migrantenorganisationen im spiegel der generationen

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migrantenorganisationen im spiegel der generationen
Dokumentation zur Fachtagung am 9. und 10. November 2013 in Dortmund
Migrantenorganisationen
im Spiegel der Generationen
Ein Beitrag von Migrant_Innenorganisationen
Inhalt
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Vorwort
PD Dr. Ansgar Klein, Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement
Grußwort
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen
Grußwort
Ullrich Sierau, Oberbürgermeister der Stadt Dortmund
Begrüßung
Prof. Dr. Siglinde Naumann, Hochschule RheinMain
Begrüßung
Antonio Diaz, BIFF e.V.
Vorträge
Einführungsreferat: Generationenfragen in der Einwanderungsgesellschaft
Dr. José Sánchez Otero, Bundesverband spanischer sozialer und kultureller Vereine e.V.
Integrationsarbeit in Dortmund
Reyhan Güntürk, Leiterin MIA-DO-Kommunales Integrationszentrum Dortmund
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Themeninseln
Väterarbeit
Generationenwechsel in Migrantenorganisationen
Migrantenorganisationen jüngerer Menschen
Neue Eltern – Neue Medien
Mütterarbeit
Offenes Forum Generationen
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Talkrunde
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Zukunftsforen
Kulturarbeit
Neue Migrantenorganisation
Flüchtlingsarbeit
Elternarbeit
Jugend(verbands-)arbeit
Migration und Alter
Thesensammlung
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AbschlieSSende Talkrunde
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Anhang
AG Migration und Teilhabe
Materialien
Impressum
Veranstalter und FördereR
Veranstalter war das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) über die AG 5 „Migration und
Teilhabe“ des BBE in Kooperation mit dem BIFF e.V.
Gefördert wurde die Veranstaltung vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF).
PD Dr. Ansgar Klein (Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement)
Vorwort
Unter Beteiligung des Oberbürgermeisters von Dortmund, Ulrich
Sierau, von Guntram Schneider,
Minister für Arbeit, Integration
und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, und des frisch gewählten Bundestagsabgeordneten
Dr. Karamba Diaby aus Halle a.d.
Saale, der schon seit Jahren an den
Tagungen des BBE mit Migrantenorganisationen mitwirkt, fand in
Dortmund am 9. und 10. November
eine Fachtagung der AG „Migration
und Teilhabe“ des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement (BBE) statt.
Migrantenorganisationen leisten
einen unbestrittenen Beitrag zur
Förderung des Generationendialogs und zur gesellschaftlichen Partizipation von Migrantinnen und
Migranten unterschiedlicher Generationenlagen. Während der Fachtagung „Migrantenorganisationen
im Spiegel der Generationen“ sind
Handlungsbedarfe analysiert und
konkrete Handlungsansätze für
die Anregung und Gestaltung gelungener Verständigungs- und Kooperationsprozesse zwischen den
Generationen erarbeitet worden.
Hierzu wurden die Kompetenzen
der 76 Teilnehmer_innen aus Migrantenorganisationen, Politik und
Verwaltung gezielt aufgegriffen
und einbezogen.
Thema der intensiven Diskussionen
waren die Anforderungen des
demografischen Wandels an Migrantenorganisationen: Dazu zählt
der Generationenwechsel, der in
verschiedenen Migrantenorgani-
sationen stattfindet. Eine ressourcenorientierte Perspektive auf den
Lebenslauf und die Lebensphasen
von Vereinen wurde für die Identifizierung von guten Praxismodellen genutzt. Dabei sind auch neue
Migrantenorganisationen von Bedeutung, die von erst in jüngerer
Zeit zugewanderten Communities
ins Leben gerufen werden. Weitere
Aspekte waren der Generationendialog und die Fragen des Alterns
der ersten Einwanderergenerationen. Darüber hinaus wurde der
Blick auf Jugendorganisationen
und nicht zuletzt auf Familien und
Eltern gerichtet. Die Tagung wurde in bewährter Partnerschaft
vom Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge (BAMF) gefördert und
von Prof. Dr. Siglinde Naumann und
Antonio Diaz, BIFF e.V., geleitet.
Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen | 3
Guntram Schneider (Minister für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen)
GruSSwort
Sehr geehrte Prof. Dr. Naumann,
sehr geehrter Dr. Diaby,
meine sehr geehrten Damen und
Herren,
Enkelkinder leben hier, viele sind
inzwischen deutsche Staatsbürger_innen geworden. Verbunden
fühlen sie sich mit ihrem ursprünglichen Heimatland, aber ebenso mit
die Einladung zu der Fachtagung Deutschland. Sie haben Bindungen
habe ich sehr gern angenommen. in der alten und der neuen Heimat.
Nordrhein-Westfalen ist von Zuwanderung geprägt. Und das ist Migrantinnen und Migranten der
auch gut so! In NRW leben heute ersten Stunde haben in erhebüber 4,1 Mio. Menschen mit Mi- lichem Umfang zum wirtschaftligrationshintergrund. Das sind über chen Aufstieg Deutschlands beige20 Prozent.
tragen. Sie haben unser Land mit
aufgebaut.
Die Abkommen zur Anwerbung
von Gastarbeitskräften, die die Unzweifelhaft hat Arbeit immer
Bundesrepublik seit 1955 mit eu- eine zentrale Rolle bei der Migratiropäischen und auch einigen au- on nach Deutschland gespielt. Daßereuropäischen Ländern schloss, rüber hinaus stellt sie einen festen
hatten eine klare Zielrichtung: Bestandteil der gesellschaftlichen
Sie sollten den Wirtschaftsauf- und sozialen Integration dar. Daschwung sichern und dem ausge- bei ist ganz klar, dass sich gute Ardörrten heimischen Arbeitsmarkt beit auch lohnen muss! Deswegen
junge und unverbrauchte Arbeits- setze ich mich als Arbeitsminister
kräfte zuführen.
des Landes Nordrhein-Westfalen
auf der Bundesebene für MindestNichts beschreibt den Webfehler löhne in allen Arbeitsfeldern ein.
der damaligen Politik treffender
als der berühmte Satz des Schrift- Die Migrantenorganisationen spielstellers Max Frisch: „Wir haben ten bei der Integration der ZuArbeitskräfte gerufen, und es sind wanderinnen und Zuwanderer der
Menschen gekommen.“
ersten Generation eine wichtige
Rolle. Und nicht nur damals, auch
Für die erste Generation der ehe- heute ist dies weiterhin so. Die
maligen Gastarbeiterinnen und Migrantenorganisationen bringen
Gastarbeiter, die in den 1960er sich aktiv ein und leisten ihren BeiJahren gekommen sind, ist Deutsch- trag. Sie wissen um die Sorgen und
land längst zum Lebensmittelpunkt Nöte der hier lebenden Menschen
geworden, auch nach dem Ende der mit Migrationshintergrund. Sie unErwerbstätigkeit. Ihre Kinder und terstützen die verschiedenen Ge-
nerationen der ehemaligen Gastarbeiter_innen, aber auch die neu
zugewanderten Migrantinnen und
Migranten dabei, sich in die Gesellschaft zu integrieren und an ihr
teilzuhaben.
Auf Ihrer Tagung sind viele eindrucksvolle Beispiele von Migrantenorganisationen vertreten.
Eine erfolgreiche Integration ohne
das bürgerschaftliche Engagement
von Menschen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte ist nicht
vorstellbar. Integration kommt
eben nicht von allein.
Integration benötigt gesellschaftliches Engagement, damit gegenseitige Akzeptanz und ein friedliches Miteinander gelingen.
Auch zukünftig werden wir erfolgreiche Integration nur zusammen
schaffen. In diesem Zusammenhang nochmals ein herzliches Dankeschön an die vielen Menschen
in den Migrantenorganisationen
– Sie leisten hervorragende Arbeit
und zwar generationsübergreifend.
Durch das ehrenamtliche Engagement Ihrer Mitglieder_innen tragen
Sie mit dazu bei, dass nicht über Migrantinnen und Migranten gesprochen wird, sondern mit Ihnen.
In der öffentlichen Debatte werden die genannten guten Beispiele
leider immer noch viel zu wenig
4 | Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen
Schneider | Grußwort
wahrgenommen. In Deutschland
hat es sehr lange gedauert, bis Migrantenorganisationen als Partner
von Integrationspolitik erkannt und
anerkannt worden sind. Lange Jahre wurden sie kaum beachtet. Und
wenn sie wahrgenommen wurden,
dann häufig eher in einem negativen Kontext und nicht als Träger
wichtiger gesellschaftlicher Initiativen in den Bereichen Soziales, Bildung und Kultur. Selbstorganisation
galt für manche als Ausdruck von
Abschottung. Erst ab den 1990er
Jahren entwickelte sich allmählich
eine Situation, in der solche Organisationen als gleichberechtigte
und anerkannte Partner von Behörden, Verbänden oder politischen
Gremien auf Augenhöhe galten.
Heute sind Migrantenorganisationen grundsätzlich anerkannt. Zum
einen als Interessensvertreter der
Menschen mit Migrationshintergrund, zum anderen als Träger sozialer Dienstleistungen. Sie werden
bei bundesweiten, landesweiten
und lokalen Integrationskonferenzen als Akteure eingebunden.
Migrantenselbstorganisationen werden von den Medien stärker wahrgenommen und sie haben sich in
den vergangenen Jahren organisatorisch und fachlich erheblich
weiterentwickelt. Und: Selbstorganisation wird nicht mehr als Ausdruck von Abschottung gesehen,
sondern als Bereitschaft zur Mit- Nordrhein-Westfalen nimmt eine
wirkung und Einmischung in öffent- Führungsrolle in der Integrationspolitik ein. Unter der rot-grünen
liche Belange.
Bundesregierung wurde IntegraDamit Migrantenorganisationen ihre tion aber deutlich substanziell
Funktion in angemessener Weise gestärkt. So haben wir das erste
ausfüllen können hat die Landesre- Teilhabe- und Integrationsgesetz in
gierung von Nordrhein-Westfalen einem Flächenland eingeführt, das
diese als Partner der Integrations- der Landtag in Nordrhein-Westfaarbeit anerkannt und das früher als len ohne Gegenstimmen beschlosdie meisten anderen Länder. Und: sen hat. Dies war ein wichtiger
Nordrhein-Westfalen hat auch frü- Schritt für die weitere Entwicklung
her als alle anderen begonnen, die- und stellt eine neue qualitative
Stufe in der Integrationspolitik dar.
se zu fördern.
Alle wichtigen gesellschaftlichen
Wir haben die Projektförderung Gruppen wurden im Vorfeld gehört
durch zentrale Angebote der In- – gerade auch die Organisationen
formation und Qualifizierung von der zugewanderten Menschen.
Haupt- und Ehrenamtler_innen
aus Migrantenorganisationen flan- Ein zentrales Ziel dieses Gesetzes
kiert. Neben der Fachberatung, ist es „die Organisationen der Mendie beim Deutschen Paritätischen schen mit Migrationshintergrund
Wohlfahrtsverband (DPWV) an- in demokratische Strukturen und
gesiedelt ist, hat auch das Kom- Prozesse einzubinden und sie zu
petenzzentrum für Integration die fördern“ (§ 1 Ziele).
Migrantenorganisationen durch
vielfältige Angebote unterstützt. Nach unserem Verständnis sind die
Vor mehr als zehn Jahren ist zudem Migrantenorganisationen, neben den
das Netzwerk der Eltern mit Migra- Kommunalen Integrationszentren
tionshintergrund hinzugekommen. und den Integrationsagenturen
der Freien Wohlfahrtspflege, die
Neben den Fragen der Beantra- dritte Säule der Integrationspoligung, der Qualifizierung sind die tik. Um dies zu unterstreichen, hat
wesentlichen Bildungsthemen auf der Landtag die Mittel für die Miden Seminartagen vorgestellt, dis- grantenorganisationen erhöht. Zukutiert und an die örtlichen Mi- dem arbeitet mein Haus zurzeit an
grantenorganisationen weiterver- Rahmendaten für die neue Förderrichtlinie. Selbstverständlich hamittelt worden.
Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen | 5
Schneider | Grußwort
ben wir hier die wissenschaftliche
Perspektive und die Sichtweise der
Migrantenorganisationen miteinbezogen.
Dabei kommt es vor Ort auf die
enge Vernetzung der verschiedenen Akteur_innen an: Eine landesweite Koordinierungsstelle in
Dortmund begleitet den Aufbau
dieser bundesweit einmaligen flächendeckenden Integrationsinfrastruktur. Wie gut das bei uns funktioniert durften Sie ja bereits gestern
Abend erfahren. NRW lässt sich das
viel Geld kosten. Aber es lohnt sich!
die interkulturelle Väterarbeit, die
beim BIFF e.V. angesiedelt ist. Bei
geselligen Treffen wird hier lebensweltorientierte Beratung z. B. zu
Erziehungsfragen angeboten.
Sei es die Mütterarbeit von Africa
Positive e.V. Sie setzen sich insbesondere dafür ein, bestehende kulturelle Vorurteile gegenüber Afrika
abzubauen.
Ein weiteres Beispiel stellt Phönix
e.V. dar, der die Potenziale der russischsprachigen Migrantinnen und
Migranten gezielt fördert. Ihre Arbeit habe ich mir kürzlich persönEin weiteres wichtiges und ak- lich vor Ort angeschaut.
tuelles Thema ist die doppelte
Staatsbürgerschaft. Sie stellt eine Alle diese Organisationen fungiewesentliche Voraussetzung für ren als Brückenbauer zwischen
gesellschaftliche Teilhabe und so- den Kulturen, aber auch zwischen
mit für gelingende Integration dar. den Generationen und fördern so
Dabei muss doch vollkommen klar Integration und gegenseitige Aksein, dass wir von den jungen Men- zeptanz.
schen nicht erwarten können, dass
sie sich für eine Heimat entschei- Ein weiterer Punkt in diesem Zuden. Zur Identität eines jeden Men- sammenhang, der mir sehr am
schen mit Migrationshintergrund Herzen liegt, ist die Förderung von
gehören nun mal seine Herkunft jungen Menschen und Jugendorgaund sein Herkunftsland bzw. das nisationen.
seiner Eltern und Großeltern. Deswegen sagen wir unmissverständ- Die Jugendorganisation Hêvî e.V.,
lich „Ja“ zur doppelten Staatsbür- die 2009 von Schüler_innen und
Student_innen in Aachen gegrüngerschaft!
det worden ist, ist ein Bespiel dafür.
Wir haben gestern von vielen po- Sie arbeitet mit jungen Menschen
sitiven Entwicklungen und Bei- zusammen und erreicht dadurch
spielen im Bereich der Migran- gemeinsam etwas. Sie stärkt das
tenorganisationen erfahren. Das Selbstwertgefühl der Kinder und
Thema „Generationen“ ist dabei Jugendlichen und fördert deren
von zentraler Bedeutung. Ob z. B. Entwicklungsmöglichkeiten innerin der Eltern- und Familienarbeit halb und außerhalb der Bildungsoder in Bezug auf die Weitergabe einrichtungen. Ihre Mitglieder_invon Erfahrungen an jüngere Gene- nen fördern Toleranz und Respekt
rationen innerhalb von Migranten- zwischen den Kulturen und Generaorganisationen. Natürlich arbeiten tionen und helfen somit, die gesellwir sehr viel und eng mit dem Bund schaftliche Integration zu stärken.
zusammen, aber NRW und Dortmund liegen mir natürlich persön- Wir brauchen solche Menschen,
die sich mit viel Innovation, Kreatilich sehr am Herzen.
vität und Einfühlungsvermögen in
Bitte sehen Sie es mir nach, wenn der Integrationsarbeit einsetzen.
ich an dieser Stelle hiesige Projekte Die Migrantenorganisationen sind
beispielhaft herausstelle. Sei es ein unverzichtbares Fundament
erfolgreicher Integrationsarbeit.
Mindestens genauso wichtig ist
das Engagement weiterer gesellschaftlicher Partner. Erst das gemeinsame Engagement bringt
das „Herzblut“ in die Integrationsprojekte, welches den Erfolg
ausmacht. Die Förderung von Bürgergesellschaft und bürgerschaftlichem Engagement in allen Gesellschafts- und Politikbereichen ist
ein zentraler Baustein der Integrationspolitik in NRW sowie im Bund.
An dieser Stelle gilt, stellvertretend
für die weiteren Partner_innen auf
Bundesebene, mein Dank den Veranstalter_innen dieser Fachtagung.
Wie schön, dass Sie bei uns in Dortmund zu Besuch sind.
Sie haben am gestrigen Tag gehört
– und werden es heute auch noch
hören – was Menschen mit und
ohne Migrationshintergrund in Migrantenorganisationen leisten.
Nicht nur deshalb bin ich der festen
Überzeugung, dass Migrantinnen
und Migranten nicht „betüdelt“
werden müssen, sondern als aktive
Gestalter_innen wahrgenommen
und in den Integrationsprozess
miteinbezogen werden sollen. Integration heißt: Mitmachen. Integration heißt: Sich Engagieren, sich
Einmischen in öffentliche Belange.
Integration heißt: Seine Rechte in
der Gesellschaft selbstbestimmt
und selbstbewusst einzufordern.
Integration heißt zugleich: Verantwortung für die Gestaltung des gesellschaftlichen Zusammenlebens
zu übernehmen, auch wenn dies
– im Hinblick auf eine erfolgreiche
Integration – nicht immer einfach
ist.
Unverzichtbar für eine gelingende
Integration ist die Arbeit der vielen
engagierten Organisationen von
Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, Ihre Arbeit.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!
6 | Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen
Ullrich Sierau (Oberbürgermeister der Stadt Dortmund)
GruSSwort
Sehr geehrte Prof. Dr. Naumann,
sehr geehrter Herr Diaz,
sehr geehrte Damen und Herren,
Liebe Gäste,
die Zusammenarbeit, die Förderung und die Unterstützung der
zahlreichen Dortmunder Migrantenorganisationen ist ein Schwerpunkt unseres gesamtstädtischen
Integrationskonzeptes. Dieses habe
ich zur „Chefsache“ erklärt. Das bei
mir direkt angebundene „Kommunale Integrationszentrum Dortmund“ ist eine Querschnittsstelle,
unserer zentralen Steuerungseinheit. Im Rahmen des heutigen
Abendempfangs im Dortmunder U
wird Ihnen Frau Reyhan Güntürk,
die Leiterin von „MIA-Do/Kommunales Integrationszentrum“, die Arbeit dieser Steuerungseinheit noch
näher vorstellen.
dem Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE), das diese Tagung in Kooperation mit der
Arbeitsgruppe „Migration und
Teilhabe“ des BBE und dem Verein
BIFF – Bildung, Integration, Frauen,
Familie e.V. durchführt, danke ich
herzlich für die Einladung. Es freut
mich, dass die Tagung „Migrantenorganisationen im Spiegel der
Generationen“ in Dortmund stattfindet. Ganz herzlich heiße ich Sie
willkommen. Sicherlich nicht von
ungefähr wurde Dortmund als
Veranstaltungsort ausgewählt. In
Dortmund verfügen wir über ein
aktives Netzwerk von Migrantenorganisationen.
In Dortmund haben Migration und
Integration eine lange Geschichte.
Dieses Netzwerk setzt kontinuier- Seit Beginn der Industrialisierung
lich Akzente für eine Weiterent- leben in Dortmund viele Menschen
wicklung der Integrations- und Mi- mit Migrationshintergrund. Bis
grationspolitik unserer Stadt. Vom heute ist Dortmund eine Stadt der
Dortmunder Netzwerk gehen zahl- Vielfalt, in der Menschen aus rund
reiche Impulse für die Integrations- 180 Nationen zu Hause sind. 30
und Migrationspolitik des gesamten Prozent der Dortmunderinnen und
Landes Nordrhein Westfalen aus.
Dortmunder haben eine Zuwanderungsgeschichte. Die Menschen,
Wir alle erhoffen uns Synergieef- die hierher kommen und hier lefekte von der Tagung. Schließlich ben, bringen viele Talente, Potenzibringen Sie, meine Damen und ale und Kompetenzen mit. Sie sind
Herren, Netzwerkerfahrungen mit wie alle anderen am erfolgreichen
Migrantenorganisationen auf den Strukturwandel Dortmunds beteiunterschiedlichsten Ebenen mit. ligt. Sie sind mit all den Aspekten
Vom gegenseitigen Austausch kön- ihrer Biografien eine Bereicherung
nen wir alle nur profitieren.
für die Stadt. Sie sind aus der Stadt-
gesellschaft nicht mehr wegzudenken. Integration wird in Dortmund
jeden Tag gelebt: in den Stadtteilen
und Quartieren, in Vereinen und
Organisationen, Schulen und Kindergärten, zwischen Jung und Alt,
Frauen und Männern, Einheimischen und Zugewanderten.
Eine gelungene Integration, ein
friedliches Miteinander, gegenseitiger Respekt und Wertschätzung
– das sind wichtige Faktoren für
die Zukunftsfähigkeit einer Stadt.
Eine gelungene Integration ist,
wenn Menschen sagen: Dortmund
ist auch meine Stadt. Wenn sie
sich einmischen und mitgestalten
möchten, wenn sie Vorschläge zu
den unterschiedlichsten Themen
einbringen und Verantwortung
übernehmen. Dieses freiwillige
Engagement stärkt nicht nur die
Persönlichkeit, nein, es stärkt die
Entwicklung der gesamten Gesellschaft.
Den Migrantenselbstorganisationen
und den traditionellen Vereinen
kommt hierbei eine bedeutende
Rolle zu. Sie sind für Menschen
mit Migrationshintergrund ein
besonders wichtiger Zugang zu
gesellschaftlicher und politischer
Partizipation. In Dortmund gibt es
eine Vielzahl von Migrantenselbstorganisationen. Mit dem VMDO
e.V. hat sich hier ein Dachverband
von 34 Migrantenselbstorganisationen aus unterschiedlichen Kultur-
Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen | 7
Sierau | Grußwort
kreisen gegründet. Das ist sowohl
regional als auch überregional ein
vorbildlicher, interkultureller Zusammenschluss.
Die Migrantenselbstorganisationen
sind für unsere Stadt unverzichtbar, wir stärken sie daher in ihrer
Arbeit. Das fängt mit der Kontaktvermittlung zu den Akteur_innen
der Integrationsarbeit an und hört
mit gezielten Qualifizierungsveranstaltungen auf. Dabei führen wir einen Dialog auf Augenhöhe. Denn:
In Dortmund wollen wir nicht über
Migrant_innen, sondern mit ihnen
reden. Wir nehmen unsere Dialogpartner nicht nur mit, wir nehmen
sie ernst. Uns verbindet die Zukunft unserer Stadt. Daran wollen
wir gemeinsam arbeiten und auch
weiterhin Maßstäbe im Bereich der
Integration setzen.
pekten des Generationendialogs
innerhalb von Migrantenselbstorganisationen befassen. Zahlreiche anregende Gespräche und
Diskussionen warten auf Sie. Die
Handlungsaspekte, die Sie dabei
entwickeln, werden für alle Akteur_innen hilfreich sein. Gemeinschaftlich gelingt es uns, auch weiterhin Maßstäbe im Bereich der
Meine Damen und Herren,
Integration zu setzen. Für die anstehenden Aufgaben wünsche ich
im Laufe der Tagung werden Sie nach alter Tradition der Bergleute:
sich mit vielen interessanten As- „Glück auf“.
8 | Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen
Prof. Dr. Siglinde Naumann (Hochschule RheinMain, stellv. Sprecherin der BBE AG 5 „Migration
und Teilhabe“)
BegrüSSung
Sehr geehrte Damen und Herren, Dortmund statt, einer Migrantenliebe Kolleginnen und Kollegen,
organisation, die sich die Themen
Bildung, Integration, Frauen und
ich möchte Sie nun in anderer Rolle, Familie auf die Fahnen geschrieals stellvertretende Sprecherin un- ben hat. Auch das Büro des BIFF
serer Arbeitsgruppe 5, „Migration e.V. wurde im vergangenen Jahr
und Teilhabe“ des BBE zu unserer von Rechtsextremen beschmiert.
diesjährigen Tagung mit dem Titel Ich hoffe sehr, dass wir mit dieser
„Migrantenorganisationen im Spie- Veranstaltung gemeinsam einen
gel der Generationen“ begrüßen.
Beitrag dazu leisten können, Rassismus, Diskriminierung und allUnsere Tagung beginnt heute an tägliche Ausgrenzung im heutigen
einem besonderen Datum der deut- Deutschland zu bekämpfen. Die
schen Geschichte. Der 9. November Praxis des BIFF e.V. leistet dazu ei1989 war der Tag der Maueröff- nen lebendigen Beitrag.
nung. Es war die Zeit der Montagsdemonstrationen, im Rahmen Der andere Kooperationspartner
derer sich viele demokratisch ge- unserer Tagung ist das Bundessinnte Menschen in der DDR für netzwerk Bürgerschaftliches EngaBürgerrechte einsetzten.
gement. Es wurde 2002 vom Nationalen Beirat des Internationalen
31 Jahre zuvor war der 9. November Jahres der Freiwilligen gegründet
1938, ein undenkbar finsterer Tag um „bestmögliche rechtliche, inin der deutschen Geschichte. In der stitutionelle und organisatorische
Nacht vom 9. auf den 10. November Rahmenbedingungen für das bürwar die Reichskristallnacht. Ab die- gerschaftliche Engagement zu
sem Zeitpunkt verschlimmerte sich schaffen“. Es ist eine Mitgliederordie Lage der jüdischen Bevölkerung ganisation. Die inhaltliche Arbeit
auf unfassbare Art und Weise. Sie des Bundesnetzwerkes erfolgt in
waren zuvor Diskriminierungen und Arbeitsgruppen zu unterschiedsozialen Ausgrenzungen ausgesetzt, lichen Themenfeldern. Die AG 5
nun wurden sie verfolgt und muss- ist eine davon. Wir haben das Ziel,
ten um ihr Leben fürchten. Das Ende bürgerschaftliches Engagement von
kennen wir alle. Der Völkermord aus Migrantinnen und Migranten öfrassistischen Motiven kostete 6 Mil- fentlich sichtbarer zu machen und
lionen jüdische Mitbürger_innen in dessen Bedeutung hervorzuheben.
Europa das Leben.
Es lag auf der Hand, unsere Ziele
Unsere diesjährige Tagung findet gemeinsam mit Migrantenorgain Kooperation mit dem BIFF e.V. in nisationen zu verfolgen. Gerade
viele kleine Migrantenorganisationen agieren ehrenamtlich und
auf lokaler Ebene. Damit ihre
Ressourcen, Erfahrungen und
Anregungen für die gemeinsame
Weiterentwicklung einer aktiven
Zivilgesellschaft fruchtbar werden
können, wurde die Idee entwickelt
und umgesetzt, in Kooperation mit
den Migrantenorganisationen vor
Ort eine jährliche Plattform für
Menschen und Organisationen ins
Leben zu rufen, die mit den Querschnittsthemen Migration und Teilhabe befasst sind.
Diese jährlichen Tagungen finden
seit dem Jahr 2006 statt und sind
zu einem wichtigen Vernetzungsforum geworden. Die Migrantenorganisationen initiieren die inhaltlichen Themen. Beim ersten
Workshop 2006 in Oberhausen
wurden die Weiterbildungsbedarfe
von Migrantenorganisationen eruiert. 2007 ging es in Kooperation
mit dem Landesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement Bayern
und dem Institut für Soziale und
Kulturelle Arbeit in Nürnberg um
die Frage, wie die Weiterbildung
der Heterogenität von Migrantenorganisationen gerecht werden
kann und wie sie zu ihrem Empowerment beitragen kann. Unterschiede und Gemeinsamkeiten
von Migrantenorganisationen in
Ost- und Westdeutschland standen
2008 in Potsdam ebenso im Fokus,
wie Überlegungen zu Förderkon-
Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen | 9
Naumann | Begrüßung
zepten, die Migrantenorganisationen sen Anhalt, der Integrationsbeaufals selbstbewusste Akteure der Zi- tragten und der Jugendwerkstatt
„Frohe Zukunft“ in Halle statt. Dr.
vilgesellschaft akzentuieren.
Karamba Diaby war einer der HauEin wichtiger Baustein für die För- pakteure dieser Veranstaltung in
derung von Migrantenorganisati- seiner Heimatstadt. Thema waren
onen sind die strukturellen Rah- Konzepte und Methoden der Eltermenbedingungen. Während einige narbeit von MigrantenorganisatiBundesländer sehr viel Wert da- onen. Ein zentrales Ergebnis lautet,
rauf legen, die Modalitäten für Pro- dass erfolgreiche Elternarbeit zwar
jektförderungen so zu gestalten, vor Ort ganz niedrigschwellig bedass sich Migrantenorganisationen ginnt, aber überregional vernetzt
daran beteiligen können, gibt es sein sollte, um als Interessenverauch nach wie vor Bundesländer, tretung wirksam zu werden.
die lediglich eine Anteilsfinanzierung für Integrationsprojekte be- Das Thema Partizipation stand bei
reitstellen, wobei nicht vorgesehen der Tagung 2012 in Berlin im Mittelist, dass der Eigenanteil durch das punkt, die in Kooperation mit dem
ehrenamtliche Engagement der In- Migrationsrat Berlin-Brandenburg
itiativen erbracht werden kann. In- stattfand. Es wurde unter anderem
itiativen ohne Eigenmittel sind hier diskutiert, wie die politische Partizipation von Migrantinnen und
chancenlos.
Migranten in politischen Parteien,
2009 ging es in Rheinland Pfalz Gewerkschaften, Beiräten und
um die Netzwerkarbeit. Deutlich Ausschüssen gefördert werden
wurde, Netzwerke bergen Chan- kann. Im Ergebnis wurden Handcenpotentiale für eine lokale und lungsempfehlungen für die Verüberregionale Zusammenarbeit auf besserung der Wertschätzung der
gleicher Augenhöhe, andererseits interkulturellen Vielfalt in unserer
ist eine produktive Netzwerkarbeit Bevölkerung entwickelt, die sich in
jedoch nicht vorraussetzungslos der Vergrößerung von Partizipatiund bedarf eines hohen persön- onsmöglichkeiten niederschlagen
lichen und zeitlichen Engagements sollen. Angesprochen wurden die
Bereiche „interkulturelle Öffnung
der Akteur_innen.
im öffentlichen Dienst“, „Förde2011 fand die Tagung in Koopera- rung von Migrant_innenorganisation mit dem Landesnetzwerk der tionen und MigrantenjugendorgaMigrantenorganisationen in Sach- nisationen“ sowie die „Stärkung
politischer Beteiligungsmöglichkeiten“, z. B. durch ein gleichberechtigtes kommunales Wahlrecht
für Drittstaatenangehörige und die
Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft.
In diesem Jahr lautet das Thema
unserer Tagung „Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen“. Das Thema Generationen
hat viele Facetten. Zum einen geht
es um den Generationenwechsel,
der in verschiedenen Migrantenorganisationen stattfindet bzw.
stattgefunden hat. Der Dachverband der spanischen Elternvereine
feierte in diesem Jahr sein 40-jähriges Bestehen. Der Blick ist jedoch
auch auf neue Migrantenorganisationen zu richten. Weitere Aspekte
sind der Generationendialog sowie
die Fragen des Alterns der ersten
Einwanderergeneration. Darüber
hinaus geht es um Jugendorganisationen und nicht zuletzt um Familien und Eltern. Die gemeinsame
Klammer besteht darin, den Blick
auf die Gestaltungspotenziale für
die Zukunft der angesprochenen
Themen zu richten.
Ich möchte mich bei allen Unterstützerinnen und Unterstützern im
Vorfeld dieser Veranstaltung bedanken, insbesondere bei der Stadt
Dortmund und bei Johanna Neuling für die Tagungsorganisation.
10 | Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen
Antonio Diaz (BIFF e.V.)
BegrüSSung
Sehr geehrter Minister Schneider,
sehr geehrter Oberbürgermeister
Sierau,
sehr geehrte Damen und Herren,
eine gute Schulbildung mitbringen.
