Vermittlung praktischer
und handwerklicher Fertigkeiten parallelisiert und koordiniert, so wäre bei allen zukünftigen Teilnehmern am Wirtschaftsleben unter Umständen ein höheres Maß an
moralischer Urteilsfähigkeit und sozialer Verantwortungsbereitschaft zu erwarten.201
Die regelmäßige Übertragung einer solchen Methodik ethischer Bildungsanstrengun198
Vgl. [Homann/Blome-Drees 1992]; S. 119.
Vgl. hierzu Kapitel 2.1.5
200
Vgl. [Steinmann/Löhr 1994]; S. 170.
201
Vgl. [Steinmann/Löhr 1994]; S. 170.
199
68
3. Ethik im Bereich der Wirtschaft
gen auf die akademische Ausbildung späterer Führungskräfte sollte angestrebt
den. Erste Studien zu diesem Thema belegen der Grundtendenz nach durchaus
signifikante Veränderungen der Einstellung bei Studenten, welche an Kursen in „business ethics“ teilgenommen haben. Sicherlich stellt sich die Frage, ob der
geschilderte Einstellungswandel in betrieblichen Entscheidungssituationen bestehen
kann.202 Tatsächlich erscheint dieser Ansatz zur ganzheitlichen Ausbildung von Führungskräften erfolgversprechend, sofern er in einem integrativen Konzept umgesetzt
wird, in dem Ansätze der praktischen Philosophie intensiv mit betriebswirtschaftlichen Funktionallehren verzahnt werden. Das Ziel muss in diesem Zusammenhang
sein, dass für zukünftige Entscheidungsträger die ethische Reflexion ebenso selbstverständlich wird wie der Umgang mit Bilanzen.203
3.7 Shareholder-Value versus Stakeholder-Value
Vielerorts wird der Sinn einer Unternehmensethik in Frage gestellt. So sieht beispielsweise der amerikanische Nationalökonom und Nobelpreisträger Milton
Friedman die Gewinnmaximierung als die einzig legitime Forderung an die Unternehmen in einer Marktwirtschaft an. Weiterhin führt er aus, „(...) dass die verfügbaren
Mittel möglichst Gewinn bringend eingesetzt und Unternehmungen unter dem Gesichtspunkt der größtmöglichen Profitabilität geführt werden müssen (...)“204
Legitimiert wird dieses Verhalten der Unternehmen laut Friedman durch den Umstand, dass die Unternehmen durch den Wettbewerbsdruck gezwungen sind,
effizient zu produzieren und Gewinne zu erzielen. In der Frage der sozialen Verantwortung der Unternehmen verweist Friedman darauf, dass diesen keine andere
Verantwortung aufgebürdet werden könne, als die, für die Aktionäre möglichst viel
Gewinn zu erwirtschaften.205
202
Vgl. [Steinmann/Löhr 1994]; S. 175.
Der Wirtschaftsethiker Joseph L. Bardaracco bietet seinen Studenten an der Harvard Business
School seit einigen Jahren Kurse an, in denen über Belletristik diskutiert wird. Texte wie Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“ oder Sophokles’ „Antigone“ werden genutzt, um den rein
betriebswirtschaftlich geschulten Studenten abgerundete und komplexe Bilder von Führungspersonen verschiedenster Schichten und Disziplinen näher zu bringen. Die Vielfalt der
Herausforderungen, insbesondere psychologischer und emotionaler Art, mit denen die Romanpersönlichkeiten konfrontiert werden, sollen den Studenten helfen, Fragen der Führung, der
Entscheidungsfindung und moralischer Wertung besser zu verstehen und dieses Verständnis für
sich nutzbar zu machen. (Vgl. [„Harvard Business Manager; 05/2006], S. 95 - 103).
204
Vgl. [Friedman 2005]; S. 164.
205
Vgl. [Friedman 2005]; S. 165.
203
69
3. Ethik im Bereich der Wirtschaft
Im Mittelpunkt steht demnach nicht die Moralität. Vielmehr stellen Effektivität und Effizienz die entscheidenden Richtgrößen dar. Folgt man diesen Ausführungen, so
würde moralisches Handeln den Wettbewerbsmechanismus schwächen und die entscheidende Steuerungsgröße, nämlich den Preis, beeinträchtigen. Aus diesem
Blickwinkel wäre die Unternehmensethik nicht nur überflüssig, sondern auch als störend anzusehen.206
An diesem Punkt wird die Frage aufgeworfen, welchen Zielsetzungen eine Unternehmensführung verpflichtet sein sollte. Im Mittelpunkt der Diskussion stehen zwei
Ansätze, der Shareholder-Value und der Stakeholder-Value, deren Kerninhalte in der
untenstehenden Tabelle 1 dargestellt werden.
Shareholder-Ansatz
Denkansatz
theoretische
Basis
Zielfunktion
Realisation
Kritik/Gefahren
Stakeholder-Ansatz
Ein Unternehmen ist eine Koalition von
Interessengruppen
Vertragstheorie:
Koalitionstheorie:
Eigenkapital-Geber schließen einen
Kapitalgeber, Kunden, Arbeitnehmer,
Gesellschaftsvertrag
Management, Lieferanten, Kommune
bilden Koalition
Vertragspartner mit fixierten Vertragsversprechen
(Kontrakteinkommen)
Maximierung der Gewinne
komplexes Zielbündel:
angemessene Gewinne
hohe Löhne
Arbeitsplatzsicherheit
hohes Steueraufkommen
eher in den USA
eher in der BRD (Mitbestimmung- und
Aktiengesetz, Arbeitsrecht)
Überschätzung der Kontroverse
ungerecht, da Bevorzugung der
Politisierung der Unternehmen
Kapitalgeber?
Unternehmensrenditen stehen im globalen Wettbewerb
„A firm is a set of contracts“
Tabelle 1: Shareholder- Value versus Stakeholder- Value
207
Der Shareholder-Ansatz stellt das Unternehmen als Vertragsgefüge dar, dessen Basis die Vertragsfreiheit ist und die somit Institutionen des Privatrechts darstellen.
Kapitalgeber investieren in Haftungskapital und tragen für die Leitung der Geschäfte
Sorge. Basis dafür ist der Gesellschaftsvertrag. Die Arbeitnehmer, Lieferanten und
Kunden werden nach diesem Ansatz als Vertragspartner auf Zeit verstanden, die für
ihre Leistung mit einem in der Regel fixen Kontrakteinkommen entlohnt werden.
206
207
Vgl. [Noll 2002]; S. 88.
Eigene Darstellung in Anlehnung an [Noll 2002]; S. 89.
70
3. Ethik im Bereich der Wirtschaft
Eben darin liegt das Risiko des Unternehmertums. Stellen sich die Kosten meist
mehr oder weniger als fix dar, so sind die Umsätze variabel und nicht vollständig
prognostizierbar. Darüber hinaus liegt das Haftungsrisiko bei Kapitalverlust bei den
Eigenkapitalgebern. Der erwirtschaftete Überschuss ist als Gewinn der Unternehmer
anzusehen, weshalb das Streben nach einer Maximierung des Gewinns aus Unternehmersicht nachvollziehbar ist - nicht zuletzt, da dieser für die Existenzsicherung
maßgeblich ist.
Dies ist auch gleichzeitig der Hauptkritikpunkt für die Vertreter des StakeholderAnsatzes, welche den Shareholder-Ansatz als ungerechtfertigt oder unmoralisch ansehen, da dieser berechtigte Interessen nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt.
Nach der den Stakeholder-Ansatz prägenden Koalitionstheorie der Unternehmung
entspringt den Interessengruppen, die im Rahmen der Unternehmung eine Leistung
erbringen, ein dementsprechender Anspruch. Dem Management kommt im Rahmen
dieser Koalition die Aufgabe zu, die Rolle des Moderators zu übernehmen, welcher
die Ansprüche der unterschiedlichen Anspruchsgruppen, deren Anzahl noch über die
in der Tabelle 1 dargestellten hinausgeht, zum Ausdruck zu bringen und weitestgehend zu befriedigen hat, auch wenn diese weit auseinanderfallen oder sich gar
widersprechen.
Die Zielfunktion eines solchen, nach der Koalitionstheorie ausgerichteten Unternehmens ist im Hinblick auf den Unternehmensgewinn weniger klar formulierbar als beim
Shareholder-Ansatz. Der Stakeholder-Ansatz zeichnet sich durch eine multidimensionale Zielfunktion - eben ein Zielbündel - aus, welches im Sinne der
Verteilungsgerechtigkeit unter Beteiligung der Betroffenen verabschiedet wird. Das
Streben nach Gewinn ist in dieser Konstellation kein Primärziel mehr, vielmehr kann
es als ein legitimes Interesse neben anderen angesehen werden, wie beispielsweise
das Ziel der langfristigen Arbeitsplatzsicherheit oder dem eines hohen Lohnniveaus.208
208
Vgl. [Noll 2002]; S. 91.
71
4. Unternehmensberatungen
4. Unternehmensberatungen
Das folgende vierte Kapitel beschäftigt sich mit dem Bereich der Unternehmensberatungen. Einleitend sollen in knapper Form einige Besonderheiten dieser Branche
dargestellt werden, da diese als ursächlich dafür anzusehen sind, dass die Unternehmensberatungen eine hohe Affinität zu ethischen Normen aufweisen.
4.1 Der Begriff der Unternehmensberatung
Eine einheitliche Definition des Begriffs der Unternehmensberatung ist in der Literatur nicht zu finden. Die meisten Definitionen haben eher den Charakter einer
Tätigkeitsbeschreibung. Überspitzt formuliert würde also der Begriff der Unternehmensberatungen durch den Tätigkeitsbereich des Unternehmensberaters definiert
werden. Auffallend ist, dass die Begriffsdefinition entweder sehr ausführlich anhand
der anfallenden Tätigkeiten gehalten ist, oder aber so formal gestaltet ist, dass sie
auch für andere beratende Berufe wie Rechtsanwälte Gültigkeit besitzen könnte. 209
Niedereichholz definiert den Begriff der Unternehmensberatung wie folgt:
„Unternehmensberatung wird definiert als höherwertige, persönliche Dienstleistung,
die durch eine oder mehrere unabhängige und qualifizierte Person(en) erbracht wird.
