Fokus 2/2014

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Fokus 2/2014
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Fotonachweis
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Fokus · Adipositas
Adipositas und das Energieproblem
Zu viel Zufuhr bei zu wenig Verbrauch?
Adipositas ist heute ein schwerwiegendes Problem mit jedoch
häufig nur mageren Lösungen.
Die entscheidende Ursache für die
Adipositas liegt in einer positiven
Energiebilanz, d. h., die Energiezufuhr liegt deutlich über dem tatsächlichen Bedarf.
D
ie meisten Menschen haben
keine klaren Vorstellungen
über ihren tatsächlichen Bedarf. Der Energiebedarf verteilt sich
aus physiologischer Sicht auf den
Ruhe-Nüchtern-Umsatz (RNU), die
nahrungs(diät)induzierte Thermogenese (DIT) und die Bewegungsaktivität. Der Anteil dieser einzelnen
Komponenten am Gesamtenergieumsatz wird dabei häufig unterbzw. überschätzt.
Sinkender RNU begünstigt
Adipositas
Mit zunehmendem Lebensalter
nimmt die fettfreie Masse prozentual deutlich ab. Zwischen dem 20.
und 60. Lebensjahr sinkt daher der
RNU um ca. 300-400 kcal. Bei über
die Jahre unveränderter Kalorienzu-
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fuhr ist somit die Entstehung von
Adipositas vorhersehbar. Der RNU
ist auch abhängig von der Schilddrüsenfunktion: Bei Überfunktion steigt er (um bis zu 100 %), bei
Unterfunktion sinkt er. Nach chirurgischen Eingriffen kann er um
ca. 25 %, bei schwerer Sepsis um
ca. 80 % und bei großflächigen Verbrennungen um ca. 130 % steigen.
Bei ca. 10-15 % der Bevölkerung
liegt der RNU niedriger als der Erwartungswert. Bei normalerweise
adäquater Kalorienzufuhr, bezogen
auf das Körpergewicht, sind diese
Menschen besonders prädestiniert
für die Entwicklung einer Adipositas. Bei Verdacht auf einen verminderten RNU sollte dieser, soweit
möglich, an entsprechenden Einrichtungen überprüft werden.
Fokus · Adipositas
Der Körper benötigt Rhythmen
Wichtig ist, dass Pausen zwischen
den Mahlzeiten sein sollten, wenigsten vier Stunden. Diese Zeit ist mindestens erforderlich, um annähernd
wieder in den Nüchternzustand zurückzukehren. Zwischenmahlzeiten
sind eher zu vermeiden. Sie führen
dazu, dass der Körper zwischen dem
Aufwachen und dem Schlafengehen
permanent im Speicherzustand ist.
Ergebnisse aus der Chronobiologie
zeigen, dass der Körper unbedingt
Rhythmen benötigt: Zeiten zum
Speichern und zum Entspeichern
und Zeiten von Spannung und Entspannung. Auch das Essen unter
Stress, vor allem von kaloriendichten kohlenhydrat- und fettreichen
Mahlzeiten begünstigt die unmittel-
bare Speicherung des aufgenommenen Nahrungsfettes im Fettgewebe,
wie neuere Untersuchungen zeigen.
Ausreichend Schlaf spielt auch eine
wichtige Rolle in der Prävention von
Adipositas. Kurze Nächte, Schichtarbeit mit oft kurzen Wechseln oder,
vor allem auch an den Wochenenden, regelmäßige Umkehrungen
des Tag-Nacht-Rhythmus durch ausgedehnte Partybesuche begünstigen
wohl in weitaus stärkerem Maße als
bisher angenommen die Entstehung
von Adipositas. Die Ausschüttung
vieler stoffwechselaktiver Hormone
wie Insulin, Glucagon, Adiponektin,
Corticosteron, Leptin, Ghrelin und
Wachstumshormon unterliegt zirkadianen Rhythmen. Werden diese
Rhythmen unterbrochen, kommt
es zu Imbalancen mit den entsprechend negativen metabolischen
(aber auch kardiologischen) Auswirkungen.
