Die Caravelle ist eine Comet für die Kurz

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Die Caravelle ist eine Comet für die Kurz
Der dritte Comet-Nachfolger
Die Caravelle ist eine Comet
für die Kurz- und Mittelstrecke
pätestens mit der Bestellung von
drei Comet 1 durch die Air France
am 21. November 1951 erwachte
auch bei den französischen Herstellern
das Interesse an einem zukunftsfähigen
Jet. Sud Est, Sud Quest und Huriel-Dubois legten dem französischen Verkehrsministerium ernsthafte Projekte vor. Allein Sud Est überzeugte mit seiner SE210 im Frühjahr 1952 die Jury.
Die Firma Sud Est mit ihrem Hauptstandort in Toulouse baute seit einiger
Zeit die britischen Jagdflugzeuge de
Havilland DH 100 „Vampir“ und DH 112
„Venom“ in Lizenz. Außerdem liefen gerade Verhandlungen zur Lizenzaufnahme für das britische Triebwerk „Avon“
an. So hatte man also beste Beziehungen zu de Havilland und zu Rolls-Royce.
Zwischen Sud Est und de Havilland hatte es sicher auch Gespräche für eine Lizenzproduktion der Comet in Toulouse
gegeben. Doch beide Seiten waren offensichtlich nicht 100-prozentig von der
Richtigkeit dieser Idee überzeugt. Dennoch kam Sud Est mit de Havilland darin überein, daß die zukünftige SE-210
„Caravelle“ nicht nur wesentliche Teile
der Comet erhalten sollte, sondern sich
auch eng an deren konstruktive und ae-
S
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zu entwickeln. Besonders für die Strecken in die
französischen Kolonien nach Nord- und Westafrika sollte sich das neue Flugzeug eignen. So gab
das zuständige Sekretariat für zivile Luftfahrt
SGACC eine entsprechende Ausschreibung mit
der Maßgabe einer Kostenübernahme heraus.
Foto: Photothéque STAC / René Bouvier
Auch in der „Grande Nation“ bestimmte nationales Prestige-Denken die Ausrichtung der Wirtschaftspolitik. Nach kurzen Zweifeln, ob es nicht
besser sei, de Havillands Comet 1 in Lizenz zu
bauen, neigten die Verantwortlichen in der Regierung Mitte 1950 doch dazu, einen eigenen Jet
Der zweite Prototyp der
Caravelle auf dem
Aero-Salon Le Bourget
1959. Die Maschine
flog 1957 für eine große Werbetour nach
Südamerika. Dort wurde
sie zwar bestaunt,
aber nur die VARIG bestellte zwei Exemplare.
Holger Lorenz: „Start ins Düsenzeitalter“
Der Strahlverkehr zwischen Geschwindigkeitsrausch und Kostenexplosion
rodynamische Kennwerte anlehnen durfte. Dieser „Deal“ barg für beide Seiten
eigentlich nur Vorteile, besonders den,
die Markt-Vorherrschaft der US-Hersteller endlich brechen zu können.
De Havillands Comet hatte ein Entwicklungsproblem: Der Tankraum des
Flügels war zu klein, um aus der Comet
ein echtes Langstreckenflugzeug zu machen, aber schon wieder zu groß, um
sie kostengünstig auf der kurzen Mittelstrecke einsetzen zu können. Indem Sud
Est sich auf ein Flugzeug für die Kurzund Mittelstrecke beschränkte, konnte
das Kraftstoffgewicht von 25 t bei der
Comet auf 15 t bei der Caravelle abge-
Die Caravelle ist eine Comet für die Kurz- und Mittelstrecke
Dieses Phantombild ist
der Messe-Mappe entnommen und stellt den
1. Prototyp dar. Er unterscheidet sich in der
Zelle gegenüber den
Serienflugzeugen durch
das kombinierte Frachttor mit dem Passagiereinstieg und durch die
Nasenklappe, die über
die ganze Flügelvorderkante reicht (bei der
Serie vollständig entfallen, weil ein nach unten gezogenes Profil
verwendet wurde). Die
Anordnung der Triebwerke am Rumpfheck
machte starke Rumpfspante in diesem
Bereich notwendig.
senkt werden. Mit dieser Einsparung
von 10 t am Startgewicht ließen sich in
der Folge weitere Gewichtseinsparungen an der Triebwerksanlage, am Fahrwerk und an der Flügelstruktur erzielen
ohne Einbußen an der Nutzlast.