Sie hat zum Inhalt, Probleme zu identifizieren, zu definieren und zu analysieren, welche die Kultur, Strategien, Organisation, Prozesse, Verfahren und Methoden des
Unternehmens des Auftraggebers betreffen. Es sind Problemlösungen (Sollkonzepte) zu erarbeiten, zu planen und im Unternehmen umzusetzen. Dabei bringt der
Berater seine branchenübergreifende Erfahrung und sein Expertenwissen ein.“210
Die dargestellte Definition gibt Aufschluss über den Tätigkeitsbereich der Unternehmensberater. Darüber hinaus wird offenbar, dass der Hauptteil, der von
Unternehmensberatern zu leistenden Arbeit im Unternehmen des Klienten stattfindet.
Unterstrichen wird diese Schlussfolgerung durch eine weitere Definition von Hoffmann:
209
210
Vgl. [Zimmermann 1994]; S. 15.
Vgl. [Niedereichholz 2001]; S. 1.
72
4. Unternehmensberatungen
„Unter Unternehmensberatung verstehen wir eine von einem unabhängigen, eigenverantwortlichen, professionellen Berater individuell für die Klientenorganisation
marktmäßig erbrachte Dienstleistung, welche darauf ausgerichtet ist, in einem interaktiven Prozess gemeinsam mit dem Klienten ein Lösungskonzept für eine komplexe
betriebswirtschaftliche Problemstellung zu erarbeiten und auf Wunsch auch dessen
Implementierung zu unterstützen.“211
Der in obiger Definition als interaktiver Prozess formulierte Beratungsvorgang findet
also nicht nur innerhalb der Klientenorganisation statt, sondern auch und vor allem
im Zusammenspiel mit dem Klienten, worauf in Kapitel 4.5 noch ausführlicher eingegangen wird. In aller Regel werden die Analyse des Problems und die Erarbeitung
von Problemlösungen im Rahmen des Projektmanagements durchgeführt. Die Arbeit
im Projekt ermöglicht es dem Berater, sich in relativ kurzer Zeit in die Besonderheiten
des Unternehmens des Klienten einzuarbeiten.
4.2 Projektmanagement als Instrument
Mit Hilfe des Instruments des Projektmanagements, kann und soll die Erreichung eines oder mehrerer Ziele sichergestellt werden. Für die Erreichung dieser
vereinbarten Projektziele ist eine Projektorganisation und Projektlenkung zur Planung, Steuerung und Kontrolle aller Projektaktivitäten notwendig. Die Projektleitung
benötigt folglich Instrumente und Methoden zur Projektlenkung und -organisation.
Diese Instrumente und Methoden lassen sich in Aufgaben und Funktionen des Projektmanagements
und
weiter
als
unterschiedliche
allgemeingültige
Managementfunktionen und Managementmethoden beschreiben, die in einer logischen und vor allem praktikablen Folge anzuwenden sind. Um einen erfolgreichen
Abschluss von Projekten gewährleisten zu können, kommt zu den Instrumenten und
Methoden der Projektleitung, das im Projektteam und im gesamten Projektumfeld
herrschende Klima, als ein sehr wichtiger Punkt hinzu.212
211
212
Vgl. [Nestmann et al. 2004]; S. 195.
Vgl. [Litke 1995]; S. 24.
73
4. Unternehmensberatungen
Projektmanagement- Aufgaben
Projektmanagement- Teilaufgaben
Projektplanung
Projektdefinition (Ziele, Aufgaben)
Umfeldanalyse und Planung der Umfeldbeziehungen
Aufgabengliederung
Gestaltung der Arbeitsaufträge
Qualitätsplanung
Terminplanung
Ressourcenplanung
Kostenplanung
Finanzplanung
Projektorganisation
Rollendefinition
Kompetenz- und Verantwortungsverteilung
Gestaltung und Kommunikation im Projektteam und mit
dem Projektumfeld
Schnitt- bzw. Nahtstellenmanagement
Gestaltung von Werten, Normen, Regeln (Projektkultur)
Projektteamführung
Mitarbeiterauswahl
Förderung der Zielklarheit und Zieltransparenz
Förderung und Entwicklung der Teammitglieder
Förderung der Zusammenarbeit von Teammitgliedern
(Motivation, Coaching, Konfliktbehandlung)
Förderung der Arbeitsbedingungen
Teamauflösung
Projektcontrolling
integrierte Überwachung
Maßnahmenplanung zur Steuerung von: Qualität, Terminen, Ressourcen, Kosten, Finanzmitteln
Verfolgung der Entwicklung kritischer Erfolgsfaktorten
Tabelle 2: Projektmanagement- Aufgaben
213
Die obenstehende Tabelle 2 stellt zusammenfassend die Komplexität der Projektmanagement-Aufgaben und der daraus abgeleiteten Projektmanagement-Teilaufgaben
dar, wobei diese Thematik an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden soll.
4.3 Anforderungen an Unternehmensberater
Der Klient erwartet von einem Unternehmensberater eine Problemlösung, die individuell auf den Klienten und sein Unternehmen zugeschnitten ist. Die Erarbeitung der
Problemlösung und deren Umsetzung finden in einer konstruktiven Kooperation von
Klient und Berater statt, das heißt, der Berater muss seine soziale Kompetenz dazu
einsetzen, den Klienten dazu zu bewegen, gestaltend am Entwicklungsprozess teilzuhaben.
213
Eigene Darstellung in Anlehnung an [Patzak/Rattay 1995]; S.17.
74
4. Unternehmensberatungen
Oftmals können auch standardisierte Vorgehensweisen verwendet werden. Die Möglichkeit des Einsatzes solch standardisierter Beratungsprodukte ist natürlich in
hohem Maße abhängig von der Problemstellung des Klienten. In jedem Falle aber ist
es erforderlich, die standardisierten Beratungsprodukte dem Unternehmen des Klienten möglichst exakt anzupassen. Zum einen erleichtert eine exakte Anpassung die
Erarbeitung von Lösungsvorschlägen, zum anderen wird dem Anspruch des Klienten, welcher in der Regel eine maßgeschneiderte und innovative Lösung erwartet,
Genüge getan.214 Auch bei sehr ähnlich gestalteten oder gar identischen Beratungsaufträgen, bei denen es sich aus Gründen der Wirtschaftlichkeit anbietet, auf
standardisierte Methoden zurückzugreifen, werden diese spätestens bei dem Ergebnis der Untersuchung und der Umsetzung individualisiert. Ein Widerspruch zwischen
standardisierten Beratungsprodukten und der individuellen Beraterdienstleistung
existiert demnach nicht.215
Es liegt nicht im Interesse des Unternehmensberaters, dem Klienten Entscheidungskompetenzen oder Verantwortung abzunehmen. Sein Wirken beschränkt sich auf die
Unterstützung bei der Entscheidungsfindung und eine Hilfestellung bei der Umsetzung der erarbeiteten Problemlösungskonzepte. Allgemein wird seitens der Berater
angestrebt, den Klienten möglichst zügig dazu in die Lage zu versetzen, ohne weitere Hilfe des Beraters, die Lösungskonzepte umzusetzen.216
Berater werden bei unterschiedlichsten Projekten eingesetzt, die zeitlich begrenzt
und mit einer klaren Ergebnisorientierung verbunden sind. Zusammen mit dem Klienten wird zuerst die Situation in dessen Unternehmen analysiert (Ist-Analyse), um
anschließend die spezifischen Problemfelder herausarbeiten zu können. In der Folge
gilt es dann, Lösungen (Soll-Konzepte) zu konzipieren und umzusetzen.217 Kompetenzen in einem oder mehreren Fachgebieten, also Fachkompetenz, entweder in
Bezug auf eine bestimmte betriebswirtschaftliche oder naturwissenschaftliche Disziplin oder ausgeprägte Branchenkenntnisse ergeben das Profil, das erfolgreiche
Berater auszeichnet. Darüber hinaus sind Sozialkompetenz und Führungskompetenz
entscheidend. Die nachstehende Tabelle 3 soll einen Überblick über die Ausprägungen des Begriffs der sozialen Kompetenz eines Beraters vermitteln.
214
Vgl. [Niedereichholz 2001]; S. 3.
Vgl. [Niedereichholz 2001]; S. 3.
216
Vgl. [Niedereichholz 2001]; S. 3.
217
Vgl. [Block 2002]; S. 43.
215
75
4. Unternehmensberatungen
Grundfaktoren
Erläuterung der Grundfaktoren
Motivation
Der Unternehmensberater muss die Mitarbeiter, mit denen er es im Unternehmen zu tun hat, bezogen auf die Erarbeitung der Maßnahmen
motivieren können.
Teamfähigkeit
Der Unternehmensberater muss mit den ihm zugeteilten Mitarbeitern
des Klienten und denen, die ihn bei seiner Beratungstätigkeit seitens
des beratenden Unternehmens zur Seite stehen, ein funktionierendes
Team bilden.
Kommunikationsverhalten
Der Unternehmensberater muss neben den Fähigkeiten, richtig erklären, darstellen und überzeugen zu können auch über die Fähigkeit
verfügen zuhören zu können. Die verbale Kommunikation muss mit der
nonverbalen, also der Körpersprache übereinstimmen.
Kritikfähigkeit
Der Unternehmensberater muss sich möglicher Kritik stellen und mit ihr
umzugehen wissen. Vorgebrachte Kritik muss er entweder annehmen
und berücksichtigen oder aber auf einer sachlichen, niemals auf einer
emotionalen Ebene entkräften können.
Erscheinung
Der Unternehmensberater muss stets Offenheit bei Diskussionen und
in seinem Auftreten demonstrieren. Ebenso wichtig ist die Verlässlich218
keit und das zielgerichtete Auftreten.
Adaption
Der Unternehmensberater sollte in Abhängigkeit von der Art des Beratungsprojektes, über ein gewisses Maß an Empathie verfügen, also
über die Fähigkeit verfügen, sich in die Lage des Klienten hineinzuversetzen.