Gleichzeitig sollte es eine Schule
sein, die es ihnen ermöglichte Spanisch zu lernen, damit sie weiterhin
mit der Familie in der Heimat komgestatten Sie mir zu Beginn einige munizieren konnten.
sehr persönliche Worte. Es bedeutet mir als Dortmunder mit Als meine Familie nach Dortmund
spanischen Wurzeln sehr viel, Sie kam wurden wir von den Verheute im Namen des Dortmunder mieterinnen mit Rhabarber- und
Vereins BIFF (Bildung Integration Pflaumenkuchen empfangen. UnFrauen Familie) zur Fachtagung sere Vermieterinnen waren vier
„Migrantenorganisationen im Spie- ältere Schwestern, allein stehende
gel der Generationen“ begrüßen zu Witwen, die ihre Ehemänner im
dürfen. Dieser Titel hat mich dazu Krieg verloren hatten. Diese vier
inspiriert, Ihnen die folgende Ge- „Dortmunder Mädels“, wie sie sich
schichte zu erzählen. Als ich mit selbst bezeichneten, prägten unmeiner kleinen Schwester nach sere erste Zeit in Dortmund. Wir
Deutschland „importiert oder ex- gingen bei ihnen ein und aus und
portiert“ worden bin, kamen wir lernten so die deutsche Sprache,
nach Dortmund, in ein Land und die Sütterlinschrift, aber auch die
eine Stadt in der wir, die Familien Küche und die Kultur Westfalens
der Gastarbeiter_innen aus Spani- kennen. Im ersten Stock war für
en, Italien, Griechenland, gar nicht uns der Ort, an dem unsere „deutvorgesehen waren. Es gab für uns schen Omis“ wohnten. Unten im
Kinder die sogenannten „Natio- Erdgeschoss waren unsere aktiven
nalklassen“ und es existierte keine Eltern, die uns überallhin mitnahSchulpflicht für die Kinder der Aus- men. In Spanien, konkret in Cadiz,
länder_innen oder Gastarbeiter_ in Alcala de los Gazules, waren uninnen. Wir Kinder waren zunächst sere anderen Omas und Opas, die
nur erstaunt und wunderten uns, uns vorlebten sich einzumischen.
warum die Schulferien hier solan- Das Resultat war in unserem Fall:
ge dauerten. Unsere Eltern tra- Dortmunder Andalusier oder anfen sich in Bars, Gemeindesälen dalusische Dortmunder, für die
und ähnlichen Räumlichkeiten mit Dortmund zur Heimat wurde und
anderen Eltern. Sie diskutierten die sich lernten einzumischen. So
und planten, wie ihre Kinder in oder so ähnlich wie uns erging es
Deutschland eine gute Schule be- vielen Kindern spanischer Gastarsuchen könnten, damit sie, wenn beiter_innen. Wir wunderten uns
sie nach Spanien zurückkehren, über viele Dinge, die anders waren
als in Spanien so z. B. darüber, wie
unterschiedlich sich die Lehrer_innen gegenüber ihren Schülern
verhielten und dass nachmittags
so viele Kinder mit einem Schlüssel an einem Band um den Hals
nach Hause gingen. Bei unserem
ersten Weihnachtsfest waren wir
erstaunt, wie „traurig und still“ in
Deutschland Weihnachten in der
eigenen Wohnung gefeiert wird,
ganz im Gegensatz zu den „freudigen und lauten“ Feiern auf der
Straße bei uns in Andalusien.
Unsere Eltern machten ganz ähnliche Erfahrungen. Sie waren nach
Deutschland gekommen, damit es
ihren Kindern besser geht und stellten sehr schnell fest, dass das in
Deutschland zwar „materiell“ gut
zu verwirklichen war, aber nicht,
wenn es um eine gute Schulbildung
für ihre Kinder ging. Es gab anfangs
keine allgemeine Schulpflicht für
die Kinder der Gastarbeiter_innen
und in den eingerichteten Nationalklassen lernten die Kinder vor
allem Deutsch und die Basisfächer.
Unterricht in der Muttersprache
wurde als störend für das Erlernen
der deutschen Sprache angesehen.
Ältere Kinder kamen automatisch
in Hauptschulen, ihnen wurde allerhöchstens in Aussicht gestellt,
eine gute Handwerkerin oder ein
guter Handwerker zu werden. Unter diesen Umständen begann die
erste Generation der sogenannten
Gastarbeiter_innen sich zu orga-
Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen | 11
Diaz | Begrüßung
nisieren. Ihr Ziel war es, dass ihre
Kinder die beste Bildung im deutschen Schulsystem erhalten, aber
gleichzeitig die Sprache ihrer Eltern nicht verlieren, falls sie eines
Tages nach „Hause“ zurückkehren
würden oder zumindest damit der
Kontakt in die Heimat sprachlich
möglich blieb.
In Dortmund entstand, nach vielen Treffen und Diskussionen Anfang der 1970er Jahre, der erste
spanische Elternverein. Die Eltern
stellten schnell fest, dass sie bei
allen Unterschieden ob politischer,
weltanschaulicher, religiöser Art
ähnliche und gleiche Herausforderungen und Probleme zu meistern
hatten.
Für diese Treffen wurden natürlich Räumlichkeiten benötigt, am
Anfang traf man sich in Cafés oder
Hinterzimmern von Bars. Die sogenannte „Spanische Katholische
Mission“ bot an, sich in ihren Räumen zu treffen. An dieser Stelle
machten die Eltern eine grundlegende neue Erfahrung mit der Institution Kirche und ihren Priestern. In
Spanien hatten viele die Erfahrung
gemacht, dass die „Kirche“ mit
dem Franco-Regime zusammenarbeitet, aber in Deutschland halfen
Priester bei der Organisation des
Spanischunterrichts, diskutierten
mit Schulen und unterstützten
Eltern. Diese Priester und aufgeschlossene engagierte Menschen
der Aufnahmegesellschaft nahmen
sich gemeinsam mit den Betroffenen den Herausforderungen der
Migration an und machten sich auf
den Weg.
Während dieses gemeinsamen
Weges wurden viele Erfahrungen
gesammelt, es wurde unter anderem festgestellt, dass Engagement
Strukturen braucht und Strukturen
mit Inhalt und Engagement gefüllt
sein müssen. Heute würde man sagen: Ehrenamt braucht Hauptamt
und Hauptamt braucht Ehrenamt.
Die am Prozess beteiligen Gastarbeiter_innen, ihre Familien, die
Priester und die Engagierten aus
der Aufnahmegesellschaft suchten
nach Hilfe und bekamen sie von
der Deutschen Bischofskonferenz
und von einigen Gewerkschaften.
Die Spanischen Eltern lernten sehr
schnell, organisierten und engagierten sich zunächst lokal, dann
regional, national und später transnational, sodass Mitte/Ende der
1960er und in den 1970er Jahren
zahlreiche spanische Elternvereine
entstanden. 1973 wurde der „Bund
der Spanischen Elternvereine in
der Bundesrepublik Deutschland“
gegründet. Es geschah etwas, dass
in der Aufnahmegesellschaft nicht
vorgesehen war. Zum einen „holten“ Gastarbeiter_innen ihre Familien nach, zum anderen brauchten
und forderten sie Schulen für ihre
Kinder und zwar die gleichen, wie
deutsche Kinder sie besuchten. Zusätzlich forderten sie eine bilinguale Erziehung ihrer Kinder.
Darüber hinaus war es nicht vorgesehen, dass Gastarbeiter_innen
oder ausländische Arbeitnehmer_
innen Vereine gründen. Zudem
wurden ihnen – von Seiten der
Ämter und Behörden – bei der
Gründung der sogenannten „Ausländervereine“ viele Steine in den
Weg gelegt.
tion der Einwanderer notwendig
waren, weder in der Aufnahmegesellschaft noch in der Ursprungsgesellschaft vorhanden waren. Das
benötigte Wissen und die Erfahrungen mussten miteinander entwickelt werden. Daher wurde 1984
die „Spanische Weiterbildungsakademie“ in Dortmund gegründet.
Die Gründer und Gründerinnen der
Elternvereine und der Spanischen
Weiterbildungsakademie suchten
nach geeigneten pädagogischen
Werkzeugen und Inhalten. Sie wählten das Konzept des brasilianischen
Pädagogen Paolo Freire aus. Es enthält das für diese Arbeit so wichtige
grundlegende Prinzip, dass es kein
Rezept für die Arbeit mit Menschen
gibt, sondern dass jeder Betroffene,
jede Gruppe, jede Community usw.
Expert_innen für ihre eigenen Geschicke sind, dass jeder Mensch
das Beste für seine Kinder/Familie
erreichen möchte und dass jeder
Mensch – unabhängig von seiner
Herkunft, seiner Bildung und seinem sozialen Status – Ressourcen
hat, die er einbringen kann.
Bevor ich unseren heutigen Referenten Dr. José Sánchez Otero
vorstelle, möchte ich noch kurz auf
den BIFF e.V. zu sprechen kommen.
Aus der Überzeugung heraus, dass
lokale Arbeit vor Ort sehr wichtig
ist, gründeten wir, engagierte Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, den Verein BIFF e.V. Die
Räumlichkeiten des Vereins sind in
Dortmund Dorstfeld, einem Ortsteil, in dem leider rechtsextreme
Gruppierungen sehr aktiv sind, in
dem aber auch der Widerstand der
Zivilgesellschaft sehr stark ist. In
diesem Stadtteil sind wir aktiv und
machen Bildungs- und Kulturarbeit
für und mit Frauen, Männern, Kindern und Jugendlichen. Trotz aller
politischen und wirtschaftlichen
Schwierigkeiten versuchen wir
eine gute Arbeit zu leisten.
Den Akteur_innen der damaligen
Elternarbeit war bewusst, dass Bildungsarbeit alle Familienmitglieder
involvieren muss. So wurde seit der
Gründung nicht nur Frauenarbeit,
sondern Kinder- und Jugendarbeit,
einige Zeit später auch Väterarbeit
und Seniorenarbeit geleistet. Thematisiert wurden alle Bereiche des
täglichen Lebens. Das pädagogische
Konzept war, dass alle Generationen und Familienmitglieder mitgenommen werden müssen. Sehr bald
stellte diese Elterngeneration fest,
dass das Wissen und die Bildung, Zu meinem Vergnügen habe ich
die für eine erfolgreiche Partizipa- nun die Ehre, Ihnen Dr. José Sán-
12 | Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen
Diaz | Begrüßung
chez Otero, Referent des nachfol- er fest, dass eine massive Einwangenden Einführungsvortrags, vor- derung von jungen Menschen aus
Spanien, Italien oder Griechenland
zustellen.
stattfindet. Sie wenden sich an
Er war der erste Vorsitzende der spanisch-arabisch sprachige Instispanischen Weiterbildungsakade- tutionen und benötigen Orientiemie, danach wechselte er zum neu rungshilfen sowie Unterstützung
geschaffenen Landeszentrum für sich zu organisieren.
Zuwanderung in Solingen. Nach
der Auflösung des Landeszentrums Diese Tendenz können wir von BIFF
für Zuwanderung wechselte Dr. e.V. bestätigen, wie sicher auch
José Sánchez Otero zum Ministe- andere Migrantenorganisationen.
rium für Integration. Seit seiner Damals wie heute ist die AufnahmePensionierung arbeitet er u.a. sehr gesellschaft auf dieses Phänomen
aktiv im Jugendbereich im Bundes- nicht hinreichend vorbereitet. Heuverband spanischer sozialer und te und auch künftig müssen wir und
kultureller Vereine e.V. Bei der Ar- u.a. folgenden Fragen stellen: Was
beit mit jungen Menschen stellte müssen wir tun, um uns der neuen
Migration zu stellen? Was geschieht
mit Senioren mit Migrationshintergrund, mit diesen Gästen, die geblieben sind und deren qualifizierte
Kinder oft nicht mehr da sind?
Diese Themen werfen sehr viele
Fragen auf. Gleichzeitig ergibt sich
aus ihnen auch die Chance, neue
gemeinsame Antworten zu finden.
In diesem Sinne hoffen und wissen
wir, dass Dr. José Sánchez Otero
vom Bundesverband spanischer
sozialer und kultureller Vereine e.V.
uns mit seinem Referat „Generationenfragen in der Einwanderungsgesellschaft“ ein großes Stück voranbringen wird.
Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen | 13
Dr. José Sánchez Otero (Bundesverband spanischer sozialer und kultureller Vereine e.V.)
Generationenfragen in der
1
Einwanderungsgesellschaft
1. Derzeitige Aufgaben hinsichtlich bürgerschaftlich tätig sind. Bei den
der ersten Generation von Zuwan- älteren Migrant_innen (65 Jahre
derern1
und älter) sind es 23,4 Prozent. Allerdings ist die Mitgliedschaft der
Aktuellen Daten zufolge wird die Menschen mit Migrationshinterabsolute Zahl der Migrant_innen grund in Vereinen, Verbänden und
die 65 Jahre oder älter sind, im Jahr sozialen Diensten mit 43,1 Prozent
2032 3,6 Mio. betragen (Bundes- höher als bei jenen ohne Migratiamt für Migration und Flüchtlinge onshintergrund; 41,8 Prozent (Die
2012). Aus der Sicht der Migran- Beauftragte der Bundesregierung
tenorganisationen ergeben sich als für Migration, Flüchtlinge und Intebelastende Bedingungen in diesem gration 2011). Die Vermutung liegt
Handlungsfeld insbesondere: Die nahe, dass es sich bei den Vereinen
akute Gefahr der Isolierung, vor und Verbänden, in denen sich Miallem bei verwitweten Frauen; die grant_innen engagieren, um Mistationäre Unterbringung in der Re- grantenorganisationen handelt.
gelversorgung; die professionelle
Anleitung und Begleitung bei der Bei den älteren Migrant_innen
ehrenamtlichen Arbeit; die Auf- werden neben den genannten prorechterhaltung der klassischen Aus- blematischen Lebenslagen auch
länderzentren und der Aufbau dort vielfältige Potenziale erkannt: Bei
von Angeboten der Seniorenarbeit. Modellprojekten wurde die Bereitschaft der MigrantenorganisaNur 26,2 Prozent der Bürger_in- tionen und der älteren Migranten
nen mit Migrationshintergrund unter Beweis gestellt, ihre Potenziengagieren sich bürgerschaftlich, ale zu aktivieren (Deutsches Rotes
während 37,9 Prozent der Per- Kreuz 1977).
sonen ohne Migrationshintergrund
2. Bisher unzureichende Integrati1 In diesem Aufsatz werden die Aufgaon der zweiten und dritten Geneben genannt, die bei der ersten, zweiten
ration von Zuwanderer_innen
und dritten Zuwanderergeneration
strukturellen Integration hin (Zweiter Integrationsindikatorenbericht
2011). Seitdem neuere Studien zur
Integration von Zuwander_innen
differenzierter angelegt werden
(Migranten-Milieus-Tanja Merkle),
ist deutlich geworden, dass es bei
der Migrantenpopulation nicht nur
Verlierer, sondern auch Gewinner
gibt. Besondere Integrationsanstrengungen sollten demzufolge im
Sinne einer positiven Diskriminierung bei jenen Migrantengruppen
unternommen werden, bei denen
aufgrund ihrer sozialstrukturellen
und kulturellen Spezifika die Integration gefährdet ist.
Der letzte Integrationsindikatorenbericht der Bundesbeauftragten für Migration, Flüchtlinge und
Integration weist auf Differenzen
zwischen den Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund
und denjenigen ohne diesen Hintergrund hinsichtlich der sozial-
3. Welchen Beitrag leisten die von
Zugewanderten initiierten Vereine
und Verbände für die in Deutschland nachwachsenden Generationen?
augenblicklich prioritär angegangen
werden müssen. Die Neuzuwanderer
stellen eine neue Zäsur in der deutschen
Migrationsgeschichte dar. Aspekte der
intergenerationellen Zusammenarbeit
und der Beziehungen, sowohl in den
Migrantenfamilien als auch in den
Migrantenorganisationen sind in dem
Bericht über die Themeninsel „Generationenwechsel in Migrantenorganisationen“ in dieser Tagungsdokumentation
enthalten.
Empirische Untersuchungen haben
ergeben, dass das „kulturelle Kapital“ der Eltern entscheidend für
den schulischen Erfolg der Migrantenkinder (Cornelia Kristen 2004)
ist. So kann erklärt werden, dass
diejenigen Migrantenkinder, deren
Eltern durch Mitwirkung zum Beispiel in Elternvereinen ihr „Kapital“
erweitern konnten, ähnliche Schulerfolge wie ihre deutschen Schulkameraden zeigen (José Sánchez
Otero 2007/07).
Eine Studie des Ministeriums für
Arbeit, Soziales und Stadtentwick-
14 | Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen
Otero | Generationenfragen in der Einwanderungsgesellschaft
lung, Kultur und Sport in Nordrhein-Westfalen (1999) ergab unter
anderen, dass Migrantenorganisationen drei grundsätzliche Leistungen erbringen: a) Sie helfen auf
vielfältige Weise den Migrant_innen ihren Alltag zu bewältigen;
b) Sie sorgen für die Vermittlung
der Sprachen und Kulturen an die
nachwachsende Migrantengeneration und c) Sie fungieren als Brücke
zwischen den öffentlichen Verwaltungen, den Wohlfahrtsverbänden
und den Migrantengruppen. Die
seit Ende der 1990er Jahre erfolgte
Aufwertung der Migrantenorganisationen führte dazu, dass bei der
Neustrukturierung der Integrationspolitik der Bundesregierung
Migrantenvertreter_innen in allen
neuen Gremien zur Gestaltung der
Integrationspolitik der Bundesregierung mitarbeiteten.
Dadurch, dass die meisten Migrantenorganisationen ihre Arbeit auf
ehrenamtlicher Basis durchführen,
stellt die Aufwertung, die sie durch
die häufigen Einladungen zu Gesprächen und Konferenzen seitens
öffentlicher Stellen erfahren, in
vielen Fällen eine zusätzliche zeitliche Belastung für die Vorstandsmitglieder_innen dar. Darüber hinaus werden Mitglieder_innen der
Organisationen gebeten, Voten zu
Themenkomplexen zu formulieren,
ohne sich vorher untereinander
verständigen zu können. Aber auch
bei denjenigen Migrantenorganisationen, die über hauptamtliches
Personal verfügen, handelt es sich
um projektgebundene, zeitlich befristete Stellen. Durch zeitweise
fehlendes und häufig wechselndes
hauptamtliches Personal leidet die
erforderliche Kontinuität erheblich.
Diese Situation führte dazu, dass
das Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge den Paritätischen Gesamtverband mit der Durchführung einer Studie über Modalitäten
einer möglichen „strukturellen Förderung“ jener Migrantenorganisati-
onen beauftragte, die in mehreren beitslosenstatistik und die sozialen
Bundesländern aktiv sind (Paritä- Abgaben der durch die Auswandetischer Gesamtverband 2011).
rung betroffenen Länder entlastet
werden. Die Geldtransfers der
Ab Januar 2014 sollen elf Migran- Migrant_innen in ihre Herkunftstendachverbände für drei Jahre regionen nahmen seit Beginn der
öffentliche Mittel als strukturelle Finanz- und Wirtschaftskrise ebenFörderung erhalten. Problematisch falls zu.
bei dieser an sich zu begrüßenden
Entwicklung ist, dass die Mittel, Die Migrantenorganisationen sind
die nun als strukturelle Förderung die von den Neuzuwanderern beverwendet werden sollen, aus dem vorzugten Kontaktstellen unmittelbisherigen Etat für Integration vor bar nach ihrer Ankunft in DeutschOrt abgezogen werden. Gerade land. In vielen Fällen kontaktieren
von diesen Mitteln profitierten bis- die Migrant_innen diese Organiher am meisten die eher kleinen sationen bereits vor der Abreise
Migrantenorganisationen.
aus dem Herkunftsland. Die oben
genannten drei klassischen Grund4. Die „neue Zuwanderung“ als funktionen der Migrantenorganiaktuelle Herausforderung für sationen werden nunmehr auch für
Deutschland und die Migranten- die Neuzuwanderer von entscheidender Bedeutung.
organisationen
Seit Beginn der europäischen Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahr
2008 strömen zahlreiche Menschen nach Deutschland, insbesondere aus den EU-Ländern Griechenland, Italien, Portugal und Spanien.
Daten des Bundesamts für Statistik
zufolge stieg die Zahl der Zuwanderer aus Spanien im Jahr 2012 um 45
Prozent (um 9.000 Personen). Aus
Griechenland und Portugal kamen
jeweils 10.000 bzw. 4.000 (eine
Steigerung um 43 Prozent) mehr
als im Jahr zuvor. Aus Italien kamen
12.000 Menschen mehr in die Bundesrepublik als im Jahr 2011 (eine
Steigerung um 40 Prozent). Allerdings verbleibt nur ein Teil dieser
neuen Zuwanderer dauerhaft in
Deutschland. Die OECD fand heraus, dass im Jahr 2011 nur jeder
dritte Spanier länger als 12 Monate in Deutschland blieb. Bei den
Italienern, Griechen und Portugiesen blieben nur 40 Prozent (Zeit
Online: OECD-Studie). Mittel- und
längerfristig bedeutet diese neue
Zuwanderung für die Abgabeländer einen erheblichen sozioökonomischen Verlust. Kurzfristig tragen
allerdings diese neuen Auswanderungsformen dazu bei, dass die Ar-
An dieser Stelle seien – exemplarisch
für die anderen Migrantenverbände – die ersten Erfahrungen des
Bundesverbandes spanischer kultureller und sozialer Vereine mit
den Neuzuwanderern in Deutschland aufgeführt2: Es handelt sich
bei dieser Personengruppe in
erster Linie um Männer. Sie sind
in der Regel gut ausgebildet, bringen aber in den seltensten Fällen
deutsche Sprachkenntnisse mit.
Sie sind sehr anpassungsfähig und
übernehmen umstandslos Jobs bei
Zeitarbeitsfirmen und von Spaniern
geführten Gastronomiebetrieben
oder Ladenlokalen. Anders als die
spanischen Migrant_innen der
1960er und 1970er Jahre bemühen
sie sich – gleich nach der Ankunft
in Deutschland – um gute Sprachkenntnisse.
Vertreter_innen der Migrantenorganisationen empfangen die Neu2 Das Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge hat das Berliner Minor-Projektkontor für Bildung und Forschung mit
der Bestandserhebung „Neue Arbeitsmigration“ beauftragt. Die ersten Ergebnisse
sollen bereits zu Beginn des Jahres 2014
veröffentlicht werden.
Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen | 15
Otero | Generationenfragen in der Einwanderungsgesellschaft
zuwanderer, sorgen für die Übersetzung ihrer Arbeitszeugnisse,
begleiten sie zur Ausländerbehörde, zu Wohnungsanbietern und zu
möglichen Arbeitsstellen.
Selbstverständlich ist diese neue
Herausforderung für die Migrantenorganisationen mit allerlei Problemen und Schwierigkeiten verbunden. Auf Dauer können sie dieses
neue Betätigungsfeld nur angemessen lösen, wenn es zu einer
Erweiterung des hauptamtlichen
Personals und zu einer Erhöhung
der finanziellen Mittel kommt. Inzwischen werden Fachkräften der
pädagogischen und sozialen Arbeit
in ihrer Ausbildung in der Regel
interkulturelle Basiskompetenzen
vermittelt. Im Umgang mit Neuzuwanderern sind diese unverzichtbar. Die Betreuung und Beratung
der Neuzuwanderer bedeutet jedoch für das hauptamtliche Personal und die Vereinsvorstände erhebliche zusätzliche Belastungen,
so dass Fortbildungen, Supervision
und kollegiale Beratungen dringend erforderlich sind.
5. Rückblick und Ausblick
In Hinblick auf die nachholende
Integration hat sich Deutschland
inzwischen konzeptionell und orga- • Merkle, Tanja: Milieus von Familien mit Migrationshintergrund.
nisatorisch gut aufgestellt. Auf die
In: Fischer, Veronika/Springer,
neuesten Zuwandererströme reaMonika (Hrsg.) (2011): Handgierte Deutschland bisher allerdings
buch Migration und Familie.
schwerfällig und unkoordiniert. Vor
uns allen liegt die Herausforderung, • Ministerium für Arbeit, Soziales
und Stadtentwicklung, Kultur
die Startbedingungen der Neuzuund Sport NRW (1999): Selbwanderer zu verbessern und die Instorganisationen von Migrantegration derjenigen, die dauerhaft
tinnen und Migranten in NRW.
in Deutschland bleiben, effektiver
Wissenschaftliche Bestandsaufund rascher zu gestalten, als dieses
nahme. Düsseldorf.
bisher mit den Zuwanderergenera• Paritätischer Gesamtverband
tionen bis 2000 geschehen ist.
(2011): Expertise – Stärken und
Potentiale von bundesweit organisierten und tätigen MigrantenLiteraturverzeichnis
dachorganisationen und Positionspapier – Vorschläge für eine
• Beauftragte der BundesregieGrundausstattungsförderung von
rung für Migration, Flüchtlinge
Migrantendachorganisationen.
und Integration (2011): Zweiter
Der Paritätische GesamtverIntegrationsindikatorenbericht.
band a.a.O. Expertise, S. 23.
• Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge (2012) : Ältere Mi- • Sánchez Otero, José: Die spanische
Einwanderung nach Deutschland:
grantinnen und Migranten –Enteine Erfolgsgeschichte. In: Dietwicklungen, Lebenslagen, Perrich Thränhardt (Hrsg.): Entwickspektiven.
lung und Migration. Jahrbuch Mi• Deutsches Rotes Kreuz (1977):
gration 2006/2007.
Adentro: spanischsprechende
Seniorinnen und Senioren mi- • Zeit Online: OECD-Studie: Zuwanderer verlassen Deutschschen sich ein.
land bald wieder (http://
• Kristen, Cornelia: Migranten
www.zeit.de/politik/deutschim deutschen Schulsystem. Zu
land/2013-06/OECD-zuwandeden Ursachen ethnischer Unrung-migranten-EU, Zugriff am:
terschiede. In: Recht der Jugend
4.12.2013)
und des Bildungswesens 1/2004.
16 | Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen
Reyhan Güntürk (Leiterin MIA-DO-Kommunales Integrationszentrum Dortmund)
Integrationsarbeit in Dortmund
Der „Masterplan Migration/
Integration“
Die Stadt Dortmund ist weltoffen
und ihre Bürgerschaft vielfältig.
Diese Vielfalt gibt der Stadtgesellschaft ihre besondere Prägung.
Vielfalt ist hier Normalität, Vielfalt ist hier Zukunft. Interkulturalität wird zum Prinzip, an dem
sich das Handeln orientiert. Die
Richtschnur dabei ist die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen
unterschiedlicher Herkunft am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen,
kulturellen und politischen Leben
in Dortmund. Städtische Politik,
Stadtverwaltung, Verbände und
Organisationen und eine große
Zahl von Akteur_innen der Zivilgesellschaft arbeiten gemeinsam
daran, in diesem Sinne die Integrationsarbeit in Dortmund weiter zu
entwickeln, zu vertiefen und ihre
Ergebnisse zu sichern.
Eine aktive und respektvolle Gestaltung des Zusammenlebens in Vielfalt und die Abwehr fremdenfeindlicher und rassistischer Störungen
haben in Dortmund eine lange und
gute bürgerschaftliche Tradition.
Maßgeblichen Anteil daran hatten
und haben die verschiedenen Kirchen und zahlreichen Verbände mit
ihrer Dialogkultur. Die Stadt Dortmund hat diese Aktivitäten stets
begrüßt und unterstützt.
Die Grundlage für diese Struktur
bildet das gesamtstädtische Integrationskonzept „Masterplan Migration/Integration“, der in einem
starken dialogorientierten Prozess
mit allen in der Stadt relevanten Integrationsakteur_innen umgesetzt
wird.
Die demografische Entwicklung
in Dortmund zeigt mit den Jahren
eine ansteigende Tendenz im Hin-
blick auf die Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, so dass sich
die Ausgestaltung einer kulturell
vielfältigen Stadtbevölkerung damit fortsetzt. Vor diesem demografischen Hintergrund sollen besonders vier integrationspolitische
Handlungsfelder im Mittelpunkt
der städtischen Integrationsarbeit
stehen, die eine wesentliche Rolle
für eine gelingende Integration, für
das Alltags- und Zusammenleben
von allen Menschen unabhängig
ihrer Herkunft sowie für das Selbstverständnis der Stadtgesellschaft
als eine internationale, interkulturelle und interreligiöse Stadtgesellschaft spielen. Zugleich wird
der in der Vergangenheit oftmals
dominierende Defizitansatz, also
die unhinterfragte Gleichsetzung
von Zuwanderungsgeschichte und
Benachteiligung, verlassen, zugunsten eines Verständnisses, das
an den Talenten, Potenzialen und
Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen | 17
Güntürk | Integrationsarbeit in Dortmund
Kompetenzen der Menschen mit schaftlichen Teilhabe- und IntegraZuwanderungsgeschichte ansetzt. tion“ hat das Ziel, mehr soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit
Verbunden mit den Schwerpunkt- für Menschen mit ausländischen
setzungen sind jeweils entspre- Wurzeln zu schaffen. Das Gesetz
soll das Engagement der vielen
chende Leitvorstellungen:
in der Integrationsarbeit vor Ort
• Bildung: Sicherung der Zukunft- aktiven Menschen bündeln und
schancen von Kindern und Ju- die Arbeit – insbesondere die der
gendlichen, Verbesserung der Kommunen – qualitativ weiterentÜbergangsquoten, Nutzung von wickeln. U.a. ermöglicht das Gesetz
(interkulturellen) Potenzialen und für Kommunen die Einrichtung von
Kompetenzen, Anerkennung von „Kommunalen Integrationszentren“,
Interkulturalität als Qualitäts- in denen die Schwerpunkte „Integration als Querschnitt“ und „Intemerkmal
• Arbeit und Unternehmen: Siche- gration durch Bildung“ im Vorderrung von Fachkräften, Hochschul- grund der Arbeit stehen.
absolventinnen und -absolventen
und Unterstützung interkulturel- Die wichtigsten Eckpunkte des Geler Unternehmen unter Berück- setzes sind:
sichtigung der Aspekte: Technik,
• Stärkung der Integrationskraft der
Talente und Toleranz
Kommunen
• Soziale Balance in den Stadtbezirken: Sicherung von Chancen- • Kommunale Integrationszentren
gerechtigkeit, Bildung von Nach- • Unterstützung und Förderung für
Integrationsmaßnahmen zivilbarschaften, Unterstützung des
gesellschaftlicher Akteur_innen
sozialen Arbeitsmarktes sowie
(u.a. Wohlfahrtsverbände und
die Zusammenarbeit mit MiMigrantenorganisationen)
grantenorganisationen und Integrationsakteur_innen in den • Interkulturelle Öffnung der Landesverwaltung und mehr MiStadtbezirken
grantinnen und Migranten in
• Weltoffene/ Internationale Stadt:
den Öffentlichen Dienst (inkl.:
Förderung einer Anerkennungsinterkulturelle Ausrichtung von
kultur, Ermöglichung einer umzahlreichen Landesgesetzen)
fangreichen gesellschaftlichen
Teilhabe aller Menschen, Stärkung des Zugehörigkeitsgefühls Wesentlicher Bestandteil wiederum
aller Bürgerinnen und Bürger mit sind die Kommunalen IntegratiZuwanderungsgeschichte, För- onszentren. Diese verstehen Intederung der Partizipation und grationspolitik als QuerschnittsAntidiskriminierung zur Unter- aufgabe. Sie bündeln das mehr als
stützung einer global denkenden 30-jährige Know-How der „Regiound lokal handelnden Stadtge- nalen Arbeitsstellen zur Förderung
sellschaft, in der interkulturelle von Kindern und Jugendlichen aus
Vielfalt als Chance und positive Zuwandererfamilien (RAA)“ und
Herausforderung begriffen wird das fundierte Erfahrungswissen
aus den Projekten des Programms
Das „Gesetz zur Förderung der KOMM-IN NRW bzw. die bisherige
gesellschaftlichen Teilhabe- und Querschnittsarbeit Integration (Migrations- und IntegrationsagenIntegration“ des Landes NRW
tur Dortmund (MIA-DO)). Und sie
Als erstes Flächenland hat Nordr- führen die Strategien „Integration
hein-Westfalen 2012 ein Integra- durch Bildung“ und „Integration als
tionsgesetz verabschiedet. Das Querschnittsaufgabe“ zusammen.
„Gesetz zur Förderung der gesell- Voraussetzungen für den Betrieb
sind ein durch den Rat der Stadt
verabschiedetes Integrationskonzept (in Dortmund: auf Grundlage
des Masterplans Migration/Integration). Dieses Integrationskonzept soll eine Darstellung der Arbeit
zu den beiden Schwerpunktthemen „Integration durch Bildung“
und „Integration als Querschnitt“
beinhalten. Es soll außerdem die
organisatorische Anbindung und
Ausgestaltung des Kommunalen Integrationszentrums als erkennbare
eigenständige Organisationseinheit beschrieben werden (in Dortmund: im Amt des Oberbürgermeisters und des Rates).
Aufgabenschwerpunkte eines Kommunalen Integrationszentrums sind:
• Das Kommunale Integrationszentrum unterstützt und berät
städtische Ämter und Dienststellen, z. B. Wirtschaftsförderung,
Jugendamt, Stadtentwicklung,
Ausländerbehörde, Schulen, andere Bildungseinrichtungen, Kindertageseinrichtungen, Träger der
Kinder- und Jugendhilfe sowie
weitere regionale Einrichtungen
und Organisationen (= Integration als Querschnitt in Verwaltung etablieren)
• Das Kommunale Integrationszentrum hat Koordinierungs-,
Beratungs- und Unterstützungsfunktionen und ist gemeinsam
mit Einrichtungen des Regelsystems in der Kommune für
die Entwicklung und Erprobung
von Angeboten und Dienstleistungen zuständig (= Zusammenarbeit/Vernetzung mit Trägern, Migrantenorganisationen,
etc.)
• Handlungsfelder der Kommunalen Integrationszentren sind
Bildung (insbesondere sprachliche und interkulturelle), Erziehung und Betreuung, und darüber hinaus z. B. Beschäftigung,
Kultur, Sport, politische Partizipation, bürgerschaftliches Engagement, soziale Arbeit im Flücht-
18 | Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen
Güntürk | Integrationsarbeit in Dortmund
lingsbereich, Gesundheit sowie
die Pflege älterer Menschen (=
Fokus Bildung und MasterplanHandlungsfelder)
• Die Kommunalen Integrationszentren arbeiten entlang der
gesamten Bildungskette: von
der frühen Bildung bis zum
Übergang in das duale Ausbildungssystem/Studium, auch in
dem sie Schulen und außerschulischen Einrichtungen bei der
Erfüllung ihres Bildungs- und Erziehungsauftrags unterstützen
(= Fokus Bildung)
nur der eigenen Charakterisierung
als „Stadt der Vielfalt“ gerecht.