Der Einfluss sekundärer Pflanzenstoffe auf den Energieumsatz
Eine Reihe von sekundären Pflanzeninhaltsstoffen kann die DIT
deutlich steigern. Dazu zählen beispielsweise Catechine und Capsai-
cin. Diese Substanzen können nicht
nur die DIT, sondern auch den postprandialen Fettumsatz steigern. Das
macht diese Substanzen interessant
für die Industrie. Hier ist man dabei,
verschiedene Extrakte beispielsweise
aus grünem Tee oder Cayennepfeffer
zu gewinnen und diese in Kapselform zu vertreiben. In grünem Tee
findet man verschiedene Catechine:
■ Epigallocatechin-3-gallat (EGCG),
■ Epigallocatechin (EGC),
■ Epicatechin-3-gallat (ECG) und
■ Epicatechin (EC),
wobei EGCG das biologisch bedeutsamste und wirksamste ist. Allerdings gibt es wohl Unterschiede in
der Wirkung, je nachdem ob man
EGCG in Kapselform zu sich nimmt
oder als Gemisch mit den anderen
Catechinen in grünem Tee. Grüner
Tee soll sowohl den Energieumsatz
als auch die Fettoxidation steigern.
EGCG bzw. Catechin-Gemische in
Kapselform steigern wohl hauptsächlich die Fettoxidation, insbesondere die der aufgenommenen Fette.
Eigene Untersuchungen zeigten,
dass eine Dosis von 300 mg EGCG
pro Tag (das entspricht ca. 3-5 Tassen
grünem Tee, je nach Herkunft und
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Die DIT einzelner Nährstoffe
unter der Lupe
Die DIT ist der Energieaufwand für
Verdauung, Resorption, Transport
und Speicherung der Nährstoffe. Sie
macht ca. 8-12 % des Gesamtenergieumsatzes aus. Vergleicht man die
einzelnen Hauptnährstoffe, so liegt
die DIT für Fette bei ca. 2-4 %, für
Kohlenhydrate bei ca. 4-8 % und für
Proteine bei ca. 20-25 %. Die Energie für die DIT kommt vorwiegend
aus der Oxidation von Fetten. Darin
liegt wohl der Grund, warum von
verschiedenen Seiten zurzeit empfohlen wird, den Anteil von Proteinen an der Gesamtenergiezufuhr
deutlich von normalerweise ca. 15 %
auf über 20 % zu erhöhen. Doch
hierzu gibt es noch keine gesicherten und vor allem keine differenzierten Ergebnisse. Die Auswertung
von Ernährungsprotokollen zeigt
zudem, dass die Fett- und Kohlenhydrataufnahme starken individuellen Schwankungen unterliegt, nicht
aber die Proteinaufnahme, die meist
um die 15 % beträgt. Es gibt Hinweise, dass bei einer deutlich erhöhten
Proteinaufnahme das Risiko für Osteoporose und rheumatische Erkrankungen zunimmt. Zudem ist hier
sicherlich auch an ernährungsökologische Auswirkungen zu denken.
Zwischen den Mahlzeiten sollten Pausen von mindestens vier Stunden liegen. Zwischenmahlzeiten
stören den Rhythmus von Speichern und Entspeichern.
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Fokus · Adipositas
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mäßigen Kaffeetrinkern eine zusätzliche Wirkung von
Catechinen kaum zu erwarten ist. Gewarnt wird ausdrücklich vor Produkten aus dem Internet mit unklarer
Herkunft bzw. unklarer Zusammensetzung. Oftmals
enthalten diese Produkte Schilddrüsenhormone oder
Ephedrine bzw. andere den Energieumsatz steigernde
Pharmaka, die bei uns nicht oder nicht mehr aufgrund
ihrer Nebenwirkungen zugelassen sind, welche langfristig zu Schäden führen können.
Adipöse müssen erst wieder lernen, sich mehr zu bewegen. Hier können
Schrittzähler hilfreich sein.
Zubereitung) offensichtlich optimal ist. Höhere Dosen
sind – zumindest metabolisch – eher ineffektiv. Das
ist ein wichtiger Punkt für die Praxis: Der Energieumsatz bzw. die DIT lässt sich nicht unbegrenzt steigern.