Flexibilität
Der Unternehmensberater sollte seine stetige Lernbereitschaft demonstrieren und sich darüber hinaus auf die verschiedensten
Ausprägungen menschlichen Verhaltens einstellen können.
Fachwissen
Bringt der Unternehmensberater seine fachliche Kompetenz in das Unternehmen des Klienten ein, so sollte er es vermeiden, dies in einem
Schüler- Lehrer- Verhältnis zu tun, da die Arbeit im Klientenunternehmen Hand in Hand und auf gleicher Höhe mit dem Management des
Unternehmens erfolgt. Die Art der Vermittlung des Fachwissens ist ab219
hängig von der Rolle des Beraters.
Soziales Verhalten
Der Unternehmensberater hat bei der Erarbeitung von Maßnahmen
darauf zu achten, dass diese im Rahen der Zielvorgabe sozialverträglich sind. Hierin kann erhebliche Konfliktpotenzial liegen, da
beispielsweise ein Projekt, das der Kostenminimierung dient, zur Folge
haben kann, dass Freisetzungsmaßnahmen im Klientenunternehmen
ergriffen werden.
Tabelle 3: Die soziale Kompetenz des Unternehmensberaters
220
4.4 Besonderheiten des „Produktes“ Unternehmensberatung
Die Besonderheit des Produktes „Unternehmensberatung“ liegt unter anderem in
seiner Natur als Dienstleistung begründet. Als solche wird sie in Abgrenzung zu den
materiellen Gütern der Warenproduktion als immaterielles Gut betrachtet, für die eine
Gleichzeitigkeit von Produktion und Verbrauch ein charakteristisches Merkmal ist.
218
219
Vgl. [Block 2002]; S. 59 - 62.
Vgl. [Block 2002]; S. 38 - 44.
76
4. Unternehmensberatungen
Den wesentlichen Inhalt einer Dienstleistung macht die unmittelbare und überwiegend auch personengebundene Arbeitsleistung des Produzenten aus. 221 Die
Produktion einer Dienstleistung setzt immer eine Integration des externen Faktors
voraus.
Was allgemeine Gültigkeit in Bezug auf Dienstleistungen wie beispielsweise Finanzdienstleistungen besitzt, gilt für die Dienstleistung von Unternehmensberatungen im
Besonderen. Was weiter oben als Integration des externen Faktors bezeichnet wurde, bringt zum Ausdruck, dass das Gut Unternehmensberatung oder die angestrebte
Problemlösung als Resultat eines Beratungsprozesses erst in der Kooperation von
Anbieter (dem Berater) und Abnehmer (dem Klienten) entsteht. Bei Vertragsabschluss erwirbt das Klientenunternehmen präzise formuliert nicht die Dienstleitung
selbst, sondern ein Leistungsversprechen, da das Gut Unternehmensberatung nicht
ex ante wahrzunehmen und zu beurteilen ist.222
Vor Vertragsabschluss und während der Beratungsdurchführung lässt sich demnach
eine Intransparenz aus der Perspektive des Klienten feststellen. Nimmt man einen
Perspektivwechsel vor, so kann auch von einer wechselseitigen Intransparenz gesprochen
werden,
da
das
Klientenunternehmen
zum
Zeitpunkt
des
Vertragsabschlusses bezüglich der Problemsituation ebenfalls über einen Informationsvorsprung verfügt, den der Unternehmensberater innerhalb kürzester Zeit
ausgleichen muss.223
Diese zwischen dem Klientenunternehmen und dem Beratungsunternehmen vorherrschende
asymmetrische
Informationsverteilung
stellt
bereits
vor
einem
möglichen Vertragsabschluss ein zentrales Problem dar und erfordert umfangreiche
Maßnahmen des Marketingbereichs der Unternehmensberatung. Das Beratungsunternehmen muss bereit vor Vertragsabschluss dem potenziellen Klienten vermitteln,
dass es über die geeigneten Kompetenzen zur Lösung des konkreten Problems verfügt, ohne dabei allerdings zu viel zu offenbaren, da dies als negative Konsequenz
zur Folge haben könnte, dass sich das Klientenunternehmen dieses Wissen zu Nut220
Eigene Darstellung in Anlehnung an [Zimmermann 1994]; S.25 f.
Vgl. [Gabler Wirtschaftslexikon 2000]; S. 725.
222
Vgl. [Nestmann et al. 2004]; S. 197.
223
Vgl. [Nestmann et al. 2004]; S. 198.
221
77
4. Unternehmensberatungen
ze machen könnte, ohne ein Vertragsverhältnis mit dem Beratungsunternehmen
zugehen.224 Gleichzeitig muss das potenzielle Klientenunternehmen dazu gebracht
werden, das Beratungsunternehmen insoweit mit Informationen zu versorgen, dass
Anreize gesetzt werden können, den Beratungsauftrag zu vergeben.
Ausgemachte Vertrauenseigenschaften spielen demnach aus Sicht der potenziellen
Klienten eine entscheidende Rolle. An dieser Stelle ist der Ansatzpunkt für das Marketing der Unternehmensberatung zu finden. Referenzen und Reputation müssen
von den beratenden Unternehmen als zentrale Ressource bei der Akquisition von
Klienten genutzt werden, welche wiederum von erfolgreich realisierten Projekten und
somit von der Kooperation von ehemaligen Klienten abhängen.225
4.5 Stellenwert der Ethik für Unternehmensberatungen
Ethisches Verhalten ist für einen Berater von entscheidender Bedeutung. Dies lässt
sich dadurch begründen, dass der Unternehmensberater stets eine Vertrauensposition inne hat. Sein Arbeitsplatz ist das Unternehmen des Klienten, seine Aufgabe ist
es ein Problem zu lösen, welches der Klient nicht ohne fremde Hilfe bewältigen kann.
Der Umgang mit sensiblen Daten gehört für den Unternehmensberater zum Tagesgeschäft. Für den Klienten hingegen stellt der Einsatz eines Beraters keinen
alltäglichen Vorgang dar und nicht jeder Klient ist frei von Sorge, wenn es darum
geht, einem für ihn fremden Berater Einblick in die sensiblen Daten und Strukturen
des Klientenunternehmens gewähren.
Der professionelle Berater hat also bei seiner Arbeit Diskretion zu üben und sollte
über ein gut ausgeprägtes Urteilsvermögen verfügen. Der Unternehmensberater
muss berücksichtigen, dass es dem Klienten unter Umständen nicht immer möglich
sein kann, die Qualität der ihm angebotenen Dienste in vollem Umfang zu beurteilen.
Als Orientierung dienen dem Klienten im Einzelfall Referenzen vergangener erfolgreich durchgeführter Beratungsprojekte, die kommunizierten Verhaltensstandards
des Beraters sowie das Berufsethos des Berufsstandes als solchen. In diesem dargestellten Fall wird der Klient einen Verhaltenskodex als Schutz seiner Rechte
224
225
Vgl. [Nestmann et al. 2004]; S. 198.
Vgl. [Nestmann et al. 2004]; S. 197 f.
78
4. Unternehmensberatungen
ansehen und kann mit gutem Recht die versprochenen Verhaltensstandards erwarten.226 Dies gilt es zu berücksichtigen und den Kunden nicht zu übervorteilen.
Phillip W. Shay definiert den Begriff des Berufsethos wie folgt:
„Standards der Berufsausübung und -praxis, die sich aus der Natur des Berufes ergeben. Sie stehen in Übereinstimmung mit den Zielen und Aufgaben des Berufes in
der Gesellschaft und werden im allgemeinen als die beste Form der Anwendung der
für den Beruf eigentümlichen Kenntnisse und Fertigkeiten angesehen.“227
Betrachtet man die oben stehende Definition von Shay, so leiten sich Berufsethos
und Verhaltensstandards aus dem jeweiligen Berufsbild ab. Das Ansehen des Berufsbildes ist wiederum geprägt durch das Berufsethos und die Verhaltensstandards
eines Berufes.228 Daraus kann der Rückschluss gewonnen werden, dass in einer
sensiblen Branche, wie es die Unternehmensberatung ist, das Ansehen eben dieser
Branche stets in hohem Maße und direkt von dem Verhalten der agierenden Berater
abhängig ist.
Dementsprechend muss ein seriöser Berater, welcher der komplexen Aufgabe der
Unternehmensberatung in vollem Maße, also auch im oben dargestellten Zusammenhang, entsprechen will, bestimmte Kriterien erfüllen, möchte er nicht dazu
beitragen, den Berufsstand durch gegenläufiges Verhalten zu schädigen. Diese Kriterien sind:
der Erwerb von Fachwissen und die Aneignung der für den Beruf notwendigen
Regeln,
die effektive Anwendung beruflicher Kenntnisse und Fertigkeiten,
der Grundsatz, das Interesse der Klienten stets vor persönliche Interessen
oder Gruppeninteressen zu stellen,
das Anlegen hoher Maßstäbe an ihren Dienst am Kunden,
die Verpflichtung, sich den Forderungen des Berufsstandes entsprechend zu
verhalten.229
226
Vgl. [Lippitt/Lippit 1995]; S. 97.
Vgl. [Lippitt/Lippit 1995]; S. 97.
228
Vgl. [Lippitt/Lippit 1995]; S. 98.
229
Vgl. [Lippitt/Lippit 1995]; S. 99.
227
79
4. Unternehmensberatungen
Obgleich es auf den ersten Blick nicht unbedingt als Herausforderung erscheint, den
dargestellten Kriterien gerecht zu werden, da diese doch mit dem Selbstverständnis
eines gewissenhaft und seriös arbeitenden Beraters korrespondieren sollten, so wird
dieser Eindruck doch von der Praxis relativiert. Unternehmensberater kommen in unterschiedlichsten Bereichen zum Einsatz, von denen nicht wenige dadurch geprägt
sind, dass ethische Normen nur in unklarer Form existieren. Unter Umständen werden durch eine erbrachte Beratungsleistung unternehmensseitig Entscheidungen
getroffen, die zu einer Benachteiligung der schwächeren Teile des „Systems Unternehmen“ führen können. So kann ein Beratungsprojekt, das eine Kostenersparnis für
das Klientenunternehmen zum Ziel hat, dazu führen, dass Mitarbeiter freigesetzt
werden.
