PDF, 1,7 MB - Klinische und Gesundheitspsychologie

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PDF, 1,7 MB - Klinische und Gesundheitspsychologie
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 1. Sitzung
• Reise in die Welt der
neurotischen und
psychosomatischen
Störungen und der
schweren
Persönlichkeitsstörungen
• Der Horizont wird auf der
einen Seite begrenzt
durch den Bereich der
psychischen Gesundheit/
Normalität …
(vgl. Kernberg, 2006, S. 166)
• … auf der anderen Seite
durch den Bereich der
Psychosen, einschließlich
der Schizophrenien und
schizophreniformen
Störungen.
1
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Neurosenlehre
• 1. Sitzung
• Vorbemerkung:
• Symptomatische
Verhaltensweisen
unterscheiden sich
oftmals gar nicht so
kategorial von
unserem alltäglichen
Verhalten, sondern
nur graduell.
2
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Neurosenlehre
• 1. Sitzung
• Vorbemerkung:
• Konsequenzen einer
dimensionalen
Betrachtungsweise:
• Anregung zur
Selbstreflexion
• Gewisser Schutz vor
Diskriminierung
3
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Neurosenlehre
• 1. Sitzung
• Akzentuierung der
psychoanalytischen
• Überblick:
Neurosenlehre, aber
auch Berücksichtigung von lerntheoretischen, mitunter auch
systemischen ätiologischen Konzepten.
4
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Neurosenlehre
• 1. Sitzung
• Überblick:
• Andere Modelle der
Psychotherapie, wie z. B.
die Gestalttherapie, die
Gesprächspsychotherapie,
das Psychodrama, haben
bislang keine annähernd
so differenzierten
Konzepte zur Ätiologie
psychischer Störungen
vorlegen können.
5
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Neurosenlehre
• 1. Sitzung
• Überblick:
• Die Verhaltenstherapie
hat ursprünglich
bekannte Veränderungsmechanismen, wie z. B.
Konditionierungen oder
Imitationslernen, als
Ursachen für auffälliges
Erleben und Verhalten
angenommen.
6
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Neurosenlehre
• 1. Sitzung
• Überblick:
• In der Verhaltenstherapie
ist zunächst das frühere
S-O-R-Schema erweitert
worden um zwei weitere
Aspekte:
S-O-R-K-C,
wobei (K) die Kontingenz, mit
der nachfolgende, verstärkende oder bestrafende Konsequenzen (C) einem Verhalten (R) folgen, bezeichnet. 7
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Neurosenlehre
• 1. Sitzung
• Diese „Verhaltensgleichung“ forderte die
• Überblick: Verhaltenstherapeuten auf,
systematisch zwischen
Entstehungs- und
aufrechterhaltenden
Bedingungen bei dem
Problemverhalten zu
unterscheiden.
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Neurosenlehre
• 1. Sitzung
• „Die wichtigsten
Weiterentwicklungen der
Verhaltenstherapie
• Überblick:
resultieren aus dem
Versuch, … auch
Kognitionen als
verhaltenssteuernde
Variablen zu betrachten.“
(D. Schulte, 1999, S. 54)
9
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Neurosenlehre
• D. Schulte (1999, S. 54) stellt
fest: „Er (der praktisch
tätige
Therapeut)
soll
nicht
• Überblick:
erklären, sondern Veränderungen in Gang setzen – …
Erklärung ist nur insoweit
erforderlich und
gerechtfertigt (!), als sie für
die Therapieplanung und
-durchführung hilfreich ist.“
• 1. Sitzung
10
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Neurosenlehre
• In jüngster Zeit hat die moderne Verhaltenstherapie die ursprünglich linearen Verhal• Überblick:
tensgleichungen dynamisiert,
hat Rückkopplungsschleifen
einbezogen und es ist eine
prozeßorientierte Betrachtungsweise mit mehrfachen
Interdependenzen an die Stelle
der früheren linearen Verhaltensgleichungen getreten.
• 1. Sitzung
(vgl. Reinecker, 1999, S. 108 ff)
11
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Neurosenlehre
• 1. Sitzung
• Überblick:
12
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Neurosenlehre
• 1. Sitzung • Freuds Entdeckung, daß
• Definitionen:
„normale wie pathologische
Vorgänge denselben Regeln
folgen“ (Freud, 1913a, GW VIII,
S. 392)
• Der Übergang von
psychischer Gesundheit
zu psychischer Krankheit
ist fließend.
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Neurosenlehre
• 1. Sitzung
• Die Abgrenzung zwischen
psychischer Gesundheit
• Definitionen: und Krankheit kann prekär
werden in Grenzbereichen.
• Neben dem Symptomverhalten muss der situative
Kontext, in dem dieses
Verhalten auftritt,
berücksichtigt werden.
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Neurosenlehre
• 1. Sitzung
• Neben dem situativen
Kontext sind
• Definitionen:
selbstverständlich der
spezifische kulturelle und
evtl. subkulturelle
Hintergrund und – darüber
hinaus – der historischgesellschaftliche Kontext
von eminenter Bedeutung.
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Neurosenlehre
• 1. Sitzung
• Da jede Bestimmung
dessen, was in einer
• Definitionen: Sozietät als psychische
Störung gilt, auf – mehr
oder weniger bewussten –
gesellschaftlichen
Wertungen beruht, kann es
keine wertfreie, neutrale,
theoriefreie Definition von
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Neurose geben.
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• 1. Sitzung • „Neurosen sind mißlungene
Verarbeitungs- und Lösungsversuche unbewußter, in ihrer
• Definitionen:
Genese infantiler Konflikte,
die durch eine auslösende
Situation reaktiviert wurden.“
• „Neurosen sind
Lösungsversuche von
unbewußten TriebimpulsAbwehr-Konflikten mit
intraindividuell
17
unteroptimalem Ausgang.“
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• 1. Sitzung • „Neurotisches Verhalten ist
• Definitionen:
(a) erlernt und (b) fehlangepaßt. Die Ausbildung
bedingter Reflexe ist an der
Entstehung der
überwiegenden Mehrheit
neurotischer Erscheinungen
beteiligt.“
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Neurosenlehre
• 1. Sitzung : • Abgrenzung zu den
• Definitionen:
somatischen und
psychosomatischen
Störungen: Es handelt sich
bei Neurosen um psychische
Störungen der Erlebnisverarbeitung bzw. einer
erlernten Fehlanpassung, die
keine nachweisbaren
organisch-somatischen
Ursachen haben.
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Neurosenlehre
• 1. Sitzung • Im Unterschied zu den
• Definitionen:
Psychosen – dies wäre ein
weiteres allgemeines
Definitionsmerkmal – ist bei
den neurotischen Störungen
die Realitätsprüfung voll
intakt und die neurotisch
kranken Menschen verfügen
in der Regel über eine
erhebliche Einsichtsfähigkeit.
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• 1. Sitzung • „Neurosen sind überwiegend
psychogen und nur zu einem
• Definitionen: geringeren Teil somatogen
bedingt.
•
Die
pathologische
• ÜbereinstimAbweichung von der Norm
mende
läßt sich eher als quantitative,
Elemente in
denn als qualitative
der
beschreiben.
Neurosendefinition
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• 1. Sitzung • In der Regel ist die soziale
Einordnung erhalten und der
• Definitionen: Verlauf nicht so destruierend
wie bei den Psychosen.
•
Die
gegenwärtigen
Störungen
• Übereinstimstehen mit dem gestörten
mende
Entwicklungs- und
Elemente in
Lernprozessen der
der
Lebensgeschichte in einem
Neurosenkausalen
Zusammenhang.“
definition
22
H.H.
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Neurosenlehre
• 1. Sitzung
•
• Modelle zur
Pathogenese •
von
neurotischer
Symptomatik:
• Das Modell des
aktualisierten
Entwicklungskonflikts
Auslösende Situation (Freud:
„Versuchungs- und
Versagungssituation“)
⇒ aktueller Konflikt ⇒ Angst
(oder andere unlustvolle Affekte) ⇒
Regression ⇒
Reaktualisierung von infantilen
Konflikten
⇒ Verstärkung der
Konfliktspannung (Angst) ⇒
Abwehr
⇒ Misslingen der
Verdrängung ⇒ Kompromissbildung
zwischen den einzelnen
23
Konfliktanteilen ⇒ Symptombildung
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• 1. Sitzung • Das Symptom stellt einerseits
• Modelle zur
Pathogenese
von
neurotischer
Symptomatik:
• Das Modell des
aktualisierten
Entwicklungskonflikts
eine in jeder Hinsicht
unzureichende Lösung dar,
andererseits „die jeweils beste
Organisationsform eines
psychischen Konfliktes“, „die
dem Kranken zu einem
bestimmten Zeitpunkt unter
seinen gegebenen inneren und
äußeren Bedingungen möglich
ist“.
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• 1. Sitzung
• Modelle zur
Pathogenese
von
neurotischer
Symptomatik:
• Das TraumaModell
•
Als Entwicklungstrauma bezeichnen
wir eine schwere und massiv
belastende, in der Regel soziale
Einwirkung. In der Praxis handelt es
sich meist um realen sexuellen
Missbrauch (…) oder um aggressive
Misshandlung (oder Vernachlässigung). Gesamtpopulation einer
psychosomatischen Klinik (n=407):
10% sexueller Missbrauch, 25%
aggressive Misshandlung; fast alle
Betroffenen hätten zusätzlich eine
gestörte emotionale Beziehung zu25
beiden Eltern beschrieben.
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• 1. Sitzung
•
• Modelle zur
Pathogenese
von
neurotischer
Symptomatik:
•
• Das TraumaModell
•
Worin liegt die eigentlich pathogene
Wirkung solcher traumatischer
Ereignisse?
1. „sich wiederholendes Ausgeliefertsein
an einen Zustand gewaltsam erzwungener Ohnmacht, in dem es keine
Hoffnung auf Entrinnen oder auf nicht
stattfindende Wiederholung gibt.“
2. „die traumatisierende Bedeutung der
verführerischen Überstimulierung
(„overstimulation“, Shengold). Diese
führt durch die nicht kontrollierbare,
überflutende Sexualisierung im Kind zu
einem massiven Erlebnis von
26
Überwältigung, …“.
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Neurosenlehre
• 1. Sitzung
•
• Modelle zur
Pathogenese
von
neurotischer
Symptomatik:
•
• Das TraumaModell
•
Worin liegt die eigentlich pathogene
Wirkung solcher traumatischer
Ereignisse?
3. „regelhafte Kombination mehrerer
belastender Bedingungen“, wodurch die
Chancen für gleichzeitige kompensierende (protektive) Faktoren, welche die
Erlebnisverarbeitung verbessern
könnten, sinken.
4. Zusätzlich kann sich „das Zusammenwirken von kindlichen Phantasien und
deren Realisierung durch grenzenverletzende Handlungen anderer“ pathogen
auswirken.
27
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Neurosenlehre
• 1. Sitzung
•
• Modelle zur
Pathogenese
von
neurotischer
Symptomatik:
•
• Das TraumaModell
•
Worin liegt die eigentlich pathogene
Wirkung solcher traumatischer
Ereignisse?
5. „anhaltende Schuldgefühle, die dem
Opfer des Traumas im Erwachsenenalter
Verursachung oder Mitverursachung
seines Schicksals vorwerfen
(Identifizierung mit dem Aggressor)“
6. „die Verwirrung des Wirklichkeitssinnes (Ist das wirklich passiert oder
habe ich es mir nur eingebildet, wie die
anderen sagen?)“
(aus: Hoffmann, Hochapfel, 2004, S. 64-67)
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Neurosenlehre
• 1. Sitzung
• Modelle zur
Pathogenese
von
neurotischer
Symptomatik:
• Das Modell
der verfehlten
Lernvorgänge
•
Hoffman u. Hochapfel betonen, „dass
die Gesetzmäßigkeiten des Lernens
sich besonders zur Beschreibung der
Erhaltung von Symptomen eignen. ...
Was oben als sekundärer Krankheitsgewinn beschrieben wurde, wird
ausgezeichnet mit dem Prinzip der
sozialen Verstärkung erfasst (social
reinforcement). ... Man wird die
Chronifizierung mancher Neurosen
auf diese Weise zufriedenstellend“
erklären können. (S. 68)
(aus: Hoffmann, Hochapfel, 2004, S. 64-67)
29
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Neurosenlehre
• 1. Sitzung
•
• Modelle zur
Pathogenese
von
neurotischer
Symptomatik:
•
• Das Modell
der verfehlten •
Lernvorgänge
Nicht selten kommt es also dazu,
„dass ein Symptom sich im Laufe der
Zeit gegenüber den ursprünglich
hervorbringenden Konfliktbedingungen verselbständigt, sich von
ihnen gleichsam abkoppelt. ... Zur
Konfliktgeschichte tritt eine
Lerngeschichte hinzu.“
Kurzformel:
Lerngeschichte ⇒ verfehlte
Lernvorgänge ⇒ Symptom ( ⇒
symptomerhaltende Lernvorgänge ⇒
Symptomchronifizierung)
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• 2. Sitzung
• Freud stellte 1923 fest:
„Wir erkennen, daß das
• Neuere
theoretische Ubw nicht mit dem Verdrängten zusammen
Erwägungen zum
fällt; es bleibt wichtig,
Begriff des
daß alles Verdrängte
Unbeubw ist, aber nicht alles
wussten
Ubw ist verdrängt.“
31
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Neurosenlehre
• 2. Sitzung • Das Unbewusste aus der Sicht
der Objektbeziehungstheorien:
•
• Neuere
theoretische
Erwägungen zum
Begriff des
Unbewussten
„Aus den verdrängten Triebwünschen, die
in Freuds (1923) Strukturtheorie im Es
lokalisiert wurden, werden bei Kernberg
Objektbeziehungsrepräsentanzen, die mit
Affekten einhergehen. Der unbewusste
innerpsychische Konflikt geschieht jetzt
nicht mehr zwischen Triebimpulsen und
Abwehrmaßnahmen, sondern zwischen
Beziehungserfahrungen (…).“
(Mertens, 2008, S. 124)
32
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Neurosenlehre
• 2. Sitzung • Das Unbewusste aus der Sicht
der Objektbeziehungstheorien:
•
• Neuere
theoretische
Erwägungen zum
Begriff des
Unbewussten
„Triebwünsche werden von Kernberg als
affektive Motivationen betrachtet; die in
den Beziehungserfahrungen gespeicherten
affektiven Erinnerungen (z.B. das Erleben
von Lust, Wohlgefühl, Vitalisierung,
Neugier im Fall von befriedigenden
Objektbeziehungen) sind die treibende
Kraft, nach ähnlichen Erfahrungen in der
Gegenwart zu suchen. Triebe manifestieren
sich somit als libidinöse oder aggressive
Affekte.“
(Mertens, 2008, S. 124)
33
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Neurosenlehre
• 2. Sitzung • Das Unbewusste aus der Sicht
der Objektbeziehungstheorien:
•
• Neuere
theoretische
Erwägungen zum
Begriff des
Unbewussten
„Das Unbewusste wird aus all den
Objektbeziehungserfahrungen gebildet,
welche nicht bewusst werden durften, weil
die elterlichen Reaktionen auf diese
Erfahrungen zu starke Unlust und Angst
erzeugt haben. … Im Unbewussten sind
auf jeden Fall diese Selbst-ObjektBeziehungsrepräsentanzen gespeichert
und die unbefriedigenden traumatischen
Erfahrungen üben einen dynamischen
Einfluss auf die Wahrnehmung und
Gestaltung gegenwärtiger Beziehungen
34
aus.“
(Mertens, 2008, S. 124)
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• 2. Sitzung • Die Unterscheidung von Ver• Neuere
•
theoretische
Erwägungen zum
Begriff des
Unbewussten
gangenheitsunbewusstem und
Gegenwartsunbewusstem (1):
„Während das VergangenheitsUnbewusste durch eine tiefe, bereits in
der Kindheit grundgelegte Verdrängungsschranke vom Bewusstsein abgetrennt
ist, verhindern Scham- und Schuldgefühle, die in der Hier-und-JetztInteraktion mit dem Analytiker entstehen,
das Bewusstwerden von Inhalten des
Gegenwarts-Unbewussten, das eher aus
Phantasien des Adoleszenten und des
Erwachsenen gebildet wird.“
35
(Mertens, 2008, S. 125)
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• 2. Sitzung • Die Unterscheidung von Ver• Neuere
•
theoretische
Erwägungen zum
Begriff des
Unbewussten
gangenheitsunbewusstem und
Gegenwartsunbewusstem (2):
Nach Sandler und Sandler (1984) besteht
das Vergangenheits-Unbewusste „zum
größten Teil aus nichtdeklarativen,
impliziten Wissens- und Fühlelementen,
die so etwas wie eine nichtbewusste
Schablone für alle späteren Gedächtnisinhalte bilden (…).
(Mertens, 2008, S. 125)
36
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• 2. Sitzung • Die Unterscheidung von Ver• Neuere
•
theoretische
Erwägungen zum
Begriff des
Unbewussten
gangenheits-Unbewusstem und
Gegenwarts-Unbewusstem (3):
Das Gegenwarts-Unbewusste, das
überwiegend von deklarativen autobiographischen Gedächtniselementen gebildet
wird, konstituiert sich im Hier und Jetzt einer
Interaktion und Kommunikation immer wieder
aufs Neue, wobei es aber einen Teil seiner
Sozialisierung aus dem VergangenheitsUnbewussten erfährt.