Deshalb sollte man sich auf eine Catechin-Quelle als
Nahrungsergänzungsmittel konzentrieren und nicht
wahllos alle möglichen Catechin-haltigen Produkte konsumieren. Auch ist zu beachten, dass bei gewohnheits-
Der Autor
Dr. med. Michael Boschmann
Facharzt für Klinische Pharmakologie und
für Biochemie
Charitè Universitätsmedizin Berlin
Franz-Volhard-Centrum für Klinische Forschung
am Experimental & Clinical Research Center
(ECRC), 13125 Berlin
[email protected]
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Alltägliche Bewegungsaktivität steigern
Der Energieaufwand für körperliche Aktivität ist wohl
am stärksten in den letzten Jahrzehnten gesunken und
liegt bei ca. 20-30, mitunter auch 40 % des Gesamtenergieumsatzes, selten (bei schwerer körperlicher Arbeit)
darüber. Die Abnahme der körperlichen Aktivität ist
wohl hauptsächlich unserer Entwicklung zum Homo
microsofticus geschuldet, denn es ist ja nicht so sehr die
sportliche, sondern eher die alltägliche Bewegungsaktivität gesunken. Und genau hier ist auch anzusetzen bei
der Therapie bzw. Prävention von Adipositas. Oft wird
den Adipösen pauschal einfach mehr sportliche Aktivität
empfohlen. Viele Adipöse sind dazu jedoch gar nicht in
der Lage. Sie müssen zuerst wieder lernen, sich mehr
zu bewegen. Untersuchungen zeigen, dass durch erhöhte Bewegungsaktivität, vor allem auch häufige Positionswechsel (vom Stuhl aufstehen und kurze Wege
gehen, beispielsweise beim Telefonieren), bis zu 400
kcal zusätzlich umgesetzt werden können. Ein weiterer
Vorteil von Bewegung ist, dass hierbei hauptsächlich
Fette mobilisiert und abgebaut werden. Häufig taucht
hier die Frage auf, wie viel Bewegung es denn sein sollte. Empfohlen werden derzeit etwa 10.000 Schritte pro
Tag. Das sind bei einer mittleren Schrittlänge von 0,5 m
ca. 5 km. Die Schrittzahl kann einfach mit Schrittzählern kontrolliert werden. Moderne Schrittzähler können
Schrittzahlen über mehrere Tage bis Wochen speichern,
können Angaben über die Intensität der Bewegung machen und die dabei verbrauchte Energie gut abschätzen.
Erfahrungen aus einigen Hausarztpraxen zeigen, dass
solche Schrittzähler tatsächlich viele Adipöse dazu motivieren, sich mehr zu bewegen. Sind die Adipösen erst
einmal wieder in Bewegung gekommen, erhöht sich
oft auch die kardiorespiratorische Fitness. Dann kann
man auch zu sportlicher Aktivität übergehen. Das führt
dann längerfristig zu Muskelaufbau. Oft kommt hier der
Hinweis, dass mit dem Muskelaufbau auch der RNU
ansteigt. Das stimmt prinzipiell, jedoch ist der Zuwachs
eher gering: Bei einem Muskelzuwachs von 1 kg steigt
der RNU um ca. 20 kcal.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Adipöse nicht
nur eine genaue Ernährungsanamnese benötigen, sondern auch detaillierte und individuelle Informationen,
wie sie ihren Energieverbrauch positiv beeinflussen
können.
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Leber entfetten – Insulinresistenz durchbrechen:
Die Revolution in der Diabetes-Therapie?
Immer mehr Veröffentlichungen belegen die Gesundheitsgefahr, die
von einer nichtalkoholischen Fettlebererkrankung (Non-Alcoholic
Fatty Liver Disease, NAFLD) ausgeht. Ein direkter Zusammenhang
zwischen einer NAFLD und Krankheiten wie Arteriosklerose, Typ2-Diabetes und Krebs gilt als belegt.1 „Ohne Fettleber gibt es keinen
Typ-2-Diabetes“, sagt Prof. Dr. Hans-Ulrich Häring, einer der weltweit
führenden Forscher auf diesem Gebiet.2 Da schon heute rund 20 Millionen Deutsche (70 Prozent der Übergewichtigen und bis zu 90 Prozent der Diabetiker) an einer Leberverfettung leiden, sprechen Fachleute bereits von der „nächsten globalen Epidemie“. 3
Nach neuesten Erkenntnissen spielt die Entfettung der Leber eine
Schlüsselrolle bei der Verbesserung bzw. Wiederherstellung der endokrinen und metabolischen Funktionen und einer erfolgreichen
Blutzuckerkontrolle – gerade bei Typ-2-Diabetikern. Eine etablierte
medikamentöse Therapie gibt es bislang nicht. Die einfachste und
effektivste Maßnahme ist eine kurzfristige drastische Reduktion der
Energiezufuhr.
Leber gestoppt. Der Effekt: bessere Blutzuckerregulation, verbesserte
Blutfettwerte und ein vermindertes kardiovaskuläres Risiko. Diabetikern bietet die Therapie die Möglichkeit, ihre Blutzuckerwerte unabhängig von einer Medikamenteneinnahme zu senken und eine bessere
Blutzuckerkontrolle zu erreichen.
