finden Sie das komplette Interview als PDF.
Transcription
finden Sie das komplette Interview als PDF.
LIVE «Wenn ich durch den Gang gehe, bin ich genauso der First Level Supporter wie der CIO» Urs Püntener, Leiter IT bei der Rhätischen Bahn (RhB), hat seit seinem Stellenantritt 2011 die IT-Infrastruktur des Bahn unternehmens modernisiert und virtualisiert. Dabei legte er nicht nur Wert auf technische Details, sondern führte die Mitarbeiter Schritt für Schritt vorwärts. Interview und Bilder: Janine Aegerter ZUR PERSON Urs Püntener WERDEGANG Urs Püntener, geboren 1964, wurde 1990 direkt nach seinem Informatikstudium an der ETH vom EDV Studio Ploenzke (heute CSC) angeworben. Nachdem er bei IBM, Digital Equipment, Sulzer Diesel gearbeitet hatte, wechselte er zur Imholz Reisen AG. Dort löste er die IBM-Terminal-Infrastruktur mit einem LAN-/ WAN-Netzwerk inklusive der Serverstruktur ab. Nach einem Kurzausflug zur Zürcher Kantonalbank trat er 1997 bei der Hapimag als Leiter Informatik ein. Dort wurde er kurze Zeit später zum CIO befördert, arbeitete international und modernisierte die gesamte Applikationsarchitektur. Ab 2001 beriet er als selbstständiger Unternehmensberater Firmen wie Autogrill Italia, die Zivilschutzorganisation des Kantons Zug und andere mittelständische Unternehmen. 2007 wechselte er zur Selecta Management AG als «Head of Applications» und führte die Applikationsvielfallt von 22 Landesniederlassungen zusammen. Seit November 2011 ist Püntener bei der Rhätischen Bahn als Leiter Informatik tätig. Er lebt mit seiner Frau in Maienfeld. STICHWORTE Das kann ich jederzeit empfehlen: Einen Wochenendausflug mit dem Bernina Express nach Tirano. Darüber habe ich zuletzt gelacht: Giacobbo / Müller ist Pflichtprogramm für die Lachmuskeln. Darüber habe ich mich zuletzt geärgert: Dass amerikanische Juristen für einen Citrix-Film eine RhB-Werbelok digital in eine normale Lok umgewandelt haben. Heute in zehn Jahren: Habe ich meine Augen gelasert und muss wegen Google Glass dennoch eine Brille tragen. 32 11 / 2014 Herr Püntener, Sie sind Leiter IT bei der Rhätischen Bahn, kurz RhB. Pendeln Sie zur Arbeit? Ja, ich wohne in Maienfeld, der ersten Gemeinde im Kanton Graubünden. Mit dem Zug brauche ich 15 bis 20 Minuten, bis ich in Chur bin. Sie haben seit Ihrem Stellenantritt 2011 die gesamte IT-Infrastruktur der RhB mit Ihrem Team virtualisiert und eine Mobilitätsstrategie eingeführt. Was war die Idee dahinter? Dem Ganzen liegt unsere Vision 2020 «Faszinierend anders unterwegs» zugrunde. Wir erarbeiteten diese Vision gemeinsam und hinterfragten uns, was eigentlich der Kern der IT für ein Bahnunternehmen wie das unsere ist. Es liegt beispielsweise auf der Hand, dass IT mobil macht. Unsere IT war aber früher sehr stark auf statische Arbeitsplätze ausgerichtet, obwohl 70 Prozent unserer Mitarbeiter mobil unterwegs sind. Da erkannten wir, dass wir nur einen kleinen Teil der Mitarbeiter unterstützen. Das war auch der Ausgangspunkt des ganzen Projekts. Was beinhaltet dieses Projekt genau? Als ich meine Stelle antrat, hatten wir eine klassische Windows-Fat-Client-Infrastruktur ohne Integration von Macs oder mobilen Geräten. Ich entschied damals, dass ich ein stabiles Fundament benötige und wir virtualisierten unsere Infrastruktur vollständig mit EMC und installierten VMware auf unserer Hardware. Danach stellten wir unseren Lokführern zu ihrer eigenen Verwendung Tablets zur Verfügung, um sie an einen ganz anderen Arbeitsansatz zu gewöhnen. Danach folgte das Projekt IT Avenir, mit dem wir alle Arbeitsplätze, die mobilen und die