„The-Holy-Virgin-Mary“-Fall

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„The-Holy-Virgin-Mary“-Fall
Materialien
zu den Ausstellungstafeln
Kunst und Strafrecht
Prof. Dr. Dr. Uwe Scheffler
Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder), Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Kriminologie
Kunst und „Gotteslästerung“
§ 166 StGB Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen
(1) Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3)1 den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3)1 eine im Inland bestehende Kirche oder
andere Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung, ihre Einrichtungen oder Gebräuche in einer Weise beschimpft, die
geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.
______
1 „Den Schriften stehen Ton- und Bildträger, Datenspeicher, Abbildungen und andere Darstellungen in denjenigen Vorschriften
gleich, die auf diesen Absatz verweisen.“
Abb.: http://forum.rollingstone.de/showthread.php?t=35030&page=57 / Abb.: Chris Ofili, http://www.artnet.de/magazine/der-neue-alte-streit-um-pornografie-und-kunst/images/7
George Grosz: Maul halten und weiterdienen, Hintergrund – 17 Zeichnungen zur Aufführung des „Schwejk“ in der Piscator-Bühne (1928)
Chris Ofili: The Holy Virgin Mary (1996). Privatbesitz
„The-Holy-Virgin-Mary“-Fall
Stand: Juli 2015
Letzte Modifizierung: 9.10.2016
Abb.: MONA/ Peter Whyte, http://imagestoliveby.com/tag/art/
Chris Ofili: The Holy Virgin Mary (1996). Privatbesitz
Chris Ofili (* 1968) ist ein britischer Maler und Bildhauer nigerianischer Abstammung. Seine katholischen Eltern waren 1965 aus
Lagos in Nigeria, das von 1861 bis 1960 unter britischer Kolonialherrschaft gestanden hatte, immigriert. Sie wurden in Manchester
als Fabrikarbeiter (bei McVitie’s, einem Kekshersteller) ansässig. Sie bekamen vier Kinder, Chris ist das zweitälteste. Der Vater verließ die Familie, als Chris elf Jahre alt war, und ging zurück nach Nigeria.
Ofili besuchte in Manchester zunächst die St. Pius Roman Catholic High School, sodann das Xaverian Sixth Form College, zwei katholische Schulen. In der Kirchengemeinde war er Ministrant und dachte daran, katholischer Priester zu werden; allerdings verwirrte
ihn das Dogma der Jungfrauengeburt 1: „As an altar boy, I was confused by the idea of a holy Virgin Mary giving birth to a young boy.“
Später wollte Ofili Möbeldesign studieren und belegte 1987 am Tameside College of Technology in Ashton-under-Lyne, einem Vorort Manchesters, zunächst einen „Foundation Course“ im Fach Kunst, bei dem ihn ein charismatischer Lehrer die Malerei entdecken
ließ. 1988 zog er nach London und besuchte dort die Chelsea School of Art, die er 1991 mit dem „Bachelor of Fine Arts“ abschloss.
Er übte sich an Porträts; besonders beeinflussen ließ er sich vom Werk des New Yorkers Jean-Michel Basquiat, dem ersten afroamerikanischen Maler, der internationale Aufmerksamkeit in der hauptsächlich weißen Kunstwelt erlangt hatte. Ab September 1991
studierte er am Royal College of Art in London, wo er 1993 den „Master of Fine Arts“ erwarb.
Zwischenzeitlich, 1992, erhielt er ein Austauschstipendium nach Berlin und studierte an der Berliner Hochschule der Künste. In
einem Nachtclub am Potsdamer Platz (im „WMF“?) kam er mit „amazing hip-hop music“ in Kontakt 2: „Music was the battery, fully
charged. I wanted to paint things that would feel like that music.”
Ofili gehörte ab Mitte der 1990er Jahre (neben Damien Hirst, Tracey Emin sowie Jake und Dinos Chapman) zu den bekanntesten
unter den jungen britischen Künstlern, die seit Ende der 1980er Jahre als „Young British Artists“ populär geworden waren.
1998 wurde Ofili für den „Turner Prize“ der Londoner Tate Britain nominiert und gewann die renommierte Auszeichnung als erster
Schwarzer. Der mit 20.000 Pfund Sterling dotierte Preis wird jährlich an einen britischen Künstler unter 50 Jahren vergeben.
Heute besitzen viele internationale Sammlungen und Museen Ofilis Werke, so das Museum of Modern Art in New York und die Tate
Gallery, London. Auf dem Kunstmarkt wird er hoch gehandelt; seine „Orgena“ erzielte 2010 bei „Christie’s“ in London 1,65 Millionen
Pfund Sterling – bis Juni 2015 der höchste Kaufpreis für ein Werk Ofilis.
Abb.: Christie’s, http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunstmarkt/auktionen/gegenwartskunst-mit-den-klassikern-der-gegenwart-als-truempfe-1992908/chris-ofili-orgena-von-11001811.html
Chris Ofili: Orgena (1998). Privatbesitz
Ofili lebt und arbeitet seit 2005 auf Trinidad.
1
Chicago Tribune vom 11.10.1999 (http://articles.chicagotribune.com/1999-10-11/features/9910110134_1_advertising-mogul-charles
-saatchi-giuliani-brooklyn-museum).
2
Calvin Tomkins: Into the Unknown. Chris Ofili returns to New York with a major retrospective. The New Yorker vom 6.10.2014 (http://
www.newyorker.com/magazine/2014/10/06/unknown-6).
2
Ofili baute 1992 (er war damals 23) auf einem vom British Council finanzierten dreiwöchigen Kunstworkshop in Zimbabwe, an den er
eine mehrwöchige Rundreise anschloss, zum ersten Mal eine persönliche ethnische Bezugslinie zu Afrika auf. Er sah hier keine Elefanten, wohl aber Elefantendung, der in verschiedenen afrikanischen Stammeskulturen ein Symbol für Fruchtbarkeit, Wachstum und
Erdverbundenheit darstellt.
Abb.: http://bwindiresearchers.wildlifedirect.org/tag/elephants/
Er war von seiner runden Form fasziniert und begann, den Dung in seiner künstlerischen Arbeit zu verwenden: „Ich dachte darüber
nach, wie ich meine europäischen Ideen zur Malerei mit diesen neuen, mehr erdigen, afrikanisierten Ideen und Erfahrungen zusammenbringen könnt?“, erinnerte sich Ofili an seine Zimbabwe-Reise 3. „Und da habe ich einfach ein Stück Dung auf mein Gemälde geworfen. Einfach so. Und ich dachte, hm, da hast du gerade ein richtig gutes Bild ruiniert?“ Später resümierte er, „it was a crass
way of bringing the landscape into the painting” 4.
Das früheste Werk, zu dessen Anfertigung Ofili damals Elefantendung verwendete, wurde zusammen mit zwei weiteren Bildern Ofilis 2011 im Tresorraum einer Galerie in Bulawayo (der zweitgrößten Stadt Zimbabwes) wiedergefunden. Es scheint eine Figur darzustellen, beklebt mit sechs Stück Dung. Ofili hat das Bild der National Gallery of Zimbabwe in Harare geschenkt.
Abb.: http://www.zimbojam.com/archives/44-art-and-culture/inside-art/3005-chris-ofili-donates-to-the-national-gallery-of-zimbabwe
Nun ist die Idee mit dem Elefantendung nicht neu. Der (afroamerikanische) New Yorker Künstler David Hammons (* 1943) hatte
schon 1978 aus Elefantendung, den er sich vom damals gerade gegründeten „Big Apple Circus“ besorgt hatte, Skulpturen geschaffen.
Abb.: https://contemporaryrubbish.wordpress.com/shit/
Abb.: http://www.artslant.com/global/artists/show/26009-david-hammons?tab=ARTWORKS
Abb.: rocor, https://www.flickr.com/photos/rocor/8755425747/ (Ausschnitt)
David Hammons: Elephant Dung Sculpture (1978). New York, Privatbesitz
David Hammons: Untitled (1978)
David Hammons: Untitled (Elephant Dung with Chain) (1978). Los Angeles, County Museum of Art
3
art-magazin.de 2/2000 (http://www.art-magazin.de/div/heftarchiv/2000/2/17868969793681174288/Chris-Ofili--Maler-und-Mythenspieler).
Siehe Allison Young: Chris Ofili, The Holy Virgin Mary (https://www.khanacademy.org/humanities/global-culture/identity-body/identity-body
-europe/a/chris-ofili-the-holy-virgin-mary).
4
3
Eine kurze Kunstgeschichte der „Excremental Art” müsste, orientiert an Hammons und Ofili, zu allererst den Schweizer Aktions- und
Objektkünstler Dieter Roth (* 1930; † 1998) nennen, der 1969 bis 1975 seine „Karnickelköttelkarnickel“ aus Kaninchenkot und Stroh
modellierte.
Abb.: Dieter Roth Foundation, http://www.bz-berlin.de/kultur/kunst/dieter-roth-im-kolbe-museum#
Dieter Roth: Karnickelköttelkarnickel (1972). Hamburg, Dieter Roth Foundation
Auf Roths Spuren formte der chinesische Künstler Zhu Cheng (* 1946) zusammen mit Kunstschülern 2010 aus Pandakot, gemixt mit
Gips und Leim, eine Replik des oberen Teils der Venus von Milo.
Abb.: http://sabrisfunkyart.blogspot.de/2013/05/zhu-cheng.html
Zhu Cheng: Venus de Milo (2010). Privatbesitz
Schon viel früher, 1961, hatte Piero Manzoni (* 1933; † 1963), frühverstorbener Wegbereiter der Konzeptkunst, jeweils 30 Gramm
seiner eigenen Fäkalien in 90 Dosen gefüllt und diese geruchsfest verschlossen. Die durchnummerierten und mehrsprachig mit
„Merda d’Artista“, „Artist’s Shit“ und auch „Künstlerscheiße“ beschrifteten Dosen verkaufte der Künstler – höchst erfolgreich – zum
Goldpreis des gleichen Gewichts.
Abb.: http://it.wikipedia.org/wiki/Merda_d%27artista
Piero Manzoni: Merda d’Artista No. 080 (1961). Mailand, Museo del Novecento
Der US-amerikanische Aktions- und Performancekünstler Paul McCarthy (* 1945) fertigte 1992 aus Gussaluminium und Lackfarbe
„Fake Shit“
4
Abb.: http://lamblegs.wordpress.com/tag/artists-shit-1961/
Paul McCarthy: Fake Shit (1992)
und schuf 2008 aus Kunststoff einen 36 m langen, 30 m breiten und 15 m hohen aufblasbaren Hundehaufen.
Abb.: LessRoads, http://blog.flickr.net/en/2008/08/15/complicated-pile/
Paul McCarthy: Complex Shit (2008)
Der US-amerikanische Fotokünstler Andres Serrano (* 1950) schließlich fotografierte für seine Fotoserie „Shit“ von 2008 auf 66 Bildern den Kot verschiedener Tiere in Großaufnahme,
Abb.: http://www.theslideprojector.com/art1/art1twoday/art1lecture31.html
Andres Serrano: Shit (Ausstellungsansicht). Paris, Galerie Yvon Lambert (2008)
zusätzlich auch seinen eigenen Kot.
5
Abb.: http://rebelart.net/andres-serrano-shit/00712/
Andres Serrano: Self Portrait Shit (2008)
Ofili setzte sich damals mit der Kunst Hammons’ auseinander: Er bildete dessen Performance „Bliz-aard Ball Sale“ nach, bei der
Hammons 1983 als Straßenhändler in New York Schneebälle in verschiedenen Größen feilgeboten hatte,
Abb.: Dawoud Bey, http://glvbx.com/inspiration-sung-hwa-kim/
David Hammons: Bliz-aard Ball Sale (1983). New York, Cooper Square
indem er 1993 „Shit Sales“ zunächst in Berlin während seines Studienaufenthalts auf dem Flohmarkt an der Straße des 17. Juni und
dann in London veranstaltete.
Abb.: Natalie Cada, Strategien der Repräsentation – Chris Ofili und das Konzept des Samplings, Diss. phil. München 2011, Bildband, S. 1
Chris Ofili: Shit Sale (1993). London, Brick Lane
Ofili (eigentlich versteht er sich ja als Maler) modellierte im gleichen Jahr auch wie zuvor Hammons eine Skulptur aus Elefantendung, „Shithead”: Ein Klumpen getrockneter Elefantendung bildete den Kopf, dem er seine eigenen Milchzähne ansteckte und dem
Ganzen ein paar (Dread-)Locken von seinem Haar hinzufügte – offenbar eine Art Selbstporträt.
6
Abb.: http://hyperallergic.com/159162/chris-ofilis-gone-and-dung-it-again/
Bis 2003/04 verwendete Ofili auf seinen Bildern Elefantendung als Gestaltungselement 5, zunächst aus Zimbabwe mitgebracht, später vom „Whipsnade Wild Animal Park“ in Bedfordshire, einer „Filiale“ des Londoner Zoos, bezogen.
1995 beschrieb er seinen konzeptionellen Ansatz 6:
The paintings themselves are very delicate abstractions, and I wanted
to bring their beauty and decorativeness together with the ugliness of
shit and make them exist in a twilight zone – you know they’re there
together, but you can’t really ever feel comfortable with it.
Ofili präsentiert bis heute seine Dung-Bilder (es sind ausschließlich Hochformate) nicht in Augenhöhe oder darüber an einer
Museumswand, sondern stellt sie auf den Boden, gestützt nur auf Sockeln aus mit Kunstharz überzogenem Elefantendung. „Das
hilft mir, sie sozusagen zu erde?“, erläuterte Ofili 7. „Die Bilder sind schön genug, sie müssen nicht hochgehoben werden wie ein Altarbild?“
Abb.: Benoit Pailley, http://www.domusweb.it/en/news/2014/11/10/chris_ofili_night_and_day.html
Chris Ofili: Night and Day (Ausstellungsansicht). New York, New Museum (2014)
Das bekannteste, meistdiskutierte Werk Ofilis ist „The Holy Virgin Mary“, ein Bildnis aus Papiercollage, Ölfarbe, Glitzer, Polyesterharz, Pinnwandnadeln und Elefantendung auf Leinwand, 243,8 x 182,9 cm groß, natürlich auch immer auf dem Boden „geerdet“
ausgestellt.
5
2005 überraschte Ofili mit dem über 2 Meter großen defäkierenden Skulpturenpaar „Blue Moon“ und „Silver Moon“ (siehe dazu Natalie
Cada, Strategien der Repräsentation – Chris Ofili und das Konzept des Samplings, Diss. phil. München 2011, S. 117 f.).
Abb.: Natalie Cada, Strategien der Repräsentation – Chris Ofili und das Konzept des Samplings, Diss. phil. München 2011, Bildband, S. 15; 16.
6
Cada: Strategien der Repräsentation, S. 6.
7
art-magazin.de 2/2000 (http://www.art-magazin.de/div/heftarchiv/2000/2/17868969793681174288/Chris-Ofili--Maler-und-Mythenspieler).
7
Abb.: http://www.glenwoodnyc.com/manhattan-living/chris-ofili-day-and-night-new-museum/
„The Holy Virgin Mary“ zeigt eine schwarze Madonna, in Blau, der Farbe Marias 8, gekleidet, vor einem goldgelben Hintergrund, ähnlich dem Goldgrund byzantinischer oder abendländisch-mittelalterlicher Ikonen. Die Figur ist von zahlreichen Elementen umgeben,
die sich beim näheren Hinsehen als aus Pornoheften ausgeschnittene weibliche Gesäße entpuppen. Auf die entblößte rechte Brust
Marias ist ein Klumpen Elefantenmist drapiert. Im Unterschied zu den meisten traditionellen Marienbildnissen fehlt auf dem Bild das
Jesuskind (das ihn schon als Ministranden bei einer „Virgin Mary“ irritiert hatte). Es sind keine deutlichen Anhaltspunkte ersichtlich,
inwieweit Ofili das Bild einer der ikonographisch gängigen Darstellungsform der Maria ohne Kind (etwa Maria orans [„betende Maria“] oder Maria immaculata [„unbefleckte Maria“] zugeordnet sehen wollte.
Abb.: https://davidjure.wordpress.com/2014/01/01/ave-maria-mother-of-god-virgin-orans-st-sophia-cathedral-kiev-ukraine-11th-century-mosaic-christian-art-icons-murals-mosaics-rockland-rosa-triplex/
Abb.: http://de.wikipedia.org/wiki/Unbefleckte_Empf%C3%A4ngnis
Betende Jungfrau (Богоматерь Оранта) (11. Jh.). Kiew, Sophienkathedrale
Francisco de Zurbarán (*1598; † 1664): Inmaculada Concepción (um 1630). Madrid, Museo del Prado
Das Werk löste mit dieser Mixtur aus Sakralem und Profanem 1999 auf der Ausstellung „Sensation“ in New York einen heftigen
Skandal aus.
Die Wanderausstellung „Sensation: Young British Artists from the Saatchi Collection“ wurde von dem Sammler und Galeristen
Charles Saatchi ausgerichtet.
Charles Saatchi, 1943 in Bagdad geboren, entstammt einer irakisch-jüdischen Familie, die 1947 nach Großbritannien auswanderte.
Nach seinem Studium gründete er im Jahr 1970 mit seinem Bruder Maurice die international tätige Werbeagentur „Saatchi & Saatchi“ im Londoner Stadtteil Soho. Charles übernahm dabei die Aufgabe des Kreativen, während sein Bruder für die wirtschaftlichen
Aufgaben verantwortlich war. Ihm gelang es, Werbebotschaften in einfachster Form zu transportieren. Dieses Konzept bescherte
der jungen Agentur einen kometenhaften Aufstieg.
Als Texter brach Charles Saatchi mit den üblichen Werbestandards und lieferte simple und radikale, damals durchaus aufregende,
gar schockierende Anzeigen.
8
Maria trägt auf den meisten Darstellungen seit dem Mittelalter einen Mantel in der „Marianischen Farb?“ Blau, in der christlichen Symbolik
die himmlische Farbe, weil Maria in den Himmel aufgenommen wurde und als Himmelskönigin verehrt wird.
8
Abb.: http://trumpeterswansblog.wordpress.com/
Charles Saatchi / Jeremy Sinclair: Anzeige für Health Education Council (1971)
Neben zahlreichen Handels- und Luxusmarken vertraute auch die britische Conservative Party auf „Saatchi & Saatchi“. Deren
Wahlkampagne für Margaret Thatcher im Vorfeld der Parlamentswahlen von 1979 erregte großes Aufsehen. Das von Charles
Saatchi entworfene Plakat „Labour isn’t Working“ wurde 1999 vom britischen Magazin „Campaign“ zum „Best Poster of the Century”
gekürt.
Abb.: http://en.wikipedia.org/wiki/Labour_Isn%27t_Working
Charles Saatchi / Martyn Walsh: Labour isn’t working (1978)
Um 1986 war „Saatchi & Saatchi“ die größte Werbeagentur der Welt. Die Gründer zogen sich langsam aus dem operativen Geschäft
zurück. Während Maurice in der Werbebranche blieb, wurde Charles zum „Artoholi?“ 9 und kaufte nach und nach eine der größten
Sammlungen moderner Kunst zusammen; er gründete 1985 hierfür in London ein eigenes privates Museum, die Saatchi Gallery,
zunächst in einer stillgelegten Lackfabrik in St. John’s Wood, dann ab 2003 in der County Hall, dem ehemaligen Sitz des Stadtparlaments in der South Bank; seit 2008 residiert die Gallery auf 6.500 m2 im früheren Sitz des Herzogs von York in Chelsea.
„Es geht ihm nicht allein darum, der Öffentlichkeit seine Sammlung zugänglich zu machen, verbunden mit einem Gewinn an sozialem Prestige, sondern den kommerziellen Wert der von ihm gesammelten Kunstwerke durch ihre öffentliche Präsentation und Vermarktung zugleich zu steigern. Der Beruf des Werbemagnaten und die Passion als Kunstsammler werden von ihm ... marktgerecht
miteinander verbunden.“ 10
Zunächst kaufte er – treibende Kraft war seine erste Frau Doris, eine US-amerikanische Kunstjournalistin – vornehmlich amerikanische Gegenwartskunst, stilistisch weit gefächert vom Minimalisten Donald Judd (* 1928; † 1994) bis zum Neoexpressionisten Julian
Schnabel (* 1951), en gros ein (er besaß zeitweilig beispielsweise 11 Werke von Judd und 27 von Schnabel).
Abb.: http://www.saatchigallery.com/aipe/Donald_Judd.htm
Abb.: http://www.saatchigallery.com/aipe/julian_schnabel.htm
Donald Judd: Untitled (1981). London, Saatchi Gallery
Julian Schnabel: Pre-history: Glory, Honor, Privilege and Poverty (1981). London, Saatchi Gallery
9
„My name is Charles Saatchi and I am an Artoholic” (Titel von Charles Saatchis 2009 in Interviewform erschienener Autobiographie).
Wimmer, kritische berichte 4/2006, 9.
10
9
Ende der 1980er Jahre verkaufte Saatchi plötzlich – seit 1987 war er von Doris getrennt – einen Großteil seiner Sammlung von USKunst („Ich kaufe Kunst, um sie zu zeigen. Normalerweise behalte ich sie für zehn Jahre, dann ist es meist an der Zeit für Bewegung, und ich versuche etwas Neues.“ 11). Saatchi war auf den Kunststudenten Damien Hirst (* 1965) aufmerksam geworden, der im
Juli 1988 in einem Lagerhaus in den Londoner Docklands unter dem Titel „Freez?“ eine Ausstellung mit Werken von Mitstudenten
des Goldsmiths College kuratierte. Er begann, Hirst und eine Gruppe junger Künstler, die sich um ihn scharte, zu fördern.
Saatchi kaufte in den kommenden Jahren fast 3000 Werke – und machte als alter Werbeprofi daraus kurzerhand eine Kampagne,
erfand ein griffiges Label, nämlich eine Marke namens „YBA“ („Young British Artists“). Zwischen 1992 und 1995 veranstaltete
Saatchi fünf „Young British Artists“-Ausstellungen in seiner damaligen Galerie in St. John’s Wood.
„Um die britischen Künstler entstand ein regelrechter Hype und platzierte London zur damaligen Zeit als heißestes Pflaster der zeitgenössischen Kunstszene. Kunst wurde aus den Akademien auf die Straße gebracht, lockte ein neues Publikum an, das anstatt in
Pubs und Nachtclubs nun auf Vernissagen ging. Kunst wurde hip und modern, glamourös und unterhaltsam. Die Medien, allen voran die Klatschpresse, leisteten ihren Beitrag dazu, die Euphorie über die neue Kunst aus England weiter in die Höhe zu treiben. Sie
spielte den Künstlern ein breites Publikum zu und verpasste ihnen, insbesondere Damien Hirst, eine Art Popstar-Status.“ 12
Der proklamierte Hype gipfelte in der „Sensation“ betitelten Gruppenausstellung.
„Sensation“ wurde zunächst 1997 in London gezeigt. 110 Werke von 43 Künstlern wurden präsentiert. Die Ausstellung ging sodann
nach Berlin in den Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart (vom 30. September 1998 bis zum 21. Februar 1999) und schließlich nach New York in das Brooklyn Museum (vom 2. Oktober 1999 bis 9. Januar 2000).
„Sensation“ soll laut Duden nicht nur „Attraktion“, „Clou“, „Gipfel(punkt)“, „Glanznummer“, „Glanzpunkt“, „Hauptattraktion“, „Krönung“
heißen, sondern auch für „Aufsehen“, „Furore“, „Skandal“, „Stadtgespräch“ stehen. „In der prägnanten Titelfindung Sensation, mit
der gleichsam eine Künstlergeneration definiert werden sollte, offenbarte sich die Fähigkeit des Werbetexters Saatchi.“ 13
Zumal die Ausstellung auch noch in New York werbewirksam mit den Aufmerksamkeit heischenden Warnungen „Be warned“ und
„Health Warning: The contents of this exhibition may cause shock, vomiting, confusion, panic, euphoria, and anxiety“ angekündigt
wurde,
Abb.: http://news.bbc.co.uk/2/hi/programmes/from_our_own_correspondent/462980.stm
Abb.: http://classes.kvcc.edu/smyers/Sensations/sensations.htm
empfanden einige Kritiker viele der Ausstellungsstücke eher im Sinne der zweiten Definition. „Skandal“ und „Stadtgespräch“ – so
manche Künstler 14 schienen sich insofern mit ihren Exponaten gegenseitig übertrumpfen zu wollen:
Vorneweg Hirst, dessen Führungsrolle in der Gruppe dadurch unterstrichen wurde, dass er mit gleich acht Exponaten bei „Sensation“ vertreten war. Unter den fünf ausgestellten Tier-Objekten seiner „Natural History“-Serie ragte der 4,3 Meter lange, in Formalin
konservierte Tigerhai hervor
Abb: http://en.wikipedia.org/wiki/The_Physical_Impossibility_of_Death_in_the_Mind_of_Someone_Living
Damien Hirst: The Physical Impossibility of Death in the Mind of Someone Living (1991). Privatbesitz (Steven und Alexandra Cohen Collection) 15
sowie die nach einem alten englischen Kinderreim benannte Installation mit zwei Schweinehälften;
11
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12.4.2007 (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunstmarkt/kunst-im-internet-ich-will-dass-die-leute
-ihre-zeit-mit-kunst-verbringen-1435893-p2.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2).
12
Cada: Strategien der Repräsentation, S. 33.
13
Wimmer, kritische berichte 4/2006, 10.