Eine Untersuchung der Ernährungswissenschaftlerin Melanie Teutsch5
mit 15 Typ-2-Diabetikern bestätigt die positiven Stoffwechseleffekte. So
wurden die Antidiabetika der Probanden zu Beginn der Intervention
reduziert oder abgesetzt. Dennoch sanken der Nüchternblutzucker
um 19 % und das HbA1c um 5 %. Diabetiker sollten das Leberfasten
daher stets unter Aufsicht eines Arztes durchführen. „Die Untersuchung bestätigt“, so Teutsch, „dass sich Leberfasten nach Dr. Worm®
als risikoarme, effektive und alltagstaugliche Therapieoption bewährt.
Als derzeit einzige erfolgreich evaluierte Therapie gegen NAFLD ist
sie damit aus wissenschaftlicher Perspektive die erste Wahl.“
Fettabbau verbessert wichtige Stoffwechselparameter
Auch die Studie von Dr. Christine Becker mit 99 Teilnehmern6 bestätigt die Wirksamkeit. „Die Daten zeigen eine erfolgreiche Gewichtsreduktion, die in erster Linie über den Abbau von Körperfett erfolgte“,
so die Studienleiterin. Profitiert haben die Probanden vor allem im
Hinblick auf ihre kritischen leberspezifischen Parameter, die für eine
Untergruppe erfasst wurden. So wurde vor der Fastenkur bei 27 Teilnehmern ein FLI (Fatty Liver Index)7 ≥ 60 und damit ein erhöhtes Risiko für das Vorliegen einer Fettleber festgestellt, nach 14 Tagen nur
noch bei 22 Teilnehmern (-18,5 Prozent).
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Reine Kalorienreduktion reicht nicht aus
Allerdings: Nur weniger essen hilft nicht, die richtige Nährstoffzusammensetzung ist entscheidend. Aktuelle Studiendaten haben nämlich
gezeigt, dass Lebertriglyzeride und Insulinresistenz mit einer kalorienreduzierten Kost mit begrenztem Kohlenhydratanteil deutlich
schneller abgebaut werden als mit fettarmen, kohlenhydratbetonten
Reduktionsdiäten.4 Das vom Ökotrophologen Prof. Dr. Nicolai Worm
und dem Internisten und Ernährungsmediziner Dr. med. Hardy Walle
entwickelte Konzept Leberfasten nach Dr. Worm® ist eine solche LowCalorie-Diet (LCD).
Bessere Blutzuckerkontrolle ohne Medikamente
Durch die 14-tägige Fastenkur (800 bis 1.000 kcal) wird in kurzer Zeit
Leberfett abgebaut und die unkontrollierte Glucoseabgabe durch die
1 Armstrong MJ, Adams LA, Canbay A, Syn WK. Extra-hepatic complications of nonalcoholic fatty liver disease. Hepatology. 2013 Sep 3. doi: 10.1002/hep.26717. [Epub
ahead of print] sowie Stefan N et al. Circulating fetuin-A and free fatty acids to
predict insulin resistance in humans. Nature Medicine, 2013; 19: 394–395.
2 AdipositasSpektrum; Ausgabe 32012, 8. Jahrgang, Seite 11.
3 Loomba R, Sanyal AJ: The global NAFLD epidemic. Nature Reviews Gastroenterology
and Hepatology 2013; 10: 686-90.
4 Browning JD, Baker JA, Rogers T, Davis J, Satapati S, Burgess SC. Short-term weight
loss and hepatic triglyceride reduction: evidence of a metabolic advantage with
dietary carbohydrate restriction. Am J Clin Nutr 2011; 93(5): 1048-52.
5 Teutsch M.: Therapieeffekte einer kohlenhydratarmen, proteinbetonten LCD-Intervention bei nicht-insulinpflichtigen Typ-2-Diabetikern mit einer nicht-alkoholischen Fettlebererkrankung NAFLD. Master-Thesis zur Erlangung des Grades Master
of Arts. Eingereicht an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG), Saarbrücken, 2013.
6 Becker C.: Leberfasten – Erste Ergebnisse einer modernen Form der klassischen Hafertage. Adipositas 2013; 7: A28, A29.
7 Algorithmus aus Triglyceriden, BMI, Bauchumfang und Gamma-GT. Ab einem FLI
> 60 liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Leberverfettung vor (Bedogni et al.
BMC Gastroenterology 2006).
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Fokus · Adipositas
Adipositasmanagement in der Praxis
Die 5 As im Beratungsgespräch
Die Therapie adipöser Menschen stellt in der Beratungspraxis häufig eine besondere Herausforderung dar. Der
Schwerpunkt sollte nicht in der reinen Wissensvermittlung, sondern in der Begleitung zur Umsetzung im Alltag
liegen. Das vorgestellte Modell eignet sich als Praxisinstrument, um den Erfolg der Therapie zu erhöhen.
