Schweineinfluenzaviren - Institut für Virologie und Antivirale Therapie

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Schweineinfluenzaviren - Institut für Virologie und Antivirale Therapie
Schweineinfluenzaviren – Erreger in stetem Wandel
Roland Zell und Peter Wutzler
Institut für Viroloie und Antivirale Therapie
Universitätsklinikum Jena
Hans-Knöll-Str. 2
07745 Jena
Influenzaviren gehören zur Familie Orthomyxoviridae. Drei der fünf bekannten
Gattungen sind humanpathogen; sie werden als Influenzavirus A, B und C bezeichnet und
sind die Erreger der Grippe (Influenza). Influenzaviren sind RNA-Viren mit einem Genom,
das – je nach Gattung – sechs bis acht Segmente umfaßt. Das Genom hat NegativstrangOrientierung, d. h. eine Expression viraler Gene ist erst nach Transkription von genomischer
RNA möglich. Hierfür werden virale Proteine benötigt, die wie bei allen Negativstrang-RNAViren im behüllten Virion mitgeliefert werden. Die Influenzaviren mit der größten
medizinischen Bedeutung sind die Influenza-A-Viren. Sie kommen nicht nur beim Menschen
sondern auch bei etlichen anderen Säugetierarten insbesondere bei Schweinen und Pferden
und bei vielen Vogelarten vor. Die primäre Charakterisierung der Influenza-A-Viren erfolgt
durch
serologische
Typisierung
oder
Sequenzierung
ihrer
Obenflächenproteine
Hämagglutinin (HA) und Neuraminidase (NA). 16 HA-Typen und 9 NA-Typen erlauben 144
HA/NA-Kombinationen, mehr als 100 Typen wurden inzwischen beschrieben. Während bei
Säugetieren nur bestimmte Subtypen vorkommen, wurden bei Vögeln praktisch alle Subtypen
nachgewiesen. Typische Eigenschaften der Influenza-A-Viren sind u. a. ihre große
Veränderlichkeit durch genetische Drift und genetischen Shift. Während man unter einer GenDrift die über Jahre akkumulierten Mutationen versteht, wird unter einem "genetischen Shift"
der Austausch eines oder mehrerer Gensegmente verstanden. Dieser Austausch wird auch als
Reassortierung bezeichnet und resultiert in einer Neukombination der Gensegmente.
Reassortierungen werden durch Doppel- und Mehrfachinfektion des Wirts ermöglicht. Viele
Jahre lang stand die Untersuchung der Gen-Drift im Focus des wissenschaftlichen Interesses.
In den letzten Jahren hat sich jedoch die Zahl komplett sequenzierter Genome vor allem
aufgrund eines NIAID-geförderten Influenza-Sequenzierungs-Projekts (1) beträchtlich
erweitert. Damit wird die Bedeutung der Reassortierung zunehmend deutlicher.
Eine weitere Besonderheit der Influenza-A-Viren ist ihr zoonotisches Potential, also ihre
Fähigkeit, die Speziesbarriere zu überwinden und andere Tierarten zu infizieren (Trans-
Spezies-Infektionen). Angesichts der Bedrohung durch aviäre H5N1-Viren interessierten sich
in den letzten Jahren nur wenige Forscher für die Schweineinfluenzaviren.
Die Schweinegrippe wurde erstmals im September 1918 während einer Leistungsschau
des nationalen Schweinezüchterverbandes in Cedar Rapids, Iowa, USA, als Erkrankung des
Schweins erkannt. Wegen der zeitgleichen Grippe-Pandemie und einer bemerkenswerten
Ähnlichkeit der Symptome mit der humanen Influenza wurde die neue Schweinekrankheit
von J. S. Koen, der als Tierarzt und Beamter der Veterinärbehörde in Fort Dodge, Iowa, mit
der Bekämpfung der Schweinepest betraut war, als "hog flu", Schweinegrippe, bezeichnet.
Erst 1930 gelang Richard E. Shope die Isolierung des Schweineinfluenzavirus – wenige Jahre
bevor die ersten humanen Stämme angezüchtet werden konnten. Diese Isolate werden als
direkte "Nachfahren" des pandemischen Virus von 1918 angesehen und repräsentieren eine
distinkte genetische Linie des Influenza-A-Virus vom Subtyp H1N1, das seit nunmehr fast 80
Jahren immer wieder von Schweinen isoliert werden konnte. Diese Viruslinie wird als
klassisches Schweineinfluenzavirus bezeichnet und breitete sich auch nach Asien und Europa
aus. Die Frage, ob das Pandemie-Virus von 1918 zuerst Schweine infizierte und von diesen
auf den Menschen übertragen wurde – wie von Patrick Laidlaw 1935 vermutet – oder ob
Schweine von Menschen infiziert wurden, läßt sich mit dem heutigen Kenntnisstand nicht
klären. Der eigentliche Ursprung der humanen und der porzinen H1N1-Viren ist bei aviären
H1N1-Influenzaviren zu suchen.