14
Die meisten Künstler beteiligten sich allerdings, von den Medien kaum beachtet, mit weniger „sensationellen“ Arbeiten. „Die Hängung der
rund 100 Werke ... sorgte neben der Provokation, die von einzelnen Werken ausging, durch die Variation von Objekten, Stilen und Medien
für einen Unterhaltungswert.“ Wimmer, kritische berichte 4/2006, 11.
15
2006 ist der Haikadaver, der zu verwesen begann, ausgewechselt worden.
10
Abb.: http://www.artchive.com/artchive/H/hirst.html
Damien Hirst: This little piggy went to market, this little piggy stayed at home (1996). London, Saatchi Gallery
daneben sorgte ein weiteres Werk Hirsts für großen Wirbel: „A Thousand Year?“ war ein Glaskasten, in dem ein verwesender Rinderkopf mit Maden und Fliegen lag, die diesen langsam abbauten und wieder in den Kreislauf der Natur einbanden.
Abb.: Roger Wooldridge, http://www.damienhirst.com/a-thousand-years
Damien Hirst: A Thousand Years (1990)
Tracey Emin (* 1963), 1999 populär geworden mit ihrer für den „Turner Prize“ der Londoner Tate Britain nominierten Installation „My
Bed“ (ein benutztes Bett mit Kondomen, Zigarettenkippen, Tampons und benutzter Unterwäsche) 16, präsentierte – diesmal wohl
eher etwas weniger spektakulär – ein Zelt mit den applizierten Namen aller ihrer bisherigen Liebhaber.
Abb.: Stephen White, http://en.wikipedia.org/wiki/Everyone_I_Have_Ever_Slept_With_1963%E2%80%931995
Tracey Emin (* 1963): Everyone I Have Ever Slept With 1963-1995 (1995). 2004 in London verbrannt
16
Abb.: Tracey Emin, http://www.dradio.de/dlf/sendungen/kulturheute/937575/bilder/image_main
Tracey Emin: My Bed (1998). London, Saatchi Gallery
11
Die Chapman-Brüder Jake (* 1966) und Dinos (* 1962) stellten zum einen die Skulptur „Great Deeds Against the Dead“ aus. Sie bezieht sich auf ein Blatt aus Francisco de Goyas berühmter Graphikserie „Los Desastres de la Guerra“ (Die Schrecken des Krieges) 17. „Great Deeds Against the Dead“ zeigt einen Baumstumpf, an dem drei lebensgroße kastrierte und verstümmelte Schaufensterpuppen festgebunden sind.
Abb.: http://nicholasspyer.com/tag/sensation/
Jake und Dinos Chapman: Great Deeds Against the Dead (1994). London, Saatchi Gallery
Zum anderen präsentierten sie die Skulptur „Zygotic Acceleration, Biogenetic De-Sublimated Libidinal Model“. Sie zeigt eine Gruppe
bis auf Turnschuhe nackte, an den Torsi zusammengewachsene Schaufensterkinderpuppen; Anus, Vulva oder Penis ersetzen Nase, Ohren oder Mund.
Abb.: http://nicholasspyer.com/tag/sensation/
Abb.: http://ulfa.free.fr/art/chapman.htm
Jake und Dinos Chapman: Zygotic Acceleration, Biogenetic De-Sublimated Libidinal Model (1995). London, Saatchi Gallery
Mat Collishaw (* 1966), schon 1988 bei „Freeze” dabei, nahm mit einem auf 15 Leuchtkästen montierten, extrem vergrößerten Foto
aus einem „Colour Atlas of Forensic Pathology“ teil, das dem Bildtitel zufolge die Eintrittswunde eines Kopfschusses zeigt (tatsächlich stammte die Wunde wohl von einem Hieb mit einem Eispickel).
17
Abb.: http://imageobjecttext.com/2012/07/04/remakes-and-revisions/
Francisco de Goya (* 1746; † 1828): Grande hazaña! Con muertos! (1810/14). Los Desastres de la Guerra Nr. 39.
12
Abb.: http://en.wikipedia.org/wiki/Mat_Collishaw
Mat Collishaw: Bullet Hole (1988). Hobart/Australien, Museum of Old and New Art
Marc Quinn (* 1964), ehemaliger Wohngenosse Hirsts, beteiligte sich an „Sensation“ mit „Self“, einer gefrorenen Skulptur seines
Kopfes aus 4,5 Liter Blut, das er sich über fünf Monate aus dem eigenen Körper hatte abnehmen lassen, zunächst einfror und dann
verarbeitete.
Abb.: http://www.saatchigallery.com/aipe/marc_quinn.htm
Marc Quinn: Self (1991). Privatbesitz
Der gebürtige Australier Ron Mueck (* 1958) stellte die hyperrealistische Plastik „Dead Dad“ von 1996/97 aus. Die gut einen Meter
lange, detailliert aus Acryl- und Fiberglasharz gefertigte Figur eines unbekleideten, verstorbenen Mannes zeigt das Abbild des verstorbenen Vater Muecks. Einzelne Poren, Hautfalten, angerissene Fingernägel, Hornhaut und Körperhaare sind deutlich erkennbar;
selbst Verfärbungen des Leichnams sind auszumachen. Für die Körperbehaarung nutzte der Künstler teilweise eigene Haare.
Abb.: http://www.goodfuneralguide.co.uk/2012/05/dead-dad/
Ron Mueck: Dead Dad (1996/97). London, Saatchi Gallery
Marcus Harvey (* 1963) zeigte bei „Sensation“ ein fast vier Meter hohes Porträt der 1966 verurteilten mehrfachen Kindsmörderin
Myra Hindley (sie hatte zusammen mit ihrem Freund in Manchester fünf Kinder gequält, missbraucht und getötet) nach einem Polizeifoto, zusammengesetzt aus einem Mosaik von Kinderhandgipsabdrücken.
13
Abb.: http://en.wikipedia.org/wiki/Myra_%28painting%29
Marcus Harvey: Myra (1995). London, Saatchi Gallery
Um all diese Werke gab es den vorhersehbaren Medienrummel. „Die ‚Sensation‘ hat es am Sonntag nach der Eröffnung auf die
Titelseiten fast aller Zeitungen geschafft, in der BBC diskutieren Expertenrunden über ein sonst in den englischen Medien eher marginales Thema: die zeitgenössische Kunst“, bemerkte etwa „Spiegel online“ 18.
Es gab auch die passenden Aufreger: Anlässlich der nackten Kinderkörper der Chapman-Brüder war eine separate, für Jugendliche
nicht freigegebene Abteilung eingerichtet worden – ein Novum. Zwei „Anschläge“ schon am Eröffnungstag durch weniger bekannte
britische Künstler (Peter Fiher und Jacques Role) – einer mit blauer und roter Tinte, einer mit Eiern – führten dazu, dass Harveys
„Mira“ zunächst zwei Wochen restauriert und dann nur noch bewacht hinter Plexiglas gezeigt werden konnte.
Abb.: http://www.telegraph.co.uk/culture/art/art-features/9593748/When-art-gets-vandalised.html
Jedenfalls: In London wurde die dreimonatige Ausstellung von über 350.000 Personen besichtigt. Die Menschen standen Schlange,
die Sensationen von „Sensation“ zu sehen.
Abb.: http://www.saatchigallery.com/aipe/sensation_royal_academy.htm
Auch Ofilis „Holy Virgin Mary“ wurde umlagert – mehr geschah aber nicht.
18
Spiegel online vom 1.10.1997 (http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/sensationen-elefantenkot-an-heiliger-jungfrau-a-44106.html).
14
Abb.: http://stacysuiga.wordpress.com/
Zumindest auf den ersten Blick scheint es allerdings so, als ob sich Ofilis „Holy Virgin Mary”, die Saatchi 1996 von Ofilis Galeristin
Victoria Miro in London erworben hatte, nahtlos in dieses Panoptikum der inszenierten Tabubrüche eingefügt hätte: Ein Marienbild,
eine schwarze Madonna noch dazu, verziert mit Elefantenkot
Abb.: https://www.youtube.com/watch?v=-p8PYqESlsg (Screenshot)
Abb.: http://www.theartblog.org/2010/01/chris-ofili-at-the-tate-britain/
und umschwirrt von Schnipseln („Cut Outs“) aus Pornoheften –
Abb.: http://www.cardus.ca/comment/article/2093/contemporary-art-and-the-return-of-religion/ (Ausschnitt)
es komplettierte offenbar die britische Variante der deutschen Zirkusshow „Menschen – Tiere – Sensationen“ um eine blasphemische Darbietung – jedenfalls bei oberflächlicher Betrachtung.
Zunächst war davon allerdings nicht viel zu bemerken. Zwar entrüsteten sich auch in Berlin, wo „Sensation“ ebenfalls erfolgreich war
und sogar um mehrere Wochen verlängert wurde, Besucher über die Ausstellung. Aber Ofilis „Holy Virgin Mary” stand in Berlin wie
schon in London nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit; dort standen die toten Tiere von Hirst, daneben auch Quinns Selbstporträt
und die Objekte der Chapman-Brüder:
„Hätte ich vorher etwas gegessen, würde ich es wieder auskotzen und als Kunst ausstelle?“, schmiert ein verärgerter Besucher ins
Gästebuch der Ausstellung junger britischer Kunst im Hamburger Bahnhof. Da sich die Besucher von „Sensatio?“ ihren Frust und ihre Begeisterung munter von der Seele schrieben, mußte das erste Buch schon durch ein neues ersetzt werden. Die Mitteilung „Ich
liebe den Totengeruch von Damia?“, niedergeschrieben von einem „Nick Roman, Züric?“ ist da eine der wenigen positiven Äußerungen zu den aufgeschnittenen Kühen und Schweinen, die der Künstler Damian Hirst in Formaldehyd konserviert präsentiert. Die
meiste Kritik entzündet sich an seinem lebenden Fliegenkäfig, in dem ein echter Rinderkopf langsam von den lieben Tierchen abgenagt wird. 19
René Krüger ... ist Aufseher bei der „Sensatio?“-Ausstellung im Hamburger Bahnhof und steht täglich vor einem der Exponate der
Saatchi-Sammlung junger englischer Künstler der Young British Artists. Am Anfang sei es schon unheimlich, gruselig und ein biß19
Der Tagesspiegel vom 8.12.1998 (http://www.tagesspiegel.de/kultur/die-spinnen-die-briten/67176.html).
15
chen ekelhaft gewesen, sagt er. „Doch nach ein paar Tagen habe ich mich auch an den blutigen Ochsenkopf mit den Fliegen drumherum gewöhn?“, sagt Krüger über seinen Job. ... „Einige der Kunstwerke hier sind schon ziemlich bruta?“, sagt er. Da gibt es zum
Beispiel den Blutkopf des Künstlers Marc Quinn. Das [Kunstwerk] hat Krüger und seine Kollegen anfänglich schaudern lassen. In einer gläsernen Gefriertruhe ausgestellt, wirkt der Kopf wie aus Schokolade. Das glaubte auch ein Besucher: „Als ich ihn aufklärte,
verschwand der gleich auf der Toilette?“ Oder der Baum mit den „Leichenteile?“ aus Kunststoff. Das Werk von Jake und Dinos
Chapman ... 20
Heftigen Wirbel um Ofilis „Holy Virgin Mary“ gab es aber dann auf der dritten Station der Wanderausstellung im New Yorker
Brooklyn Museum of Art, und zwar schon im Vorfeld:
Offenbar bevor er es überhaupt gesehen hatte 21, bezeichnete der damalige Bürgermeister von New York, der Katholik Rudolph Giuliani, das Bild als „sic?“ und „disgustin?“ 22. Dass Ofili Elefantendung verwendet hatte, verstand Giuliani als einen Angriff auf die Religion.
David R. Roediger, Professor für Geschichte und Afroamerikanische Studien, erinnerte sich später 23:
The soundbite was consistent if odd. Every time I returned to the hotel between meetings in New York City in late September 1999,
the radio news echoed Mayor Rudolph Giuliani’s charges: An artist had constructed a work by „throwing elephant dung at a picture
of the Virgin Mary,” and now the Brooklyn Museum was about to display it, using public money. Giuliani promised to punish this
„hate crime” by withdrawing museum funds.
Bürgermeister Giuliani verlangte die Entfernung des Werkes und drohte dem Museum Zuschüsse in Höhe von rund 7 Millionen USDollar zu streichen, wenn es sich weigerte 24. „There’s nothing in the constitution that says the public must fund the disturbing images
in this sho?“, sekundierte sein Stellvertreter Joe Lhota 25, ebenfalls katholischen Glaubens.
Später entschied der United States District Court for the Eastern District of New York 26, die Streichung der Mittel durch Bürgermeister Giuliani verstoße gegen die im 1. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten garantierte Meinungsfreiheit 27: „Bundesweit ist keine Angelegenheit ernstzunehmender als der Versuch von Regierungsbeamten, Kunstwerke zu zensieren und eine bedeutende kulturelle Institution in ihrer Vitalität zu bedrohen, um sie dafür zu bestrafen, dem Willen der Regierung nicht zu entsprechen.“
Zur Begründung führte Richterin Nina Gershon ergänzend an, „Sensation“ werde trotz aller Kontroversen von anderen anerkannten
Museen als öffentlich ausstellenswert beurteilt. Der Bürgermeister sah in dem Urteil eine „Kurzschlussreaktio?“ 28: „Man benutzt das
First Amendment als Schutzschild, um dem Steuerzahler das Geld aus der Tasche zu ziehen und es in die Taschen von Multimillionären zu stopfe?“. Und er empörte sich, ähnlich wie Lhota 29: „There’s nothing in the First Amendment that supports horrible and disgusting projects!”
Auch der Bischof von New York, Kardinal John Joseph O’Connor, entrüstete sich und sprach von einer „attack on our Blessed
Mother” 30. Der ebenfalls ob des Bildes erboste William Donohue, Präsident der „Catholic League for Religious and Civil Rights“, einer streitbaren katholischen Bürgerrechtsorganisation, meinte, das Gemälde würde Abscheu („revulsion“) hervorrufen 31 und verstieg
sich, auf Ofili und seine „Holy Virgin Mary“ bezogen, sogar zu der Äußerung, es sei kein Wunder, dass selbst Adolf Hitler als Künstler anerkannt wurde, brauchte er sich doch bloß als solcher zu bezeichnen, um in Künstlerkreisen willkommen zu sein 32.
Es muss erstaunen, dass weder Giuliani noch Donohue Anstoß an der Fotoarbeit „Wrecked“ von Sam Taylor-Wood (seit ihrer Heirat
2012 Taylor-Johnson) nahmen, die ebenfalls auf „Sensation“ ausgestellt wurde.
20
Berliner Zeitung vom 30.12.1998 (http://www.berliner-zeitung.de/archiv/ren--krueger-und-22-kollegen-bewachen-die--sensation
--ausstellung-im-hamburger-bahnhof-den--leichenbaum--wollen-alle-anfassen,10810590,9571562.html).
21
BBC News vom 23.9.1999 (http://news.bbc.co.uk/2/hi/455902.stm): „The mayor has not seen the exhibition himself, but has examined a
copy of the show's catalogue.“
22
Peter Plagens: Holy Elephant Dung!, Newsweek vom 4.10.1999 (http://www.newsweek.com/holy-elephant-dung-167884).
23
David R. Roediger: Smear Campaign. Giuliani, the Holy Virgin Mary, and the Critical Study of Whiteness, in: Colored White. Transcending the Racial Past, 2002, S. 28.
24
BBC News vom 23.9.1999 (http://news.bbc.co.uk/2/hi/455902.stm).
25
New York Daily News vom 8.5.2013 (http://www.nydailynews.com/new-york/mr-lhota-regrets-art-flap-article-1.1337886).
26
Brooklyn Inst. of Arts & Scis v. City of New York & Rudolph W. Giuliani, 64 F. Supp. 2d 184, 205 (E.D.N.Y. 1999).
27
First Amendment to the United States Constitution
Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof; or abridging the freedom of
speech, or of the press; or the right of the people peaceably to assemble, and to petition the Government for a redress of grievances.
28
The New York Times vom 2.11.1999 (http://www.nytimes.com/1999/11/02/nyregion/giuliani-ordered-to-restore-funds-for-art
-museum.html?pagewanted=all).
29
Zit. nach Robert Ayers: Red Groomss Chris Ofili Drawing, Blouin Artinfo vom 2011.2007 (http://www.blouinartinfo.com/news/story/26119/
red-groomss-chris-ofili-drawing).
30
Roediger: Smear Campaign. Giuliani, the Holy Virgin Mary, and the Critical Study of Whiteness, in: Colored White. Transcending the
Racial Past, S. 28.
31
BBC News vom 23.9.1999 (http://news.bbc.co.uk/2/hi/455902.stm).
32
catholicleague.org 10/1999 (http://www.catholicleague.org/beastly-exhibit-at-brooklyn-museum-of-art/).
16
Abb.: https://scrapofnowhere.wordpress.com/2011/06/07/sam-taylor-wood-hooked-on-a-feeling/
Sam Taylor-Wood (* 1967): Wrecked (1996)
Dieses Bild, angelehnt an Leonardo da Vincis „Abendmahl“, zeigt eine barbusige Frau an der Stelle von Jesus Christus 33.
Es ähnelt deshalb der Fotoserie „Yo Mama’s Last Suppe?“ von Renée Cox’, die keine zwei Jahre später, im Februar 2001, im New
Yorker Brooklyn Museum gezeigt wurde. Cox bildete sich selbst an der Position von Jesus Christus ab; alle Jünger sind, mit Ausnahme von Judas, Schwarze.
Bei Cox tobte Giuliani. Das Werk sei „disgusting” und „outrageous“ 34. Er kündigte an, dafür zu sorgen, dass so etwas nie wieder
passiert, indem er allen Museen, die öffentliche Mittel erhalten, gewisse „decency standards“ auferlegen wollte und mit einer Klage
bis zum Supreme Court drohte 35. In der Tat beschloss eine „Decency Commission“ später die Kürzung von Zuschüssen. Und auch
Donohue hatte sich zu der Ausstellung des „Last Supper“ von Cox wiederum zu Wort gemeldet: Er beschuldigte Cox, sie sei eine
unverantwortliche antikatholische Propagandistin. „... this is pushing the envelope” 36.
Abb.: http://arcthemagazine.com/arc/2012/06/fear-of-a-black-god-renee-coxs-yo-mamas-last-supper/
Renée Cox (* 1960): Yo Mama’s Last Supper (1996)
Warum hatten die beiden dann aber bei dem „blasphemisch grellen“ („Die Welt“) Abendmahl von Taylor-Wood geschwiegen? Der
auffälligste Unterschied: Anders als die blonde Taylor-Wood ist Cox (wie auch Ofili) dunkelhäutig, nämlich (afro-)jamaikanischer
33
2001 stellte sich Taylor-Woods übrigens in ihrem Kurzfilm „Pietà“ (https://www.youtube.com/watch?v=PyUWJqExw00) auch als Maria
dar, indem sie sich, Michelangelos römische „Pietà“ nachstellend, zwei Minuten lang mit dem Schauspieler Robert Downey jr. in ihrem
Schoß präsentiert.
Abb.: http://pictify.com/410645/christies-old-masters-artsy-pieta-by-sam-taylor-wood
34
Salon vom 21.2.2001 (http://www.salon.com/2001/02/22/renee_cox/).
35
Spiegel online vom 16.2.2001 (http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/kunst-kontroverse-warum-kann-jesus-nicht-weiblich-sein-a
-117846.html).
36
New York Times vom 21.2.2001 (http://www.nytimes.com/2001/02/21/nyregion/yo-mama-artist-takes-on-catholic-critic.html).
17
Herkunft. Und demzufolge ist „ihr“ weiblicher Jesus auch, wie Ofilis Madonna, keine Weiße ... ein bedeutungsloser Zufall 37?
Zurück zu Ofilis „Holy Virgin Mary”.
„We are concerned for the safety of that work because of the incredibly high level of rhetoric surrounding it”, sorgte sich nach solchen Äußerungen Arnold L. Lehman, Direktor des Brooklyn Museums, schon vor der Eröffnung 38.
Und in der Tat. Scott LoBaido, ein, wie er sich selbst bezeichnet, „creative Patriot“ und Künstler aus Staten Island, dessen Lieblingsmotiv die US-amerikanische Flagge ist („Flags Across Americ?“-Projekt 39), und der wohl nicht nur wegen dieser massenhaften
„jaw-droppingly tasteless and poorly executed patriotic paintings” als von besonderer Persönlichkeitsstruktur geprägt angesehen
werden muss 40,
Abb.: Scott LoBaido, http://www.scottlobaido.com/store/artist-signed-flags-across-america/
37
Zumindest bei Donohue spricht einiges dafür. Zum einen hatte er erklärt: „I don't care if Christ is depicted as a black man and black
woman. ... There would be no problem if you had kept your clothes on.” (New York Times vom 21.2.2001 [http://www.nytimes.com/2001/02/
21/nyregion/yo-mama-artist-takes-on-catholic-critic.html]). Zum anderen ist Donohue während seiner seit 1993 andauernden Präsidentschaft der „Catholic League“ außerdem noch gegen zahlreiche andere künstlerische Werke mit religiösem Bezug vorgegangen: Neben
zahlreichen Filmen (Kevin Smiths „Dogma“ / Ron Howards „The Da Vinci Code“ [dt.: „Sakrileg“] und „Angels & Demons [dt.: „Illuminati”] /
Christopher Weitz’ „The Golden Compass”), einer Fernsehserie (David Mansons „Nothing Sacred”), einigen Popsongs (Joan Osbornes „One Of Us” / Jessica Delfinos „My Pussy is Magic”) und einem ganzen Rockalbum (Marylyn Mansons „Holy Wood“) traf sein Zorn diverse
Kruzifix-Darstellungen
Abb.: Fales Library and Special Collections, NYU/The Estate of David Wojnarowicz und P.P.O.W. Gallery, New York, http://www.art-magazin.de/szene/37204/hide_and_seek_washington
Abb.: http://en.wikipedia.org/wiki/Piss_Christ
Abb.: http://en.wikipedia.org/wiki/Holy_Wood_%28In_the_Shadow_of_the_Valley_of_Death%29
Abb.: https://rhettgerardpoche.wordpress.com/
Abb.: Splash News, http://syntaxofthings.typepad.com/syntax_of_things/madonna_causes_cancer
David Wojnarowicz (* 1954; † 1992): A Fire in My Belly, A Work in Progress (1986/87) (Film)
Andres Serrano (* 1950): Piss Christ (1987) (Foto)
P. R. Brown / Marylyn Manson: Holy Wood (2000) (Plattencover)
Cosimo Cavallaro (* 1961): My Sweet Lord (2005) (Skulptur)
Madonna (* 1958): Confessions-Tour (2006) (Bühnenshow)
sowie die Verkörperung der Maria Magdalena in einem Videoclip durch Lady Gaga.
Abb.: http://www.bestmusic.ro/lady-gaga/stiri-lady-gaga/lady-gaga-marijuana-scena-poze-120101.html
Lady Gaga (*1986): Judas (2011)
38
CBS News vom 28.9.1999 (http://www.cbsnews.com/news/dung-hits-the-fan-in-nyc/).
„His greatest creative accomplishment thus far was ‚Flags across America’ where he drove across the United States, in 10 months, and
painted a large American flag on one rooftop in each of the 50 states. His goal was to ensure that all soldiers flying home from war would
look down and see an American Flag greeting them home … Scott’s mission was to make sure that the soldiers knew how grateful we all
are for their service to this great country, and to acknowledge the families of these great men and women, and of course express his pride
in being a free American.“ (So war es mehrere Jahre auf LoBaidos Homepage zu lesen; im Internet noch zu finden unter http://
web.archive.org/web/20130809015524/http://www.scottlobaido.com/flags-across-america/).
39
40
Siehe näher Mark Vallen’s Blog vom 9.9.2006 (http://art-for-a-change.com/blog/2006/09/abc-news-awards-artist-scott-lobaido.html); The
Guardian vom 30.6.2008 (http://www.theguardian.com/artanddesign/artblog/2008/jun/30/scottlobaidocriticormonste).
18
warf schon am 30. September 1999, noch vor der Eröffnung der Ausstellung, Pferdemist an die Fassade des Brooklyn Museums.
Von der Polizei festgenommen, erklärte er, er habe sich schöpferisch ausdrücken wollen und verwies spöttisch auf das Bild von Ofili,
den er des „Catholic bashin?“ beschuldigte 41.
Schon beim Pressetermin vor der offiziellen Eröffnung stürzten sich nun Medienvertreter auf das Werk.
Abb.: http://populaw.blogspot.de/2010/12/fire-in-my-belly.html
Und das Museum schützte daraufhin Ofilis „Holy Virgin Mary“.
Abb.: http://pixgood.com/chris-ofili-the-holy-virgin-mary-detail.html
Mitte Dezember 1999 gelang es dennoch einem 72-jährigen Mann namens Dennis Heiner, ein pensionierter Lehrer, das Gesicht
und den Oberkörper der Madonnen-Gestalt zu überschmieren,
Abb. Phillip Jones Griffiths: http://art-damaged.tumblr.com/post/22091656439/chris-ofili-the-holy-virgin-mary-paint-in
41
artcrimes.net vom 16.12.1999 (http://www.artcrimes.net/holy-virgin-mary).
19
bevor ihn die Sicherheitskräfte des Brooklyn Museums festnehmen konnten 42.