D
as Canadian Obesity Network bietet als Praxisinstrument die 5 As des Adipositasmanagements an. In fünf Schritten kann somit eine individuelle Strategie des Gewichtsmanagements bestimmt
werden. Hierbei sollte nicht die Gewichtsreduktion per
se, sondern die Gesundheit und das Wohlbefinden im
Vordergrund stehen. In den folgenden Abschnitten werden die 5 As – ASK, ASSESS, ADVISE, AGREE und
ASSIST – für die praktische Anwendung in der diättherapeutischen Beratung modifiziert dargestellt.
ASK – Fragen Sie nach
Mit einem kurzen Gespräch beginnend, wird die Motivation des Patienten für eine Veränderung erforscht. Ist
der Patient v. a. extrinsisch motiviert (z. B. durch den Arzt
oder Partner) oder hat er schon viele Enttäuschungen
mit anderen Verfahren erlebt, dann gilt es, durch konkrete Fragen seine Bereitschaft zur Mitarbeit zu stärken:
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„Wie wichtig ist es für Sie, Ihr Gewicht zu verändern?“,
„Sind Sie bereit, an Ihrem Gewicht zu arbeiten? Darf ich
Sie dabei unterstützen?“. Adipositas berührt viele Lebensbereiche. Der Patient sollte erkennen, dass für eine
langfristige Gewichtsreduktion eine starke Veränderung
in meist mehreren Bereichen seines Lebens notwendig
ist und er diese Veränderung nur schaffen kann, wenn
er sie selbst möchte und entsprechend verantwortlich
umsetzt. Jedoch gilt es auch, ihm zu zeigen, dass ihn
der Berater auf diesem Weg begleitet. Dem Patienten
seine Verantwortlichkeit auf der einen Seite zu verdeutlichen und ihn dennoch zu ermutigen ist ein schmaler
Grat. Diese Art der Motivation ist dennoch das A und O
für den weiteren Prozess, und gerade diese Ehrlichkeit
schafft zusätzlich eine Vertrauensbasis zwischen Berater
und Patient. Eine geeignete Gesprächsmethode hierfür
ist die motivierende Gesprächsführung (Motivational
Interviewing).
Fokus · Adipositas
ASSESS – Erfassen Sie alle relevanten Daten
Ziel jeder Anamnese ist es, sich ein möglichst genaues
Bild vom Patienten zu verschaffen, um ihn dann in seiner individuellen Situation beraten zu können. Die klassische Anamnese bei Adipositas erhebt neben allen relevanten medizinischen Daten wie Blutbild, Diagnose(n)
und Komorbiditäten auch anthropometrische Parameter
wie BMI, Taillen- und Hüft- oder Bauchumfang sowie
Körperzusammensetzung. Das Führen eines Ernährungsprotokolls gibt Einblicke in die individuelle Lebensmittelauswahl, Portionsgrößen, bestimmte Essverhaltensweisen sowie nahrungsbedingte Beschwerden.
Da Adipositas lebensbereichsübergreifend ist, müssen
auch Lebensumstände, Aktivitätslevel und sozialer Hintergrund abgefragt, sowie das Vorwissen des Patienten
ermittelt werden. Nur so kann der Patient dort abgeholt
werden, wo er steht. Mit einem zusätzlichen kurzen
Check seiner gesundheitlichen Risiken können dann
Prioritäten für die Beratung festgesetzt werden. Ein
Schwerpunkt in der Anamnese sollte auch die Erfassung
der Ursachen für die Gewichtszunahme sein, denn nur,
wenn diese behoben sind, kann sich eine nachhaltige
Veränderung einstellen. Ein gutes Schema bietet hier
die Differentialdiagnostik von Sharma & Padwal (2009),
jedoch sollte die Frage nach der Ursache auch an den
Patienten gerichtet werden, da der Patient selbst bester
Experte für sich und sein Essverhalten ist.
ADVICE – Fassen Sie Ihre Empfehlung zusammen
Im nächsten Schritt werden die aus der Anamnese gewonnenen Erkenntnisse zusammengefasst und dem
Patienten Möglichkeiten aufgezeigt, wie er mit Hilfe
der Diättherapie/Ernährungsberatung Veränderungen
erzielen kann. Ziel ist es, ihm darzulegen, welche Maßnahmen aus therapeutischer Sicht notwendig wären, um
langfristig das Gewicht zu reduzieren und die Gesundheit zu fördern. Dies alles sollte rein faktisch geschehen,
ohne bereits Einfluss auf das Verhalten des Patienten zu
nehmen. Der Patient erhält dadurch eine professionelle
ernährungstherapeutische Analyse seiner momentanen
Situation. Da das Thema Adipositas interdisziplinär
angegangen werden muss, bietet sich der Verweis bzw.
eine Kooperation mit anderen Fachdisziplinen wie z. B.