Spätestens 1951 hatte sowohl de Havilland als auch Sud Est die konstruktive Schwachstelle der Comet erkannt,
nämlich den Verschwindeinbau der Turbinen im Flügel, was zur Verschwen-
dung von Tankraum und zur Verschlechterung der Aerodynamik führte. Basierend auf den Abmessungen und den aerodynamischen Grunddaten der Comet
schufen die Ingenieure von Sud Est eine
kleinere und viel effektivere Comet, die
zwar nicht die Reichweite der Comet 2
besaß, aber alle Strecken der Comet 1A
kostengünstiger abdecken konnte.
Bei gleichen Grundabmessungen wie
die Comet besaß die SE-210 Caravelle
Foto: Photothéque STAC / René Bouvierf
Bild unten: Auch die Caravelle verwendete das
Redux-Klebeverfahren
der Comet, was die Nietenzahl reduzieren half.
Holger Lorenz: „Start ins Düsenzeitalter“
Der Strahlverkehr zwischen Geschwindigkeitsrausch und Kostenexplosion
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Foto: VEB Flugzeugwerke Dresden
die gleiche Spannweite, die gleiche Flächenbelastung, den gleichen Pfeilwinkel
und die gleiche Leistungsbelastung. Damit konnte die Caravelle von den gleichen Flugplätzen und mit derselben
Blockgeschwindigkeit operieren wie die
Comet. Um die Gleichheit beider Typen
perfekt zu machen, erhielt die Caravelle
den Rumpfbug samt dem Cockpit von
der Comet (für den 1. Prototyp und die
Bruchzelle soll de Havilland die Cockpitsektionen gleich komplett nach Toulouse geliefert haben), sowie die Hydraulikanlage, die Klima- und Druckhalteanlage, die Funkanlage, die Anzeigegeräte, die Luftbremsen und die Boostersteuerung für die Querruder. Das alles hatte neben einer entscheidenden
Verkürzung der Entwicklungszeit auch
Foto: Sud Est Aviation
Der dritte Comet-Nachfolger
den Vorteil, daß die Pilotenschulung wesentlich vereinheitlicht wurde.
Zwei Besonderheiten der Caravelle
gewannen immer wieder die Aufmerksamkeit der Fachpresse. Das waren die
Anordnung der Triebwerke am hinteren
Rumpf und die dreieckige Form der Kabinenfenster. Wenn man aber weiß, daß
das Werk Toulouse während des Krieges ein Zweigwerk der Junkers AG war
und hier die Ju 252 zur Ju 253 von französischen Ingenieuren umkonstruiert
worden ist, dann ist klar, daß man dort
das Hertel-Patent für die Fenster der Ju
252 kannte und auch Zugang zu den anderen Junkers-Patenten hatte. Denn bei
Junkers war ja die Triebwerksgondel
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Bild ganz oben: Der erste Prototyp in den Farben der Air France nach
Indienststellung 1956.
Bild oben: Auf den ersten Blick scheint man
die Comet erkennen
zu wollen. Doch es ist
der 1. Prototyp der
Caravelle auf dem Pariser Aerosalon 1957 in
veränderter Bemalung.
Bild rechts: Die Caravelle-Flügel wurden vor
der Montage an den
Rumpf fest miteinander
verschraubt. Der Rumpf
erhielt erst durch den
Flügel seine Festigkeit.
Holger Lorenz: „Start ins Düsenzeitalter“
Der Strahlverkehr zwischen Geschwindigkeitsrausch und Kostenexplosion
Foto: Sud Est Aviation
erfunden worden und in unzähligen
Windkanalmessungen an den verschiedensten Stellen am Rumpf, an den Flügeln und zwischen dem Leitwerk untersucht worden. Außerdem arbeitete Prof.
Heinrich Hertel zusammen mit dem bei
Junkers für den Experimentier-Windkanal verantwortlichen Otto Frenzl ab Ende des Krieges für die Franzosen.
Das Bauschema der Caravelle galt etliche Jahre als das Nonplusultra. Inzwischen wird es nur noch bei sehr kleinen
Flugzeugen angewendet. Das hat zum
einen mit den wachsenden Triebwerksdurchmessern zu tun, zum andern mit
den höheren Fluggeschwindigkeiten und
der Reduktion des Baugewichts. Doch
damals hatte die Caravelle wegen ihrer
Die Caravelle ist eine Comet für die Kurz- und Mittelstrecke
b = 35,05 m
F = 188 m2
Λ = 6,5
ϕ = 200
v max = 835 km/h
28 - 53 Pass.
b = 35,00 m
F = 197 m2
Λ = 6,3
ϕ = 200
v max = 850 km/h
58 - 78 Pass.