An dieser Stelle ist der Berater in der Situation, die unterschiedlichen Interessen abwägen zu müssen und sie gegebenenfalls - so weit es in seinem Wirkungsbereich
liegt - in fairer Weise auszugleichen.230 Dies wird zusätzlich durch die Tatsache erschwert, dass der jeweilige Berater selbst durch bestimmte objektive sowie
subjektive Werturteile geprägt ist.231 Die Tätigkeit des Unternehmensberaters beinhaltet Aktivitäten, die ihn vor eine Wahl zwischen alternativen Handlungsverläufen
stellt. Durch die Wahl einer der sich ihm anbietenden Alternativen, trifft der Berater
oftmals auch eine Entscheidung zwischen verschiedenen Wertpositionen, die eben
auch ethischer Ausprägung sein können.232
Die zu fällenden Werturteile sind stets in einem sozialen Zusammenhang zu sehen,
für den in der Regel Werte in Gestalt gesetzlicher Vorschriften oder Verboten fixiert
sind. Ein erheblicher Teil der Entscheidungsrichtlinien für das Verhalten im Beratungsprozess ist demnach durch gesetzliche Regelungen oder institutionelle
Bestimmungen festgelegt. Diese Ebene der Beratungsrichtlinien ist Teil der normativen Ethik.233
Erheblich komplexer sind für den Berater jene Entscheidungen, die nicht durch die
Gesetzgebung oder akzeptierte gesellschaftliche Normen reglementiert sind. Die
230
Vgl. [Lippitt/Lippit 1995]; S. 100.
Vgl. hierzu Kapitel 2.1.5
232
Vgl. [Lippitt/Lippit 1995]; S. 100.
233
Vgl. [Lippitt/Lippit 1995]; S. 100.
231
80
4. Unternehmensberatungen
Frage, nach welchen Gegebenheiten in solchen Fällen Entscheidungen getroffen
werden sollen, kann beim Berater einen internen Konflikt bewirken, in dem er selbst
die Richtigkeit seiner Überzeugungen und Werte hinterfragen muss. Fletcher formuliert
drei
Methoden,
ethische
Entscheidungen
zu
treffen,
welche
in
der
untenstehenden Tabelle 4 dargestellt werden.
Methode
legalistische Methode
Erläuterung
Kodex von vorformulierten Regeln und Vorschriften, der im
Prinzip als Gesetzbuch fungiert
gesetz- oder prinzipienlose Me- Keinerlei formulierte Grundsätze oder Maximen
thode
Handeln aus Eigeninteresse
situationsorientierte Methode
Zwischenform der beiden oben genannten Methoden, die der
Tatsache Rechnung trägt, dass jede Beratungssituation einzigartig ist.
Die ethische Entscheidung entspringt der jeweiligen Situation
und wird mit Hilfe von Erfahrungen aus ähnlichen Situationen
getroffen, indem ethische Maximen auf die neue Situation
übertragen werden.
Tabelle 4: Methoden der ethischen Entscheidungsfindung nach Fletcher
234
Bedient sich ein Berater der situationsorientierten Ethik, so ist er bereit, gewisse vorformulierte Prinzipien anzuwenden, wobei allerdings diese nicht als starre Gesetze
angesehen, sondern lediglich als Orientierungsrahmen genutzt werden.
4.6 Beratungsverbände
Der Beruf des Unternehmensberaters unterliegt in Deutschland keiner gesetzlich fixierten Berufsordnung und keinem Berufsbezeichnungsschutz. Unabhängig von
tatsächlicher Qualifikation und Erfahrung ermöglicht dies das Führen der Bezeichnung
als
„Unternehmensberater“,
„Wirtschaftsberater“,
„Betriebsberater“
oder
„Personalberater“.235 Die Vereinigung zu einem Berufsverband ermöglicht es diesem
und den angeschlossenen Unternehmen zum einen Transparenz zu schaffen, also
es dem potenziellen Klienten zu erleichtern, für seine Zwecke qualifizierte Beratungsunternehmen identifizieren zu können.
234
235
Eigene Darstellung in Anlehnung an [Lipitt/Lipitt 1995]; S. 101.
Vgl. www.BDU.de
81
4. Unternehmensberatungen
Die Mitgliedschaft im Bundesverband Deutscher Unternehmensberater - in der Folge
als BDU bezeichnet - stellt für den Klienten ein Signal dafür dar, mit einem seriösen,
zuverlässigen und kompetenten Beratungsanbieter zusammenzuarbeiten. Der zweite
Vorteil, welcher der Bildung eines solchen Verbandes nachfolgt, liegt auf der Seite
der betreffenden Unternehmen. Diese haben durch den Anschluss an beispielsweise
den BDU die Möglichkeit, auf dessen Richtlinien und Qualitätsansprüche zu verweisen und sich auf diesem Wege von qualitativ minderwertigeren und unseriösen
Unternehmen der Beratungsbranche abzugrenzen.
4.6.1 Der Bundesverband Deutscher Unternehmensberater
Bei dem Bundesverband Deutscher Unternehmensberater handelt es sich um einen
Berufsverband der Managementberater und Personalberater, welcher in Deutschland
ansässig ist. Mit den rund 13.000 organisierten Beratern und über 500 Mitgliedsfirmen stellt der BDU den größten Unternehmensberater-Verband in Europa dar. Als
solcher ist der BDU sowohl Mitglied im europäischen Beraterdachverband, der Fédération Européenne des Associations de Conseil en Organisation (FEACO) mit Sitz in
Brüssel, als auch im International Council of Management Consulting Institutes
(ICMCI) mit Sitz in den USA. Sowohl die nationalen als auch die internationalen Vereinigungen
haben
als
Ziel
die
Qualitätssicherung
in
der
Branche
der
Unternehmensberatung formuliert.236
4.6.2 Aufgaben des BDU
Die Aufgabe des BDU besteht darin, die rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen
der
Branche
derart
zu
beeinflussen,
dass
in
der
Folge
die
Leistungsstandards erhöht und stetig weiterentwickelt werden. Die Beratungsqualität
steht im Mittelpunkt dieses Bestrebens, nicht nur in dem Sinne, dass möglichst perfekt auf den Klienten zugeschnittene und professionelle Konzepte entwickelt werden,
sondern auch in Bezug auf die Seriosität der gesamten Branche. Dies ist zwingend
notwendig, da wie einleitend beschrieben, die Bezeichnung als Berater keinerlei Berufsbezeichnungsschutz unterliegt.
236
Vgl. www.BDU.de
82
4. Unternehmensberatungen
4.6.3 Instrumente zur Sicherstellung der Beratungsqualität
Nach dem Versuch, ein Berufsrecht für den Beruf des Unternehmensberaters einzuführen, der im Jahre 1996 endgültig daran scheiterte, dass ein weiterer
verkammerter Beruf nicht mit den Bestimmungen der Europäischen Union vereinbar
erschien, gingen die Berufsverbände dazu über, sich mit Hilfe des Qualitätsmanagements
nach
ISO
9001
von
unseriösen
und
inkompetenten
Anbietern
vergleichbarer Dienstleistungen abzugrenzen.237
4.6.4 Kriterien zur Aufnahme in den BDU
Da der BDU für vertrauenswürdige Geschäftsbeziehungen und für eine qualitativ
anspruchsvolle Beratungsleistung steht, unterliegen die Mitglieder der Kontrolle
durch den BDU-Ehrenrat. Regelmäßige Weiterbildungsmaßnahmen in den Fachverbänden und BDU-Seminaren werden vorausgesetzt. Um die Mitgliedschaft im BDU
als Qualitätssiegel dauerhaft erhalten zu können, ist die Mitgliedschaft abhängig von
der Erfüllung bestimmter vom BDU festgelegter Kriterien.
Abbildung 13: Kriterien zur Aufnahme in den BDU
238
Mit Hilfe dieser Kriterien soll gewährleistet werden, dass die qualitativ hochwertige
Beratungsleistung, welche die Mitgliedschaft im BDU den Klienten gegenüber kommuniziert, auch von jedem seiner Mitglieder tatsächlich erbracht werden kann.
237
238
Vgl. [Niedereichholz 2001], S. 16
Eigene Darstellung in Anlehnung an www.bdu.de/Beratungsqualität.
83
4. Unternehmensberatungen
4.6.5 Berufsgrundsätze
Ein Kodex ethischer Regeln für einen Beruf soll die faire und professionelle Behandlung eines Klienten gewährleisten und deren Schutz sichern. Wie auch in anderen
Berufen werden hierbei einige der leichter bestimmbaren Verhaltensregeln schriftlich
niedergelegt. Zum Ausdruck gebracht wird die Bereitschaft, sich über die gesetzlichen Bestimmungen hinaus, zu einer freiwilligen Selbstdisziplin zu verpflichten.239
Mit der Erfüllung der weiter oben dargestellten Kriterien, verpflichten sich die Mitglieder auf die Grundsätze des BDU. Diese beinhalten Objektivität und Neutralität,
Vertraulichkeit im Umgang mit Kundendaten, fairem Wettbewerb und eine angemessene Preisbildung. Allgemein machen Mitglieder des BDU diese Grundsätze zum
Vertragsbestandteil. Diese regeln folgende Punkte:
fachliche Kompetenz
Seriosität und Effektivität
Objektivität, Neutralität und Eigenverantwortlichkeit
unvereinbare Tätigkeiten
Vertraulichkeit
Unterlassung von Abwerbung
fairer Wettbewerb
angemessene Preisbildung
seriöse Werbung240
Exemplarisch dargestellt, regelt der Punkt Vertraulichkeit, dass alle geschäfts- und
auftragsbezogenen Tatsachen, die in Zusammenhang mit der Auftragsdurchführung
bekannt werden, zeitlich unbeschränkt der Schweigepflicht unterliegen. Ohne schriftliche Einwilligung des Auftraggebers dürfen sie weder an Dritte weitergegeben, noch
vom Berater für sich selbst verwertet werden. Ähnlich geartet, wenn auch mit einem
anderen Wortlaut stellen sich die Berufsgrundsätze anderer Dachorganisationen wie
der FEACO dar.241
239
Vgl. [Lippitt/Lippit 1995]; S. 105.