Deshalb hat sich auch die Stadt
Dortmund zur Einrichtung dieses
Integrationszentrums entschieden,
welches am 1.8.2013 in Dortmund
eingerichtet wurde.
rende Schule – Übergang Schule/
Beruf) organisiert. Sprachenlernen
findet immer statt: in Familien, im
Freizeitbereich und in Institutionen, innerhalb der Schule muss es
in allen Unterrichtsfächern stattfinden.
Beim Arbeitsschwerpunkt „Integration als Querschnitt“ dagegen
geht es um die Systematisierung/
Weiterentwicklung der bisherigen
Arbeitsvorhaben und Ergebnisse in
den Handlungsfeldern „Arbeit und
Unternehmen“, „Soziale Balance
in den Stadtbezirken“ und „Weltoffene/Internationale Stadt“ unter
besonderer Berücksichtigung der
Kooperation, Einbindung, Kompetenzen/Potenziale und ProfesBeim Arbeitsschwerpunkt „Inte- sionalisierung der Strukturen von
gration durch Bildung“ steht die Migrantenorganisationen in DortOptimierung der durchgängigen mund.
Sprachbildung durch Ausweitung
und Vernetzung von sprachbil- Wie bereits Anfangs skizziert, sind
denden Maßnahmen, Angeboten die Strukturen von Migrantenorgaund Programmen im Vordergrund. nisationen unerlässlich für eine geGesellschaftliche Teilhabe, soziale lingende Integrationsarbeit vor Ort,
Integration und berufliche Per- insbesondere in den Stadtteilen
spektiven resultieren in unserer und Quartieren. Rund 130 MigranGesellschaft besonders aus der tenorganisationen existieren im
Bildung des jeweiligen Menschen. Raum Dortmund und widmen sich
Eine Schlüsselrolle für eine langfri- ihrerseits einer ganzen Reihe von
stige, gelingende Integration über- Themen, von Bildung und Politik bis
nehmen sprachliche Kompetenz hin zu Freizeit und Sport. Viele dieund die Beherrschung der deut- ser Organisationen blicken auf eine
längere Tradition zurück, die zum
schen Bildungssprache.
Teil bis in die Zeit der Anwerbung
Dabei gehört zu den Gelingensfak- von Gastarbeiter_innen durch die
toren einer erfolgreichen Integrati- im Aufbau begriffene junge Bunon eine möglichst früh einsetzende desrepublik zurückreicht.
Sprachbildung, um bei Schulbeginn
allen Kindern einen guten Start und Bereits mit dem KOMM-IN-Proannähernd Chancengleichheit zu jekt „Migrantenorganisationen –
gewähren. Ebenso kann Sprachbil- Starke Partner für die Kommune“
dung nur in enger Zusammenarbeit wurden 2008 die Grundlagen für
mit den Eltern gut gelingen und eine starke Partnerschaft zwischen
bedarf dazu einer kultursensiblen kommunalen Einrichtungen, freiGrundlage, die geprägt ist von der en Trägern und den Strukturen
Wertschätzung der Mehrsprachig- der Migrantenorganisationen gekeit. Entlang der Lebens- und Bil- schaffen. Ziel dieses Projektes war
dungsbiografie wird sprachliche es, die wertvolle Arbeit der vielen
Bildung über die Schnittstellen der ehrenamtlich tätigen MigrantenorBildungskette (Elementarbereich ganisationen in der Stadt stärker zu
– Kita-Grundschule – weiterfüh- unterstützen.
Zwei wesentliche Aufgabenschwerpunkte stehen bei der zukünftigen
Arbeit des Zentrums im Vordergrund: „Integration durch Bildung“
und „Integration als Querschnitt“.
Wichtig ist es, dass diese zwei Arbeitsschwerpunkte immer auf der
Grundlage der bisherigen Integrationsarbeit in den Bereichen QuerMIA-DO-Kommunales Integrations- schnitt und Bildung umgesetzt
werden.
zentrum Dortmund
Der Plan des Landes NRW, die
Errichtung und den Betrieb kommunaler Integrationszentren zu
fördern, trifft in Dortmund auf außerordentlich günstige Voraussetzungen. Mit der klaren kommunalen
Verantwortungsübernahme für Integration/Migration seit 2005, der
systematischen Entwicklung von
Handlungsfeldern und der Fülle
von Aktivitäten wird die Stadt nicht
Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen | 19
Antonio Diaz (BIFF e.V.)
Themeninsel: Väterarbeit
Antonio Diaz stellte kurz die Väterarbeit des BIFF e.V. vor. Die Teilnehmer_innen der Themeninsel
schilderten zunächst ihre Schwierigkeiten, Väter und Männer für ein
Engagement in der Bildungsarbeit
zu gewinnen. Als weitere Schwierigkeiten wurden die fehlende Bereitschaft und das Unverständnis
gegenüber der interkulturellen
Väterarbeit benannt. Während
der Diskussion in der Themeninsel
wurden Termine und Orte festgelegt, um den Austausch zum Thema „Väterarbeit“ voranzutreiben.
Warum ist die Arbeit von und mit
Vätern so wichtig? Zum einen haben junge Väter längst erkannt,
dass sie mit der ihnen vorgelebten
Rolle als Mann und Vater in dieser
Gesellschaft nicht zurechtkommen,
bzw. dass diese Rolle, wenn sie dann
übernommen wird, in der Gesellschaft nicht mehr gut „ankommt“.
Das gilt nicht nur für Deutschland,
sondern häufig auch für das Herkunftsland der Eltern. Zum anderen fordern Frauen vieler Länder
in ihrer Heimat, aber vor allem Migrantinnen verschiedenster Herkunft hier in Deutschland: „Ihr habt
euch um uns gekümmert, uns fortgebildet, geschult, gefördert, gestärkt, in Projekte gesteckt, emanzipiert usw., aber unsere Männer
sind auf der Strecke geblieben, sie
sind nicht mitgenommen worden
und verstehen oft nicht, was los ist
und wovon wir sprechen, deshalb
haben wir Probleme umzusetzen, • „Vätergruppen“ sollen in „gewas wir verändern wollen.“
schützten“, d.h. neutralen
Räumlichkeiten
stattfinden,
Bei der notwendigen und von
nicht in der Moschee oder im
Männern und Frauen geforderten
Verein;
Arbeit mit „Vätergruppen“ ist eine • Die Gruppen sollten sich zubesonders sorgfältige und sensible
nächst über neutrale Themen
Schulung und Stärkung der Multifinden, z. B. Kochkurs, Sport,
plikator_innen notwendig, denn:
Vater-Kind-Gruppen;
• Die Multiplikatoren müssen be• Besonders in dem oben angesonders gut geschult werden
sprochenen Kulturkreis sind
(Methodik, Inhalte).
solche Gruppen kaum bekannt,
man trifft sich zum Tee trinken, Im Rahmen unsere Projektarbeit
zum Fußball gucken (im Café), wurde sehr deutlich, dass umfaszum Beten (in der Moschee), zu sende, koordinierte und strukSitzungen (im Verein);
turierte „Väterarbeit“ geleistet
• Geleitete Gruppen sind, außer im werden muss. Zum einen, um Mänreligiösen Kontext, nicht etabliert nern, die zu den oben genannten
und den Frauen vorbehalten;
Communities gehören, zu ermög• In diesen Kulturkreisen reden lichen, ihr traditionelles Rollenbild
Frauen untereinander über fast zu hinterfragen und gegebenenfalls
alles, es gibt kaum Tabuthemen, zu ändern, ohne dabei in Konflikt
Männer untereinander reden mit Herkunftskultur und Religion zu
so gut wie nie über ihre Frauen, geraten. Zum anderen, um Frauen,
schon gar nicht über Probleme die diesen Weg ebenfalls gehen, zu
innerhalb der Familie und Ge- unterstützen und ihre „Emanzipafühle;
tion“ zu ermöglichen. Letztendlich
• Männer, die andere moderne kann nur das gemeinsame Handeln
Wege gehen, d.h. die ihre tra- von Müttern und Vätern die eigene
ditionelle Rolle als Mann und sowie die Integration ihrer Kinder
Vater in Frage stellen oder gar in die Gesellschaft ermöglichen.
ändern wollen, gelten als „verwestlicht“, häufig werden sie Zusammenfassend sind folgende
belächelt und ihr Respekt ge- Kriterien festzuhalten:
genüber den Älteren wird in
Frage gestellt.
• Gemeinsame Ausgangslage und
Themen verbinden;
Daraus ergeben sich folgende An- • Multiplikator_innen sind die Exsätze:
pert_innen ihrer Community;
20 | Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen
Themeninsel | Väterarbeit
• Methoden müssen geschult
werden;
• Die Gruppen bestimmen die
Themen;
• Geschützte Räumlichkeiten sind
unbedingt erforderlich;
• Nichts ist unmöglich, d.h. es gibt
keine „Tabuthemen“, wenn die
Gruppe es bestimmt;
• Jeder ist erwünscht und hat Potenziale.
Entwicklung der Projekte
BIFF e.V. plant einen Film zu drehen, in denen die jungen Väter und
ihre Kinder das Leben ihrer Vorfahren als Biografie dokumentieren,
um so den Kindern und Enkeln von
Migrant_innen ihre „Geschichte“
zu geben. Diese Geschichte wird
zurzeit weder im Aufnahmeland
noch im Herkunftsland dokumentiert. An diesem Projekt sollen sich
auch einige Schulen aus Dortmund
beteiligen. Des Weiteren soll ein
Kochbuch mit internationalen Gerichten erscheinen.
Die Arbeit von BiFF hat sich weiterentwickelt. Zurzeit führt der Verein
Verhandlungen mit verschiedenen
Trägern in Dortmund mit dem Ziel
Vätergruppen in Kitas einzurichten.
Die Väterarbeit ist auf einem guten Weg, weil sich in unserem
Sinne „mutige“ Männer auf den
Weg gemacht haben, belächelt,
manchmal verspottet, aber zuletzt
endlich beachtet und anerkannt.
In einem sind sie sich übrigens alle
einig. „Es hat sich gelohnt, unsere
Familien sind zufrieden und wir
bekommen mehr zurück, als wir
gegeben haben.“
• N
otwendigkeit der Emanzipation der Väter
• Räume schaffen
• Schulungen ermöglichen
• Türöffner zu den Communities
• Väterarbeit im interkulturellen
Kontext nur von Vätern
• Rollenverständnis entwickeln
• Fortlaufender Prozess
• Ressourcen
• Bereitschaft der Gesellschaft
These, die in der Themeninsel erarbeitet wurde:
Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen | 21
Dr. José Sánchez Otero (Bundesverband spanischer sozialer und kultureller Vereine e.V.) und
Ansgar Drücker (Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit e.V.)
Themeninsel: Generationenwechsel in
Migrantenorganisationen
Aufgrund des Ausfalls des Referenten und des Wunsches aus dem
Teilnehmendenkreis hat sich José
Sánchez Otero spontan zu einem
Input für die Themeninsel bereit
erklärt und Ansgar Drücker hat die
Moderation übernommen.
Der Generationenwechsel in den
Migrantenorganisationen, die sich
zum Teil bereits in den 1960er, -70er
und -80er Jahre gegründet hatten,
vollzog sich in der Regel reibungslos. Dies gelang insbesondere jenen
Vereinen, die sich bei anstehenden
Vorstandswahlen aktiv um jüngere
Mitglieder_innen bemühten. Viele
Migrantenorganisationen
gründeten im Laufe der Jahre in den
Vorständen verschiedene Arbeitsgruppen, um spezifische Bedürfnisse der Jugendlichen, der Frauen
und – ab den 1990er Jahre – der
älteren Migrant_innen zu berücksichtigen. Diese Differenzierung hat
dazu beigetragen, dass die Vereine
ein Mindestmaß an Flexibilität und
Anpassungsfähigkeit bewahrten.
Die in den Migrantencommunities
gegründeten Vereine und Verbände litten somit nicht unter der
Gründung autonomer Jugend- und
Frauengruppen, denn daraus rekrutierten sie ihre Nachwuchskräfte
für die Erneuerung und Verjüngung
ihrer Organisationen. Dennoch gab
und gibt es immer wieder Befürchtungen, dass mit dem Generationswechsel nicht nur in den Familien,
sondern auch in den Migrantenor-
ganisationen die enge Bindung zum
Herkunftsland, zu seiner Sprache
und Kultur geschwächt werden
könnte. Diese Verlustängste der
älteren Generation sind ebenso
Teil des Generationswechsels wie
die von der jüngeren Generation
gelegentlich benannten Modernisierungsdefizite, die sie zum Teil
als Rückwärtsgewandtheit der Migrantenorganisationen wahrnehmen, was zu einer Hinwendung zu
anderen Organisationen auch der
Mehrheitsgesellschaft oder zu einer abnehmenden Identifizierung
mit den Migrantenorganisationen
führen kann.
Der effiziente Einsatz der „klassischen“ Migrantenorganisation
für die Integration der in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Generationen hatte in den
vergangenen Jahrzehnten auch
den Effekt, dass die meisten Mitglieder_innen der in Deutschland
nachwachsenden
Generationen
sich – im positiven Sinne des
Wortes – in Deutschland integrierten, d. h. die ethnische Zugehörigkeit spielt bei ihnen nicht die
gleiche zentrale und identitätsstiftende Funktion, die sie bei ihren Eltern bzw. Großeltern hatte.
Demzufolge engagieren sie sich
eher selten in den klassischen Migrantenorganisationen. Dadurch
werden die Mitgliedszahlen der
Migrantenorganisationen tendenziell nach unten gedrückt.
Angehörige der zweiten und dritten Generation engagieren sich in
den „klassischen“ Migrantenorganisationen eher anlassbezogen,
beispielsweise wenn ihre Kinder
eingeschult werden und sich die
Migrantenorganisationen in der Eltern- und Familienarbeit betätigen
bzw. Unterstützung bei den Schulaufgaben anbieten. Es handelt sich
also um temporäre Mitwirkungsformen, die nicht weniger wichtig
sind als ständige Mitgliedschaft
oder Engagement. Es gibt aber
auch zunehmend Fälle, in denen
Angehörige der zweiten und dritten Generation den Zugang zu den
„klassischen“ Migrantenorganisationen finden, weil sie dort Praktika
ableisten können oder sogar Beschäftigungsmöglichkeiten finden.
Das Verhältnis der Generationen
spielte bei der Bildungsarbeit der
Migrantenorganisationen immer
eine zentrale Rolle. Derzeit erhält
dieses Verhältnis allerdings angesichts der zunehmend älter werdenden Migrant_innen eine neue
Wendung. Die wachsende Zahl
pflegebedürftiger älterer Migrant_
innen und die Prognosen hinsichtlich des hohen Bedarfs nach Pflegekräften beschäftigen heute viele
Migrant_innen der zweiten und
dritten Generation.
Auch wenn die Migrantenorganisationen für Zugewanderte offensichtlich sehr attraktiv sind (etwa
40 Prozent der Zugewanderten be-
22 | Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen
Themeninsel | Generationenwechsel in Migrantenorganisationen
müssen. Die bestehenden Migrantenorganisationen stellen dabei
ein wertvolles soziales Kapital der
in Deutschland lebenden Zuwanderergruppen dar. Neuzuwanderer
können von diesem Kapital – vor
allem zu Beginn des Aufenthaltes in
Deutschland – profitieren; offen ist
jedoch die Frage, ob die „klassischen“
Migrantenorganisationen sich mit
dem erforderlichem Tempo auf
Die Neuzuwanderung aus Südeu- die anders gearteten Bedürfnisse
ropa seit 2008 im Zusammenhang dieser neuen Zuwanderergruppen
mit der Wirtschafts- und Finanz- ein- und umstellen können.
bzw. der Eurokrise stellt für viele
Migrantenorganisationen eine große Aus verschiedenen Gründen haben
Herausforderung dar. Einerseits die Regierungen der Herkunftskönnen sie ihre drei klassischen länder in der bisherigen MigratiGrundleistungen (Hilfe bei der Be- onsgeschichte nach dem Zweiten
wältigung des Alltags, Pflege von Weltkrieg ihre Migrant_innen nicht
Sprache und Kulturen der Her- vergessen. Hierfür waren in erkunftsländer und Regionen sowie ster Linie ökonomische Gründe
Brücke zwischen der jeweiligen (beispielsweise die sogenannten
Kolonie und den für die Integra- Heimatüberweisungen bzw. retionsarbeit relevanten Instanzen) mitances der spanischen Migrant_
auch für diese neue Zuwanderer- innen) verantwortlich. Auch bei der
gruppe aktivieren, andererseits Neuzuwanderung wird die aktuelle
sind diese Angebote oft nicht pas- Entwicklung in den Abgabeländern
send, so dass es daneben bei vielen verfolgt. So beteiligt sich beispielsGruppen der Neuzuwanderer_in- weise die spanische Botschaft an
nen Überlegungen gibt, eigene einer vom Bundesamt für MigraVereine zu gründen. Fakt ist, dass tion und Flüchtlinge in Auftrag gesie sich soziokulturell von ihren in gebenen „Bestandserhebung Neue
Deutschland ansässigen „Lands- Arbeitsmigration“. Die Regierung
leuten“ unterscheiden und eigene der Autonomen Region Madrid hat
Wege beispielsweise zur Arbeits- bereits in den vergangenen Jahren
und Wohnungsbeschaffung finden zwei gemeinsame Tagungen mit
teiligen sich daran), haben die Migrantenorganisationen allerdings
zu den häufig als „problematisch“
bezeichneten
Migrantenmilieus
und den in diesen Sozialräumen
aufwachsenden Kindern und Jugendlichen ebenfalls nur wenig
Zugänge, obwohl sie am stärksten
auf Unterstützung in ihrem Sozialisationsprozess angewiesen wären.
dem Bundesverband spanischer
sozialer und kultureller Vereine in
Deutschland durchgeführt, um die
ersten Schritte jünger Spanier e.V.
auf der Suche nach einer beruflichen Perspektive in Deutschland
zu verfolgen.
Fazit
Nur in Einzelfällen verläuft der
Generationenwechsel in Migrantenorganisationen krisenhaft, dennoch ist es wichtig ihn bewusst zu
gestalten und zu moderieren. Generationenwechsel braucht gute
Rahmenbedingungen (Professionalisierung, Qualifizierung, strukturelle Absicherung), gegenseitige
Wertschätzung der Generationen
sowie Offenheit und Loslassen
können.
These, die in der Themeninsel erarbeitet wurde:
Der Generationenwechsel braucht:
a.) Rahmenbedingungen wie Struktur, Personal, Qualifizierung und
Professionalisierung;
b.) Wertschätzung, Offenheit und
Loslassenkönnen;
c.) Sicherheit und verbessert das
soziale Kapital der Migrantenorganisationen.
Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen | 23
Abdullah Celik (Hêvî e.V.)
Themeninsel: Migrantenorganisationen
jüngerer Menschen
Die Diskussionspartner_innen dieser Themeninsel setzten sich sowohl aus Personen zusammen die
bereits auf Erfahrungen im Bereich „Migrantenorganisationen
jüngerer Menschen“ zurückblicken können, als auch aus Teilnehmer_innen, die bisher keine Berührungspunkte mit diesem Thema
hatten und die Diskussionsrunde
daher zum Einstieg in ein neues
Themengebiet nutzen.
Eingeleitet wurde die Thematik
durch einen Vortrag von Abdullah
Celik über den Verein „Hêvî“. Abdullah Celik ist Gründungsmitglied
des von Schüler_innen und Student_innen initiierten Bildungsund Integrationsvereins Hêvî e.V.
Die Chancen und die Probleme, vor
denen Migrantenorganisationen
junger Menschen stehen, sind in
dem Input besonders herausgearbeitet worden. Anschließend wurden sie in einem Gruppengespräch
diskutiert.
Einen besonderen Schwerpunkt
der Diskussion bildete dabei die
Frage, wie man junge Menschen
stärker an Migrantenorganisationen binden kann. Es wurde festgestellt, dass derzeit viele Migrantenorganisationen sehr starr und
zentralisiert organisiert sind. Auch
wurde berichtet, dass vermehrt die
Erfahrung gemacht wird, dass oft
ältere und etablierte Vereinsmitglieder jungen Menschen wenige
Möglichkeiten lassen, um zum Beispiel im Vorstand aktiv mitzuarbeiten. In der Diskussion stellte sich
heraus, dass Migrantenorganisationen langfristig ihre Strukturen ändern müssen, um junge Menschen
wieder vermehrt anzusprechen.
Junge Menschen, die aufgrund des
Studiums kaum konstante Arbeitszeiten haben, müssen durch eine
flexible und dezentrale Vereinsstruktur abgeholt und an die Vereinsarbeit gebunden werden.
Als eine weitere große Chance der
Migrantenorganisationen jüngerer
Menschen wurde angesehen, dass
junge Menschen oft einen besseren Draht zwischen den unterschiedlichen sozialen Milieus und
Kulturen in Deutschland haben und
somit als Vermittler_innen zwischen den Zugewanderten und den
bereits hier lebenden Menschen
fungieren können. Dabei können
sie diese Vermittlerrolle durch
ihre innovative und mutige Art oft
leichter einnehmen, als Menschen,
die bereits seit längerem sich in
diesem Bereich engagieren und
eventuell stark vorgeprägt sind.
Es wurde auch dargelegt, dass Migrantenorganisationen jüngerer
Menschen Probleme mit sich bringen können. Viele junge Menschen
wechseln im Laufe ihrer schulischen und beruflichen Ausbildung
mehrfach den Wohnort und so fällt
es den Migrantenorganisationen
schwer eine feste Mitgliederstruk-
tur im Verein zu etablieren. Daher
ist es von großem Vorteil, wenn
auch ältere Menschen in den Vereinen jüngerer Menschen mitwirken,
da sie so als Anhaltspunkte für die
fluktuierenden Mitglieder_innen
dienen können.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass junge Menschen im
Integrationsprozess eine wichtige
Rolle einnehmen und stärker in
diesen einbezogen werden müssen. Jedoch können die Jüngeren
diese starke Rolle nur einnehmen,
wenn sie dabei von den erfahrenen
Älteren bei ihrer Arbeit unterstützt
werden. Erst durch ein gemeinsames Wirken kann diese gesellschaftliche Herausforderung angegangen und bewältigt werden.
These, die in der Themeninsel erarbeitet wurde:
Migrantenselbstorganisationen junger Menschen können – mit ihrer
frischen, mutigen und innovativen
Art Problemstellungen zu bewältigen – einen wichtigen Beitrag als
Vermittler im Integrationsprozess
einnehmen. Sie müssen jedoch,
um ihr volles Potenzial entfalten
zu können, durch etablierte Mitglieder_innen des Integrationsprozesses unterstützt werden.
24 | Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen
Ute Cüceoglu (Elternbriefe – Altersgerecht & Digital)
Themeninsel: Neue Eltern – Neue Medien
Als Input zu Beginn der Themeninsel wurde ein Beispiel zum Thema
„Neue Medien“ beschrieben: Die
Elternbriefe, die seit den 1960er
Jahren in Papierform erschienen
sind, sind seit ca. zwei Jahren in
Form von CDs, USB-Sticks und auf
den entsprechenden Internetplattformen zu finden. Damit wird der
Entwicklung Rechnung getragen,
dass moderne Eltern, „Eltern von
heute“, eher heutige Medien und
weniger die klassischen Informationsmaterialien wie Broschüren,
Briefe, Bücher etc. nutzen. Selbstverständlich bilden Eltern mit Migrationshintergrund dabei keine
Ausnahme.
Auf dieser Basis entstand im Rahmen der Themeninsel eine Diskussion zum Thema „Neue Medien“.
Folgende Schwerpunkte wurden
herausgearbeitet:
Allgemeine Vorteile/Chancen des
Internets für Eltern (und Kinder)
mit und ohne Migrationshintergrund:
• Alle Informationen in der jewei- • Eltern können nicht genau
ligen Muttersprache, bzw. in der
überprüfen, welchen Inhalt die
jeweils gewünschten Sprache
deutschsprachigen
Internet• Grenzenloser“ Austausch mit
plattformen haben, auf denen
Verwandten/Freunden aus der
sich ihre Kinder surfen
jeweiligen Heimat vor allem für
Neuzuwanderer
Es wurde festgehalten, dass Vorteile und Gefahren für Eltern mit
Allgemeine
Gefahren/Probleme und ohne Migrationshintergrund
des Internets für Eltern (und Kin- bezüglich ihres eigenen, aber auch
der) mit und ohne Migrationshin- bezüglich des Umgangs ihrer Kintergrund:
der mit dem Internet gleich sind.
Der Umgang mit dem Internet
• Technisch Probleme → Anwen- (für Eltern und damit auch für ihre
dung/ Einstellungen/ Möglich- Kinder) hängt ab von der Medikeiten
enkompetenz der jeweiligen Nut• Unkritischer Umgang mit den zer_innen, die wiederum auch von
Möglichkeiten des Internets → der Sprachkompetenz und dem BilInternet = Wahrheit; Internet dungsgrad abhängig ist.
macht „alles“ möglich!
• Gefahr der Verharmlosung von Thesen, die in der Themeninsel erInhalten, z. B. Gewalt
arbeitet wurden:
• Gefahr des Missbrauchs und
Missverständnisse aus Unerfah- • Es gibt eine „neue“ Elterngenerenheit/Unwissenheit
ration, dazu gehören auch die
• Eltern wissen oft nicht, auf welneu zugewanderten Eltern
chen Internetplattformen sich • „Neue Medien“ bieten Chancen
ihre Kinder bewegen
(Wissenstransfer) und Gefahren
(unkritischer Umgang, MissBesondere Gefahren/ Probleme für
brauch usw.)
Eltern mit Migrationshintergrund:
• G
ezielte Informationen über alle
Themen
• V
erfügbarkeit rund um die Uhr • Auf Grund mangelnder Sprach• E igene themengerechte Informakenntnisse können bestimmte
tionen → vor allem für Frauen
Informationsangebote
nicht
• Kommunikation in sozialen Netzgenutzt werden oder werden
werken
missverstanden → allgemeine
Informationen, BehördeninforBesondere Vorteile für Eltern mit
mationen, Informationen über
Migrationshintergrund:
das Schulsystem usw.
Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen | 25
Veye Tatah (Africa Positive e.V.)
Themeninsel: Mütterarbeit
Die Arbeitsbereiche des Vereines
Africa Positive wurden den Teilnehmer_innen vorgestellt. Africa
Positive e.V. ist ein eingetragener,
gemeinnütziger Verein, der 1998
von Afrikanern und Deutschen in
Dortmund gegründet wurde. Seitdem beschäftigt sich der Verein
besonders mit der wirksamen Integration afrikanischer Migrantinnen
und Migranten in die deutsche Gesellschaft. Im Mittelpunkt steht dabei die aktive politische und soziale
Partizipation.
Zweck des Vereins war – bei der
Gründung vor 15 Jahren – die Veränderung des Bildes von Afrika in
den Medien. Diese Aufgabe haben wir mit den uns zur Verfügung
stehenden Mitteln hervorragend
gemeistert. Das vollständig ehrenamtlich erstellte Magazin „Africa
Positive“ ist inhaltlich und gestalterisch professionell und hat bundesweit und darüber hinaus in den
deutschsprachigen Ländern Europas eine treue und sehr interessierte Leserschaft.
Der Africa Positive e.V. arbeitet
seit Jahren mit Familien zusammen. Hierbei ging es zunächst um
Beratung und Information in Integrationsfragen. Sehr bald entwickelte der Verein eigene Projekte.
Nicht nur Erwachsenen sollte die
Notwendigkeit und Nützlichkeit zu
einem eigenen gesellschaftlichen
Beitrag aufgezeigt werden, son-
dern auch Kindern und Jugendlichen. Sobald Menschen mit afrikanischem Migrationsintergrund
die gleiche Chance haben, sich zu
engagieren und auszudrücken,
gelingt ihre Integration und die
Entwicklung zu einer gleichberechtigten Gesellschaft.
Der Verein hat Deutsche und
Afrikaner_innen als Mitglieder,
ist also ein „richtiger“ deutschafrikanischer Verein mit dem Ziel,
den interkulturellen Dialog zu fördern und eine Brücke zwischen
der Mehrheitsgesellschaft und den
hier lebenden Afrikaner_innen zu
schlagen. Diese Zusammenarbeit
funktioniert hervorragend, was
sich sehr positiv auf die Aktivitäten
des Vereins niedergeschlagen hat.
Unsere Bildungs- und Integrationsprojekte, wie auch die Begleitung
der Familien im Kontakt mit Schulen oder Behörden sowie im alltäglichen Leben, beruhen ausschließlich auf ehrenamtlicher Arbeit. Der
Verein bietet eine Plattform für Begegnungen von Menschen, die sich
bürgerschaftlich engagieren und
dabei mit Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen in Kontakt kommen möchten. Deutsche,
Afrikaner, Asiaten und in zunehmendem Maße auch Menschen
von anderen Kontinenten suchen
bei uns – ohne jede kulturelle oder
religiöse Hemmschwelle – Unterstützung.
Africa Positive e.V. versteht sich als
eine Informationsstelle für Ratsuchende und Afrika-Interessierte.
Schwerpunkte der Vereinsarbeit
sind die Stärkung der afrikanischen
Familien in schulischen und außerschulischen
Bildungsangelegenheiten und die gemeinsame
Suche nach Lösungen bei diversen
Alltagsproblemen oder besonderen Herausforderungen. Aus vielen historischen und kulturellen
Gründen spielen die afrikanischen
Frauen dabei eine besondere Rolle
und stehen neben den Kindern und
Jugendlichen im Fokus der Arbeit.
Seit einigen Jahren existiert das
Afrikanische Frauen-Netzwerk. Die
Frauen treffen sich regelmäßig, um
sich untereinander auszutauschen
und Hilfe zur Selbsthilfe anzubieten.
Während dieser Treffen, werden
Themen wie die Stärkung der Erziehungskompetenzen, Gesundheitsund Bildungsfragen sowie Probleme
des alltäglichen Lebens besprochen.
Die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Frauen wirkt sich auf
die Entwicklung der Kinder positiv
aus. Besonderes, weil der Verein
viele der Frauen dazu motivieren
konnte, ihre Sprachkenntnisse zu
verbessern. Wieder andere Frauen
fanden Kraft, Zeit und Interesse zum
Nachholen der notwendigen Schulabschlüsse. Ausgehend von der Tatsache, dass viele dieser Frauen von
Sozialleistungen leben müssen, ist
es sehr wichtig, dass sie in die Lage
26 | Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen
Themeninsel | Mütterarbeit
versetzt werden, zukünftig eine
Ausbildung und Beruf auszuüben,
um ihre Lebensperspektive und die
ihrer Familien zu verbessern.
Nach der Präsentation gab es interessante Diskussionen mit den
Teilnehmer_innen. Viele waren
darüber erstaunt, dass ein Verein
solch professionelle Angebote seit
Jahren allein durch freiwillige Arbeit leisten kann.
Der entscheidende Punkt ist, dass
es erstens in vielen Migrantenvereinen viele Potenziale und Kompetenzen gibt, die mangels Sprachkenntnissen oder Selbstvertrauen
nicht erkannt werden und somit
für die Vereinsarbeit nicht ausgeschöpft werden. Zweitens kann
man anhand der erfolgreichen
Tätigkeit von Africa Positive e.V.
erkennen, dass eine gut funktionierende Zusammenarbeit auf Au-
genhöhe von Migrant_innen und
Deutschen zu erlebter Integration
und beiderseitiger Wertschätzung
führt.
These, die in der Themeninsel erarbeitet wurde:
Migrantenvereine können Kompetenzen von Vereinsmitgliedern und
Freiwilligen erkennen und für die
Ziele des Vereins nutzbar machen.
Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen | 27
Victor Ostrowski (Phönix e.V.)
Themeninsel:
Offenes Forum Generationen
Es ist heute kaum mehr vorstellbar,
dass es am Anfang des vergangenen Jahrhunderts noch ganz normal war, dass drei Generationen
unter einem Dach gelebt haben.
Durch zahlreiche kulturelle und
soziale Veränderungen wurde das
„Zusammenleben von Jung und
Alt“ im Laufe der Zeit zu einer
Seltenheit. Sollte dies heute überhaupt noch vorkommen, dann am
ehesten auf dem Land. Es ist aber
durchaus in vielen Fällen ganz praktisch, wenn die Eltern in der Nähe
der Kinder wohnen, auch wenn dadurch vielleicht eher Generationskonflikte entstehen können.
Über dieses zugleich spannende
wie heikle Thema unterhielten sich
sowohl Vertreter_innen der MO,
der Organisationen der Einheimischen, als auch Vertreter_innen
der verschiedenen Generationen.
In einem beispielhaften Dialog haben die Teilnehmer_innen gemeinsam versucht, Lösungsansätze für
die Problematik zu finden. Im Fokus stand dabei der Generationenkonflikt.
Eines der Themen war die Problematik der Gewinnung von Jugendlichen für den Bereich des bürgerschaftlichen Engagements. Viele
der Teilnehmer_innen berichteten
von erfolgreichen Beispielen von
jugendlichem Engagement. Auch
die Zusammenarbeit von altersgemischten Teams in Unternehmen
kann – nach Erfahrung der Diskussionsteilnehmer_innen – die Produktivität steigern. So interpretierten
jüngere Mitarbeiter_innen die Kooperation mit älteren in aller Regel
als Gewinn. Insbesondere die Stärken älterer Arbeitnehmer_innen,
wie Teamfähigkeit und Erfahrungswissen, kamen in solchen Teams
eher zum Tragen.