(Mertens, 2008, S. 125)
37
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Neurosenlehre
• 2. Sitzung • Die Unterscheidung von Ver• Neuere
theoretische •
Erwägungen zum
Begriff des
Unbewussten
gangenheits-Unbewusstem und
Gegenwarts-Unbewusstem (4):
„Verdrängte Wünsche und Phantasien eines
erwachsenen Menschen werden also nicht im
Vergangenheits-Unbewussten in unveränderter Form aufbewahrt (…), sondern entstehen im Gegenwarts-Unbewussten, sind
aber dennoch in ihren intrapsychischen und
interaktionellen Eigentümlichkeiten von den
im Vergangenheits-Unbewussten grundgelegten Erfahrungsmustern abhängig. Unbewusste konflikthafte Phantasien, …“
(Mertens, 2008, S. 125)
38
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Neurosenlehre
• 2. Sitzung • Die Unterscheidung von Ver• Neuere
•
theoretische
Erwägungen zum
Begriff des
Unbewussten
gangenheits-Unbewusstem und
Gegenwarts-Unbewusstem (5):
„Unbewusste konflikthafte Phantasien, die von
Klinikern erschlossen und rekonstruiert werden,
sind demnach im Gegenwarts-Unbewussten
anzunehmen. Diese unbewussten Phantasien des
Gegenwarts-Unbewussten sind mit den unbewussten subjektiven Repräsentationen der gegenwärtigen Personen – in der analytischen Situation
mit der Person des Analytikers – eng verbunden
und funktionieren auf einem höheren Level unbewusst kognitiv-emotionaler Abläufe und in einem
anderen Gedächtnissystem als das Vergangenheits-Unbewusste. Dieses kann allerdings mehr
oder weniger stark das Gegenwarts-Unbewusste
39
steuern.“
(Mertens, 2008, S. 125)
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Neurosenlehre
• 2. Sitzung • Die Unterscheidung von Ver• Neuere
•
theoretische
Erwägungen zum
Begriff des
Unbewussten
gangenheits-Unbewusstem und
Gegenwarts-Unbewusstem (6):
„Der ganze Bereich der Abwehrmechanismen
findet ebenfalls im Gegenwarts-Unbewussten
seinen Einsatz, sowie alle Arten kompensatorischer und adaptiver Mechanismen und
daraus resultierender Kompromissbildungen.
Deren Ziel besteht in der Aufrechterhaltung
eines inneren Gleichgewichts, von Gefühlen
der Sicherheit und der Integrität des Selbst.“
(Mertens, 2008, S. 125)
40
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Neurosenlehre
• 2. Sitzung
•
Mertens: Merkmale unbewusster Prozesse in
verschiedenen psychoanalytischen
Denkrichtungen
• Neuere
theoretische
Erwägungen zum
Begriff des
Unbewussten
41
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Neurosenlehre
• 2. Sitzung
•
Mertens: Bewusste und unbewusste Vorgänge aus der
Sicht verschiedener methodischer und konzeptueller
Zugänge
• Neuere
theoretische
Erwägungen zum
Begriff des
Unbewussten
42
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Neurosenlehre
• 2. Sitzung
• Exkurs:
• Internationale
Bemühungen um eine
Vereinheitlichung der
psychiatrischen
Klassifikation und der
Kampf um den Begriff
der Neurose
43
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• 2. Sitzung
• Exkurs:
•
• Ein erstes einheitliches
Klassifikationsschema in
Wien 1889 erstellt
Internationale
•
Bemühungen um
eine Vereinheitlichung der
psychiatrischen
Klassifikation und
der Kampf um den
Begriff der
Neurose
„Bis zum Ende des zweiten
Weltkrieges blieben fast alle
nationalen wie internationalen
Versuche, zu einer einheitlichen
Klassifikation psychischer Störungen
zu gelangen, weitgehend erfolglos.“
44
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• 2. Sitzung
• Bis zum Vorliegen der 9.
Fassung des ICD wurde
• Exkurs:
massive Kritik geäußert
• Internationale
an den jeweiligen
Bemühungen um
eine Vereinheitvorausgehenden
lichung der
Systematisierungspsychiatrischen
Klassifikation und
versuchen
der Kampf um den
Begriff der
•
Kritikpunkte
waren:
Neurose
45
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• 2. Sitzung
• Exkurs:
•
•
•
•
Internationale
Bemühungen um
•
eine Vereinheitlichung der
psychiatrischen
Klassifikation und •
der Kampf um den
Begriff der
Neurose
die antipsychiatrische Position von Szasz
(1960)
die geringe Zuverlässigkeit
psychiatrischer Diagnosen
die soziale Stigmatisierungswirkung von
psychiatrischen Diagnosen
die kategoriale Klassifikation, stattdessen
Plädoyer für eine typologische und
dimensionale Systematik
ein Ethnozentrismus: einseitig würden die
amerikanischen und westeuropäischen
kulturellen Standards dominieren
46
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• 2. Sitzung
• Exkurs:
•
•
•
Internationale
Bemühungen um
eine Vereinheitlichung der
•
psychiatrischen
Klassifikation und
der Kampf um den
Begriff der
Neurose
Das bis zum Jahr 1999 noch offiziell
gültige ICD 9 hat sich als internationales
Klassifikations-system schon beachtlich
durch-setzen können.
In den Formulierungen fand vor allem der
Einfluss biologisch und psychoanalytisch
orientierter Psychiater seinen Niederschlag.
Das ICD 9 blieb noch dem medizinischen
Krankheitsmodell verpflichtet (Ätiologie,
Pathogenese, Symptom, Diagnose,
Prognose, Therapie).
47
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• 2. Sitzung
• Exkurs:
•
• Neue
Klassifikationssysteme:
•
Internationale
Bemühungen um
•
eine Vereinheitlichung der
psychiatrischen
Klassifikation und
der Kampf um den
Begriff der
Neurose
Das DSM IV: Diagnostic and Statistic
Manual of Mental Disorders (2000)
(American Psychiatric Association, APA).
Das ICD 10, Kapitel V, (F): Internationale
Klassifikation psychischer Störungen
(International Classification of Diseases,
Chapter V (F): Mental and behavioural
Disorders) (Dilling et al., 1991, 1993).
48
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• 2. Sitzung
• Exkurs:
•
•
•
Internationale
Bemühungen um
eine Vereinheit•
lichung der
psychiatrischen
Klassifikation und
der Kampf um den
Begriff der
Neurose
Das DSM IV: Seit 2003 liegt das DSM IV in
der Fassung als Textrevision (TR), die von
Saß, Wittchen, Zaudig und Houben besorgt
wurde, vor.
Fast alle Störungen, die in den Katalog der
ICD 10 aufgenommen worden sind, sind
auch im DSM IV - TR aufgeführt.
Für die DSM IV besitzen forschungsorientierte Gesichtspunkte stärkeres
Gewicht, was sich u. a. darin ausdrückt,
dass die beschreibenden Texte in der ICD 10
„kürzer und weniger kategorisch sind“.
An die Stelle von Formulierungen in der ICD 10 wie …
normalerweise … oder: … sollten vorhanden sein …
treten in dem DSM IV: … müssen … oder … sind
49
erforderlich …
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• 2. Sitzung • Beide Systeme – das DSM IV
• Exkurs:
•
Internationale
Bemühungen um
eine Vereinheitlichung der
psychiatrischen
Klassifikation und
der Kampf um den
Begriff der
Neurose
und das aktuell gültige ICD 10 –
„vermeintlich atheoretische
Klassifikationen psychischer
Störungen“ (Kernberg) –
möchten sich an rein
phänomenologischen Kriterien
orientieren, frei von ätiopathogenetischen Implikationen.
50
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• 2. Sitzung
•
• Exkurs:
•
Internationale
Bemühungen um
eine Vereinheitlichung der
psychiatrischen
Klassifikation und
der Kampf um den
Begriff der
Neurose
•
Es gibt weltweit eine Tendenz, die
„Neurose“ nicht mehr als eine
quasi nosologische Entität zu
behandeln, sondern in verschiedene Verhaltensdimensionen
aufzulösen.
Ein solches Vorgehen ist weder
theoretisch noch therapeutisch
neutral, es hat zahlreiche
Konsequenzen, sowohl positive
wie negative.
51
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• 2. Sitzung
•
• Exkurs:
•
Internationale
Bemühungen um
eine Vereinheitlichung der
psychiatrischen
Klassifikation und
der Kampf um den
Begriff der
Neurose
•
Die präzisere Beschreibung der
psychischen Störungen hat die
Diagnostik verlässlicher gemacht
und zu bedeutenden Fortschritten
in der Forschung beigetragen.
Die Akzentuierung des Deskriptiven bringt die Gefahr mit sich, die
Frage zu vernachlässigen,
worunter der Patient wirklich leidet
bzw. welche psychischen
Probleme evtl. hinter der vom
Patienten geklagten Symptomatik
52
noch stehen könnten.
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 2. Sitzung
• Exkurs:
•
Internationale
Bemühungen um
eine Vereinheitlichung der
psychiatrischen
Klassifikation und
der Kampf um den
Begriff der
Neurose
•
Es ist den Herausgebern der deutschen
Textrevision des DSM IV allerdings zugute
zu halten, dass sie selbstkritisch die „Konzentration auf einen deskriptiven, verhaltensorientierten Ansatz“ problematisieren,
„der weitgehend stark interpretationsbedürftige und theoriebezogene Begrifflichkeiten in der Definition von Zeichen und Symptomen vermeidet“ (DSM IV – TR, S. XXI). Es
sei zwar davon auszugehen, dass bei
diesem Vorgehen „zunächst die klinische
Beurteilerreliabilität“ sich erhöhe, doch
gehe damit auch einher die Gefahr einer
Hypostasierung von beobachtbare Zeichen
und der Unterschätzung des Empfindens
53
der zu beurteilenden Person.
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
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Neurosenlehre
• 2. Sitzung
•
• Exkurs:
•
Internationale
Bemühungen um
eine Vereinheitlichung der
psychiatrischen
Klassifikation und
der Kampf um den
Begriff der
•
Neurose
Unklar und ungeregelt bleibe, „wie der Kliniker zu seiner Beurteilung kommt. Welches
Gewicht gibt er der subjektiv-verbalen
Ebene (d.h. subjektiven Erlebnissymptomen)? Welche dieser Erlebnissymptome
übernimmt er direkt, welche filtert er aufgrund bestimmter Kriterien? Diese Fragen
betreffen direkt Validitätsaspekte sowohl
hinsichtlich einzelner Symptome wie auch
der Ableitung einer Diagnose vor allem bei
Störungen, deren Symptomatik wesentlich
im subjektiven Bereich bleibt.
Im übrigen bringt in vielen Fällen die zusätzliche Forschung mit verhaltensorientierten
desriptiven Kriterien kaum noch Erkenntnis54
gewinn, …“.
(a.a.O., S. XXI)
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Neurosenlehre
• 2. Sitzung
•
•
• Exkurs:
•
Internationale
Bemühungen um
eine Vereinheitlichung der
psychiatrischen
Klassifikation und
der Kampf um den
Begriff der
Neurose
•
•
•
•
Das multiaxiale System des DSM IV
Achse I enthält Klinische Störungen,
Entwicklungsstörungen und andere klinisch
relevante Probleme.
Achse II soll Geistige Behinderungen und
Persönlichkeitsstörungen abbilden.
Auf Achse III werden medizinische Krankheiten aus anderen Kapiteln der ICD-10
codiert.
Auf Achse IV werden psychosoziale und
Umgebungsprobleme berücksichtigt.
Auf Achse V soll eine Gesamtbeurteilung
des psychosozialen Funktionsniveaus auf
einer GAF-Skala, die jetzt bis 100 reicht,
55
vorgenommen werden.
(a.a.O., S. XIII)
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Neurosenlehre
• 2. Sitzung • Psychogene Störungen mit
körperlicher Symptomatik
• Allgemeine • Psychogene Störungen mit
Einteilung
(vorwiegend) psychischer
nach
Symptomatik
Hoffmann/ • Charakterneurosen und
Hochapfel
Persönlichkeitsstörungen
(2004):
• Konfliktreaktionen
56
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Neurosenlehre
• 2. Sitzung
• Allgemeine
Einteilung:
•
•
• Psychogene
Störungen
•
mit
körperlicher
Symptomatik
•
Es werden 3 Untergruppen
unterschieden:
Psychosomatischer Erkrankungen
im engeren Sinne (G. Engel:
Psychosomatosen; heute genannt:
„Organkrankheiten mit psychosozialer Komponente“)
Funktionelle Störungen (heute
genannt: „somatoforme autonome
Funktionsstörungen) und
Konversionsstörungen/dissoziative
Störungen der Bewegung und der 57
Sinnesempfindungen.
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Neurosenlehre
• 2. Sitzung
• Allgemeine
Einteilung:
• Psychogene
Störungen
mit
körperlicher
Symptomatik
•
Die Psychosomatosen werden von
Uexküll definiert als Folgezustände
langandauernder vegetativer Spannungen. In der Folge ständiger „Alsob-Reaktionen“ (Furcht, Aggression) – Uexküll redet deshalb
treffend von „Bereitstellungserkrankungen“ – kommt es zu
organpathologischen bzw. –
destruktiven Veränderungen.
58
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Neurosenlehre
• 2. Sitzung • Die so genannten
„holy seven“:
• Allgemeine
Einteilung:
•
•
•
•
•
• Psychogene
Störungen
mit
körperlicher •
Symptomatik •
• Die Psychosomatosen
Asthma bronchiale,
Ulcus pepticum ventriculi et duodeni,
Colitis ulcerosa,
essentielle Hypertonie,
rheumatoide Arthritis (primär
chronische Polyarthritis),
das atopische Exzem (Neurodermitis)
und die Hyperthyreose.
59
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Neurosenlehre
• 2. Sitzung
•
• Allgemeine
Einteilung:
• Psychogene •
Störungen
•
mit
körperlicher
Symptomatik
• Die Psychosomatosen
Nach Auffassung von Hoffmann und
Hochapfel (2004) müssten den „holy
seven“ weitere Erkrankungen an die
Seite gestellt werden, die ähnliche
seelisch-körperliche Wechselwirkungen aufweisen, z. B.:
Die koronaren Herzerkrankungen
Chronische Entzündungskrankheiten,
wie
– die Multiple Sklerose,
– Morbus Crohn und
– abakterielle Prostatitis
60
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Neurosenlehre
• 2. Sitzung • Die funktionellen Störungen
betreffen:
• Allgemeine
Einteilung:
•
•
• Psychogene
Störungen mit
•
körperlicher
Symptomatik
•
• Die
funktionellen
Störungen
das Herz-Kreislaufsystem (z. B.
Tachykardie)
das Atmungssystem (z. B.
Hyperventilation),
den Magen-Darm-Trakt (z. B.
Obstipation),
die Harn- und Geschlechtsorgane
(z. B. die sog. sexuellen
Funktionsstörungen)
61
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Neurosenlehre
• 2. Sitzung • Konversionsneurosen bringen
• Allgemeine
Einteilung:
• Psychogene
Störungen mit
körperlicher
Symptomatik
• Die
Konversionsneurosen
neurotische Konflikte auf
somatischer Ebene zum
Ausdruck.
•
Die Symptome beziehen sich dabei
vor allem auf sensorische oder
motorische Störungen (psychogene
Blindheit oder Taubheit, Lähmungen,
Missempfindungen, Schmerzen), die
einen direkt symbolischen
Ausdrucksgehalt haben, also
sekundäre Somatisierungen sind.
62
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Neurosenlehre
• 3. Sitzung
• Die Psychoneurosen
•
• Allgemeine •
Einteilung: •
• Psychogene •
•
Störungen
•
mit
vorwiegend
psychischer
Symptomatik
Die Hysterie
Die Phobien
Die Zwangsneurosen
Die neurotische Depression
Die Angstneurose
Das Depersonalisations- und
Derealisationssyndrom
63
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Neurosenlehre
• 3. Sitzung
• Die „ich-strukturellen
Störungen“ (Fürstenau)
• Allgemeine
(unscharfe Kategorie)
Einteilung: • Süchte
• Psychogene • Perversionen
Störungen
• Delinquenz
mit
• Schwere Persönlichkeitsstörungen
vorwiegend
psychischer
Symptomatik
64
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Neurosenlehre
• 3. Sitzung • Die Persönlichkeits• Allgemeine
Einteilung:
störungen einschl. der
Charakterneurosen
•
• Psychogene
•
Störungen
•
mit
vorwiegend •
psychischer •
Symptomatik
Frühere nosologische
Beschreibungen betrafen:
Den hysterischen Charakter
Den zwanghaften Charakter
Den depressiven Charakter
Den schizoiden Charakter
65
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Neurosenlehre
• 3. Sitzung • Die Persönlichkeits• Allgemeine
Einteilung:
störungen einschl. der
Charakterneurosen
•
• Psychogene
Störungen
•
mit
vorwiegend •
psychischer
Symptomatik •
Heute ist die Kategorie der Charakterneurosen weitgehend ersetzt durch die
der Persönlichkeitsstörungen, z. B:
Die histrionische
Persönlichkeitsstörung
Die anankastische
Persönlichkeitsstörung
Die depressiv-masochistische
Persönlichkeitsstörung
66
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Neurosenlehre
• 3. Sitzung • Die Persönlichkeits• Allgemeine
Einteilung:
störungen einschl. der
Charakterneurosen
•
• Psychogene
Störungen
•
mit
vorwiegend •
psychischer •
Symptomatik
Darüber hinaus gehört hierzu das
große Gebiet der sog. schweren
Persönlichkeitsstörungen, die u. a.
die narzißtische
Persönlichkeitsstörung,
die Borderline-Störung,
die schizoide Persönlichkeitsstörung
umfasst.
67
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Neurosenlehre
• 3. Sitzung
•
• Allgemeine
Einteilung:
•
• Konfliktreaktionen
Es handelt sich um erlebnisreaktive
Störungen mit psychischer und
körperlicher Symptomatik.
Zu den Symptomen der
„posttraumatischen Belastungsstörung“ gehören das wiederholte
Erleben des Traumas in sich
aufdrängenden Erinnerungen
(„flashbacks“ bzw. Nachhallerinnerungen), Albträume, emotionale
Stumpfheit, vegetative Übererregtheit
mit Vigilanzsteigerung usw.