Vgl. hierzu ausführlicher Anhang IV
241
Vgl. [Kubr 1996]; S. 735.
240
84
4. Unternehmensberatungen
Im Beratungsprozess muss sich jeder Unternehmensberater mit den ethischen Vorstellungen seines Klienten auseinandersetzen und seine Vorstellungen mit denen
seines Klienten abgleichen, damit ein produktives Ergebnis erzielt werden kann. Sofern die oben dargestellten BDU-Normen und Regeln eingehalten werden, freiwillig,
konsequent oder in Form von Unternehmens-Leitlinien, ist es möglich, das Ansehen
des Berufsstandes der Unternehmensberater in der Wirtschaft zu erhalten oder noch
auszubauen.242
Aufgrund des besonderen Vertrauensverhältnisses dieser Branche wiegen allerdings
die Vergehen derer, die gemeinhin als „schwarze Schafe“ bezeichnet werden,
scheinbar schwerer als das Gros der Berater, welche seriös und im Klienteninteresse
handeln. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass publik gemachte Negativbeispiele und diverse Veröffentlichungen die Unsicherheit potenzieller Klienten gegenüber
Anbietern von Beratungsleitungen nicht eben abzubauen helfen. Stellvertretend für
die Negativliteratur wird an dieser Stelle in der Tabelle 5 eine „Interpretation“ der Beratungsrichtlinien des BDU eines langjährigen Branchenangehörigen dargestellt:
Aussage
Erläuterung
Wenn Dir drei Sachen einfallen, die bei deinem Vorhaben schief gehen können, gibt es einen Fehler in Deinem Gedankengang.
Dreierregel
1. Gesetz der Beratung
Jeder Kunde hat ein Problem, auch wenn er etwas ganz anderes behauptet.
2. Gesetz der Beratung
Hinter jedem Problem steckt menschliches Versagen, auch wenn es
auf den ersten Blick nicht danach aussieht.
3. Gesetz der Beratung
Vergiss nicht, dass Du für Deine Zeit bezahlt wirst und nicht für die
Lösung eines Probleme.
4. Gesetz der Beratung
Löse niemals Probleme von Menschen, die Dich nicht beauftragt haben.
Tabelle 5: Beratungsregeln nach Weinberg
243
Es ist auf den ersten Blick erkennbar, dass die Übereinstimmung mit den Berufsrundsätzen
seriöser
Berater
wenig
gemein
haben.
Angesichts
solcher
Negativliteratur sind die Ressentiments gegenüber der Branche nachvollziehbar, besonders, wenn in die Überlegungen mit einbezogen wird, dass es sich bei der
Unternehmensberatung um eine sehr hochwertige und damit verbunden unter Um242
243
Vgl. [Kuchenbecker 2004]; S. 24.
Eigene Darstellung in Anlehnung an [Weinberg 2003]; S.244 ff.
85
4. Unternehmensberatungen
ständen nicht eben günstige Dienstleistung handelt. Wenn durch entsprechende
ratur ein falsches Berufsethos suggeriert wird, welches derart plastisch anhand des
oben stehenden „3. Gesetz der Beratung“ dargestellt wird, so wird ein potenzieller
Klient im Zweifel eher davor zurückschrecken, externe Berater in seinem Unternehmen einzusetzen.
86
5. Fazit
5. Fazit
Das Fazit dieser Diplomarbeit einleitend sei angemerkt, dass sich der Autor der Tatsache bewusst ist, dass bestimmte Passagen der vorliegenden Arbeit - wie bspw.
jene, die sich mit staatlichen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung befassen - teilweise
durch eine persönliche Sichtweise geprägt sind. Seiner Ansicht nach widerspricht eine persönliche Prägung auch nicht der wissenschaftlichen Vorgehensweise, die
einer Diplomarbeit angemessen ist, insbesondere dann, wenn es sich um eine Arbeit
handelt, welche sich in einem erheblichen Maße mit der Bewusstseinsbildung und
der Philosophie auseinandersetzt.
Es eröffnen sich verschiedene Fragestellungen in Bezug auf die Möglichkeiten der
Unternehmen beziehungsweise der Unternehmer, ethische und moralische Normen
auf ihre Handlungen in dem sie umgebenden Wirtschaftssystem zu übertragen. Wird
der Markt einen freiwilligen Verzicht auf umweltschädigende Produktionsverfahren
oder Produkte honorieren? Im welchem Maße kann ein Unternehmen freiwillig dem
Umweltschutz nachgehen, ohne sich selbst nachhaltig in seiner Existenz zu gefährden? Die Beantwortung solcher Fragen ist nicht nur abhängig von der speziellen
Situation eines Unternehmens, sondern auch von den Köpfen, welche es steuern.
Die vorliegende Arbeit stellt nach Ansicht des Autors dar, dass ethische Entscheidungen
als
in
hohem
Maße
abhängig
von
der Auseinandersetzung
der
Verantwortlichen mit sich selbst, deren Verständnis und deren individueller Interpretation moralischer Normen anzusehen sind. Aus dieser Tatsache ergeben sich
gleichzeitig aber auch Chancen, die es zu nutzen gilt, um den Status Quo zu verändern.
Die Rahmenbedingungen, welche zum Funktionieren der Marktwirtschaft beitragen
sollen, werden durch den Staat gesetzt. Allerdings existieren erhebliche Spielräume
sowohl zwischen dem, was gesellschaftlich und rechtlich „erlaubt“ und dem, was gesellschaftlich und rechtlich „nicht erlaubt“ ist, sowie dem, was ein Unternehmen
erwirtschaften muss, um sein Weiterbestehen zu sichern und dem, was es unter
Aufbietung aller Maßnahmen erwirtschaften könnte. Demzufolge existiert auch ein
Rahmen unternehmerischer Freiheit, in den ethische Überzeugungen eingebettet
werden können und der seitens der Unternehmensführung dazu genutzt werden
87
5. Fazit
kann. Dieser Rahmen erweitert sich dieser Logik folgend proportional zum wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens.
Es ist offensichtlich, dass moralisches und ethisches Handeln nicht von höheren Instanzen diktiert werden kann. Die Beispiele von unzureichend oder gar nicht
umgesetzten Unternehmensleitbildern, die sich im besten Falle auf moralische Normen stützen und sowohl an der Implementierung als auch an der Glaubwürdigkeit
ihrer Kommunikation scheitern, belegen diese These. Gelingt es den Unternehmern
allerdings, ihre ethischen Überzeugungen glaubhaft zu vermitteln - sei es gegenüber
dem Vorstand, den Anteilseignern, den Kunden oder den Geschäftspartnern - und
werden diese in der Folge konsequent verfolgt, so kann es gelingen, diese in das
Rahmenwerk wirtschaftlichen Handelns zu integrieren. Das Ziel muss es sein, zu
bewirken, dass die verschiedenen Anspruchsgruppen der Gesellschaft die Überzeugungen aufnehmen und sich mit ihnen auseinandersetzen. In Kapitel 3.6.4 wurde
erläutert, dass die Ethik auf einer individuellen Ebene ihre Wirkung am ehesten entfaltet. Der Ansatz, ethische Inhalte im Rahmen der Ausbildung beziehungsweise des
Studiums zu vermitteln, erscheint erfolgversprechend, denn wie im selben Kapitel
ebenfalls ausgeführt wurde, hängen die Handlungen von Unternehmen oftmals vom
Wettbewerb, also vom Handeln anderer ab. Auf diese Weise könnte eine Neuorientierung dahingehend bewirkt werden, dass sich, einen Umweg über die jeweiligen
Entscheidungsträger nehmend, Unternehmen ihrer sozialen Verantwortung bewusst
werden und entsprechend handeln.
Das vierte Kapitel beschäftigte sich mit dem Thema der Ethik im Bereich der Unternehmensberatungen. In Bezug auf die ersten Kapitel der vorliegenden Arbeit stellt
sich die Frage, ob die erörterten Verhaltensregeln der Beratungsbranche ihren Ursprung in jenen moralischen Normen haben, welche in den vorangegangenen
Kapiteln dieser Arbeit vorgestellt und dargestellt wurden, beziehungsweise ob sie
aus ihnen abgeleitet wurden. Wäre dem so, so wäre das Handeln der Berater, sofern
sie sich diesen Verhaltensregeln unterwerfen, streng an allgemeingültigen Normen
orientiert. Wie aber ließen sich in diesem Falle die Negativbeispiele erklären?
Eine Differenzierung auf der individuellen Ebene der handelnden Personen ermöglicht eine objektivere Sichtweise. Zur Darstellung des Grundproblems eines Beraters,
88
5. Fazit
sollte er - in freier Anlehnung an die Darstellungen von Aristoteles oder Immanuel
Kant, die den Menschen im Allgemeinen als ein intelligibles Wesen betrachteten - als
eine Person mit zwei Seiten angesehen werden. Dies ermöglicht eine Darstellung
des Beraters als eine Person mit einer privaten und einer professionellen Komponente. Im Privatleben mag sich der Berater - sei es aus Respekt vor geltenden Normen,
sei es aus Überzeugung - streng an eben diesen Normen orientieren, in Ausübung
seiner Tätigkeit jedoch ist es die professionelle Komponente, die im Vordergrund
steht, auch für den Fall, dass dies zu inneren Konflikten führt, falls der Berater im
Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit gezwungen ist, anders zu handeln, als er es unter Umständen als Privatperson getan hätte.
Jedoch ist dem Berater professionelles Handeln nicht vorzuwerfen, letztlich generiert
er durch die erfolgreiche Ausübung seines Berufes sein Einkommen. Sein Lebensunterhalt orientiert sich deutlich an seinem beruflichen Erfolg. Wie erfolgreich aber
muss er tatsächlich sein? Objektiv betrachtet könnte man zu dem Schluss kommen,
dass für einen Berater - ähnlich wie in Kapitel 3.6.3.1 in Bezug auf Unternehmenspolitik diskutiert - nicht zwingend die Gewinnmaximierung als Zielgröße fungieren muss.