Abb.: Phillip Jones Griffiths, http://censoredartontrial.blogspot.de/
Eigentlich hatte Heiner seine Aktion schon am ersten Tag der Ausstellung vorgehabt, zu großer Andrang ließ ihn da noch Abstand
nehmen und auf die ruhigere Weihnachtsferienzeit warten. Zufällig – zufällig? – war just an diesem Tag der bekannte, hochdekorierte Kriegsfotograf Phillip Jones Griffiths mit seiner Tochter im Museum, zufällig gerade in der Nähe der „Holy Virgin Mary“, er hatte
zufällig seine Kompaktkamera griffbereit und schoss eine Serie Fotos von dem Kunstattentat.
Die Ehefrau Heiners gab später an, ihr Mann habe als strenggläubiger Katholik gegen die „Gotteslästerung“ und „Beleidigung der
Christen“ protestieren wollen 43. Den Elefantenkot und die Ausrisse aus Pornomagazinen auf dem Bild habe er für frevelhaft gehalten. Am Morgen der Tat habe er gesagt 44: „Das soll das Bild der Mutter Jesu sein, ich werde hingehen und es reinigen?“ 45
Heiner wurde wegen „kriminellen Unfugs“ („criminal mischief in the second degree“) zu einer bedingten Freiheitsstrafe verurteilt, die
ihm gegen Zahlung eines Geldbetrages von 250 US-Dollar erlassen wurde.
Nach den Kontroversen um Ofilis Bild in New York wurde die für Juni 2000 bereits geplante weitere Ausstellung in der National Gallery of Australia in Canberra abgesagt 46.
2014 kehrte „The Holy Virgin Mary” im Rahmen der großen Ofili-Retrospektive „Day and Night“ im New Museum nach New York zurück. Es gab keine besonderen Vorkommnisse – das Bild wurde bewundert, aber auch bewacht.
Abb.: Julia Vitullo-Martin, http://untappedcities.com/2014/12/09/denounced-in-1999-celebrated-today-chris-ofili-in-spectacular-new-museum-show-night-day-in-nyc/
Abb.: melidacaric, http://art.browzen.com/p/S9futH
42
„On December 18, 1999, Heiner visited the museum during the less busy winter holiday season. He arrived, made his way to the painting, and enacted his plan. Ofili’s painting had been propped against the wall, and there was a glass pane hanging four feet in front of it, although the sides of the painting were unprotected. Heiner pretended to feel faint in order to bypass one guard, getting closer to the painting,
and then expressed these same false symptoms with a second guard in order to lean near the wall by the painting. After readying himself,
Heiner slipped between the painting and the glass pane, produced a plastic tube filled with white paint, and began smearing the paint all
over the painting with his hand. After he was done, he emerged from behind the pane, and stood patiently while the guards asked him to
stay where he was, and he did so.“ (http://censoredartontrial.blogspot.de/).
Abb.: Phillip Jones Griffiths, http://censoredartontrial.blogspot.de/
43
CBS News vom 17.12.1999 (http://www.cbsnews.com/news/artists-virgin-mary-defaced/).
SFGate vom 17.12.1999 (http://www.sfgate.com/news/article/Controversial-Madonna-Art-Marred-Man-72-2889708.php).
45
„His wife had spoken to him about what specific kind of paint to utilize. ... ‚I told him to take white paint because I like the color better than
red. White indicates cleanliness‘. she said. ... ‚He was trying to clean the painting. I encouraged him to do it.‘“ (http://censoredartontrial.
blogspot.de/).
46
The Telegraph vom 28.1.2010 (-).
44
20
(Nur) zwei andere Mariendarstellungen in Werken von Weltruf durch zwei ganz große Künstler – einen Maler und einen Filmemacher – haben in den letzten 100 Jahren ähnlich große Aufregung in katholischen Kreisen hervorgerufen.
Abb.: http://www.museenkoeln.de/home/bild-der-woche.aspx?bdw=2006_11
Max Ernst: Die Jungfrau züchtigt das Jesuskind vor drei Zeugen: André Breton, Paul Éluard und dem Maler (1926). Köln, Museum Ludwig
Innerhalb der Malerei 47 wäre das 1926 entstandene Gemälde des deutschen Surrealisten Max Ernst (* 1891; † 1976) „Die Jungfrau
züchtigt das Jesuskind vor drei Zeugen: André Breton, Paul Éluard und dem Maler“ anzuführen, das im Pariser „Salon des Indépendants“ einen Skandal auslöste. „Die Franzosen sind doch alle sehr katholisch, selbst wenn sie ungläubig sind“, kommentierte Ernst
dies später 48.
Der Marburger Philosoph Joachim Kahl beschreibt das Bild mit Blick auf die Darstellung der Maria 49:
Die Mutter Gottes, jahrhundertelang verehrt und verklärt als Inbild weiblicher Sanftmut, Milde und Duldsamkeit – hier
entzaubert sie sich selbst. Dass sie bereits mehrfach kräftig zugeschlagen haben muss, verraten die geröteten Gesäßbacken ihres Söhnchens, dessen Schreie im blauen Wickeltuch nur gedämpft zu hören sind. Auf klassischen
Marienbildern schauen die Mutter und ihr nacktes Kind in der Regel den Betrachter frontal an – mit lieblichem Blick,
die Hände zum Gebet gefaltet oder zum Segensgruß erhoben. Hier dagegen sind Marias weit geöffneten Augen starr
auf das Hinterteil ihres Sohnes gerichtet, das seinerseits – anstelle des Gesichtes – dem Betrachter zugewandt ist.
Die große Tradition des abendländischen Marienbildes findet einen provokativ blasphemischen Endpunkt. Menschlich
– Allzumenschliches nimmt den Platz ein, der einst für ein göttlich inspiriertes Heilsgeschehen von kosmischem Rang
reserviert war.
47
Zwei weitere bildnerische „Maria mit Kind“-Darstellungen, künstlerische Bearbeitungen von Abbildungen nationaler religiöser Heiligtümer
zweier katholischer Staaten, lösten große Aufregungen aus, die allerdings auf das jeweilige Land beschränkt blieben: Zum einen ging es
1994 um ein Titelbild des polnischen Nachrichtenmagazins „Wprost“ zum Thema Umweltverschmutzung, auf dem die „Schwarze Madonna
von Tschenstochau“ (zu dem Bild noch später) um Gasmasken für Maria und Kind ergänzt war. Zum anderen betraf es in der „Afera Strelnikoff“ das 1814 von Leopold Layer (*1752; † 1828) gemalte Bild „Marija Pomagaj” („Maria Hilf”) in der Bazilika Sv. Vida in Brezje, Slowenien, das die slowenische Punk-Band „Strelnikoff“ 1998 als Protest gegen Äußerungen slowenischer katholischer Würdenträger zum Thema Abtreibung mit einer Ratte anstelle des Jesuskindes in Marias Arm als Plattencover verwendete.
Abb.: http://www.wprost.pl/ar/379162/30-lat-Wprost-Tabulamacz-Wprost/?pg=1
Abb.: http://en.wikipedia.org/wiki/Strelnikoff_Mary_of_Help_of_Brezje_controversy
Wprost vom 21.8.1994
Strelnikoff: Bitchcraft (1998)
48
Ernst, Der Spiegel 9/1970 (http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45202882.html).
Joachim Kahl: Philosophische Bildmeditation zu Max Ernst – Die Jungfrau züchtigt den Jesusknaben vor drei Zeugen, o.J. (http://
www.atheodoc.com/buch-14/diskurs-14-22/).
49
21
Anstoß erregte damals allerdings weniger die körperliche Züchtigung des Jesuskindes durch Maria 50 als das hierdurch ausgelöste
Herunterfallen seines Heiligenscheines – in dessen Mitte Ernst auch noch, wenngleich kaum erkennbar, seine Signatur gesetzt hatte.
Abb.: http://paedagogische-streitzschrift.blogspot.de/ (Ausschnitt)
Danach wurde das Bild auf einer Ausstellung der „Kölner Sezession“ im Kölnischen Kunstverein gezeigt, wo die Resonanz noch heftiger ausfiel. Der Kölner Erzbischof Karl Joseph Schulte erzwang nicht nur die Schließung der Ausstellung gleich am Eröffnungstag;
er exkommunizierte auch noch Ernst, der aus einer streng katholischen Lehrerfamilie aus dem benachbarten Brühl stammte (getauft
worden war er sogar auf den zweiten Vornamen „Maria“), auf einer Katholikenversammlung wegen Gotteslästerung, wie Ernst später erzählte 51: „Der Maler Max Ernst ist aus der Kirche ausgeschlossen, und ich rufe die Versammlung auf zu einem dreimaligen
‚Pfui‘.“ Eine strafrechtliche Reaktion erfolgte jedoch nicht 52.
50
Dem entsprechend sind auch aktuell auf eine Zeichnung des deutschen Cartoonisten Joachim Tiedemann („tiede“), der 2013 das Motiv
der schlagenden Maria wieder aufnahm, überhaupt keine Reaktionen von Kirche oder gar Staatsanwaltschaft bekannt geworden.
Abb.: http://de.toonpool.com/cartoons/Sch%C3%B6ne%20Feiertage_214656
51
Ernst, Der Spiegel 9/1970 (http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45202882.html).
52
Zu Recht. Dass Ernst hier nicht „in beschimpfenden Äußerungen Gott lästert“ und auch nicht „eine der christlichen Kirchen … oder ihre
Einrichtungen oder Gebräuche beschimpft“, wie es der damalige Gotteslästerungstatbestand § 166 RStGB erforderte, zeigen sowohl der
biographische wie auch der ikonographische Hintergrund:
Ernst erklärte 1936, zehn Jahre nach der Schaffung seines Ölgemäldes zum Hintergrund des Bildes, er habe 1896 urplötzlich und unbeobachtet sein Elternhaus als kleiner, blauäugiger und blondgelockter Fünfjähriger in einem roten Nachthemd und einer Kinder-Peitsche in
der Hand verlassen. Pilger, auf Marienwallfahrt in das niederrheinische Kevelaer, hätten ihn aufgegriffen und ihn „Christkind“ genannt.
Sein Vater Philipp Ernst, ein Hobbymaler, schuf ein entsprechendes Bild von seinem Sohn.
Abb.: http://jimmyernst.net/pages/book4.html
Philipp Ernst (* 1862; † 1942): Max Ernst als Jesuskind (1896)
Dieses Bild ordnete Max Ernst dann seiner „Maria“ zu. Er kommentierte: „Obwohl ich also das Jesuskind war, bin ich von meiner Mutter,
die das Modell für die Madonna abgab, versohlt worden.“
22
Abb.: http://www.movieposterdb.com/poster/633da217
Abb.: http://www.moviepilot.de/movies/maria-und-joseph/images
Die andere große Aufregung rief knapp 60 Jahre später die Mariendarstellung im Spielfirm „Je vous salue, Marie“, eine Art moderne
Bibelverfilmung, hervor.
„Je vous salue, Marie“ ist ein Werk des schweizerisch-französischen Filmemachers Jean-Luc Godard aus dem Jahre 1984. Der für
die deutsche Fassung ziemlich unglücklich übertragene Titel „Maria und Joseph“ verbirgt, dass es hier um die Anfangsworte eines
der wichtigsten katholischen Gebete, des „Ave Maria“ („Gegrüßet seist Du, Maria“) geht, und zwar um die Worte, mit denen der Erzengel Gabriel Maria bei der „Annuntiatio Domini“, der Verkündigung des Herrn, anredet 53.
Der aus einer streng protestantischen Familie stammende Godard unternimmt es in dem Film, das Sakrale und die Frage nach der
Schöpfung in die profane Alltäglichkeit eines modernen Lebens zu verpflanzen, indem er die biblische Geschichte der unbefleckten
Empfängnis Marias in die Gegenwart und in die Schweiz überträgt.
Aus dem Inhalt:
Die junge Marie ist Tochter eines Tankstellenpächters und
spielt in einer Basketballmannschaft. Sie ist verlobt mit dem
Taxifahrer Joseph, lehnt jedoch die körperliche Liebe ab. Marie will unberührt in die Ehe gehen. Eines Tages eröffnet ihr
ein geheimnisvoller Fremder namens Gabriel (der nicht auf
Engelsschwingen, sondern per Flugzeug angeflogen kommt),
dass sie schwanger sei und ein Kind gebären werde. Marie
ist fassungslos. Als sie Joseph davon erzählt, ist er weder
willens noch fähig, das Unbegreifliche zu akzeptieren. Auch
Marie fällt es sehr schwer zu verstehen, dass etwas auf unerklärliche Weise von ihr Besitz ergriffen hat. Dann weicht jedoch die anfängliche Skepsis und sie nimmt das Wunder als
gegeben an. Joseph jedoch bedrängt Maria weiterhin eifersüchtig, ihm zu sagen, mit wem sie geschlafen habe. Selbst
der Besuch Maries beim Gynäkologen schafft zunächst keine
Abhilfe. Aber langsam fügt Joseph sich in die ihm zugewiesene Rolle. Schließlich verspricht er Marie, bei ihr zu bleiben
und sie nicht zu berühren.
Der Film lief in Frankreich am 23. Januar 1985 in französischen Kinos an. In zahlreichen Städten entfachte das Werk Widerstände
von konservativen katholischen Kreisen, die ihm Gotteslästerung, Obszönität und Verhöhnung des christlichen Glaubens vorwarfen.
Es kam zu Klagen, Aufführungsverboten, Anschlägen und mit Gewalt und Störungen erzwungenen Abbrüchen von Vorstellungen.
Zitiert wird mit dem Gemälde zudem das klassische Sujet des „Amor poenitu?“, des von Venus gezüchtigten Amorknaben, ein vor allem im
17. und 18. Jahrhundert beliebtes Motiv: Die Göttin Venus bestraft ihren Sohn Amor, weil er Unfug angestellt hat. Auf manchen Darstellungen legt sie ihn dazu wie in dem Gemälde von Max Ernst über das Knie.
Abb.: http://latander.livejournal.com/392983.html?thread=1476631
Odoardo Fialetti (* 1573; † um 1638) Vénus corrigeant l'Amour (1. Viertel des 17. Jh.). Nancy, Musée des beaux-arts
Jean Baptiste Regnault (* 1754; † 1829): Le châtiment de Cupidon. Privatbesitz
53
„Der Engel trat bei ihr ein und sagte: Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir.“ (Lk 1, 28).
23
Auch in der Bundesrepublik Deutschland, wo der Film am 12. April 1985 startete, übten katholische Kreise heftigen Protest gegen
den Film 54.
Papst Johannes Paul II. soll sich den Film in Rom vorführen lassen haben 55. Ende April 1985 erklärte er: „Der Film beleidigt und
entstellt die fundamentalen Lehrsätze des christlichen Glaubens und entweiht seine geistliche Bedeutung und seinen geschichtlichen Wert und verletzt zutiefst die religiösen Gefühle von Gläubigen und den Respekt für das Heilige und die Jungfrau Maria, die
von Katholiken mit so viel Liebe verehrt wird und Christen so lieb ist.“ 56 Es war das erste Mal, dass sich ein Papst gegen einen einzelnen Film wandte.
Es sind wohl vor allem drei Aspekte, die zahlreiche Katholiken an dem Film als Kränkung empfanden: Zunächst die Darstellung Maries/Marias als moderne Frau, die Basketball spielt und zum Gynäkologen geht 57, dann ihre menschliche, wenig biblische Reaktion
(die zunächst ausbleibende „Humilatio“, also die Unterwerfung unter den göttlichen Willen) auf die Verkündigung ihrer jungfräulichen
Empfängnis 58 und schließlich die häufige Nacktheit der Marie-Darstellerin Myriem Roussel 59.
Abb.: http://www.famousboard.com/threads/43627-Myriem-Roussel
Zurück zu Ofilis „Holy Virgin Mary“.
Das Werk war 2007 von dem australischen Kunstsammler David Walsh (* 1962) – der sich, wie er sagte, von einem Katholiken zu
einem „rabid atheist” 60 gewandelt hatte – erworben worden. Seit 2011 wurde Ofilis Bild in Walshs neu eröffnetem privaten Museum
of Old and New Art (MONA) im tasmanischen Hobart ausgestellt – mit ungewöhnlicher Ehrerbietung 61: „When we hung it in the gallery I put a throne in front of it. A painting fit for a king. Or queen. Or something in between.”
54
„In Hamburg hat die ‚Vereinigung deutschsprachiger Bürgerinitiativen zum Schutz der Menschenwürde‘ bei der Staatsanwaltschaft Strafanzeige gegen die Aufführung des Films erstattet. Vor dem Freiburger Programmkino ‚Kandelhof‘ bauten Protest-Katholiken vier Wochen
lang allabendlich ein Sühnekreuz auf, vor dem sie, Rosenkränze betend, bis zum Filmende ausharrten. In Fulda intervenierte ein Anrufer
des Gemeindevikariats bei der Stadt. Die gab ‚pflichtschuldig‘ die bischöfliche ‚Bündelung‘ von ‚etwa zwanzig‘ Beschwerden an den Kinobesitzer weiter; der zog den Film zurück und spielte statt dessen Simmel. Ein Koblenzer Unternehmer wiederum zog den Film zurück, weil
er mit der Kirche am Ort ‚geschäftlich zusammenarbeitet‘. Katholische Aktivisten vor Paderborns ‚Studio‘-Kino photographierten Kassenschlangen und beschwerten sich per Transparent über Godards ‚Gotteslästerung‘.“ Der Spiegel 22/1985 (http://www.spiegel.de/spiegel/
print/d-13515255.html).
55
Siehe aber Günter Rombold: Bilder – Sprache der Religion, 2004, S. 85: „Man kann davon ausgehen, dass der Papst den Film gar nicht
gesehen hat.“
56
L’Osservatore Romano vom 30.4.1985, zit. nach Wikipedia (http://de.wikipedia.org/wiki/Maria_und_Joseph).
57
Jedenfalls insoweit haben sich die Zeiten geändert: Am zweiten Weihnachtsfeiertag 2014 strahlte die ARD den vom Saarländischen
Rundfunk produzierten Tatort-Krimi „Weihnachtsgeld“ (Regie: Zoltan Spirandelli / Buch: Michael Illner) aus, der, offenbar auch mit leichten
Anspielungen an den Godard-Film, die Geschichte die hochschwangere Sizilianerin Maria (gespielt von Fanny Krausz) erzählt, die mit ihrem zufälligen Taxifahrer (!) Jupp (also Josef) nach Sizilien flüchten will und unterwegs mit ihm (und einer Hebamme) ein Kind („Jesu
Giovanni Jens Jupp“) in einer Scheune gebärt. Der Film bekam zwar in der Presse mäßige Kritiken („Krimineller Krippenspiel-Klamauk“ [RP
online] / „wabert zwischen Lachnummer und Weihnachtsgeschichte“ [Süddeutsche Zeitung] / „plumper Quatsch, mutmaßlich im Glühweinrausch ersonnen“ [Spiegel online]) – aber keine Anwürfe in Richtung Blasphemie.
Abb.: SR, http://www.tvspielfilm.de/kino/filmarchiv/film/tatort-weihnachtsgeld,6315265,ApplicationMovie.html
58
„Maria aber sprach: Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast. …“ (Lk 1, 38).
59
Godard soll, so wird häufig gemutmaßt, für das nackte Auftreten der damals erst 21-jährigen Roussel nicht ausschließlich künstlerische
Beweggründe gehabt haben.
60
Gabriella Coslovich: The collector, The Age vom 14.4.2007 (http://www.theage.com.au/news/arts/the-collector/2007/04/12/
1175971260216.html?page=fullpage).
61
David Walsh: The man from Mona, Christie’s vom 22.6.2015 (http://www.christies.com/features/David-Walsh-The-Man-from-Mona-62933.aspx).
24
Abb.: Christie’s, http://www.christies.com/features/David-Walsh-The-Man-from-Mona-6293-3.aspx
Dass Walsh (der übrigens sein Vermögen mit Sportwetten und der Entwicklung von Glücksspiel-Systemen gemacht hat) dieses
Werk aus der Ausstellung „Sensation“ gekauft hat, muss auf den ersten Blick verwundern 62. Er hatte 1999, nachdem er die New
Yorker Ausstellung gesehen hatte, die Werke heftig kritisiert 63:
Meine Einstellung zu den in dieser Ausstellung gezeigten Werken ist negativ. Ich glaube nicht, dass es sich im Ganzen genommen
um besonders ernsthafte oder herausfordernde Arbeiten handelt. Einige, die sich bemühen zu schockieren oder zu verunsichern,
erzielen durchaus Wirkung, und es gehören offensichtlich einige talentierte Maler und Bildhauer zu dieser Gruppe, aber im Großen
und Ganzen wirken die Arbeiten überzogen und wenig aussagekräftig. ...
Im Fall der Künstler von Sensation ... entpuppt sich das, was eigentlich Frische und Originalität atmen sollte, als gestellt und sensationshaschend. Und die Tatsache, dass einige der Künstler ihre Oberflächlichkeit und Unaufrichtigkeit noch mit allen Mitteln herausstreichen, ändert, was immer es über ihre moralischen Qualitäten aussagen mag, nichts am Charakter der hier ausgestellten Kunst.
Ein Kunstwerk dringt entweder tief in die Dinge ein oder es tut dies nicht und diese, glaube ich, tun es im Großen und Ganzen nicht.
Es sind zu viele Künstler hier vertreten, die den Weg des geringsten Widerstands gegangen sind. ...
Wenn man Saatchi nach den Werken beurteilt, die er gekauft und für die Ausstellung ausgewählt hat, dann gefallen ihm offensichtlich Cleverness und Selbstgewissheit. Bedauernswerterweise schätze ich derartige Qualitäten in der Kunst am allerwenigsten.
Allerdings hatte er Ofili und dessen „Holy Virgin Mary“ von seinem Urteil ausgenommen:
Ofili ... ist einer der ernsthafteren Maler und seine Heilige Maria ... gehört zu den interessantesten Ausstellungsstücken. Das Werk ...
zählt zu den wenigen etwas unter die Haut gehenden Arbeiten. Ofili hat die religiöse Ikone als schwarze Frau gemalt, die von Engeln umgeben ist, die wiederum aus ausgeschnittenen Hinterteilen aus Pornoheften hergestellt wurden. Der berüchtigte Elefantenmist, aus dem ihre Brust geformt ist, sieht einfach aus wie ein Klumpen trockener Erde oder Lehm. Jedenfalls ist Ofili einer der Wenigen in der Ausstellung, die die von ihnen gewählten Materialien in einer persönlichen Art verwandelt haben und ihre Subjektivität
ins Rampenlicht zu stellen wagten. Ihre Unangepasstheit lässt seine Gemälde aus einer Gruppe steriler Werke herausragen, von
denen zu viele den Eindruck hinterlassen, als seien sie von Maschinen produziert worden.
Man kann dem vielleicht noch hinzufügen (obgleich die Meinungen hierzu weit auseinandergehen):
Auch wenn noch zu wenig Zeit vergangen ist, um das endgültig beurteilen zu können, mag einiges dafür sprechen, die Gruppe der
„Young British Artists“ um ihren Mentor, dem so gar nicht dem klassischen Kunstförderer und -händler entsprechenden Werbetycoon Saatchi, als Prototyp einer neuen Epoche, der vielzitierten „Postmoderne“ in der Kunst zu begreifen.
Nachdem die seit dem Revolutionsklassizismus Jacques-Louis Davids (* 1748; † 1825) bis zur Generation der „Wegbereiter“
(Cézanne, Seurat und die Pointilisten, Gauguin und die Schule von Pont Aven, der in Frankreich wirkende van Gogh) fest in französischer Hand befindliche Moderne der Bildenden Kunst in der „Klassischen Moderne“ europäisiert wurde (die deutschen Expressionisten, die italienischen Futuristen, die russischen Konstruktivisten) und in der „Zweiten Moderne“ durch die US-amerikanischen
62
Walsh erwarb allerdings für sein Museum außerdem aus der „Sensation“-Ausstellung die Skulptur „Great Deeds Against the Dead“ der
Chapman-Brüder und Mat Collishaws „Bullet Hole“. Außerdem erstand er von Hirst ein dem dortigen Ausstellungsexponat ähnliches „Spin
Painting“ sowie von Jenny Saville, einer weiteren bei „Sensation“ vertretenen Künstlerin, ein Bildnis des transsexuellen Fotografen Del
LaGrace Volcano, ebenfalls im Stil ihrer dort gezeigten (Akt-)Gemälde (siehe dazu sogleich).
Abb.: http://flickrhivemind.net/Tags/moorillawinery/Interesting
Abb.: MONA, http://www.blouinartinfo.com/news/story/1176309/monas-david-walsh-to-divest-iconic-yba-works-at-christies
Damien Hirst: Beautiful mis-shapen purity clashing excitedly outwards painting (1995)
Jenny Saville: Matrix (1999)
63
David Walsh: Anmerkungen zur umstrittenen Ausstellung „Sensatio?“ im Brooklyn-Museum von New York, World Socialist Web Site vom
3.11.1999 (https://www.wsws.org/de/articles/1999/11/sens-n03.html).
25
Abstrakten Expressionisten und Pop-Artisten die gesamte westliche Hemisphäre umspannte, ging, so könnte man postulieren, mit
dem Zusammenbruch des Ostblocks und der zudem die „Dritte Welt“ umfassenden totalen Globalisierung (auch) der Kunst und des
Kunstmarktes fast genau 200 Jahre nach der Französischen Revolution die Kunstepoche der Moderne zu Ende. Vermutlich ist der
Neoexpressionismus der 1980er Jahre („Transavanguardia“ in Italien, „Figura Libre“ in Frankreich, „Neue Wilde“ in Deutschland,
„New Image Painting“ in den USA) der letzte einheitliche internationale Stil der „abendländischen“ Moderne in der Bildenden Kunst,
der letzte „Ismus“ 64 in der Malerei gewesen.