68
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Neurosenlehre
• 3. Sitzung • Die Art der jeweiligen
• Allgemeine
Einteilung:
• Konfliktreaktionen
Reaktion auf die Traumatisierung kann zwar durch eine
neurotische Struktur mit
beeinflusst werden, diese ist
jedoch weder nötig noch ausreichend, um das Auftreten
der Störung zu erklären.
69
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Neurosenlehre
• 3. Sitzung • In leichten Fällen kann die
• Allgemeine
Einteilung:
• Konfliktreaktionen
differentialdiagnostische
Abgrenzung gegenüber der
normalen Trauerreaktion
schwierig sein, in schweren
Fällen ist die Unterscheidung
von der Neurose und der
Persönlichkeitsstörung nicht
einfach.
70
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Neurosenlehre
• 3. Sitzung • Nach psychoanalytischer
• Vom Sinn
der
Symptome
Auffassung verweist das
Symptom auf den gesamten
Lebenszusammenhang,
Krankheits- und Lebensgeschichte sind nicht isoliert
voneinander, sondern nur in
ihrer wechselseitigen
Verschränkung zu verstehen.
71
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Neurosenlehre
• 3. Sitzung
•
• Vom Sinn
der
Symptome
•
Die Neurose ist demnach ein
misslingender Versuch der
Bewältigung bestimmter, nämlich
phasen- bzw. entwicklungsspezifischer Konflikte.
Die neurotische Störung eines
Menschen sagt etwas aus über die
Gesamtentwicklung eines
Menschen, in jedes Symptom ist
gewissermaßen eine ganze,
hochkomplexe Beziehungs-,
Geschlechts- und Triebgeschichte
72
eingelassen.
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung • A) In seiner ersten Arbeit über
•
Theoriegeschichtliche
Entwicklung
von Freuds
Neuroseverständnis
•
Von der
Hereditätsauffassung zur
Grundannahme
des psychischen
Konflikts
die Hysterie lehnte sich Freud
noch stark an die Heriditätsauffassung von Charcot an und
wies Traumen, Kummer,
Gemütsbewegungen nur den
Rang von „Gelegenheitsursachen“ zu, durch die eine
bisher unbemerkte psychische
Disposition geweckt werden
könnte.
73
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung • B) In Freuds weiteren Arbeiten
•
Theoriegeschichtliche
Entwicklung
von Freuds
Neuroseverständnis
•
Von der
Hereditätsauffassung zur
Grundannahme
des psychischen
Konflikts
aus den Jahren 1892 / 93 und
1895 (Studien über Hysterie) tritt
die Bedeutung krankhafter
Erbfaktoren zurück gegenüber
der Präponderanz von
psychischen Belastungen für
„die Erwerbung von
Neuropathien“.
74
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung • C) Breuers Konzept der
•
Theoriegeschichtliche
Entwicklung
von Freuds
Neuroseverständnis
•
Von der
Hereditätsauffassung zur
Grundannahme
des psychischen
Konflikts
Hypnoid-Hysterie: Die
hypnoiden Zustände der Anna
O. hätten den „Boden
geschaffen“, auf dem sich die
traumatischen Erfahrungen,
„der Angst- und Erwartungsaffect sich festsetzte“.
(Studien über Hysterie, S. 33)
75
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung • C) Breuers Erklärungsmodell
•
Theoriegeschichtliche
Entwicklung
von Freuds
Neuroseverständnis
•
Von der
Hereditätsauffassung zur
Grundannahme
des psychischen
Konflikts
der Hypnoidhysterie bedeutete,
dass der Entstehung dieser Art
von Störungen ein hypnoseähnlicher Zustand zugrunde
liegt. Ein solcher Gemütszustand ist sozusagen der Boden,
auf den bestimmte traumatische
Erfahrungen fallen.
76
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung • D) Freuds Konzept der Abwehr•
Theoriegeschichtliche •
Entwicklung
von Freuds
Neuroseverständnis
•
Von der
Hereditätsauffassung zur
Grundannahme
des psychischen
Konflikts
hysterie:
Nicht der hypnoide Zustand verursache die Dissoziation von
Erinnerungen an ein traumatisches Ereignis, sondern „weil es
sich um Dinge handelte, die der
Kranke vergessen wollte, die er
darum absichtlich aus seinem
bewussten Denken verdrängte,
hemmte und unterdrückte.“
77
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung • D) Freuds Konzept der
•
Theoriegeschichtliche •
Entwicklung
von Freuds
Neuroseverständnis
•
Von der
Hereditätsauffassung zur
Grundannahme
des psychischen
Konflikts
Abwehrhysterie:
In zunehmender Abgrenzung zu
Breuer entwickelte Freud eine
mehr und mehr psychologische
Theorie, eine Verdrängungsund Abwehrtheorie der Hysterie
und später der Neurose
überhaupt.
78
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung • D) Freuds Konzept der
•
Theoriegeschichtliche •
Entwicklung
von Freuds
Neuroseverständnis
•
Von der
Hereditätsauffassung zur
Grundannahme
des psychischen
Konflikts
Abwehrhysterie:
Die Konzepte der „peinlichen
Kontrastvorstellung“ und des
„Gegenwillens“, mit denen Freud
auch in Fällen aus den „Studien
über Hysterie“ (Emmy v. N. und
Elisabeth v. R.) gearbeitet hat,
gelten als Vorstufe der späteren
Verdrängungstheorie.
79
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung • D) Freuds Konzept der
•
Theoriegeschichtliche •
Entwicklung
von Freuds
Neuroseverständnis
•
Von der
Hereditätsauffassung zur
Grundannahme
des psychischen
Konflikts
•
Abwehrhysterie:
Denn der ätiologische Grundgedanke ist der einer Verdrängung unliebsamer und konflikthaft erlebter Vorstellungen.
Hier sind die Grundlagen für die
Konzeptionalisierung des
unbewussten Konflikts, wenn
nicht für das Unbewusste
überhaupt gelegt worden.
80
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 4. Sitzung
• E) Die Verführungstheorie:
•
Theorie•
geschichtliche
Entwicklung
von Freuds
Neuroseverständnis
•
Von der
Hereditätsauffassung zur
Grundannahme
des psychischen
Konflikts
Von 1895 – 1897 vertretene Annahme, dass der Hysterie, aber wohl
nicht nur den Hysterien, eine
kindliche sexuelle Verführungssituation zugrunde liege. Traumatisch wirke jedoch nicht die frühkindliche Erfahrung als solche,
sondern ihr Wiederaufleben als
unbewusste Erinnerung, nachdem
der Betroffene die sexuelle Reife
erlangt habe.
81
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 4. Sitzung
• E) Die Verführungstheorie:
•
Theorie•
geschichtliche
Entwicklung
von Freuds
Neurose•
verständnis
•
Von der
Hereditätsauffassung zur
Grundannahme
des psychischen
Konflikts
Die spezifische Ursache der Hysterie sei daher die aktuell wirksame,
aber unbewusste Vorstellung passiv
erlebter Verführung.
Die „Verführungstheorie“ bedeutete
gegenüber den damals geläufigen
Hysterie-Dispositions-Konzepten
einen wesentlichen Fortschritt, weil
sie die Symptomentstehung kausal
erklärt.
82
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 4. Sitzung
• E) Die Verführungstheorie:
•
Theorie•
geschichtliche
Entwicklung
von Freuds
Neuroseverständnis
•
Von der
Hereditätsauffassung zur
Grundannahme
des psychischen
Konflikts
Aufgrund der „Einsicht, dass es
im Unbewussten ein Realitätszeichen nicht gibt, so dass man
die Wahrheit und die mit Affekt
besetzte Fiktion nicht unterscheiden kann“, spricht Freud
seit 1897 der Phantasie neben der
realen Verführung eine wichtige
Rolle in der Neuroseentstehung
zu.
83
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 4. Sitzung
• E) Die Verführungstheorie:
•
Theorie•
geschichtliche
Entwicklung
von Freuds
Neuroseverständnis
•
Von der
Hereditätsauffassung zur
Grundannahme
des psychischen
Konflikts
Sie besagt im wesentlichen, dass
die passive sexuelle Verführung
eines unschuldigen Kindes in der
Kindheit als „unbewusste Erinnerung“ im Seelenleben zurückbleibt.
Werde diese Erinnerung nach Eintreten der sexuellen Reife wiederbelebt, so gelange sie zu traumatischer
Wirksamkeit und werde zur
spezifischen Ursache der Hysterie.
84
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 4. Sitzung
• E) Die Verführungstheorie:
•
Theorie•
geschichtliche
Entwicklung
von Freuds
Neuroseverständnis
•
Von der
Hereditätsauffassung zur
Grundannahme
des psychischen
Konflikts
Traumatisch wirke also nicht die
frühkindliche Erfahrung als solche,
sondern ihr Wiederaufleben als
unbewusste Erinnerung, nachdem
der Betroffene die sexuelle Reife
erlangt habe.
85
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung
• E) Die Verführungstheorie:
•
Theorie•
geschichtlich
e Entwicklung
von Freud´s
Neuroseverständnis
•
Von der
Hereditätsauffassung zur
Grundannahme
des psychischen
Konflikts
Besonders der letzte Punkt ist
von entscheidender Bedeutung
für die gesamte Neurosen- und
Abwehrlehre der Psychoanalyse und wird mit dem
Begriff der Nachträglichkeit
umschrieben.
86
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
• E) Die Verführungstheorie:
Theoriegeschichtliche
Entwicklung
von Freuds
Neuroseverständnis
• Freud hat die „Verführungstheorie“ niemals endgültig
aufgegeben.
• Was sich jedoch herausstellte, war, dass sie in ihrer
Von der
ursprünglichen Breite und
Hereditätsauffassung zur
Absolutheit sowie UniversaGrundannahme
lität nicht mehr zu halten war.
des psychischen
Konflikts
87
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung
• E) Die Verführungstheorie:
•
Theorie•
geschichtliche •
Entwicklung
von Freuds
Neuroseverständnis
•
Von der
Hereditätsauffassung zur
Grundannahme
des psychischen
Konflikts
Zusammenfassung:
Freud erkannte etwa seit 1897 die
Phantasie als weiteren Faktor in
der Hysterieentstehung und
begann an der von seinen
Patienten erzählten und an den von
ihm geschlussfolgerten
Verführungsszenen zu zweifeln.
(vgl. Brief an Fliess v. 21.9.1897).
88
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung
• F) Die Konflikttheorie:
•
Theorie•
geschichtliche
Entwicklung
von Freuds
Neuroseverständnis
•
Von der
Hereditätsauffassung zur
Grundannahme
des psychischen
Konflikts
Mit der Berücksichtigung der
Phantasie in der Neurosenätiologie
war ein entscheidender Schritt zu
einer Weiterentwicklung sowohl
der Behandlungstechnik als auch
der Konzeption des Triebes und
der (infantilen) psychosexuellen
Entwicklung getan.
89
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung
• F) Die Konflikttheorie:
•
Theorie•
geschichtliche
Entwicklung
von Freuds
Neuroseverständnis
•
Von der
Hereditätsauffassung zur
Grundannahme
des psychischen
Konflikts
Nur mit der Relativierung der
Verführungsannahme konnten
Konzepte wie das der
„unbewussten Phantasien“, von
„Trauma und Konflikt“ und der
„psychischen Realität“ sowie
schließlich das der frühkindlichen
Sexualität in den Mittelpunkt
rücken.
90
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
• F) Die Konflikttheorie:
Theorie•
geschichtliche
Entwicklung
von Freuds
•
Neuroseverständnis
Von der
Hereditätsauffassung zur
Grundannahme
des psychischen
Konflikts
Psychoanalyse ist immer eine
Konfliktpsychologie.
Die neurotischen Symptome
verweisen auf verinnerlichte
Konflikte (die nicht mit äußeren
Konflikten zu verwechseln sind)
und stellen einen Kompromiss dar
zwischen den daran beteiligten
gegensätzlichen seelischen
Kräften: Impuls bzw. Trieb und
91
Abwehr.
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung
• F) Die Konflikttheorie:
•
Theorie•
geschichtliche
Entwicklung
von Freuds
Neuroseverständnis
•
Von der
Hereditätsauffassung zur
Grundannahme
des psychischen
Konflikts
Dieses etwas simpel anmutende
quasi-„hydraulische“
Pathogenesemodell wird später
von Freud differenziert. Dabei wird
die Angst als wichtiger Zwischenschritt eingeführt: Jeder
Triebabkömmling, der dem Ich
gefährlich wird, erzeugt Angst.
92
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung
• F) Die Konflikttheorie:
•
Theorie•
geschichtliche
Entwicklung
von Freuds
Neuroseverständnis
•
Von der
Hereditätsauffassung zur
Grundannahme
des psychischen
Konflikts
Um diese Angst zu beseitigen oder
zu verringern, werden vom Subjekt
Anstrengungen unternommen,
diese Abkömmlinge des Triebes
abzuwehren. Durch den
Kompromiss zwischen Impuls und
Abwehr wird die Angst reduziert
bzw. im Symptom gebunden.
93
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
• G) Die sog. Struktur- bzw.
Theoriegeschichtliche
•
Entwicklung
von Freuds
Neurose•
verständnis
Instanzentheorie
die Unterscheidung
zwischen
Es,
Psychoanaly• Ich und
tische
Auffassungen
• Über-Ich
zur Ätiologie von
Ö
Neurosen
94
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
• G) Die sog. Struktur- bzw.
Theoriegeschichtliche •
Entwicklung
von Freuds
Neuroseverständnis
Psychoanalytische
Auffassungen
zur Ätiologie von
Neurosen
Instanzentheorie
Das ES - dieses Konstrukt meint
alles, was die Triebe psychisch
repräsentiert. Freud, 1933a, S. 80:
„Wir stellen uns vor, es sei am Ende
gegen das Somatische offen, nehme
die Triebbedürfnisse in sich auf, die
in ihm ihren psychischen Ausdruck
finden, wir können aber nicht sagen,
in welchem Substrat.“ Auch das
dynamisch Unbewusste wird dem 95
ES zugerechnet.
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
• G) Die sog. Struktur- bzw.
Theoriegeschichtliche •
Entwicklung
von Freuds
Neuroseverständnis
Psychoanalytische
Auffassungen
zur Ätiologie von
Neurosen
Instanzentheorie
Das ÜBERICH - verdankt sich
der Verinnerlichung von
versagenden bzw. verbietenden
Beziehungsepisoden und bildet
sich aus deren psychischen
Repräsentanzen heraus. Es ist die
gebietende, verbietende, billigende
oder missbilligende Instanz.
96
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
• G) Die sog. Struktur- bzw.
Theoriegeschichtliche •
Entwicklung
von Freuds
Neuroseverständnis
Psychoanalytische
Auffassungen
zur Ätiologie von
Neurosen
Instanzentheorie
Das ICHIDEAL - wird als eine Substruktur des ÜBERICH verstanden.
Es gibt auch für das Überich die
angestrebten Ideale vor und an ihm
orientiert und misst sich auch das
ICH. Die Inhalte des Ichideals werden in hohem Maße durch die vom
Kind aufgenommenen Ideale der
Großeltern und Eltern geprägt, die
das Kind per Identifikation
97
übernimmt.
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
• G) Die sog. Struktur- bzw.
Theoriegeschichtliche •
Entwicklung
von Freuds
Neuroseverständnis
Psychoanalytische
Auffassungen
zur Ätiologie von
Neurosen
Instanzentheorie
Das ICH - gilt als die
Steuerungszentrale im
psychischen System. Es umfasst
„alle organisierenden, integrativen
und synthetischen Funktionen der
menschlichen Psyche“ (MüllerPozzi).
98
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
• G) Die sog. Struktur- bzw.
Theoriegeschichtliche •
Entwicklung
•
von Freuds
Neurose•
verständnis
Psychoanaly•
tische
•
Auffassungen
zur Ätiologie von
•
Neurosen
•
Instanzentheorie
Nach Freud, 1940a, S. 68, hat das ICH
die Verfügung über die willkürlichen
Bewegungen;
die Aufgabe der Selbstbehauptung, die es
erfüllt, indem es
nach außen die Reize kennen lernt,
Erfahrungen über sie aufspeichert (im
Gedächtnis),
überstarke Reize vermeidet (durch Flucht).
mäßigen Reizen begegnet (durch
99
Anpassung)
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
• G) Die sog. Struktur- bzw.
Theoriegeschichtliche •
Entwicklung
von Freuds
Neurose•
verständnis
•
Psychoanalytische
Auffassungen
zur Ätiologie von
Neurosen
•
Instanzentheorie
Nach Freud (1940a) hat das ICH die Aufgabe
der Selbstbehauptung, die es erfüllt, indem
es
lernt, die Außenwelt in zweckmäßiger Weise
zu seinem Vorteil zu verändern (Aktivität);
gegenüber dem Es entscheidet, ob
bestimmte Triebbedürfnisse zur
Befriedigung zugelassen werden oder nicht
(Ich als Cerberus oder als Schaltzentrale);
oder ob es die Befriedigung auf die in der
Außenwelt günstigeren Zeiten und
100
Umstände verschiebt
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
• G) Die sog. Struktur- bzw.
Theoriegeschichtliche •
Entwicklung
von Freuds
•
Neuroseverständnis
•
Psychoanalytische
Auffassungen
•
zur Ätiologie von
Neurosen
Instanzentheorie
… oder ihre Erregung überhaupt unterdrückt,
abhängig von der in ihm vorhandenen oder
induzierten Reizspannung (Affektlage), die
es ständig zu beachten hat.
„Das Ich strebt nach Lust, will der Unlust
ausweichen.“
„Eine erwartete, vorausgesehene Unluststeigerung wird mit einem Angstsignal
beantwortet, ihr Anlass, ob er von außen
oder von innen droht, heißt Gefahr.“ (S. 68)
101
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
• G) Die sog. Struktur- bzw.
Theoriegeschichtliche •
Entwicklung
von Freuds
•
Neuroseverständnis
Psychoanalytische
Auffassungen
zur Ätiologie von
Neurosen
Instanzentheorie
Jegliche Abwehrtätigkeit geht vom
Ich aus.