Alle Diskussionsteilehmer_innen
waren sich einig, dass gemeinsame
Veranstaltungen zu diversen Themen helfen würden, die Barrieren
zwischen Jung und Alt zu überwinden. Möglichkeiten wären zum
Beispiel Ausstellungen zum Thema
Migrationsgeschichte. Die Beschäftigung mit der Geschichte und den
historischen Aspekten scheint im
Allgemeinen eine Möglichkeit zu sein,
den Generationskonflikt zu überwinden. Jugendliche könnten so u.a. von
dem Wissen der älteren Generationen profitieren. In gemeinsamen
Veranstaltungen könnte über verschiedene historische Themen
diskutiert und debattiert werden.
Solche Veranstaltungen müssten
in jedem Fall von engagierten und
kompetenten Referent_innen durchgeführt werden.
These, die in der Themeninsel erarbeitet wurde:
Die Förderung von intergenerationellen Begegnungen ist dringend
erforderlich.
28 | Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen
Antonio Diaz (BIFF e.V.) im Gespräch mit Iris Escherle (BAMF)
Talkrunde
Antonio Diaz: Sehr geehrte Tagungsteilnehmer_innen, im Folgenden gilt es nun gemeinsam mit
Frau Iris Escherle, Referatsleiterin
Grundsatzangelegenheiten der Integrationsförderung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge,
u.a. darüber zu diskutieren, welche
Aspekte in den vorangegangenen
sechs Themeninseln besonders angesprochen worden sind.
Ein Stichwort, das immer fällt: Wir
brauchen das Ehrenamt und auch
das Hauptamt. Wir, die die Menschen qualifizieren. Ich bin hier im
Ruhrgebiet aufgewachsen und wir
sind hier sehr direkt. „Butter bei
die Fische“, welche Ressourcen,
welche Möglichkeiten haben Migrantenorganisationen, um an öffentliche Gelder heranzukommen
und wie kann dabei Ihre Rolle als
Vertreterin des BAMF aussehen?
Iris Escherle: Aktuell ist es so, das
ist heute schon angesprochen worden, dass wir im Moment Dachorganisationen fördern. Das heißt,
wir sehen uns da schon in der
Pflicht, auch Strukturen zu unterstützten. Ich denke, wir werden
dafür auch kritisiert, dass wir von
oben nach unten fördern. Also
jetzt erstmal wieder den „Großen“ das Geld geben und die „Kleinen“ auf der Strecke lassen. Ganz
so sehe ich es nicht, denn diese
Dachorganisationen haben einen
Aufbau und eine Struktur. Aber es
kann auch nicht so sein, dass oben
im „Dach“ alles hängen bleibt und
nichts unten ankommt. Wir erhoffen uns schon, durch diese Strukturförderung zum einen natürlich
für uns starke Ansprechpartner_innen zu bekommen. Aber auch, dass
diese Dachverbände ihre Strukturen auch selbst stärken. Also da
erhoffen wir uns schon – über diese Förderung der Dachverbände –
eine positive Entwicklung.
Darüber hinaus ist es natürlich
schwierig im Moment. Wir hatten gerade Wahlen und der neue
Haushalt steht noch nicht fest. Wir
werden sehen müssen, welche
Fördergelder für uns im nächsten
Jahr zur Verfügung stehen. Unsere
Hoffnungen gehen immer dahin,
möglichst viele Multiplikatorenschulungen machen zu können.
Das heißt, vielen Migrantenorganisationen auf diese Weise die
Möglichkeit zu geben, sich über
finanziell getragene Schulungen zu
professionalisieren. Und wir hoffen
auch, dass wir möglichst viele Projekte bekommen. Wir sehen aber
auch, dass es zum Beispiel durch
diesen AMF, den internationalen
Fonds, Möglichkeiten gibt, eventuell an Gelder auf europäischer
Ebene zu kommen. Wir sehen uns –
auch im kommenden Jahr – sehr als
Berater_innen. Selbst für den Fall,
dass wir keine Mittel flüssig haben,
versuchen wir zumindest die Drittmittelakquise voranzutreiben und
auch Organisationen dabei zu helfen, möglicherweise anderweitig
an Gelder zu kommen. Also wir sehen uns da schon mit im Boot.
Antonio Diaz: Kommen wir doch
noch einmal zurück zum Thema
Hauptamt/ Ehrenamt.
Iris Escherle: Natürlich kann man
nicht die ganze Arbeit auf die Ehrenamtler_innen abwälzen. Sondern genauso wichtig ist es, bei
den Rahmenbedingungen eben
auch die Professionalisierung von
Personen voranzutreiben und
möglicherweise auch Strukturen zu
fördern. Damit eine professionelle
Arbeit eben nicht nur für drei Jahre
oder dergleichen besteht, sondern
Vereine wirklich über längere Zeit
Strukturen aufbauen können, die
ihnen eine professionelle Arbeit
ermöglichen. Bei den Jugendverbänden sehe ich immer mit großer
Freude, dass Energie ein Stichwort
ist und das ist auch eines der wichtigen Punkte. Ich war dieses Jahr
selbst – moralisch unterstützend –
bei dem Projekt „Jugend 2014“, das
ist ein Zusammenschluss mehrerer
Jungendorganisationen, die eine
strukturelle Förderung bekommen,
dabei. Und ich war total begeistert,
wie viele wirklich schlaue Köpfe an
diesem Projekt beteiligt sind und
wieviel Zukunft in diesen Migrantenorganisationen und in diesen
Jungendorganisationen steckt. Ich
hoffe, dass die alle irgendwann mal
Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen | 29
Talkrunde
in die Politik gehen und dann viele sprochen, alles Männer. Wir haben
Dinge voranbringen und auch ver- dann festgestellt, es gibt keine geregelte Förderung. Und dann komändern werden.
men wir zum Thema Väterarbeit.
Antonio Diaz: Sie haben eben ein Eine Frage, die ich als aktiver Vätergutes Stichwort gegeben: Europa. arbeiter immer wieder bekomme:
Die Neueinwanderungen kommen Es gibt niederschwellige Frauenaus Europa und fallen nicht unter kurse, alles Mögliche, aber für spediese Drittstaatenregelung. Wie ziell Väter gibt es nichts. Wie sehen
sehen europäische Migrant_innen Sie da die Hoffnung, dass sich ihr
aus, können sie alle Deutsch? Sind Amt oder die Institutionen da öffsie integriert wenn sie herkom- nen und sich ändern?
men? Haben sie keine Probleme?
Das sind Fragen, die sich Migran- Iris Escherle: Also ich denke, die
tenorganisationen an der Basis Öffnung ist da nicht so das ganz
stellen. Wie sehen Sie vor Ort die große Problem. Die Väterarbeit
Chance, dass sich die Politik des sehen wir als sehr positiv an. Ich
weiß auch von einem Projekt in
BAMF in dem Punkt ändert?
Berlin, in dem Kiezväter ganz konIris Escherle: Also die Politik des kret gefördert werden. In der FläBAMFs hängt natürlich sehr stark che haben wir nicht die Möglichvon der Politik ab, die die Bundes- keit sämtliche Projekte mit Vätern
republik Deutschland vorgibt. Wir zu fördern, denke ich. Das Thema
sind da nicht frei in dem was wir auf das Sie wahrscheinlich anspietun, sondern wir bekommen Vor- len, niederschwellige Männerkurse
gaben sowohl aus der EU selbst, anzubieten; ja, das muss man mal
als auch aus Berlin. Ich denke, das probieren und ich nehme das gern
Problem Zuwanderer aus der EU als Anregung mit. Was wir dann in
ist bei uns und in der Politik ange- der nächsten Legislatur umsetzen
kommen. Wir versuchen – gerade können, muss man sehen. Gucken
über die Strukturförderung – ent- wir doch mal. Ich denke aber, es
sprechende Dachverbände zu un- ist viel schwerer mit 500€ Väter zu
terstützen, in deren Bereich mit organisieren, als Mütter. Aber es
Zuwanderern gerechnet werden wäre einen Versuch wert.
kann. Also die Dachverbände zu
unterstützen, die dann tätig wer- Antonio Diaz: Darüber könnten
den sollten, könnten, dürften. Wir wir stundenlang debattieren. Die
sehen aber auch die Notwendig- Väter und aktiven Kollegen, die
keit, die Personen in Sprachkurse ich kenne, würden das anders sezu nehmen. Wie weit das alles hen, oder Ihnen möglicherweise
von den Mitteln her funktionieren Recht geben. Das wäre eine andewird, das werden wir sehen. Die re Debatte, der wir uns aber gern
Zahlen steigen im Asylbereich, die stellen. Was unterscheidet uns
steigen im Zuwanderungsbereich, und was muss bei der Väterarbeit
wir müssen einfach schauen, was besonders gefördert werden? Die
das nächsten Jahre bringen und Stadt Dortmund hat das schon seit
wie viele Personen wir tatsächlich Jahren im Blick, fördert uns aktiv,
lädt uns auch zu Frauenthemen ein
in die Kurse bringen können.
und so weiter. Wir diskutieren mit
Antonio Diaz: Ein anderes Thema, den Kolleg_innen. Wie gesagt, eine
das auch die Veränderungen in Ih- Anregung aus Dortmund. Noch
rem Haus betrifft. Es gibt sehr viele einen Punkt hier zur Themeninsel
Förderungen, die notwendig sind drei, Vermittlerrolle. Sie hatten das
für Frauen. Ich habe mit einigen schon eingehend bei den JugendKollegen von Ihnen darüber ge- lichen gesagt: Energie. Ich lese da
aber auch noch mehr, Innovation,
Motivation, Vorbilder. Vorbilder
ist ein wichtiges Stichwort, wenn
der Dialog der Generationen gilt.
Was brauchen Vorbilder? Oder was
braucht man für Rahmenbedingungen, damit Vorbilder gedeihen
und entstehen können?
Iris Escherle: Ich würde jetzt erstmal kurz auf die Jugendorganisationen eingehen, die für uns wahnsinnig gute Bindeglieder sind. Denn
einerseits haben sie sozusagen den
Fuß in der Generation ihrer Eltern,
andererseits haben sie eben auch
schon den Fuß in der deutschen
Gesellschaft und können daher
nach allen Seiten hin offen sein
und auch als Vermittler auftreten.
Für Vorbilder bedarf es zunächst
einmal den Raum, um Vorbilder
als solche wahrnehmen zu können.
Zum anderen bedarf es eben Personen, die die Rollen als Vorbilder
einnehmen. Aber da gibt es gerade im Bereich der Jugendorganisationen kaum Probleme, glaube
ich. In den Organisationen gibt es
viele Personen, die ich persönlich
als Vorbilder betrachten würde,
die vielleicht noch ein bisschen
bekannter werden müssten. Ich
denke, dass es mit der Öffentlichkeitsarbeit manchmal noch ein
bisschen hakt. Man müsste die
Vorbilder manchmal einfach noch
ein bisschen mehr nach vorne
schieben, denke ich.
Antonio Diaz: Wir sehen ja, wir haben sehr viele Themen und die Zeit
drängt. Ein Beispiel Förderung der
Qualifizierung von Eltern im Umgang mit neuen Medien. Es geht
immer um das Gleiche, Förderung
und Qualifizierung, in dem Fall der
Medienkompetenz. Wie entwickelt
man neue Medien oder das Thema
der Mütterarbeit. Setzen die freiwilligen Mitglieder die Ziele des
Vereins nutzbar um? Wie lassen
sich Ressourcen akquirieren? Wie
gehe ich mit Ehrenamt und Hauptamt um? Das sind Ideen, verschie-
30 | Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen
Talkrunde
dene Facetten, die sich immer wiederholen. Ich danke Ihnen, bis hier
hin. Wenn kurze Klärungsfragen da
sind, ganz kurz.
Publikum: Eine ganz kurze Frage
zum BAMF. Bei den Projektbeschreibungen soll man immer die
Indikatoren und Nachhaltigkeit angeben, das ist ja klar. Gibt es beim
BAMF eine Art Erfahrungsbericht
oder eine jährliche Broschüre, in
der positive, vorbildliche Projekte
kurz beschrieben oder vorgestellt
werden? Das ist immer so eine
Welt für sich, große Verbände und
Vereine kriegen Gelder, kleine Migrantenorganisationen auch. Aber
welche Arbeit die großen und kleinen Verbände machen, das würde
ich gern mal sehen. Gibt es sowas?
Iris Escherle: Also wir geben jedes
Jahr ein Projektjahrbuch heraus, in
dem die geförderten Projekte dargestellt werden. Darin ist auch so
ein Best-Practice-Teil enthalten, in
dem aus unserer Sicht besonders
gelungene Projekte, noch einmal
gesondert dargestellt werden. Das
Projektjahrbuch ist frei beim BAMF
erhältlich, das ist kein Problem.
Iris Escherle: Wir wünschen uns natürlich immer jede Menge an Projekten von Migrantenorganisationen. Es ist aber so, dass wir in den
letzten Jahren einen sehr starken
Anstieg hatten und sehr viele Migrantenorganisationen bei uns
Projekte beantragt haben und wir
konnten auch sehr viele davon bewilligen. Inzwischen sollten so ein
Drittel aller beantragten Projekte
auf jeden Fall von Migrantenorganisationen sein.
Publikum: Erlauben sie mir bitte
noch eine Nachfrage: Wie hoch ist
der prozentuale Anteil der bewilligten Anträge von Migrantenorganisationen?
Iris Escherle: Ja, etwa ein Drittel.
Also Sie meinen jetzt von allen…
Es kommt auch immer auf die Bereiche an. Wir haben ja sowohl
Multiplikatorenschulungen, als auch
Projekte und Modellprojekte. Das
sind ja ganz unterschiedliche Bereiche über die wir sprechen. Bei
den, ich sag jetzt mal, gemeinswesenorientierten Projekten sind
etwa ein Drittel von Migrantenorganisationen, denke ich. Bei den
Multiplikatorenschulungen ist der
Anteil viel höher.
Antonio Diaz: Wie kann man es bekommen, über die Regionalkoordinator_innen oder direkt bei der Antonio Diaz: Ok, noch eine letzte
Runde. Hier vorne, die Dame.
Zentrale?
Iris Escherle: Genau, einfach bei den
Regionalkoordinator_innen nachfragen, oder in der Zentrale. Das ist
keine geheime Auflage, sondern wir
freuen uns, wenn Interesse besteht
und wir das Jahrbuch unter die
Menschen bringen können.
Publikum: Ab 2014 ändern sich die
Strukturen in den europäischen Integrationsfonds, da hat das BAMF
ein ganz schönes Stückchen mitzusprechen. Haben Sie da Maß-
nahmen ergriffen, um diesem Vorbzw. Zwischenfinanzierungszwang
zu begegnen? Für viele Migrantenorganisationen stellt das eine
finanzielle Unmöglichkeit dar, dass
man nach der ersten Hälfte auf die
zweite und dritte Rate manchmal
monatelang warten muss.
Iris Escherle: Ich sag Ihnen mal ganz
ehrlich, wir sind gerade dabei dieses
Konstrukt aufzubauen und versuchen es gerade mit Leben zu füllen.
Wir sind aber noch nicht bei den
Rahmenbedingungen
angekommen, Soweit sind wir noch nicht, da
kann ich Ihnen dazu leider gar nichts
zu sagen. Wir kennen die Problematik und wir werden vielleicht auch
Möglichkeiten sehen, da Verbesserungen zu bekommen. Aber ich will
hier keine Hoffnungen schüren, so
weit sind wir nicht. Und das Bundesamt ist da sicherlich auch nicht die
einzige Organisation, die da gefragt
ist. Das muss man auch sagen.
Antonio Diaz: So, wenn keine weiteren Fragen sind, dann bedanke
ich mich bei Frau Escherle für Ihre
Offenheit. So wie ich Frau Escherle
kenne, steht Sie Ihnen im Rahmen
der Tagung jederzeit für weitere
Fragen zur Verfügung. Sie ist sehr
offen, sehr ehrlich, das lieben wir
alle, aber vor allem mögen wir es
hier in Westfalen besonders, wenn
man ehrlich und direkt sagt: „Dat
geht, dat geht nicht“. In diesem
Sinne übergebe ich das Wort an
Frau Neuling. Ich wünsche heute
Abend noch viel Spaß bei dem Empfang und wir sehen uns morgen.
Antonio Diaz: Weitere Fragen an
Frau Escherle?
Publikum: Halten Sie die Nachfrage an Projektförderungen von
Migrantenorganisationen für ausreichend oder werden die Projekte
überwiegend von Institutionen
durchgeführt?
Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen | 31
Zukunftsforum „Kulturarbeit“
Moderation: Torsten Groß (Institut Welche Zielsetzungen/ Visionen
keit einzubringen. Man möchte
für Soziale und Kulturelle Arbeit)
verfolgen wir mit unserer Kulturin breiten Bevölkerungskreiarbeit?
sen Interesse wecken für die
Input/ Diskussionspartnerin: Nina
kulturelle Bereicherung durch
Vishnevska (Kulturzentrum Gorod) • „Herkunftskultur“ selbstbewusst
Migration und die existierende
pflegen und lebendig halten
kulturelle Vielfalt sichtbarer und
Nach dem einführenden Input von
Migrantenvereine tragen dazu
erfahrbarer machen (Vielfalt als
Nina Vishnevska diskutierte die
bei, dass kulturelle Traditionen
Zukunftsressource). Kulturarbeit
Gruppe folgende Leitfragen und
aus den Herkunftsländern nicht
der Migrantenvereine ist somit
entwickelte daraus eine These für
als Asche bewahrt sondern als
auch ein Medium der Kommudas Podiumsgespräch:
Glut lebendig gehalten und weinikation, die dazu beitragen
tergegeben werden.
kann, Stereotype aufzubrechen
• W
elch Zielsetzungen verfolgen
und gegenseitigen Respekt zu
wir mit unsrer Kulturarbeit? • Neue – interkulturelle/ hybride
fördern. Oft werden von MiWelche Zukunftschancen sehen
– kulturelle Entwicklungen förgrantenvereinen allerdings eher
wir speziell im Bereich Kulturardern
folkloristische Darbietungen /
beit von Migrantenvereinen für
Wollen Migrantenvereine alle
Aktivitäten erwartet – Stereodie Gesellschaft/ für die Vereine?
Generationen erreichen (auch
typen kann nur begegnet wer• W
as brauchen wir, um unseren
als Voraussetzung für ihre Zuden, wenn diese Erwartungen
Zielen und Visionen näher zu
kunftsfähigkeit), so müssen
nicht erfüllt werden.
kommen?
sie sich neuen kulturellen Entwicklungen öffnen und diese • (Bewusstsein für) Gemeinsame
Vorbemerkungen
fördern. Jugendliche mit MigraKultur entwickeln
tionshintergrund aus der zweiKulturarbeit in MigrantenvereiDie Zusammenfassung der Ergebten/dritten Generation suchen
nen beschränkt sich meist nicht
nisse des Zukunftsforums konihre eigenen kulturellen Ausdarauf, Veranstaltungen zu orzentriert sich auf Aspekte, die für
drucksformen. Migrantenverganisieren, die vom Publikum
Migrantenvereine von spezifischer
eine müssen den Jugendlichen
konsumiert werden. In Kursen,
Bedeutung sind. Allgemeine Asdazu Freiräume bieten und sie
Workshops oder Projekten wird
pekte der Kulturarbeit (z. B. Fördeunterstützen und gleichzeitig
„Kultur selber gemacht“. Hier
rung der Kreativität und der Perden (kulturellen) Dialog der Gewünschen sich viele Migransönlichkeitsentwicklung) sind für
nerationen befördern.
tenvereine eine intensivere inMigrantenvereine natürlich ebenterkulturelle Beteiligung bzw.
so wichtig wie für alle anderen • Kultur in die Öffentlichkeit brinZusammenarbeit mit anderen
und wurden auch diskutiert, wergen
Migrantenvereinen und mit Einden aber hier nicht berücksichtigt.
Eine wichtige Motivation ist es,
richtungen/ Projekten der MehrKulturarbeit von Migrantenvereisich dem eigenen kulturellen
heitsgesellschaft. In der Zusamnen hat einen Selbstwert und darf
Hintergrund nicht nur „im stilmenarbeit von Menschen mit
nicht nur aus der Perspektive der
len Kämmerchen“ zu widmen,
unterschiedlichen kulturellen
Integration gesehen werden.
sondern ihn in die ÖffentlichHintergründen und Traditionen
32 | Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen
Zukunftsforum | Kulturarbeit
können gemeinsame kulturelle
Interessen „entdeckt“ und ausgebaut entwickelt werden.
• K
ulturelle Teilhabe/ Partizipation und Vernetzung
Migrantenvereine wollen sich mit
ihrer Kulturarbeit in die Gesellschaft einbringen, sie mitgestalten
und auch als selbstverständlicher
Teil der Gesellschaft (satt als Parallelgesellschaft) wahr- und ernst
genommen werden. Vernetzung •
und Kooperation mit etablierten
Einrichtungen wollen viele Vereine intensivieren, stoßen durch
ihre mangelnden Ressourcen
aber schnell an Grenzen.
•
Was brauchen wir, um unseren Vi•
sionen näher zu kommen?
• Kreativität
K
ulturarbeit lebt von der Kreativität der Akteure.
• Q
ualifizierungsangebote
M
igrantenvereine müssen sich
professionalisieren, wenn sie eine
aktive Rolle in der Gesellschaft
spielen wollen. Dazu ist eine
Unterstützung durch Qualifizierungsangebote unbedingt nötig.
Ein anschauliches Beispiel dafür,
wie aus einem solchen Ange- •
bot vielfältige Impulse für ihre
Arbeit entstanden, zeigte Nina
Vishnevska in ihrem Input auf:
Durch kontinuierliche Teilnahme
an einer von LBE und AGABY
initiierten Qualifizierungsreihe
für Migrantenvereine und aktive Mitarbeit im Trägerkreis
für diese Reihe, erarbeitet sie • Engagement/ Zeit/ Lust/ Motivation
sich nicht nur ein Know-how
Migrantenvereine agieren in der
für die weitere ProfessionaliRegel ohne nennenswerte (öfsierung und Erleichterung des
fentliche) finanzielle Förderung.
Arbeitsalltags, sie baute auch
Engagierte Menschen, die „für
persönliche Kontakte auf zu andie Sache brennen“, sind ihre
deren Migrantenvereinen und
größte Ressource
zu beteiligten Einrichtungen der
Mehrheitsgesellschaft auf, woraus inzwischen neue Koopera- • Anerkennung/ Wertschätzung/
Unterstützung
tionen entstanden sind.
Trotz positiver Entwicklungen in
den letzten Jahren fühlen sich
(Finanzielle) Unterstützung
Migrantenvereine mit ihrer ArFinanzielle Mittel sind eine
beit noch nicht ausreichend anernotwendige, aber nicht hinreikannt und wertgeschätzt. Wenn
chende Voraussetzung für wiretablierte Institutionen und Komkungsvolle Kulturarbeit.
munen auf Migrantenvereine zugehen, dann allzu oft aus einem
Räume
Eigeninteresse heraus und weniger aus Interesse an der Arbeit
Netzwerke/ Kontakte
der Vereine. Anerkennungskultur
(Informelle) Netzwerke haben
als ein neuer Begriff in der Inteeine zentrale Bedeutung u.a.
grationspolitik müsste zu einer
für den Zugang zu InformatiGrundhaltung im Umgang mit Mionen, Ressourcen und zu Entgrantenvereinen werden.
scheidungsträgern sowie für
den Erfahrungsaustausch und
„kollegiale Beratung“. Zudem These, die im Zukunftsforum erarist es wichtig eigene Netzwerke beitet wurde:
aufzubauen, d.h. externe Expert_innen und Künstler_innen „Kulturarbeit der Migrantenvereine
anzusprechen und einzubinden, kann zu einer toleranten, demokratischen und vielfältigen Gesellschaft
um die Arbeit zu bereichern.
beitragen, wenn Migrantenvereine
(Zielgruppenorientierte) Öffent- nicht nur kulturelle Tradition belichkeitsarbeit um neue Ziel- wahren, sondern Kultur kreativ weiterentwickeln und sich stark an der
gruppen anzusprechen
Für eine Öffentlichkeitsarbeit, Jugend orientieren und wenn die
die Zielgruppen außerhalb der Mehrheitsgesellschaft, damit ist naeigenen Communities und Mili- türlich auch die Politik gemeint, die
eus erreicht, brauchen Migran- Kulturarbeit der Migrantenvereine
tenvereine Unterstützung durch mehr anerkennt, wertschätzt und
unterstützt“.
Qualifizierungsangebote.
Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen | 33
Zukunftsforum | Kulturarbeit
Hintergrund
Wie viele andere Migrantenselbstorganisationen in Deutschland genießt die GIK e.V. kaum Förderung
und Unterstützung des Staates. Der
Verein muss daher umgehend ein
Veränderungskonzept ausarbeiten,
um wettbewerbsfähig, marktfähig
und grundsätzlich zukunftsfähig
sein zu können
ligen Jugoslawien. Zuletzt schloss
sich 1999 der Verein GOROD der
GIK an, der von russischsprachigen
Einwanderern gegründet wurde.
Der Verein hatte eine lange Vorgeschichte und existierte vor der formellen Gründung bereits seit ca.
vier Jahren als informelle Gruppe
von Migrant_innen der sogenannten vierten Welle, die nach dem
Zusammenbruch der ehemaligen
UdSSR nach Deutschland ausgewandert waren. Hochqualifizierte
hatten sich vereinigt, um sich
selbst und anderen Einwanderern
die Integration in die deutsche Gesellschaft zu erleichtern, und um
die Verbindung zur russischen Kultur zu bewahren, vor allem für die
eigenen Kinder.
Geschichte des Vereins GIK e.V.
Der Verein heute
Die Gesellschaft für Integration
und Kultur in Europa entstand im
Jahr 1995 als Pendant zum Jugendverband DJO – Deutsche Jugend
in Europa e.V. für Erwachsene. Die
DJO e.V. wurde 1951 als Deutsche
Jugend des Ostens von und für
Kinder und Jugendliche aus den
ehemaligen deutschen Ost- und
Siedlungsgebieten gegründet. Im
Laufe der Verbandsgeschichte hat
sich diese Arbeit weiterentwickelt
und erweitert. Neben der Kulturarbeit sind heute die Arbeit mit Aussiedler_innen, die internationale
Jugendarbeit und verstärkt auch
die Migrationsarbeit in den Vordergrund getreten, die inzwischen
zu den Grundsäulen des Verbandes
gehören. Ebenso wie DJO, fördert
der Verein GIK kulturelle Aktivitäten von Zuwanderern als Mittel
der Identitätsbewahrung und Hilfe
zur Integration.
Nachdem sich der Verein „Hilfe von
Mensch zu Mensch“ im Jahr 2004
von der GIK abgetrennt hat und die
anderen Mitgliederorganisationen
aus dem ehemaligen Jugoslawien
sich wegen der Rückkehr der Mitglieder_innen nach Bosnien und
Kosovo aufgelöst haben, versteht
sich die GIK e.V. nunmehr als Vereinigung der russischsprachigen
MSOs und wächst in dieser Funktion weiter.
Im Folgenden stellt Nina Vishnevska
die Gründung und den Werdegang
der „Gesellschaft für Integration
und Kultur in Europa“ (GIK e.V.) vor.
Input von Nina Vishnevska
Präambel
sich alle Gruppen jährlich beim Viktor-Schneider-Kulturfestival, der
durch die GIK organisiert wird. Das
musisch-literarisch-theatralische
Festival zieht jährlich circa 170 aktive Multiplikator_innen der Kultur- und Jugendarbeit an und wird
von Mitglieder_innen aller Gruppen gemeinsam veranstaltet.
Der Verein mietet im Stadtteil Harras großzügige Räumlichkeiten für
die eigene Einrichtung - das Kulturzentrum GOROD. Die Angebote des
Kulturzentrums, unter anderem
mutter­sprachlicher Ergänzungsunterricht, Tanzunterricht und Theaterproben, werden regelmäßig von
ca. 350 Kindern und Jugendlichen
wahrgenommen. Computerkurse,
Sprachförderungskurse für Kleinkinder und Mütter und die unterschiedlichen Interessensvereinigungen (Lieder-Club, Kino-Club,
Quiz-Club, Wanderer-Club) ziehen
monatlich weitere 250 Teilnehmer_innen an.
Das Mitarbeiter_innenteam des
Vereins besteht aus 34 Ehrenamtlichen und Honorarkräften. Aufgrund der fehlenden strukturellen
Förderung von Migrantenorganisationen hatte die Organisation
bis November 2013 keine hauptamtlichen Mitarbeiter_innen. Seit
Die GIK e.V. betrachtet mehrere einem Jahr leistet sich der Verein
formelle und informelle Migran- sechs teilzeitbeschäftigte haupttenorganisationen in den alten amtliche Mitarbeiter_innen.
Bundesländern als eigene Mitgliedsorganisationen, das Haupt- Der Verein existierte über 13 Jahre
quartier des Vereins ist jedoch in lang nur von seiner satzungsmäMünchen. Seit 13 Jahren treffen ßigen wirtschaftlichen Tätigkeit
Nach der Satzung wurde die GIK als
ein Dachverband gegründet und
hatte im Jahr 1998 vier Mitgliederorganisationen, unter anderem
den Verein „Hilfe von Mensch zu
Mensch“ und andere Vereine von
Kriegsflüchtlingen aus dem ehema34 | Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen
Zukunftsforum | Kulturarbeit
– von den monatlichen Elternbeiträgen in allen Aktivitäten der
Kinder- und Jugendarbeit. Die
Vorsitzende des Vereins führte
ehrenamtlich das Büro, die Buchhaltung und erledigte alle weiteren
Aufgaben der Verwaltungskraft.
Strukturaufbau und Personalbeschaffung waren uns lebenswichtig. Erst nach einer Reihe von den
Qualifizierungsseminaren, die von
Herrn Torsten Groß organisiert
wurden, ist es uns mit dem Projekt
„Raumbörse“ gelungen, die nötige
finanzielle und organisatorische
Unterstützung zu bekommen.
Menschen
Mehrere im Verein tätige Ehrenamtler_innen sind höchst motiviert
und verstehen die Ausübung ihrer
ehrenamtlichen Tätigkeiten im
Verein nicht nur als Beruf, sondern
auch als Berufung. Darum sind wir
sicher, dass unser Kulturzentrum
noch Jahre lang erfolgreich sein
und sich weiter entwickeln wird.
Aus dem Flyer des Kulturzentrums GOROD (Jahr 2012)
Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen | 35
Zukunftsforum
„Neue Migrantenorganisation“
Moderation: Susanne Huth (INBAS- Damit diese erste Idee auch zur
Sozialforschung GmbH)
Gründung einer neuen Migrantenorganisation führt, kommt hinzu,
Input/ Diskussionspartner: Merfin dass die Gründungsmitglieder_inDemir (Terno Drom)
nen spezifische Probleme erkennen, Angebotslücken entdecken
Im Mittelpunkt des Zukunftsforums und zur Verbesserung dieser Situ„Neue
Migrantenorganisation“ ation einen Beitrag leisten wollen
standen die Motive, die zu einer und auch können. Sie haben oftmals
Neugründung von Migrantenorga- einen guten Blick auf die Zielgruppe,
nisationen führen und die damit die sie aufgrund eigener Erlebnisse
verbundenen Herausforderungen, und Erfahrungen dort abholen köndie auf die Mitglieder_innen dabei nen, wo sie sich befindet.
zukommen. Anhand des Beispiels
von Terno Drom, einer noch jungen Alternativ zur Neugründung könnten
interkulturellen Selbstorganisation natürlich auch Modernisierungsvon jungen Roma und Nicht-Roma, prozesse in bestehenden Migranwurden Visionen und Wünsche, tenorganisationen angegangen werProzesse und Herausforderungen den, dies erfordert jedoch oftmals
sowie Thesen und Praxistipps für viel mehr Zeit, um alle Mitglieder_
neue Migrantenorganisationen zu- innen der Migrantenorganisation
sammengetragen und diskutiert.
im Entwicklungsprozess mitzunehmen.
Visionen und Wünsche
Prozesse und Herausforderungen
Oftmals steht der Wunsch nach
gleichberechtigter Anerkennung Neben der obligatorischen Satder eigenen Community oder der zung einer neuen MigrantenorgaMenschen mit Migrationshinter- nisation sind die Formulierung von
grund im Allgemeinen am Anfang Kern- und Mittlerzielen sowie die
einer Idee. Es geht dabei um den Ausarbeitung eines StrategiepaAbbau von Vorurteilen und die piers von besonderer Bedeutung.
gleichberechtigte
gesellschaft- Beides sollte von vornhinein daliche Teilhabe, die Steigerung des rauf angelegt sein, in regelmäßigen
Selbstwertgefühls, die Festigung Abständen angepasst (Ziele) und
der Identität sowie die Förderung überprüft (Strategie) zu werden.
von Selbstvertretung und Empo- Gleichzeitig muss anfänglich eine
werment. Nicht selten dreht es sich grundsätzliche Entscheidung gedabei auch um neue Zuwanderer troffen werden: Soll sich die neue
bzw. Zuwandergruppen.
Migrantenorganisation zunächst
auf bestimmte Aufgaben konzentrieren oder im Sinne eines „Gemischtwarenhandels“ vielfältige
Aufgaben wahrnehmen?
Um von der Theorie in die Praxis
überzugehen, stellen die Entwicklung und Sicherung finanzieller,
personeller und struktureller Rahmenbedingungen eine große Herausforderung dar. Dazu empfiehlt
es sich,
• Beobachtungen und Bestandsaufnahmen durchzuführen,
• Kontakte und Kooperationsverhältnisse zu etablierten Vereinen und Verbänden aufzubauen,
• Dächer und Netze zu finden und
zu nutzen,
• Konflikte als Anstoß für neue
Entwicklungen zu nutzen,
• politische Arbeit nach außen
sowie Vermittlungsarbeit nach
innen zu betreiben.