Das Streben der Moderne, ständig etwas Neues zu schaffen, und die dazu verwendeten, seit Jahrhunderten kontinuierlich entwickelten künstlerischen Mittel gelten der Postmoderne als automatisiert, etabliert und überholt. Charakteristisches Element der Postmoderne ist ein extremer Stilpluralismus. Die Postmoderne erschließt sich durch Grenzüberschreitungen zwischen Gattungen und
Genres eine Vielfalt neuer Ausdrucksformen. Dabei werden Grenzen zwischen Kitsch und Kunst, Massenkultur und elitärer Kunstauffassung bewusst verwischt. Der Grundsatz, dass nichts Neues zu schaffen sei, macht die Anwendung von Zitaten zu einem wesentlichen Stilmerkmal postmoderner Kunst. Weitere allgemeine Merkmale sind der Bruch von Konventionen und Verspieltheit. Ein
sozialer oder gesellschaftspolitischer Auftrag von Kunst wird negiert.
Auf den kürzesten Nenner dürfte Gerhard Richter (* 1932), der stilistisch äußerst heterogene Ahnherr der Postmoderne 65, die Intention des postmodernen Künstlers schon 1966 in einer Notiz beschrieben haben 66:
Ich verfolge keine Absichten, kein System, keine Richtungen;
ich habe kein Programm, keinen Stil, kein Anliegen.
Dem entspricht es beispielsweise, wenn Damien Hirst, der Mittelpunkt von „Sensation“, neben seinen eingelegten und vergammelnden Tieren mit zwei weiteren Werken auf der Ausstellung vertreten war, nämlich einem „Spot Painting“ und einem „Spin Painting“ –
weitgehend aussagefreie Exemplare aus einer Vielzahl von ähnlichen Werken aus einer (inzwischen) überwiegend in die Hand von
Gehilfen gelegten Kunstproduktion.
Abb.: Prudence Cuming Associates © Damien Hirst and Science Ltd., http://www.damienhirst.com/argininosuccinic-acid
Abb.: Prudence Cuming Associates © Damien Hirst and Science Ltd., http://www.damienhirst.com/beautiful-kiss-my-fucking-ass
Argininosuccinic Acid (1995)
Beautiful, kiss my fucking ass painting (1996)
Auch Emins installierte Bettgeschichten, das Spiel mit Gewaltdarstellungen und Kinderpornographie bei den Chapmans, die Abbildung von Mörderinnen, toten Vätern, Blutköpfen oder überdimensionierten Wunden bei Harvey, Mueck, Quinn und Collishaw „passen“ genauso wie die nicht gerade „sensationellen“, aber doch als „Sensatiönchen“ beachteten Arbeiten von Sarah Lucas, Jenny
Saville oder Gavin Turk auf der „Sensation“-Ausstellung: anzügliches Sofa, fette Frau, schießende Pop-Ikone.
64
Hans Arp und El Lissitzky prägten 1925 den Begriff „Kunstismen“.
Auf Richters Homepage kann man dazu lesen: „Charakteristisch für Gerhard Richters Werk ist, dass er sich im Verlauf der Jahre bis heute immer wieder neu und grundlegend mit der Malerei an sich auseinandersetzt. Seine Werke lassen sich nicht einem bestimmten Stil oder
‚Ismus‘ zuordnen, oftmals wird für seine Kunst sogar vom Prinzip des Stilbruchs gesprochen.“ (http://www.gerhard--richter.de/).
66
Und weiter: „Ich halte nichts von fachlichen Problemen, von Arbeitsthemen, von Variationen bis zur Meisterschaft. Ich fliehe jeder Festlegung, ich weiß nicht, was ich will, ich bin inkonsequent, gleichgültig, passiv; ich mag das Unbestimmte und Uferlose und die fortwährende
Unsicherheit. Andere Eigenschaften dienen der Leistung, der Werbung, dem Erfolg, sie sind in jedem Fall überholt wie Ideologien, Ansichten, Begriffe und Namen für etwas. Nachdem es keine Priester und Philosophen mehr gibt, sind die Künstler die wichtigsten Leute auf der
Welt. Das ist das Einzige, was mich interessiert?“ Gerhard Richter: Notizen 1966, in: Text 1961 bis 2007. Schriften, Interviews, Briefe,
2008, S. 46.
65
26
Abb.: http://www.saatchigallery.com/aipe/sarah_lucas.htm
Abb.: http://www.saatchigallery.com/artists/jenny_saville.htm
Abb.: http://gavinturk.com/artworks/image/43/
Sarah Lucas (* 1962): Au Naturel (1994)
Jenny Saville (* 1970): Plan (1993)
Gavin Turk (* 1967): Pop (1993)
Zu alledem „passt“ Ofilis „Holy Virgin Mary“ dagegen nur sehr bedingt.
Ofili ist – auch in Ansehung der kurzen Blüte der „Harlem Renaissance“ der 1920er Jahre 67 und dem in ihrer Tradition stehenden,
schon erwähnten David Hammons – neben seinem New Yorker „older hip-hop cousin“ 68 Jean-Michel Basquiat 69 der erste Schwarze, der in der von Weißen dominierten Bildenden Kunst eine exponierte Rolle eingenommen hat. Ofili hatte damals, wenig postmodern, sehr wohl „Absichten, System, Richtung, Programm, Stil, Anliegen“ in seiner Malerei: die Auseinandersetzung mit seinen afrikanischen Wurzeln, die katholischen Prägung in seiner Jugend, das Interesse an der HipHop-Kultur. Er negierte, konterkarierte und
veralberte mit seiner Kunst nicht die Moderne, sondern ergänzte sie, stellte neben die christlich-abendländische Tradition afrikanische und afro-amerikanische Lebensvorstellungen 70. Seine „Elefantendung“-Malerei steht damit durchaus (auch) in der Tradition der
Moderne, irgendwo zwischen Phantastischem Realismus, Art Brut, Pop Art und Neoexpressionismus.
Was für ein Unterschied beispielsweise zu den Chapman-Brüdern, die 2011 eine „Hodegetria“ (althergebrachte Mariendarstellung
mit dem Jesuskind auf dem linken Arm) auf der Londoner „Frieze Art Fair“ ausstellten – „The Milk of Human Weakness II“ „schockt“
67
Siehe dazu noch später.
New York Village Voice vom 12.11.2014 (http://www.villagevoice.com/2014-11-12/art/chris-ofili-night-and-day-review-new-museum/).
69
Ohne das hier zu vertiefen: Von Basquiat gibt es beispielsweise ein auch als Jesus“ tituliertes Bild von 1981, das eine im neoexpressionistischen Stil gemalte Person mit Dornenkrone und nackten Geschlechtsorganen zeigt.
68
Abb.: https://unamenteabrumada.wordpress.com/tag/olmalerei/
Jean-Michel Basquiat (* 1960; † 1988): Untitled (1981). Privatbesitz
70
Es sei nur kurz angedeutet, dass der zweite Schwarze unter den „Sensation“-Künstlern, Yinka Shonibare (wie Ofili Engländer mit nigerianischen Wurzeln), farbenfrohe, afrikanisch wirkende Baumwollstoffe („Waxprints“) in einen europäischen Kontext stellte, indem er kopflose Figuren, die wie Schaufensterpuppen wirken, in daraus geschneiderte Gewänder im viktorianischen Stil hüllte. Auch für ihn waren die
„Young British Artists” nur ein „art movement ... one with which he was associated by circumstance“. New York Times vom 17.6.2009
(http://www.nytimes.com/2009/06/21/arts/design/21sont.html?pagewanted=all).
Abb.: https://www.pinterest.com/pin/473863192013895915/
Yinka Shonibare (* 1962): How Does a Girl Like You, Get to Be a Girl Like You? London, Saatchi Gallery
27
durch offenbar eher wenig bedeutungsschwangere Missgestaltungen der Gesichter von Mutter und Kind 71. Die Chapmans suchen
mit ihrer Kunst die Provokation, den Skandal, die „Sensation“. Ofili nicht.
Abb.: http://ramblingmuse.com/2011/10/12/explore/frieze-art-fair-2011-rambling-muse-review/
Im Juni 2015 dann aber der Paukenschlag: Walsh bot über das Auktionshaus Christie`s in London vier seiner Werke der „Young
British Artists“ zum Verkauf an – darunter auch Ofilis „Holy Virgin Mary“.
Abb.: http://www.christies.com/lotfinder/paintings/chris-ofili-the-holy-virgin-mary-5916865-details.aspx (Screenshot, Ausschnitt)
Walsh erklärte dazu 72: „Selling isn’t easy. I love the things I own. But the proceeds of this auction will help fund an expansion of
Mona ...” Und: „I made my money gambling. And here, at this auction, I’m gambling again. My gamble isn’t that you will pay enough
for these works to justify my selling. My wager is that the future, for me and my museum, is more rewarding than the past.”
Am 30. Juni 2015 ist Ofilis Werk für 2.900.000 Pfund Sterling verkauft worden – ein Auktionsrekord für Ofili. Der Käufer bleibt unbekannt. Es muss befürchtet werden, dass es für lange Zeit aus der Öffentlichkeit verschwinden wird.
Walsh verkaufte die vier Bilder, um Geld für einen neuen Flügel für sein Museum zu erhaltenen, wo er mehrere großformatige Werke von James Turrell unterbringen will. Er hat den US-amerikanische Land-Artist und Lichtkünstler Turrell (* 1943) im Sommer 2015
schon mit seiner Installation „Amarna“, die vor allem bei Sonnenaufgang und Sonnenuntergang spezielle Farbeffekte zeigt, auf dem
Dach seines Museums in Hobart ausgestellt.
Die Geschmäcker sind bekanntlich verschieden – aber sollte man sich wirklich dafür von Ofilis „Holy Virgin Mary“ trennen?
71
Ein weiteres Werk dieser Serie, „The Milk of Human Weakness III” „schockt“ dann zusätzlich noch mit einem Hakenkreuz auf der Stirn
der Christusfigur.
Abb.: Dukas/Tony Kyriacou / rex Features, http://www.20min.ch/people/international/story/Achtung--hinter-dir--22937865
72
Christie’s Press Center vom 4.6.2015 (http://www.christies.com/about/press-center/releases/pressrelease.aspx?pressreleaseid=7963).
28
Abb.: https://www.mona.net.au/james-turrell/
Will man sich dem Bild Ofilis, das von Katholiken (Giuliani, Lhota, O’Connor, Donohue, LoBaido, Heiner) so heftig attackiert worden
ist, nicht nur aus kunstwissenschaftlichem, sondern auch aus (deutschem) strafrechtlichem Blickwinkel nähern, so muss Ausgangspunkt § 166 StGB sein, der die „Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen“
unter Strafe stellt: Bejaht man diesen Tatbestand im Grundsatz, stellt sich ergänzend die Frage, inwieweit in Ansehung von Art. 5
Abs. 3 Satz 1 GG, wonach die Kunst „frei“ ist, für ein Gemälde wie dieses anderes gilt.
Für die Verwirklichung von § 166 StGB wäre zunächst einmal erforderlich, „The Holy Virgin Mary“ als eine „Abbildung“ im Sinne von
§ 11 Abs. 3 StGB anzusehen, die „den Inhalt des religiösen ... Bekenntnisses anderer“ (Abs. 1) bzw. „Einrichtungen oder Gebräuche“ einer Kirche (Abs. 2) „in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören“:
„Einrichtungen“ sollen entgegen der sonst üblichen Bedeutung des Wortes nicht etwa die räumlich ortbaren Institutionen oder Unterorganisationen der religiösen oder weltanschaulichen Vereinigungen sein; das Wort fungiere vielmehr als Sammelbezeichnung für
alle erdenklichen symbolischen Formen, Zeremonien und Organisationsstrukturen, durch die sich inhaltliche Aussagen zum Ausdruck bringen lassen 73. Seit einer Entscheidung des Reichsgerichts von 1880 war anerkannt, dass der „Marienkult in der katholischen Kirche“ hierunter falle 74.
Seit aber infolge der Neufassung von § 166 StGB durch das 1. StrRG vom 25. Juni 1969 nicht mehr derjenige den Tatbestand erfüllt, der „in beschimpfenden Äußerungen Gott lästert“, sondern derjenige, der „den Inhalt des religiösen ... Bekenntnisses anderer ...
beschimpft“, sollten insbesondere die Christus-, aber auch die Marienverehrung, da es sich hierbei „in Wahrheit um Bekenntnisinhalte handelt“ 75, passender unter das Merkmal „Bekenntnisse“ im neuen § 166 Abs. 1 StGB geordnet werden 76.
In der Sache ändert sich dadurch freilich nichts Entscheidendes.
Problematischer ist das Tatbestandsmerkmal des „Beschimpfens“ dieses Bekenntnisses. Zunächst einmal grundsätzlich: Unter „Beschimpfung“ versteht man eine durch Form und Inhalt besonders verletzende, rohe Kundgabe der Missachtung, ein „bösartiges Verhohnen“ 77. Insoweit besteht noch Einigkeit.
(Nicht nur) was die katholische Marienverehrung angeht, gibt es hierzu wenig weiterhelfende Entscheidungen. Das Reichsgericht
bejahte das „Beschimpfen“ in einem drastischen Fall, als jemand gelästert hatte, „das Dogma von der unbefleckten Empfängnis Mariä“ sei „Unsinn“; „die Mutter Gottes habe sich geradeso vögeln lassen“ 78. Auch das in der Literatur genannte ähnlich drastische Beispiel von „Maria als Prostituierte“ 79 hilft nicht viel weiter bei der Grenzziehung.
Dass umgekehrt eindeutig (und unabhängig von der Frage des Kunstcharakters der Darbietung) keine „Beschimpfung“ gegeben ist,
wenn ein paar maskierte junge Frauen vor einem (russisch-orthodoxen) Altar herumtanzen und das „Ave Maria“, eines der wichtigsten Gebete nicht nur in Katholischen, sondern auch der Orthodoxen Kirche, textlich verändert singen: „Mutter Gottes, du Jungfrau,
vertreibe Putin! ... Werde Feministin, werde Feministin!“ („Богородица, Дево, Путина прогони! ... Стань феминисткой,
73
Stübinger in Nomos-Kommentar zum Strafgesetzbuch, 4. Aufl. 2013, § 166 Rn. 11.
RGSt 2, 428 (429); siehe auch LG Düsseldorf, NStZ 1982, 290.
75
Lenckner/Bosch in Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 29. Aufl. 2014, § 166 Rn. 17/18.
76
Siehe dazu Stübinger in Nomos-Kommentar, StGB, § 166 Rn. 11; Hörnle in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl. 2012, § 166
Rn. 12; Hilgendorf in Satzger/Schluckebier/Widmaier: StGB – Strafgesetzbuch Kommentar, 2. Aufl. 2014, § 166 Rn. 4; Fischer, Strafgesetzbuch, 62. Aufl. 2015, § 166 Rn. 10.
77
Hörnle in Münchener Kommentar, StGB, § 166 Rn. 17.
78
RGSt 2, 428 (429).
79
Hörnle in Münchener Kommentar, StGB, § 166 Rn. 17; Hilgendorf in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, § 166 Rn. 17.
74
29
феминисткой стань!“), ist im Anschluss an die entsprechende Aktion der russischen Punk-Rockerinnen von „Pussy Riot“ 2012 in
der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale zu Recht betont worden 80.
Abb.: dpa, http://www.taz.de/!104184/
Das Landgericht Düsseldorf hatte dagegen schon in den 1980er Jahren ein „Beschimpfen“ bei einem Handzettel mit der Überschrift
„Maria, hättest du abgetrieben, der Papst wäre uns erspart geblieben?“ angenommen 81, ebenfalls das Landgericht Göttingen bei einem Aufkleber mit dem Aufdruck „Lieber eine befleckte Verhütung als eine unbefleckte Empfängnis” 82. Beidem wurde in der Literatur allerdings auch Skepsis entgegengebracht 83.
Das Amtsgericht Köln hatte wenig zuvor wegen eines Sketches 84 mit folgendem Dialog zwischen Maria und Josef 85 verurteilt 86 –
letztlich endete das Verfahren aber mit einem Freispruch 87:
80
Fahl, StraFo 2013, 2; Lenckner/Bosch in Schönke/Schröder, StGB, § 166 Rn. 9.
In Russland wurden 2012 zwei Teilnehmer (Nadeschda Tolokonnikowa und Marija Aljochina) an dem „Punkgebet“ in der Kathedrale allerdings wegen „Rowdytums motiviert von religiösem Hass“ gemäß Art. 213 des russ. StGB zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.
Abb.: http://www.russianartandculture.com/exh-pussy-riot-and-the-cossacks-havremagasinet-art-center-boden-28-june-28-september/
Artyom Loskutov (* 1986) und Masha Kiseleva (* 1991): Иконы (Ikone) Pussy Riot (2012)
Der Nowosibirsker Maler und Aktionskünstler Artyom Loskutov wurde im 2013 für den Verkauf von T-Shirts mit dem Bild einer „Pussy-RiotIkone” im Stil der „Muttergottes vom Zeichen“ („Madonna Platytera“) über seine Website mit einer Geldstrafe in Höhe von 1.000 Rubel wegen der Verletzung der Gefühle von Gläubigen belegt.
Abb.: http://www.trust.ua/news/79488-prokuratura-novosibirska-dobilas-vozobnovleniya-dela-hudozhnika-loskutova.html
81
LG Düsseldorf, NStZ 1982, 290.
82
LG Göttingen, NJW 1985, 1652.
83
Stübinger in Nomos-Kommentar, StGB, § 166 Rn. 6.
84
Vollständig nachzulesen in graswurzelrevolution 274 vom Dezember 2002 (http://www.graswurzel.net/274/tornado.shtml).
85
Die Sätze stammen aus dem Sketch „Krippenspiel“ des damaligen West-Berliner Szenekabaretts „Die 3 Tornados“, der im WDRJugendmagazin „Radiothek“ am 30.12.1980 gesendet wurde. Der Sketch ist heute noch auf „YouTube” zu finden (https://
www.youtube.com/watch?v=rsla-p-fqp8) und ist Bestandteil der CD-Box „Die 3 Tornados – Auf Tour 1977–1988“ von 1999.
86
AG Köln, DuR 1982, 209 (das Urteil ist auch als Faksimile abgebildet auf der Homepage der „3 Tornados“ [http://www.die-3-tornados.de/
index.php/prozess/urteil]) mit theologischer gutachterlicher Stellungnahme Ranke-Heinemann.
Der verantwortliche Redakteur der Sendung erhielt wegen des Sketches im Februar 1981 die fristlose Kündigung, der Redaktionsleiter sowie der Moderator wurden abgemahnt. (Der Spiegel 10/1981 [http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14316359.html]).
87
In der Berufung wurden die Angeklagten vom LG Köln (KirchE 20, 140 = Urteil vom 4. Oktober 1982 – 107-65/82 [bei juris – Kurztext])
freigesprochen, weil es an einer Gefährdung des Öffentlichen Friedens gefehlt habe. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wurde das
Verfahren vom OLG Köln (KirchE 21, 118) an das Landgericht zurückverwiesen, das die Kabarettisten im Oktober 1983 mangels Vorsatzes
freigesprach (LG Köln, KirchE 21, 243). Eine neuerliche Revision der Staatsanwaltschaft blieb ohne Erfolg (OLG Köln, Urteil vom 22. Mai
1984 – 1 Ss 182/184/84 [unveröffentlicht]).
30
Maria: Ich weiß auch nicht, wie ich es Dir sagen soll ... Ich
hab meine Tage nicht gekriegt.
Josef: Was? Wer war das?
Maria: Ich weiß auch nicht, wie das zugegangen ist. Sintemalen ich von keinem Manne weiß.
Josef: Wie heißt der Typ? Manne? Dem polier ich die Fresse!
Maria: Nein, Josef, das war alles ganz anders. Der Heilige
Geist ist mir erschienen.
Josef: Der Heilige Geist! Das muss ja ein schöner Heiliger
Geist sein, der meine Verlobte hinter meinem Rücken von
hinten bumst.
Das Oberlandesgericht Köln ließ zu damaliger Zeit offen, ob ein gezeichneter Bilderwitz mit dem Maria in den Mund gelegten Text
„Scheiße, Josef, ich bin schwanger! Ich werde natürlich abtreiben!“ ein „Beschimpfen“ darstellt 88.
Abb.: http://www.zensur-archiv.de/index.php?title=Satire
Das Oberlandesgericht Köln zweifelte schon an der Tatbestandsmäßigkeit des Textes als „Beschimpfen“, das es in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung in der Strafrechtswissenschaft ausführlich umschrieb:
Der Begriff des Beschimpfens erfaßt nicht schon jede herabsetzende Äußerung, sondern nur nach Form und Inhalt besonders verletzende Äußerungen der Mißachtung (BGHSt 7, 110 zu § 96 StGB; Dreher-Tröndle, StGB, 39 Aufl, § 166
Rdnr 3 iV mit § 90a Rdnr 3; Heimann-Trosien, in: LK, 9. Aufl, § 166 Rdnr 9; Rudolphi, in: SKStGB, § 166 Rdnr 9). Das
besonders Verletzende kann äußerlich in der Roheit des Ausdrucks oder inhaltlich in dem Vorwurf eines schimpflichen
Verhaltens oder Zustands liegen (BGHSt 7, 110 zu § 96 StGB; Rudolphi, in: SKStGB, § 166 Rdnr 9). Eine Beschimpfung
kann sowohl in der Behauptung schimpflicher Tatsachen (vgl BGH, GA 1956, 316) als auch in besonders abfälligen
Werturteilen gesehen werden (Rudolphi, in: SKStGB, § 166 Rdnr 9; Heimann-Troisen, in: LK, 9. Aufl, § 166 Rdnr 9;
Lenckner, in: Schönke-Schröder, StGB, 10. Aufl, § 166 Rdnr 9). Sie kann aber auch darin liegen, daß der Inhalt eines
Bekenntnisses, das, was von den Gläubigen als heilig angesehen wird, in den Schmutz gezogen wird, zB durch den
Vergleich mit etwas, was als unsittlich, allgemein anstößig oder lächerlich betrachtet wird (Hartwig, GA 1962, 270). Allein
die Verneinung oder das Abstreiten desjenigen, was als heilig verehrt wird, ist jedenfalls noch keine Beschimpfung
(Hartwig, GA 1962, 270).
Noch problematischer wird es, wenn man beachtet, dass das „Beschimpfen“ durch ein von Art. 5 Abs. 3 GG geschütztes Kunstwerk
geschieht – was nicht nur Ofilis „Holy Virgin Mary“, sondern auch die „im Stil eines Comic Strips gezeichnete“ Karikatur im Fall des
Oberlandesgerichts Köln betraf, das dazu schon im Tatbestand zum „Beschimpfen“ ausführte:
Schließlich ist bei der Frage, ob die Karikatur eine Beschimpfung des christlichen Glaubens enthielt, zu beachten, daß Karikaturen
unter die durch Art 5 III 1 GG garantierte Freiheit der Kunst fallen. Dies bedeutet zwar nicht, daß Karikaturen niemals dem Tatbestand des § 166 StGB unterfallen könnten, doch wird § 166 StGB seinerseits durch den hohen Rang, den das Grundgesetz der
Kunstfreiheit einräumt, eingeengt (BGH, GA 1961, 240; BayObLG, NJW 1964, 1149). Im Kollisionsfall sind die Grenzen der Kunstfreiheit durch Wertabwägung zu bestimmen (Lackner, StGB, 14. Aufl, § 166 Anm 3). Deswegen kann bei Kunstwerken nur die besonders rohe Äußerung als Beschimpfung gewertet werden, wobei entscheidend ist, welchen Eindruck das Werk nach seinem objektiven Sinngehalt auf einen künstlerisch aufgeschlossenen oder zumindest um Verständnis bemühten Menschen macht (BGH, GA
1961, 240; Lenckner, in: Schönke-Schröder, StGB, § 166 Rdnr 10; Rudolphi, in: SKStGB, § 166 Rdnr 11; Noll, ZStW 1977, 35). Im
Einzelfall bedarf es einer sorgfältigen Abwägung unter Würdigung aller Umstände, um zu einem Ausgleich zwischen der Kunstfreiheit und den Belangen des § 166 StGB zu kommen (Lenckner, in: Schönke-Schröder, StGB, § 166 Rdnr 10).
Das Oberlandesgericht Köln hielt das Ergebnis in dem damaligen Fall also offen.
Inzwischen beschäftigen solche Karikaturen nicht mehr die Gerichte. Das Internet, aber auch die Printmedien sind voll von manch
88
OLG Köln, NJW 1982, 657.
31
mal durchaus drastischeren Maria betreffenden Cartoons, die die Verkündigung 89, vor allem aber die Empfängnis Jesu durch den
Heiligen Geist 90 thematisieren.
Der Satire-Blog „Der Postillo?“ griff sogar am 22. Februar 2013 die Abtreibungs-„Pointe“ nochmals direkt auf („...es ist nicht so, dass
ich eine Wahl gehabt hätte. Die Empfängnis durch den Heiligen Geist erfolgte weder einvernehmlich noch hat sie damals in meine
Lebensplanung gepasst. ... Frohe Botschaft – von wegen: Ich war wütend und verzweifelt. Doch ich hatte keine andere Möglichkeit,
als das Kind zu bekommen ...“) – diesmal ohne erkennbare Reaktion seitens Kirche oder Staatsanwaltschaft.