Ab 1998 veränderte sich die Situation in Nordamerika, nachdem dort neue
Reassortanten auftraten. Sie hatten zunächst den Subtyp H3N2 und besaßen Gensegmente des
klassischen Schweinegrippevirus, des humanen H3N2 und eines aviären Influenzavirus.
Daher werden sie als Tripelreassortanten bezeichnet. Ein dynamisches Influenzageschehen in
Nordamerika ließ in nur 10 Jahren weitere Tripelreassortanten der Subtypen H1N2-, H2N3-,
H3N1-, und auch H1N1 entstehen (Abb. 1, links).
Ganz anders verlief die Entwicklung in Europa. Hier wurden wiederholt aviäre
Influenzaviren in die Schweinepopulation eingetragen. In den letzten Jahrzehnten konnten
sich diese Viren nur in einem Fall stabil etablieren. Das betreffende Virus wurde 1979
erstmals in Arnsberg aus Schweinen isoliert. Es gehörte zwar zum Subtyp H1N1, aber nicht
zur Linie der klassischen Schweineinfluenzaviren. Vielmehr glich es H1N1-Stämmen, die
zuvor bei Enten in Bayern aufgetreten waren. Da alle acht Segmente aviären Ursprungs
waren, wurde das Arnsberger Virus als "avian-like" bezeichnet. Es breitete sich sehr schnell
in Europa aus und reassortierte innerhalb weniger Jahre mit humanen Virusstämmen zu sog.
human-like H3N2 und H1N2-Subtypen (Abb. 1, rechts). Die human-like Subtypen haben das
Hämagglutinin- und das Neuraminidasegen von humanen Viren, die restlichen sechs
Segemente sind vom avian-like H1N1-Virus. Alle drei Subtypen der europäischen
Schweineinfluenzaviren stellen eigene genetische Linien innerhalb der Influenza-A-Viren dar.
Sie verdrängten binnen weniger Jahre die in Europa zirkulierenden klassischen
Schweineinfluenzaviren. Sporadische Ausbrüche der europäischen Schweineinfluenzaviren
wurden aber auch in Asien und den USA nachgewiesen.
Schweine besitzen für Influenzaviren zweierlei Rezeptoren, die jeweils spezifisch für
aviäre und humane Stämme sind. Schweine sind daher für zoonotische Infektionen, also
Virusübertragungen zwischen zwei Wirbeltierarten, prädestiniert und wurden schon vor
Jahren als Mischgefäß ("mixing vessel") für die Reassortierung neuer Virustypen erkannt.
Wahrscheinlich hat es schon immer Übertragungen vom Schwein zum Menschen
(Zooanthroponosen) oder vom Menschen zum Schwein (Anthropozoonosen) gegeben. Für die
Pandemie von 1918 läßt sich die Übertragungsrichtung nicht mehr bestimmen. Das Auftreten
der H3N2- und H1N2-Stämme bei den europäischen Schweineinfluenzaviren und den
nordamerikanischen Tripelreassortanten ist nur durch gleichzeitige Infektionen des Schweins
mit porzinen und humanen Viren zu erklären. Auch wurden immer wieder humane
Influenzaviren aus Schweinen isoliert. Im Gegenzug sind alle bekannten Linien der
Schweineinfluenzaviren potentielle Zoonoseerreger des Menschen. Schweininfluenzaviren
wurden – wenn auch nur als sporadische Einzelfälle – immer wieder aus Menschen isoliert.
Dies gelang erstmals 1976 bei Rekruten der US-Armee in Fort Dix, New Jersey, USA.
Damals gab es vier dokumentierte Erkrankungen und einen Todesfall. Auch 1988 führte die
Infektion einer Frau aus Wisconsin, USA, mit dem klassischen Schweineinfluenzavirus zu
einer tödlichen Erkrankung. Alle anderen dokumentierten, zoonotischen Grippefälle verliefen
ähnlich wie die saisonale Grippe, d. h. im Normalfall mit relativ milden Symptomen. Erst das
mexikanische Schweinegrippevirus verursachte wieder tödliche Erkrankungen.