Das Ich kann durch Amalgamierung von libidinösen mit
aggressiven Strebungen für eine
Neutralisierung von Triebimpulsen
sorgen.
102
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
Theoriegeschichtliche
Entwicklung
von Freuds
Neuroseverständnis
Psychoanalytische
Auffassungen
zur Ätiologie von
Neurosen
• G) Die sog. Struktur- bzw.
Instanzentheorie
• Das dynamisch Unbewußte:
Irgendwelche Reize, auf die das
Ich mit einer (reiferen) Abwehrtätigkeit, die der Gruppe der
Verdrängung zuzurechnen ist,
reagiert, werden in den Bereich
des dynamisch Unbewussten
verbannt und sind damit auch
nicht mehr ohne weiteres dem
103
Bewusstsein zugänglich.
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
• G) Die sog. Struktur- bzw.
Theoriegeschichtliche •
Entwicklung
von Freuds
Neuroseverständnis
Psychoanalytische
•
Auffassungen
zur Ätiologie von
Neurosen
Instanzentheorie
Neurotische Symptome entstehen
dadurch, dass das Ich eine im Es
mächtige Triebregung nicht aufnehmen
und nicht zur motorischen Erledigung
befördern will oder ihr das Objekt
bestreitet, auf das sie zielt.
Im Dienste des Über-Ich und der Realität
ist das Ich in einen Konflikt mit dem Es
geraten. Dies sei der Sachverhalt bei
allen Übertragungsneurosen.
104
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
• I) Freuds Klassifikation der
Theoriegeschichtliche •
Entwicklung
•
von Freuds
•
Neuroseverständnis
Neurosen
Freud unterscheidet zwischen den
Aktualneurosen
und den Psychoneurosen
Psychoanalytische
Auffassungen
zur Ätiologie von
Neurosen
105
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
• I) Freuds Klassifikation der
Theoriegeschichtliche
Entwicklung
•
von Freuds
Neuroseverständnis
Psychoanalytische
Auffassungen
zur Ätiologie von
Neurosen
Neurosen:
Die Aktualneurosen
Der Ursprung der Aktualneurosen ist
nach Freud nicht in den infantilen
Konflikten zu suchen, sondern in der
Gegenwart. Die Symptome sind hier
nicht symbolischer Ausdruck und
überdeterminiert, sondern resultieren
direkt aus einer fehlenden
(Neurasthenie) oder inadäquaten
sexuellen Befriedigung.
106
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
• I) Freuds Klassifikation der
Theoriegeschichtliche
Entwicklung
•
von Freuds
Neuroseverständnis
Psychoanalytische
Auffassungen
zur Ätiologie von
Neurosen
Neurosen:
Die Aktualneurosen
Zu den Aktualneurosen hat Freud
zunächst die Angstneurose und
die Neurasthenie gezählt und
später vorgeschlagen, die
Hypochondrie ebenfalls dort
einzuordnen.
107
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
• I) Freuds Klassifikation der
Theoriegeschichtliche
Entwicklung
•
von Freuds
Neuroseverständnis
Psychoanalytische
Auffassungen
zur Ätiologie von
Neurosen
Neurosen:
Die Psychoneurosen
Innerhalb dieser Gruppe werden
a) die Übertragungsneurosen und b)
die narzißtischen Neurosen
unterschieden. Gemeinsam ist
beiden, dass ihnen ein unbewusster
psychischer Konflikt zugrunde liegt.
108
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
• I) Freuds Klassifikation der
Theoriegeschichtliche
Entwicklung
•
von Freuds
Neuroseverständnis
Psychoanalytische
Auffassungen
zur Ätiologie von
Neurosen
Neurosen:
Die Psychoneurosen
Zu den Übertragungsneurosen
zählen die „Angsthysterie“
(Phobie), die Hysterie und die
Zwangsneurosen. Bei diesen
Störungen ist die Übertragungsfähigkeit in der analytischen
Behandlungssituation gegeben.
109
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
• I) Freuds Klassifikation der
Theoriegeschichtliche
Entwicklung
•
von Freuds
•
Neuroseverständnis
Psychoanalytische
Auffassungen
zur Ätiologie von
Neurosen
Neurosen:
Die Psychoneurosen
Die ÜBERTRAGUNGSNEUROSEN
Heute würden wir sagen, dass es
sich um „reife Neurosen“ handelt,
bei denen von einem gut
integrierten Ich mit vorwiegend
ungelösten ödipal-libidinösen
Konflikten auszugehen ist.
110
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
• I) Freuds Klassifikation der
Theoriegeschichtliche
Entwicklung
•
von Freuds
•
Neuroseverständnis
Psychoanalytische
Auffassungen
zur Ätiologie von
Neurosen
Neurosen:
Die Psychoneurosen
Die narzißtischen Neurosen
Die narzißtischen Neurosen - ein
Begriff, der aktuell kaum noch
verwendet wird – stehen in der
Gruppe der Psychoneurosen den
Übertragungsneurosen gegenüber.
111
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
• I) Freuds Klassifikation der
Theoriegeschichtliche
Entwicklung
•
von Freuds
•
Neuroseverständnis
Psychoanalytische
Auffassungen
zur Ätiologie von
Neurosen
Neurosen:
Die Psychoneurosen
Die narzißtischen Neurosen
Diese Gegenüberstellung hat
theoretische und
behandlungstechnische Gründe.
112
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
• I) Freuds Klassifikation der
Theoriegeschichtliche
Entwicklung
•
von Freuds
•
Neuroseverständnis
Psychoanalytische
Auffassungen
zur Ätiologie von
Neurosen
Neurosen:
Die Psychoneurosen
Die narzißtischen Neurosen
Freud ging davon aus, dass bei
den narzißtischen Neurosen die
Libido von den Objekten (fast)
vollständig abgezogen und auf das
Ich (das Selbst) zurückgezogen
werde.
113
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
• I) Freuds Klassifikation der
Theoriegeschichtliche
Entwicklung
•
von Freuds
•
Neuroseverständnis
Psychoanalytische
Auffassungen
zur Ätiologie von
Neurosen
Neurosen:
Die Psychoneurosen
Die narzißtischen Neurosen
Infolgedessen seien Patienten mit
narzißtischen Neurosen nicht in
der Lage, die libidinösen
Übertragungen zu entwickeln, die
sonst gerade den Hauptgegenstand der Analyse bilden würden.
114
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
• I) Freuds Klassifikation der
Theoriegeschichtliche
Entwicklung
•
von Freuds
•
Neuroseverständnis
Psychoanalytische
•
Auffassungen
zur Ätiologie von
Neurosen
Neurosen:
Die Psychoneurosen
Die narzißtischen Neurosen
Zunächst hat Freud den narzißtischen
Neurosen die Psychosen und die
schweren Melancholien zugeordnet.
In einer späteren Arbeit („Neurose und
Psychose“) hat er nur noch die
Affektionen vom melancholischen Typ
unter diese Kategorie subsummiert.
115
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung • Die Ätiologie der Neurosen aus
•
Psycho•
analytische
Auffassungen
zur Ätiologie
von Neurosen
ich-psychologischer Sicht:
In der psychoanalytischen IchPsychologie werden die neurotischen Konflikte als Konflikte
zwischen den Instanzen Es, Ich und
Überich, d.h. als intersystemische
Konflikte, konzeptualisiert oder als
intrasystemische Konflikte, die z.B.
auf konträre Inhalte des Überichs
bzw. Ichideals zuzuführen sein
können.
116
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung • Die Ätiologie der Neurosen aus
•
Psycho•
analytische
Auffassungen
zur Ätiologie
von Neurosen
ich-psychologischer Sicht:
Nach Fonagy (2003) ist die moderne
Ich-Psychologie „eine Konflikttheorie, nach der alle psychischen
Inhalte, Gedanken, Handlungen,
Pläne, Phantasien und Symptome
als Kompromissbildungen
betrachtet werden, als durch viele
Faktoren bestimmte Konfliktkomponenten. …
117
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung • Die Ätiologie der Neurosen aus
ich-psychologischer Sicht:
•
Psycho•
analytische
Auffassungen •
zur Ätiologie
von Neurosen •
•
•
„… Der Kompromiss tritt auf zwischen vier
Konfliktelementen: das sind
1. intensive persönliche und einzigartige
Kindheitswünsche nach Befriedigung
(Triebabkömmlinge);
2. Angst oder depressiver Affekt und deren
Vorstellungsinhalt von Objektverlust,
Liebesverlust oder Kastration (Unlust);
3. psychische Operationen von variierender
Komplexität, die zur Verringerung von Unlust
eingesetzt werden (Abwehr); und
4. Schuld, Selbstbestrafung, Reue und Buße
118
sowie andere Manifestationen des Überich.“
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung • Die Ätiologie der Neurosen
•
Psychoanalytische
Auffassungen •
zur Ätiologie
von Neurosen
aus ich-psychologischer
Sicht:
„Die Repräsentationen des Selbst und
des Anderen gelten als Produkte des
Konflikts zwischen diesen Elementen,
auch als Kompromissbildungen. Es
wird allerdings akzeptiert, dass diese
Kompromissbildungen wiederum
weitere Kompromisse zwischen den
obigen Tendenzen beeinflussen und
deshalb die Konfliktergebnisse leicht
wie primäre Determinanten wirken.“ 119
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 4. Sitzung • Die Ätiologie der psychischen
•
Psychoanalytische
Auffassungen •
zur Ätiologie
von Neurosen
Störungen aus der Sicht der
Selbstpsychologie:
H. Kohut und seine Anhänger sind
den Fragen nachgegangen, wie es
dem Individuum gelingt, ein Gefühl
von Selbstkohäsion aufrecht zu
erhalten und sein Selbstwertgefühl so
zu regulieren, dass es sich auch im
Falle von Enttäuschungen oder
Kränkungen mit Selbstachtung bzw.
mit Selbstakzeptanz begegnen kann.
120
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung • Die Ätiologie der psychischen
•
Psychoanalytische
Auffassungen •
zur Ätiologie
von Neurosen
•
Störungen aus der Sicht der
Selbstpsychologie:
Die Relevanz von Triebkonflikten tritt
in der Selbstpsychologie hinter den
Problemen mit der narzißtischen
Regulation zurück.
Angst vor dem Objektverlust
vorrangig: ⇒ Kohut, 1973, S. 38:
„...., die Angst vor dem Objektverlust
steht in Häufigkeit und Wichtigkeit an
erster Stelle und die Kastrationsangst
121
an letzter.“
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 4. Sitzung • Die Ätiologie der psychischen
•
Psychoanalytische
Auffassungen •
zur Ätiologie
von Neurosen
Störungen aus der Sicht der
Selbstpsychologie:
Die Selbstpsychologie i. S. Kohuts
betrachtet die narzißtischen
Störungen letztlich als Folge einer
Blockade in der Entwicklung des
Narzißmus des Kindes, - einer
Blockade, die auf die mangelnde
Spiegelung des Kindes in den ersten
Lebensjahren durch die Mutter
zurückzuführen sei.
122
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 4. Sitzung • Die Ätiologie der psychischen
•
Psychoanalytische
Auffassungen •
zur Ätiologie
von Neurosen
Störungen aus der Sicht der
Selbstpsychologie:
Die Mütter dieser entwicklungsgestörten
Kinder seien oft selbst derart auf narzißtische Zufuhr angewiesen, dass sie ihre
Kinder selbst als narzißtische Selbstobjekte
benötigen würden und deshalb nicht in der
Lage seien, sich gerade in der Phase
besonderer narzißtischer Bedürftigkeit, also
zwischen dem 1. und dem 3. Lebensjahr,
ihrem Kind als narzißtisches „Selbstobjekt“
zur Verfügung stellen zu können.
123
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
Psychoanalytische
Auffassungen
•
zur Ätiologie
von Neurosen
Die Ätiologie der psychischen
Störungen aus der Sicht der
psychoanalytischen
Objektbeziehungstheorie:
Die Objektbeziehungstheoretiker, u.a.
Balint, Fairbairn, Gunthrip, Winnicott und
– später – Kernberg verlassen den
vergleichsweise monadologischen Blick
traditioneller Psychoanalytiker auf die
psychische Entwicklung, indem sie für
jegliche Entäußerung und Modifikation
von Triebhaftem die Bezogenheit auf ein
oder mehrere Objekte als konstitutiv
ansehen.
124
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
Psychoanalytische
Auffassungen
•
zur Ätiologie
von Neurosen
Die Ätiologie der psychischen
Störungen aus der Sicht der
psychoanalytischen
Objektbeziehungstheorie:
Während in der traditionellen psa.
Theorie die Ausformungen des
ödipalen Konflikts im Zentrum des
Interesses standen, geraten nun sicherlich forciert durch Arbeiten von
Melanie Klein - prägenitale Konflikte
stärker ins Blickfeld.
125
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
Psychoanalytische
Auffassungen
•
zur Ätiologie
von Neurosen
Die Ätiologie der psychischen
Störungen aus der Sicht der
psychoanalytischen
Objektbeziehungstheorie:
In diesem theoretischen Kontext wird
z. B. die höchst bedeutsame Frage
aufgeworfen, wie sich kohärente
Repräsentanzen von den Objekten
und vom eigenen Selbst herausbilden
und konturieren.
126
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht
der psychoanalytischen Objektbeziehungstheorie
• 4. Sitzung
•
Psychoanalytische
Auffassungen
zur Ätiologie
von Neurosen
Grafik aus:
Fiedler,
Persönlichkeitsstörungen,4. Aufl.,
1998, S. 230
127
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
Psychoanalytische
Auffassungen
•
zur Ätiologie
von Neurosen
Die Ätiologie der psychischen
Störungen aus der Sicht der
psychoanalytischen
Objektbeziehungstheorie:
Die vor allem von O. F. Kernberg in
den letzten 20 Jahren vorgelegten
Befunde und Annahmen haben
außerordentlich innovativ gewirkt für
unser heutiges Verständnis von der
Ätiologie schwerer Persönlichkeitsstörungen.
128
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
Psychoanalytische
Auffassungen
•
zur Ätiologie
von Neurosen
Die Ätiologie der psychischen
Störungen aus der Sicht der
psychoanalytischen
Objektbeziehungstheorie:
Die systematische Erforschung der Psychodynamik und der strukturellen Besonderheiten bei Patienten mit schweren Persönlichkeitsstörungen hat u. a. wichtige Erkenntnisse über deren spezifische, die sog.
unreife Abwehr erbracht, hat die Diagnostik
präzisiert und neue Behandlungsmöglichkeiten für diese Patienten eröffnet, die
bislang als unbehandelbar oder
prognostisch als extrem ungünstig galten.
129
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
Psychoanalytische
Auffassungen
zur Ätiologie •
von Neurosen
Die Ätiologie der psychischen
Störungen aus der Sicht der
Arbeitsgruppe um Fonagy (z.B.
Fonagy et al., 2004):
Fonagy hat - gemeinsam mit Target unter Einbeziehung neuester empirischer Befunde aus der Bindungstheorie, der Entwicklungspsychologie, den Kognitionswissenschaften, der Neurobiologie und der
Gedächtnisforschung das Konzept
der Mentalisierung entwickelt.
130
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
Psychoanalytische
Auffassungen
zur Ätiologie •
von Neurosen
Die Ätiologie der psychischen
Störungen aus der Sicht der
Arbeitsgruppe um Fonagy (z.B.
Fonagy et al., 2004):
Zunächst hat sich Fonagy jahrelang
intensiv darum bemüht, eine fruchtbare Auseinandersetzung zwischen
den theoretischen Positionen der
Bindungstheorie und der modernen
Psychoanalyse voranzutreiben.
(zusammenfassend: Fonagy, 2003)
131
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
Psychoanalytische
Auffassungen
zur Ätiologie •
von Neurosen
Die Ätiologie der psychischen
Störungen aus der Sicht der
Arbeitsgruppe um Fonagy (z.B.
Fonagy et al., 2004):
Zu diesem Zweck haben Fonagy und
seine Mitarbeiter Unklarheiten und
Inkonsistenzen von Forschungsergebnissen der bisherigen Bindungsforschung aufgegriffen und haben
unter dem bindungstheoretischen
Paradigma weitere empirische
Untersuchungen durchgeführt.
132
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
Psychoanalytische
Auffassungen
zur Ätiologie •
von Neurosen
Die Ätiologie der psychischen
Störungen aus der Sicht der
Arbeitsgruppe um Fonagy (z.B.
Fonagy et al., 2004):
In bindungstheoretischen Untersuchungen hatte sich gezeigt, dass die
mütterliche Feinfühligkeit und die
elterlichen Bindungsrepräsentanzen
als determinierende Faktoren für
das Bindungsmuster des Kindes
nicht ausreichten.
(vgl. Fonagy, 2003)
133
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
Psychoanalytische
Auffassungen
•
zur Ätiologie
von Neurosen
Die Ätiologie der psychischen
Störungen aus der Sicht der
Arbeitsgruppe um Fonagy (z.B.
Fonagy et al., 2004):
Die Ergebnisse ihrer empirischen Untersuchungen (z.B. Fonagy et al., 1994)
brachten zutage, dass Mütter, obwohl
sie einer besonders stressbelasteten
und soziökonomisch benachteiligten
Gruppe zugehörten, sicher gebundene
Kinder hatten, wenn sie über die
Fähigkeit zur Mentalisierung verfügten.
134
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
Psychoanalytische
Auffassungen
•
zur Ätiologie
von Neurosen
Die Ätiologie der psychischen
Störungen aus der Sicht der
Arbeitsgruppe um Fonagy (z.B.
Fonagy et al., 2004):
Unter „Mentalisierung“ verstehen die Autoren „die Fähigkeit, den anderen (und die
eigene Person) als Wesen mit geistigseelischen Zuständen zu betrachten“
(Dornes, 2004b, S. 176). Eigene Handlungen
und die der anderen werden dann nicht
mehr nur funktional teleologisch, sondern
ca. von 1,5 Jahren an als subjektiv
intentional verstanden.