statischen, auf Citrix umstellten. Das dauerte von Februar bis Dezember 2013. Wie haben die Mitarbeiter auf die Tablets reagiert? Am Anfang eher skeptisch. Die Lokführer wollten wissen, was ihnen dieses Tablet bringen soll. Also haben wir ihnen günstige Apps zur Verfügung gestellt, mit der sie Dokumente anschauen konnten. So wurde das Ganze zum Selbstläufer, weil die Leute von selbst merkten, was sie sonst noch alles damit machen können. Beim Kader verlief es genau gleich. Auch dort bildeten sich nach einer ersten Phase von selbst Gruppen, in denen sich die einzelnen Mitglieder gegenseitig halfen, ihr eigenes App-Portfolio zusammenzustellen. Als ich dann mit dem Hauptteil des Projekts kam – a lso der Einführung von Citrix –, wurden wir praktisch überrannt und mussten keinen Druck mehr von unserer Seite aufbauen. Das klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Für mich war es wichtig, dass meine Kunden, also die Mitarbeiter der RhB, nicht überfordert sind. Also führte ich sie allmählich an die Sache heran, um sie daran zu gewöhnen. Ich baute damals bewusst keine Erwartungshaltung auf, sondern lieferte – und lieferte vor allem mehr, als erwartet wurde. Trotzdem haben Sie ja im Grunde genommen alles über den Haufen geworfen. Sind Sie nicht auf Widerstand gestossen? Widerstand macht man sich selbst. Widerstand hat man nur dann, wenn man den Mitarbeitern nicht erklären kann, wieso man etwas macht. Das, was wir hier machten, war für die Mitarbeiter logisch nachvollziehbar. Ich versuche, ihnen nicht zu sagen, dass wir jetzt die IT neu organisieren, sondern ich versuche, mit ihnen zu reden und herauszufinden, was ihre Bedürfnisse sind. Denn sie wollen einfach, dass die Systeme laufen. So hat man auch viel eher das Vertrauen des Mitarbeiters, als wenn ich als IT-Abteilung diktatorisch sage, dass man die Sicherheit erhöhen muss. Denn die Sicherheit steht für den Mitarbeiter nicht im Zentrum. Er schluckt aber ein Gesamtpaket, wenn der Rest funktioniert. Funktioniert der hingegen nicht, hängt er seinen Frust an der IT-Sicherheit auf. Und die Geschäftsleitung? Die Geschäftsleitung legt den Fokus auf einen stabilen und nützlichen Betrieb. Nützlichkeit www.netzwoche.ch © netzmedien ag LIVE «Widerstand hat man nur dann, wenn man den Mitarbeitern nicht erklären kann, wieso man etwas macht. Das, was wir hier machten, war für die Mitarbeiter logisch nachvollziehbar.» kern (Server, Anm. d. Red.) für die Citrix-Umgebung. Wir können bis zu 50 Prozent der Worker rausnehmen, ohne dass der Benutzer etwas davon mitbekommt. Die Arbeit hat sich für die Mitarbeiter dadurch stark verbessert, und unser System ist auch viel schneller geworden. Vorher hatte ich 600 PCs, heute habe ich noch etwa 450 Thin Clients, dafür habe ich fast 900 Smartphones und 500 Tablets und zurzeit etwa 20 Züge, die mit mir sprechen. Das mit den Zügen müssen Sie mir näher erklären. In unserem Zug vom Typ Allegra stecken zwei SIM-Karten, die die einzelnen Komponenten wie Fahrleistung und so weiter überwachen. Wir haben beispielsweise einen Motor, der die Türöffnung steuert. Nach vielleicht 10 000 Türöffnungen muss dieser Motor ausgetauscht werden. Auch wenn er eine Störung hat, weil er blockiert, kann mir dies der Zug zurückmelden. Die modernen Züge sind also Teil des Internet of Things und versorgen mich mit Daten, die für uns hochinteressant sind. Urs Püntener, Leiter IT bei der Rhätischen Bahn: «Ich habe bewusst keine Erwartungshaltung a ufgebaut.» Was machen Sie mit diesen Daten? definiert sich über Kosten, aber Stabilität ist für sie wichtiger, denn darüber können