Abb.: http://www.der-postillon.com/2013/02/erlaubnis-von-pille-danach-kommt-uber.html#more (Screenshot, Ausschnitt)
Am ausführlichsten ist die Frage des „Beschimpfens“ durch ein Kunstwerk in den 1990er Jahren anlässlich des Rock-Comicals „Das
Maria-Syndrom“ von Michael Schmidt-Salomon (* 1967) diskutiert worden.
Das Oberverwaltungsgericht Koblenz bestätigte ein auf Initiative des Bistums Trier durch die Stadt Trier am 27. Mai 1997 erlassenes
Aufführungsverbot des „Maria-Syndroms“ 91 („A Rock-Comical by M.S. Salomon´s Flying Toilet Seats – Dedicated to the balls of
Frank Zappa“), in dem Marias „Jungfrauengeburt in eindeutiger Weise in Verbindung mit einem auf der Toilette onanierenden Mann
gebracht“ wird 92 („No! He’s not a holy man! – He’s a toilet seat’s son?“): „Mit dem ‚Maria-Syndrom‘ wird das Bekenntnis anderer i.S.
des § 166 I StGB beschimpft. ... Das ‚Maria-Syndrom‘ stellt sich nach den Gesamtumständen als bloße Verächtlichmachung christli-
89
Abb.: http://de.toonpool.com/gallery.php?user=3073&offset=24 / Motive: Petra Kaster
„Mariä Empfängnis ... erster Versuch!“
„Mein allerletztes Angebot, Maria! Die Herdprämie pack ich auch noch oben drauf!!“
90
Abb.: http://www.evangelische-zeitung-niedersachsen.de/ez-online/thema_der_woche_2014/50_Josef / Motiv: Sisam Ben
Abb.: https://kuckucksvater.wordpress.com/2013/12/20/du-schlampe-karikatur-von-muller-der-humor-zum-sonntag/ / Motiv: Müller
Abb.: http://de.toonpool.com/cartoons/Die%20Empf%C3%A4ngnis_178481 / Motiv: Toeby
Abb.: http://de.toonpool.com/gallery.php?user=116&offset=24 /Motiv: Polo (André Poloczek)
Abb.: http://de.toonpool.com/cartoons/Heiliger%20Geist_164098 / Motiv: Thorsten Klomfass
Abb.: http://www.toonsup.com/cartoons/weihnachten/maria_josef / Motiv: Jonwig (Jonas Hertwig)
91
Beschimpfen durch die „bösartig-satirische Verfremdung der dem katholischen Glauben eigenen Marienverehrung“.
OVG Koblenz, NJW 1997, 1174 mit Anm. Bamberger, GewArch 1997, 359; siehe zu diesem Fall auch BVerwG, NJW 1999, 304 mit Anm.
Hufen, JuS 1999, 911.
92
32
cher Glaubensvorstellungen dar, mit denen das, was von vielen Gläubigen als heilig verehrt wird, im wahrsten Sinne des Wortes in
den Schmutz gezogen wird.“
Abb.: http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/13685791
„Die gewollte kritische Darstellung christlicher, insbesonderer katholischer Glaubensvorstellungen kommt ... [auf dem] Werbeplakat für das RockComical ... zum Ausdruck ...“
Weiter betonte das Oberverwaltungsgericht Koblenz dazu – ähnlich wie schon das Oberlandesgericht Köln bei dem Comic Strip –
mit Blick auf Art. 5 Abs. 3 GG sei „eine restriktive Auslegung des Begriffs ‚Beschimpfen‘“ geboten:
... bei der Frage, ob mit dem Kunstwerk ein religiöses Bekenntnis in der Weise „beschimpft” wird, die geeignet ist, den
„öffentlichen Friede?“ zu stören, [hat] eine sorgfältige Abwägung unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles stattzufinden, um zu einem Ausgleich zwischen der Kunstfreiheit einerseits und den Belangen des § 166 StGB andererseits
zu kommen (Schönke/Schröder, StGB, § 166 Rdnr. 10).
In der strafrechtlichen Kommentarliteratur wird bis heute des Öfteren ohne vertiefte Begründung unter Hinweis auf diese Entscheidung ebenfalls mit den „Belangen“ des § 166 StGB argumentiert, die mit der Kunstfreiheit abgewogen werden müssten 93.
Das Oberverwaltungsgericht Koblenz hatte damals zu den erforderlichen Kriterien ausgeführt 94:
Zwar gelten für die Kunstfreiheit weder die Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG hinsichtlich der Meinungs-, Informations- und
Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1), noch die des Art. 2 Abs. 1 Halbsatz 2 GG. Jedoch wird auch die Kunstfreiheit nicht schrankenlos gewährt (grundlegend BVerfGE 30, 173, 193 – Mephisto; ebenso BVerfGE 67, 213, 228 – Anachronistischer Zug;
vgl. auch OVG Koblenz, NJW 1990, 2016). Für die Frage, in welchem Umfang diesem Grundrecht Grenzen zu setzen
sind, ist die verfassungsmäßige Ordnung unter Berücksichtigung der Einheit des grundgesetzlichen Wertesystems maßgebend (BVerfG aaO. – Mephisto). Dabei ist der „Kernbestand der für das soziale Zusammenleben ethisch unverzichtbaren Kriminalstrafnormen” (Scholz, in: Maunz/Dürig, Kommentar zum GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 64) zu beachten. Zu
ihnen gehört § 166 StGB (Würtenberger, NJW 1982, 610), der im Hinblick auf die in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleistete Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit den öffentlichen Frieden in seiner religiösen und weltanschaulichen
Ausprägung des Toleranzgedankens schützt (vgl. OLG Karlsruhe, NStZ 1986, 363, 364; Dreher/Tröndle, StGB, 47. Auflage, 1995, § 166 Rdnr. 1; Schönke/Schröder, StGB, vor §§ 166 ff. Rdnr. 2).
Dem kann jedoch nicht beigepflichtet werden. Denn diese Abwägungsvornahme ist grundrechtsdogmatisch überholt: „Verfassungsrecht ist kein Abwägungsmaterial für den einfachen Gesetzgeber, sondern zwingender, übergeordneter Normbefehl.“ 95
Die Kunstfreiheit in Art. 5 Abs. 3 GG ist ein vorbehaltlos gewährtes Grundrecht und kann nicht durch eine einfache Strafrechtsnorm,
nicht durch die „Belange des § 166 StGB“, eingeschränkt werden: Schon seit 1971, seit dem Mephisto-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts 96, ist anerkannt, dass die Kunstfreiheit deshalb, weil sie „keinen Vorbehalt für den einfachen Gesetzgeber enthält,
... weder durch die allgemeine Rechtsordnung noch durch eine unbestimmte Klausel relativiert werden“ dürfe. Die Grenzen der
Kunstfreiheitsgarantie seien „nur von der Verfassung selbst zu bestimmen“. Ähnlich weist Christian Bamberger in seiner Urteilsanmerkung zutreffend darauf hin 97, die vom Oberverwaltungsgericht Koblenz zugrunde gelegte Ansicht von Rupert Scholz im „MaunzDürig“ 98, „das Sittengesetz bzw. die dieses konkretisierenden Normen, namentlich der Kernbestand der für das soziale Zusammenleben ethisch unverzichtbaren Kriminalstrafnormen“ könnten die Kunstfreiheit beschränken, sei „eine vereinzelt gebliebene Meinung“
und ignoriere „eine sich seit der Leitentscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1970 99 in jahrelanger höchstrichter93
Siehe etwa Valerius in Beck'scher Online-Kommentar StGB, 25. Edition 2014, § 166 Rn. 13: „Erforderlich ist eine Abwägung im Einzelfall, welche die Kunstfreiheit und die Belange des § 166 StGB im Wege praktischer Konkordanz zu einem sinnvollen Ausgleich kommen
lässt“; ähnlich Lenckner/Bosch in Schönke/Schröder, StGB, § 166 Rn. 10: „Ausgleich zwischen der Kunstfreiheit und den Belangen des
§ 166“.
94
Ähnlich auch schon OLG Köln, KirchE 21, 118 (122) – Krippenspiel.
95
Bamberger, GewArch 1997, 360.
96
BVerfGE 30, 173 (191 ff.). In der Entscheidung ging es um den Roman „Mephisto“ des Schriftstellers Klaus Mann (* 1906; † 1949), in
dem der verstorbene Schauspieler Gustav Gründgens herabgewürdigt worden sein sollte.
97
Bamberger, GewArch 1997, 360.
98
Scholz in Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 72. Erg.-Lfg. 2014, Art. 5 Abs. 3 Rn. 64; siehe auch Würtenberger, NJW 1982, 615.
99
BVerfGE 28, 243 (261): „Nur kollidierende Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte sind mit
Rücksicht auf die Einheit der Verfassung und die von ihr geschützte gesamte Wertordnung ausnahmsweise imstande, auch uneinschränkbare Grundrechte in einzelnen Beziehungen zu begrenzen. Dabei auftretende Konflikte lassen sich nur lösen, indem ermittelt wird, welche
Verfassungsbestimmung für die konkret zu entscheidende Frage das höhere Gewicht hat (BVerfGE 2, 1 [72 f.]). Die schwächere Norm darf
33
licher Rechtsprechung abzeichnende Entwicklung bei der Frage der Beschränkung vorbehaltloser Grundrechte“. Friedrich Hufen ergänzt in seiner Entscheidungsanmerkung zum „Maria-Syndrom“: „Wer ... abstrakt einen ‚Kernbestand für das soziale Zusammenleben ethisch unverzichtbarer Kriminalstrafnormen‘ zur Schranke der Kunstfreiheit erhebt, der dreht die ‚Normenhierarchie‘ in der
Schrankensystematik des Art. 5 III GG um: Über diese Formulierung und über den Toleranzgedanken wird Art. 5 III GG letztlich
dann doch unter Gesetzesvorbehalt gestellt.“ 100
Ergänzt sei: Dass § 166 StGB zu diesem „Kernbestand“ der „unverzichtbaren Kriminalstrafnormen“ gehört, wäre ohnehin näher begründungsbedürftig angesichts der zahlreichen Stimmen, die Norm aus dem StGB ersatzlos zu streichen 101.
Dogmatisch korrekt könnte es stattdessen sein, die Einschränkung der Kunstfreiheit mit der Religionsfreiheit Dritter zu begründen 102:
„Eigentliches Schutzgut des § 166 StGB ist ... Art. 4 GG. Dieser und nicht abstrakte Vermutungen über Toleranz in der Gesellschaft
o.ä. müssen konkret durch ein Kunstwerk gefährdet sein, um eine Bestrafung nach § 166 StGB ... nach den Grundsätzen verfassungsimmanenter Schranken der Kunstfreiheit zu rechtfertigen.“ 103
Jedoch schützt Art. 4 GG nur die „Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses“ (Abs. 1) sowie die „ungestörte Religionsausübung“ (Abs. 2). Aus der Vorschrift ist kein Recht der Anhänger einer Religion abzuleiten, gegen Beschimpfungen geschützt zu werden; eine verbale Beschimpfung ohne nötigenden Charakter schränkt weder die Glaubensfreiheit noch die Religionsausübung anderer ein 104.
Demzufolge ist eine Kollision zwischen Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG und Art. 4 Abs. 1 und 2 GG kaum möglich, eben „weil das dort garantierte Recht der Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses, sowie der ungestörten Religionsausübung nur durch Zwang, nicht aber durch noch so grobe Schmähung tangiert werden kann.“ 105
Das Bundesverwaltungsgericht hat das letztlich im Hinblick auf die „Beschimpfung“ der Marienverehrung in dem Rock-Comical „Das
Maria-Syndrom“ wohl auch gesehen und deshalb nur vage und nebulös von „engem Zusammenhang“ und einem „dahinterstehenden“ Rechtsgut gesprochen 106:
Es ist nicht zweifelhaft, daß der Schutzzweck des § 166 I StGB in engem Zusammenhang mit den grundrechtlichen Gewährleistungen des Art. 4 I GG steht. Die Belange des § 166 I StGB haben daher verfassungsrechtliches Gewicht und
müssen in einem Fall wie dem vorliegenden mit dem Gewicht, das ihnen fallbezogen zukommt, in Beziehung gesetzt
und abgewogen werden mit der Bedeutung, die der Kunstfreiheit im Einzelfall zuzumessen ist, ohne daß es entscheidend darauf ankommt, zwischen einem im Vordergrund und einem ‚dahinterstehenden‘ Rechtsgut zu unterscheiden.
Nun wird heute im Allgemeinen anders argumentiert: Hinter § 166 StGB stehe nicht, wie früher angenommen, die Religionsfreiheit
des Art. 4 GG als Rechtsgut, sondern die Norm diene dem „öffentlichen Frieden und damit dem Schutz eines Rechtsguts, das auch
sonst in der Rechtsordnung vielfältig geschützt wird“ 107: „Zwar nimmt § 166 seinen Ausgangspunkt im religiösen bzw. weltanschaulichen Bereich, geschützt ist aber das friedliche Zusammenleben der Menschen untereinander und das Vertrauen in den Fortbestand
dieses Zustandes ..., d.h. der sog. öffentliche Friede“ 108.
Allerdings wirft auch diese eher nebulöse Rechtsgutsbestimmung – und die gleichzeitige unausgesprochene Unterstellung ihrer Eignung, einen Verfassungswert zu benennen, der die vorbehaltslos gewährte Kunstfreiheit einschränken kann – zahlreiche Fragen
auf. Einige fasst Tatjana Hörnle zusammen 109:
Gewalttätige Auseinandersetzungen als Folge von religiösen oder weltanschaulichen Differenzen sind unter den heutigen gesellschaftlichen Bedingungen nicht zu erwarten, wenn sich die Beschimpfung gegen christliche Religionen richtet. Soweit (etwa nach
Äußerungen, die sich auf das islamische Bekenntnis beziehen) Eskalationen wahrscheinlicher sind, liegt ein Problem darin, dass
gewalttätige Reaktionen denen zuzurechnen sind, die, ihrerseits ideologisch aufgehetzt, Reporte zum Anlass für das Ausleben eigener Aggressionen nehmen. Eine Verantwortung desjenigen, der durch Äußerungen solche Anlässe schafft, ist nur dann zu begründen, wenn es um direkte Aufhetzung (Auffordern zu Gewalt etc.) geht – insoweit sorgt aber § 130 Abs. 1 [StGB] für den Schutz vor
gefährlichen Situationen ...
Unter dem Stichwort „Schutz des öffentlichen Friedens“ wird ferner ... auf den Eigenwert von Toleranz im gesellschaftlichen Leben
abgestellt. Aber es ist schwierig zu erklären, warum gerade Intoleranz in religiösen und weltanschaulichen Angelegenheiten bestraft
werden sollte. Andere polemische Äußerungen, etwa zu stark umstrittenen politischen Fragen, können in gleicher Weise das soziale
Klima vergiften.
nur so weit zurückgedrängt werden, wie das logisch und systematisch zwingend erscheint; ihr sachlicher Grundwertgehalt muß in jedem
Fall respektiert werden.“
100
Hufen, JuS 1999, 912.
101
Siehe den Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – § 166 StGB vom 27.7.1995 der Fraktion Bündnis 90 / Die
Grünen, BT-DrS 13/2087 sowie die Nachweise bei Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl. 2014, § 166 Rn. 1. Siehe insbesondere auch Fischer, Zeit
online vom 3.3.2015 (http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-03/blasphemie-gotteslaesterung-straftatbestand-religion): „In einem aufgeklärten Staat ist eine Strafnorm zum Schutze bestimmter Weltanschauungen überflüssig und rückständig“ sowie Hörnle, ZRP
2015, 62: „Im zeitgenössischen Kontext, jenseits der traditionellen Wurzeln des Gotteslästerungsverbots, ist kein Schutzanliegen auszumachen, das den Einsatz des Strafrechts rechtfertigen kann. § 166 StGB sollte aufgehoben werden.“
102
So auch Bamberger, GewArch 1997, 360.
103
Hufen, JuS 1999, 912.
104
Hörnle in Münchener Kommentar, StGB, § 166 Rn. 2; dies., ZRP 2015, 62; Hilgendorf in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, § 166
Rn. 4. Anderer Ansicht offenbar die Begründung des Entwurfs eines Strafrechtsänderungsgesetzes (Stärkung des Toleranzgebotes durch
einen besseren Schutz religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen gemäß § 166 StGB) vom 7.5.1998 von Abgeordneten der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion, BT-DrS13/10666, S. 5: „Schutzgut des § 166 StGB ist daher das sich aus Artikel 4 Abs. 2 GG ergebende
allgemeine Toleranzgebot, das religiöse und weltanschauliche Bekenntnis Dritter zu achten (vgl. Rudolphi, in: SK-StGB, Vor § 166
Rdnr. 1)“.
105
Ott, NStZ 1986, 366 mit Hinweis auf Eser, HdbStKirchR, 2. Bd. (2. Aufl. 1995, S. 1026).
106
BVerwG, NJW 1999, 304.
107
BVerfGE 124, 300 (325).
108
Tag in Dölling/Duttge/Rössner, Gesamtes Strafrecht, 3. Aufl. 2013, § 166 Rn. 2.
109
Hörnle in Münchener Kommentar, StGB, § 166 Rn. 2; siehe auch dies., NJW 2012, 3416 f.
34
Festzuhalten bleibt: Selbst wenn Ofili mit seiner „Holy Virgin Mary“ ausweislich der aggressiven Reaktionen von Katholiken in New
York den „öffentlichen Frieden“ verletzt haben sollte, änderte dies nichts daran, dass dem eine „Beschimpfung“ zugrunde liegen
müsste. Denn der Schluss, es liege eine „Beschimpfung“ eben deshalb vor, weil der „öffentliche Friede“ gestört ist, ist zirkulär und
damit unzulässig 110. Man könnte allenfalls versuchen, den Schluss zu ziehen, eine künstlerische Betätigung, in der sich eine so erhebliche Herabsetzung des Bekenntnisses anderer finden lässt, dass sie zur Störung des „öffentlichen Friedens“ geeignet ist, sei
nicht mehr durch Art. 5 Abs. 3 GG gedeckt 111. Doch auch dieser Schluss kann nicht gezogen werden, weil die „Eignung“ zur Friedensstörung nicht mit dem Kunstcharakter einer „Beschimpfung“ zusammenhängt: Eine drastische „Gotteslästerung“ stört den „öffentlichen Frieden“ nicht deshalb „automatisch“ weniger, wenn sie als Kunst einzuordnen ist.
Vielmehr müsste, trennt man es genau, die Abwägung von Kunstfreiheit und „öffentlichem Frieden“ innerhalb des Tatbestandsmerkmals der „Beschimpfung, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören“, vorgenommen werden – wie soll das unfallfrei
gehen?
Dies zeigt, dass die von den Gerichten und der herrschenden Ansicht präferierten Methode, der Kunstfreiheit durch eine restriktive
Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Beschimpfung“ Geltung verschaffen zu wollen, problematisch ist. Hier wird zu viel miteinander vermengt, als dass eine klar nachvollziehbare Abwägung zwischen den konkurrierenden Verfassungswerten noch problemlos
möglich ist.
Man sollte wohl besser die Subsumtion des Tatbestandsmerkmals der zur Friedensstörung geeigneten „Beschimpfung“ vornehmen,
ohne auf dieser Prüfungsebene schon auf die Kunstfreiheit zu rekurrieren, und stattdessen mit einer Minderansicht 112 Art. 5 Abs. 3
GG erst auf der Rechtfertigungsebene in Stellung bringen. Und dort könnte, angelehnt an einen Vorschlag Hörnles 113, die Kunstfreiheit dann, aber nur dann zurücktreten müssen, wenn bei einem Kunstwerk „der intentional verfolgte Zweck die emotionale Aufstachelung Dritter gegen das religiöse Bekenntnis ist“.
Damit zurück zu Ofilis „Holy Virgin Mary“. „Beschimpft“ das Bild das katholische Bekenntnis? Und will Ofili mit seinem Werk den „öffentlichen Frieden“ stören, bezweckt er „die emotionale Aufstachelung Dritter gegen das religiöse Bekenntnis“? Immerhin rangierte
das Werk im Oktober 2007 von einer in der Londoner „Times“ aufgelisteten „Blasphemy Collection“ der „20 schlimmsten Gotteslästerungen“ („Die Zeit“) auf dem 7. Platz – als erstes (und einziges) Gemälde 114.
Die „New York Times“ bat ihn zur Zeit der Vorkommnisse um die Brooklyner Ausstellung, sein Gemälde zu erklären. Ofili antwortete 115: „Ich denke nicht, dass ich es verteidigen muss. Die Leute, die dieses Gemälde angreifen, greifen ihre eigene Interpretation an,
nicht die meinige. Man weiß nie, woran sich Leute stoßen, und ich finde, mehr muss ich dazu nicht sagen?“
Versuchen wir also eine Interpretation des Werkes, vor allem derjenigen seiner Bildelemente, die so viel Empörung ausgelöst haben: Eine Mutter Gottes mit negroiden Gesichtszügen, versehen mit Elefantenkot auf der nackten Brust und umschwirrt von pornographischen Schnipseln.
Zunächst einmal: Dass Ofilis „Holy Virgin Mary“ eine Schwarze ist, kann – auch ohne Rückgriff auf Argumente der Political Correctness – keinesfalls als „Beschimpfung“ interpretiert werden.
Zum einen sind auch in Europa schwarze Madonnen auf Kirchenbildnissen nicht selten; das berühmteste ist wohl das Gnadenbild
„Matka Boska Częstochowska“ im polnischen Kloster Jasna Góra in Częstochowa, (neu) gemalt im 15. Jahrhundert („Schwarze Madonna von Tschenstochau“). Erklärung findet die dunkle Färbung, die regelmäßig nicht auf Alterungsprozesse zurückführbar ist,
oftmals im Hinweis auf das alttestamentarische Hohelied Salomos, wo es, wohl der Königin von Saba zugesprochen, heißt 116:
„Braun bin ich, doch schön ...“
Abb.: http://www.jasna-gora.de/schwarze-madonna.html
Zum anderen gibt es zahlreiche Schwarze Madonnen in afrikanischen und südamerikanischen Kirchen, die oft sogar ausgeprägte
negroide Gesichtszüge aufweisen, möglicherweise (auch) zurückzuführen auf Einflüsse dortiger Naturreligionen. Die bekanntesten
sind wohl die in Aparecida/Brasilien und Soweto/Südafrika.
110
Siehe dazu Steinke, KritJ 41 (2008), 453.
Lenckner/Bosch in Schönke/Schröder, StGB, § 166 Rn. 9 f.
112
Dippel in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl. 2006 ff. (6. Bd. 2009), § 166 Rn. 33; 107; Fischer, StGB, § 166 Rn. 16.
113
Hörnle, NJW 2012, 3417.
114
Times online vom 26.10.2007 (im Internet noch zu finden unter http://web.archive.org/web/20071028072039/http://
timesonline.typepad.com/faith/2007/10/the-blasphemy-c.html).
115
World Socialist Web Site vom 14.10.1999 (https://www.wsws.org/de/articles/1999/10/frei-o14.html).
116
Hld 1, 5.
111
35
Abb.: http://pt.wikipedia.org/wiki/Nossa_Senhora_da_Concei%C3%A7%C3%A3o_Aparecida#/media/File:NS_Aparecida.png
Abb.: http://artthrob.co.za/03jan/news/scully.html
Nossa Senhora de Aparecida. Aparecida do Norte, Basilica Nova Nossa Senhora
Larry Scully (* 1922; † 2002): Madonna and Child (1973). Soweto, Regina Mundi Church
Schließlich haben auch Künstler wie der Deutsch-Amerikaner Winold Reiss das Motiv der schwarzen Maria schon vor fast hundert
Jahren in der New Yorker afroamerikanischen Künstlerbewegung „Harlem Renaissance“ verwendet 117.
Abb.: https://www.pinterest.com/pin/274578908504553612/
Winold Reiss (* 1886; † 1953): The Brown Madonna (1925). Illustration zu Alain Locke, The New Negroe
Der aus den Südstaaten (Missouri) nach Harlem gekommene Schriftsteller Langston Hughes (* 1902; † 1967) schrieb 1931 das Gedicht „Christ in Alabama” („Christ is a Nigger … Mary is His Mother“),
117
„Das New Yorker Stadtviertel Harlem war in den 1920er Jahren ein Brennpunkt künstlerischer Aktivität. In diesem Schmelztiegel versammelten sich die bildenden Künstler der sogenannten ‚Harlem Renaissance‘, unter ihnen die Bildhauerin Meta Vaux Warrick Fuller
(1877–1968) und der Maler und Zeichner Aaron Douglas (1899–1979), die Maler Palmer Hayden (1890–1973) und William Henry Johnson
(1901–1970) und der Fotograf James Van Der Zee (1886–1983). Neben ihrer Kunst einte sie ihre afroamerikanische Herkunft. Vor diesem
Hintergrund war es das große Verdienst der Gruppe, eine neue Bildsprache und damit gewissermaßen ein neues Vokabular für die Darstellung der afroamerikanischen Kultur zu formulieren. Zugleich wurde erstmalig mit der Harlem Renaissance das Berufsfeld ‚Künstler‘ für
die schwarze Bevölkerung erschlossen, womit die Bewegung in Einklang zu bringen ist mit den sozialpolitischen Anstößen zur Verbesserung der Situation der Afroamerikaner, die 1909 mit der Gründung der ‚National Association for the Advancement of Colored People‘
(NAACP) ihren Anfang genommen hatten. Dementsprechend konzentrierten sich die Künstler der Harlem Renaissance auf die am
Realismus orientierte Darstellung ihrer eigenen Wirklichkeit, woraus eindringliche und beredte Zeugnisse afroamerikanischen Lebens in
Amerika entstanden. ... Die Bewegung der Harlem Renaissance lässt sich auf die Jahre zwischen 1919 und der Großen Depression 1929
eingrenzen, wobei die Künstler selbst jedoch weiterhin aktiv waren.“ Lexikon Ketterer Kunst: Harlem Renaissance (http://
www.kettererkunst.de/lexikon/harlem-renaissance.php).