Im weiteren Prozess der Etablierung gilt es zudem, neue Anforderungen, die in der Gruppe
formuliert oder von außen herangetragen werden, zu prüfen und
nach Abwägung anzunehmen oder
eben auch abzulehnen.
Thesen und Praxistipps
Eine wichtige Empfehlung der Teilnehmenden lautet: Das Engagement sollte Spaß machen!
36 | Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen
Zukunftsforum | Neue Migrantenorganisation
Denkbar ist zunächst auch eine
niedrigschwelligere Form der
Selbstorganisation in Form einer
informellen Gruppe, Initiative
oder Stammtisch, um die Mitglieder_innen durch einen Vereinsgründungsprozess und die damit
verbundenen formalen Anforderungen nicht zu überfordern.
Um sich als neue Migrantenorganisation zu etablieren und den Herausforderungen, die damit verbunden
sind, zu begegnen, sollte man sich
vergegenwärtigen, dass man das
Rad nicht neu erfinden muss. Dem
Austausch von Erfahrungen und der
Nutzung von Qualifizierungsmöglichkeiten und -angeboten sollten daher
eine hohe Priorität eingeräumt werden. Dies kann bspw. auch durch die
Nutzung von Strukturen einer Dachorganisation erleichtert werden.
Grundsätzlich sind Ressourcenorientierung, eine aufgabenorientierte Arbeitsteilung sowie Kompetenzorientierung ratsam:
• Ein lokaler Bezug hilft, sich nicht
im Globalen zu verlieren.
• Beauftragungen einzelner Personen und die Trennung der
Vorstandsfunktionen von der
inhaltlichen Arbeit und den Entscheidungsprozessen innerhalb
der Migrantenorganisation entlasten den Vorstand und binden
die Mitglieder_innen entsprechend ihrer Kompetenzen auf
breiter Linie ein.
• Die gezielte Ansprache und Einbindung von einzelnen Personen
als Identifikationsfiguren oder
Schlüsselpersonen binden Kompetenzen in der Organisation.
Als Praxistipp sei beispielhaft auf
den Strategie-Kompass für nichtstaatliche und gemeinnützige
Organisationen der Bertelsmann
Stiftung verwiesen, der im Internet bezogen werden kann: http://
www.bertelsmann-stiftung.de/
cps/rde/xchg/bst/hs.xsl/publikati-
onen_101010.htm (abgerufen am die Suche nach Freundschaften,
Identitätsfindung etc.
09.12.2013).
These, die im Zukunftsforum erar- Das Umfeld der Jugendlichen, die
wir im Rahmen der Jugendverbeitet wurde:
bandsarbeit erreichen, hat eine
Voraussetzungen für neue Migran- spezielle Gemeinsamkeit. Sie stamtenorganisationen sind neue Be- men alle aus einer stabilen Romadarfe, neue Personen, die richtige Community, welche weitestgehend
Gelegenheit und alte Erfahrungen! nach dem Prinzip der Selbstorganisation funktioniert. Dies betrifft
insbesondere die Stadt Düsseldorf,
in der Roma aus dem ehemaligen
Hintergrund
Jugoslawien über eigene MoscheeIm Folgenden stellt Merfin Demir gemeinden verfügen. Hinzu kommt
das Profil und die Arbeit von „Ter- eine wirtschaftliche Infrastruktur
wie Lebensmittelgeschäfte, Druno Drom“ vor.
ckereien, Cafés, Autohändler etc..
Input von Merfin Demir
Antiziganismus und Subjektivierung
Profil von Terno Drom
Identitätsstiftendes Merkmal der
Terno Drom ist Romanes und be- jungen Roma ist – neben dem fadeutet „der Junge Weg‘‘. Wir sind miliären Umfeld – vor allem die
eine neue interkulturelle Jugend- eigene Sprache. Dennoch haben
organisation von Roma und Nicht- sie Schwierigkeiten mit ihrer IdenRoma. Die Aktivitäten zielen auf titätsfindung, weil u. a. der gesellinterkulturelle Verständigung und schaftliche und mediale Antizigadie Stärkung der jungen Roma zur nismus eine alles überlagernde
selbstbestimmten Teilhabe am ge- Präsenz hat. Das „Zigeunerbild“
sellschaftlichen Leben. Sie erhalten in den Medien und auch im Alltag
die Möglichkeit eigene Projekti- zieht nicht spurlos an ihnen vorbei.
deen auszuarbeiten und zu reali- In den meisten Fällen führt es zur
sieren, sich mit ihrer Geschichte, Verleugnung der eigenen Herkunft,
Sprache und Herkunft zu befassen wobei insbesondere Jugendliche
sowie ein europäisches Bewusst- mit einem niedrigen Bildungsgrad
sein zu entwickeln. Hierbei steht den „Zigeunerbegriff“ als normal
die Aktivierung der Heranwach- annehmen, das Bild des nomadensenden und ihre Aus- und Weiter- haften Lebenswandels internalisiebildung als Multiplikatorinnen und ren und dieses zusätzlich vervielfältigen. Sowohl die Verdrängung
Multiplikatoren im Vordergrund.
der eigenen Herkunft als auch die
Internalisierung von diskriminieJugendspezifische Angebote
renden Meinungsbildern belastet
Eine Besonderheit unserer Arbeit die Jugendlichen enorm.
ist es, an der Lebenswirklichkeit
der Jugendlichen anzuknüpfen. Die Arbeit von Terno Drom
Wichtig ist hierbei zu verstehen,
dass die jungen Roma zunächst Ju- Die Aufgabe von Terno Drom begendliche sind, die „zufällig“ einen steht darin, für diese Jugendlichen
Roma-Hintergrund haben. Sie ha- – im Rahmen von Jugendbegegben die gleichen Bedürfnisse wie nungen – einen geschützten „soalle anderen Jugendlichen auch. zialen Reflexionsraum“ zu bieten.
Hierzu gehören der Wunsch nach Die Vermittlung von GrundlagenAnerkennung, beruflichem Erfolg, wissen ist Teil dieses Prozesses.
Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen | 37
Zukunftsforum | Neue Migrantenorganisation
Planungsworkshops eingeladen.
Auch der Besuch von politischen
Institutionen ist von sehr großer
Bedeutung, wenn die Jugendlichen
als Roma empfangen werden und
ihnen somit offiziell Wertschätzung aufgrund ihres Roma-HinterNeben der Förderung der Reflexion grundes entgegengebracht wird.
über die eigene Identität werden
von Terno Drom auch interkultu- Das Projekt „be young & roma“
relle Begegnungen durchgeführt,
an denen in der Vergangenheit ne- Das vom Bundesamt für Migration
ben den jungen Roma auch junge und Flüchtlinge (BAMF) geförderte
Kurd_innen, Marokkaner_innen, Projekt „be young & roma“ ist ein
Assyrer_innen, afghanische Hazara Mentoringprojekt der djo – Deutund Spätaussiedler_innen teilge- sche Jugend in Europa, Landesvernommen haben. Die Jugendlichen band NRW gemeinsam mit Terno
erhalten auf diese Weise auch Per- Drom e.V. und der städtischen Juspektiven anderer Minderheiten- gendfreizeiteinrichtung „V24“. Es
richtet sich vorrangig an jugendliund Migrantengruppen.
che Roma aus Düsseldorf und UmDas Entgegenbringen von Wert- gebung. Oft ist der öffentliche Blick
schätzung gegenüber den Jugend- auf diese Zielgruppe stark an Delichen ist ein tragendes Element fiziten orientiert. Dem gegenüber
unserer Arbeit. Wir versuchen, sind niedrigschwellige Angebote zur
unsere Projekte und Begegnungen Gewaltprävention ebenso Teil des
ausgehend von den Bedürfnissen Projektes, wie Bildungsveranstalder Jugendlichen zu planen. So tungen und Kulturangebote. Unsere
werden die Jugendlichen beispiels- Zielgruppe sind auch Multiplikaweise zu interaktiven Ideen- und tor_innen aus NRW, die mit jungen
Das betrifft einfache Fragen wie
beispielsweise: Woher stammen
Roma? Zu welcher Sprachfamilie
gehört das Romanes? Was bedeutet der 8. April als internationaler
Tag der Sinti und Roma?
Roma arbeiten. Hier steht deren
Weiterbildung, Qualifizierung und
Vernetzung im Vordergrund.
Eine Besonderheit des Projekts
ist die Form der Zusammenarbeit
zwischen der djo als tradiertem Jugendverband, Terno Drom als Migrantenjugendselbstorganisation
und der Jugendfreizeiteinrichtung
„V24“. Durch den eigenen RomaHintergrund der Mitglieder_innen
von Terno Drom können bei der
Identitätsfindung, Vorbildfunktion sowie Eltern- und Familienarbeit neue Ziele erreicht werden.
Hinzu kommen die jahrzehntelangen Kenntnisse der djo in den
Bereichen Jugendverbandsarbeit
mit interkulturellem Klientel (als
Fachverband der Vertriebenen und
Migrant_innen), gepaart mit dem
pädagogischen Fachwissen und
dem Kontakt zur Zielgruppe der Jugendfreizeiteinrichtung „V24“. Hier
ist eine Konstellation geschaffen
worden, die eine bedarfsgerechte
Jugendarbeit mit jungen Roma
garantieren kann, die bis dato im
Bundesgebiet so nicht gegeben ist.
38 | Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen
Zukunftsforum „Flüchtlingsarbeit“
Moderation: Marissa B. Turaç (BBE
len und Lebensperspektiven zu
AG 5 „Migration und Teilhabe“), Inbieten
terkulturelle Trainerin
• Flüchtlingsarbeit, Flüchtlingspolitik in Deutschland und Europa
Input/ Diskussionspartner: Nelli
unter integrativen Aspekten beFoumba Soumaoro (Jugendliche
arbeiten – Flüchtlingspolitik auf
ohne Grenzen NRW)
EU-Ebene neu denken (Zuwanderung offener gestalten, weg
Marissa B. Turaç und Nelli Foumba
mit der Abschottungspolitik)
Soumaoro werden im Folgenden • Interkulturelle Öffnung der Ausdie wesentlichen Ergebnisse der
länderbehörden, Interkulturelle
Arbeitsgruppe festhalten.
Sensibilisierung der Mitarbeiter_
innen, Etablierung einer WillBevor die einzelnen Aspekte und
kommenskultur in der Behörde
Forderungen benannt werden, • Finanzielle Ressourcen für die
kann resümierend festgehalten
Unterbringung von Flüchtlingen
werden, dass die Flüchtlingspolitik
effizienter gestalten, um eine
und –arbeit neu gedacht werden
menschenwürdige, dezentrale
sollte und zwar hin zu einer resUnterbringung zu gewährleisourcenorientierten und integrasten und die Menschen sozial
tiven Flüchtlingsarbeit auf deutzu integrieren, mit dem Ziel
scher und europäischer Ebene.
Transferleistungen künftig zu
verhindern; Abschaffung teurer
Folgende Aspekte wurden von den
zentraler AsylbewerberunterTeilnehmer_innen für eine künftige
künfte
Fortführung der Flüchtlingsthema- • JoG Zugänge zu politischen Gretik formuliert:
mien und politischen Akteur_innen offener gestalten und stär• E in Perspektivwechsel von einer
ker verfolgen (z. B. Einladung in
defizit- hin zu einer ressourcenpolitischen Gremien auf Landesorientierten und integrativen
ebene, um Politiker_innen für
Flüchtlingsarbeit
die Bedarfe aber auch Potenzi• E rkennen und Förderung der Poale von jungen Flüchtlingen zu
tenziale junger Flüchtlinge und
sensibilisieren; Zugänge zu komFlüchtlingsinitiativen, wie bei
munalen Politikern)
Jugendliche ohne Grenzen (JoG) • Mitwirkung von JoG in politi• F reier Zugang zum Bildungs-, Arschen Gremien
beits- und Wohnungsmarkt, um • Bessere und intensivere VerKinder und Jugendliche aus der
netzung von FlüchtlingsinitiatiPerspektivlosigkeit herauszuhoven und zivilgesellschaftlichen
•
•
•
•
•
•
•
•
Akteur_innen (z. B. mit Jugendverbänden, Engagement Global
etc. für Kooperationen)
Ausbau der Öffentlichkeitsarbeit
von JoG, Darstellung der Lebensrealität von Flüchtlingen in
Deutschland
Abbau von Sprachbarrieren bei
Neuzugewanderten: kommunale Vernetzung von Migrantenorganisationen auf regionaler
Ebene, Aufbau eines Sprachkundigenpools initiiert durch z.
B. Freiwilligenagenturen, Beratungsstellen oder kommunalen
Integrationszentren. Als bundesweites Beispiel siehe SprIntpool Transfer (Träger Diakonie
Wuppertal)
Ehrenamtliches Engagement von
jungen Flüchtlingen zeigt Erfolge
Resettlement-Programm
auf
kommunaler Ebene in Kooperation mit Sozialverbänden und
Kommunen
Migrantenorganisationen sollen
sich stärker mit der Flüchtlinsthematik beschäftigen
EU-Austausch über Flüchtlingsprojekte und -initiativen auf
Ebene zivilgesellschaftlicher Einrichtungen
Die volle Anwendung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes
auf unbegleitete minderjährige
Flüchtlinge (UMF)
Eine Anpassung der deutschen
Rechtslage an die UN –Kinderrechtskonvention, d.h. im Einzelnen:
Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen | 39
Zukunftsforum | Flüchtlingsarbeit
• V
erstärkter Fokus auf das Kindeswohl
• Handlungsfähigkeit der UMF
auf 18 Jahre heraufsetzen
• Inobhutnahme von UMF
durch das Jugendamt auch
im Flughafenverfahren
• Keine Überstellungen im Dublin II Verfahren bei UMF
• Keine Anwendung des Asylbewerberleistungsgesetzes
auf UMF
• Keine Abschiebehaft und keine Abschiebung von UMF
• B
undesweite Zuständigkeit
von Integrationsbeauftragten
auch für Flüchtlinge (insbesondere für Kinder und Jugendliche)
• UMF verstärkt in integrationspolitischen Entscheidungen
und Maßnahmen berücksichtigen
• Bundesweite Aufhebung der
Residenzpflicht
• Bewegungsfreiheit auf europäischer Ebene
• Soziales Engagement und Integrationswillen junger Flüchtlinge in aufenthaltsrechtlichen
Fragen einbeziehen.
Im Zukunftsforum „Flüchtlingsarbeit“ haben sich folgende mögliche Projektideen ergeben:
• Vernetzungstagung zwischen Jugendringen und Flüchtlingsinitiativen (kommunal/ Landesebene)
mit dem Ziel, Flüchtlingsinitiativen Zugängen zu Teilhabe und
Mitwirkung in den bestehenden
Strukturen zu eröffnen, eine
Plattform für Austausch und Zusammenarbeit herzustellen.
• Partizipation von JoG an Projektausgestaltung z. B. JoG und Engagement Global (Kontakt über
Tagung hergestellt).
• BBE europaweites Projekt unter Beteiligung der Zivilgesellschaft, Initiativen und Vereine
von Flüchtlingen mit dem Ziel,
den Perspektivwechsel in der
Flüchtlinsarbeit voranzubringen
und politische Impulse für eine • Teilnahme an Fachtagungen und
Seminaren
integrative Flüchtlingsarbeit zu
• Forderungen an Politiker_innen
setzen.
herantragen
These, die im Zukunftsforum erar- • Organisation von Demos, Veranstaltungen, Kundgebungen, Mahnbeitet wurde:
wachen, Jugendkonferenzen
Die Flüchtlingspolitik und die Flüchtlingsarbeit müssen neu gedacht Forderungen von JoG
werden. Die Art und Weise wie sie
Mitgestalbisher laufen, ist sehr stigmatisie- • Gesellschaftliches
tungsrecht von Flüchtlingen
rend und starr und wir möchten,
dass die Flüchtlingsarbeit mehr un- • Gleiche politische, soziale und
kulturelle Rechte
ter integrativen Gesichtspunkten
• Gleichberechtigte Mitwirkung an
behandelt wird.
allen gesellschaftlichen Angelegenheiten
Wir möchten, dass die Ressourcen
und Potenziale von jungen Flücht- • Teilhabe ≠ „Integration“
lingen gesehen und anerkannt werden und stärker in den Blick der Aktionsformen
Öffentlichkeit genommen werden.
Wir haben Ideen entwickelt, wie • Besichtigung von Asylunterkünften.
man diesen Perspektivenwechsel
oder dieses Umdenken auf die EU- • Missstände in Heimen (z. B. mangelnde Hygiene und fehlende
Ebene verlagern und auch in die
Rückzugmöglichkeiten) in der
Bundesländer hineintragen kann,
Presse aufzeigen
z. B. durch entsprechende Vernetzungstreffen von zivilgesellschaft- • Verletzung von Menschenrechten in Asylbewerbersamlichen Akteur_innen.
melunterkünften bei der Stadt
beklagen, z. B: Die schädliche
Auswirkung der Unterbringung
Hintergrund
von Familien mit Kindern in
Sammelunterkünften auf die
Im Folgenden stellt Nelli Foumba
physische und psychische EntSoumaoro die Organisations- und
wicklung
Arbeitsstruktur von „Jugendliche
• Verletzung der Menschenwürde
ohne Grenzen“ (JoG) dar.
von Flüchtlingen in die Öffentlichkeit tragen. Zum Beispiel:
Input von Nelli Foumba Soumaoro
Drei Menschen mit unterschiedlichen Nationalitäten, die in
Gründung von JoG in NRW
einem Raum untergebracht sind
der gerade einmal 24 m² groß ist
• Anfang 2012: Offizielle Gründung
von Jugendliche ohne Grenzen • Entwicklung eines Konzeptes zur
menschenwürdigen UnterbrinNRW in Bochum
gung von Flüchtlingen in Hamm.
• Februar 2013: Offizielle Gründung
Durch eine Unterbringung in
von Jugendliche ohne Grenzen
privat vermieteten Wohnungsin Hamm
einheiten würde die Stadt nicht
nur enorme Gelder sparen,
Maßnahmen von JoG
sondern den Betroffenen eine
Privatsphäre und Rückzugsmög• Gegenseitige Unterstützung
lichkeiten gewährleisten
• Organisation von interkulturellen
•
Treffen und Austausch mit loTreffen
kalen Politiker_innen und mit
• Verhinderung von Abschiebungen
40 | Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen
Zukunftsforum | Flüchtlingsarbeit
waren, die Kandidaten zu moMinisteriumsmitarbeiter_innen
bilisieren, sich bei einer Regiedes Landes NRW und Landtagsrungsbildung für eine humane
politiker_innen des Landtags
und menschenwürdige FlüchtNRW. Als Beispiel, darf ich erlingspolitik einzusetzen
wähnen, dass wir an zwei Terminen (mit Monika Düka, Grü- • Gemeinsame Aktionsformen mit
den sozialen Wohlfahrtsverbänne Landesvorsitzende und der
den, um Bleiberechtsprojekte
Landesvorsitzenden der Piraten
für Flüchtlinge zu entwickeln
Partei) im Landtag NRW teilgenommen haben. Wir waren • Anerkennung von Flüchtlingszeugnissen unter dem Motto:
auch bei Frau Heuvelmann im
Mein Zeugnis für die Kanzlerin.
Ministerium für Arbeit, IntegraWir sammelten die Zeugnisse
tion und Soziales NRW, um die
von geduldeten Asylbewerber_
Situation von Flüchtlingen darinnen und schickten diese ins
zustellen
Kanzleramt. Wir erhoffen uns
• Teilgenommen haben wir an eidamit, ein Umdenken der Kanzner Sitzung mit Bundestagsablerin in der Flüchtlingspolitik
geordneten: Unsere Anliegen
• Aufklärungsarbeit in den Schulen
Ausgewählte Potenziale von JoG
• Lebenserfahrungen weitergeben
• Sprachkompetenzen vermitteln
• Zum Abbau von Vorurteilen beitragen
• Stärkung und Unterstützung von
politischer Teilhabe und gesellschaftlichem Engagement
• Positive Gruppenerfahrungen
und Solidarität vermitteln
• Aufzeigen und Anbieten von Beratungs- und Unterstützungsangeboten
• Kontaktvermittlung
Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen | 41
Zukunftsforum „Elternarbeit“
Moderation: Antonio Diaz (BIFF e.V.) Shahriar Karim-Ghovanloo Rubio,
die beide neu eingewandert sind,
Input/Diskussionspartner : Ali Kar- angesprochen. Sie trafen sich eichi (Elternverein „Al Cantara“) und nige Male in Düsseldorf und Herr
Shahriar Karim-Ghovanloo Rubio Diaz motivierte sie dazu sich nach
(Diakonie Düsseldorf)
dem Vorbild der spanischen Elternvereine zu organisieren und einen
Verein zu gründen. Der Verein ist
Der Moderator begrüßte die Teil- nun gegründet und trgt den Namen
nehmer_innen des Zukunftsforums „Al Cantara“ (die Brücke, span. und
und animierte sie dazu sich vor- arabisch).
zustellen und ihre Erwartungen,
Ideen und Erfahrungen im Zu- Ali Karchi und Shahriar Karimsammenhang mit der Elternarbeit Ghovanloo Rubio sind als Diskussimit Neu-Einwanderern aus Süd- onspartner für das Zukunftsforum
westeuropa und Südosteuropa zu „Elternarbeit“ eingeladen worden,
nennen. Die Vertreter_innen von um die Situation seitens der NeuBundeseinrichtungen, vom Lan- einwanderer darzustellen.
desministerium sowie kommunale
Vertreter und Migrantenorgani- Ali Karchi, in Marokko geboren, 48
sationen berichteten, dass sie auf Jahre alt, mit 14 Jahren Vollwaise
diese Form der Zuwanderung nicht geworden, musste als ältestes Kind
vorbereitet waren und erst Zahlen seine Geschwister großziehen. Im
und Sachverhalte brauchen, um Alter von 19 Jahren wanderte er
angemessen reagieren zu können. nach Spanien aus, siedelte sich in
Die Vertreter_innen der Migran- Tarragona an, wurde spanischer
tenorganisationen, die von den Staatsbürger. Er gründete eine
Neuzuwanderern zunehmend stark Familie und arbeitete in verschiefrequentiert werden, bedauerten, denen Berufen. Nebenbei initiierte
dass sie weder finanziell noch per- er zur Verbesserung der Situation
sonell unterstützt werden und nur von Migrant_innen, eine Migranungenügend mit Informationen be- tenorganisation. Bis zur Krise bedacht werden.
schäftigte diese Organisation 40
Festangestellte. Im Verlauf der Krise
Antonio Diaz berichtete von der wanderte er nach Deutschland aus.
Neuzuwanderung in Dortmund
und wie häufig der Verein BIFF Shahriar Karim-Ghovanloo Rubio
diesbezüglich angesprochen wird. ist 39 Jahre alt und ist in Teheran
Aufgrund seiner Arbeit in Dort- als Sohn einer Spanierin und eines
mund wurde er von Ali Karchi und Iraners geboren. Er flüchtete mit
seinen Eltern nach Barcelona, studierte dort und anschließend auch
in den USA. In New York arbeitete
er als Psychologe mit illegalen Einwanderern. Er kehrte nach Spanien
zurück, um dort in einem Slum zu
arbeiten. In Spanien lernte er seine deutsche Frau kennen, die dort
als Architektin arbeitete. Bedingt
durch die Krise wanderten sie nach
Deutschland aus. Nach vielen Aushilfsjobs arbeitet er nun wieder in
seinem Bereich, bei der Diakonie
in Düsseldorf und betreut als Sozialarbeiter Migrant_innen und
Neuzuwanderer. In diesem Zusammenhang lernte er auch Ali Karchi
kennen.
Herr Diaz, Herr Karchi und Herr Rubio berichteten über die Situation
von Neuzuwanderern und erzählten von den zahlreichen Fällen,
mit denen sie täglich konfrontiert
werden: Übernachtungen auf der
Straße und am Bahnhof, Übernachtungen in der eigenen Wohnung/
Vereinsräume. Sie berichteten
weiterhin, dass die Missionen /
Moscheen /Vereine (spanisch/italienisch/arabischsprachige) oft ihre
Räume zur Verfügung stellen und
Spenden sammeln. Viele Vereine/
Missionen/Moscheen kochen täglich eine warme Mahlzeit und versorgen damit die eingewanderten
Menschen. Sie betonten, dass diese Organisationen ihre Grenzen
erreicht hätten und kaum noch
weiterhelfen könnten. Weiterhin
42 | Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen
Zukunftsforum | Elternarbeit
berichteten sie, dass sich zahlreiche Betrüger_innen in der Szene
tummeln, die diesen Menschen für
die Vermittlung eines angeblichen
Arbeitsplatzes oder eine Bleibe das
letzte Geld aus der Tasche ziehen.
Auch diese Menschen wenden sich
dann in ihrer Not häufig an Missionen /Vereinen und Moscheen.
Es wurde deutlich gemacht, was
notwendig ist: Unterstützung der
Organisationen und Vereine bei
der Bewältigung der Aufgabe und
Bereitstellung kommunaler Mittel Ehrenamt braucht Hauptamt.
und Beratung sowie Schutz vor kriDie vorhandenen Migrantenorgaminellen Übergriffen.
nisationen oder Organisationen,
Die Vertreterin des Ministeriums Verbände, spanische Elternverlud die Anwesenden zu einem in- eine, Elternnetzwerk etc., wollen,
formellen Gespräch ins Ministeri- mitgestalten, mitorganisieren und
tun es bereits. Aber dafür braucht
um ein.
es Ressourcen, politischen Willen,
These, die im Zukunftsforum erar- Räume der Begegnung und etwas
das sehr schwierig ist, aber von viebeitet wurde:
len gewünscht wird: Zeit und GeHauptamt braucht Ehrenamt und duld, damit man zueinander findet.
Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen | 43
Zukunftsforum „Jugend(verbands-)arbeit“
Moderation: Ansgar Drücker (Infor- Hetav Tek erläutert die struktumations- und Dokumentationszen- rellen Rahmenbedingungen für
trum für Antirassismusarbeit e.V.) Migrant_innenjugendselbstorganisationen auf Bundes- und auf LanInput/Diskussionspartner_in: He- desebene. Sie verweist auf positive
tav Tek (Deutsche Jugend in Eu- Entwicklungen und Fortschritte
ropa) und Mazlum Dogan (Bund der vergangenen Jahre, die jedoch
der Alevitischen Jugendlichen in überwiegend über ProjektfördeDeutschland)
rungen ermöglicht wurden und
daher noch keine nachhaltige AbsiNach einer Vorstellungsrunde und cherung von MJSO gewährleisten.
der Vorstellung der Referierenden Sie stellt das Projekt 2014 in Trägererläutert Ansgar Drücker, dass schaft der djo – Deutsche Jugend in
die Interkulturelle Öffnung der Europa vor, in dessen Rahmen fünf
Jugendverbandsarbeit einer Dop- MJSO an eine Regelförderung aus
pelstrategie folgt: Es geht sowohl dem Kinder- und Jugendplan des
um die interkulturelle Öffnung der Bundes herangeführt werden soletablierten Jugendverbände als len. Das Projekt ermöglicht eine
auch um eine Förderung der Mi- Finanzierung für den Aufbau von
grant_innenjugendselbstorganisa- fünf Geschäftsstellen und den Eintion (MJSO), wobei der letzte Punkt stieg in die Hauptamtlichkeit mit
im Zentrum des Zukunftsforums je einer halben Stelle für die beteisteht. MJSO sind keine Parallelge- ligten Verbände. Weiterhin weist
sellschaften, sondern Organisati- sie auf den zunehmenden Beitrag
onsformen für junge Menschen von MJSO im Deutschen Bundesmit Migrationshintergrund, die ih- jugendring hin – zuletzt durch die
nen Teilhabe und Zugänge in einer Aufnahme der DIDF-Jugend als Anvielfältigen Gesellschaft ermögli- schlussmitglied am vorherigen Wochen. Viele Doppelmitgliedschaf- chenende.
ten von MJSO-Mitglieder_innen
in etablierten Jugendverbänden, Mazlum Dogan stellt den Bund
Gewerkschaften sowie Parteien der Alevitischen Jugendlichen in
und ihren Jugendorganisationen Deutschland e.V. (BDAJ) vor, der
unterstreichen, dass es nicht um die eigenständige Jugendorganieinen Rückzug in Organisationen sation der Alevitischen Gemeinde
der Herkunftskultur, sondern um Deutschland e. V. (AABF) ist. Er
ein über die MJO hinausreichendes ist auf Bundesebene, in den fünf
Empowerment für gesellschaft- Regionalverbänden Baden-Württliche (und zum Teil auch berufliche) emberg, Bayern, Hessen, Norden
Teilhabe geht.
und Nordrhein-Westfalen sowie in
über 150 Mitgliedsjugenden vor
Ort tätig und erreicht damit etwa
33.000 Kinder und Jugendliche
unter 27 Jahren. Bundesweit sind
derzeit neun hauptamtliche Mitarbeiter_innen beschäftigt. Der BDAJ
behandelt jugend-, integrationsund umweltpolitische Themen,
führt Projekte zum interkulturellen
und interreligiösen Austausch
durch und organisiert kulturelle
Veranstaltungen sowie Bildungsseminare zur Qualifizierung von
Ehrenamtlichen. Ein wichtiger
Startpunkt in die Hauptamtlichkeit
war das dreijährige vom BMFSFJ
geförderte Projekt „Integration
durch Qualifikation – Coaching zur
Förderung der Selbstorganisation
des BDAJ“ in Kooperation mit der
Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland e.V.
(aej). Im Herbst 2011 wurde der
BDAJ als Vollmitglied in den Deutschen Bundesjugendring (DBJR)
aufgenommen. Der BDAJ legt Wert
darauf, im DBJR nicht auf einen integrationspolitischen Schwerpunkt
festgelegt zu werden.
Hingewiesen wurde im Zukunftsforum weiterhin auf das Netzwerk
interkultureller Jugendverbandsarbeit und -forschung (NiJaf), das seit
ca. zehn Jahren einen Dialog zwischen Forscher_innen und Praktiker_innen gewährleistet. Die zwei
jährlichen Sitzungen werden geschäftsführend vom Informationsund Dokumentationszentrum für
44 | Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen
Zukunftsforum | Jugend(verbands-)arbeit
Antirassismusarbeit e.V. (IDA) konzipiert und eingeladen, jeweils in
Abstimmung mit dem Deutschen
Bundesjugendring, der Deutschen
Sportjugend sowie Vertreter_innen der Wissenschaft.
Hintergrund
Im Folgenden stellt Mazlum Dogan den Verband „Bund der Alevitischen Jugendlichen in Deutschland“ (BDAJ) vor und geht auf
dessen Bedeutung für junge AleErwähnt wird auch der Beschluss vit_innen ein.
der Jugend- und Familienministerkonferenz (JFMK) vom 06./07. Juni Input von Mazlum Dogan
2013 in Fulda mit dem Titel „Stärkere Beteiligung junger Menschen Mazlum Dogan beginnt seinen Inmit Migrationshintergrund an den put mit einer Skizzierung der Verbandsstruktur des BDAJ und weist
Angeboten der Jugendarbeit“.
darauf hin, dass der Aufbau von
VerbandsstrukEine zentrale Bedeutung messen professionellen
die beiden Jugendverbandsvertre- turen im Vergleich zu anderen MJO
ter_innen der Eigenständigkeit der sehr fortgeschritten ist. Dies verJugendverbände bei, für die auch deutliche zum einen die Ausdehinnerhalb der Migrantenorgani- nung in Deutschland mit rund 150
sation immer wieder geworben Ortsjugenden, die wiederum fünf
werden muss. Jugendverbände Regionalverbänden unterstehen,
sind nicht nur Anhängsel oder Teil deren Dachverband der BDAJ bileines Gesamtverbandes, sondern det. Eine Dezentralisierung durch
haben ein Eigenleben, eigene eine Schaffung von RegionalverKompetenzen und zeichnen sich bänden ist für viele MJSO kaum
durch Selbstorganisation aus. Zu zu stemmen, da es zumeist auch
ihrer dauerhaften Stabilisierung an hauptamtlichen Kräften oder
muss sich aus Projekten zur An- aber generell finanziellen Möglichschubfinanzierung eine Regelför- keiten mangelt, um bspw. regioderung entwickeln. MJSO sind ein nale Geschäftsstellen aufzubauen.
zunehmend selbstverständlicherer Mit seinen neun hauptamtlichen
Bestandteile der Kinder- und Ju- Mitarbeitern und insgesamt drei
gendhilfe und der Jugendverbands- Geschäftsstellen in Dortmund,
arbeit, sie sind Ausdruck gesell- Frankfurt und München besetzt
schaftlicher Vielfalt und gelebter der BDAJ folglich eine Vorreiterrolle, an der sich andere MJSO orienDiversität.
tieren können.