Überträgt man den Begriff des „angemessenen Gewinns“ auf die Beratungsbranche,
so wäre es in den wenigsten Fällen notwendig, Aussagen zu tätigen, wie jene von
Gerald Weinberg, die in Tabelle 5 dargestellt sind, beziehungsweise nach diesen zu
handeln.
Der Berater steht im Laufe seiner beruflichen Tätigkeit sicherlich mehr als einmal vor
dem Dilemma der Professionalität. Er kann einerseits eine mögliche Handlung nicht
mit seinem Gewissen oder seinen Überzeugungen vereinbaren, andererseits ist ihm
bewusst, dass er einen lukrativen Auftrag und darüber hinaus auch mögliche Folgeaufträge unter Umständen verliert, wenn er dem Klientenwunsch nicht entspricht.
Eine Entscheidung im Sinne seiner ethischen Überzeugungen kann also für ihn erhebliche wirtschaftliche Verluste bedeuten. Abgesehen davon, dass dem Berater
bewusst ist, dass sich in aller Regel ein anderer Berater fände, welcher dem Klientenwunsch bedenkenlos nachkäme, muss sich der Berater vergegenwärtigen, dass
er seiner Berufsaufgabe nicht nachkommt, wenn er ablehnt. Nach Ansicht des Autors
dieser Arbeit existiert allerdings noch einen Mittelweg. Für den Berater, der in einem
wie oben geschilderten Dilemma steckt, besteht durchaus die Möglichkeit, seine Vor89
5. Fazit
stellungen in den Planungsprozess des Projektes einzubringen. Es kann und sollte
durchaus als Qualitätsmerkmal gewertet werden, wenn ein Berater auf professionelle
Weise, in dem sich ihm bietenden Rahmen, ein von den Klientenwünschen in einzelnen Faktoren abweichendes Konzept vorlegt, das zwar die selbe Zielsetzung
verfolgt, sich aber in der Wahl der Instrumente in dem Sinne unterscheidet, dass es
sich beispielsweise durch ein höheres Maß an sozialer Gerechtigkeit auszeichnet. An
dieser Stelle haben gerade kleinere und mittelständische Beratungsunternehmen ein
Instrument zur Hand, welches zur Profilgewinnung gegenüber beratenden Großunternehmen wie bspw. McKinsey genutzt werden kann.
Was genau stellen die Verhaltensregeln der Beratungsbranche dar - einen Leitfaden
für den einzelnen Berater, basierend auf ethischen und moralischen Normen, ein
Qualitätssiegel oder ein Marketing-Instrument? Sicherlich erscheinen die Codes of
Conduct auf den ersten Blick als ein Gütesiegel, schließlich muss der Berater, der
die Mitgliedschaft in einem der großen Beraterverbände anstrebt, gewisse Kriterien
erfüllen. Inhaltlich drücken die Verhaltensrichtlinien allerdings nichts aus, was einem
Betrachter ein übermäßiges Gefühl der Sicherheit vermittelt, zeichnen sie sich doch
durch ein hohes Maß an Allgemeinheit und durch einen Bezug auf Verhaltensweisen
aus, die ein Mensch schlichtweg als selbstverständlich interpretieren können sollte.
Sicherlich beinhalten die Verhaltensregeln für die Berater des BDU ein Qualitätsversprechen. Weiterhin drohen den betreffenden Unternehmensberatungen Sanktionen
seitens des Verbandes wie beispielsweise der Ausschluss aus diesem. Fraglich ist in
dieser Hinsicht jedoch, ob das Unternehmen, welches sich eines Vergehens im Sinne des BDU schuldig gemacht hat, aufgrund der Tatsache, dass ein Klient
geschädigt wurde mit Sanktionen rechnen muss, oder ob nicht vielmehr der befürchte Imageverlust der Beratungsbranche den entscheidenden Faktor für Sanktionen
darstellt. Folgt man diesem angenommenen Motiv, so können die Codes of Conduct
als ein Instrument zur Bildung einer exklusive und geschlossenen Gesellschaft interpretiert werden, denn es geht ja ausdrücklich aus ihnen hervor, dass beispielsweise
im notwendigen Falle einer Kooperation mit anderen Beratungsunternehmen jeweils
auf andere dem BDU angeschlossene Unternehmensberatungen zurückgegriffen
werden sollte. Sie stellen demnach nicht nur eine Barriere dar, die dazu dient, dass
„schwarze Schafe“ ausgegrenzt werden sollen, sie vermitteln eben auch den Ein90
5. Fazit
druck der Exklusivität, die sich allerdings aus den Verhaltensregeln selbst nicht
gend erkennen lässt. Weiterhin sind sie auch als ein Marketing-Instrument
anzusehen, da der werbliche Hinweis auf die Mitgliedschaft im BDU und dessen
Qualitätsstandards in Kombination mit Referenzen durchaus als geschäftsfördernde
Kriterien zu bewerten sind.
91
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http://www.stern.de/wirtschaft/unternehmen/?id=536135, Stand: 2006
96
Anhang
Anhang
I. Der Wirtschaftsprozess um Enron244
Houston/Washington - Einer der spektakulärsten Prozesse um Wirtschaftsbetrug in
den USA ist am Montag in Houston (Texas) in die entscheidende Phase getreten.
Die Ankläger und Verteidiger im Enron-Prozess um den Untergang des einst größten
Energiehändlers der Welt begannen mit ihren Schlussplädoyers. Prozessbeobachter
rechnen damit, dass die Geschworenen sich noch im Laufe der Woche zu den Beratungen über Schuld oder Unschuld der früheren Enron-Bosse Jeff Skilling und
Kenneth Lay zurückziehen werden.
Im Mittelpunkt steht die Frage, ob die wegen Betruges und Verschwörung angeklagten Unternehmenschefs die prekäre Finanzlage von Enron kannten, Investoren und
Angestellte mit optimistischen Prognosen aber in die Irre führten. Vor allem Skilling
werden auch kriminelle Machenschaften vorgeworfen. Die Verteidigung bot in den
vergangenen drei Monaten dutzende Zeugen aus dem Unternehmen auf, die sich
selbst bereits des Betrugs schuldig bekannt hatten. Skilling und Lay, die in den Zeugenstand traten, beharren darauf, dass der damalige Finanzchef Andrew Fastow sich
zwar illegal an dubiosen Partnerschaften bereicherte, das Unternehmen aber ansonsten korrekt geführt wurde. Fastow trat als Zeuge der Anklage auf und belastete
vor allem Skilling schwer. Sein Chef habe die illegalen Machenschaften gebilligt, sagte er im Zeugenstand. „Wir haben alle gestohlen.“ Fastow ist bereits zu zehn Jahren
Haft verurteilt worden. Richter Simeon Lake wollte die Geschworenen anweisen,
dass es auch strafbar sei, wenn Unternehmenschefs absichtlich vermeiden, etwaige
illegale Machenschaften aufzudecken. Das kündigte er vergangene Woche an. Skilling und Lay drohen bei einem Schuldspruch Jahrzehnte hinter Gittern. 16 ehemalige
Enron-Manager sind bereits verurteilt oder haben sich schuldig bekannt.
Enron war eines der zehn größten US-Unternehmen. Nach dem Auffliegen der Bilanzbetrügereien musste das Unternehmen im Dezember 2001 Gläubigerschutz
beantragen. Investoren verloren Milliardenbeträge, tausende Mitarbeiter den Arbeitsplatz und ihre gesamten Pensionsansprüche. Skilling und Lay bezichtigen Fastow,
das Unternehmen im Alleingang in den Ruin getrieben zu haben.
244
Vgl. http://www.verivox.de/News/articledetails.asp?aid=14666; Stand: 29.05.2006.
97
Der Fall Brent Spar
II. Der Fall Brent Spar245
Die Brent Spar, 190 Kilometer nordöstlich der Shetland-Inseln im Meer verankert,
diente von 1976 bis 1991 als Rohöl-Zwischenlager. Aus finanziellen und technischen
Gründen wollte Shell den Stahlkoloss mitsamt rund 130 Tonnen Ölschlämmen,
Schwermetallen und radioaktiven Abfällen einfach im Meer versenken.
Nach einer beispiellosen Kampagne gegen die geplante Versenkung lenkte Shell im
Juni 1995 ein: Die Brent Spar sollte nun doch an Land zerlegt werden. Seit 1998 gilt
zudem ein generelles Verbot für Plattformversenkungen. Diese Erfolge stützen sich
auf unzählige Verbraucherinnen und Verbraucher, welche die Greenpeace- Kampagne mitgetragen haben. Ein solcher Sieg für den Meeresschutz konnte nur
gelingen, weil die Öffentlichkeit und die Verbraucher in Europa die Shell-Haltung
"Aus den Augen, aus dem Sinn" vehement abgelehnt haben.
Shell selbst trug entscheidend zum Erfolg des Protests gegen die Brent-SparVersenkung bei: Bis zum Schluss hatte der Konzern nicht begriffen, dass er die öffentliche Meinung nicht einfach ignorieren kann. Durch gefährliche Attacken wie
Wasserwerfer-Einsätze gegen die Greenpeace-Aktivisten heizte Shell die Konfrontation Woche um Woche weiter an. Die immer breiter werdende Berichterstattung in
den Medien tat ein übriges: Shell gab nach und bezahlte für seine krasse Fehleinschätzung mit einem herben Imageverlust.
Auch Greenpeace unterlief kurz vor Kampagnen-Ende eine Panne: Aufgrund eines
Messfehlers wurden die in der Brent Spar verbliebenen Ölmengen um ein Vielfaches
zu hoch eingeschätzt. Für die Veröffentlichung der überhöhten Zahlen wurde die Organisation zu Recht kritisiert. Der britische Greenpeace-Chef entschuldigte sich
später schriftlich bei Shell für die Messpanne. Sechs Wochen lang hatte Greenpeace
jedoch ausschließlich mit Shell- eigenen Zahlen argumentiert. Erst zum Schluss veröffentlichte die Umweltschutzorganisation den falschen Wert - zu diesem Zeitpunkt
war die öffentliche Empörung aber längst auf dem Höhepunkt.