36
Abb.: http://dc.lib.unc.edu/cdm/singleitem/collection/vir_museum/id/445 (Ausschnitt)
Contempto, A Review of Books and Personalities, Vol. 1 No. 13 vom 1. Dezember 1931
das der Lithograph Prentiss Taylor (* 1907; † 1991) für Hughes’ kleinen Gedichtband „Scottsboro Limited” 1932 illustrierte.
Abb.: http://colorofchrist.com/christ-in-alabama-by-prentiss-taylor/
Prentiss Taylor: Christ in Alabama (1932)
Auch das karikaturartige „äffische“ Gesicht von Ofilis „Madonna“ lässt sich schwerlich als „beschimpfende Äußerung von Missachtung“ gegenüber Maria interpretieren 118, weil Ofili, von Comics inspiriert, damals auch andere Porträts ohne religiösen Bezug stilistisch ähnlich malte.
118
Siehe dazu Cada: Strategien der Repräsentation, S. 121 f. Fn. 68: „In der maskenhaften Wiedergabe des Gesichts der ‚Muttergottes‘
lassen sich Spuren des wissenschaftlichen Rassen-Diskurses wiederfinden. Rassen wurden im 18. und 19. Jahrhundert anhand phänotypischer Eigenschaften wie Haut- und Haarfarbe sowie einzelner Gesichts- und Schädelformen hierarchisch klassifiziert. ... Ofili betont diesen Aspekt durch die übertriebene Darstellung der einzelnen Gesichtsmerkmale von Maria. Diese besitzt eine überdurchschnittlich breite
Nase und wulstige Lippen, die einen ellipsenartigen Mund formen und somit an Affenkarikaturen denken lassen.“ Besser hat das wohl
Carol Baker (Surpassing the Spectacle: Global Transformations and the Changing Politics of Art, 2002, S. 51) formuliert: „... big-toothed,
big-lipped almost parody-like African mouth“.
37
Abb.: http://africanah.org/success-chris-ofili/ (Ausschnitt)
weil Ofili, von Comics inspiriert, damals auch andere Porträts ohne religiösen Bezug ähnlich malte.
Abb.: http://www.victoria-miro.com/artists/6-chris-ofili/news/ (Ausschnitt)
Chris Ofili: Captain Shit and the Legend of the Black Stars (1996) (Ausschnitt) 119. London, Victoria Miro Gallery
Als gewichtigerer Ansatzpunkt für eine „Beschimpfung“ im Sinne von § 166 StGB als die Darstellung Marias als Schwarze käme –
natürlich – die Verwendung von Elefantenkot an und auf dem Gemälde in Betracht. Im „Münchener Kommentar“ findet sich hierzu
der Hinweis, bei Abbildungen könne diese Tathandlung bei der Verbindung mit Objekten angenommen werden, „die als Symbole für
extreme Herabwürdigung stehen. Möglich ist dies durch ... Kombinationen mit abstoßenden Materialien (Fäkalien und Ähnliches,
etwa das Beschmieren einer ‚heiligen Schrift‘ mit solchen Substanzen)“ 120.
Hierfür gibt es aus dem weiten Bereich der Kunst einige Beispiele: Andres Serranos berühmtes Foto „Piss Christ“ von 1987 zeigt ein
in Urin getauchtes Kruzifix; in der Inszenierung des Bühnenstückes „Sul concetto di volto nel figlio di Dio“ („Über das Konzept des
Gesichts bei Gottes Sohn“) des italienischen Regisseurs Romeo Castellucci (* 1960) von 2011/12 wird ein Christusbild mit Steinen
beworfen und (scheinbar) mit Kot beschmiert.
119
Das Bild, das es in mehreren Varianten gibt, in der Gesamtansicht:
Abb.: http://www.victoria-miro.com/artists/6-chris-ofili/news/
120
Hörnle in Münchener Kommentar, StGB, § 86a Rn. 18.
38
Abb.: http://en.wikipedia.org/wiki/Piss_Christ
Abb.: http://www.katholisches.info/2013/05/12/proteste-gegen-castelluccis-gotteslasterung-am-wiener-burgtheater-fur-dompfarrer-faber-kunstliche-aufregung/
Oder: In dem 2003 in London uraufgeführten Musical „Jerry Springer – The Oper?“ von Richard Thomas und Stewart Lee singt und
tanzt im 3. Akt ein inkontinenter Jesus in Windeln auf der Bühne. Die deutsche Satirezeitschrift „Titani?“ zeigte im Juli 2012 auf Vorder- bzw. Rückseite Papst Benedikt XVI. mit einem gelben bzw. braunen Fleck auf der Soutane 121.
Abb.: http://encoretheatremagazine.blogspot.de/2005/01/jerry-springer-opera-on-tv.html
Abb.: http://alexbloggt.com/titanic-cover-mit-papst-benedikt-xvi/
Nun ist zu beachten, dass Ofili nicht erst- und einmalig bei diesem Bild der „Holy Virgin Mary“ Elefantendung verwendete, sondern in
ähnlicher Weise schon seit Jahren auf seinen Bildern als künstlerisches Mittel eingesetzt hatte und danach auch weiterhin einsetzte.
An „Sensation“ nahm Ofili mit insgesamt fünf Werken teil; auch die anderen vier, weitgehend abstrakt und keinerlei religiösen Bezug
aufweisend, waren mit Elefantendung drapiert.
Abb.: https://hayleygilchrist.wordpress.com/2008/02/26/chris-ofili/
Abb.: http://www.sothebys.com/en/auctions/ecatalogue/2014/contemporary-art-evening-sale-n09141/lot.18.html
Abb.: http://www.christies.com/lotfinder/paintings/chris-ofili-popcorn-tits-5766921-details.aspx
Abb.: http://www.saatchigallery.com/aipe/chris_ofili.htm
Spaceshit (1995)
Afrodizzia I (1996). Privatbesitz
Popcorn Tits (1996). Privatbesitz
Afroblufff (1996)
Noch deutlicher wird der fehlende abwertende, beschimpfende Bezug des Verwendens von Dung auf dem vor dem 1999er Ausstellungsskandal in New York bekanntesten Werk von Ofili, dem 1998 entstandenen Bild „No Woman No Cry“, benannt nach einem
Song des jamaikanischen Reggae-Musikers Bob Marley, den 1996 die HipHop-Band „Fugees“ mit großem Erfolg gecovert hatte 122.
121
Offenbleiben soll hier, ob und inwieweit überhaupt der Papst bzw. das Papsttum als geschützte „Einrichtung“ im Sinne von Abs. 2 Angriffsobjekt des § 166 StGB sein kann (siehe dazu Liesching, ZUM 2006, 578 mit weiteren Nachweisen).
122
Siehe dazu Cada: Strategien der Repräsentation, S. 86: „[The image is] a meditation on No Woman No Cry ...”
39
Abb.: http://www.artrepublic.com/prints/11204-no-woman-no-cry.html
Chris Ofili: No Woman No Cry (1998). London, Tate Britain
Das Bild hatte Ofili 1998 für die „Turner Prize“-Ausstellung gemalt. Ofili hatte es als Hommage an die ebenfalls aus Jamaika stammende Doreen Lawrence geschaffen, deren Sohn Stephen im April 1993 in London einem rassistisch motivierten Mord zum Opfer
gefallen war. Fünf weiße Jugendliche sollen an dem Mord beteiligt gewesen sein. Bilder der weinenden Frau auf einer Trauerkundgebung in Eltham, London waren durch die britischen Medien gegangen 123.
Abb.: http://www.bbc.com/news/uk-16400148
Doreen Lawrence (mit Ehemann Neville Lawrence) in Eltham
„Ich wollte ein Bild über Verlust, über ein ganz tiefes Gefühl von Schmerz und Trauer mache?“, erläuterte Ofili 124.
In ihre Tränen montierte Ofili collagierte Fotos ihres getöteten Sohnes.
123
Ofili betonte, „the painting is not a portrait of Doreen Lawrence“ (Cada: Strategien der Repräsentation,, S. 86).
Man könnte spekulieren, ob Ofili vielmehr Lauryn Hill, die Sängerin der „Fugees” (die allerdings nicht die Leadsängerin bei „No Woman No
Cry“ gewesen war), vor Augen hatte.
Abb.: http://www.discogs.com/Lauryn-Hill-Featuring-Carlos-Santana-To-Zion/master/539840
124
Lauryn Hill: To Zion – Featuring Carlos Santana (1998)
art-magazin.de 2/2000 (http://www.art-magazin.de/div/heftarchiv/2000/2/17868969793681174288/Chris-Ofili--Maler-und-Mythenspieler).
40
Abb.: http://the-tarpeian-rock.blogspot.de/2011/03/some-paintings-up-close.html
Aber außerdem trägt die Frau auf dem Gemälde an einer Halskette eine Kugel Elefantendung – ganz sicher nicht als „bösartiges
Verhohnen“ zu interpretieren. Auch aus der englischen Black Community gab es dementsprechend keine Proteste gegen das
Bild 125.
Abb.: http://photosalmagundi.wordpress.com/tag/chris-ofili-art/
Nun bleibt jedoch noch der Umstand, dass der Elefantendung ausgerechnet die entblößte rechte Brust der „Holy Virgin Mary“ bildet
oder jedenfalls bedeckt (denn anders wird man Ofilis Bild nicht interpretieren können, als dass das in der „Marianischen Farbe“ Blau
gehaltene Kleid insoweit den nackten Körper freigibt) –
Abb.: http://www.artnet.com/Magazine/features/hoving/hoving4-7-00.asp (Ausschnitt, Markierung von hier)
Abb.: http://www.christies.com/features/David-Walsh-The-Man-from-Mona-6293-3.aspx (Screenshot, Ausschnitt)
Abb.: http://www.christies.com/features/David-Walsh-The-Man-from-Mona-6293-3.aspx (Screenshot, Ausschnitt)
125
Nichts anderes gilt für Ofilis auf „Sensation“ ausgestelltes Werk „Afrodizzia I“ von 1996, auf dem er nicht nur zahlreiche schwarze Prominente auf Cut Outs abbildete, sondern einige Namen, etwa den des afroamerikanischen Jazzmusikers Miles Davis, auch noch direkt auf
den Elefantendung schrieb.
Abb.: http://www.sothebys.com/en/auctions/ecatalogue/2014/contemporary-art-evening-sale-n09141/lot.18.html (Ausschnitt)
Afrodizzia I (Ausschnitt)
41
eine Komposition, die sich so ähnlich auch auf Ofilis ebenfalls auf „Sensation“ ausgestelltem Bild „Popcorn Tits“ findet.
Abb.: http://www.christies.com/sales/post-war-contemporary-london-2014/sensational/ (Ausschnitt)
Auf einen möglichen Schlüssel zur Interpretation dieser provokanten Kombination könnte eine Anekdote von Arnold L. Lehman, dem
Direktor des Brooklyn Museums zur Zeit der New Yorker „Sensation“-Ausstellung hinweisen 126:
„Arnold L. Lehman ... recounts that a group of nuns from a nursing order based in Malawi contacted the museum after Sensation
had opened. The uproar over Chris Ofili’s painting had reached them as far away as Africa, but the sisters were perplexed: they
customarily use a poultice incorporating dung to treat women suffering from inflammation of their breasts after childbirth. The poultice takes down the swelling and allows those women to successfully breast-feed – only then does the milk flow. In their experience,
dung has revitalizing powers that bolster the image of the Madonna. It corroborates rather than derides the image of women as the
source and preserver of life.“
Zunächst einmal ist festzustellen, dass die Darstellung Marias mit entblößter Brust in der abendländischen Kunst nichts völlig Neues
ist.
Edvard Munch malte von 1892 bis 1895 seine Geliebte, die Schriftstellerin Dagny Juel(-Przybyszewska) (* 1867; † 1901), als barbusige „Madonna“ in insgesamt fünf Versionen.
Abb.: http://en.wikipedia.org/wiki/Madonna_%28Edvard_Munch%29
Edvard Munch (* 1863; † 1944): Madonna (auch: „Empfängnis“) (1894). Oslo, Nasjonalgalleriet
126
Steven C. Dubin: Displays of Power: Memory and Amnesia in the American Museum from the Enola Gay to Sensation, 1999, S. 254.
42
In der „Zeit“ ist das Motiv vor wenigen Jahren so beschrieben worden 127:
Munch macht aus einer Heiligen eine Sexikone, und er lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Die sonst so keusche Madonna wirft sich hier in eine leidenschaftliche Pose, ein Arm ist lasziv hinter den Kopf gestreckt, die Augen lustvoll geschlossen, das
Licht hebt ihre nackten Brüste hervor. Wo ein Heiligenschein sein sollte, sitzt eine rote Baskenmütze, wie sie die Pariser Prostituierten der Zeit trugen.
Lithographien, die Munch von dieser „Sexikone“ 128 darüber hinaus noch anfertigte (zusätzlich „Liebendes Weib“ tituliert), zeigen auf
einem Rahmen um die Madonna ganz offensichtlich einzelne Spermien. In eine Ecke des Bildes ist eine rätselhafte zusammengekauerte Gestalt zugefügt, die man als Embryo interpretieren könnte 129.
127
Sebastian Frenzel: Die Madonna und der Sex, Zeit online vom 12.10.2010 (http://www.zeit.de/2010/27/Kunstmarkt-Edvard-Munch).
Bemerkenswert, dass diese Beschreibung durchaus auch auf Munchs Model Juel, „eine der größten femmes fatales des Fin de Siècle“
(Gabriela Matuszek: Misogyner Diskurs in der europäischen Kultur um 1900, in: Kokorz/Mitterbauer [Hrsg.], Übergänge und Verflechtungen: kulturelle Transfers in Europa, 2004, S. 15) zugeschnitten erscheint: „Dagny Juel, eine Frau von verführerischer Ausstrahlung, stachelte die Fantasie fast aller Männer an. Es soll keinen gegeben haben, der sich nicht in sie verliebte. Auch Munch war ihrem Reiz erlege?“, wie es die Kuratorin Carolin Quermann anlässlich einer Munch-Ausstellung einmal formulierte (Hamburger Morgenpost vom 1.3.2006
[http://www.mopo.de/news/kunst-edvard-munch-in-hamburg--einblicke-in-das-seelenleben,5066732,5668050.html]). Auch während ihrer
Ehe mit dem polnischen Schriftsteller Stanisław Przybyszewski hatte sie Affären, neben Munch etwa auch mit dem schwedischen Schriftsteller August Strindberg (allesamt übrigens miteinander befreundet).
Abb.: http://www.conceptualfinearts.com/cfa/2014/04/24/a-particular-affinity-between-gauguin-and-munch-inspired-by-a-show-currently-at-the-moma/
Edvard Munch: Eifersucht (1895). Bergen, Rasmus Meyer Collection
(In der Mitte Dagny Juel, rechts ihr Ehemann Stanisław Przybyszewski)
„Madonnenhaft“ zeigte sich Juel wohl erst nach der Geburt ihres (ersten) Kindes Zenon (* 1895).
Abb.: http://pl.wikipedia.org/wiki/Dagny_Juel_Przybyszewska#/media/File:Dagny_Juel_with_her_son_Zenon.jpg
Dagny Juel mit ihrem Sohn Zenon Przybyszewski (1899)
128
Besonders wenn man an Leonardo da Vincis „Maria Magdalena“ denkt, ist man geneigt sogar zu erwägen, ob Munch seine als „Sexikone interpretierte „Madonna“ als „Marienkonglomerat“ gemeint haben könnte: „Verschmolz“ Munch „die Jesusmutter mit der sündennahen
Maria Magdalena“? (Roland Schreyer: Akte St. Nikolai: Utopischer Roman, 2010, S. 243).
Abb.: https://www.heiligenlexikon.de/BiographienM/Maria_Magdalena.html
Leonardo da Vinci (* 1452; † 1519) (mit Giampietrino): Maria Magdalena (um 1515). Privatbesitz
43
Abb.: http://www.edvard-munch.com/gallery/litho/madonna_litho.htm
Madonna (auch: Liebendes Weib)
Vor der Moderne, also von den Alten Meistern, wird Maria häufig mit zumeist nur einer nackten Brust (wie Ofilis „Holy Virgin Mary“)
als Stillende dargestellt. Das Motiv der das Jesuskind stillenden Maria („Maria lactans“) findet sich in der abendländischen Malerei
schon seit dem 13./14. Jahrhundert.
Abb.: http://www.wga.hu/html_m/zgothic/miniatur/1201-250/2english/47englis.html
Abb.: http://de.wikipedia.org/wiki/Maria_lactans
Abb.: http://oradireli.com/2011/12/
Abb.: http://digilander.libero.it/madonneallattanti/img/68%20Pietro%20da%20Rimini%202.jpg
Unbekannter Miniaturist: Seite im Amesbury Psalter (ca. 1250). Oxford, All Souls College
Meister der (Heiligen) Magdalena: Thronende Madonna lactans mit Hl. Petrus und Hl. Leonhard (ca. 1270). New Haven, Yale University Art Gallery
Ambrogio Lorenzetti (* um 1290; † 1348): Madonna del latte (ca. 1335). Siena, Palazzo Arcivescovile
Pietro da Rimini († um 1345): Madonna in trono col Bambino (1320/40) Florenz, Fondazione Longhi
Später kam als weiteres Motiv die „Lactatio Bernhardi“ hinzu: Dem (Heiligen) Bernhard von Clairvaux (* um 1090; † 1153), dem Ordensvater der Zisterzienser, wegen seiner glühenden Marienverehrung auch „Doctor marianus“ genannt, soll Maria erschienen sein,
als er vor einem solchen Marienbildnis kniete und den Hymnus „Ave maris stella“ betete: Bei dem Anruf „Monstra te esse matrem“
(„Zeige dich als Mutter“) entblößte Maria ihre Brüste und bespritzte ihn mit ein paar Tropfen ihrer Milch. Maria, mit dem Jesuskind
(als verkörperte Weisheit) auf dem Schoß auch als „Sedes Sapientiae“ bezeichnet, übermittelte so ihre Gaben Erkenntnis und
Weisheit an Bernhard. Diese „Vision des Heiligen Bernhard“ wurde häufiger bis in die Barockzeit hinein, gelegentlich sogar noch im
18. Jahrhundert dargestellt –
Munch soll auch die ersten, ab Ende 1891 entstandenen Fassungen der „Sünde“ von Franz von Stuck gekannt haben, deren Frauengestalt
sofort Parallelen zu Munch „Madonna“ suchen lässt. Freilich dürfte von Stuck, wie spätestens die Abbildung der Schlange zeigt, hier keine
„Maria des Fin de Siècle“ kreiert haben; vielmehr liegen Anspielungen an die alttestamentarische Eva als Femme fatale näher.
Abb.: http://www.rhetoriksturm.de/franz-von-stuck-die-suende.php
Franz von Stuck (* 1863; † 1928): Die Sünde (1893). München, Neue Pinakothek
129
Die in den Druckstein aufgenommene Rahmung geht wahrscheinlich auf den ursprünglichen Rahmen einer Gemäldefassung zurück,
der heute nicht mehr erhalten ist.
44
Abb.: http://www.art-breastfeeding.com/rel2/bern.htm
Abb.: http://pt.wikipedia.org/wiki/Juan_de_Roelas
Abb.: http://es.wikipedia.org/wiki/Lactatio_Bernardi?uselang=de
Joos van Cleve (* 1485: † 1540): Die Vision des Hl. Bernhard (um 1505). Paris, Musée du Louvre
Juan de Roelas (* um 1570: † 1625): Die Vision des Hl. Bernhard (1611). Sevilla, Palacio Arzobispal
Bartolomé Esteban Murillo (* 1617; † 1682): Die Vision des Hl. Bernhard (um 1660). Madrid, Museo del Prado
mit manchmal (jedenfalls aus heutiger Sicht) durchaus die Grenzen des (nicht nur) religiösen Geschmacks übersteigender Überzeichnung der Lactatio 130: Maria übermittelt dann nicht Erkenntnis und Weisheit durch Benetzung der Stirn des Heiligen Bernhard,
sondern vielmehr Beredsamkeit, indem sie dem später als „Doctor mellifluus“ („honigfließender Lehrer“) Verehrten ihre Milch in den
Mund spritzt.
Abb.: http://de.wikipedia.org/wiki/Maria_lactans?uselang=de
Abb.: http://de.wikipedia.org/wiki/Maria_lactans?uselang=de (Ausschnitt)
Alonso Cano (* 1601; † 1667): Die Vision des Hl. Bernhard (um 1650). Madrid, Museo del Prado
Abb.: http://www.kreuzgang.org/viewtopic.php?f=3&t=10893
Abb.: http://www.kreuzgang.org/viewtopic.php?f=3&t=10893 (Ausscnitt)
Josefa de Obidos (* 1630; † 1684): Die Vision des Hl. Bernhard (1670). Coimbra, Museu Nacional Machado de Castro
Gelegentlich ging die Anziehungskraft des Motives sogar so weit, dass dargestellt wurde, wie Maria noch anderen Kirchenmännern
ihre Brust sogar zum Säugen darbietet 131.
130
Näher Franz Slump: Gottes Zorn – Marias Schutz. Pestbilder und verwandte Darstellungen als ikonographischer Ausdruck spätmittelalterlicher Frömmigkeit und als theologisches Problem, überarbeitete Lizentiatsarbeit Münster 2000, S. 107 f. (www.slump.de/lizentiatsarbeit.pdf).
131
„... die Gnade der hl. Jungfrau Maria [genoss] überall enorm hohes Ansehen ... Ihr barmherziger Beistand hatte ... so große Bedeutung,
dass das Thema der ‚Milchgabe Mariens an den hl. Bernhard‘ in der Theologie und folglich in der christlichen Kunst noch lange kein Einzelfall blieb. Z.B. wurden auch der hl. Dominikus und die hl. Katharina von Siena von der hl. Jungfrau mit Milch gelabt. Den hl. Dominikus
nährte Maria, als er nach tagelangem Hungern, zurückgezogen in einem Wald, fast am Ende war, und die hl. Katharina wurde, wie es
heißt, besonders großzügig (‚ingenti munere‘) mit dem köstlichen himmlischen Nektar beschenkt. Die ‚Lactatio‘ ist ein Zeichen für die
Heilsbemühungen der Muttergottes. Diese beziehen sich aber nicht nur auf die Lebenden, sondern auch auf die Toten. So existiert die Vorstellung, dass sie auch den armen Seelen im Fegefeuer auf mütterliche Weise ihre Milch spendet.“ Tiroler Kunstkataster: Kulturraum Tirol
(http://www.kulturraumtirol.at/index.php?id=121&no_cache=1&tx_ttnews[tt_news]=59).
45
Abb.: http://www.stillbeziehungen.tk/Maria/index.htm
Abb.: http://www.uh.edu/~englmi/ObjectsAndSeeing_3.html
Abb.: https://germanskawroclaw.wordpress.com/tag/rak-piersi/
Unbekannter französischer Miniaturist: Maria stillt einen Mönch (um 1290/1300)
Juan Tinoco (* 1617; † 1699): Stillen des Sankt Cajetan. Ciudad de México, Museo Franz Mayer
Unbekannter peruanischer Meister: Lactatio des Hl. Pedro Nolasco (1663). Cuzco/Peru, Monasterio de la Merced
Derartige Darstellungen von Laktationen findet man heute eigentlich nur in japanischen Hentai, also pornographischen Comics, gezeichnet.
Abb.: http://topsexweb.com/extremehentaitube.com
Abb.: https://hitomi.la/galleries/775659.html
Abb.: http://liptongued.com/hent/hentai-huge-tits-tit-squeeze-milk-lactation.html
Bezeichnenderweise wurde im 19. Jahrhundert beispielsweise in Tirol bei einer aus dem Rokoko stammenden „Lactatio Bernhardi“
der nackte Busen Marias mit einem Stück Kleid übermalt.
Abb.: http://www.kulturraumtirol.at/index.php?id=121&no_cache=1&tx_ttnews[tt_news]=59
Abb.: http://www.kulturraumtirol.at/index.php?id=121&no_cache=1&tx_ttnews[tt_news]=59 (Ausschnitt)
Joseph Jais (* 1716; † 1763): Milchgabe an den hl. Bernhard (1748/49). Tirol, Stamser Alm, Kapelle „Maria Heimsuchun?“
Ofili war sich der zumindest (!) latenten Erotik in den Bildnissen der stillenden Maria sehr wohl bewusst 132:
I was going to the National Gallery Sainsbury Wing and
looked at Van Eyck’s paintings of mother and child. I
just wanted the image of the breast really. The exposed
breast is hinting at motherhood but those images are
very sexually charged. … I think the Virgin Mary was an
excuse for pornography in the homes of these holy
priests and Godfearers. So I think in the 90s a version
of it would allow the pornographic images to come
more to the surface.