These, die im Zukunftsforum erarNichtsdestotrotz wird darauf verbeitet wurde:
wiesen, dass für einen Kinder- und
Jugendverbandsarbeit als freiwilli- Jugendverband, der rund 33.000
ges, selbstbestimmtes Engagement Kinder und Jugendliche erreicht
junger Menschen entscheidet mit und mithin die größte MJSO
über die Zukunftsfähigkeit einer Deutschlands ist, selbst die derzeiGesellschaft. Ehrenamtliches Enga- tigen Fortschritte des Verbandes
gement steht weiterhin im Mittel- beim Aufbau von professionellen
punkt der Arbeit von Migrant_in- Strukturen noch nicht genügen.
nenjugendselbstorganisationen, Mazlum Dogan trägt hierzu Erbraucht aber hauptamtliche Unter- fahrungsberichte aus seiner verstützung nicht nur über Projektför- gangen drei jährigen Amtszeit im
derungen, sondern in Form einer Bundesvorstand vor und verweist
dauerhaften Regelförderung für auf die immense zeitliche BelaMigrant_innenjugendselbstorgani- stung von jugendlichen Funktionsträgern. Diese habe nicht zuletzt
sation.
auch dazu geführt, dass kompetente junge Erwachsene diesen
zeitintensiven
Arbeitsaufwand
nicht länger als zwei bis drei Jahre
standhalten konnten und entsprechend eine hohe Fluktuation in den
Regionalvorständen sowie im Bundesvorstand zu beobachten ist. Es
kam gerade deshalb auch die Frage
auf, ob mit einer hohen Fluktuation
nicht zugleich ein Verlust von wichtigem und bisher angesammeltem
Know-How durch die Jugendlichen
verloren ginge. Hierzu erklärt Mazlum Dogan, dass der BDAJ durch
eine gezielte Ausbildung von Multiplikator_innen (Bildungsseminare,
Workshops etc.) diesem Trend
entgegensteuern wolle. Zudem
werde wichtiges Wissen zur Kinder- und Jugendverbandsarbeit
auch schriftlich dokumentiert und
für die Basis des Verbandes zugänglich gemacht. So erstellte der
BDAJ 2012 ein Handbuch unter
dem Titel „Die ersten 90 Tage“, um
Jugendlichen den Einstieg in diese
Form der ehrenamtlichen Arbeit zu
erleichtern.
Im Rahmen der Ausbildung von
Multiplikator_innen nimmt Mazlum Dogan auch Bezug auf die
Arbeit vor Ort und nennt als funktionierendes Beispiel für eine erfolgreiche lokale Umsetzung von
Ideen, die zuvor auf Regional- oder
Bundesebene entwickelt worden
sind, das interreligiöse Kooperationsprojekt mit der Katholischen
Landjugendbewegung, das derzeit
unter dem Titel „BirD – Brücke
interreligiöser Dialog“ bereits ins
zweite Jahr gegangen ist und vom
BAMF gefördert wird. Jugendliche erhalten durch das Projekt die
Möglichkeit vor Ort interreligiöse
Begegnungen stattfinden zu lassen, die vom Projektbeirat, besetzt
aus jeweils drei BDAJ und KLJB Mitgliedern, mit max. 300€ gefördert
werden können. Dies hängt insofern mit der Ausbildung von Multiplikator_innen zusammen, als die
Begegnungen zugleich einen ge-
Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen | 45
Zukunftsforum | Jugend(verbands-)arbeit
Hierzu setzt er u.a. auch an der
Migrationsgeschichte vieler Alevit_innen an und nennt bspw. die
Verfolgung und Diskriminierung
von religiösen Minderheiten in der
Türkei. Entsprechend ist das Interesse, sich an politischen und gesellschaftlichen Prozessen zu beteiligen, besonders groß, denn – und
interessanterweise auch bei den
Abschließend erläutert Mazlum hier geborenen Alevit_innen – man
Dogan die Bedeutung des BDAJ für ist sich bewusst, dass in einem freijunge Alevit_innen in Deutschland. heitlich-demokratischen Land wie
genseitigen Know-How-Austausch
ermöglichen, zumal es sich bei der
KLJB als Verband innerhalb des
BDKJ, um einen traditionsreichen
Jugendverband handelt. Kooperationen mit bereits etablierten
deutschen Jugendverbänden sind
somit sinnvoll und äußerst begrüßenswert.
Deutschland politische Partizipationsmöglichkeiten vorhanden sind,
die es in der Türkei nicht gab bzw.
bis dato nicht gibt. Dieses Bewusstsein für Demokratie fördert der
BDAJ zudem durch zahlreiche Bildungsseminare, Workshops oder
aber auch Gedenkstättenfahrten
(bspw. nach Ausschwitz). Der BDAJ
kann insofern als wichtiger Integrations- und Inklusionsmotor für die
hiesige alevitische Jugend verstanden werden.
46 | Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen
Zukunftsforum „Migration und Alter“
Moderation: Dr. Elke Olbermann Migrantinnen und Migranten die geben. Zudem wird angeregt, das
(Institut für Gerontologie an der TU Migrantenorganisationen vor neue Thema „ältere Migrantinnen“ auf
Dortmund)
Herausforderungen?
dem Arbeitsmarkt aufzugreifen, da
es hierzu keine Erkenntnisse gibt.
Input/ Diskussionspartner: Alfonso Die Forumsteilnehmer_innen be- Es wird von unterschiedlichen ErLópez García (Interkulturelles Seni- richten von folgenden Erfahrungen fahrungen bezüglich des Umgangs
orennetzwerk Siegen)
und Aktivitäten zum Thema „Alter mit Älteren in verschiedenen Miund Migration“: Ein Verein rus- grantengruppen berichtet. Dabei
sischsprachiger
Migrant_innen wird darauf hingewiesen, dass eine
Im Fokus des Zukunftsforums stand führt derzeit ein neues Projekt professionelle Versorgung von äldie Generation der älteren Mi- „Senioren sein – Senioren werden“ teren Angehörigen nicht generell
grantinnen und Migranten. Die durch. Es wurde eine Befragung abgelehnt wird, sondern eine VerZusammensetzung der Forumsteil- durchgeführt, aber für die Auswer- sorgung der Älteren im Heim von
nehmer_innen (ältere und jüngere tung fehlt die notwendige profes- Jüngeren teilweise als realistische
Engagierte in Migrantenorganisa- sionelle Unterstützung. Darüber Option gesehen wird. Eine in der
tionen, Engagierte in kommunalen hinaus wird auf Projekte und Initi- kommunalen Seniorenvertretung
Seniorenvertretungen bzw. -bei- ativen von verschiedenen Migran- engagierte Teilnehmerin berichräten, Fachkräfte und Wissen- tenorganisationen und anderen tet, dass sie die Themen Nachbarschaftler_innen) ermöglichte es, Trägern hingewiesen, die das Ziel schaftskontakte, Wohnen und Verdas Thema aus unterschiedlichen haben, das bürgerschaftliche Enga- sorgung älterer Migrantinnen und
Perspektiven zu erörtern. Im Mit- gement älterer Migrantinnen und Migranten aufgreifen möchte, die
telpunkt der Diskussion standen Migranten zu fördern oder die dazu Kontaktaufnahme aber schwierig
folgende Themen und Fragestel- beitragen möchten, die Auseinan- sei. Schließlich wird darauf hingelungen: Welche Rolle spielen Äl- dersetzung mit Vorstellungen und wiesen, dass Migrantenorganisatitere in Migrantenorganisationen? Modellen des Alterns in Deutsch- onen zunehmend mit dem Thema
Wie engagieren sich ältere Migran- land bei Migrantinnen und Mi- Altersarmut konfrontiert werden.
tinnen und Migranten innerhalb granten zu fördern. Hierzu wird ein
und außerhalb von Migrantenor- Austausch mit ähnlichen Projekten In der Diskussion zu Visionen und
ganisationen? Inwiefern wird das angeregt. Außerdem wird von Er- Wünschen, Umsetzungsschritten
Thema Alter und Altern in Migran- fahrungen berichtet, nach denen und der Verwertung für die eigene
tenorganisationen aufgegriffen? es in den Migrationsausschüssen Praxis wurden folgende Aspekte
Welche Möglichkeiten der Inte- der Gewerkschaften wenig Bereit- thematisiert:
ressenvertretung und Selbstorga- schaft gibt, sich mit dem Thema
nisation älterer Migrantinnen und Alter zu befassen. Nach Ansicht ei- Visionen und Wünsche der ForumsMigranten gibt es und wie werden ner dort engagierten Teilnehmerin teilnehmer_innen zum Thema „Misie genutzt? Welche Bedeutung wäre es aber wichtig, die Erfah- gration und Alter“
kommt hier den Migrantenorgani- rungen älterer Interessensvertresationen zu? Inwiefern stellen das tungsmitglieder_innen mit Migra- • Wie werde ich alt in DeutschÄlterwerden der Migrantenbevöl- tionshintergrund an nachfolgende
land? Informationen dazu bekerung und die Lebenslagen älterer Interessensvertretungen weiterzureitstellen
Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen | 47
Zukunftsforum | Migration und Alter
• Kulturspezifische
Altenarbeit
besser in den Fachbereich Soziales und Alter vermitteln
• Arbeitsbedingungen in der Altenpflege verbessern
• Möglichst langes, selbständiges
Leben in der eigenen Wohnung
• Vernetzung im Ort/in der Nachbarschaft fördern
• Nachbarschaft als „zweite Familie“
• Fehlendes Problembewusstsein
– Sensibilisierung
• Niedrigschwellige, offene Angebote
• Kulturell aktiv sein, weiterlernen
• Ein wenig Glück
• Hilfe im Alltag, gleichberechtigte
Teilhabe
• Interkultureller Dialog von Generationen
• Migrantenorganisationen
für
Thema „ältere Migrantinnen“
gewinnen, Genderaspekte aufgreifen
• Know-how älterer Migrant_innen schätzen und nutzen
Welche Schritte sind zu gehen?
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Wohnprojekte anleiten
Nachbarschaftsprojekte anbieten
Multiplikatoren schulen
Beratung von Engagierten
Navigationsprojekte erforderlich
Integrationsmonitoring, Situationsanalyse
Anerkennung neuer Orte (Treffpunkte), offene Treffpunkte,
Öffnung traditioneller Vereine/
Treffpunkte
Partnerschaften bilden
Beteiligung an Angebotsentwicklung
Information, umfassende Informationsveranstaltungen
Rahmenbedingungen für Engagement schaffen
Öffentlichkeitsarbeit
Interkulturelles Generationennetzwerk bilden
Ressourcenakquise
Interkulturelle Kompetenz von
Einrichtungen und Personal
Was kann davon für die jeweils
eigene Praxis mitgenommen werden?
• Informationen weiterleiten, um
Arbeit zu aktivieren
• Sensibilisierung für Alter
• Leitlinien für Gruppen entwickeln/Ideen weitergeben
• Neue Erfahrungen und Kenntnisse
• Stärkung der eigenen Arbeit
durch Vernetzung mit anderen
Migrantenorganisationen
• Erfahrungen der Anderen
Thesen, die im Zukunftsforum erarbeitet wurden:
1. Das Altern wird die Migrantenorganisationen radikal verändern!
2. Eine Sensibilisierung für das Altern in Migrantenorganisationen
ist dringend erforderlich!
3. Interkulturelle Seniorennetzwerke
fördern die Lebensqualität von
älteren Migrant_innen und ihrer
Angehörigen!
48 | Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen
Zukunftsforum | Migration und Alter
Hintergrund
Fast 1,5 Millionen von ihnen sind
65 Jahre und älter. Aktuellen MoIm Folgenden stellt Alfonso López dellrechnungen zufolge wird ihre
García das Pilotprojekt „Interkultu- Zahl bis 2032 auf rund 3,6 Millionen ansteigen.
relles Seniorennetzwerk“ vor.
•
•
Input von Alfonso López García
Als Einstieg in die Diskussion stellte Herr Alfonso López García ein
Pilotprojekt zur Förderung der Integration von zugewanderten älteren
Menschen in Siegen vor, aus dem
das interkulturelle Seniorennetzwerk Siegen entstanden ist. Herr
Lopez García war bis zu seiner Verrentung als Sozialarbeiter in der
Migrationsarbeit tätig und ist seit
über vierzig Jahren in verschiedenen Funktionen ehrenamtlich
engagiert (u.a. Spanisches Zentrum, spanische Gemeinde, Ausländerbeirat, Seniorenbeirat).
Der Gesundheitszustand dieser
Gruppe wird – im Vergleich zur
deutschen Bevölkerung – als erheblich schlechter beschrieben.
Dies wird unter anderem auf die
schlechteren Arbeits- und Lebensbedingungen der Migrantinnen und
Migranten (schwere körperliche Arbeit, belastende Migrationserfahrungen etc.) zurückgeführt.
Obwohl infolgedessen bei alten
Menschen mit Migrationsgeschichte ein hoher Hilfe- und Unterstützungsbedarf besteht, der
zukünftig weiter steigen wird,
nehmen sie das derzeitige Altenhilfeangebot in Deutschland kaum
in Anspruch.
1. Ausgangslage
Thesen, die das begründen:
Rund 15,7 Millionen Menschen
mit Migrationshintergrund leben • Die heute alten Migrant_innen
haben sich nicht auf das Altwerderzeit in der Bundesrepublik
den in Deutschland vorbereitet,
Deutschland, darunter ca. 7,1 Millida sie in ihre alte Heimat zurückonen mit ausländischer und ca. 8,6
kehren wollten.
Millionen mit deutscher Staatsangehörigkeit (Statistisches Bundes- • Es herrscht unter den älteren
Migranten und Migrantinnen
amt, Mikrozensus 2010).
•
•
eine hohe Unkenntnis über die
bestehenden Angebote.
Es besteht gerade im Alter eine
Tendenz zum Rückzug in die eigene Ethnie.
Die häufig negativen Erfahrungen mit den deutschen Institutionen werden oft auch auf
die Altenhilfe übertragen.
Ältere Migranten und Migrantinnen fürchten – bei Inanspruchnahme entsprechender
Hilfen – ausländerrechtliche Konsequenzen.
Die bestehenden Altenhilfeangebote sind derzeit nicht auf die
Versorgung der älteren zugewanderten Menschen vorbereitet.
Schlussfolgerung
• Die adäquate Versorgung älterer
Menschen mit Migrationsgeschichte kann nur gelingen,
wenn die bestehenden Informationsdefizite über die Angebote
und Leistungen der Altenhilfe
aufgearbeitet werden. Dazu ist
eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit erforderlich.
• Die partnerschaftliche Einbeziehung der Migrantenorganisationen ist hierfür unerlässlich.
• Der Aufbau eines interkulturellen
Seniorennetzwerkes kann ein
wichtiger Schritt in der Strukturplanung zur Förderung der
Teilhabe der zugewanderten älteren Menschen sein.
2. Pilotprojekt „Interkulturelles Seniorennetzwerk“
in Siegen
Der Aufbau und die Etablierung des
Interkulturellen Seniorennetzwerks
in Siegen erfolgten im Rahmen
eines Pilotprojektes, das vom Förderverein für die spanischsprachige
katholische Gemeinde Siegen und
Umgebung – Interkulturelle Gemeinschaft e.V. – getragen wurde.
Grundlagen des Projekts in Siegen
waren:
Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen | 49
Zukunftsforum | Migration und Alter
• Dokumente:
• Sozialraumanalyse von 2006
• Erster Integrationsplan von
2007
• Seniorenplan/ Bericht 2005/
2006
• G
remien:
• S eniorenbeirat
• ntegrationsrat
• Kooperationsverbund der Migrationsdienste und der Stadt
Siegen
• M
igratenorganisationen:
• 5
8 Migrantenorganisationen
Umsetzung
staltung, Wissensvermittlung,
interkultureller Austausch, Begegnung und Vernetzung der
Das Projekt wurde von Juli 2009 bis
Seniorengruppen.
Dezember 2013 durchgeführt und
• Aktivierung
umfasste folgende Bausteine:
Baustein 3
Baustein 1
• Situationsanalyse
• Koordination und Vernetzung
der Kooperationspartner:
• Migrantenorganisationen
• Kommunale Gremien
• Integrationsrat
• Seniorenbeirat
• Kooperationsverbund der MiZielsetzung
grationsdienste und der Stadt
Siegen.
• Information der älteren Menschen mit Migrationsgeschichte
Baustein 2
• Aktivierung dieser Menschen
• Gezielte Wissensvermittlung
• Verbesserung ihrer Lebensqualität • Bildung von Seniorenkreisen
gleicher Ethnie (z. B.: Türkei, Ita• Adäquate Versorgung
lien, Marokko, Polen, Serbien,
• Förderung des interkulturellen
Russland, usw.)
Austauschs
• Interne und externe Vernetzung • Vermittlung von Informationen,
fachliche Begleitung und Resvon Einrichtungen
sourcenakquise
• Förderung des Aufbaus einer kul• Förderung bei der Programmgetursensiblen Altenhilfe/ Pflege
• Fortbildung (Wissensvermittlung allgemein)
• Förderung der Eigenständigkeit
und der Organisation
• Hinführung zur aktiven Beteiligung am kommunalen, sozialen
und politischen Geschehen
• Dokumentation
Finanzierung
• L andesförderung: Ministerium für
Generationen, Familie, Frauen
und Senioren des Landes Nordrhein-Westfalen
• Kommunale Förderung: Stadt
Siegen
• Eigenleistung der Teilnehmer_
innen
• Eigenleistung des Trägers
• Sponsoring
Abbildung: Struktur und Vernetzung des Interkulturellen Seniorennetzwerks in Siegen
Seniorenrat
Regiestelle
„Leben im Alter“
50 | Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen
Thesensammlung aus den Zukunftsforen
Zukunftsforum „Kultur- Wir haben Ideen entwickelt, wie nenjugendselbstorganisationen,
arbeit“
man diesen Perspektivenwechsel braucht aber hauptamtliche UnterKulturelle Vielfalt kann sich weiter
entwickeln, wenn Migrantenvereine nicht nur Traditionen bewahren und weitergeben, sondern Kultur kreativ weiter entwickeln, sich
an der jungen Generation orientieren (Freiraum bieten) und wenn die
Mehrheitsgesellschaft die Kulturarbeit der Migrantenvereine wertschätzt und unterstützt.
Zukunftsforum „Neue Migrantenorganisation“
Voraussetzungen für neue Migrantenorganisationen sind neue Bedarfe, neue Personen, die richtige
Gelegenheit und alte Erfahrungen!
Zukunftsforum „Flüchtlingsarbeit“
Die Flüchtlingspolitik und die
Flüchtlingsarbeit müssen neu gedacht werden. Die Art und Weise wie sie bisher laufen, ist sehr
stigmatisierend und starr und wir
möchten, dass die Flüchtlingsarbeit mehr unter integrativen Gesichtspunkten behandelt wird. Wir
möchten, dass die Ressourcen und
Potenziale von jungen Flüchtlingen
gesehen und anerkannt werden
und stärker in den Blick der Öffentlichkeit genommen werden.
oder dieses Umdenken auf die EUEbene verlagern und auch in die
Bundesländer hineintragen kann,
z. B. durch entsprechende Vernetzungstreffen von zivilgesellschaftlichen Akteur_innen.
stützung nicht nur über Projektförderungen, sondern in Form einer
dauerhaften Regelförderung für
Migrant_innenjugendselbstorganisation.
Zukunftsforum „MigraZukunftsforum „Eltern- tion und Alter“
arbeit“
Hauptamt braucht Ehrenamt und
Ehrenamt braucht Hauptamt.
Die vorhandenen Migrantenorganisationen, oder Organisationen,
Verbände, spanische Elternvereine, Elternnetzwerk etc., wollen,
mitgestalten, mitorganisieren und
tun es bereits. Aber dafür braucht
es Ressourcen, politischen Willen,
Räume der Begegnung und etwas
das sehr schwierig ist, aber von vielen gewünscht wird: Zeit und Geduld, damit man zueinander findet.
Ich weiß, das ist sehr schwierig und
politisch ein Alltagsgeschäft.
1. Das Altern wird die Migrantenorganisationen radikal verändern!
2. Eine Sensibilisierung für das Altern in Migrantenorganisationen
ist dringend erforderlich!
3. Interkulturelle
Seniorennetzwerke fördern die Lebensqualität von älteren Migrant_innen
und ihrer Angehörigen!
Zukunftsforum „Jugend
(verbands-)arbeit“
Jugendverbandsarbeit als freiwilliges, selbstbestimmtes Engagement
junger Menschen entscheidet mit
über die Zukunftsfähigkeit einer
Gesellschaft. Ehrenamtliches Engagement steht weiterhin im Mittelpunkt der Arbeit von Migrant_in-
Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen | 51
AbschlieSSende Talkrunde
PD Dr. Ansgar Klein (BBE) im Gespräch mit Katrin Hirseland (BAMF)
und Dr. Karamba Diaby (MdB,
Stadtrat Halle/Saale)
Vorstellung der Thesen aus den
sechs Zukunftsforen:
Torsten Groß (Institut für Soziale
und Kulturelle Arbeit)
Susanne Huth (INBAS-Sozialforschung GmbH)
Marissa Turaç (BBE AG 5 „Migration und Teilhabe“)
Antonio Diaz (BIFF e.V.)
Ansgar Drücker (Informations- und
Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit e.V.)
Alfonso López García (Interkulturelles Seniorennetzwerk Siegen)
PD Dr. Ansgar Klein: Wir haben
sechs Arbeitsgruppen, deren Thesen hier im Mittelpunkt der Diskussion stehen sollen. Ich möchte aber
trotzdem kurz meinen Gesprächspartnern die Möglichkeit geben,
sich in einem ersten Statement zu
der Veranstaltung zu äußern, sie
waren ja beide auch intensiv dabei.
Fangen wir mit Katrin Hirseland an,
die ja im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) jetzt
eine sehr wichtige Rolle innehat.
Das BAMF ist ja auch der Förderer
dieser Veranstaltung und das nicht
nur in diesem Jahr. Wir sind schon
seit vielen Jahren enge Partner
und das BAMF ist auch Mitglied
im Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement. Das ist kein
selbstverständlicher Vorgang, das
möchte ich noch einmal deutlich
sagen. Wir sind ein Netzwerk von
Zivilgesellschaft, Staat und Wirtschaft zur Förderung des Engagements. Das BAMF ist eine ganz
große Bundesbehörde, mit der wir
über viele Jahre gemeinsame positive Erfahrungen gesammelt haben
und die als Partner des BBE bei uns
eingetreten ist. Katrin Hirseland,
eine Frage: Wir haben im Feld des
BBE immer mal wieder Hinweise
bekommen, das BAMF würde –
aufgrund der steigenden Flüchtlingszahlen – seinen ja immer auch
begrenzten Etat umwidmen müssen, sich also auch ein bisschen
in den Schwerpunkten verschieden müssen. Dies hat im Feld ein
bisschen Sorge ausgelöst. Heißt
das, dass bestimmte Integrations-
52 | Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen
Abschließende Talkrunde
und Migrantenorganisations-Pro- genau den gleichen Umfang wie im
gramme darunter leiden müssen, vergangenen Jahr, also da kann ich
eigentlich Entwarnung geben. Es
wie sieht es aus?
gibt eine Umschichtung, aber sie
Katrin Hirseland: Ok, das als Ein- betrifft in erster Linie das Personal.
stieg. Aber vielleicht vorab auch Vielleicht zur Tagung an sich. Ich
noch einmal die Chance, etwas zur habe mich sehr gefreut, noch einTagung sagen zu können, weil du mal eingeladen worden zu sein. In
das auch noch mit anmoderiert den letzten Jahren bin ich immer
hattest. Aber ich steige gleich mal eingeladen worden, weil ich eimit der Frage ein. In der Tat ist gentlich aus dem Integrationsbees so, dass wir ja insbesondere in reich komme. Im vergangenen Jahr
diesem Jahr, aber eigentlich schon habe ich dann in einen anderen
seit 2008, steigende Asylzahlen Bereich gewechselt und leite jetzt
haben. Bis dato rund 80 Prozent das Büro unseres Präsidenten und
mehr Zugänge und wir rechnen habe mich sehr gefreut, noch einmit über 100.000 Anträgen in die- mal bei meinem Lieblingsthema,
sem Jahr. Das ist so, das führt auch den Migrantenorganisationen, dazu Umschichtungen, aber nicht zu bei sein zu dürfen. Was mir wirklich
Umschichtungen von denen Sie im ein ganz wichtiges Thema ist: Es
engeren Sinne betroffen sein wer- ist schon mehrfach angesprochen
den, denn es führt eigentlich nur worden, wir haben es nach langen
zu Personalumschichtungen. Nur in Jahren und mit vereinten Kräften
Anführungszeichen. Das heißt, wir vieler Akteure geschafft, das Thehaben relativ viel Personal in den ma Strukturförderung auf die bunBereich Asyl verlegt, das betrifft despolitische Agenda zu setzten.
insofern ein bisschen den Bereich Und das ist, glaube ich, ein gutes
Integration, weil darunter auch Re- Signal und ein erster Schritt in die
gionalkoordinatorinnen und Regio- richtige Richtung.
nalkoordinatoren sind. Wer unsere
Arbeit kennt, der weiß, dass wir PD Dr. Ansgar Klein: Vielen Dank,
22 Außenstellen haben, in denen Katrin Hirseland. Karamba Diaby,
unter anderem auch Menschen sit- du bist ja seit ein paar Wochen
zen, die insbesondere die Integrati- Mitglied des Souveräns, sozusaonskurse vor Ort organisieren, aber gen, Mitglied des Deutschen Bunauch viel Netzwerkarbeit machen. destages und bist auch viel in der
Aus diesem Bereich haben wir ei- Presse wahrgenommen worden.
nige Kolleginnen und Kollegen vo- Meine Eingangsfrage an dich: Du
rübergehend, das ist die Kernaus- begleitest diese Fachtagung seit
sage, in den Asylbereich verlegt. langen Jahres intensiv mit und hast
Aber es betrifft nicht, und da kann dich auch immer eingemischt. Was
ich wirklich Entwarnung geben, die nimmst du für deine bundespolifinanziellen Mittel für den Integra- tische Arbeit als Abgeordneter an
tionsbereich. Das sind völlig unter- wesentlichen Themen mit?
schiedliche Fördertöpfe, der eine
hat mit dem anderen nichts zu tun. Dr. Karamba Diaby: Also für die,
Das heißt, wir fördern unsere Pro- die es vielleicht noch nicht wissen.
jekte weiter und den Schwerpunkt Ich bin seit 2008 kontinuierlich und
Migrantenorganisationen genauso aktiv bei dieser Tagungsreihe daweiter. Klar müssen wir jetzt erst- bei. Nicht nur als Teilnehmer, sonmal abwarten, bis der Haushalt dern auch aktiv auf dem Podium,
neu aufgestellt ist, da kann keiner aber auch als Arbeitsgruppenleiter.
in eine Glaskugel gucken. Im ersten Ich erinnere mich da zum Beispiel
Entwurf des Haushalts hatte der an das Podium mit Frau Bartels in
Haushaltstitel für unsere Projekte Potsdam und viele andere. Ebenso
wie Frau Hirseland liegen mir die
Tagungsreihe und das Thema der
Migrantenorganisationen sehr am
Herzen. Ich wurde rechtzeitig über
den Termin informiert, habe das
auch festgehalten, bin wieder dabei
und hoffe auch in den nächsten Jahren wieder eingeladen zu werden.
Ja, was nehme ich für meine Arbeit
mit? Was ich wirklich mitnehme ist:
Ich werde immer wieder darin bestätigt, wieviel Engagement dahintersteht, wenn wir von Menschen,
Organisationen und Migrantenorganisationen sprechen. Aber auch
allgemein im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements stecken so viel Engagement, Energie
und Erfahrungen, die, aus meiner
Sicht, von der Politik nicht ausreichend berücksichtigt werden.
Das nehme ich mit, um es an den
Stellen immer wieder zu betonen,
an denen ich etwas zu sagen habe
und dort wo ich mitreden darf und
soll. Was ich außerdem mitnehme
ist, dass im Vergleich zu den anderen Tagungen, in diesem Jahr vielleicht weniger Teilnehmerinnen
und Teilnehmer vertreten sind. Da
könnte man mir aber auch wiedersprechen, oder vielleicht täuscht
der Saal, weiß ich nicht. Aber die
Diversität der angesprochenen
Themen ist mir wirklich positiv
aufgefallen, das ist anders als in
den letzten Jahren. Wir hatten auf
den vergangenen Tagungen natürlich auch Arbeitsgruppen, wir
hatten immer wieder Open-Space
und viele andere Methoden. Aber
trotzdem, diese Diversität der Themen zur Flüchtlingsproblematik,
zur Jugend und Kulturarbeit, das
fand ich sehr beeindruckend und
das macht natürlich auch die Qualität der Tagungen aus. Diese beiden
Dinge werde ich mitnehmen und
auch auf das Themenfeld der Arbeitsgruppe 5 des BBE „Migration
und Teilhabe“ hinweisen und den
Bereich des bürgerschaftlichen Engagements und Migrantenorganisationen publik machen.
Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen | 53
Abschließende Talkrunde
PD Dr. Ansgar Klein: Ja, ganz herzlichen Dank. Wir haben ja heute
auch ein leidenschaftliches Plädoyer für die doppelte Staatsbürgerschaft des Landesministers
Guntram Schneider aus NordrheinWestfalen hören können, um mal
eines der großen politischen Themen anzusprechen. Ein anderes
Thema, dass uns vielleicht im Laufe
der Diskussion nochmal begegnet,
sind die neuen Zuwanderungswellen, die man jetzt bei uns erlebt und
die in weiten Teilen etwas mit Krieg
und mit Armut zu tun haben. Wenn
man Migration in Europa unter der
Bedingung einer europäischen Freizügigkeit betrachtet, dann könnte
man auch überlegen, ob diese
Zuwanderungsbewegungen nicht
auch durch zivilgesellschaftliche
Formate wie Freiwilligendienste im
stärkeren Maße gestützt werden
könnten. Wenn der Arbeitsmarkt
gerade solche Unterstützungsformate nicht zulässt, was bedauerlich
wäre, dann müsste man sicherlich
daran arbeiten. Es sollte auch nicht
darum gehen, solche Formate gegeneinander auszuspielen, aber es
wäre doch überlegenswert, einen
europäischen Freiwilligendienst in
einer solchen Phase stärker in das
Problemfeld zu involvieren. Ich bin
heute Abend und heute Nachmittag ein bisschen auf der Suche nach
Anregungen und Ideen, die wir Karamba Diaby und Katrin Hirseland
und anderen für ihre politische
Arbeit mitgegeben können. Denn:
Ohne ihren Einsatz werden sich die
Rahmenbedingungen nicht wirklich bewegen können, wie wir aus
vielen Jahren gemeinsamer Diskussionen wissen. Weil die Zeit knapp
wird, gehe ich nun auf die sechs Zukunftsforen ein. Jede Gruppe war
ja gebeten worden, eine zentrale
Fragestellung für dieses Abschlusspodium zu präsentieren und wir
beginnen mit dem Zukunftsforum
1 „Kulturarbeit“. Da weiß ich, dass
Thorsten Groß den Zettel gerade
hatte und ihn vortragen kann. Dafür gibt es auch ein Mikro.
Torsten Groß: Danke. Also wir haben keine Fragestellung, sondern
mehr eine These formuliert, so
haben wir das verstanden. Und
wir haben auch keine Forderung
an die Politik formuliert, weil das
eigentlich auch so nicht der Auftrag war. Da hätten wir einige im
Zukunftsforum gesammelt, die wir
aber gern für die Dokumentation
noch nachreichen können. Wir
haben eine relativ allgemeine und
deswegen auch so lange Satzthese formuliert: „Kulturarbeit der
Migrantenvereine kann zu einer
toleranten, demokratischen und
vielfältigen Gesellschaft beitragen,
wenn Migrantenvereine nicht nur
kulturelle Tradition bewahren, sondern Kultur kreativ weiterentwickeln und sich stark an der Jugend
orientieren und wenn die Mehrheitsgesellschaft, damit ist natürlich auch die Politik gemeint, die
Kulturarbeit der Migrantenvereine
mehr anerkennt, wertschätzt und
unterstützt“.
PD Dr. Ansgar Klein: Karamba Diaby, da fang ich gleich mal bei dir an.
Dr. Karamba Diaby: Ja, also die
These kann ich unterschrieben und
finde das auch richtig. In meiner
früheren Tätigkeit habe ich auch
bei vielen Bildungsträgern und
Vereinen gearbeitet. Kulturelle Bildung war eines der Themen, die
für mich ganz, ganz wichtig waren.
Ich denke, wenn wir von Migrantenorganisationen und kultureller Bildung reden, ist das ein ganz
wesentlicher Aspekt. Ich fände es
wichtig, wenn es uns gelingen würde, auch auf der Bundesebene die
Forderung nach kultureller Bildung
zu stärken und sich auch die Aufmerksamkeit ein Stück weit darauf
richtet, dass es nicht nur um interkulturelle Bildung, sondern um
kulturelle Bildung im Allgemeinen
geht. Das finde ich einen wichtigen
Aspekt und es ist auch nicht nur
eine Aufforderung an die Politik,
sondern auch an die Organisati-
onen, die in diesem Bereich arbeiteten und die dafür sorgen, dass
sich die Vielfalt des kulturellen
Lebens auch in der Arbeit widergespiegelt wird, die wir machen. Das
wäre natürlich auch eine Voraussetzung, um an viele Töpfe und
Fördermittel heranzukommen und
Kooperationen mit anderen Einrichtungen zu erleichtern. Deshalb
kann ich das nur unterstreichen,
weil kulturelle Bildung eine der wesentlichen Säulen ist, wenn wir von
Kulturarbeit reden.
PD Dr. Ansgar Klein: Vielen Dank.
Als nächstes ist Katrin Hirseland
dran. Als ich mal in Bayern mit der
damaligen Sozialministerin diskutiert habe, da hieß es dann: „Ja, wir
fördern die Schützenvereine und
unsere Traditionsvereine“; aber
migrantische Kulturvereine kamen
darin auf der Länderebene nicht
vor. Deswegen meine Frage an dich
Katrin Hirseland, da du dich ja mit
der bundespolitischen Ebene und
im Bundesamt sehr gut auskennst:
Gibt es Kooperationen mit dem
Bundeskulturbeauftragten, gibt es
Förderprogramme für Migrantenorganisationen speziell im Bereich
Kultur, wie ist da die Lage aus deiner Sicht?