sie i hre Geschäfte betreiben. Ich überzeugte sie, indem ich eine klare Strategie aufgleiste, die an die Firmenstrategie gekoppelt ist. Daraus zeigte ich die einzelnen Teilschritte auf und integrierte die Geschäftsleitung in diese Teilschritte. Da ich vernünftig mit den Mitteln agiere, hatte ich da die volle Rückendeckung. Klar verhandelten wir in den einzelnen Punkten sehr hart, aber das gehört auch dazu. Heute sagen mir auch die grössten Skeptiker ins Gesicht, dass es gut war, wie wir alles umgestellt haben. falsch läuft. Das haben sie intensiv gemacht, denn wir hatten ihnen eingeschärft, dass ein Fehler etwas Gutes ist. Dadurch, dass sie einen Fehler entdeckten, verhinderten sie, dass später ihre Arbeitskollegen darunter leiden. Nach eineinhalb Monaten hatten wir einen hohen Reifegrad quer über alle Bereiche erreicht. Auf diese Weise konnten wir beim Rollout des Projekts neun Wochen einsparen. Ursprünglich hatten wir drei Monate für die gesamte Migration geplant. Unser Partner Abraxas hat im Rahmen dieses Projekt auch die eigene Kernkompetenz gespielt, das muss man ehrlich sagen. Die hatten das aus dem Effeff im Griff. Wie ging die Migration vor sich? Wir hatten sogenannte Quality Scouts, also Mitarbeiter, die besonders leidensfähig sind. Wir setzten sie in der Beta-Phase unseres Projekts ein. Sie hatten zwei Aufgaben: Nicht auszuflippen und alles zu rapportieren, was www.netzwoche.ch © netzmedien ag Wie wirkte sich das Projekt auf die Hardware aus? Produktiv sind wir auf 250 virtualisierten Servern. Zudem haben wir eine voll virtualisierte und redundante Serverfarm von rund 60 Wor- Die Daten werden direkt in unser ERP-System zur Wartung übermittelt. Je nachdem, ob ein Schwellenwert erreicht wird, wird direkt ein Auftrag generiert, etwas zu tun, oder die Daten werden für die spätere Fehlersuche der Fahrzeughistory zugeordnet. Wir sind da gerade dabei, diese Prozesse zu überarbeiten, um von der Effizienzerhöhung zu profitieren. Konnten Sie auch noch andere Dinge vereinfachen? Ja, ein Beispiel ist die Störungsmeldung wegen einer kaputten Toilette. Früher musste das der Zugbegleiter aufschreiben, es am nächsten Bahnhof abgeben, dort gaben sie die Daten manuell ein, die Information ging es ins Rollmaterialzentrum und dort wurde via Telefon ein Visiteur über die Störung informiert. In einem ersten Schritt haben wir nun E-Mail eingeführt, sodass der Zugbegleiter direkt den Visiteur informieren kann. In einem zweiten 11 / 2014 33 LIVE «Heute sagen mir auch die grössten Skeptiker ins Gesicht, dass es gut war, wie wir alles umgestellt haben.» Schritt, hier befinden wir uns gerade in der Pilotphase, führen wir eine auf Citrix basierende HTML-App ein, mit der alles direkt ins System eingegeben wird und der Visiteur automatisch einen Auftrag via App erhält. Anstatt fünf Leute damit zu beschäftigen, stellen wir den Prozess also sukzessive um. Nun schauen wir im Rahmen des Pilotprojekts, ob uns das etwas bringt, und wenn ja, binden wir die App ins System ein. Läuft Citrix auf jedem Gerät und jedem Smartphone? Ja, Hardwareunabhängigkeit war für mich ein absolutes Muss. Mir ist es wurscht, welche Hardware die Mitarbeiter einsetzen. Wir funktionieren ja auch nicht alle gleich. Ein Lokführer hat andere Bedürfnisse als eine Person aus der Kommunikationsabteilung. Wenn ich die beiden in Sachen Hardware konform behandle, werde ich nur unzufriedene Kunden haben. Wir befinden uns gerade in den Bergen, und Sie benötigen eine Verbindung ins Netz. Wie machen Sie das eigentlich? Gar nicht. Es wäre ein Multi-Millionenprojekt, das alles hier