Influenzaviren können heute leicht Länder- und Kontinentgrenzen überschreiten, weil
selbst große Distanzen innerhalb der Inkubationszeiten überwunden werden. Im Falle der
Schweineinfluenzaviren trägt ein reger Reiseverkehr und der internationale Tierhandel zur
raschen Verbreitung der Viren bei. Nur so ist es zu erklären, daß H1N1- und H1N2Reassortanten aus europäischen und klassischen bzw. europäischen und nordamerikanischen
Schweineinfluenzaviren plötzlich in Thailand, den Philippinen (2005) oder Mexiko (2009)
auftauchen und dort sogar zoonotische Infektionen des Menschen auslösen können.
Virussequenzierungen und nachfolgende Stammbaumanalysen belegen, daß diese Stämme
immer wieder unabhängig voneinander entstehen. Das jüngst in Mexiko aufgetretene
Schweinegrippevirus markiert also nur einen vorläufigen Schlußpunkt. Für das neuartige
Virus aus Mexiko wurden erst kürzlich in Kanada Infektionen von Schweinen nachgewiesen.
Seine genetische Zusammensetzung spricht für ein Schweineinfluenzavirus – also eine
weitere
Reassortante,
die
zusammengesetzt
ist
aus
einer
nordamerikanischen
Tripelreassortante (Segmente 1 – 5 und 8) und einem europäischen Schweineinfluenzavirus
(Segmente 6 und 7). Es besitzt somit Gensegmente, die ursprünglich aus aviären (Segmente 1,
3, 6, 7), humanen (Segment 2) und klassischen Schweineinfluenzaviren (Segmente 4, 5, 8)
stammen. Eine Zusammenstellung aktueller Sequenzdaten findet sich auf der Homepage des
NCBI (2). Seine Besonderheit ist die Leichtigkeit, mit der es Menschen infiziert und sich von
Mensch zu Mensch übertragen läßt – eine Eigenschaft, die allen früheren zoonotischen
Schweineinfluenzaviren fehlte. Daher wird diesem Virus ein erhebliches pandemisches
Potential zugesprochen.
Quellen:
1. http://www3.niaid.nih.gov/LabsAndResources/resources/mscs/Influenza/
2. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/genomes/FLU/SwineFlu.html
Legende zur Abbildung:
Abb. 1: Evolution der Schweineinfluenzaviren in Europa und Nordamerika. Bei Vögeln
unterscheidet man genetisch nordamerikanische und eurasische Linien. Daneben gibt es
saisonale H1N1 und H3N2 Viren, die nur beim Menschen vorkommen. Seit 1918 gibt es bei
Schweinen 'classical swine' Viren. In Nordamerika entstanden zunächst die H3N2
Tripelreassortanten (1997). Bis 2003 hatten sich dann auch H1N1-, H1N2-, H2N3- und
H3N1-Tripelreassortanten gebildet. In Europa infizierten aviäre H1N1-Viren zunächst
Schweine. Nachfolgend rekombinierten humane Viren mit den 'avian-like' H1N1-Viren zu
den human-like Reassortanten (H3N2, H1N2). Nordamerikanische H1N1- oder H1N2Tripelreassortanten rekombinierten sich 2009 mit europäischen 'avian-like' H1N1-Viren zu
neuartigen H1N1 Schweineinfluenzaviren.
Evolution der Schweineinfluenzaviren
Nordamerika
nordamerikanisch
aviär
'classical swine'
H1N1
Europa
'saisonales' 'saisonales'
H3N2
H1N1
H1N2
H1N1
H1N1
Europäische Schweineinfluenzaviren:
'avian-like' H1N1,
'human-like' H3N2
'human-like' H1N2
Mexiko
H2N3
H3N2
'saisonales' 'saisonales'
H1N1
H3N2
1979
1997-2003
Nordamerikanische
Tripelreassortanten:
zunächst nur H3N2,
dann auch H1N1, H1N2,
H2N3, H3N1
eurasisch
aviär
H1N2
H3N2
H3N1
1994
1984
2009
'neuartiges'
porzines H1N1
© Roland Zell, Institut für Virologie und Antivirale Therapie, Universitätsklinikum Jena
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Diese Abbildung zeichnet in groben Zügen die unterschiedliche Evolution der Schweineinfluenzaviren in
Nordamerika und Europa nach. Nicht berücksichtigt
sind asiatische Schweineinfluenzaviren. Die unterschiedlichen Farben der Segmente geben unterschiedliche genetische Linien der Influenzaviren wider.