135
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
Psycho•
analytische
Auffassungen
zur Ätiologie
von Neurosen
Die Ätiologie von bestimmten psychischen Störungen
aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z.B.
Fonagy et al., 2004 und Fonagy u. Target (2006)):
Entwicklungslinie der Mentalisierung
vgl. L. Köhler (Forum der Psa., Bd. 20, Heft 2,
2004):
1. – 2. Lebensmonat: „Die Regulation des inneren physiologischen Milieus des Kindes wird auf die Interaktion
zwischen dem kindlichen Selbst und der Pflegeperson
delegiert.“ d.i. „an das dyadische System >>delegierte<<
Homöostase. Wenn die Herstellung der Homöostase
systematisch scheitert, „besteht die Gefahr schwerer
dysphorischer Zustände. Winicott spricht von agonalen
Ängsten, affektive Zustände, die oftmals später unbedingt gemieden, verhindert, abgewehrt werden müssen.
Essstörungen, Sucht, fragiles Selbstwertgefühl, abgewehrter Objekthunger u.a. können die Folge sein.
136
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
Psycho•
analytische
Auffassungen
zur Ätiologie
von Neurosen
Die Ätiologie von bestimmten psychischen Störungen
aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z.B.
Fonagy et al., 2004 und Fonagy u. Target (2006)):
Entwicklungslinie der Mentalisierung
vgl. L. Köhler (Forum der Psa., Bd. 20, Heft 2,
2004):
3. – 7. Lebensmonat: Lächelspiele. „Synchronie der aufsteigenden und abnehmenden Spannung – mit einer subliminalen Zeitverschiebung. Dyadisches Beziehungswissen wird erworben. „Beim geglückten Wechselspiel macht
das Kind die Erfahrung, daß eine andere Person sich seinen Bedürfnissen, seinem Erleben, seinem Rhythmus und
Ausdruck angleicht.“ Regulation des autonomen Nervensystems spielt sich ein.- Das Kind „lernt in den frühen Interaktionen, wie es seine emotio-nalen Signale einsetzen
kann, um auf seine Umgebung einzuwirken. … Die Effektanz, .. beeinflusst die positive oder negative Tönung
seines sich bildenden affektiven Kerns und formt seinen
137
sozialen Stil: seine Ausdauer im Verfolgen einer Handlung
und die Vielzahl der Mittel, die es dafür einsetzt.“
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
Psycho•
analytische
Auffassungen
zur Ätiologie
von Neurosen
Die Ätiologie von bestimmten psychischen Störungen
aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z.B.
Fonagy et al., 2004 und Fonagy u. Target (2006)):
Entwicklungslinie der Mentalisierung
vgl. L. Köhler (Forum der Psa., Bd. 20, Heft 2,
2004):
3. – 7. Lebensmonat: Ereignisse von >>self-with-other-ina-certain-way<< (Stern, 1998) werden gespeichert. „Die
so gebildeten frühesten Repräsentanzen sind vermutlich
>>Ereignisrepräsentanzen<<, in denen Selbst, Objekt
und die Vice-versa-Interaktion als Ganzes aufbewahrt
wird. Diese präverbalen Erinnerungen, die auch einen
Teil des prozeduralen Gedächtnisses ausmachen,
können nicht in Gestalt konkreter Vorfälle ins Gedächtnis
zurückgerufen werden, sondern drücken sich in gewissen Einstellungen und Verhaltensweisen, unter anderem
im Bindungs- oder Trennungsverhalten aus.“
(Köhler, a.a.O., S. 165)
138
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
Psycho•
analytische
Auffassungen
zur Ätiologie
von Neurosen
Die Ätiologie von bestimmten psychischen Störungen
aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z.B.
Fonagy et al., 2004 und Fonagy u. Target (2006)):
Entwicklungslinie der Mentalisierung
vgl. L. Köhler (Forum der Psa., Bd. 20, Heft 2,
2004):
8. – 18. Lebensmonat: Erstes Aufdämmern von etwas
Geistigem, Innerem, Mentalen, erkennbar durch >>affect
attunement<< der Mutter und >>joint attention<<. Beginn
der Unterscheidung von Innen- und Außenwelt – Beginn
einer „theory of mind“. Beginn von Intersubjektivität: „Das
Empfinden des eigenen Selbst und des anderen schließt
nun, zusätzlich zum äußeren Verhalten und den direkten
Sensationen, auch innere oder subjektive
Erlebenszustände ein.“
(Köhler, a.a.O.)
139
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
Psycho•
analytische
Auffassungen
zur Ätiologie
von Neurosen
Die Ätiologie von bestimmten psychischen Störungen
aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z.B.
Fonagy et al., 2004 und Fonagy u. Target (2006)):
Entwicklungslinie der Mentalisierung
vgl. L. Köhler (Forum der Psa., Bd. 20, Heft 2,
2004):
8. – 18. Lebensmonat: Das Erleben von Subjektivität
setzt die Affektabstimmung durch die Mutter voraus.
Affektabstimmung besteht nicht allein darin, dass die
Mutter sich in die Affektlage des Kindes einfühlt, „sie
besteht vielmehr darin, dass die Mutter den einer
Handlung des Kindes zugrunde liegenden Gefühlszustand erfasst und in anderer Weise wiedergibt,“ z.B. in
einer mimisch-semantischen Form. Dadurch erfährt das
Kind sich nicht nur von innen, also kör-perlich, sondern
auch von außen durch die spezifischen Reaktionen der
Mutter. „Es bildet nun eine sekundäre Repräsentanz
seiner selbst,“ indem der affektspiegelnde Ausdruck140
der
Mutter enkodiert wird.
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Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
Psycho•
analytische
Auffassungen
zur Ätiologie
von Neurosen
Die Ätiologie von bestimmten psychischen Störungen
aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z.B.
Fonagy et al., 2004 und Fonagy u. Target (2006)):
Entwicklungslinie der Mentalisierung
vgl. L. Köhler (Forum der Psa., Bd. 20, Heft 2,
2004):
8. – 18. Lebensmonat: Zwei Formen der Affektspiegelung:
Kongruenz und Markierung
– „Kongruenz meint: Die Spiegelung ist dem inneren Zustand des Kindes adäquat, d h. es bestehen ein zeitlicher
Zusammenhang und eine kreuzmodale (modusübergreifende) Ähnlichkeit zwischen der Spiegelung und dem
Affektausdruck des Kindes.
– „Markierung bedeutet, dass der Affektausdruck des Kindes zwar kongruent, aber nicht identisch widergespiegelt
wird. … Es gibt aber auch die Möglichkeit, einen Affektausdruck qualitativ widerzuspiegeln, aber in veränderter
141
Intensität, so dass er sich deutlich vom Affektausdruck
des Kindes unterscheidet.
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
Psychoanalytische
Auffassungen
zur Ätiologie
von Neurosen
•
Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z.B. Fonagy et al.,
2004 und Fonagy und Target, (2006):
•
Unter Bezug auf entwicklungspsychologische
Untersuchungen stellen die Autoren fest, dass
sich die Fähigkeit zur Mentalisierung erweitert
und ca. im 4. Lbj. die Stufe der Metakognition
erreicht sei, die es dem Kind ermöglicht, über
die eigenen mentalen Zustände und die der
anderen nachzudenken. „Dann verfügt das Kind
nicht nur über ein mentales, sondern auch über
ein repräsentationales Weltbild, in dem es den
subjektiven Charakter seiner geistigen
Hervorbringungen durchschaut.“
(Dornes, a.a.O.)
142
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
Psychoanalytische
Auffassungen •
zur Ätiologie
von Neurosen
Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z.B. Fonagy et al.,
2004, und Fonagy und Target (2006):
Anders als die traditionellen Vertreter der
„theory of mind“ gehen die Autoren nicht
davon aus, dass die Fähigkeit zur Mentalisierung bloß auf ein biologisches Programm zurückzuführen sei, sondern dass
die Herausbildung der Mentalisierung in
hohem Maße „von den frühen Bindungserfahrungen, also von der affektiv-interaktiven Qualität der Primärbeziehungen
abhängig ist“.
143
(Dornes, a.a.O.)
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
Psychoanalytische
•
Auffassungen
zur Ätiologie
von Neurosen
Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der Arbeitsgruppe
um Fonagy (z.B. Fonagy et al., 2004):
Die in den letzten Jahren insbesondere im
Rahmen der Bindungsforschung durchgeführten Untersuchungen sprechen dafür,
dass die affektiv-interaktive Qualität der
Primärbeziehungen wesentlichen Einfluss
darauf ausübt, ob und in welchem Maß ein
Kind die Fähigkeit gewinnt, die eigenen
oder fremden Reaktionen im Kontext bestimmter geistig-seelischer Zustände
adäquat zu interpretieren.
144
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• 4. Sitzung
•
•
Psychoanalytische
•
Auffassungen
zur Ätiologie
von Neurosen
Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der Arbeitsgruppe
um Fonagy (z.B. Fonagy et al., 2004):
Wenn die frühen Interaktionen mit den
primären Bezugspersonen defizitär sind,
indem es an der notwendigen Affektspiegelung, der Markierung der Affekte, der
Möglichkeit zum Spiel mit der Realität
mangelt, wie dies durch Vernachlässigung,
Gewalt, Missbrauch, chronisches Missverstehen entstehen kann, wird nach
Fonagy et al. die Herausbildung der Fähigkeit zur Mentalisierung wahrscheinlich
eingeschränkt.
145
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• 4. Sitzung
•
•
Psychoanalytische
Auffassungen •
zur Ätiologie
von Neurosen •
•
Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der Arbeitsgruppe
um Fonagy (z.B. Fonagy et al., 2004,
und Fonagy und Target (2006):
Die Beeinträchtigung der Mentalisierung
kann zwei Ausprägungsformen aufweisen:
Die gehemmte Mentalisierung
Die überaktive Mentalisierung
(vgl. Dornes, 2004, Forum der Psychoanalyse, Bd. 20,
S. 175 – 199)
146
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• 4. Sitzung
•
•
Empirische
Studien zur
Wirksamkeit •
psychodynamischer
Therapie
Leichsenring hat 2002 eine Übersicht über
vorliegende Studien zur Wirksamkeit psychodynamischer Therapie, die zwischen
1960 und 2001 veröffentlicht wurden,
vorgelegt.
Die einbezogenen Studien mussten folgende
methodische Mindestanforderungen
erfüllen:
– Beschreibung der angewendeten
Therapie und der untersuchten Patienten
– Verwendung reliabler und valider
Erfolgsmaße
– Unabhängige Rater bei Fremdbeurteilung
des Therapie-Erfolges
147
– Ausreichende Stichprobengröße
(s. Gütekriterien bei Ermann et al. (2001))
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• 4. Sitzung
•
•
Empirische
•
Studien zur
Wirksamkeit
psychodynamischer
Therapie
•
Unterscheidung von kontrollierten
und naturalistischen Studien
In kontrollierten Studien werden die
Patienten den Behandlungen und den
Behandlern! zufällig zugewiesen und die
Therapien werden nach Manualen
durchgeführt. → „efficacy studies“
In naturalistischen Studien werden
Therapien untersucht, wie sie unter den
Bedingungen des psychotherapeutischen Alltags durchgeführt werden.
→ „effectiveness studies“.
(vgl. Leichsenring, 2002, S. 141)
148
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• 4. Sitzung
•
•
Empirische
Studien zur
Wirksamkeit
•
psychodynamischer
Therapie
Die kontrollierten Studien sichern
vor allem die interne Validität, die
naturalistischen Studien die externe
Validität.
Leichsenring (2002) stellt die Forderung
nach randomisierten kontrollierten
Studien (RC Trials), wie sie die APA
erhoben habe, u.a. unter Berufung auf
den anerkannten Psychotherapieforscher Seligman, in Frage, da „ihre
Ergebnisse … für die Praxis nur
begrenzt repräsentativ“ seien. (S. 141)
149
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
Empirische
Studien zur
Wirksamkeit
psychodynamischer
Therapie
•
Auch die unbedingte Forderung
nach einer unbehandelten Kontrolloder einer Placebogruppe“ stellt
nach Leichsenring „einen Fetisch
der Psychotherapieforschung dar.
Sie sind ethisch bedenklich und
wissenschaftlich überholt.“
Aufgrund der ermittelten Daten zu
den Effekten des Wartens seien
„Lambert und Bergin (1994) zu dem
Schluss gekommen, dass es Zeit ist,
Placebo-Kontrollen aufzugeben.“
150
(S. 141)
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• 4. Sitzung
•
Empirische
Studien zur
Wirksamkeit
psychodynamischer
Therapie
•
Leichsenring vertritt die Auffassung,
dass „RC Trials allenfalls für
Kurztherapien angemessen“ seien,
„nicht jedoch für Langzeittherapien:
Über mehrere Jahre hinweg sind
glaubhafte Vergleichsbedingungen
ebenso wenig möglich wie die
Durchführung von Therapien nach
Manualen.“ (S. 141)
151
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
Empirische
Studien zur
Wirksamkeit
psychodynamischer
Therapie
•
Leichsenring (2002): „Solange nur
RCT´s als Wirkungsnachweise
zugelassen werden, werden
(psychodynamische) Therapien
längerer Dauer automatisch von
einer „empirischen Validierung“
ausgeschlossen. Das ist Politik,
nicht wissenschaftliche Forschung.“
Leichsenring plädiert dagegen für
eine Kombination von naturalistischen und kontrollierten Studien.
152
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• 4. Sitzung
•
•
Empirische
•
Studien zur
Wirksamkeit
psychodynamischer •
Therapie
Zur Wirksamkeit von
psychodynamischen Kurztherapien:
Psychodynamischen Kurztherapien
→ in der Regel Therapien von bis zu
30 Sitzungen
Leichsenring legt Wert darauf, die
vorhandenen Untersuchungsergebnisse nach der methodischen
Güte der Untersuchung zu sichten.
153
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• 4. Sitzung
•
Empirische
Studien zur
Wirksamkeit
psychodynamischer
KurzTherapie
•
•
Im Gegensatz zu Grawe et al. (1994),
Svartberg und Stiles (1991) und
Anderson und Lambert (1995) habe
Crits-Cristoph (1992) in seine MetaAnalyse nur Untersuchungen einbezogen, die strenge Auswahl-Kriterien
erfüllen (Therapie-Manuale, erfahrene
Therapeuten, Mindestzahl von
Sitzungen).
Ergebnis: PDKT führe im Vergleich mit
unbehandelten Wartelisten-Patienten zu
großen Therapie-Effekten (Verbesserungen) im Sinne von Cohen (1988).
154
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• 4. Sitzung
•
•
Empirische
Studien zur
Wirksamkeit
psychodynamischer •
KurzTherapie
„Crits-Christoph ermittelte Effektgrößen
von 1.10 für die Zielsymptomatik, 0.82
für die allgemeine psychiatrische
Symptomatik und 0.81 für die soziale
Anpassung. Effekte ab 0.80 werden als
groß angesehen (Cohen, 1988).“ (S. 142)
Keine Unterschiede, wenn PDKT mit
anderen Therapie-Formen wie kognitivbehavioraler (CBT) oder medikamentöser Behandlung verglichen wurde.
155
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• 4. Sitzung
•
•
Empirische
•
Studien zur
Wirksamkeit
psychodynamischer
KurzTherapie
Studien zur Wirksamkeit der PDKT
nach Störungsbildern geordnet:
Wirksamkeit der PDKT bei
Depression:
– Unter Anwendung strenger Auswahlkriterien
erbrachte eine Meta-Analyse von
Leichsenring (2001) das Ergebnis, dass
PDKT und kognitiv-behaviorale Therapie
(CBT) bei der Behandlung von Depression
gleich wirksam sind. → große Effekte (Prä –
Post) bei der Reduzierung der depressiven
Symptomatik (0.90 – 2.80) sowie bei der
allgemeinen psychiatrischen Symptomatik
(0.79 – 2.65).
156
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• 4. Sitzung
•
•
Empirische
•
Studien zur
Wirksamkeit
psychodynamischer
KurzTherapie
Studien zur Wirksamkeit der PDKT
nach Störungsbildern geordnet:
Wirksamkeit der PDKT bei
Generalisierten Angststörungen
(GAS):
Crits-Christoph et al. (1996) haben „signifikante
Verbesserungen bei Pat. mit GAS nach PDKT
in einer offenen manualgeleiteten Interventionsstudie nachgewiesen. Die gefundenen
Prä – Post – Effektgrößen waren groß (Angst:
0.95 – 1.99) und liegen in der Größenordnung, wie sie für kognitive Therapien berichtet
werden.“ Erfolgsquote hoch: 79 %. Bislang
157
keine RCT´s.
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
Empirische
•
Studien zur
Wirksamkeit
psychodynamischer
KurzTherapie
Studien zur Wirksamkeit der PDKT
nach Störungsbildern geordnet:
Wirksamkeit der PDKT bei
Panikstörung und Agoraphobie:
„In einem RCT zur Panikstörung war PDKT
kombiniert mit Clomipramin einer ausschließlichen Behandlung mit Clomipramin signifikant
überlegen im Hinblick auf die Prophylaxe von
Rückfällen (20% vs. 75%) … Auch in einer
offenen Interventionsstudie von Milrod et al.
(2000, 2001) erreichte PDKT bei Panikstörungen signifikante Verbesserungen, im
Follow-up nach 40 Wochen stabil.“
Erfolgsraten hoch: 93% bei Therapieende,158
90% zur Katamnese.
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
Empirische
•
Studien zur
Wirksamkeit
•
psychodynamischer
KurzTherapie
Studien zur Wirksamkeit der PDKT
nach Störungsbildern geordnet:
Wirksamkeit der PDKT bei
Belastungsstörungen:
Signifikante Besserungen bei Posttraumatischen Belastungsstörungen/
Anpassungsstörungen durch PDKT
wurden in verschiedenen Untersuchungen demonstriert. In dem RCT von Brom
et al. (1989) war die PDKT (nach Horowitz) ebenso wirksam wie die verhaltenstherapeutische Vergleichsbehandlung.