verfügbar zu machen. Wir sind nun mal eine Gebirgsbahn mit vielen Tunnels und keine urbane Bahn, die durch 4G-Gebiete fährt. Also bauten wir unsere Applikationen so, dass sie teilweise auch offline laufen. Die Applikationen unserer Lokführer beispielsweise werden dann aktualisiert, wenn sie im Empfangsgebiet sind. Hardwareunabhängigkeit ist für Urs Püntener ein a bsolutes Muss. Bereitet Ihnen Ihre Arbeit Freude? Ja, das tut sie. Die Kultur der RhB ist aussergewöhnlich positiv und im persönlichen Umgang sehr gut. Wir gehen aufeinander ein und haben keine langen Dienstwege. Als Informatiker bin ich oft in der Situation, dass ich dem Benutzer komplexe Sachverhalte auf einfache Art und Weise vermitteln muss. Da ist es viel einfacher, wenn man von Mensch zu Mensch sprechen kann und auch erfährt, wenn etwas nicht funktioniert. Wenn ich durch den Gang gehe, bin ich genauso der First Level Supporter wie der CIO. Wir pflegen auch eine direkte Feedback-Kultur. Wichtig ist, dass man die Leute ernst nimmt. Ich glaube, man kann sehr viel erreichen, wenn man sich als Informatiker nicht hinter der Technik oder der Sicherheit verbarrikadiert, sondern einfach mal zuhört, was der andere sagt. Denn sehr oft sagt das Gegenüber intelligente Sachen. Zum Beispiel? Wo stehen Ihre Rechenzentren? Eines steht in Chur und eines in Landquart. Zudem haben wir – für den Katastrophenfall – noch ein drittes Backup-RZ in Davos. Wir können ein RZ datentechnisch in zehn Minuten evakuieren. Normalerweise laufen alle Applikationen in beiden Rechenzentren und schalten sich automatisch um, wenn ein Rechenzentrum ein Problem hat. Also können wir pro Applikation vollautomatisiert zwischen den beiden hin- und herschalten. So können wir dort, wo etwas gemacht werden muss, in Ruhe die Wartung durchführen oder das Problem analysieren und lösen. 34 11 / 2014 Ich brauche keine Businessanalyse, um he rauszufinden, dass meine Mitarbeiter mobil unterwegs sind. Stattdessen verbringe ich einen Tag mit dem Lokführer, einen Tag mit dem Zugbegleiter und einen Tag mit dem Gleisarbeiter und rede mit ihnen. Der Lokführer beispielsweise sagt mir, dass er morgens erst ins Depot muss, um seinen Schichtplan auszudrucken. Dort kann ich einhaken und ihm das mithilfe der IT liefern. Die Mitarbeiter müssen eingebunden sein und wir müssen im dauernden Dialog miteinander stehen und schauen, was sie brauchen und was die IT liefern kann. Wir leben nicht mehr im Jahr 1980, in dem die IT von einer kleinen Gruppe Mitarbeiter umgesetzt wurde. Heute haben die Mitarbeiter mehr IT-Geräte zuhause als im Geschäft. Dieses Fachwissen nutzen Firmen aber nur selten. Letztlich ist IT wie ein Arzt. Wenn ein Arzt gut ist, schaut er mit seinem Patienten im Vorfeld, dass dieser nicht krank wird. Klar kann IT auch «heilen», also etwas wieder in Ordnung bringen. Aber meine Aufgabe ist es, dass eigentlich im Vorfeld das Business schon so mit mir zufrieden ist, dass ich gar nicht mehr korrigierend eingreifen muss. ZUR FIRMA Rhätische Bahn (RhB) Die Rhätische Bahn (RhB) ist die grösste Alpenbahn der Schweiz und ein Unternehmen, das im Freizeit-, Pendler- und Güter verkehr tätig ist. Mit ihren Gebirgsstrecken, dem Unesco Welterbe und bekannten Produkten wie dem Glacier- und Bernina- Express bürgt sie seit 1889 für Bahnerlebnisse quer durch das dreisprachige Graubünden. Heute bewegt die Rhätische Bahn jährlich mit rund 1400 Mitarbeitern 10 Millionen Reisende und mehr als 700 000 Tonnen Güter über 384 Kilometer hochalpines Streckennetz. www.netzwoche.ch © netzmedien ag www.netzwoche.ch © netzmedien ag 11 / 2014 35