Katrin Hirseland: Also, spezielle Kulturförderprogramme für Migrantenorganisationen kenne ich keine,
ehrlich gesagt. Ich schaue mal den
Torsten Groß an, weil der sich bei
dem Thema noch wesentlich besser auskennt. Er schüttelt mit dem
Kopf. Also ich finde, das Thema Kultur und Migrantenorganisationen
wird noch immer ein bisschen unterschätzt, wenn wir über gesellschaftlichen Zusammenhalt, über
ein Miteinander, über „weg von
dir und wir“, hin zu „lass und doch
was zusammen machen“ reden
wollen. Ich glaube, dass das Thema
Kultur oft noch ein bisschen unterschätzt wird, weil es entweder in
die schöngeistige Ecke oder in dieses „Jugendzentrumsthema“ ge-
54 | Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen
Abschließende Talkrunde
drängt wird. Und ich glaube, dass
man da eigentlich noch viel stärker
daran arbeiten müsste. Was das
Bundesamt betrifft, da muss ich
gestehen, dass Kultur noch kein
Förderschwerpunkt ist. Wir haben
aber immer wieder Projekte im
Förderprogramm, die auch Kulturaspekte beinhalten, seien es
bspw. Theaterworkshops. Wir
haben auch schon interkulturelle
Opernprojekte gefördert. Aber es
ist kein Förderschwerpunkt, kein
Oberthema sozusagen, wobei wir
insbesondere im Jugendbereich
viele Projekte haben, die kulturelle
Aspekte mitabdecken.
Dr. Karamba Diaby: Ich wollte nur
ergänzen, weil ich einen Satz gesagt habe, den ich nicht ausgeführt
habe. Mein Appell ging dahin, dass
auch
Migrantenorganisationen
verstärkt eine Mitgliedschaft in solchen Vereinigungen, wie beispielsweise der Landesvereinigung für
kulturelle Kinder- und Jugendbildung, anstreben sollten. Ich weiß
nicht, ob es in dem Bereich auch
noch andere Zusammenschlüsse
gibt. In Sachsen-Anhalt haben wir
eine sehr engagierte Landesvereinigung kulturelle Bildung, dort
gibt es auch eine Bundesebene die
BKJ. Über solche Organisationen
hätten wir die Möglichkeit, wirklich
auch an andere Ressourcen heranzukommen. Also stelle sich vor
beim Magistrat, bei der Stadtverwaltung oder wie auch immer die
Strukturen heißen, zu sagen: „Wir
sind ein Verein der Kurden und wir
wollen ein kulturelles Projekt beantragen“. Es ist etwas anderes, wenn
man sagen kann: „Ich bin Mitglied
der Landesvereinigung kulturelle
Bildung und wir wollen als Mitglied ein Projekt beantragen“. Also
diesen Appell werde ich an vielen
Stellen noch einmal vortragen, weil
mir das am Herzen liegt. Wir müssen uns in Richtung der etablierten
Strukturen öffnen, damit wir auch
an andere Fördermittel kommen.
Aber es geht nicht nur um För-
dermittel, sondern auch darum,
den Erfahrungsaustausch und die
Ressourcen gemeinsam nutzen zu
können.
PD Dr. Ansgar Klein: So war es
auch nicht gemeint. Es gibt eine
soziologische Äußerung von Klaus
Offe, der hat damals in unserer
Enquete Kommission „Zukunft
des bürgerschaftlichen Engagements“ auf drei niedrigschwellige
Bereiche hingewiesen. Und einer
ist, das hat Frau Hirseland gerade
unterstrichen, Kultur, der andere
ist Sport und der dritte ist interessanterweise Religion. Das ist folgendermaßen gemeint: Menschen
engagieren sich, wenn sie z. B. religiös sind, in diesem Bereich selbstverständlich besonders, wenn sie
davon überzeugt sind. Und wenn
man das nutzt dann sind es, so war
damals die Diskussion, allein diese drei Bereiche, in denen sich im
Grunde Menschen engagieren, die
sich sonst vielleicht nicht engagieren würden. Und natürlich, das ist
völlig richtig, müssen auch alle Bereiche in den Förderprogrammen
interkulturell geöffnet sein.
Katrin Hirseland: Wenn ich da
noch ergänzen darf. Die Öffnung
finde ich ganz wichtig und deswegen fand ich den Satzteil ‚Kultur
kreativ weiterentwickeln‘ aus der
These auch ganz wichtig. Wir würden jetzt sehr wahrscheinlich auch
keinen Kulturverein, egal aus welchem Herkunftsland, fördern, der
einfach nur seine kulturelle Tradition weiterleben möchte. Das wäre
für uns und unsere Integrationsprojekte kein wirkliches Förderthema. Sondern da ist dann immer
die Frage: Wie öffnen wir das? Wie
kriegen wir andere Leute da mit
rein? Wie machen wir was Neues
daraus? Entscheidend ist das nichtum-sich-selber-drehen, das meine
ich jetzt gar nicht negativ, denn das
ist sicherlich auch ganz wichtig. Es
ist aber einfach nicht das, was wir
im Rahmen unserer Integrations- Publikum: Ich wollte nur vielleicht
dazu ergänzen, weil ich aus Dortprojekte anstoßen würden.
mund bin, die Stadt Dortmund hat
PD Dr. Ansgar Klein: Ja, um es mal zum Beispiel auch im Rat beschlosetwas ironisch zu sagen: Die inter- sen, einen gewissen Teil von den
kulturelle Öffnung der Kulturför- Kulturförderungsgeldern nur für
derprogramme wäre ein echtes Migrantenorganisationen zur VerThema. Und, das wurde gerade fügung zu stellen. Und die haben
gesagt, man muss dafür die beste- dabei auch den Schlüssel, dass die
henden Strukturen in den fachpo- bestehenden staatlichen kulturellitischen Bereichen und Förder- len Institutionen, ihre Türen öffnen
programmen sozusagen für die und ihre Veranstaltungen für MiMigrantenorganisationen öffnen. grantenorganisationen öffnen solDie Migrantenorganisationen müs- len. Und das ist eigentlich ein sehr
sen sich selbstverständlich wie ein wichtiger Ansatz die Kultur der MiFisch im Wasser in diesen Kontex- granten in diesem Bereich ein bissten bewegen können und das min- chen hervorzuheben, weil wenn
dert überhaupt nicht die Bedeu- man ins Schauspielhaus geht, ins
tung der Programme, die etwa das Konzerthaus oder ins Dortmunder
BAMF macht. Gibt es jetzt da eine U, dann ist da auch ein anderes Publikum. Nicht nur für die Migranten
Wortmeldung, oder...?
allein, auch der MehrheitsgesellDr. Karamba Diaby: Eine interkul- schaft ist es sehr, sehr wichtig, dass
turelle Öffnung sollte nicht nur im sie diese Institutionen auch nutzen
Rahmen der Kultur, sondern im können.
ganzen Spektrum erfolgen. Sich auf
die Kultur zu beschränken wäre, PD Dr. Ansgar Klein: Herzlichen
Dank, das heißt kommunale Förnach meiner Meinung, verfehlt.
Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen | 55
Abschließende Talkrunde
derprogramme,
Förderpolitiken
sind extrem bedeutend und wir
haben ja hier in Dortmund gute
Beispiele kennengelernt. Es ist ja
eine Anregung für alle, um in ihren
jeweiligen Kommunen zu schauen:
Was ist da? Was kann man da bewegen? Soviel zum ersten Thema. Ich
bitte um Verständnis, wir könnten
jetzt hier noch lange diskutieren.
Wir haben aber sechs Gruppen und
wenig Zeit. Deswegen kommen wir
zur zweiten Gruppe „Neue Migrantenorganisation“ und da hat Susanne Huth die Moderation gehabt,
hat auch den Zettel und kann uns
die Ergebnisse sozusagen kurz vortragen. Bitteschön.
Susanne Huth: Ich habe extra ein
Foto von unserer Pinnwand gemacht. Wir haben auch eine These,
unser Thema war „Neue Migrantenorganisation“ und die Entwicklungen, Entstehungen neuer Migrantenorganisationen ist in einem
Spannungsverhältnis zu sehen, von
der Modernisierung alter Migrantenorganisationen, neuer Zuwanderung, neuen Themen, neuen
Gruppen. Und unsere These lautet:
„Voraussetzungen für neue Migrantenorganisationen sind neue
Bedarfe, neue Personen, Gelegenheiten und alte Erfahrungen“. Das
heißt, es müssen neue Bedarfe
entdeckt werden, für die es im Moment noch keine Antworten oder
Strukturen gibt, die sich darum
kümmern. Und es müssen die Personen da sein, die sagen, ich nehme
mich dieses Bedarfes an, suche mir
Mitstreiterinnen und Mitstreiter
und wir gehen das Thema an, weil
wir hier was tun können, zum Beispiel eigene Erfahrungen weitergeben. Und es braucht natürlich
diese Gelegenheiten, die Zeit muss
passen, der Rahmen muss passen.
Es muss vielleicht zufällig der richtige Ort da sein, oder jemand kennt
jemanden, irgendwelche Gelegenheiten müssen dafür da sein. Und
was ganz bedeutsam in unserer
Diskussion herauskam: Man muss
das Rad nicht neu erfinden, sondern man kann auf die alten Erfahrungen zurückgreifen, man kann
auf Dachstrukturen und -organisationen zurückgreifen. Es ist ganz
wichtig, was Karamba Diaby gerade eben sagte. Es gibt auch in den
Ländern solche Dachstrukturen.
Man kann sich Coachings und Erfahrungen holen, den Austausch
suchen und somit eben auf dem
aufbauen, was bereits da ist.
die Möglichkeit geben, die erforderlichen Kompetenzen zu erwerben, wenn sie sie noch nicht haben.
Also wir müssen sie in die Lage versetzen Strukturen aufzubauen.
Was heißt das denn Pressearbeit,
Öffentlichkeitsarbeit? All diese
Dinge muss man lernen, dafür
braucht es Angebote. Da kommen
die Freiwilligenagenturen ins Spiel,
die Freiwilligenakademien, natürlich auch Häuser wie unseres, die
solche Geschichten fördern, aber
auch andere. Ich glaube, deswegen
muss es mehr als die Personen, die
Ideen und die Gelegenheiten geben. Es braucht noch etwas, das sie
flankiert.
PD Dr. Ansgar Klein: Ganz herzlichen Dank, Susanne Huth. Es wird
also deutlich: Auch das Feld der
Migrantenorganisationen als ein
Ausschnitt, ein wichtiger Bereich
der organisierten Zivilgesellschaft,
ist einem Wandel unterlegen, der
sich durch Themen und Problem- PD Dr. Ansgar Klein: Vielen Dank,
stellungen eben ergibt. Vor diesem Karamba Diaby.
Hintergrund zu der These der ArDr. Karamba Diaby: Ja, neue Mibeitsgruppe, Katrin Hirseland.
grantenorganisationen. Ich kann
Katrin Hirseland: Also ich war in mir sehr gut vorstellen, was an
der gleichen Arbeitsgruppe, inso- Herausforderungen damit zusamfern kann ich die These erstmal mit menhängt, weil ich in den letzten
einem großen „Ja“ unterschreiben. 27 Jahren selbst sehr viele OrganiAber ich würde noch ein kleines sationen mitbegründet habe. Ich
Plus dazu machen. Was ich nicht verbinde das Thema mit Vernetganz so sehe ist das Thema der zung, denn ich bin der Meinung,
neuen Leute, weil es auch alte wenn man sich neu gründet, dann
Leute sein können, die eine neue hat man die Bedarfe vorher analyIdee aufgreifen. Also das würde ich siert. Bedarfe, Tätigkeiten, Felder,
nochmal vielleicht ein bisschen ein- Inhalte, die man gern weiterbegleischränkend sagen. Aber dieser Mix ten will, indem man auch weitere
von Faktoren, der ist schon ganz Mitstreiterinnen und Mitstreiter
wichtig, aber damit das klappt, sucht. Also diese Vernetzung finde
müssen die flankiert werden, glau- ich wichtig und damit meine ich
be ich. Wir brauchen nicht nur das zugleich mehrere Säulen: VernetThema, die Leute und die Gelegen- zung sowohl mit anderen, bereits
heit, sondern wir brauchen auch existierenden Organisationen im
Strukturen und Angebote, die es Allgemeinen und Vernetzung mit
ermöglichen, dass aus der Idee und den Strukturen der Mehrheitsgeder Gelegenheit tatsächlich, wenn sellschaft, die in der Mehrheitses erforderlich oder gewünscht ist, gesellschaft existieren. Ich denke
eine Organisation wird. Wir haben an Institutionen, gesellschaftliche
auch drüber gesprochen, dass es Gruppen, aber auch an Vereine,
nicht immer ein Verein sein muss, Gesellschaften und Wohlfahrtses kann auch eine Ad-hoc Gruppe verbände. Diesen Vernetzungsgeoder Ähnliches sein, die sich über danken, meine ich auch in Richtung
Jahre trifft. Aber ich glaube, damit der Politik, als Politiker werdet ihr
das richtig gut klappt, muss man das auch verstehen. Wir schimpfen
den Leuten, die sich engagieren, meistens über die Politik, aber die
56 | Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen
Abschließende Talkrunde
Politik entscheidet ja auch Vieles.
Wenn man also wirklich seine
Themen dort platzieren will, dann
muss man auch die Richtung, den
Weg zur Politik, finden. Vernetzung
meine ich auch mit den Parteien
vor Ort, aber auch mit den gewählten Vertreterinnen und Vertretern.
Ich bin Stadtrat in Halle, daher kenn
ich es, dass viele Vereine auf mich
zukommen und dann sagen: „Es
gibt uns seit so und so…“ und da
sag ich: „Toll, dass ihr das so macht.
Wenn ihr nicht kommt, dann kann
ich euch nicht wahrnehmen“. Also
nochmal zusammengefasst: Vernetzung im Zusammenhang mit
neuen Migrantenorganisationen,
das finde ich wichtig.
PD Dr. Ansgar Klein: Jetzt habe ich
noch zwei Fragen. Wir können hier
nicht immer in die ganze Tiefe gehen, aber gibt es Erfahrungen darüber, ob sich ältere, schon etablierte
Migrantenorganisationen vielleicht
für neuere Fragen und neue Generationen nicht hinreichend öffnen?
Gibt es Generationenkonflikte in
Migrantenorganisationen, wie in
anderen Organisationen unserer Zivilgesellschaft auch? Oder ist da im
Grunde die Bereitschaft sich zu öffnen, relativ hoch? Ich frage mal Frau
Arkat an. Können Sie einfach mal für
die Türkische Gemeinde sagen, wie
es da bei Ihnen aussieht? Das ist
eine spannende Frage für alle.
Nalan Arkat (Publikum): Also
was die Türkische Gemeinde in
Deutschland angeht, ist die Bereitschaft sehr hoch. Wir haben schon
vor einigen Jahren angefangen eine
Jugendorganisation auf die Beine
zu stellen. Das hat sich verselbständig, sodass sich die Organisation
„Young Voice“, mittlerweile in sechs
Bundesländern selbst organisiert
und weiterentwickelt hat. Unser
Ziel ist es natürlich „Young Voice“
auf den Weg zu einer bundesweiten Organisation zu unterstützen.
Unsere Öffnungsstrukturen, unsere Erfahrung, unser Know-how ste-
hen dafür natürlich zur Verfügung.
Und es ist selbstverständlich und
ich finde auch sehr nützlich, dass es
Meinungsverschiedenheiten, unterschiedliche Erwartungen und neue
Ambitionen gibt. Dadurch können
eine Plattform für Diskussionen
entstehen, neue Ideen erarbeitet
und so die demokratische Entwicklung gestärkt werden, sowohl
für ältere etablierte Vorstandsmitglieder und freiwillig Engagierte, als
auch für junge Leute. Es ist ein Entwicklungsprozess, es ist ein sehr
nützlicher demokratischer Prozess
und auch ein Stück, wenn sie so
wollen, Partizipationsübung.
PD Dr. Ansgar Klein: Ja, vielen
Dank. Moment, eine Frage habe ich
jetzt noch an Frau Hirseland. Wenn
sich jetzt eine neue Jugendorganisation der Türkischen Gemeinde
gegründet hat und schon in sechs
Bundesländern präsent ist, kommt
sie dann irgendwann in den Bundesjugendring? Also das sind die
spannenden Fragen: Öffnung der
großen Strukturen für Migrantenorganisationen und ihre Formate.
Nalan Arkat (Publikum): Wir wären
sofort dabei. Aber die Hürden sind
für eine Migrantenorganisation so
hoch, dass es so einfach gar nicht
geht. Wenn es heute ginge, dann
wären wir sofort dabei.
trifft auch die Hürden für Finanzierungen im Kinder- und Jugendplan.
Es gibt nun einmal Richtlinien, die
sind auch richtig und die muss es
auch geben. Grundvoraussetzung
ist für uns als Jugendverband, dass
wir mit einer selbstorganisierten,
selbstbestimmten und freiwilligen Jugendorganisation sprechen.
Eines unserer wichtigsten Kriterien
zum Beispiel, dass man ein anerkannter Träger der Jugendhilfe sein
muss. Das sind auch Punkte, an die
wir selbst gebunden sind. Wir müssen uns auch ein Stück weit den
Richtlinien anpassen. Es geht ja
nicht, dass wir da komplett andere
Richtlinien anlegen. Wir haben zum
Beispiel die alevitische Jugend als
Vollmitglied bei uns, darüber sind
wir auch sehr froh, weil es auch ein
sehr wichtiger Verband für uns ist.
Die DIDIF Jugend ist Anschlussmitglied bei uns geworden, innerhalb
der deutschen Jugend in Europa haben wir einen kurdischen Verband,
einen assyrischen Verband. Amaro
Drom, der Verband der Roma und
nicht Roma, hat eine Stimme, die
im DBJR gehört wird. Wir haben
auch gute Partnerschaften mit der
muslimischen Jugend und mit der
deutschen Jugend aus Russland. Es
ist nicht so, dass wir uns dem verschließen, aber das eine darf man
nicht vergessen: Die Anforderung
für den Deutschen Bundesjugendring, aber auch für die Landesjugendringe, ist natürlich eine interkulturelle Öffnung, die können wir
aber nicht zum Nulltarif bieten. Das
heißt, wenn das Ministerium, die
Gesellschaft eine Förderung von
Migrantenjugendverbänden haben
möchte und die Jugendverbände
selbst auch, was ja auch legitim
ist, dann muss es auch mehr Geld
geben, damit die Jugendverbände, die Migrantenjugendverbände,
diese Leistungen auch nicht mehr
zum Nulltarif anbieten.
Katrin Hirseland: Ja, das hätten Sie
auch eine Vertreterin des Deutschen Bundesjungendringes fragen
können. Ich bin stellvertretende
Vorsitzende des Deutschen Bundesjungendringes, kein Problem.
Es ist natürlich so, dass wir uns
als Deutscher Bundesjugendring
selbstverständlich die interkulturelle Öffnung der Jungendverbände
auf die Fahnen geschrieben haben.
Für uns sind Migrantenjugendverbände ein selbstverständlicher Teil
der
Jugendverbandslandschaft,
das ist auch unumstritten. Was PD Dr. Ansgar Klein: Herzlichen
die Hürden betrifft, da sind wir ja Dank. Das nimmt auch Karamba Diglaub ich nicht die Einzigen, das be- aby sicher in seinem großen Spei-
Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen | 57
Abschließende Talkrunde
cher mit. Ich kann jetzt leider nicht
mehr auf Details eingehen. Wir
sind schon ein bisschen überzogen
in der Proportionalität, da bitte ich
um Verständnis. Ist das noch eine
wichtige Meldung, dann selbstverständlich.
Publikum: Ich möchte gern noch
einen Gegensatz ins Gespräch bringen. Ich leite unseren Verein seit
1997 und meine Stellvertreterin
und der Schriftführer gehören der
zweiten Generation an, ich der ersten Generation. Wir versuchen
seit Jahren den Vorstand an Jüngere weiterzugeben, bisher habe
ich es nicht geschafft. Vielleicht
bekomme ich Hilfe von jemandem,
um das zu schaffen. Ich habe volles
Verständnis für neue Organisationen von Jugendlichen. Ich meine:
Man sollte versuchen, die bestehenden Strukturen auch entsprechend zu verändern, dass wir offen
für einander sind, dass wir auch
bereit sind als Ältere mit Jugendlichen, unter Wahrung der eigenen
Bedürfnisse und Notwendigkeiten,
zusammenzuarbeiten. Das ist nach
meiner Überzeugung die beste
Möglichkeit es auch gemeinsam zu
schaffen. Dadurch kommen auch
intergenerationelle Begegnungen
zustande und ich glaube, das ist
der richtige Weg, den wir für unsere Gesellschaft verfolgen sollten.
PD Dr. Ansgar Klein: Ja, vielen Dank.
Katrin Hirseland: Ganz kurz dazu.
Deswegen hatten wir auch den
Punkt alte Erfahrungen mit dabei
und das haben wir sehr positiv
gemeint. Im Sinne von: „Das kann
nur klappen, wenn ‚alte Hasen und
neue Hasen‘, zusammenarbeiten“.
PD Dr. Ansgar Klein: Herzlichen
Dank, wir kommen jetzt im Sauseschritt zu Marissa Turaç und dem
Zukunftsforum „Flüchtlingsarbeit“.
Marissa Turaç: Ja, wenn man eine
These bei uns in der Arbeitsgrup-
pe nennen kann, dann ist es folgende: Die Flüchtlingspolitik und
die Flüchtlingsarbeit müssen neu
gedacht werden. Die Art und Weise wie sie bisher laufen, ist sehr
stigmatisierend und starr und wir
möchten, dass die Flüchtlingsarbeit mehr unter integrativen Gesichtspunkten behandelt wird.
Wir haben in diesem Bereich eine
sehr aktive Organisation „Jugendliche ohne Grenzen“, die sich eher
als eine Initiative versteht. Sie beweist, dass ihre Arbeit sowohl im
politischen Kontext, als auch in
der konkreten Beratungsarbeit vor
Ort, sehr erfolgreich sein kann. Wir
möchten, dass die Ressourcen und
Potentiale von jungen Flüchtlingen
gesehen und anerkannt werden
und stärker in den Blick der Öffentlichkeit genommen werden.
Wir haben Ideen entwickelt, wie
man diesen Perspektivenwechsel
oder dieses Umdenken auf die EUEbene verlagern und auch in die
Bundesländer hineintragen kann,
z. B. durch entsprechende Vernetzungstreffen von zivilgesellschaftlichen Akteuren. „Jugendliche
ohne Grenzen“ hat es geschafft, Zugänge zu politischen Gremien und
politischen Akteuren herzustellen,
um ihre Bedarfe entsprechend zu
formulieren und im Prinzip kommunale Politik vor Ort, aber auch
die Politik auf Landesebene zu erreichen.
Publikum: Ja, wir haben es geschafft, unsere Meinung über kommunale Politiker und Landespolitiker in den Landesministerien auch
im den Landtag zu bringen.
Marissa Turaç: Ja, Dankeschön. Ein
weiterer Aspekt ist die interkulturelle Sensibilisierung der Ausländerbehörden. Ich selbst war in der
Flüchtlingsarbeit tätig und der Ton
ist dort manchmal sehr barsch.
Aber es gibt jetzt ein bundesweites
Projekt, das auch vom Bundesamt
für Migration und Flüchtlinge mit
unterstützt wird und in dem es
um die Etablierung einer Willkommenskultur in den Behörden geht.
Sicherlich wird dieses Projekt in
erster Linie unter dem Blickwinkel
der Neuzuwanderer betrachtet, ich
denke, dass auch Flüchtlinge davon profitieren werden. Eine ganz
konkrete Forderung ist es, jungen
Flüchtlingen, aber auch den älteren
Flüchtlingen, einen Zugang zum Bildungs-, Arbeits- und Wohnungsmarkt zu gewähren und die finanziellen Ressourcen, die bisher in
der Unterbringung und Versorgung
von Flüchtlingen ausgegeben wurden, effizienter zu gestalten. Weg
von einer zentralen Unterbringung,
hin zu einer dezentralen Unterbringung, die auch mehr Integration
vor Ort schafft.
Katrin Hirseland: Das gerade angesprochene Projekt beschäftigt sich
mit dem Thema, interkulturelle
Öffnung von Ausländerbehörden,
um sie zu Willkommensbehörden
oder Aufenthaltsbehörden zu entwickeln. Wir suchen noch nach
einen guten Wort dafür. Zurzeit
wird es in zehn Bundesländern und
deren Ausländerbehörden ausprobiert, die sich dafür interessiert
haben. Wir haben außerdem weitere andere Ausländerbehörden,
die als Partner fungieren und gute
Tipps geben können, weil sie einen
solchen Prozess schon durchlaufen
haben. Das ist ein sehr groß angelegtes Projekt, das wir als BAMF
von einem externen Projektnehmer durchführen lassen. Da wird
es ganz viel Beratung und ganz viel
Vernetzung geben. Der Sinn dieser Maßnahme ist natürlich, dass
mehr als nur diese zehn Ausländerbehörden davon profitieren. Wir
werden die sehr unterschiedlichen
Erfahrungen, die es in diesen Ausländerbehörden geben wird sammeln, denn es wird sicher keinen
goldenen Weg geben, der dann
irgendwie für alle umsetzbarbar
ist. Das werden wir dokumentieren, um es weiteren Ausländerbehörden, aber auch der geneigten
58 | Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen
Abschließende Talkrunde
Fachöffentlichkeit zur Verfügung
stellen, damit man das ganz einfach nachmachen kann, ganz platt
gesagt. Das Projekt ist auf zwei Jahre angelegt und wir investieren da
relativ viel Gehirnschmalz und Geld
rein, weil das für uns ein wirklich
wichtiges Thema ist. Und ich finde
es wirklich sehr bezeichnend, wir
sind ein Projekt, in dem Bund, Länder und kommunale Stellen über
die föderalen Grenzen hinweg in
großem Einvernehmen zusammenarbeiten. Das ist glaube ich auch
nicht immer selbstverständlich und
das finde ich ganz toll. Zu dem Thema Förderung für Flüchtlinge, dazu
kann ich nur sagen, letztlich ist es
eine politische Entscheidung, wie
Integrationsförderprogramme ausgelegt werden und diese politische
Entscheidung trifft nicht das Bundesamt, wir setzen sie um. Insofern
wäre ich fein raus, aber da sind natürlich viele Dinge dabei, wo man
sagen kann: „Ja, da sind sinnvolle
Geschichten dabei, aber solang die
politischen Rahmenbedingungen
so sind, wie sie sind, können mit
unseren Integrationsmitteln, die
wir haben, außer mit den europäischen Flüchtlingsfonds, keine
Flüchtlingsintegrationsprojekte gefördert werden.
PD Dr. Ansgar Klein: Vielen Dank,
Katrin Hirseland. Wir haben den Karamba Diaby hier, das heißt, die Politik sitzt mit am Tisch. Und in der Tat,
nur noch ein Stichwort, nächstes
Jahr ist im Mai eine europäische
Wahl und ich glaube schon, dass
das Thema Migration in Europa,
aber auch Flüchtlinge in Europa dabei relevant ist. Wir müssen nur an
die Stellungnahme des katholischen
Papstes zu Lampedusa denken, die
vor dem Hintergrund von hunderten von Toten wirklich erschüttert
erfolgte. Da ist eine Bewegung drin
und insofern ist da auch die Politik
gefordert, dieses sehr unschöne
und zum Teil brutale Bild der Festung Europa zu revidieren und gute
Antworten zu finden.
Dr. Karamba Diaby: Ja, ich denke,
dass die Politik dieses Thema noch
nicht richtig realisiert hat und dass
es dort einen Handlungsbedarf gibt.
Ich kann vielleicht an der Stelle nur
unsere Position wiederholen und
bekanntgeben, die gerade auch in
den Koalitionsverhandlungen eine
wichtige Rolle spielt. Wir als SPD
treten für eine Liberalisierung der
Flüchtlingspolitik an. Es wurde von
Katrin Hirseland schon gesagt: Die
Politik muss Entscheidungen treffen, weil diese – unserer Meinung
nach – in den Verhandlungen eine
wichtige Rolle spielen. Ich hatte
von Liberalisierung gesprochen,
aber es geht natürlich auch um die
Solidarität zwischen den europäischen Ländern. Die Gesetzgebung
sieht momentan so aus, dass die
Verantwortlichkeiten so verteilt
sind: „Wenn du an der Tür stehst,
an der die Flüchtlinge ankommen,
dann hast du die Verantwortung
zu tragen.“ Ich spreche hier von
Italien, von Griechenland usw.
Wenn man so privilegiert liegt wie
Deutschland, dann klopft keiner
an deine Tür. Die Leute kommen
trotzdem hierher, das ist richtig.
Ich bin persönlich der Meinung,
man muss die Dublin Verträge
aktuell noch einmal überdenken
und schauen, in wie weit man die
Verantwortlichkeiten wirklich anders besprechen kann. Ich meine
nicht, dass alle nach Deutschland
kommen sollen, auf keinen Fall.
Das ist auch nicht so gedacht, aber
die Verantwortlichkeiten müssen
nochmal überdacht werden, das
nur als politische Forderung. Wir
sind natürlich auch der Meinung,
dass in diesem Bereich auch etwas an der Umsetzung geändert
werden muss. Die Politik kann die
Regelungen ändern und wenn sie
geändert werden, dann kann das
BAMF es entsprechend umsetzen.
Wir reden hier zum Beispiel ganz
allgemein von dem Stichtag für
den unabhängigen Bleiberechtsregelungszugang zu Sprachkursen,
von den Arbeitsmöglichkeiten, der
Arbeitserlaubnis und der Residenzpflicht. Das sind alles Forderungen,
die im Bereich der Flüchtlingspolitik auf unserer Agenda stehen und
ich denke, diese Forderungen werden auch eine Rolle in den Gesprächen spielen, die gerade laufen.
Als letzter Satz, ich habe zur Kenntnis genommen, dass der Präsident
des Bundesamtes für Migration
und Flüchtlinge ein ganz interessanten Vorschlag gemacht hat. Er
hat nämlich vorgeschlagen, dass
Flüchtlinge, von denen man weiß,
dass sie keine Chance auf Asyl
haben, weil sie z. B. aus einem sicheren Drittstaat, wie dem Senegal
kommen, im Interesse des eigenen
Landes eine Möglichkeit für einen
Zugang nach Deutschland erhalten. Wenn jemand beispielsweise
hoch qualifiziert ist, da wissen wir,
dass es Gesetzgebungen und Regelungen für die Zuwanderung von
Hochqualifizierten gibt und das
eröffnet Möglichkeiten für einen
Asylantrag. Ich sage aber auch, die
Gesetzgebung muss geändert werden und das kann das BAMF nicht
allein machen. Sie können sicher
sein, in der SPD-Fraktion gibt es genug Leute, die an dieser Stelle den
Finger in die Wunde legen, dass
möchte ich nur sagen.
PD Dr. Ansgar Klein: Vielen Dank.
Das stimmt und das wäre eigentlich ein abendfüllendes Thema. Ich
habe jetzt hier eine Wortmeldung
hier vorne und dann kann das Podium kurz reagieren. Wir müssen
ein bisschen überziehen, ich kündige jetzt schon mal zehn Minuten
Überziehung an. Wir müssen auch
den anderen Gruppen eine gewisse
Chance geben und ich möchte diese Wortmeldungen jetzt wirklich
noch dran nehmen.
Cecilia Ramirez (Publikum): Ich hatte nicht die Möglichkeit, mit allen
Leuten zu sprechen, die als Behörden und Institutionenvertreter
hier sind. Aber es ist mir sehr wich-
Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen | 59
Abschließende Talkrunde
nen jetzt leider nicht tiefer gehen, zu fördern. Das heißt, dass der
vielen Dank für die Stellungnahme. Bund Bundesmittel für die Förderung von integrativen Projekten für
Noch eine können wir hören.
Flüchtlinge oder für Asylbewerber
Publikum: Noch ganz kurz zu dem, aktuell nicht zur Verfügung stellt.
was Frau Hirseland gesagt hat. Das ist die politische Entscheidung,
Meiner Meinung nach ist das Pro- bis sich die nicht ändert, können
blem, dass wir nicht alle Aufgaben wir mit den Mitteln, die wir zur
in die Politik verschieben müssen. Verfügung haben, Ihre Arbeit nicht
Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass fördern, um Sie jetzt als Beispiel zu
alle ihren eigenen Beitrag dazu lei- nehmen. Das sind aber einfach die
sten sollten. Insbesondere die Be- Rahmenbedingungen, ob ich das
troffenen versuchen sich zu orga- persönlich gut oder schlecht finde,
nisieren, wie z. B. die Organisation das ist eine andere Frage. Ich wür„Jugendliche ohne Grenzen“. Man de das selbst auch so sehen, es gibt
sollte auch die Menschen nicht nur ganz viel Engagement im Flüchtnach ihrem Status beurteilen, son- lingsbereich, das man unterstützen
dern man sollte die Inhalte und ihre muss. Aber das geht nur, wenn die
Forderungen sehen. Ganz wichtig politischen Vorgaben so sind, dass
ist auch, man merkt den Mut oder ich sie unterstützen kann.
den Willen, aber das reicht nicht
aus, irgendwann muss man auch die PD Dr. Ansgar Klein: Ok, herzlichen
finanzielle Seite klären. Für selbstor- Dank. Wir wissen, diese Debatte
ganisierte Initiativen sollten Mög- bräuchte Stunden, weiterer Rat
lichkeiten geschaffen werden, dass ist von Nöten, es ist auch viel Bediese Menschen einen Verein grün- troffenheit im Spiel und da gibt es
den können. Wie sollen sie mit so noch viel zu lösen. Wir haben die
vielen Baustellen einen Verein grün- Toten im Mittelmeer vor Augen,
den und eine Satzung verabschie- das muss man auch sagen. Aber
den? Es wäre einfach schön, wenn das sind flüchtlingspolitische FraMenschen, die eine spontane Idee gen von großer Bedeutung, wie
haben, diese Ideen auch umsetzen gesagt, nächstes Jahr ist auch ein
können und man ihnen die Möglich- Jahr der Europawahl und alle Orgakeit einräumt ihr Ziel zu erreichen. nisationen, die hier mit im Raume
So können wir den Betroffenen ein sind, haben die Möglichkeit in diepositives Bild vermitteln und den sem Zusammenhang ihre Stimme
Kritikern zeigen, dass unsere Politik zu erheben. Wir kommen zum Zuetwas bewegt und wir auf einem kunftsforum „Elternarbeit“ und da
guten Weg sind. Das kann die Politik hat Antonio Diaz die Ergebnisse,
nicht alleine, wir leben in einer De- die er kurz vorstellen wird.
mokratie.