Giftmengen waren nie das zentrale Argument der Brent-Spar-Kampage. Es ging
Greenpeace um die Verhinderung eines Präzedenzfalles:
245
Vgl. http://www.greenpeace.at/293.html; Stand: 23.03.2006.
98
Massenentlassungen bei der Deutschen Bank
Industrie-Schrott gehört nicht ins Meer
Industrie-Unternehmen stehen - wie auch die Verbraucher - in der Verantwortung, ihren Müll möglichst umweltschonend zu entsorgen
Versenkungsverbote, die in anderen Branchen schon lange existierten, sollten
auch für die Ölindustrie gelten
1998 konnte das Kapitel "Plattform-Versenkung" in der Nordsee und dem NordostAtlantik endlich abgeschlossen werden: Die OSPAR- Meeresschutz-Konferenz einigte sich auf ein generelles Versenkungsverbot für Stahlplattformen. Damit wurde die
Brent Spar tatsächlich zu einem positiven Präzedenzfall für den Meeresschutz.
III. Massenentlassungen bei der Deutschen Bank246
Trotz steigender Gewinne der Deutschen Bank will Konzernchef Ackermann 6400
Stellen streichen. Aus der Politik hagelt es Kritik.
Die Ankündigung der Deutschen Bank, trotz steigender Gewinne Tausende von Stellen zu streichen, hat parteiübergreifend Empörung ausgelöst. SPD-Fraktionsvize
Michael Müller sprach in der „Berliner Zeitung“ von einer „Schweinerei“. „Die Gewinnerwartungen so zu Lasten der Arbeitsplätze zu überziehen,
ist eine
Unverschämtheit.“ Auch von Seiten der Grünen und des Arbeitnehmerflügels der
CDU wurde scharfe Kritik laut.
„Dies ist ein Zeichen, dass die Wirtschaftsethik verloren zu gehen droht“, sagte der
derzeitige Vorsitzende des CDU-Arbeitnehmerflügels, der Bundestagsabgeordnete
Gerald Weiß, der Zeitung. „Die alleinige Rendite-Orientierung ist ein Ausweis kurzfristigen Denkens. Man muss für die Menschen und mit den Menschen wirtschaften.“
Entrüstung über die Pläne der Bank gab es auch bei den Finanzexperten von RotGrün. Der SPD- Politiker Joachim Poß sprach von einem Kurs, der moralisch wie
volkswirtschaftlich fragwürdig sei. Kurzfristige steuerpolitische Maßnahmen schloss
er allerdings aus. Zunächst müsse man in der Europäischen Union zu einer einheitlichen Bemessungsgrundlage für die Unternehmensbesteuerung kommen.
99
Massenentlassungen bei der Deutschen Bank
Deutsche-Bank-Vorstandschef Josef Ackermann hatte am Vortag angekündigt, dass
trotz des besten Geschäftsergebnisses seit vier Jahren weitere 6400 Stellen abgebaut werden. 2004 steigerte die Bank ihr Ergebnis vor Steuern um 50 Prozent auf 4,1
Milliarden Euro. Der Jahresüberschuss verbesserte sich um 87 Prozent auf 2,5 Milliarden Euro. „Dieser Erfolg ist Beweis dafür, dass wir gut aufgestellt sind“, sagte
Ackermann.
Die Ankündigung des Deutsche-Bank-Chefs erregten gerade auch deshalb Empörung, weil viele Deutsche derzeit noch von Existenzängsten geplagt werden. So
erwarten sich viele Bundesbürger angesichts der Rekordarbeitslosigkeit von über
fünf Millionen Arbeitslosen im Januar wenig vom Arbeitsmarkt. „Noch nie waren die
Werte über die persönliche Zukunft so schlecht wie zurzeit“, sagte der Chef des Meinungsforschungsinstitutes TNS Emnid, Klaus-Peter Schöppner, der Zeitung „Die
Welt“. 85 Prozent der Deutschen seien über ihre „persönliche Zukunft beunruhigt“. 68
Prozent rechnen für das Jahr 2005 mit weiter steigenden Arbeitslosenzahlen. Laut
einer Umfrage des „Handelsblatts“ unter 885 Managern will jedes vierte Unternehmen (28 Prozent) in den nächsten zwölf Monaten seine Belegschaft verkleinern.
Damit sank der Anteil zwar Anfang 2005 auf den tiefsten Stand seit fast vier Jahren.
Trotzdem seien Firmen, die Stellen streichen, gegenüber denen, die neue Jobs
schaffen wollen, weiter in der Überzahl, hieß es.
Die Grünen-Finanzexpertin Christine Scheel sagte, gerade angesichts der neuen Arbeitslosenstatistik sei die Ankündigung der Deutschen Bank höchst problematisch.
„Die Politik kann aber auf unternehmerische Entscheidungen nicht viel Einfluss nehmen“, fügte sie hinzu. Der niedersächsische SPD-Vorsitzende Wolfgang Jüttner
beklagte ebenfalls die Machtlosigkeit der Politik. „Derartiges UnternehmensVerhalten dokumentiert, was für kleine Brötchen die Politik mitunter backt“, sagte er.
246
Vgl. http://www.stern.de/wirtschaft/unternehmen/?id=536135, Stand: 23.03.2006.
100
Die Berufsgrundsätze des BDU
IV. Die Berufsgrundsätze des BDU247
1. Fachliche Kompetenz
Unternehmensberater übernehmen nur Aufträge, für deren Bearbeitung die erforderlichen Fähigkeiten, Erfahrungen und Mitarbeiter bereitgestellt werden
können.
Unternehmensberater suchen Lösungen, die dem Stand der Wissenschaft,
der Entwicklung der Branche und den Bedürfnissen des Klienten in bester
Weise gerecht werden.
Unternehmensberater unternehmen alle Anstrengungen, ihre Kenntnisse, Fähigkeiten und Verfahrenstechniken ständig zu verbessern und machen ihren
Klienten die Vorteile dieser Verbesserungen uneingeschränkt zugänglich.
2. Seriosität und Effektivität
Unternehmensberater empfehlen ihre Dienste nur dann, wenn sie erwarten,
dass ihre Arbeit Vorteile für den Klienten bringt.
Sie geben realistische Leistungs-, Termin- und Kostenschätzungen ab und
bemühen sich, diese einzuhalten.
Unternehmensberater üben nicht nur eine gutachterliche Tätigkeit aus oder
erarbeiten Empfehlungen, sondern wirken bei der Realisierung der Vorschläge
mit und arbeiten solange mit dem Klienten zusammen, bis dieser die Aufgabe
ohne Hilfe des Unternehmensberaters fortführen kann.
Unternehmensberater sind sich bewusst, dass neben der sachlichen Lösung
die menschlichen Beziehungen große Bedeutung besitzen. Sie bemühen sich
deshalb um eine harmonische Zusammenarbeit mit dem Auftraggeber und
seinen Mitarbeitern.
3. Objektivität, Neutralität und Eigenverantwortlichkeit
Unternehmensberater werden grundsätzlich eigenverantwortlich tätig und akzeptieren
in
Ausübung
ihrer
Tätigkeit
keine
Einschränkung
ihrer
Unabhängigkeit durch Erwartungen Dritter. Sie führen eine unvoreingenom-
247
Vgl. www.bdu.de/Qualitätsanspruch/Berufsgrundsätze/Unternehmensberater; Stand:09.06.2006.
101
Die Berufsgrundsätze des BDU
mene und objektive Beratung durch und sprechen auch Unangenehmes offen
aus. Sie erstellen keine Gefälligkeitsgutachten.
Unternehmensberater respektieren auch gegenüber den für sie tätigen Mitarbeitern, soweit diese als Unternehmensberater qualifiziert sind, deren
Verpflichtung zu eigenverantwortlicher Tätigkeit.
Unternehmensberater verpflichten sich zur Neutralität gegenüber Lieferanten
von Geräten, Hilfsmitteln und Diensten, die zur Verwirklichung ihrer Vorschläge erforderlich sind und fordern oder akzeptieren von diesen keinerlei
Provisionen, Aufwandsentschädigungen oder dergleichen.
Sofern Unternehmensberater Lieferanten empfehlen, erfolgt dies nur aufgrund
der Erfordernisse des Klienten oder einer vergleichenden Analyse des Leistungsangebots des Lieferanten. Sofern Unternehmensberater EDV- SoftwarePakete oder –Geräte oder –Hilfsmittel empfehlen, die von ihnen vertrieben
werden oder an denen sie in irgendeiner Form finanziell interessiert sind, weisen sie auf diese Tatsachen hin und erwecken nicht den Eindruck einer
neutralen Produktauswahl.
4. Unvereinbare Tätigkeiten
Mit dem Beruf des Unternehmensberaters unvereinbar ist die Annahme von
Aufträgen für Tätigkeiten, welche die Einhaltung der Berufspflichten und Mindeststandards berufsethischen Handelns gefährden.
5. Vertraulichkeit
Unternehmensberater behandeln alle internen Vorgänge und Informationen
des Klienten, die ihnen durch ihre Arbeit bekannt werden, streng vertraulich.
Insbesondere werden auftragsbezogene Unterlagen nicht an Dritte weitergegeben.
Unternehmensberater gewähren keinen generellen Konkurrenzausschluss.
Über einen speziellen Konkurrenzausschluss werden in besonderen Fällen
Absprachen getroffen.
Unternehmensberater halten sich für berechtigt, Klientenlisten zu veröffentlichen, werden aber Klienten nur dann als Referenz angeben, wenn sie deren
Zustimmung zuvor eingeholt haben.
102
Die Berufsgrundsätze des BDU
6. Unterlassung von Abwertung
Unternehmensberater bieten Mitarbeitern ihrer Klienten weder direkt noch indirekt Positionen bei sich selbst oder anderen Klienten an.