Nun verwundert diese Aussage insofern, als sich im Sainsbury-Flügel der Londoner Nationalgalerie kein „Mutter und Kind”-Bild des
flämischen Malers Jan van Eyck befindet; man mag spekulieren, ob Ofili „Virgin and Child“ von Dirk Bouts, dem von van Eyck stark
beeinflussten jüngeren Zeitgenossen, meinte, das dort in Raum 63 hängt und der Beschreibung entspricht 133.
132
Siehe dazu Cada: Strategien der Repräsentation, S. 37.
46
Abb.: http://www.nationalgallery.org.uk/paintings/dirk-bouts-the-virgin-and-child
Dirk Bouts (* 1410/20; † 1475): Virgin and Child (um 1465)
Unabhängig davon hätte Ofili vor allem im Barock Darstellungen der stillenden Maria finden können, die wohl noch deutlich mehr
„sexually charged“ sein dürften, beispielsweise – bleiben wir in der niederländisch-flämischen Malerei – von Rubens und Rembrandt 134.
Abb.: http://goingbraless.net/Forum3/viewtopic.php?f=162&t=4229
Peter Paul Rubens (* 1577; † 1640): Die Jungfrau stillt das Christkind (1614) (Ausschnitt). Salt Lake City, Utah Museum of Fine Arts
Rembrandt Harmensz van Rijn (* 1606; † 1669): Die Heilige Familie (1633/1635) (Ausschnitt). München, Alte Pinakothek
133
Ein der Beschreibung am ehesten entsprechendes Gemälde van Eycks (* um 1390; † 1441), die Lucca-Madonna (um 1436), befindet
sich im Städelschen Kunstinstitut in Frankfurt/M. (Die Verwendung der Farbe Rot für die Bekleidung Marias ist ein Charakteristikum der
niederländischen Malerei des 15. Jahrhunderts).
Abb.: The Yorck Project: 10.000 Meisterwerke der Malerei, http://en.wikipedia.org/wiki/Lucca_Madonna_%28van_Eyck%29
134
Die beiden Gemälde in ganzer Ansicht:
Abb.: http://collections.umfa.utah.edu/index.php/Detail/Object/Show/object_id/188
Abb.: http://www.pinakothek.de/rembrandt-harmensz-van-rijn/die-heilige-familie
47
Zufall oder nicht? Zu einem kleinen gotischen Altarbild Francescuccio Ghissis, das eine „Madonna dell’ Umiltà” („Madonna der Demut”) – ein im 13. und 14. Jahrhundert in der sienesischen und florentinischen Malerei verbreitetes Motiv mit auf dem Boden sitzender Maria – zeigt, auf dem zusätzlich noch das Jesuskind gestillt wird, weist Ofilis „Holy Virgin Mary“ einige überraschend ähnelnde
Züge auf. Ob Ofilis es gekannt hat, weiß ich nicht.
Abb.: http://www.historia-del-arte-erotico.com/1301/Francescuccio%20Ghissi_aprox_1350.jpg (Ausschnitt)
Abb.: MONA/ Peter Whyte, http://imagestoliveby.com/tag/art/
Francescuccio Ghissi (* unbekannt; † 1395): Madonna dell’ Umiltà (1350/60) (Ausschnitt 135). Rom, Pinacoteca vaticana
Die Deutung Ofilis, solche Mariendarstellungen hätten den Kirchenmännern damals als „excuse for pornography“ gedient, so dass
er meinte, in seiner Version der 1990er Jahre „it would allow the pornographic images to come more to the surface“, kann außerdem
auch eine Erklärung für die aus Sexheften ausgeschnittenen Schnipsel vor allem um den Kopf seiner „Holy Virgin Mary“ herum nahelegen,
Abb.: http://www.factmag.com/2010/01/19/chris-ofili-at-tate-britain/
wie Ofili damals auch auf einigen anderen Bildern ohne religiösen Bezug einfügte.
135
Das Altarbild in ganzer Ansicht:
Abb.: http://www.historia-del-arte-erotico.com/1301/Francescuccio%20Ghissi_aprox_1350.jpg
48
Abb.: http://mooonriver.blogspot.de/2012/10/chris-ofili-foxy-roxy.html
Abb.: http://whywhiteboysdresslikeblackboys.blogspot.de/
Foxy Roxy (1997). Privatbesitz
Pimpin’ ain’t easy (1997)
In Bildnissen der traditionellen religiösen Malerei umschwirren häufig kleine Engel die Figur der Maria. Waren es seit der Frührenaissance zunächst regelmäßig geflügelte, körperlose Kinderköpfe (Cherubköpfe),
Abb.: http://en.wikipedia.org/wiki/The_Madonna_of_the_Cherubim
Abb.: http://hesophia.forumfree.it/?t=33096565
Abb.: http://www.zeno.org/Kunstwerke/B/D%C3%BCrer,+Albrecht%3A+Madonna+mit+dem+Zeisig
Andrea Mantegna (* um 1431; † 1506): Madonna und Kind mit Cherubim (um 1485). Mailand, Pinacoteca di Brera
Giovanni Bellini (* 1430; † 1516): Madonna der roten Cherubim (um 1485). Venedig, Gallerie dell’Accademia
Albrecht Dürer (* 1478; † 1521): Madonna mit dem Zeisig (1505). Berlin, Gemäldegalerie
so traten später häufig Putten (Kinderengel) an deren Stelle 136, die sich auf die in der Antike bekannten Darstellungen kleiner, oft geflügelter nackter Knaben, verniedlichte Gestaltungen des griechisch/römischen Liebesgottes Eros/Amor, zurückführen lassen.
136
Die ersten Kinderengel modellierte wohl der florentinische Bildhauer Donatello (* 1386; † 1466) im Jahre 1428.
Abb.: Alinari, http://www.dieterhoof-paedagogik-kultur.de/speicherversion.htm
Donatello: Relief an der Außenkanzel am Dom von Prato (1428)
49
Abb.: http://www.zeno.org/Kunstwerke/B/D%C3%BCrer,+Albrecht%3A+Marienaltar,+Mittelbild+und+Fl%C3%BCgel,+Gesamtansicht (Ausschnitt)
Abb.: http://www.zeno.org/Kunstwerke/B/Holbein+d.+%C3%84.,+Hans%3A+Maria+mit+Kind
Abb.: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Lucas_Cranach_d.%C3%84._-_Madonna_mit_Kind,_Mauritshuis.jpg
Albrecht Dürer: Marienaltar, Mittelbild (um 1496). Dresden, Gemäldegalerie
Hans Holbein der Ältere (* um 1464; † um 1524): Maria mit Kind („Böhlersche Madonna“) (1515/16). München, Sammlung Julius Böhler
Lucas Cranach der Ältere (* 1472; † 1553): Madonna mit Kind (um 1515/20). Den Haag, Mauritshuis, Koninklijk Kabinet van Schilderijen
Vor allem im flämischen und spanischen, also katholischen Barock – das bis dahin eher schlichte Mutter-Kind-Motiv wird immer opulenter dargestellt – erhielten sie immer mehr die Anatomie nackter männlicher pummeliger Kleinkinder.
Abb.: http://www.pinakothek.de/peter-paul-rubens/madonna-im-blumenkranz
Abb.: http://www.zeno.org/Kunstwerke/B/Murillo,+Bartolom%C3%A9+Esteban+Perez%3A+Madonna+mit+Kind+und+Hl.+Rosalie
Peter Paul Rubens und Jan Brueghel der Ältere (* 1568; † 1625): Madonna im Blumenkranz (um 1616/18). München, Alte Pinakothek
Bartolomé Esteban Perez Murillo (* 1618; † 1682): Madonna mit Kind und Hl. Rosalie (um 1670). Lugano, Sammlung Thyssen-Bornemisza
In der Salonmalerei des Akademischen Realismus im 19. Jahrhundert – hier sei auf das beinahe fotorealistische Spätwerk William
Adolphe Bouguereaus (* 1825; † 1905) hingewiesen – wurden die Putten jedoch manchmal nicht mehr als Kleinkinder, sondern als
androgyne Halbwüchsige, als (Prä-)Adoleszente gemalt – insbesondere für Ephebophile wohl „very sexually charged“.
Abb.: http://www.artrenewal.org/pages/artist.php?artistid=7
Abb.: http://commons.wikimedia.org/w/index.php?title=William-Adolphe_Bouguereau&uselang=de
Abb.: http://commons.wikimedia.org/w/index.php?title=William-Adolphe_Bouguereau&uselang=de
L’Amour au Papillon (1888). Privatbesitz
Amour a l’affut (1890). Privatbesitz
L’Amour Mouille (1891). Privatbesitz
Einige solcher Bilder könnte Bouguereau – übrigens Katholik – trotz abweichender Titelgebung sehr wohl als Andeutung von Mariendarstellungen verstanden haben; schon die blaue Bekleidung der Frauen spricht dafür.
50
Abb.: http://commons.wikimedia.org/w/index.php?title=William-Adolphe_Bouguereau&uselang=de
Chansons de printemps (1889). Privatbesitz
L’Eveil du coeur (1892). Privatbesitz
Rêve de printemps (1901). Indianapolis, Museum of Art
Von hier zu den die „Holy Virgin Mary“ umkreisenden Porno-Schnipseln Ofilis ist es künstlerisch also ein kurzer Weg – wenngleich
noch die Frage offen bleibt, weshalb Ofili denn ausgeschnittene (weibliche) Gesäße gewählt hat – anders auch als auf den Schnipseln auf seinen Bildern „Foxy Roxy“ (Brüste) und „Pimpin’ ain’t easy“ (gespreizte Schenkel) von 1997.
Abb.: https://mobile.twitter.com/judith_osborn/status/613372435728105472/photo/2
Abb.: https://mobile.twitter.com/judith_osborn/status/613372435728105472/photo/3
Zur Beantwortung könnte daran angesetzt werden, dass Ofili, wie er in einem Interview einmal sagte, versuchen wollte, „a nineties
hip-hop version of the Virgin Mary“ zu schaffen 137.
Im HipHop, der in den späten 1970er Jahren in den Schwarzen-Ghettos der USA (namentlich in New York) entstandenen Jugendkultur, die sich seit Anfang der 1990er Jahre international verbreitete, spielt der Po der (schwarzen) Frau eine besondere Rolle. Anders als in den von Weißen geprägten Gesellschaften Europas und Nordamerikas hat ein ausgeprägtes weibliches Gesäß in Afrika
und Lateinamerika schon immer als besonders attraktiv gegolten. Es zählt längst auch in der afroamerikanischen Kultur der USA zu
den Schönheitsidealen 138.
Der (schwarze) Rapper Sir Mix-a-Lot aus Seattle stand am Anfang des Siegeszuges des Pos im HipHop. Seine Single „Baby Got
Back“ stand 1992, weit über zwei Millionen Mal verkauft, fünf Wochen lang auf Platz 1 der „Billboard Hot 100”. Seine ersten Worte
„I like big butts and I can not lie / You other brothers can’t den?“ haben im HipHop Kultstatus und werden oft zitiert.
MTV spielte das Musikvideo nur spät abends wegen der entsprechenden sexuellen Anzüglichkeiten.
Abb.: http://www.tape.tv/sir-mix-a-lot/videos/baby-got-back (Screenshot)
Sir Mix A Lot: Video zu „Baby Got Back”
Seitdem verbreitete sich der Tanzstil des „Twerking“ in Hip-Hop-Videos. Seine Bewegungen sollen aus einer Form des afrikanischen
Tanzes kommen, bei der man dem Publikum den Rücken zuwendet, sich vornüberbeugt und den „Booty shaked“.
137
Siehe dazu Cada: Strategien der Repräsentation, S. 38.
Siehe dazu näher Ann-Kathrin Mittelstraß: Der Hintern in der Popkultur, Bayern 2 vom 7.10.2014 (http://www.br.de/radio/bayern2/
sendungen/zuendfunk/pop-platten/booty-hype-jlo-iggyazalea-100.html).
138
51
Abb.: http://www.directlyrics.com/beyonce-performs-drunk-in-love-xo-more-beyonce-album-tracks-at-2014-tour-opener-in-glasgow-watch-videos-news.html
Kurzum: Die Gesäß-Schnipsel Ofilis, die „The Holy Virgin Mary“ anstelle von Putten umkreisen, finden eine künstlerisch nachvollziehbare Erklärung. Eine „Beschimpfung“, ein „bösartiges Verhohnen“ des Marienkultes im Sinne von § 166 StGB ist also auch insoweit nicht im Entferntesten erkennbar.
Ofili hat nichts anderes gemacht als andere Künstler seit Anfang des 20. Jahrhunderts auch: Er hat das traditionelle Motiv der Maria
zum einen unter Verwendung seiner Materialien (Elefantendung, Cut Outs) in seine Bildsprache übertragen und es zum anderen aktualisiert, in Bezug zum Hier und Heute gesetzt.
Schon Maler der Klassischen Moderne (auffällig häufig dem Expressionismus nahestehende Künstler) hatten Maria, genauer gesagt, ein zumindest religiöse Konnotationen weckendes Mutter-Kind-Motiv in ihre Bildsprache umgesetzt – selbstredend nicht unbedingt so, wie Kirchgänger es für ihre Andacht gewohnt sind und erwarten;
Abb.: http://helnwein-kind.at/das_kind_in_der_kunst/pablo_picasso.html
Abb.: http://www.wikiart.org/en/egon-schiele/mother-and-child-madonna-1908
Abb.: http://piekarska.net/?cat=72&sub=56&art=228
Abb.: Hauswedell & Nolte, http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunstmarkt/auktionen/moderne-und-gegenwartskunst-die-anprobe-oder-die-liebe-zum-stoff-1882031/carlo-mense-madonna-mit-1889056.html
Abb.: http://www.wikiart.org/en/david-burliuk/love-and-peace-1914
Abb.: http://www.kettererkunst.de/kunst/kd/details.php?obnr=113002647&anummer=409
Abb.: http://www.sabatier.cc/index.php?cPath=21_31&osCsid=044cc1f683e60ba9c7ffa0f6b10fa508
Abb.: http://www.kettererkunst.de/kunst/kd/details.php?obnr=100801389&anummer=347
Abb.: http://www.scu.edu/deSaisset/exhibits/rouault.html
Abb.: http://www.museothyssen.org/en/thyssen/contenidos_articulo/7
Pablo Picasso (* 1881; † 1973): Mutter und Kind (1907). Paris, Musée Picasso
Egon Schiele (* 1890; † 1918): Mutter und Kind (Madonna) (1908). Hannover, Niedersächsisches Landesmuseum
Tytus Czyżewski (* 1880; † 1945): Mutter mit Kind (Madonna z Dzieciątkiem) (1909). Łódź, Muzeum Sztuki
Carlo Mense (* 1886; † 1965): Madonna mit Kind (um 1913/14). Privatbesitz
David Burliuk (* 1882; † 1967): Liebe und Frieden (Любовь и мир) (1914). Privatbesitz
Max Pechstein (* 1881; † 1955): Mutter mit Kind (1914). Privatbesitz
Bruno Krauskopf (* 1892; † 1960): Mutter mit Kind (um 1920). Privatbesitz
Curt Ehrhardt (* 1895; † 1972): Mutter mit Kind (1920). Privatbesitz
Georges Rouault (* 1871; † 1958): En ces temps noirs de jactance et d’incroyance, Notre Dame de la Fin des Terres Vigilante. Miserere Planche no 56 (1927)
Marc Chagall (1887; † 1985): Madonna am Dorf (1938/42). Madrid, Museo Thyssen-Bornemisza
dennoch befindet sich die mit manieristisch-überstreckten Formen gemalte Maria des dem Expressiven Realismus zuzuordnenden
schleswig-holsteinischen Malers Max Kahlke (* 1892; † 1928) seit den 1930er Jahren sogar im (evangelisch-lutherischen) Schleswiger St.-Petri-Dom.
52
Abb.: http://pittkowski.de/domkultur/kahlke/kahlke2.html
Max Kahlke: Marienaltar (Mittelteil) (1927). Schleswig, St.-Petri-Dom
Hervorzuheben ist der rheinische Expressionist Paul Adolf Seehaus (* 1891; † 1919), der mit seiner „Madonna der Vorstadt“ Maria
„zwischen städtischen Häusern ... so stark farbig, daß die Wände wackeln“ 139 ähnlich wie Ofili in seine Zeit versetzte.
Abb.: http://www.campus-web.de/1/1951/10672/
Paul Adolf Seehaus: Madonna der Vorstadt (1919).
Salvador Dalí (* 1904; † 1989) malte und zeichnete vor allem in den Jahren nach dem 2. Weltkrieg zahlreiche Madonnenbilder in unterschiedlicher (surrealistischer) Manier.
Abb.: http://www.wikiart.org/en/salvador-dali/day-of-the-virgin
Abb.: http://www.wikiart.org/en/salvador-dali/corpuscular-madonna
Abb.: Artists Rights Society, http://www.metmuseum.org/toah/works-of-art/1987.465/
Day of the Virgin (1947). Mexiko, Museo Soumaya
Corpuscular Madonna (1952). Birmingham (Alabama), Museum of Art
Sistine Madonna (1958). New York, Metropolitan Museum of Art
Seine in mehreren Variationen gemalte „Madonna von Port Lligat“ zeigt eine Maria vor dem Hintergrund des Atom(kriegs)zeitalters
kurz nach dem 2. Weltkrieg 140 und ist insofern thematisch ähnlich der „Madonna vor Stacheldraht und Trümmern“ von Otto Dix von
1945 zeitlich transformiert ausgelegt.
139
Paul Adolf Seehaus: Briefe und Aufzeichnungen, 1930, S. 99.
Stan Parchin: Dalí. A Special Exhibition Review (http://arthistory.about.com/library/weekly/bl_dalipma_rev.htm): „Profoundly affected by
the explosion of the first atomic bomb on Hiroshima in 1945, The Madonna of Port Lligat (First Version) (1949) exemplifies Dalí‘s preoccupation with atomic physics and Catholic doctrine which he called Nuclear Mysticism. The painting's fragmented architectural elements
surround the Madonna (in reality his beloved Gala) and Child suspended in space, defying the laws of gravity. The composition underscores Dalí's interests in particle physics while cleverly using Christian iconography from the Italian Renaissance in an attempt, perhaps, to
reconcile faith and science during the later years of his career.“
140
53
Abb.: https://en.wikipedia.org/wiki/The_Madonna_of_Port_Lligat
Abb.: http://wintzenheim3945.free.fr/D42C_Otto-Dix/D42C_Otto-Dix.htm
Salvador Dalí: Die Madonna von Port Lligat (1949). Milwaukee, Marquette University, Haggerty Museum of Art
Otto Dix (* 1891; † 1969): Madonna vor Stacheldraht und Trümmern (Mittelteil) (1945). Berlin, Kirche Maria Frieden
Verschiedene Künstler der Spätmoderne haben Marienbildnisse aus verfremdenden Materialien, etwa bemalten Papierschnipseln,
dem „Schwarzen Gold“ Russlands (Kaviar) oder rosa Lindenholzstücken gebildet.
Abb.: http://bjws.blogspot.de/search/label/1900s%20Madonnas
Abb.: VG Bild-Kunst, Bonn 2015/ Frankfurt a. M., Städel Museum/ARTOTHEK, http://www.landesmuseum-hannover.niedersachsen.de/portal/live.php?navigation_id=37139&article_id=137228&_psmand=183
Abb.: http://www.matthes-seitz-berlin.de/artikel/sandra-frimmel-theater-im-taganer-gericht-die-reportage-eines-prozesses.html
Abb.: Otto Saxinger, http://www.meinbezirk.at/linz/kultur/madonna-mit-kind-von-michael-lauss-m4112286,547633.html
Romare Bearden (* 1911; † 1988) Mother and Child (1971). Washington, D.C., Smithsonian American Art Museum
Thomas Bayrle (* 1937): Madonna Mercedes (1989). Frankfurt/M., Städel Museum
Alexander Kosolapow (* 1943): Kaviar-Ikone (1994)
Michael Lauss (* 1955): Madonna mit Kind (2000)
Gerade in den letzten Jahren ist das traditionelle Motiv der Maria von anderen Künstlern aber auch aktualisiert und in Bezug zum
Hier und Heute gesetzt worden, worum es Ofili ebenfalls gegangen ist.
So ist in der Malerei, besonders aber im Bereich der (Mode-)Fotografie und der Fotomontage die Tendenz zu erkennen, Maria –
durchaus entsprechend dem postmodernem Kunstverständnis – spielerisch, oft ohne tieferen Sinn (und regelmäßig ohne das Ziel,
Kirche oder Gläubige zu provozieren 141) in die Gegenwart zu versetzen. Maria ist schick.
„Superstars“, „Supermodels“ und andere „Superheroines“ werden im Stile alter Marienbildnisse als Madonna abgebildet.
141
Ohne das hier zu vertiefen: Auch „politischen“ Motiven ist oft entsprechend dem postmodernen Kunstverständnis eher eine wenig zielgerichtete Veralberung als ein satirischer „Biss“ eigen.
Abb.: https://fotki.yandex.ru/users/kalininskiy/album/10228/?&p=1
Abb.: http://www.erika-lust.de/malerei.htm
Abb.: http://thepeoplescube.com/current-truth/if-i-also-had-a-son-celebrities-weigh-in-t8685.html
Valentin Kalininskiy (* 1961): Я в шоке! (Ich bin schockiert!) (2006)
Erika Lust (* 1961): Ikone neu
„If I also had a son ...”. The People's Cube vom 26. März 2012
54
Abb.: http://allaboutmadonna.com/2006/02/madonna-on-cover-of-machina-magazine-hq-picture.php
Abb.: http://athoughtfulgirl.tumblr.com/post/3189115150/gallery-francesco-vezzolis-sacrilegio-at-the
Abb.: http://fantasygunius.tumblr.com/post/30803404026
Madonna z Lourdes. Machina vom 3. Februar 2006
Francesco Vezzoli (* 1971): Crying Portrait of Naomi Campbell as a Renaissance Madonna with Holy Child (after Cima da Conegliano) (2010) (Ausschnitt)
Unbekannter (vermutlich russischer) Künstler: Nadeschda Tolokonnikowa von Pussy Riot (2012)
Fotomodels werden auf Zeitschriftencover
Abb.: http://www.nydailynews.com/news/world/playboy-mexico-nude-virgin-mary-look-alike-cover-article-1.357639
Abb.: http://www.red-carpet.de/stars-stories/star-leben-covern-kate-moss-201378
Playboy Méxiko Dezember 2008 (Maria Florencia Onori)
W-magazine März 2012 (Kate Moss)
oder für Modefotos des Öfteren mit „Marien-Chic“ ausstaffiert abgelichtet.
Abb.: http://www.christopheguye.com/artists/miles-aldridge/selected-works/miles-aldridge-immacul%C3%A9e-3-2007.html?lang=DE / Motiv: Miles Aldridge
Abb.: http://www.traditioninaction.org/Cultural/C020cpMadonasGaultier.htm / Motiv: Jean Paul Gaultier
Abb.: Reuters/Rodrigo Nunez/Handout, http://www.reuters.com/article/2009/01/16/us-religion-virginmary-idUSTRE50F5DJ20090116 / Ricardo Oyarzun (Modedesign)
Bisweilen wird Maria auch zu einer modernen jungen Frau verfremdet –
55
Abb.: Dorothee Golz, http://www.meinbezirk.at/linz/kultur/madonna-mit-der-blauen-bluse-von-dorothee-golz-m4112293,547633.html
Abb.: http://www.hillstream.com/artist/john-collier/paintings-gallery
Dorothee Golz (* 1960): Madonna mit der blauen Bluse (2011)
John Collier (* 1934): Annunciation (2000)
durchaus nicht unbedingt züchtig.
Abb.: Charim Ungar Contemporary Berlin, http://www.monopol-magazin.de/kalender/termin/20105313/charim-ungar-contemporary-berlin/Dorothee-Golz-Jeans-Madonna.html
Dorothee Golz: Jeans-Madonna (2007)
Einige ambitionierte (Amateur-)Fotografen (auffallend häufig Fotografinnen) gehen noch einen Schritt weiter und präsentieren vor allem im Internet „Frauen von nebenan” als Maria – wobei hier zumeist die Auswahl der Madonnentypen auffällig „mutig“ ist:
Es findet sich neben dem Motiv der Maria lactans –
Abb.: VG Bild-Kunst, http://bildimpuls.de/rw_e13v/module/art2/default.asp?WebID=Bildimpuls&modus=det&ID=119
Abb.: http://www.fotocommunity.de/pc/pc/display/13578988
Abb.: http://www.fotocommunity.de/pc/pc/display/22150759
Birgit Dunkel (* 1964): Madonna, klassisch (2001)
Ruth Reitberger: Maria mit Kind (2008)
Julia Schestag: Maria mit ihrem Kind (2010)
manchmal noch unter Substitution des Jesuskindes –
56
Abb.: http://antisanta.cz/
Abb.: https://www.flickr.com/photos/duquea/sets/72157633215925218/
Lukáš Vrtílek (* 1979): Anti Santa (2006)
Ariane Duque: Holy Mother of Photography (2013)
sogar das in der traditionellen Marienmalerei gar nicht so häufige Motiv der Maria gravida (oder „Maria in der Hoffnung“) 142
Abb.: http://www.nathannovak.com/II
Nathan Novak: Pregnant Virgin Mary
142
Abb.: http://www.mng.hu/en/collections/allando/180/oldal:2/947
Abb.: http://www.kirchen.net/upload/18322_MariaHoffnung_StPeter_300.jpg
Unbekannter Meister: Maria Gravida (um 1410). Budapest, Magyar Nemzeti Galéria
Unbekannter Meister: Maria in der Hoffnung (1770/1790). Salzburg, Erzabtei St. Peter
57
Die – mit Blick auf Ofilis „HipHop-Madonna“ – zwei interessantesten modernen Marienbildnisse sind ein „Digital Painting“ von
Dorothee Golz sowie ein Poster, montiert aus einem schlichten „Herz Maria“-Andachtsbild und einem Porträt der rauchenden Sängerin Madonna des Fotografen Herb Ritts 143 – wenn man so will, eine „Punk-Madonna“ sowie eine „Pop-Madonna“.