159
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Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
Empirische
•
Studien zur
Wirksamkeit
•
psychodynamischer
KurzTherapie
Studien zur Wirksamkeit der PDKT
nach Störungsbildern geordnet:
Wirksamkeit der PDKT bei
Somatoformen Störungen:
„In vier RCT´s wurde die Wirksamkeit von PDKT bei somatoformen
Störungen gezeigt … PDKT war einer
Kontrollbedingung (treatment as
usual, TAU) signifikant überlegen.
Therapieergebnisse nach ein bis vier
Jahren stabil.
160
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Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
Empirische
•
Studien zur
Wirksamkeit •
psychodynamischer
KurzTherapie
Studien zur Wirksamkeit der PDKT
nach Störungsbildern geordnet:
Wirksamkeit der PDKT bei Bulimie:
„Signifikante und stabile Besserungen
durch PDKT bei Bulimie wurden in mehreren
manualgeleiteten RCT´s nachgewiesen … In
zentralen bulimiespezifischen Maßen (Essanfälle, Erbrechen) war PDKT ebenso wirksam wie CBT. In manchen Studien war CBT
der PDKT in einzelnen Maßen der Psychopathologie überlegen.“ In einer späteren
Follow-up-Untersuchung erwiesen sich die
beiden Therapieformen als gleich wirksam.
161
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Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
Empirische
•
Studien zur
Wirksamkeit •
psychodynamischer
KurzTherapie
Studien zur Wirksamkeit der PDKT
nach Störungsbildern geordnet:
Wirksamkeit der PDKT bei Anorexie:
„In einem RCT erreichte PDKT bei Anorexia
Nervosa im Einjahres-Follow-up signifikante
Besserungen und war im Hinblick auf
Gewichtszunahme ebenso wirksam wie eine
Diät-Beratung, sie war der Diät-Beratung in
Maßen der sozialen und sexuellen
Anpassung jedoch überlegen.“
(Hall u. Crisp, 1987)
162
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
Empirische
•
Studien zur
Wirksamkeit
•
psychodynamischer
KurzTherapie
Studien zur Wirksamkeit der PDKT
nach Störungsbildern geordnet:
Wirksamkeit der PDKT bei
Persönlichkeitsstörungen:
„Signifikante Effekte bei der Behandlung
von Persönlichkeitsstörungen mit PDKT
wurden in einer Reihe von Untersuchungen
gefunden.“ Leichsenring hat die Effektgrößen dieser Untersuchungen berechnet
und meta-analytisch zusammengefasst.
Danach betrage die mittlere Effektgröße
über die sieben Studien 1.13 (SD=0.42) für
Selbstrating-Verfahren und 1.57 (SD=0.82)
für Fremdrating-Verfahren. Große Effekte.
163
(S. 146)
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Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
Empirische
•
Studien zur
Wirksamkeit
•
psychodynamischer
KurzTherapie
Studien zur Wirksamkeit der PDKT
nach Störungsbildern geordnet:
Wirksamkeit der PDKT bei
gemischten Stichproben:
„In mehreren dieser Studien war PDKT
einer Wartelisten-Bedingung signifikant
überlegen (…). In dem RCT von Sloane
et al. (1975, 1981) erwies sich PDKT
auch in der Langzeitwirkung als ebenso
wirksam wie CBT.“
164
Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und
Gesundheitspsychologie
Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
Empirische
•
Studien zur
Wirksamkeit
tiefenpsycho- •
logisch
fundierter und •
analytischer
•
Therapie
Die Studie von Dührssen und Jorswieck
(1965):
Zufallsstichprobe von Patienten des Instituts für
Psychogene Erkrankungen (AOK) im Vergleich mit
zufällig gezogener Wartegruppe und zufällig gezogener
Stichprobe aus der allgemeinen Population.
Analytische und psychodynamische Therapien mit
einer Dauer von 150 – maximal 200 Stunden, Frequenz
2 – 3 Sitzungen pro Woche.
Vergleich der Krankenhaustage 5 Jahre vor und 5 Jahre
nach der psychotherapeutischen Behandlung.
Ergebnisse:
– Signifikanter Rückgang der Krankenhaustage nach
der Behandlung
– Weniger Krankenhaustage als die Stichprobe aus
der Allgemeinbevölkerung aufwies
– Die Effektgröße (Krankenhaustage) beträgt nach
165
Leichsenring d=0.78 (großer Effekt)
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
Die Berliner Studie von Rudolf und Mitarbeitern
•
Drei Behandlungsgruppen nach gestellter Indikation:
Empirische
Studien zur
Wirksamkeit
tiefenpsycho- •
logisch
fundierter und
analytischer
Therapie
– analytische Psychotherapie, durchschnittlich 265 Sitzungen,
Frequenz 2 – 3 Sitzungen pro Woche
– Psychodynamische Therapie, durchschnittlich 60 Sitzungen,
– Stationäre Therapie, durchschnittliche Dauer: 2,6 Monate
Ergebnisse:
– In der globalen Abschlussbeurteilung durch die Patienten
gaben 96% der ambulant behandelten Patienten an, dass
sich ihre Beschwerden gebessert hätten.
– Wurde als Kriterium für den Therapie-Erfolg eine klinisch
signifikante Besserung in Selbstbeurteilungsmaßen
zugrunde gelegt, ergaben sich folgende Besserungsraten:
Analytische Psychotherapie 76%, psychodynamische
Therapie 55%, stationäre Therapie 50%.
– Große Effekte (≥ 0.80) erzielte die analytische Psychotherapie gemäß der Selbstbeurteilung in den Bereichen
(körpernahe) Angst, Depression, Körpersymptomklagen,
Angst im Kontakt.
166
(Rudolf et al., 1994)
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
Empirische
Studien zur
Wirksamkeit
tiefenpsychologisch
fundierter und
analytischer
Therapie
Die Praxisstudie analytische Langzeittherapie
von Rudolf, Grande u. a. (2004)
167
Praxisstudie analytische Langzeittherapie (PAL)
Materialien zur Präsentation anlässlich der Tagung
„Zur Wirksamkeit von Psychoanalysen und Psychotherapien“
am 17. und 18. Oktober in Heidelberg
168
Fragestellung der Studie
Die zentrale Fragestellung der Studie bezieht sich auf die Frage, ob und in welchem Umfang sich in unterschiedlich intensiven Psychotherapien Umstrukturierungen der Persönlichkeit jenseits der Symptomverbesserung erfassen lassen. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass das so genannte DosisWirkungsmodell, wie es von Howard et al (1986) vorgelegt wurde, offenkundig ungeeignet ist, die spezifischen Wirkungen psychoanalytischer Behandlungen zu erfassen, weil die in der Psychotherapieforschung
üblichen Messinstrumente für Symptomveränderungen nur in der therapeutischen Anfangsphase, kaum
jedoch im späteren Verlauf deutliche Veränderungen abbilden. Die kurzschlüssige Konsequenz solcher
Untersuchungen lautete dann häufig: Man könne sich auf Kurztherapien beschränken, weil dadurch die
wesentlichen Effekte der Symptombesserung erzielt werden. Um die aus psychoanalytischer Sicht basalen Veränderungen der Persönlichkeitsstruktur zu erfassen, wurde als spezielles Messinstrument die Heidelberger Umstrukturierungsskala entwickelt. (Grande et al 1997, Rudolf, Grande, Oberbracht 2000). In
der Studie sollten folgende Fragen beantwortet werden:
•
•
•
•
•
Welches Maß der Symptombesserung lässt sich im Verlauf von analytischen und psychotherapeutischen Behandlungen beobachten?
In welchem Umfang werden in beiden Therapieformen Verbesserungen des persönlichkeitsstrukturellen Verhaltens (Umstrukturierung) erzielt?
Wie verhalten sich symptomatische und strukturelle Veränderungen zueinander, d.h. wie wirken sich
die strukturellen Veränderungen im Unterschied zu den symptomatischen im Leben der Patienten
aus?
Wie stabil sind die Behandlungsergebnisse auf symptomatischer und struktureller Ebene im Zeitraum
nach Abschluss der Behandlung (1-Jahres-Katamnese, 3-Jahres-Katamnese)?
Welche ökonomischen Therapieeffekte lassen sich anhand von Krankenkassendaten (Krankschreibungen, Klinikaufenthalte) im Therapieverlauf und im Katamnesezeitraum ermitteln (Effizienz)?
169
Stichworte zum Design der Studie
Da für die Prüfung differenzieller Effekte in bezug auf die in vergleichbaren Studien regelmäßig verwendeten Instrumente zur Veränderungsmessung wie z.B. SCL-90R oder IIP sehr große Fallzahlen erforderlich sind, diese jedoch eine differenzierte Analyse des Materials wegen des enormen Aufwands praktisch
unmöglich machen, wurde in der vorliegenden Studie entschieden, die Untersuchung von Effekten in den
Mittelpunkt zu stellen, die psychoanalysespezifisch sind und mit dem Begriff der „Umstrukturierung“ bezeichnet werden. Dies geschieht mit Hilfe der bereits erwähnten Umstrukturierungsskala. Es wurde erwartet, dass diese Effekte deutlich genug sein würden, um eine statistisch verlässliche Differenzierung der
Behandlungsgruppen durch eine Untersuchung von 30 Psychoanalysepatienten und 30 Psychotherapiepatienten zu ermöglichen.
Da in psychotherapeutischen Langzeitstudien eine randomisierte Zuweisung nicht realisiert werden kann,
wird die Vergleichbarkeit der beiden Gruppen durch ein Matching-Verfahren sichergestellt. Die MatchingKriterien sind Alter, Geschlecht, Bildung und beruflicher Status. In beide Gruppen wurden nur Patienten
einbezogen, bei denen, gemessen an Symptombelastung und Persönlichkeitsproblematik, eine schwer
ausgeprägte Störung vorlag.
Aus den regionalen Einzugsgebieten Heidelberg und Berlin (und als Vergleichsgruppe Zürich) wurden die
Psychoanalytiker, die nach den Qualitätsstandards der Fachgesellschaft ausgebildet wurden, eingeladen,
an der Studie mitzuarbeiten. Sie sollten je einen Fall Psychoanalyse und Psychotherapie in die Studie
einbringen (letzteres konnte zum größeren Teil, aber nicht vollständig realisiert werden). Die Kriterien,
nach denen die Therapeuten ihre Patienten auswählten, wurden sorgfältig dokumentiert.
Als Messzeitpunkte wurden der Behandlungsbeginn, 3 Monate, 6 Monate, 12 Monate und fortan jedes
weitere halbe Jahr bis zur Beendigung der Therapie festgelegt, ferner eine 1-jahres- und eine 3jahreskatamnestische Nachuntersuchung. Das Design wird weiter unten in einer Abbildung graphisch
veranschaulicht.
170
Beobachtungsebenen und Datenquellen
Die Daten werden aus vier Perspektiven (vgl. die Perspektiven in der Abbildung zum Studiendesign
unten) erhoben:
1. Patientenselbsteinschätzung: Anhand von international gebräuchlichen standardisierten
Instrumenten (SCL-90, IIP, PSKB-Se) werden Symptome und Persönlichkeitsmerkmale erfasst;
darüber hinaus Daten der soziodemographischen und sozialen Situation, Krankheitsverhalten und
Einschätzung der Lebensqualität (TPF).
2. Einschätzungen der Psychoanalytiker zu Behandlungsbeginn: Standardisierte Beschreibung der
Symptome, Konflikte, des Strukturniveaus, der Beeinträchtigungsschwere, der initialen
Arbeitsbeziehung und Gegenübertragung sowie der ICD-10-Diagnosen. Einschätzung der
Psychoanalytiker im Behandlungsverlauf: Standardisierte Einschätzung der therapeutischen
Arbeitsbeziehung, Gegenübertragung und Umstrukturierung im Problemfokus, jeweils vierteljährlich freier Bericht über Therapiesitzungen.
3. Einschätzungen der externen Untersucher zu Behandlungsbeginn: ICD-10-Diagnosen, OPDBefund, Fokusauswahl aus dem OPD-Befund. Einschätzung der externen Untersuchung im
Therapieverlauf auf der Grundlage eines jeweiligen Beziehungsepisoden-Interviews: OPD-Befund,
Fokus-Entwicklung, Einschätzung der Heidelberger Umstrukturierungsskala.
4. Krankenkassendaten: Erfassung von Krankheitstagen, Arbeitsunfähigkeit, medizinische
Inanspruchnahme je zwei Jahre vor Beginn und nach Abschluss der Therapie
171
Abschließende Bewertung des Studiendesigns
Im Sinne eines Bewertungskatalogs von Wallerstein (1999) zeigt die PAL-Studie folgende Charakteristika:
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Eine prospektive systematische Studie zur psychoanalytischen Therapie bei klinisch indizierten Behandlungen, ausgeführt durch qualifizierte Therapeuten.
Eine signifikanten Fallzahl
Einen Vergleich von Psychoanalysen und Psychotherapien
Eine Erfassung von Prozess und Ergebnis gleichermaßen
Die Möglichkeit, an Einzelfällen Längsschnittstudien durchzuführen
Die Möglichkeit, gruppenstatistische Verfahren und Einzelfalldarstellungen zu kombinieren
Verwendung operationalisierter psychoanalytischer Begrifflichkeiten
Zugrundelegung einer gründlichen diagnostischen Beschreibung der Patienten bei Behandlungsbeginn
Berücksichtigung der nach Behandlungsende erreichten Wirkungen und der Entwicklung in der posttherapeutischen Phase
Möglichkeit, Prädiktoren der Prozesse und Ergebnisse zu identifizieren.
Damit soll ein verbessertes Verständnis der Wirkungsweisen der unterschiedlich intensiven Therapieverfahren, der von ihnen initiierten Prozessverläufe und der darin enthaltenen Chancen für ein Behandlungsergebnis, aber auch der Risiken von Stagnation und Scheitern ermöglicht werden.
172
Forschungsdesign
B. Perspektive des
Analytikers
tiefenpsych. fund.
Psychotherapie
1 Stunde/Woche
geplant: N = 30
Analytische
Psychotherapie
3-4 Stunden/W.
geplant: N = 30
D.
Gesundheitspolitische
Perspektive
Beginn 1/4
1/2
3/4
1 Jahr
Abschluss
Katamnese
3
Jahre
Beginn 1/4
1/2
1 Jahr
Abschluss
Katamnese
A. Perspektive des
Patienten
Forschungsinterviews
C. Perspektive des Beobachters
173
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• 4. Sitzung
• Empirische
Studien zur
Wirksamkeit tiefenpsychologisch
fundierter
und analytischer
Therapie
Neurosenlehre
•
Die PAL - Studie von Rudolf, Grande et al.
•
Die Heidelberger Umstrukturierungsskala
1. Nichtwahrnehmen des
Fokusproblems
1
1+
Völlige Abwehr bzw. Vermeidung
des Fokusbereichs, es gibt kein
Problem
2. Ungewollte Beschäftigung mit dem Fokus
2–
2
2+
Symptomdruck, interpersonelle
Schwierigkeiten, Zumutungen, von
außen kommend erlebt
Bewäl-
3. Vage Wahrnehmung
mit dem Fokus
33
3+
Passive Beschäftigung mit dem
Fokus, Ahnung eigener
Verantwortung
tigung
4. Anerkennung und
Erkundung des Fokus
4–
4
4+
Interessiertes Problemverstehen,
Arbeitsbeziehung, aktive
Bewältigung
5. Auflösung alter
Strukturen im
Fokusbereich
5–
5
5+
Abwehr wird brüchig, Prozess wird
zur Passion, Trauer,
Ausgeliefertsein, Verwirrung
Strukturelle
6. Neutrukturierung im
Fokusbereich
6–
6
6+
Versöhnliches Erleben, neue
Erlebens- und
Verhaltensmöglichkeiten stellen
sich spontan ein
VerÄnderung
7. Auflösung des Fokus
7–
7
7+
Integration,
Selbstübereinstimmung,
realitätsgerechtes Erleben,
Neugestaltungen
174
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 4. Sitzung
• Empirische
Studien zur
Wirksamkeit
tiefenpsychologisch
fundierter und
analytischer
Therapie
•
Die PAL - Studie von Rudolf, Grande et al.
•
Ergebnisse:
– Signifikante und ähnlich deutliche Reduktion von
Symptomen sowie von interpersonellen Problemen
bei beiden Therapieformen
– Behandlungen mit höherer Stundenzahl und
-frequenz zeigen tiefgreifendere und nachhaltigere
Wirkungen als niedriger frequente tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapien.
– Höherfrequente psa. Behandlungen erleichtern
aufgrund der intensiven Auseinandersetzung im
therapeutischen Prozess eine Umstrukturierung im
eigentlichen Sinne.
– Vorübergehende Verschlechterungen von der Stufe 5
der Umstrukturierungsskala auf frühere Stufen sind
dabei häufig. Diese werden als produktive therapeutische Krisen im Sinne einer regressiven Reaktion in
einem nicht-linearen Entwicklungsprozess verstan175
den.
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
•
•
Empirische
Studien zur
Wirksamkeit
tiefenpsychologisch
fundierter und
analytischer
Therapie
Die Stockholmer Studie von Sandell und
Mitarbeitern (1999, 2001)
Zwei Behandlungsgruppen nach
gestellter Indikation:
– analytische Psychotherapie, durchschnittlich 642 Sitzungen, durchschnittliche Behandlungsdauer 54
Monate, Frequenz 3 – 5 Sitzungen pro
Woche, N = 24
– Psychodynamische Langzeittherapie,
durchschnittlich 233 Sitzungen,
Behandlungsdauer: 43 Monate, N = 100
– Vor der Therapie zwischen den Behandlungsgruppen bestehende Unterschiede
176
wurden statistisch kontrolliert.