Physio- und Psychotherapie an.
AGREE – Erarbeiten Sie einen gemeinsamen Plan
Nachdem mit dem Patienten seine Motivation und
erste mögliche Hindernisse geklärt wurden, geht es in
die Umsetzungsplanung. Dazu gehört auch, über das
Wunschgewicht des Patienten zu sprechen. Um ihn im
Laufe der Gewichtsreduktion nicht zu demotivieren,
sollte das Zielgewicht von ihm realistisch angesetzt sein.
So konnten Foster et al. (2001) zeigen, dass die Erwartungen von Patienten oft 2- bis 3-fach über dem liegen,
was als realistisch eingeschätzt werden kann. Für Patienten mit Adipositas Grad 1 war ein Gewichtsverlust
von ca. 31 % traumhaft, hingegen ein Verlust von „nur“
11 % enttäuschend. Mit zunehmendem BMI (BMI > 40)
wurden die Erwartungen immer unrealistischer. Ein
Gewichtsverlust von über 22 % wurde immer noch als
enttäuschend angesehen. Nach aktueller Leitlinie der
Deutschen Adipositas-Gesellschaft gilt ein Gewichtsverlust von 5-10 % des Ausgangsgewichtes als Therapieerfolg. Für einige Patienten kann es aber durchaus schon
erfolgreich sein, das derzeitige Gewicht zu stabilisieren
und nicht weiter zuzunehmen.
Ist die Gewichtsfrage geklärt, können konkrete Schritte
zur Zielerreichung vereinbart werden. Der Fokus liegt
auf einer nachhaltigen Verhaltensänderung und gesundheitlichen Verbesserung, z. B. mehr Bewegung, weniger
Energieaufnahme durch geregelte Mahlzeiten, Senkung
des Blutdrucks etc.
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Die motivierende Gesprächsführung
■ ist definiert als eine klientenzentrierte, direktive Methode zur Verbesserung der intrinsischen Motivation
für Veränderungen durch Aufdecken und Auflösen
von Ambivalenzen.
■ ist eine Hilfestellung zur Exploration der Gründe für
Veränderungen.
■ beinhaltet die Auseinandersetzung mit vier psychologischen Hauptelementen:
▶ Nachteile der aktuellen Situation (Status quo)
▶ Vorteile der Änderung
▶ Optimismus für eine Veränderung
▶ Absicht zur Änderung
Geeignete Gesprächstechniken sind: Stellen offener Fragen, Zusammenfassen des Gesagten, Reflektieren sowie
Paraphrasieren.
Im Gespräch können konkrete Schritte zur Zielerreichung vereinbart und
festgehalten werden.
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Fokus · Adipositas
ASSIST – Unterstützen Sie Ihren
Patienten in der Umsetzung
Sind die Ziele gesteckt, gilt es bei relevanten Themen, Wissen zu vermitteln und Ressourcen zu fördern. Er-
stellung und Unterstützung bei der
Anpassung von Veränderungsplänen
sowie das Erkennen und Bearbeiten
von Barrieren und Hürden bei der
Umsetzung sind nun die Aufgabe.
Auch ist die erste gewählte Strategie
nicht immer die zielführende; so wie
viele Wege nach Rom führen, gilt es
zu testen, welcher der richtige Weg
für den Patienten ist. Hier können
gezielte Fragen hilfreich sein, wie:
„Gibt es Gründe, die Sie momentan
von Ihrem Ziel abhalten oder im
Wege stehen?“ oder „Wer kann Sie
hierbei unterstützen?“.
Abschließend sollte mit dem Patienten die Nachsorge geklärt werden.
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Folgende Fragen zur Zielsetzung
können den Beratungsverlauf unterstützen:
„Was möchten Sie ab der nächsten
Woche ändern?“, „Welche Veränderungen sind für Sie am leichtesten
umsetzbar?“ oder „Wie können Sie
das kontrollieren?“
Damit die Ziele motivieren und umgesetzt werden können, sollten diese
auf die Verhaltensänderung fokussieren und die Kriterien der SMARTFormel erfüllen:
Specific – spezifisch; Measurable –
messbar; Acievable – ausführbar;
Rewarding – realistisch; Timely –
terminiert. „Ich möchte 5x pro Woche zum Frühstück ein Stück Obst
essen“, „Ich frühstücke an 4 Tagen
pro Woche“ oder „Ich gehe 2x pro
Woche nach der Arbeit spazieren“.