Antonio Diaz: So, ich mache es ganz
Katrin Hirseland: Also ich glaube, kurz. Wir haben folgende Punkte,
da haben Sie mich ein bisschen viele davon haben wir gemeinsam
falsch verstanden, denn da sind mit dem Zukunftsforum „Neue Miwir, glaube ich, gar nicht so weit grantenorganisation“. Hauptamt
auseinander. Mein Hinweis hatte braucht Ehrenamt und Ehrenamt
sich einfach darauf bezogen, dass braucht Hauptamt, das Übliche.
im Moment die Vorgaben der Po- Die neuen „Elternvereine“ in dem
litik für die Förderrichtlinien in der Fall aus Spanien, genannt „AlcanIntegrationsförderung dergestalt tara“, wollten sich organisieren.
sind, dass der Bund entschieden Die vorhandenen Migrantenorgahat, Integrationsmaßnahmen nur nisationen, oder Organisationen,
PD Dr. Ansgar Klein: Hier gab es aus seiner Perspektive für Men- Verbände, spanische Elternvernoch eine Wortmeldung. Wir kön- schen mit dauerhaftem Aufenthalt eine, Elternnetzwerk etc., wollen,
tig zu erwähnen, weshalb ich hier
bin. Ich bin von der Gewerkschaft
Verdi und ich finde die Thematik
der Flüchtlingspolitik, das ist eine
Sache, da muss sich wirklich jeder
von uns schämen. So geht das nicht
mit Menschen. Für die Politik, die
Mitte der Gesellschaft und auch für
die Gewerkschaften ist das ein Versagen. Ich gebe nur ein kleines Beispiel: In Oldenburg wurde die Versorgung der Flüchtlingswohnungen
zentralisiert. Niemand wollte die
Flüchtlinge haben, niemand wollte
den Flüchtlingen eine Wohnung zur
Verfügung stellen. Jeder von uns
muss ein bisschen solidarischer
damit umgehen und ich denke,
dass hat die Politik noch nicht
begriffen. Nach dieser Katastrophe in Lampedusa, bei der viele
Menschen gestorben sind, dass
passiert nicht nur einmal sondern
seit Jahren in Italien, in Griechenland. Es sterben viele Menschen
und wir gehen nur dorthin um zu
baden und Urlaub zu machen. Das
ist sehr tragisch, sehr zynisch und
ich finde, dass muss anders verhandelt werden. Solange nicht jeder von uns in dieser Sache etwas
tut und uns die Politik den Rücken
stärkt, wird meiner Meinung nach
keine Veränderung der Situation
von Flüchtlingen stattfinden. In
der Gewerkschaft der Jugend wurde diese Thematik angesprochen
und ich finde es schade, dass diese institutionelle Diskriminierung
immer noch bei den Flüchtlingen
vorhanden ist. Man spricht von
Ämtern, von Ausländerbehörden,
vom BAMF, viele der Mitarbeiter in
diesen Einrichtungen sollten vielleicht mehr interkulturelle Kompetenzen entwickeln und mehr AntiDiskriminierungsübungen machen,
damit sie die Menschen anders
behandeln lernen. Das ist meine
Botschaft von der ich hoffe, dass
nicht nur Jugendliche, sondern alle
Generationen da etwas tun. Danke.
60 | Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen
Abschließende Talkrunde
mitgestalten, mitorganisieren und
tun es bereits. Aber dafür braucht
es Ressourcen, politischen Willen,
Räume der Begegnung und etwas
das sehr schwierig ist, aber von vielen gewünscht wird: Zeit und Geduld, damit man zueinander findet.
Ich weiß, das ist sehr schwierig und
politisch ein Alltagsgeschäft. Dann
kam noch eine interessante Anregung, die Schaffung von One-StopShops oder Welcome-Centern in
den jeweiligen Kommunen. Das
ganz kurz.
PD Dr. Ansgar Klein: Herzlichen
Dank. Auch hier machen wir jetzt
eine ganz kurze Runde und fangen
an mit Katrin Hirseland. Es gab ja
hier Vorschläge, wie One-StopStrategien in den Kommunen zu
verfolgen.
wir wissen, in vielen Belangen vor
allem eine Länderzuständigkeit.
Der Bund kann trotzdem ein bisschen was machen. Vielleicht muss
man ja gerade im Bildungsbereich
das Verhältnis zwischen Bund und
Ländern überdenken. Das ist ja
eine Debatte, die im Angesicht der
Bedarfe neu entbrannt ist. PISA hat
uns ja allen doch deutlich und dramatisch vor Augen geführt, dass
gerade die Kinder aus Familien mit
Migrationshintergrund, diejenigen
sind, die als erste aus den Bildungsgängen ausscheiden. Das heißt, im
Bildungsbereich ist doch eine soziale Selektion erkennbar. Deswegen
auch die Frage: Wir wissen, die
Bundespolitik kann an dieser Stelle nicht allein handeln und braucht
zwingend die Länder, was wäre da
eine mögliche gute Antwort?
flächendeckende Ganztagsschule
eintreten. Das heißt, langes gemeinsames Lernen auch in Ganztagsschulen, damit Kinder aus bestimmten sozialen Schichten, aber
auch alle Schülerinnen und Schüler
mehr voneinander profitieren können. Das ist eine politische Forderung, die ich nochmal wiederholen
möchte, denn ohne diese werden
wir die Defizite, die PISA aufgezeigt
hat, nicht angehen können und darüber werden wir reden müssen.
An dieser Stelle gibt es viele Handlungsbedarfe.
PD Dr. Ansgar Klein: Vielen Dank.
Noch zwei Anmerkungen: Die Aufhebung des Kooperationsverbotes
ist auch im Bereich der Engagementförderung von Gewicht, weil
die Engagementförderung in den
Kommunen eine freiwillige Aufgabe ist. Ist die Kommune pleite,
kann sie das nicht mehr leisten.
Deswegen sind viele, gerade Infrastruktureinrichtungen, die kommunal Engagement fördern, immer prekär. Daher ist das ein ganz
wichtiger Punkt. Der zweite Punkt,
ich erinnere daran, das BBE ist in
ganz enger Zusammenarbeit mit
Susanne Huth und ihrem Institut
dabei ein Netzwerk der Elternorganisationen der Migrantenorganisationen auf Bundesebene zu
erstellen, um den Erfahrungsaustausch und die Durchschlagskraft
für unsere Themen zu verbessern.
Da sind wir auch schon mit dem
BAMF in Gesprächen, dass wir das
– sobald es möglich ist – realisieren
können. Wir haben ja in Halle den
Gründungsimpuls für diese Idee
gehabt, da wir sind noch dran. Das
wollte ich nur noch einmal sagen,
aber es dauert noch ein bisschen.
Soweit zu diesem Punkt und jetzt
kommen wir zum Zukunftsforum
„Jugend(verbands-)arbeit“. Mein
Namensvetter Ansgar Drücker wird
jetzt kurz die Ergebnisse vortragen.
Dr. Karamba Diaby: Also eine der
politischen Forderungen, die wir
immer wieder gestellt haben und
die auch heute noch aktuell in
den Koalitionsverhandlungen ist,
weil wir in Verantwortung gehen
wollen und Dinge angehen und
ändern wollen, dafür sind wir auch
im Wahlkampf angetreten. Wir treten zum Beispiel für die Aufhebung
des Kooperationsverbotes ein. Du
sagtest ja, der Bund kann etwas
machen, darf aber nicht alles machen und setzt sich stark im Bereich Hochschulen ein. Für diejenigen, die es nicht wissen, es gibt ein
Verbot, dass der Bund nicht direkt
mit den Ländern kooperieren darf,
wie z. B. im Bereich Bildung, die
Sache der Länder ist. Nicht nur die
armen Länder, auch reichere wie
Nordrhein-Westfalen, bleiben dabei auf der Strecke. Wir plädieren
dafür, dass dieses Verbot aufgehoben wird, damit sich der Bund stärker im Bereich Bildung engagieren
kann. Leider sind wir wirklich weit
davon entfernt, weil die Meinungsunterschiede zwischen den KoalitiPD Dr. Ansgar Klein: Ja, vielen onspartnern wirklich groß sind. Das
Dank. Eine Frage an Karamba Di- andere, was ich erwähnen möchte Ansgar Drücker: Ja, Ansgar dankt
aby: Die Bildungspolitik ist ja, wie ist auch, dass wir natürlich für eine Ansgar. Wir haben uns zunächst
Katrin Hirseland: Also zum ersten
kann man einfach sagen: Ja, genau. Das Thema One-Stop-Shop
in Kommunen, da gibt es schon
Beispiele. Ich glaube, dass sich
das im Moment noch stark auf
das Thema Fachkräfte fokussiert
und davon muss es weg. Ich weiß
nicht, wie die Erfahrungen in Essen
sind, da ist das im Moment auch
im Schwange, da habe ich mich
aber nicht mehr auf den aktuellen
Stand gebracht. Also ich halte das
für eine sehr gute Idee, ich glaube,
dass das allerdings einiges an Umorganisation auf kommunaler Ebene braucht und das geht nicht von
einem Tag auf den anderen. Und
ich glaube, dass man es dann auch
wirklich nicht nur auf das Thema
der neu-zugewanderten Fachkräfte beschränken sollte, sondern es
wirklich zu einer grundsätzlichen
Vorgehensweise
kommunalen
Handelns erklären sollte. Aber da
mag ich jetzt nicht den Kommunen
irgendwie „reinreden“. Ich finde
das eine sehr einleuchtende Idee.
Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen | 61
Abschließende Talkrunde
mit der Frage beschäftigt, die eben
schon kurz angeklungen ist: „Ist es
eine selbstverständliche Grundbedingung der Jugendverbandsarbeit,
dass wir eigenständige Jugendverbände haben, die von Jugendlichen
mit finanzieller, personeller und
inhaltlicher Selbstverantwortung
in die Hand genommen werden?“
Das als Grundvoraussetzung. Wir
haben darüber diskutiert, wie lange es denn noch Migrantenjugendverbände geben könnte und die allgemeine Einschätzung war: Noch
ganz schön lange, weil die Mitgliedschaft in einem Migrantenjugendverband eben auch in der zweiten und dritten Generation nicht
die einzige sein muss, sondern es
möglicherweise noch weitere Mitgliedschaften in vielen anderen Organisationen der Mehrheitsgesellschaft geben kann. Auch braucht
es weiter eine Orientierung auf
die Herkunftskultur der Eltern und
der Großeltern, die weiterhin eine
wichtige Bedeutung hat. Insofern
sind
Migrantenjugendverbände
keine Übergangsmodelle, keine
Auslaufmodelle, sondern – zumindest aus unserer Einschätzung
– noch für lange Zeit Teil der Gesellschaft und damit natürlich auch
der Jugendverbandsarbeit. Und
daraus leitet sich unsere Forderung
oder zunächst unsere Einschätzung
ab: Jugendverbandsarbeit als freiwilliges, selbstbestimmtes Engagement junger Menschen entscheidet mit über die Zukunftsfähigkeit
einer Gesellschaft. Angesichts des
demografischen Wandels ist eben
die Stimme der Jugend, die Rolle
der Jugend eine wichtige und dabei
steht ehrenamtliches Engagement
weiter im Mittelpunkt. Die Jugend
ist weiterhin der Kern der Jugendverbandsarbeit, sie braucht aber
hauptamtliche
Unterstützung,
durchaus eher in einer unterstützenden, in einer ermöglichenden
Rolle. Wer schreibt da die Anträge, wer macht die Abrechnungen
für die ehrenamtliche Arbeit und
ermöglicht die ehrenamtliche Be-
teiligung? Das ist natürlich nicht
nur über eine Projektförderung,
sondern in Form einer dauerhaften
Regelförderung auch für Migrantenjugendselbstorganisationen zu
sehen. Dankeschön.
PD Dr. Ansgar Klein: Vielen Dank,
auch hier eine kurze Antwort.
Katrin Hirseland: Ich stehe hier
immer wieder vor dem Problem,
dass ich eigentlich nur sagen will:
Ja, sehe ich auch so. Da müssen
wir das nächste Mal irgendwie einen kontroversen Menschen mit
auf das Podium setzen. Ich finde
das auch ein ganz wichtiges Thema
und deswegen haben wir das vor
einigen Jahren auch aufgegriffen.
Als Förderschwerpunkt können
wir das nicht aufnehmen, weil wir
für eine Strukturförderung von
Migrantenjugendorganisationen
im großen Stil nicht genug Geld haben. Die eine oder andere Migrantenjugendorganisation können wir
bei ihrem Weg begleiten und das
finde ich auch ganz wichtig, aber
da sind eigentlich auch andere in
erster Linie mit im Boot. Nämlich
das Jugendministerium für die das
aber auch ein Thema ist, wobei ich
auch glaube, dass das ein längerer
Prozess ist, der aber aus meiner
Perspektive zumindest angestoßen
wurde.
PD Dr. Ansgar Klein: Ja, vielen Dank.
Auch hier merken wir, die interkulturelle Öffnung der Förder- und
Organisationsstrukturen ist in der
Breite angesprochen, nicht nur im
eigenen Bereich. In der Tat ein ganz
wichtiger Punkt.
Dr. Karamba Diaby: Ja, in diesem
Bereich plädiere ich wirklich dafür,
dass wir das Thema nicht nur unter
dem Integrationsaspekt betrachten dürfen, sondern auch unter
dem Bereich der Jugendförderung.
Das ist einer der Bereiche, der in allen Bundesländern gesetzlich festgehalten ist und in dem das Geld
nicht fehlt. Es gibt ja genug Geld in
der Jugendförderung, deshalb meine ich, dass es gerade in diesem
Bereich Organisationen gelingen
sollte, auf die existierenden, gesetzlich verankerten Fördermittel
zuzugreifen und sich nicht in den
Bereich Integration abdrängen zu
lassen. Das erlebe ich natürlich
immer wieder: „Ja, wir sind eine
Jugendorganisation von Menschen
aus (…).“ Dann sage ich: „Ja, du
weißt, es gibt ein Gesetz für Jugendförderung, versucht doch einmal eure Statuten so aufzustellen,
dass ihr auf diese existierenden gesetzlichen Fördermittel zugreifen
könnt und die auch zu den Pflichtaufgaben gehören.“ Das finde ich
sehr wichtig.
PD Dr. Ansgar Klein: Vielen Dank.
Jetzt gab es noch eine Wortmeldung, ich würde auch die Kollegen
vom Bundesjungendring fragen, ob
sie dazu noch etwas sagen möchten.
Publikum: Ein Hinweis noch an Frau
Hirseland. Den längeren Prozess,
das kann ich sehr gut verstehen.
Die Jugendorganisationen stehen
aber vor der Problematik, wie ich
es jetzt z. B. bei der alevitischen Jugend in Hessen mitbekomme, die
haben eine hauptamtliche Kraft,
die im Moment abzubrechen droht,
weil die Weiterfinanzierung nicht
gesichert werden kann. Ich selbst
bin jetzt in dem Öffnungsprozess
des hessischen Jugendringes involviert und begleite diesen Prozess. Der hessische Jugendring hat
ein Projekt, das sich „Zusammen
wachsen“ nennt und aus drei Modulen besteht. Die alevitische Jugend, als eine der Mitgliedsorganisationen im hessischen Jugendring,
ist ein Ansprechpartner für die etablierten Verbände, die sich öffnen
möchten und die Begegnungen mit
der alevitischen Jugend möchten
und die auch gemeinsame Projekte umsetzen möchten. Und das
droht jetzt alles wegzufallen, weil
62 | Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen
Abschließende Talkrunde
die hauptamtliche Kraft nicht dauerhaft gewährleistet werden kann.
Also, ich möchte das nur zu bedenken geben, dass gute und gewachsene Strukturen relativ schnell wieder zusammenbrechen können,
wenn man es zu sehr auf die lange
Bahn schiebt.
PD Dr. Ansgar Klein: Ja, vielen Dank
für diesen wichtigen Nachtrag, den
wir mitnehmen. Wir kommen zum
letzten Zukunftsforum „Migration
und Alter“.
Alfonso López García: Wir hatten
das Thema Migration und Alter,
dem wir uns mit der Präsentation
zum Pilotprojekt „Interkulturelles
Seniorennetzwerk Siegen“ genähert haben. Danach haben wir uns
die Fragen gestellt: Visionen und
Wünsche, praktische Umsetzung,
was nehme ich mit? Unter diesen
Gesichtspunkten haben wir drei
Thesen aufgestellt. Wir behaupten
erstens: „Das Alter von Migranten
wird die Landschaft der Migrantenorganisationen radikal verändern.“
Das ist bestimmt eine gute Nachricht für die Jugendlichen. Zweitens: „Eine Sensibilisierung des Alterns in Migrantenorganisationen
ist dringend erforderlich.“ Und für
diese Sensibilisierung würde ich
auch auf beide Seiten schauen,
von Alt bis Jung. Drittens: „Die interkulturellen Seniorennetzwerke
fördern Lebensqualität Älterer und
ihrer Angehörigen.“
PD Dr. Ansgar Klein: Ja, vielen Dank.
Dr. Karamba Diaby: Einen Aspekt
finde ich wichtig, das Thema Pflege, das auch gerade sehr heiß diskutiert wird. Nur als Kommentar:
Ich würde mir wünschen, dass sich
im Bereich der Pflege mehr Organisationen von Menschen mit Migrationshintergrund stärker engagieren. Meiner Meinung nach ist das
ein Markt, der uns in den nächsten
zehn Jahren total beschäftigen
wird. Wir werden älter, Gott sei
bald auf die Füße fallen, wenn wir
zu dem Thema nicht aktiver werden. Ich glaube, das wird uns ein
bisschen überrollen, wenn wir da
nicht bald in die Pötte kommen.
Das ist auf jeden Fall ein Zukunftsthema, aber auch ein Thema, dass
nicht nur den Integrationsbereich
betrifft, der Aspekt der interkulturellen Öffnung schon. Aber eigentlich gibt es da ein Politikfeld für,
das sich einfach dieser Fragestellung noch einmal stärker annehmen müsste. Bei der Jugendpolitik
ebenso wie bei der Seniorenpolitik,
das sehe ich eigentlich ganz stark
PD Dr. Ansgar Klein: Vielen Dank. originär in diesem Politikbereich.
Ich adressiere das mal an unsere
Arbeitsgruppe fünf im Netzwerk PD Dr. Ansgar Klein: Eine Senioren„Migration und Teilhabe“. Wir politik, aber in dem Fall auch Gesollten das Thema demografischer sundheits- und Pflegepolitik. Die
Wandel, Migrantenorganisationen, BAGSO ist ja der Dachverband der
Menschen mit Migrationshinter- Seniorenorganisationen, auch hier
grund vielleicht auch mal im BBE wäre es glaube ich sinnvoll einmal
als einen gemeinsamen Diskurs zu prüfen, inwieweit die BAGSO
führen. Es gibt ja eine arbeits- diese Diskurse schon in ihren Orgagruppenübergreifende Tagung im nisationszusammenhängen führt,
Frühjahr, zu der wir das Thema mit- das wäre ein wichtiger Punkt. Sonehmen können. Also wir als BBE weit dazu. Wir wissen, diese ganz
nehmen die Impulse auf jeden Fall großen Themen können immer nur
mit und nehmen diese sehr ernst. angesprochen werden, aber ich
Dann gab es von Herrn Garcia noch glaube, es war sehr anregend.
einmal den Hinweis, draußen liegt
noch ein Flyer interkulturelles Se- Ok, wie gesagt, die Diskussionen
niorennetzwerk in Siegen, den sie können weitergehen, wir haben
sich mitnehmen können. Katrin eine Viertelstunde überzogen, das
Hirseland hat dann heute das bei- ist sehr akademisch. Jetzt haben
wir noch ein Schlusswort und dazu
nahe letzte Wort.
bitte ich Siglinde Naumann und
Katrin Hirseland: Also ich glaube, Antonio Diaz hier nach vorne. Kadas sind eigentlich zwei Themen. ramba Diaby muss schon den Zug
Das ist einmal das Thema des bekommen. Die Politik hat es eilig
Generationenwechsels, was ver- und wird auch gebraucht, aber so
mutlich ganz viele Vereine haben. ist es eben. Vielen Dank, tschüss.
Das ist vielleicht gar nicht so sehr Ja, wir sind jetzt am Ende dieser
ein Migrantenorganisationspro- Tagung und auf die Auswertungsblem, aber es ist auf jeden Fall ein bögen hatte ich schon hingewieProblem, für das es eine Lösung sen. Wir können sagen, wir werden
braucht, wenn diese Organisati- in jedem Falle unsere wunderbare
onen weiter bestehen sollen. Das Tagungsreihe fortsetzen. Das haist ganz klar und das werdet ihr ben wir fest vor, wir sind mit unaus eurer Arbeit sicherlich besser serem Partner dem BAMF da längst
wissen. Und der zweite Aspekt, das in Gesprächen. Aber jetzt übergeThema Pflege, das Thema Altern. be ich Siglinde Naumann das Wort.
Das wird uns, glaube ich, ziemlich
Dank, und auch bei Menschen mit
Migrationshintergrund nimmt die
Zahl der Älteren zu. Das war auch
gestern in dem Vortrag zu hören.
Und da denke ich, auch im Bereich
der Pflege müsste es mehr Organisationen mit gewissen interkulturellen Kompetenzen geben, die
auch als Träger in dieser Richtung
auftreten und arbeiten können,
damit auch die Politik das Thema
wahrnimmt und die Qualität der
Pflege in diesem Bereich mitbeeinflusst. Ja, Geld soll es auch geben,
natürlich.
Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen | 63
Abschließende Talkrunde
Prof. Dr. Siglinde Naumann: Liebe
Teilnehmerinnen und Teilnehmer,
so habe ich Sie im Rahmen dieser
Tagung heute und gestern mehrfach begrüßt, mehrfach aus dem
Kaffeeraum getrieben, mehrfach
in den Silbersaal gebeten. Ich bitte diese Vorgehensweise zu entschuldigen, aber die knappe Zeit
ist natürlich auch immer eine Ressource, die darauf verweist, dass
intensiv diskutiert wird. Deshalb
wird die Zeit an manchen Stellen
immer zu knapp sein. Ich möchte
mich an dieser Stelle ganz herzlich
für Ihre engagierte Mitarbeit und
für Ihre engagierte Beteiligung bedanken. Vor jeder MO-Tagung hat
man ein bisschen die Sorge: Wie
wird es diesmal? Wir haben diesmal mit dem breit aufgestellten
Thema eine Entscheidung gefällt,
wirklich unterschiedlichste Facetten gleichzeitig zu thematisieren.
Ich bin sehr froh, dass es gelungen
ist, wirklich ein Stück weit einen
Generationendialog auf den Weg
zu bringen. Und ich glaube, das ist
etwas ganz Entscheidendes. Ich
habe gerade ein Partizipationsprojekt bei einem großen Sozialträger
in Thüringen gecoacht und da ging
es einfach auch um Fragen von jüngeren und älteren Menschen, aber
auch darum, deren Perspektiven
und Visionen miteinander auszuloten. Ich hoffe, dass wir das auch
als Querschnittsthema in weitere
MO-Tagungen mitnehmen werden.
Meryem Cüceoglu, bei Johanna
Neuling, bei Reyhan Güntürk und
bei vielen, vielen anderen, die hier
geholfen haben. Mir bleibt nur zu
sagen, vielen Dank, wir sehen uns
wieder und wenn Sie möchten,
sind Sie immer wieder herzlich ein-
geladen nach Dortmund zu kommen und viele Themen zu debattieren. Hier haben Sie eine Bühne.
Ich bedanke mich noch einmal und
sage nicht „hasta luego“. Ich hoffe,
wir sehen uns wieder. Glück auf
und vielen Dank.
Antonio Diaz: Mir bleibt zunächst
nur zu sagen: Vielen Dank an die
Stadt Dortmund, dem Land Nordrhein-Westfalen, dem BAMF. Aber
vor allem vielen Dank an die vielen
Helferinnen und Helfer hier vor Ort,
die die Tagung möglich gemacht
haben und wir uns so gut aufgehoben gefühlt haben. Ich hoffe, Sie
haben sich gut gefühlt? Wir haben
versucht, gute Gastgeber zu sein.
Ich hoffe, sie nehmen etwas mit
von uns und haben nicht nur etwas
mitgebracht. Bedanken möchte
ich mich bei Sabrina Biewendt, bei
64 | Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen
Arbeitsgruppe 5
„Migration und Teilhabe“ des BBE
Zum freiwilligen bzw. bürgerschaftlichen Engagement von Menschen
mit Migrationshintergrund liegen
bisher nur wenige empirisch gesicherte Erkenntnisse vor. Dieses
Engagement ist jedoch zweifellos
vorhanden und stellt einen besonders wichtigen Zugang zu sozialer
und politischer Partizipation und
Integration dar. Vor diesem Hintergrund sind der Abbau von Zugangsbarrieren in traditionellen Engagementbereichen und -strukturen
wünschenswert, um eine höhere
Beteiligung von Menschen mit
Migrationshintergrund zu ermöglichen. Gleichzeitig ist zu berücksichtigen, dass Migrantenorganisationen große Teile der Zielgruppe
direkt ansprechen und daher als
Träger des Engagements zu stärken
und zu fördern sind.
Die Arbeitsgruppe ist stellt ein relevantes Forum für den intensiven
Erfahrungsaustausch zu neuen
Projekt- und Forschungsvorhaben rund um das Engagement
von Menschen mit Migrationshin-
tergrund dar. Sie ist zudem der
zugangsoffene Ort auch für Migrantenorganisationen, um sich
jenseits der Fachtagungen im BBE
zu vernetzen – dieses Angebot
wird im Gefolge der Fachtagungen,
die seit 2006 nahezu jährlich stattfinden, zunehmend genutzt. Im
Rahmen der Arbeitsgruppe wurde
ferner die interkulturelle Öffnung
von bestehenden Vereinsstrukturen sowie Förderbedarfe von
Migrantenorganisationen anhand
zweier Expertisen der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration diskutiert. Vertreter_innen der
Arbeitsgruppe haben sich zudem
intensiv an den Diskussionen des
Nationalen Integrations- und Aktionsplans sowie an der Beratung
eines neuen Förderprogramms des
Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge (BAMF) beteiligt. Darüber hinaus war die Arbeitsgruppe Beirat im europäischen Projekt
INVOLVE (www.involve-europe.eu)
und im nationalen Projekte EMPA
(www.projekt-empa.de).
Themen der Arbeitsgruppe sind:
• Strukturentwicklung und Stärkung von Migrantenorganisationen als Träger bürgerschaftlichen Engagements
• Interkulturelle Öffnung von Organisationen und Einrichtungen
• Engagement von und für Flüchtlinge
• Vernetzung von Migrantenorganisationen
Sprecher_innen der Arbeitsgruppe 5:
Sprecherin: Susanne Huth (INBAS
Sozialforschung GmbH)
Stellvertretende Sprecherin: Prof.
Dr. Siglinde Naumann (Hochschule
RheinMain)
Stellvertretender Sprecher: Sebastian Beck (vhw-Bundesverband für
Wohn- und Stadtentwicklung e.V. )
Dokumentation | Migrantenorganisationen im Spiegel der Generationen | 65
Materialien
BBE-Dokumentationen aus der Tagungsreihe zu Migrant_innenorganisationen
Qualifizierungs- und Weiterbildungsbedarfe von Migrantenselbstorganisationen (Erschienen
2007).
Dokumentation eines Fachworkshops am 2. Dezember 2006 in
Oberhausen
Migrant_innenorganisationen
als Akteure der Zivilgesellschaft:
Integrationsförderung
durch
Weiterbildung (Erschienen 2008).
Dokumentation einer Fachtagung
am 14. und 15. Dezember 2007 in
Nürnberg
Wie können die Weiterbildungsbedarfe von Migrant_innenorganisationen (MO) gelöst werden,
um ihre Rolle als Trägerstrukturen für das bürgerschaftliche
Engagement von Migrant_innen
zu stärken? Die Dokumentation
der BBE-Fachveranstaltung führt
in die Diskussion ein und gibt
Handlungsempfehlungen. (nur als
Download erhältlich)
Für das bürgerschaftliche Engagement von Migrant_innen sind Migrant_innenorganisationen (MO)
von erheblicher Bedeutung. Wie
können MO besser in die Lage versetzt werden, dieses Engagement
zu entwickeln und zu fördern? Die
Dokumentation einer Fachtagung
des BBE zusammen mit Partnerorganisationen gibt Auskünfte. (nur
als Download erhältlich)
Integrationsförderung
durch
Migrant_innenorganisationen:
Kompetenzen – Ressourcen – Potentiale und Förderkonzepte in
Ost und West (Erschienen 2009).
Dokumentation einer Fachtagung
am 11. und 12. Oktober 2008 in
Potsdam
Die dritte Fachtagung des BBE behandelte die unterschiedlichen
Arbeitsbedingungen und Ausgangslagen von MO in West- und
Ostdeutschland und die sich daran
anschließenden Bereiche für die
Förderung.
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Materialien
Integrationsförderung durch Migrant_innenorganisationen. Zur
Vernetzung von Kompetenzen,
Ressourcen und Potentialen (Erschienen 2010). Dokumentation
einer Fachtagung am 28. und 29.
November in Mainz 2009
Integrationsförderung durch Elternvereine und Elternnetzwerke.
Ein Beitrag von Migrant_innenorganisationen in Ost- und Westdeutschland (Erschienen 2011).
Dokumentation einer Fachtagung
am 07. und 08. Mai 2011 in Halle
Für die gesellschaftliche Integration von Migrant_innen ist die
Netzwerkbildung besonders bedeutsam. Mit Vernetzung verbinden sich jedoch unterschiedliche
Perspektiven und Anforderungen.
Die Dokumentation informiert
über Vernetzungsmodelle, -strategien und -potentiale.
In der Dokumentation werden unterschiedliche Dimensionen und
Konzepte von Elternarbeit und Erfahrungen in der interkulturellen
Zusammenarbeit von Elternvereinen vorgestellt sowie Chancen
von Elternnetzwerken und deren
Bedeutung für Bildungserfolg und
Integration thematisiert.
Inklusion durch Partizipation. Ein
Beitrag von Migrant_Innenorganisationen (Erschienen 2013). Dokumentation einer Fachtagung am
16. und 17. Juni 2012 in Berlin
Die bundesweite Fachtagung
„Inklusion durch Partizipation“
des BBE beschäftigte sich mit
Möglichkeiten zur Förderung der
politischen Beteiligung von Migrant_innen. Die Dokumentation
stellt gelungene Beispiele der Partizipationsförderung vor und lotet
aus, wie durch geeignete Konzepte
die Vertretung von Migrant_innen
stärker gefördert werden kann.
Die Publikationen stehen auf der Internetplattform des BBE als Download bereit. Soweit vorrätig sind sie auch
als Printversionen in der Geschäftsstelle des BBE erhältlich. Bestellung unter:
Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement
Michaelkirchstr. 17/18
10179 Berlin
E-Mail: [email protected]
Internetplattform: http://www.b-b-e.de
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Impressum
Herausgeber:
Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE)
Michaelkirchstr. 17/18
10179 Berlin
Tel: Fax: Web:
+49 (0)30 - 629 80-110
+49 (0)30 - 629 80-151
http://www.b-b-e.de
V.i.S.d.P: Redaktion: Transkription:
PD Dr. Ansgar Klein (BBE)
Prof. Dr. Siglinde Naumann (Hochschule RheinMain), Johanna Neuling (BBE)
Ronald Langner
Layout & Satz: Fotos: Druck:
Regina Vierkant (sevenminds)
Regina Vierkant (sevenminds)
eye-solution GmbH
Arbeitsgruppe 5 Migration und Teilhabe des BBE
Sprecherin: Susanne Huth (INBAS-Sozialforschung GmbH)
E-Mail: [email protected]
Stellv. Sprecherin: Prof. Dr. Siglinde Naumann (Hochschule RheinMain)
E-Mail: [email protected]
Stellv. Sprecher: Sebastian Beck (vhw-Bundesverband für Wohn- und Stadtentwicklung e. V. )
E-Mail: [email protected]
Erscheinungsdatum: April 2014
ISBN: 978-3-9814731-5-5
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ISBN: 978-3-9814731-5-5