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
Die Stockholmer Studie von Sandell und
Mitarbeitern (1999, 2001)
•
•
Ergebnisse:
Empirische
Studien zur
Wirksamkeit
tiefenpsychologisch
fundierter und
analytischer
Therapie
– Die analytische Psychotherapie erreichte – bei
gleicher Ausgangslage – im Hinblick auf die
Symptombesserung (SCL-90 GSI) einen
großen Effekt von 1.55, die psychodynamische Langzeittherapie einen Effekt von 0.60
(Sandell et al., 2001).
– Die analytische Psychotherapie verbesserte
ihre Effekte zwischen dem ersten und dem
zweiten Jahr um fast ein Drittel, bei der
psychodynamischen Therapie nahm der Effekt
in diesem Zeitraum geringfügig ab.
Die nachfolgenden Grafiken sind der Veröffentlichung von
Sandell et al., 2001, in Psyche 3/2001, S. 277-310 177
entnommen.
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
Die Stockholmer Studie von Sandell und
Mitarbeitern (1999, 2001)
•
•
Ergebnisse:
– Sandell et al., 2001, in Psyche 3/2001, S. 277-310
– Sandell-Studie_SCL-90 Grafik:
Empirische
Studien zur
Wirksamkeit
tiefenpsychologisch
fundierter und
analytischer
Therapie
178
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
Die Stockholmer Studie von Sandell und
Mitarbeitern (1999, 2001)
•
•
Ergebnisse:
– Sandell et al., 2001, in Psyche 3/2001, S. 277-310
– Sandell-Studie_Sense of Coherence Scale:
Empirische
Studien zur
Wirksamkeit
tiefenpsychologisch
fundierter und
analytischer
Therapie
179
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 4. Sitzung
•
Die Stockholmer Studie von Sandell und
Mitarbeitern (1999, 2001)
•
•
Ergebnisse:
– Sandell et al., 2001, in Psyche 3/2001, S. 277-310
– Sandell-Studie_Social Adjustment Scale:
Empirische
Studien zur
Wirksamkeit
tiefenpsychologisch
fundierter und
analytischer
Therapie
180
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Hysterie und
Konversionsneurosen
• Symptomatik
• Hinweise zur
Differentialdiagnostik
• Häufigkeit und
Krankheitsverteilung
• Psychogenese und
Dynamik
• Exemplarischer Fallbericht
• Therapie
181
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
-
Spezielle
Neurosenlehre:
Hysterie und
Konversionsneurosen
Symptomatik
• Konversionssymptomatik
• Anfälle
• Ausfälle und
Dysfunktionen der Motorik
• Ausfälle und Dysfunktionen des Sensoriums
• Darstellung multipler
Krankheiten und Körperzustände
182
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
-
Spezielle
Neurosenlehre:
Hysterie und
Konversionsneurosen
Symptomatik
• Konversionssymptomatik
• Anfälle
– Klassisch: großer hysterischer
Anfall
– Absencen
– psychomotorische Anfälle
– ticartige motorische Entladungen
– Hyperventilationstetanie:
massiv verstärkte Atmung,
sekundäre Alkalose des Blutes,
183
tetaniforme Krämpfe
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
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Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
-
Spezielle
Neurosenlehre:
Hysterie und
Konversionsneurosen
Symptomatik
• Konversionssymptomatik
•
Ausfälle und Dysfunktionen der
Motorik
– schlaffe Lähmungen
• Hinken,
• akute Dysbasie,
• Abasie,
• Schiefhals u.a.
– spastische Störungen
184
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
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Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
-
Spezielle
Neurosenlehre:
Hysterie und
Konversionsneurosen
Symptomatik
• Konversionssymptomatik
•
Ausfälle und Dysfunktionen des
Sensoriums
– psychogene Blindheit und
Taubheit; Skotomisierung
– sensible Dysfunktionen
•
•
•
Parästhesien (Missempfindungen)
Hypästhesien (herabgesetzte
Sensibilität)
Hemianästhesie
185
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
-
Spezielle
Neurosenlehre:
Hysterie und
Konversionsneurosen
Symptomatik
• Konversionssymptomatik
•
Darstellung multipelster
Krankheiten und Körperzustände
– Die Neurose kann jede
Erkrankung darstellen oder
imitieren
– Gehäuft treten auf:
die Scheinschwangerschaft,
Kloßgefühl im Hals (Globus
hystericus) u.a.
186
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
• Hysterische Phänomene
•
•
•
-
Spezielle
Neurosenlehre:
Hysterie und
Konversionsneurosen
Symptomatik
•
Bewusstseinsstörungen
Gedächtnisstörungen und
Angstphänomene
Sexuelle Störungen
187
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
-
Spezielle
Neurosenlehre:
Hysterie und
Konversionsneurosen
Symptomatik
• Hysterische Phänomene
•
Bewusstseinsstörungen
•
Deskriptive Ebene:
– Dämmerzustände
– Traumzustände
– Trancen
– „Ohnmachten“
– Unwirklichkeitserlebnisse bis zu
Depersonalisation und Derealisation
– Pseudodemenz
188
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
-
Spezielle
Neurosenlehre:
Hysterie und
Konversionsneurosen
Symptomatik
• Hysterische Phänomene
•
Bewusstseinsstörungen
– Dynamisch geht es um den Versuch
der Vermeidung einer unerträglichen
Wirklichkeit. Es wird versucht, das
Problem durch Nichtwissen zu lösen ...
So erlebt der hysterische Neurotiker
quasi eine Pseudo-Demenz, um sich
etwa von den Schuldgefühlen, von den
inneren Richtern zu befreien oder die
Versuchungssituationen in der
Außenwelt, die ihn quälen, nicht
wahrzunehmen.
189
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
-
Spezielle
Neurosenlehre:
Hysterie und
Konversionsneurosen
Symptomatik
• Hysterische Phänomene
•
Gedächtnisstörungen und
Angstphänomene
– Hysterische Amnesie
– psychogene Fehlhandlungen
– Angstphänomene und Phobien
•
Im Rahmen des hysterischen
Syndroms sind oft Angstphänomene
nachweisbar. Differentialdiagnostik
erforderlich
190
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
-
Spezielle
Neurosenlehre:
Hysterie und
Konversionsneurosen
Symptomatik
• Konversionsneurotische
und hysterische Phänomene
•
Sexuelle Störungen
– Anorgasmie aller Stadien, von Frigidität
bis zu sexueller Inappetenz
– Verstärktes sexuelles Agieren: PanSexualisierung, Hypersexualität,
Nymphomanie, Erotomanie
– Verbindung von sexueller Lust mit
starken aggressiven und Angstaffekten
– Schmerzen beim Geschlechtsverkehr
(Dyspareunie)
– Menstruationsstörungen
191
– Differentialdiagnose beachten!
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
Häufigkeit und
Krankheitsverteilung:
•
•
Die Konversionssyndrome finden sich in
allen Kulturen, Schichten, Altersgruppen.
Auftretenshäufigkeit nicht gesichert.
Pseudoneurologische, monosymptomatische Konversionserscheinungen
machen wahrscheinlich unter 10% aller
psychogenen Körpersymptome,
polysymptomatische Phänomene der
Somatisierungsstörung ein Mehrfaches
davon aus.
Diagnose wird häufiger bei Frauen gestellt
als bei Männern.
-
Spezielle
Neurosenlehre:
Hysterie und
Konversionsneurosen
Epidemiologie
•
•
•
192
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
-
Spezielle
Neurosenlehre:
Hysterie und
Konversionsneurosen
Psychodynamik
• Psychodynamik
•
1A) Im Zentrum der hysterischen
Dynamik stehen unbewusste
Vorstellungen und Phantasien ...
Häufig handelt es sich um
sexuelle Inhalte. Bei keiner
anderen Neurose haben sexuelle
Konflikte eine so weitreichende
Bedeutung wie bei den Hysterien
und Phobien. Oft dahinter
liegende ödipale Problematik.
193
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
-
Spezielle
Neurosenlehre:
Hysterie und
Konversionsneurosen
Psychodynamik
• Psychodynamik
•
1B) Aber: Während früher die sexuellen
Konflikte ganz im Zentrum des Verständnisses der hysterischen Störungen standen, geht man heute davon
aus, dass auch frühinfantile nicht bewältigte Konflikte in dieser sexualisierten Form erscheinen können. So
steht bei Störungen der frühen Triangulation nicht die Beziehung des
Mädchens zum Vater im Vordergrund,
sondern die beginnende Autonomie
und Loslösung von der Mutter.
(vgl. Schampera, 1997 und 2003)
194
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
-
Spezielle
Neurosenlehre:
Hysterie und
Konversionsneurosen
Psychodynamik
• Psychodynamik
•
Rupprecht-Schampera (1997 und 2003) postuliert,
dass „das Kind, das später eine hysterische Entwicklung nehmen wird, in einer bereits stark konflikthaften, von Angst, Depressivität oder Hass geprägten
frühen Mutter-Kind-Beziehung den Vater in seiner
triangulären Hilfsfunktion nicht ausreichend zur Verfügung hat oder ihn als nicht ausreichend verfügbar
erlebt und daß es deshalb versucht, den als abwesend
oder distant erlebten Vater aktiv auf sich aufmerksam
zu machen, um ihn in seiner triangulären Hilfsfunktion
für sich zu gewinnen“. Wenn es z.B. dem kleinen
Mädchen gelingt, „als erotisch attraktives weibliches
kleines Wesen für den zunächst desinteressierten
Vater interessant zu werden“, verwendet es „die
ödipale Triangulierung, um die präödipale (frühe)
Triangulierung und damit die Separation von der
Mutter zu erreichen.“ (2003, S. 72)
195
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
-
Spezielle
Neurosenlehre:
Hysterie und
Konversionsneurosen
Psychodynamik
• Psychodynamik
• 2. Die Hauptabwehrmechanismen der hysterischen
Neurose sind:
–
–
–
–
Verdrängung,
Verleugnung,
Identifikation,
Verschiebung (insbesondere im
Bereich der Affekte: sog. Affektvertauschung),
– Projektion,
196
– Agieren
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
-
Spezielle
Neurosenlehre:
Hysterie und
Konversionsneurosen
Psychodynamik
• Psychodynamik
•
3. Hysteriker haben eine profuse
Identifizierungsneigung. Durch
Identifizierung können auch
unterschiedliche Krankheitsbilder
perfekt übernommen werden. Auf
der Identifizierungsneigung beruht auch die Suggestibilität des
hysterischen Pat. und - sekundär das Bild von Inauthentizität,
Unzuverlässigkeit, Unschärfe,
Flatterhaftigkeit.
197
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
• Psychodynamik
•
•
-
Spezielle
Neurosenlehre:
Hysterie und
Konversionsneurosen
Psychodynamik
4. Die Rolle der Hyperemotionalität zur Abwehr
von nicht akzeptablen Umwelteindrücken und
Schuldgefühlen ist von größter Wichtigkeit. Bei
der hyperemotionalen "Szene", dem affektiven
Durchbruch, dem "Anfall", dem "Nervenzusammenbruch", versucht sich der hysterische
Pat. auf eine spezifische Art und Weise mit
seinem "inneren Beobachter" (Gewissen) und
seinem "äußeren Beobachter" (soziales Gegenüber) auseinanderzusetzen. Weil er sich so
erregt, weil er so betroffen ist, weil ihn alles so
sehr mitnimmt, weil alles so fürchterlich
anstrengend ist, hofft der Hysteriker von innen
und außen Vergebung zu erfahren und erreicht
jedoch damit oft das Gegenteil.
198
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
-
Spezielle
Neurosenlehre:
Hysterie und
Konversionsneurosen
Psychodynamik
• Psychodynamik
•
5. Die hysterische Neurose dient unbewusst - der Veränderung des
Selbstbildes. Der Pat. verändert sein
Selbsterleben auf eine Weise, dass ein
günstigeres (in Bezug auf den
aktuellen inneren Konflikt) Bild von
sich selbst entsteht. Meist erfolgt eine
regressive Veränderung des
Selbstbildes. Z.B.: "Ich bin klein,
hilflos, armselig, auf euch angewiesen
u.s.w. …
199
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
-
Spezielle
Neurosenlehre:
Hysterie und
Konversionsneurosen
Psychodynamik
• Psychodynamik
•
… Unbewusst wird zugleich
versucht, auch die Außenwelt von
dem veränderten Selbstbild durch
u.U. dramatische Demonstrationen
zu überzeugen. Wenn dies gelingt,
kann dies noch einmal rückwirkend
zur Entlastung des Überichs
beitragen.
200
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
-
Spezielle
Neurosenlehre:
Hysterie und
Konversionsneurosen
Psychodynamik
• Psychodynamik
•
6. Die Frage, wie es zur Konversion
ins Körperliche kommt, ist noch
nicht hinlänglich geklärt. (s. Kap.
3.1.3. Psychosomatische Modelle)
Die Hypothese ist wahrscheinlich
geworden, dass jeder Konflikt auf
jeder Entwicklungsstufe auch ins
Körperliche konvertiert werden
kann.
201
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Hysterie und
Konversionsneurosen
202
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
• Therapie
•
• Analytische orientierte
Behandlung
Spezielle
Neurosenlehre:
Hysterie und
Konversionsneurosen
•
•
•
Die Bewusstmachung der verdrängten
Anteile des intrapsychischen Konflikts.
Die gefühlsmäßige Wiederbelebung in
der Übertragungssituation.
Dadurch die Ermöglichung einer freien
Fortentwicklung und Nachreifung der
bis dahin vom Konflikt beeinflussten
und behinderten Persönlichkeits203
anteile
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
-
• Der hysterische Charakter
•
Spezielle
Neurosen•
lehre:
Hysterie und
Konversionsneurosen
Charakterneurose
Als auffällige Persönlichkeitszüge
treten in Erscheinung:
Fordernde Abhängigkeit, Egozentrismus, Bedürfnis, Aufmerksamkeit zu gewinnen, evtl. Theatralik,
Exhibitionismus, Angst vor der
Sexualität, Labilität des Affektes,
(oft unbewusste) sexuelle Provokation und Suggestibilität, wodurch
sie den Eindruck von Inauthentizität vermitteln, u.U. auch Pseudolo204
gia phantastica.
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
-
Spezielle
Neurosenlehre:
Hysterie und
Konversionsneurosen
Charakterneurose
• Der hysterische Charakter
•
Die Partnerbeziehungen der
hysterischen Persönlichkeit:
•
Charakteristisch sind häufige Szenen
und ein immer wieder erneutes Herstellen der als problematisch erkannten Arrangements. Daraus entwickelt
sich oft die sog. "sado-masochistische
Kampfehe". Hysterische Frauen wählen als Partner oft zwanghaft-depressive Männer und umgekehrt, nach Willi
handelt es sich dabei um eine spezifische neurotische Kollusion.
205
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
-
Spezielle
Neurosenlehre:
Hysterie und
Konversionsneurosen
Charakterneurose
• Der hysterische Charakter
•
•
•
Psychogenese und
zugrundeliegende Dynamik
Pathogenese: konstitutioneller
Faktor.
Entwicklungsstörungen lassen sich
insbesondere in der oralen Phase,
dort besonders bei der Abhängigkeitsthematik, und in der ödipalen
Entwicklung mit einer Fixierung an
den gegengeschlechtlichen Elternteil nachweisen.
206
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
-
Spezielle
Neurosenlehre:
Hysterie und
Konversionsneurosen
Die histrionische Persönlichkeit
• Merkmale der histrionischen
Persönlichkeitsstörung
(ICD 10: F 60.4)
•
•
•
•
Dramatisierung bezügl. der eigenen Person, theatralisches Verhalten, übertriebener Ausdruck von Gefühlen
Andauernde Sehnsucht nach Zuneigung
und Akzeptiertwerden
Überempfindlichkeit gegenüber Zurückweisung und Kritik
Weigerung zur Aufnahme von Beziehungen, solange der betreffenden Person
nicht unkritisches Akzeptiertwerden garantiert ist; sehr eingeschränkte persön207
liche Bindungen
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
-
Spezielle
Neurosenlehre:
Hysterie und
Konversionneurosen
Die histrionische Persönlichkeit
• Merkmale der histrionischen
Persönlichkeitsstörung
•
•
•
(Fortsetzung)
Gewohnheitsmäßige Neigung zur Überbetonung potentieller Gefahren oder
Risiken alltäglicher Situationen, bis zur
Vermeidung bestimmter Aktivitäten, ohne
das Ausmaß phobischer Bindungen
Eingeschränkter Lebensstil wegen des Bedürfnisses nach Gewissheit und Sicherheit
Dazugehörige Begriffe:
–
–
Infantile Persönlichkeitsstörung
Hysterische Persönlichkeit(sstörung)
(nach ICD 10, F 60.4)
208
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Angsterkrankungen
•
Klassifikation von Angststörungen
• F 40 Phobische Störung
– F 40.0 Agoraphobie
•
•
–
–
–
–
F40.00 Agoraphobie ohne Panikstörung
F 40.01 Agoraphobie mit Panikstörung
F 40.1 Soziale Phobien
F 40.2 Spezifische (isolierte) Phobien
F 40.8 andere Angststörungen
F 40.9 nicht näher bezeichnete
Angststörungen
•
•
Dazu: nicht näher bezeichnete Phobie
Nicht näher bezeichneter phobischer
209
Zustand
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Angsterkrankungen
•
Klassifikation von Angststörungen
• F 41 Andere Angststörungen
– F 41.0 Panikstörung (episodisch
paroxysmale Angst)
– F 41.1 Generalisierte Angststörung
– F 41.2 Angst und depressive Störung,
gemischt
– F 41.3 andere gemischte
Angststörungen
– F 41.8 andere spezifische Angststörungen (Angsthysterie)
– F 41.9 nicht näher bezeichnete
210
Angststörung
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Angsterkrankungen
•
F 40 Phobische Störung /
Diagnostische Kriterien (1)
–
–
–
–
Störungen, bei denen Angst ausschließlich
oder vorwiegend durch eindeutig definierte,
im allgemeinen ungefährliche Situationen
oder Objekte hervorgerufen wird.
Diese werden entweder gemieden oder voller
Angst ertragen.
Die phobischen Objekte oder Situationen
liegen außerhalb der betreffenden Person.