Rumpfbreite
3,12 m
wicht). Auffällig ist auch das sehr kleine
Fahrwerk mit einer Rumpfunterkantenhöhe von 1,38 m, was durch die Triebwerkshochlage in der Rumpfbezugsebene zustande kam. Es sparte neben Gewicht auch Widerstand im Startvorgang
und benötigte kleinere Fw-Klappen.
Am interessantesten ist der Rumpfvergleich. Für eine größere Steifigkeit
sorgten höhere Rumpfspante, so daß
der Rumpfdurchmesser von 3,12 m auf
Rumpfbreite
3,20 m
Foto: Internet
Rumpfbreite
3,12 m
b = 34,31 m
F = 146,7 m2
Λ = 8,02
ϕ = 200
v max = 860 km/h
64 - 91 Pass.
De Havilland Comet 3 (1954)
Foto: Internet
Zweimotorigkeit gegen starke Zweifel
anzukämpfen, besonders unter den Airlines, die die Auslegung als zu waghalsig betrachteten.
Der Flügel war ein französisches Eigengewächs. Man hatte zwar die Spannweite, Flächenbelastung, Pfeilung und
Profildicke der Comet beibehalten, aber
einen völlig neuen Flügel konstruiert ohne Tragflügelmittelstück, dreiholmig, in
Integralbauweise der vier Flächentanks.
Da die Caravelle etwa 14 t weniger wog
als die Comet, konnte die tragende Flä-
Sud Aviation Caravelle (1955)
che von rund 200 auf 150 m2 verkleinert werden, was durch eine Verschlankung (Λ 8 statt 6,5) geschah, wobei die
Hinterkante begradigt wurde. Dadurch
setzte man die Reisemachzahl von 0,72
auf 0,75 herauf (800 statt 772 km/h).
Durch den schlankeren Flügel konnte
ein kleineres Höhenleitwerk verwendet
werden. Durch die zusätzliche Pfeilung
des Leitwerkes sparte man wiederum
an Baugewicht (die Caravelle hatte von
allen damaligen Flugzeugen das leichteste Leitwerk relativ zum Gesamtge-
Bild rechts: Baufortschritt des 1. Prototyps
im Dezember 1953. Im
Vordergrund das Rumpfgerüst der Bruchzelle
mit Blick auf die Struktur: viel mehr Stringer
im Fensterbereich als
bei der Comet und eine
ausfallsichere Fensterrahmenkonstruktion.
Bild links: Der 2. Prototyp F-BHHI am Flughafen Kopenhagen zur
Verkaufsberatung für
die Scandinavian Airlines System (SAS).
Bild rechts: Der 1. Prototyp und die erste
Bruchzelle (Statikzelle)
im Frühjahr 1954 in
der Toulouser Fertigung
mit geringer Unterstützung durch Großvorrichtungen. In einem
zweiten Los wurde die
zweite fliegende Maschine F-WHHI und eine
dynamische Bruchzelle
gefertigt. Wie man
sieht, sind die Oberflächen der Rümpfe wie
bei der Comet mit großen Papierstücken
abgeklebt. Die Rümpfe
kamen dann, wie das
seit der DC-3 üblich ist,
mittels Kran auf den
fertigen Flügelkasten.
3,20 m wuchs. Die 8 cm mehr kamen
zur Hälfte der Spanthöhe und zur anderen Hälfte der Kabinenbreite zugute,
die sich von 2,97 m auf 3,01 m verbreiterte. Die Rumpfstruktur wurde deutlich
verbessert. Besonders der kritische Bereich längs der Fenster (denn „BockFoto: Internet
De Havilland Comet 1 (1949)
würste“ platzen immer längs auf) hatte
eine sichere Konstruktion erhalten.
Der ganze Heckbereich mußte wegen
der Triebwerke geändert werden. Der
Eingangsbereich mußte von der Seite in
den hinteren Druckspant verlegt und
der Rumpf um eine ganze TriebwerksGondellänge verlängert werden
Holger Lorenz: „Start ins Düsenzeitalter“
Der Strahlverkehr zwischen Geschwindigkeitsrausch und Kostenexplosion
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