Unternehmensberater erwarten, dass auch ihre Klienten während der Zusammenarbeit
mit
ihnen
mit
keinem
ihrer
Mitarbeiter
Einstellungsverhandlungen führen und ihre Mitarbeiter nicht abwerben.
Unternehmensberater verlangen von ihren Mitarbeitern, dass sie während der
Dauer der Klientenbeziehungen keine Verhandlungen mit Klienten über eine
Einstellung führen, damit die Objektivität ihrer Arbeit gesichert wird.
Unternehmensberater nehmen keine sitten- und wettbewerbswidrige Abwerbung von Mitarbeitern anderer BDU-Mitglieder vor.
7. Fairer Wettbewerb
Unternehmensberater erbringen mit Ausnahme der Erarbeitung und Abgabe
von Angeboten keine unentgeltlichen Vorleistungen, noch bieten sie Arbeitskräfte oder andere Leistungen zur Probe an.
Unternehmensberater achten das geistige Urheberrecht an Vorschlägen,
Konzeptionen und Veröffentlichungen anderer und verwenden solches Material nur mit Quellenangabe.
Unternehmensberater empfehlen bei sachlich-fachlicher Notwendigkeit nur
solche Kollegen, deren Leistungsstand ihnen bekannt ist, dabei und bei Kooperationen bevorzugen sie BDU-Mitglieder.
Unternehmensberater legen bei Kooperationen, soweit es sich nicht um einen
Kapazitätsausgleich handelt, gegenüber den Klienten die Projektverantwortlichkeit sowie Art und Umfang der Zusammenarbeit offen und klar dar.
8. Angemessene Preisbildung
Unternehmensberater berechnen Honorare, die im richtigen Verhältnis zu Art
und Umfang der durchgeführten Arbeit stehen und die vor Beginn der Beratungstätigkeit mit dem Klienten abgestimmt worden sind.
Unternehmensberater geben Festpreisangebote nur für Projekte ab, deren
Umfang zu überblicken ist und bei denen nach honorarpflichtigen Voruntersuchungen Umfang und Schwierigkeitsgrad der zu lösenden Probleme präzise
und für beide Vertragsparteien überschaubar und verbindlich herausgearbeitet
103
Die Berufsgrundsätze des BDU
worden sind.
Unternehmensberater präzisieren ihre Angebote so, dass der Klient weiß,
welche sonstigen Kosten neben dem Honorar in Rechnung gestellt werden.
9. Seriöse Werbung
Unternehmensberater verpflichten sich zu seriösem Verhalten in der Werbung
und der Akquisition und präsentieren ihre Qualifikation einzig im Hinblick auf
ihre Fähigkeiten und ihre Erfahrung. Referenzschreiben werden nicht, auch
nicht auszugsweise, verbreitet.
Unternehmensberater halten sich in ihren Darstellungen über ihre Umsätze,
Mitarbeiter, Tätigkeitsbereiche etc. an den augenblicklichen Stand und geben
keine spektakulären Zukunftspläne bekannt.
104
Das Thomson- Paradoxon
V. Das Thomson- Paradoxon
aus: Judith Jarvis THOMSON: Eine Verteidigung der Abtreibung
(aus: Anton Leist: Um Leben und Tod, Frankfurt a. M. 1992, S. 107ff)
„(...) Aber jetzt möchte ich Sie bitten, sich folgendes vorzustellen. Sie wachen morgens auf und finden sich in einem Bett liegend, Kopf an Kopf mit einem bewusstlosen
Geiger. Einem berühmten bewusstlosen Geiger. An ihm wurde eine bedrohliche Nierenkrankheit diagnostiziert, und die Gesellschaft der Freunde der Musik hat alle
verfügbaren Patientenunterlagen durchsucht und herausgefunden, dass allein Sie
die richtige Blutgruppe haben, um helfen zu können. Sie hat sie deshalb gekidnappt,
und letzte Nacht wurde der Blutkreislauf des Geigers an den Ihren angeschlossen,
so dass Ihre Nieren dazu benutzt werden können, Gift ebenso aus seinem wie aus
Ihrem Blut herauszuziehen. Der Krankenhausdirektor sagt jetzt zu Ihnen: „Sehen Sie,
wir bedauern sehr, dass Ihnen die Gesellschaft der Freunde der Musik das angetan
hat – wir hätten es nie erlaubt, wenn wir davon gewusst hätten. Aber sie haben es
eben getan, und jetzt ist der Geiger an Sie angeschlossen. Sie abzukoppeln würde
bedeuten, ihn zu töten. Aber keine Angst, es handelt sich nur um neun Monate. Nach
dieser Zeit wird er sich von seinem Leiden erholt haben und kann ohne Gefahr von
Ihnen abgekoppelt werden.“ Ist Ihnen unter dem Gesichtspunkt der Moral auferlegt,
sich in diese Situation zu fügen? Es wäre zweifellos ausgesprochen nett von Ihnen,
wenn Sie es täten, von großer Freundlichkeit. Aber müssen Sie sich fügen? Wie,
wenn es nicht neun Monate, sondern neun Jahre wären? Oder noch länger? Wie,
wenn der Krankenhausdirektor sagt: „Wirklich Pech, muss ich sagen, aber jetzt müssen Sie den Rest Ihres Lebens im Bett verbringen, den Geiger an sich
angeschlossen. Denn rufen Sie sich folgendes in Erinnerung. Alle Personen haben
ein Lebensrecht, und Geiger sind Personen. Zugegeben, Sie haben ein Recht, zu
entscheiden, was in und mit Ihrem Körper geschieht, aber das Lebensrecht einer
Person wiegt stärker als Ihr Recht, zu entscheiden, was in und mit Ihrem Körper geschieht. Deshalb können Sie nie mehr von ihm abgekoppelt werden.“
„(...) Oder, um wieder zu der früher erwähnten Geschichte zurückzukommen, die
Tatsache, dass der Geiger für sein Leben Ihre Niere benötigt, besagt nicht, dass er
das Recht auf längerfristigen Gebrauch Ihrer Nieren hat. Er hat sicher kein Recht Ih105
Das Thomson- Paradoxon
nen gegenüber, dass Sie ihm den langfristigen Gebrauch Ihrer Nieren erlauben
ten. Denn niemand hat ein Recht, Ihre Nieren zu gebrauchen, wenn Sie ihm nicht ein
solches Recht einräumen; und niemand hat das Recht Ihnen gegenüber, das Sie ihm
dieses Recht einräumen - sofern Sie ihm weiter den Gebrauch Ihrer Nieren erlauben,
bedeutet das eine Freundlichkeit Ihrerseits und nicht etwas, dass er von Ihnen als
ihm geschuldet beanspruchen könnte. Ebenso wenig hat er ein Recht anderen gegenüber, dass diese ihm den längerfristigen Gebrauch Ihrer Nieren verschaffen
sollten. Sicher hat er kein Recht gegenüber der Gesellschaft der Freunde der Musik,
ihn überhaupt erst an Sie anzuschließen. Und wenn Sie jetzt beginnen, sich abzukoppeln, nachdem Sie erfahren haben, dass Sie sonst neun Jahre neben ihm im Bett
verbringen müssten, gibt es niemand auf der Welt, der Sie daran hindern könnte, um
auf diese Weise etwas zu erzwingen, worauf er ein Recht hat.
Manche vertreten eine noch engere Position zum Lebensrecht. Nach ihrer Ansicht
umfasst es nicht das Recht, irgendetwas zu bekommen, sondern beschränkt sich auf
das Recht, von niemand getötet zu werden, und nichts weiter. Hierbei entsteht aber
eine ähnliche Schwierigkeit. Wenn sich jeder enthalten sollte, diesen Geiger zu töten,
dann muss sich jeder enthalten, eine große Menge verschiedener Dinge zu tun. Jeder muss sich enthalten, ihm die Kehle durchzuschneiden, jeder muss sich enthalten,
ihn zu erschießen - und jeder muss sich enthalten, Sie von ihm abzukoppeln. Aber
hat er ein Recht gegenüber allen, dass sie sich enthalten, Sie von ihm abzukoppeln?
Sich dessen enthalten heißt, ihm weiter zu erlauben, Ihre Nieren zu benutzen. Es
könnte gesagt werden, dass er ein Recht uns gegenüber hat, das wir ihm erlauben,
weiter Ihre Nieren zu benutzen. Das heißt, während er kein Recht uns gegenüber
hätte, dass wir ihm zum Gebrauch Ihrer Nieren verhelfen, könnte argumentiert werden, dass er auf jeden Fall ein Recht uns gegenüber hat, dass wir jetzt nicht
eingreifen und ihn um die Benutzung Ihrer Nieren bringen.“
(...) Aber sicher hat der Geiger kein Recht, dass Sie ihm den Gebrauch Ihrer Nieren
weiter erlauben sollten. Wie gesagt: Wenn Sie den Gebrauch erlauben wollen, ist es
eine Freundlichkeit Ihrerseits, aber nichts, was Sie ihm schulden.
106
Das Thomson- Paradoxon
Die Schwierigkeit, die ich hier hervorhebe, ist nicht auf das Lebensrecht beschränkt.
Sie kehrt wieder in Verbindung mit all den anderen Naturrechten. Und sie ist etwas,
worauf eine angemessene Theorie der Rechte eine Antwort finden muss. Für unsere
gegenwärtigen Zwecke ist es ausreichend, unsere Aufmerksamkeit darauf zu lenken.
Aber ich möchte betonen, dass ich nicht sage, Menschen haben kein Lebensrecht ganz im Gegenteil, es scheint mir, dass wir als wichtigste Kontrolle der Akzeptierbarkeit einer Theorie der Rechte vorsehen müssen, dass in dieser Theorie als Wahrheit
gilt, dass alle Personen ein Lebensrecht haben. Ich sage nur, dass ein Lebensrecht
haben weder ein Recht auf den Gebrauch noch ein Recht auf die Erlaubnis des längerfristigen Gebrauchs eines anderen Körpers garantiert auch wenn man ihn gerade
zum Überleben benötigte.“
107