Abb.: http://metrovission.blogspot.de/2013/03/dorothee-goltz.html
Abb.: http://favim.com/image/344528/
Dorothee Golz: Punks Madonna (2010)
Unbekannter Künstler: Madonna, Virgin Mary
Ofili befindet sich künstlerisch mit seiner „nineties hip-hop version of the Virgin Mary“ in noch erstaunlicherer Nähe zu Paul Gauguin
(* 1848; † 1903), dem großen Wegbereiter der Moderne, der gut hundert Jahre zuvor, wenn man es so nennen will, eine „eighteennineties south-seas version of the Virgin Mary“ geschaffen hatte.
143
Abb.: http://msq-photogallery.blogspot.de/2010/09/herb-ritts-session-2.html
Abb.: http://www.santos-catolicos.com/virgen-maria/imagenes-de-la-virgen-maria.php
Herb Ritts (* 1962; † 2002): Madonna. Interview Magazine Juni 1990 / The Immaculate Collection (1990) / The Blond Ambition Tour Book (1990)
Unbekannter Künstler: Hl. Herz Mariä
In gewisser Weise einen Vorläufer der „Pop-Madonna“ hatte fast 70 Jahre vorher schon der Dadaist Kurt Schwitters (* 1887; † 1948) kreiert, der Raffaels „Sixtinische Madonna“ zur Basis einer Collage machte und Maria dort mit Bubikopf und Topfhut in eine „Neue Frau“ der
„Goldenen Zwanziger Jahre“ verwandelte.
Abb.: VG Bild-Kunst, Bonn 2015/Sprengel Museum – A. Gwose, M. Herling, B. Werner, http://www.landesmuseumhannover.niedersachsen.de/portal/live.php?navigation_id=37139&article_id=137228&_psmand=183 (Ausschnitt)
Abb.: VG Bild-Kunst, Bonn 2015/Sprengel Museum – A. Gwose, M. Herling, B. Werner, http://www.landesmuseum-hannover.niedersachsen.de/portal/live.php?navigation_id=37139&article_id=137228&_psmand=183
Kurt Schwitters: Mz. 151, Wenzel Kind Madonna mit Pferd (1921). Hannover, Sprengel Museum
58
Abb.: http://www.wikiart.org/en/search/Giovanni%20Bellini%20Madonna%20and%20Child/18
Paul Gauguin: Ia Orana Maria (1894)
Isoliert abgebildet wurde eine „Südsee-Madonna“ farbig 1895 auf einer aquarellierten Zinkographie, die – spiegelverkehrt – einen
Ausschnitt aus dem einige Jahre zuvor von Gauguin geschaffenen größeren Gemälde „Ia Orana Maria“ (tahitianisch für „Gegrüßet
seist Du, Maria“) darstellt.
Abb.: http://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Gauguin#Erster_Aufenthalt_in_Polynesien
Paul Gauguin: Ia Orana Maria (1891). New York, Metropolitan Museum of Art
In einem Brief an seinen Biographen, den Maler Daniel de Monfreid, schrieb Gauguin dazu im März 1992 144:
Ich habe … ein Bild gemacht … Ein Engel mit gelben Flügeln
weist zwei Tahitianerinnen auf Maria und Jesus, Eingeborene
wie sie, nackte Gestalten, nur mit dem Pareo bekleidet, einem geblümten Baumwollstoff, den man nach Belieben um
den Leib schlingen kann. Im Hintergrund sehr dunkle Berge
und blühende Bäume. Ein violetter Weg und ein smaragdgrüner Vordergrund; links einige Bananen. Ich bin ziemlich
zufrieden damit.
Der katholisch erzogene Gauguin thematisierte hier, wie der Titel in Verbindung mit dem Engel (Gabriel) am linken Bildrand zeigt,
das in der religiösen Malerei häufige Motiv „Mariä Verkündigung“, verbindet aber das christliches Sujet mit tropischer Natur und javanischen Frauen. Maria wird von Gauguin zudem bei der Verkündigung ihrer Jungfrauengeburt schon mit dem Jesuskind dargestellt, das sie sich wenig madonnenhaft, wohl eher nach tahitianischer Sitte, auf eine ihrer Schultern rittlings gesetzt hat.
Gauguin, der sich mit der Katholischen Kirche auf Tahiti in Streitereien verwickelt hatte – es ging unter anderem darum, dass Gauguin mit sehr, sehr jungen einheimischen Mädchen zusammenlebte, exzessiv Alkohol trank (und auch Einheimische dazu brachte)
sowie die Tahitianer gegen Administration und Kirche aufwiegelte –, wollte der Kirche wohl das Bild eines reinen, unverdorbenen
144
Auszüge des Briefes sind auf Französisch wiedergegeben bei Fondation d’enterprise La Poste (http://www.fondationlaposte.org/
article.php3?id_article=499).
59
Christentums entgegenhalten. Künstlerisch dürfte ihn bewegt haben – und hier besteht die Parallelität zu Ofili –, die Kultur, die Lebensart Tahitis mit der des Abendlandes und seiner eigenen Phantasie zu verweben 145.
Zurück zu Ofili und seiner „HipHop-Madonna“:
Wollte er sie vielleicht (wie möglicherweise auf „No Woman No Cry“) nach dem Bild von Lauryn Hill entwerfen?
Abb.: Jonathan Mannion, http://www.fansshare.com/gallery/photos/13154382/jonathan-mannion-lauryn-hill-new-york-ny-july-th/?displaying (Ausschnitt)
Lauryn Hill (* 1975) (1999)
Hill, als „coolste und klügste Frau der Popmusik“ bezeichnet 146, religiös und musikalisch erzogene Tochter eines Computerfachmanns und einer Lehrerin aus South Orange, einer wohlhabenden, vorwiegend von Weißen bewohnten Kleinstadt in New Jersey,
war 1996, als Ofili seine „Holy Virgin Mary“ malte, mit der HipHop-Band „Fugees“ und dem Song „Killing Me Softly“ (in den britischen
Charts fünf Wochen auf Platz 1) auf dem frühen Höhepunkt ihrer Karriere.
Und keine Sängerin im HipHop, so scheint es jedenfalls, konnte damals so „madonnenhaft“ daherkommen 147.
145
Gauguin malte auf Tahiti auch noch andere Bilder zu Motiven aus dem Marienleben:
Abb.: http://www.zeno.org/Kunstwerke/B/Gauguin,+Paul%3A+Geburt+Christi
Abb.: http://commons.wikimedia.org/wiki/Paul_Gauguin
Geburt Christi, des Gottessohnes (Te tamari no atua) (1896). München, Neue Pinakothek
Geburt (Bé Bé) (1896). St Petersburg, Gosudarstvenny Ermitazh
146
Wolfgang Höbel: Gefallene Königin, Der Spiegel 38/2014 (http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-129211337.html).
Am Rande: Auch Lauryn Hill bekam Ärger mit der „Catholic League for Religious and Civil Rights” William Donohues:
Sie hatte am 13.12.2003 beim traditionellen Weihnachtskonzert im Vatikan für einen Eklat gesorgt, indem sie vor Bischöfen und Kardinälen
eine Erklärung verlas, in der sie den Papst verurteilte. „Ich glaube an keinen Vertreter Gottes auf Erden, nur an Gott. Ich bin hier, um euch
zu sagen: bereut, bereut, bereut.“ Zudem attackierte sie die Kirche wegen der Fälle von Kindesmissbrauch durch Priester in den USA. „Es
gibt keine annehmbare Erklärung, um die Kirche zu verteidigen.“ RP online vom 14.3.2003 (http://www.rp-online.de/kultur/musik/us-star
-lauryn-hill-sorgt-fuer-eklat-im-vatikan-aid-1.2069780).
„Krankhaft erbärmlich“ („pathologically miserable”) sei ihr Auftreten gewesen, kommentierte die „Catholic League“ und empfahl ihrem Plattenlabel: „Columbia Records sollte ihr die Tür zeigen?“ Ampya vom 13.12.2013 (http://www.ampya.com/news/Aktuell/Als-Lauryn-Hill-die
-katholische-Kirche-kritisierte-SN104414/).
147
60
Abb.: Albaca, http://bringingthereal.com/lauryn-hill-to-zion/
Lauryn Hill mit Zion David Marley (* 1997), ihrem (ersten) Kind mit Rohan Marley, einem Sohn des jamaikanischen Reggae-Musikers Bob Marley
Ihr zwei Jahre nach Ofilis Bild entstandenes wunderschönes Lied „To Zion“, ihr grippekrank plötzlich in den Sinn gekommen („the
lyrics ... just came to me“) 148, könnte auch „Lauryns Verkündigung“ heißen.
Unsure of what the balance held
I touched my belly overwhelmed
By what I had been chosen to perform
But then an angel came one day
Told me to kneel down and pray
For unto me a man-child would be born
Abb.: The Yorck Project: 10.000 Meisterwerke der Malerei,
http://en.wikipedia.org/wiki/Annunciation_with_St._Margaret_and_St._Ansanus
Simone Martini (* um 1284; † 1344): Mariä Verkündigung 149 (1333) (Ausschnitt).
Florenz, Galleria degli Uffizi
How beautiful if nothing more
Than to wait at Zion’s door
I’ve never been in love like this before
Now let me pray to keep you from
The perils that will surely come
See life for you my prince has just begun
And I thank you for choosing me
To come through unto life to be
A beautiful reflection of His grace
See I know that a gift so great
Is only one God could create
And I’m reminded every time I see your face
Lauryn Hill: To Zion 150 (1998)
148
Interview mit Karen R. Good in Vibe Magazine 8/1998, S. 86.
Lk 1, 26 – 31: „Im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott in eine Stadt in Galiläa namens Nazaret zu einer Jungfrau gesandt.
Sie war mit einem Mann namens Josef verlobt, der aus dem Haus David stammte. Der Name der Jungfrau war Maria. Der Engel trat bei ihr
ein und sagte: Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir. Sie erschrak über die Anrede und überlegte, was dieser Gruß zu bedeuten
habe. Da sagte der Engel zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria; denn du hast bei Gott Gnade gefunden. Du wirst ein Kind empfangen, einen
Sohn wirst du gebären …“
150
Möglicherweise ging Hill, vielleicht eine Passage im „Römerbrief“ missdeutend (Röm 11, 26 in den englischen Standardübersetzung:
„... The Deliverer will come from Zion ...“), davon aus, dass Zion „Erlöser“, „Retter“ bedeutet. Denn auf eine entsprechende Vorhalt eines
Journalisten zum Namen ihres Sohnes („Zion, the deliverer”) antwortete sie: „The only name that come to me was Zion. ... Is Zion too much
149
61
Vielleicht aber eignete sie sich gerade deshalb in den Augen Ofilis eher nicht als Vorbild einer Madonna des HipHop.
Man sollte stattdessen in Betracht ziehen, Ofili könnte genau umgekehrt wenig „madonnenhafte“ (Hardcore-)Rapperinnen wie die
New Yorkerinnen Lil’ Kim oder Foxy Brown, die „bad girls of hip hop“ 151, deren beider Weltkarriere 1996 (zunächst mit Singles an
der Seite der etablierten Musiker The Notorious B.I.G. bzw. Case und Jay-Z) begann, vor seinem geistigen Auge gehabt haben: Ofili
erlebte Auftritte der Sängerinnen 1996 bzw. 1997 (da war seine „Holy Virgin Mary“ allerdings schon gemalt) in London begeistert als
„Ladung von unglaublicher Energie“, wie einen „Schlag ins Gesicht“ 152.
Lil’ Kim begründete mit ihrem 1996er Debütalbum „Hardcore“ („der wohl erste akustische HipHop-Porno“ 153) schon im „Intro“ mit
eindeutigen Sexkino-Geräuschen 154, mit Songtiteln wie „Queen Bitch“ oder „Fuck You“ sowie mit durchgängig explizit sexuellen Texten ihr Image als „Skandalfrau des Rap“ („Der Spiegel“). Sie galt als „revolutionäre Figur in dem Sinne, dass sie als Frau die gleichen perversen Gedanken äußert, über die Männer seit Jahren rappen“ („laut.de“).
Foxy Browns 155 Debütalbum „Ill Na Na“ (HipHop-Slang für „tolle Vagina“ 156) aus dem gleichen Jahr „gehört ... zu den kontroversesten Musikalben der US-Musikgeschichte“ („Wikipedia“). Das gerade erst 18-jährige „Fräuleinwunder des Hardcore-Rap“ („Der Spiegel“) „mischte die Rap-Szene mit ihren eindeutig zweideutigen Texten und viel nackter Haut auf“ („laut.de“).
Anders als Lauryn Hill stellten Lil’ Kim und Foxy Brown „Underdogs der Popkultur“ dar: „schwarz, weiblich, in der Unterschicht verortet, dazu aggressiv, körperbetont und explizit.“ 157
of a weight to carry? But this little boy, man. I would say he personally delivered me from emotional and spiritual drought. He just replenished my newness. When he was born, I almost felt like I was born again.” (Vibe Magazine 8/1998, S. 86).
Allerdings dürfte Hills Text am Liedende („Marching, marching, marching to Zion / Beautiful, beautiful Zion”) als eine Anspielung auf den
1867 vom US-amerikanischen Kirchenliedkomponisten Robert Lowry (* 1826; † 1899) geschriebenen Refrain zu Isaac Watts‘ (* 1674;
† 1748) Hymne „Marching to Zion” („We’re marching to Zion / Beautiful, beautiful Zion / We’re marching upward to Zion / The beautiful city
of God“), als Gospel Song seit Jahrzehnten in den USA sehr populär, zu verstehen sein, aus dem sich ergibt, dass Zion eine „City“ ist.
Auch in dem von Zions Marleys Großvater Bob Marley 1973/74 geschriebenen Lied „Iron, Lion, Zion“, dass Hill sicher gekannt haben dürfte, lässt sich die biblische Bedeutung von „Zion“, der „Stadt Davids“ (2 Sam 5, 7; 2 Kön 8, 1; 1 Chr 11, 5; 2 Chr 5, 2), nicht so völlig missverstehen („I'm gonna be Iron like a Lion in Zion“).
151
Joan Morgan: The Bad Girls of Hip-Hop, Essence März 1997, 76.
152
Siehe Ofili, Abbecedario (http://erewhon.ticonuno.it/arch/1999/colore/ofil/ofil.htm): „Ha una carica di energia incredibile, come se fosse
posseduta. Sale sul palco ed è come se ti tirasse un pugno in faccia per svegliarti fuori.”
153
Heiko Hoffmann: Lil Kim & Foxy Brown, 1997 (http://www.wildpark.com/konserve/musik/54_kimfoxy/c_kimfoxy_mu.html).
154
Wer es ganz genau nachlesen möchte, schaue mal bei wildpark.com (http://www.wildpark.com/konserve/musik/54_kimfoxy/
c_kimfoxy_mu.html).
Ofili sagte einmal, dass ihm diese Idee des Albums gefallen habe. Siehe Ofili, Abbecedario (http://erewhon.ticonuno.it/arch/1999/colore/ofil/
ofil.htm): „... mi piace un sacco l’idea del disco“.
155
Die als Inga Marchand geborene Rapperin benannte sich nach der im Film des (weißen) Regisseurs des Regisseurs Jack Hill von 1974
von Pam Grier gespielten Titelfigur „Foxy Brown“ (Filmwerbung: „She’s the meanest chick in town! She’s brown sugar and spicy ...“). Der
Film gilt (neben Gordon Parks „Shaft“ von 1971) als Klassiker des Blaxploitation-Films.
„Blaxploitation“ setzt sich aus den Worten „Black“ und „Exploitation“ zusammen und kennzeichnet ein US-amerikanisches Filmgenre der
frühen 1970er Jahre. Die Filme wurden überwiegend mit schwarzen Schauspielern gedreht und thematisieren das schwarze Leben im
Ghetto; sie schildern den extremen Lebensstil von Männern als Zuhälter („Pimps“), Spieler, Drogendealer, Schläger oder Auftragskillern
und von Frauen als Sexualobjekte. „Dieses Genre spiegelte das neue Bewusstsein der schwarzen Bevölkerung wider, die sich nun auch im
Kino wiedererkennen wollte ... ‚Foxy Brown‘ vereint die für den Blaxploitation-Film typischen Elemente: Bikinis, Soul- und Funkmusik und
den barschen Charakter der Hauptdarstellerin. In einer Szene zertrümmert Grier eine Lesben-Bar, mischt die Girls auf, in einer anderen
nimmt sie mit der Zunge eine Rasierklinge vom Tisch.“ („Arte“) – Inhalt: Als Foxy Browns Freund ermordet wird, geht sie auf Rachefeldzug
und schmuggelt sich als Luxus-Callgirl in eine Drogenbande ein; sie wird enttarnt, entführt, unter Drogen gesetzt, gefoltert und vergewaltigt.
Schließlich kastriert sie den (weißen) Mörder ihres Freundes. „Die Weißen besetzen hier ... das Establishment, sprich die ArschlochPositionen und dienen als Kanonenfutter für die Brothers and Sisters.“ („Film Maniax”)
Abb.: https://www.pinterest.com/jon3861/foxy-brown/
Pam Grear in Foxy Brown (1974)
Ofili ließ sich ebenfalls von Blaxploitation-Filmen inspirieren: „I went to every one. It was just so virulent, nigger this, bitch that, tits and ass
everywhere.“ (Siehe dazu Cada: Strategien der Repräsentation, S. 47).
156
Brown soll sich schon als 15-Jährige selbst so tituliert haben. In dem Titelsong ihres Debütalbums singt der Rapper Method Man gleich
zweimal: „Foxy Brown, the Ill Na Na“.
157
Lena Müller: First Female Kings, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15.8.2014 (http://blogs.faz.net/10vor8/2014/08/15/lil-kim-first
-female-king-2319/).
62
Abb.: http://sidelineprophet.blogspot.de/2012_11_01_archive.html
Abb.: http://madnewsuk.com/2013/06/29/video-rapper-foxy-brown-debuts-new-single-then-falls-over/
Lil’ Kim (* 1974 oder 1975)
Foxy Brown (* 1978)
„Passen” die sich selbst wenig keusch als „Bitches“ bezeichnenden „HipHop-Madonnen“ gerade deshalb als Vorbild für Ofilis „Holy
Virgin Mary“, weil sie einen extremen Widerspruch zur Muttergottes der Katholischen Kirche repräsentieren? Man könnte Ofili beinahe so interpretieren 158:
I think with a painting like that, with „The Holy Virgin
Mary”, ... there are so many layers of meaning. ... So
many contradictions. ... It’s about the way the black
woman is talked about in hip-hop music. It’s about my
religious upbringings, and confusion about that situation. The contradiction of a virgin mother. It’s about the
stereotyping of the black female. It’s about trying to
make a nineties hip-hop version of the Virgin Mary that
would include, therefore, everything that I think she’s
about. It’s about beauty. It’s about caricature. And it’s
about just being confused. But at the same time, it’s
about not being uncomfortable with that state of mind.
And seeing that as a full palate. Rather than just black
and white.
Gefühlsmäßig könnte man auf Foxy Brown tippen 159, die Ofili erstmals im Sommer 1996 beim Notting Hill Carnival in London sah 160;
158
Paul D. Miller: Deep Shit – A conversation with Chris Ofili, Parkett No. 58 (2000), 168 f. (zit. nach http://www.egs.edu/faculty/dj-spooky
-paul-miller/articles/deep-shit-a-conversation-with-chris-ofili/).
159
Und zwar obwohl – oder gerade weil? – Ofili über sein Gemälde „Rodin“ von 1997/98 gesagt hat, es sei abgeleitet von (der sich übrigens damals oft mit blonder Perücke sowie mit Strapsen zeigenden) Lil‘ Kim, von ihrer „Artifizialität“. (Siehe Ofili, Abbecedario: „... il mio
dipinto deriva da Lil’ Kim, dalla sua artificialità“ [http://erewhon.ticonuno.it/arch/1999/colore/ofil/ofil.htm]). Von der keine 1,50 m großen „Little“ Kim, nach Meinung ihres damaligen Freundes und Förderers, des Rappers Notorious B.I.G., „viel zu süß fürs Rappen“, soll er ohnehin
„fascinated“ gewesen sein (Roediger: Smear Campaign. Giuliani, the Holy Virgin Mary, and the Critical Study of Whiteness, in: Colored
White. Transcending the Racial Past, S. 29).
Abb.: http://hyperallergic.com/159162/chris-ofilis-gone-and-dung-it-again/ (Ausschnitt)
160
Ofili, Abbecedario (http://erewhon.ticonuno.it/arch/1999/colore/ofil/ofil.htm).
63
Abb.: MTV, https://www.youtube.com/watch?v=MLc9VwVFhU4 (Screenshot)
Foxy Brown am 26. August 1996 bei ihrem Auftritt mit Case auf der Westwood Stage beim Notting Hill Carnival
zwar damals musikalisch wohl eher weniger beeindruckend als Lil’ Kim (und erst recht weniger als Lauryn Hill), aber viele begeisternd mit „einen Körper, wie ihn sich die Hip Hop-Welt ersehnt hat“ („laut.de“) – und die übrigens im Booklet von „Ill Na Na“ ihren
„Booty“ groß in den Bildmittelpunkt stellt 161.
Abb.: http://www.discogs.com/viewimages?release=232322
Schaut man sich ein bekanntes Foto von ihr an – allerdings wohl später als „The Holy Virgin Mary“ entstanden 162 – und stellt man
sich dazu Ofilis Bildhintergrund vor, so kann sich wohl tatsächlich der Eindruck aufdrängen, Foxy Brown sei Vorbild für Ofilis
„HipHop-Madonna“ gewesen. Aber das bleibt bloße Spekulation.
Abb.: http://genius.com/1043891/Kanye-west-half-price/See-i-came-back-for-you-cuz-any-rap-chick-that-look-half-nice-im-givin-em-half-price
Abb.: USch
161
162
„Shakin’ my ass half naked, lovin’ this life“ (Foxy Brown, Ill Na Na).
Eine Aufnahme aus der gleichen Fotosession wurde 2001 für das Cover von Browns Single „Oh Yeah“ verwendet.
Abb.: http://www.discogs.com/Foxy-Brown-Oh-Yeah/master/47722
64
Auf der anderen Seite erinnert Ofilis „Holy Virgin Mary“ (bis auf das fehlende Jesuskind, das zu einer „HipHop-Madonna“ einfach
nicht „passen“ will) frappierend an eine Reihe von Darstellungen des in der toskanischen Malerei entwickelten Motivs der „Madonna
dell’ Umiltà” von Meistern des florentinischen und sienesischen Quattrocento mit ihrem Goldgrund und den Maria umkreisenden Engeln.
Abb.: http://it.wikipedia.org/wiki/Madonna_dell%27Umilt%C3%A0_%28Starnina%29
Abb.: http://galeriidearta.blogspot.de/2013/12/masaccio21-decembrie-1401-iunie-1428.html
Abb.: http://it.wikipedia.org/wiki/Madonna_dell%27Umilt%C3%A0
Abb.: https://www.pinterest.com/SpookyAmy/madonna-child/ (Ausschnitt)
Abb.: http://www.heinz.org/Interior.aspx?id=417&view=entry&eid=431
Gherardo Starnina (* 1354; † 1406): Madonna dell’Umiltà (1403). Florenz, Galleria degli Uffizi
Masaccio (* 1401; † 1428): Madonna dell’Umiltà (1424/25). Washington, D.C., National Gallery of Art
Fra Angelico (* um 1395; † 1455): Madonna dell’Umiltà (1430). Washington, D.C., National Gallery of Art
Masolino da Panicale (* 1383; † 1447): Madonna dell’Umiltà (1435). München, Alte Pinakothek
Stefano di Giovanni (Il Sassetta) (* um 1400; † 1450): Madonna dell’Umiltà gekrönt von zwei Engeln (um 1438). Pittsburgh, Frick Art & Historical Center
Das belegt nochmals: Ofili zielte jedenfalls nicht darauf ab, das Ansehen Marias zu beschmutzen und den Marienkult zu beschimpfen, sondern er wollte, ausgehend von traditionellen Mariendarstellungen, seine eigene Vorstellung eines zeitgenössischen Marienbildnisses auf die Leinwand bringen 163.
Abb.: http://it.wikipedia.org/wiki/Madonna_dell%27Umilt%C3%A0
Abb.: MONA/ Peter Whyte, http://imagestoliveby.com/tag/art/
Abb.: http://genius.com/1043891/Kanye-west-half-price/See-i-came-back-for-you-cuz-any-rap-chick-that-look-half-nice-im-givin-em-half-price
Damit findet sich Ofili dann mit seiner „Holy Virgin Mary“ irgendwo wieder zwischen dem „engelhaften Bruder“ Fra Angelico und
„Foxy Brown, the Ill Na Na“ ...
163
So auch ausdrücklich Cada: Strategien der Repräsentation, S. 37.
65