Um die selbstgesteckten Ziele zu erreichen und zu kontrollieren, sollten
Instrumente des Selbstmonitorings
wie Mahlzeiten- oder Bewegungsprotokoll eingesetzt werden.
Zu beachten ist hierbei, dass der Patient sich kleine, leicht umsetzbare
Ziele setzt, die flexibel kontrolliert
werden können. Zu viele und zu hoch
gegriffene Ziele, die noch dazu starre
Regeln enthalten, führen häufig zu
Misserfolgen und demotivieren.
Literatur
Deutsche Adipositas-Gesellschaft (2007). Evidenzbasierte Leitlinie:
Prävention und Therapie der Adipositas. Hrsg.: Deutsche AdipositasGesellschaft, Deutsche Diabetes Gesellschaft, Deutsche Gesellschaft für
Ernährung, Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin
Foster, G. D. Et el. (2001). Obese Patient‘s Perceptions of Treatment
Outcomes and the Factors That Influence Them. Arch Intern Med.;
161:2133-2139
Sharma, A. M. & Freedhoff, Y. (2012). Best Weight – Ein Leitfaden für das
Adipositasmanagement in der Praxis. Aus dem Englischen von Mario
Hellbardt, Birgit Schilling-Maßmann & Patricia Haberl. Lengerich: Pabst
Publisher
Sharma, A. M. & Padwal, R. (2009). Obesity is a sign – over-eating is a
symptom: an aetiological framework for the assessment and management of obesity. Obes Rev, 11, 362-370
Die Autorinnen
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Jana Kaminski, Diätassistentin,
Ernährungsberaterin/DGE
Sandra Winkler
Lehrkraft der BfS Diätetik München
Universität Potsdam
Exzellenzbereich Kognitionswissenschaften
Department Psychologie
Beratungspsychologie
14476 Potsdam-Golm
Selbstständige Diätassistentin
Psychotherapeutin
(Heilpraktikergesetz)
80689 München
[email protected]
[email protected]
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Fokus · Adipositas
Der „b.m.i.-Zirkel“ geht an den Start
Neues Schulungsprogramm
für bariatrische Patienten
Das bariatrische multimodale Informationsprogramm – der „b.m.i.-Zirkel“ – wurde als Kooperationsprojekt von
BDEM und VDD für Patienten entwickelt, die vor einer chirurgischen Therapie der Adipositas stehen. Durch Wissensvermittlung und aktives Training der Patienten soll langfristig der postoperative Verlauf stabilisiert und
verbessert werden.
Ü
bergewicht und Adipositas
haben in den letzten Jahrzehnten in Deutschland
deutlich zugenommen. Die Prävalenz der Adipositas Grad 2 und 3
(BMI von ≥ 35 bzw. ≥ 40 kg/m2) stieg
im Zeitraum von 1985 bis 2002 in
der Altersgruppe der 25- bis 69-Jährigen bei Männern um 3,7 % und
um 3,0 % bei den Frauen an [1]. Die
Ergebnisse der „Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland“
(DEGS) belegen eine tendenzielle
Zunahme der Prävalenz von Adipositas, wobei der Anteil der übergewichtigen Bevölkerung insgesamt
stabil geblieben ist. Demnach weisen 5,2 % der deutschen Bevölkerung eine Adipositas Grad 2 und 2,8
% eine Adipositas Grad 3 auf [2]. Mit
zunehmender Häufigkeit werden
nicht nur in Deutschland Eingriffe zur Gewichtsreduktion durchgeführt. Weltweit wurden im Jahr
2011 340.768 adipositaschirurgische
Operationen durchgeführt. Im Vergleich dazu lag 2003 die Zahl bei
146.301 Eingriffen [3]. Ausgehend
von den Daten der deutschen Qualitätssicherungsstudie für operative
Therapie der Adipositas wurden seit
2005 ca. 13.879 Personen (26,3 %
männlich, 73,7 % weiblich) adipositaschirurgisch behandelt. Eine deutliche Zunahme der Eingriffe ist auch
in Deutschland zu verzeichnen [4].
Prä- und postoperative Betreuung
ist notwendig
Ein chirurgischer Eingriff zur Gewichtsreduktion allein ist jedoch
keine Lösung für die komplexe
Krankheit Adipositas. Vielmehr ist
die Bereitschaft der Patienten erforderlich, sich sowohl prä- als auch
postoperativ in eine interdisziplinäre Betreuung zu begeben. So konnte
beispielsweise gezeigt werden, dass
Patienten mit einem Magenband,
die häufiger präoperative Termine
haben ausfallen lassen, einen geringeren Excess Weight Loss aufwiesen
[5].
Neues modulares
Schulungsprogramm
Um Patienten optimal auf die
Zeit mit einem Magen-Bypass,
Schlauchmagen oder Magenband
vorzubereiten, wurde in einem Kooperationsprojekt zwischen den Berufsverbänden des Bundesverbandes
Deutscher
Ernährungsmediziner
(BDEM e. V.) und des VDD für Patienten, die vor einer chirurgischen
Therapie der Adipositas stehen, der
b.m.i.-Zirkel, das bariatrische multimodale Informationsprogramm,
entwickelt.
Ziel ist es, durch Wissensvermittlung und aktives Training der Patienten langfristig den postoperativen Verlauf zu stabilisieren und
zu verbessern. In insgesamt sieben
Modulen werden alle wichtigen Themen um den bariatrischen Eingriff
in voneinander unabhängigen Sitzungsmodulen aufgegriffen. Das
Programm dient als Vorbereitung
auf einen bereits geplanten Eingriff
und richtet sich ausschließlich an
Patienten, bei denen die leitliniengerechte Indikation zur chirurgischen
Therapie bereits besteht und ein
Termin für den Eingriff in Planung
ist. Das Schulungsprogramm b.m.iZirkel ist jedoch kein Ersatz oder
eine Alternative einer multimodalen
konservativen Adipositastherapie.
Jedes Modul steht unter der Leitung
einer anerkannten Fachkraft (Diätassistent/Oecotrophologe, Psychologe,
Arzt/Chirurg). Die Zusammensetzung der Schulungs-Gruppe kann
aufgrund der voneinander unabhängigen Module von Sitzung zu
Sitzung variieren, idealerweise mit
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19
Fokus · Adipositas
acht bis zehn Teilnehmern. In den sieben interaktiven
Modulen des b.m.i-Zirkels werden Themen der Ernährung und des Verhaltens besprochen sowie chirurgische
und medizinische Inhalte vermittelt. Die Stärkung der
Selbstverantwortung, Einbeziehung des Patienten in seine Therapie sowie die Bündelung und Strukturierung
notwendiger Informationen stehen im Mittelpunkt der
Schulung.
Das Schulungsprogramm b.m.i-Zirkel soll von Schulungsteams angewendet werden, die aus entsprechend
qualifizierten Fachkräften der Bereiche Diättherapie und
Ernährungsberatung, Verhaltenstherapie, bariatrische
Chirurgie und Ernährungsmedizin bestehen. Im Modul
6 „Wir sind nicht allein“ wird zudem ein Vertreter der
regional tätigen Selbsthilfegruppe (SHG) eingeladen,
seine Erfahrungen einzubringen.
Präsentation des Schulungsprogramms
Die detaillierten Inhalte des Programms werden in
diesem Jahr auf verschiedenen Tagungen dem interessierten Fachpublikum vorgestellt. Dem Schulungsteam
wird das Programm mittels einer Online-Schulung von
Weitere Auskünfte zum Schulungsprogramm erteilt die
Geschäftsstelle des BDEM e. V. (www.bdem.de).
Literatur
[1] Helmert U., Strube H. (2004): Die Entwicklung
der Adipositas in Deutschland im Zeitraum von
1985 bis 2002. Gesundheitswesen 66: 409–415
[2] Mensink G. B. M., Schienkiewitz A.,
Haftenberger M et al. (2013):
Übergewicht und Adipositas in Deutschland.
Bundesgesundheitsbl. 56: 786–794
[3] Buchwald H., Oien D. M. (2013) Metabolic/
bariatric surgery worldwide 2011. Obes Surg 23:
427–436
Der Autor
Mario Hellbardt B.Sc.
Vizepräsident des VDD
Diätassistent, MEB/VDD,
Gesundheitswissenschaftler
Universitätsmedizin Leipzig
Integriertes Forschungs- und Behandlungszentrum (IFB) AdipositasErkrankungen
04103 Leipzig
[email protected]
20
ca. 90 Minuten Dauer erläutert. Anschließend kann das
Team die entsprechenden Schulungsmaterialien (Programm-CD mit Präsentationsfolien aller Module, umfassende Schulungscurricula, zusätzliche Schulungsmaterialien) erwerben. Für die teilnehmenden Patienten
wird ein Schulungshandbuch erstellt; dieses kann in gedruckter Form zum Selbstkostenpreis erworben werden.
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[4] Stroh C., Weiner R., Horbach T. et al. (2012):
Aktuelle Daten der Qualitätssicherungsstudie
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