Phobische Angst ist subjektiv, physiologisch
und reicht vom Unbehagen bis zu panischer
Angst.
211
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Angsterkrankungen
•
F 40 Phobische Störung /
Diagnostische Kriterien (2)
–
–
–
Befürchtungen des Betreffenden können sich
auf Einzelsymptome wie Herzklopfen oder
Schwächeanfälle richten, treten häufig
zusammen auf mit sekundären Ängsten vor
dem Sterben, vor Kontrollverlust oder dem
Gefühl, wahnsinnig zu werden.
„Die Angst wird nicht durch die Erkenntnis
gemildert, daß andere Menschen die fragliche
Situation nicht als gefährlich oder bedrohlich
betrachten.“ (Dilling et al., S. 143)
Erwartungsangst: „Allein die Vorstellung,
dass die phobische Situation eintreten könnte, erzeugt gewöhnlich schon
Erwartungsangst.“
212
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Angsterkrankungen
•
F 40 Phobische Störung /
Differentialdiagnostik
–
F 45.2 Hypochondrische Störung:
„Ängste, die sich auf (das Entstehen und)
das Vorliegen einer Krankheit oder auf eine
körperliche Entstellung beziehen“ (a.a.O.)
–
Phobische Störung Ù Panikattacke
(F 41.0)
Eine Panikattacke, die in einer schon
bestehenden phobischen Situation auftritt,
wird als Ausdruck für den Schweregrad der
Phobie gewertet, … Eine eigentliche
Panikstörung soll nur bei Fehlen der unter
F 40 angeführten Phobien diagnostiziert
werden.
213
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
•
F 40.0 Agoraphobie:
•
Ängste vor offenen Plätzen oder vor
Menschenmengen
Angst vor der Schwierigkeit, sich wieder
sofort und leicht an einen sicheren Ort, im
allgemeinen nach Hause zurückziehen zu
können. Entsprechend können die Ängste
sich auch darauf beziehen, allein in Zügen,
Bussen oder Flugzeugen zu reisen
(Achtung: DD Klaustrophobie)
Angst vor dem Fehlen eines sofort nutzbaren Fluchtweges
Angst bei der Vorstellung zu kollabieren,
ohnmächtig zu werden und hilflos in der
Öffentlichkeit liegen zu bleiben.
214
Spezielle
•
Neurosenlehre:
Angsterkrankungen
•
•
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Angsterkrankungen
•
F 40.0 Agoraphobie / Epidemiologie:
•
Lebenszeitprävalenz in klinischen Stichproben:
3,4% - 10,9% (vgl. Michael et al. in Reinecker,
2003)
Auftretenswahrscheinlichkeit bei Frauen ca. 2
bis 3 x größer als bei Männern, früher 4 x größer.
„Innerhalb der phobischen Störungen machen
Agoraphobien in der klinischen Praxis ca. 50 bis
55% der Fälle aus.“ (Reinecker, 2003)
In nicht-klinischen Populationen: „Wittchen
(1986) fand Angstanfälle bei 9,3% in einer
repräsentativen Bevölkerungsstichprobe.
Fragebogen-Reihenuntersuchungen an großen
studentischen Populationen in USA und BRD
zeigten Ein-Jahres-Prävalenzen von über 30%,
wenn situativ ausgelöste Angstanfälle berücksichtigt wurden.
215
•
•
•
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Angsterkrankungen
•
F 40.0 Agoraphobie / Verlauf:
•
Agoraphobien und Angstanfälle setzen in der
Regel im frühen Erwachsenalter ein zwischen
20 und 35 Jahren. Beginn vor dem 16. und nach
dem 40. Lbj. selten.
Beginn meist mit einem Angstanfall an einem
öffentlichen Ort, schleichender Beginn selten.
Michael, Ehlers und Margraf (2003) berichten
von starken Fluktuationen der Symptomatik mit
gelegentlichen beschwerdefreien Phasen. Insgesamt wird aber von einem langfristig ungünstigen Verlauf ausgegangen. Die Prognose sei
ungünstiger als für schwere Depressionen.
Nur 14% der Patienten mit Panikstörungen und
19% der Agoraphobiker erreichen nach
Wittchen (1991) eine volle Remission.
•
•
•
216
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
F 40.0 Agoraphobie /
Psychodynamik und Pathogenese:
•
•
K. König geht davon aus, dass allen Angstpatienten eine Unfähigkeit zur Selbststeuerung,
insbesondere bezüglich der Impulskontrolle
gemeinsam sei. Deshalb würden viele Phobiker
dazu neigen, die Bestimmung über sich selbst
an sog. schützende, steuernde Objekte
abzutreten.
Ein Teil der Agoraphobiker weist im Hintergrund
eine ängstliche, selbstunsichere oder eine
abhängige Persönlichkeit auf, mitunter findet
sich eine zwanghafte Persönlichkeit (hier
Ängste, jmd. zu verletzen oder zu gefährden).
Nur bei einer kleineren Gruppe der Phobiker
sind konkrete negative Erfahrungen mit dem
angstauslösenden Objekt zu explorieren. 217
Spezielle
Neurosenlehre:
Angsterkrankungen
•
•
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
F 40.0 Agoraphobie /
Psychodynamik und Pathogenese:
•
•
Aus psychodynamischer Sicht liegen den meisten
Phobien abgewehrte, unbewusste Vorstellungen
zugrunde.
Dieser unbewusste Vorstellungsinhalt wird in einer
be-stimmten Situation aktiviert, löst dadurch im Ich
Angst aus, das sich nun damit behilft, die Quelle der
Angst nach außen zu verlagern. Dieser Abwehrvorgang wird als „Verschiebung“ bezeichnet. Die
intrapsychische Bedrohung wird also durch eine
außen erlebte Gefahr ersetzt.
Das nach außen verschobene Angstobjekt kann nun
vermieden werden, was zur situativen Angstentlastung führt. Dieser Vermeidungsvorgang kann
durch Lernprozesse (operante Konditionierung) sich
verfestigen, auf diese Weise chronifizieren und sich
218
auf assoziativ benachbarte Situationen ausweiten
(generalisieren).
Spezielle
Neurosenlehre:
Angsterkrankungen
•
•
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
F 40.0 Agoraphobie /
Psychodynamik und Pathogenese (2):
• Spezielle
Neurosenlehre:
Angsterkrankungen
•
Früher ist man davon ausgegangen, dass den phobischen
Reaktionen unbewusste sexuelle oder aggressive
Konflikte zugrunde lägen. Heute finden sich nach H. H.
zunehmend „Ängste vor starker Exposition, Ängste vor
Beschämung, oder auch Befürchtungen, sich zu verlieren,
Trennungs- und Verlustängste“ hinter der phobischen
Symptomatik.
Annahme von Bowlby, dass die Gruppe der eigentlichen
Phobien, bei denen der Patient die Präsenz einer Situation
oder eines Gegenstandes fürchtet und die er dann zu
vermeiden sucht, eher klein sei. Größer sei die Zahl der
sog. Pseudophobien, denen Bowlby auch die Agoraphobie zurechnet. Bei der Pseudophobie leide der Patient
unter der Abwesenheit oder dem Verlust einer Bindungsfigur oder einer sicheren Basis, auf die er sich normalerweise zubewegen würde. In der Agoraphobie vermisse der
219
Patient eine Sicherheit spendende Beziehungsperson.
•
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
• Spezielle
•
Neurosenlehre:
•
Angsterkrankungen •
F 40.00 Agoraphobie ohne
Panikstörung
F 40.01 Agoraphobie mit
Panikstörung:
Dazugehöriger Begriff:
Panikstörung mit Agoraphobie
Achtung DD: Panikstörung (episodisch
paroxysmale Angst) Æ unerwartet, nicht
an Situationen gebunden, nicht
vorhersehbar.
220
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Angsterkrankungen
•
F 40.1 Soziale Phobie / Symptomatik:
•
Furcht vor prüfender Betrachtung durch andere
Menschen in verhältnismäßig kleinen Gruppen
(nicht dagegen in Menschenmengen), in der Regel
verbunden mit einem niedrigen Selbstwertgefühl
und Furcht vor Kritik
Die phobischen Reaktionen können sich äußern in
Erröten, Vermeiden von Blickkontakt, Händezittern, Übelkeit, Harndrang o.ä.
In der Folge kann es dazu kommen, dass soziale
Situationen gemieden werden, in Extremfällen
kann das Vermeidungsverhalten zu vollständiger
sozialer Isolation führen. Cave: DD Agoraphobie
Soziale Phobien können klar abgegrenzt sein, z.B.
auf Essen oder Sprechen in der Öffentlichkeit oder
sie sind unbestimmt und treten in fast allen sozialen Situationen außerhalb des Familienkreises
221auf.
•
•
•
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
•
Angsterkrankungen
F 40.1 Soziale Phobie /
Epidemiologie:
In klinischen Stichproben von Phobikern schildern nach Reinecker 25%
der Patienten soziale Phobien.
Die Lebenszeitprävalenz liegt nach
verschiedenen Studien für Frauen bei
9% bis 13% und für Männer bei 5% bis
10%. Entgegen Reinecker nehmen
Hoffmann/Hochapfel an, dass die soziale Phobie die häufigste Angststörung sei und nach der Depression und
der Alkoholabhängigkeit die dritthäufigste psychische Störung überhaupt.
222
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
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Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Angsterkrankungen
• F 40.1 Soziale Phobie /
Beginn und Verlauf:
•
•
•
•
Beginn oft schon in der Kindheit, spätestens in
der Jugend, ausgesprochen selten nach dem
25. Lebensjahr.
Der Verlauf ist ausgesprochen chronifizierend.
In der Folge der sozialen Phobie kommt es
häufig zum sozialen Rückzug, entweder auf
wenige vertraute Personen wie die Familie oder
Freunde oder in die vollständige Isolierung.
Die Unsicherheit der sozialen Phobiker lässt sie
in der Öffentlichkeit nicht selten entweder als
linkisch erscheinen oder als arrogant verkannt
werden.
223
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
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Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
• F 40.1 Soziale Phobie /
Erklärungsmodelle (1)
Spezielle
•
Neurosenlehre:
•
Angsterkrankungen
•
Konstitutioneller Faktor: „Soziale Gehemmtheit“ nach dem Entwicklungspsychologen J.
Kagan
Wahrscheinlich kommt den frühen sozialen
Interaktionen im Kindergarten, in der Schule
und anderen sozialen Feldern Bedeutung für
die Verstärkung und für die Bewältigung von
sozialen Ängsten zu (noch nicht genügend
erforscht).
Verhaltenstheoretiker gehen davon aus, dass
58% der Sozialphobiker auf ungünstige
Konditionierungserfahrungen zurückgehen,
ca. 13% auf Faktoren des Modelllernens.224
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Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
• F 40.1 Soziale Phobie /
Erklärungsmodelle (2)
Spezielle
•
Neurosen•
lehre:
Angsterkrankungen •
•
•
Das kognitionstheoretische PathogeneseModell von Clark und Wells (1995):
1. Ausgeprägtes Sicherheitsverhalten mit dem
Ziel, vermeintliche Blamagen zu vermeiden und
Angstsymptome zu reduzieren.
2. Verschiebung der Aufmerksamkeit weg von
den externalen hin zu den internalen Vorgängen
3. Verzerrte Konstruktionen des sozialen Selbst
aus der Betrachterperspektive, die immer als
kritisch und abwertend vorausgesetzt wird.
4. Antizipatorische, vor den Ereignissen die Qual
vorwegnehmende und nachträgliche, das Erlebnis der Erniedrigung bestätigende gedankliche
225
Verarbeitung; regelhafte Fehleinschätzung der
soz. Situation.
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
•
•
Spezielle
Neurosen•
lehre:
Angsterkrankungen •
•
•
F 40.1 Soziale
Phobie/Erklärungsmodelle (3)
Das psychodynamische PathogeneseModell von S.O. Hoffmann (2003):
1. „Die defizitäre Konzeption des des eigenen Selbst
führt unmittelbar zu einer ausgeprägten Selbstunsicherheit, mittelbar stößt sie aber ungeeignete
Kompensationsversuche an.“ (H.H., S. 106)
2. Der nachteiligste Kompensationsversuch: eine
unbewusste Überhöhung der Selbstsicht, die nach
außen projiziert wird. Die soziale Umwelt stellt nun
vermeintlich höchste Ansprüche an ihn.
3. Entscheidende Bedeutung kommt dem Affekt der
Scham zu. Alle sozialphobischen Vermeidungen seien
von der Scham motiviert.
4. Wurde wenig Bindungssicherheit gewonnen, so
muss notwendig auch die soziale Sicherheit beein226
trächtigt sein.
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
•
Spezielle
•
Neurosenlehre:
•
Angsterkrankungen
F 40.2 Spezifische (isolierte) Phobien
/ Symptomatik
Alle auf eine konkrete Auslösesituation oder
ein umschriebenes Auslöseobjekt gerichteten Ängste.
Die häufigsten phobischen Angstauslöser
sind:
–
–
–
–
–
Ängste vor Tieren, gehäuft vor Spinnen, Schlangen
etc.
Ängste vor Naturerscheinungen wie Höhensituationen, Dunkelheit und Gewitter, Feuer
Ängste vor der Schule, vor Prüfungen, vor geschlossenen Räumen, vor dem Fliegen
Ängste vor Arztbesuchen, vor Spritzen, vor Blut,
vor Ansteckung
227
Ängste vor Krankheiten, vor allem Krebs,
Hirntumoren, Aids, BSE, Multipler Sklerose
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Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
•
•
Spezielle
•
Neurosenlehre:
•
•
Angsterkrankungen
F 40.2 Spezifische (isolierte) Phobien
/ Epidemiologie
Nach H.H. liegt die Lebenszeitprävalenz bei über 10%
In den USA wurde eine 6-Monats-Prävalenzrate von
4,5% bis 11,8% für spezifische Phobien ermittelt.
Traditionell überwiegen Frauen.
Beginn der spezifischen Phobien:
–
–
–
•
Beginn von Tierphobien und von Dunkelängsten
meist im Kindesalter, ebenso Ängste vor Ärzten,
Zahnärzten
Beginn der Schulängste naturgemäß im Schulalter.
Ansonsten variiert das Ersterkrankungsalter.
Verlauf der Störung:
–
Alle Spezifischen Phobien haben, wenn sie das
Erwachsenenalter erreichen, eine ausgeprägte
Tendenz zur Persistenz..
228
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
F 40.2 Spezifische (isolierte) Phobien
/ Psychodynamik und Pathogenese
•
•
•
Vgl. die Ausführungen zur Agoraphobie
„Für die Entstehung verschiedner Angststörungen ist gesichert, dass ängstliche Eltern
die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von
Ängsten bei ihrem Nachwuchs erhöhen.“
Bei den Spezifischen Phobien sind eine Reihe
von Angstauslösern natürlich bzw. evolutionär
begründbar. Dazu gehören die Ängste vor
Dunkelheit, oder vor der Höhe oder Ängste vor
unbekannten, möglicherweise gefährlichen
Tieren. … Offenbar sind bestimmte Reize sehr
viel geeigneter als andere , die phobische
Dynamik in Gang zu setzen.
Spezielle
Neurosenlehre:
Angsterkrankungen
•
229
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Angsterkrankungen
•
F 40.2 Spezifische (isolierte) Phobien
/ Psychodynamik und Pathogenese
(2)
•
Bei der Mehrzahl der Arzt-, Blut- oder Ansteckungsphobien handelt es sich nach H.H. um die Angst, sterben zu müssen, nicht notwendig um Konditionierungen
in der Kindheit. Bei den Krankheitsphobikern wird die
Angst vor dem Tod unablässig antizipiert.
Hinter der manifesten Schulphobie findet sich eine sehr
unterschiedliche Psychodynamik:
•
– A) Der Schulphobiker fürchtet nicht eigentlich die
Schule, sondern hat Angst, das Elternhaus, die Mutter
zu verlassen; er hat also mehr eine Trennungsphobie
(vgl. Bowlby)
– B) Die Schulverweigerer haben hingegen mehr Ängste
vor der Schule, die aber oft hinter mangelnder Motivation verborgen werden, was weniger beschämend ist.
230
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Angsterkrankungen
•
F 41 Andere Angststörungen
•
F 41.0 Panikstörung (episodisch paroxysmale Angst) – Symptomatik (nach ICD 10)
•
Wiederkehrende schwere Angstattacken (Panik), die sich
nicht auf eine spezifische Situation oder besondere Umstände beschränken und deshalb nicht vorhersehbar
sind.
Typisch ist ein plötzlicher Beginn mit Herzklopfen,
Brustschmerz, Erstickungsgefühlen, Schwindel und
Entfremdungsgefühlen. Häufig sekundär dann die Angst
zu sterben, vor Kontrollverlust oder die Angst, wahnsinnig zu werden. Die Anfälle dauern meist nur Minuten.
Die Patienten erleben meist ein Crescendo der Ängste
und vegetativen Symptome. Sekundär können sich gerichtete Ängste vor dem Alleinsein oder Agoraphobien
herausbilden.
Einer Panikattacke folgt meist die ständige Furcht vor
231
einer erneuten Attacke (Erwartungsangst).
•
•
•
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosen•
lehre:
•
Angsterkrankungen
•
F 41.0 Panikstörung (episodisch
paroxysmale Angst) –
Epidemiologie und Verlauf
Die Prävalenz liegt bei 1% bis 3% der Bevölkerung.
H.H. sprechen von einer „gewissen spontanen Remissionsrate“, wenn mit dem ersten
Angstanfall einigermaßen gelassen umgegangen werden konnte.
„Je stärker die >Angst vor der Angst< das
Leben der Patienten beherrscht, desto eher
neigen sie zu Chronifizierungen und zum
Übergang in phobische, vor allem agoraphobische Krankheitsbilder.“ (H.H., S. 89).
232
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Angsterkrankungen
•
F 41.0 Panikstörung (episodisch
paroxysmale Angst) –
Psychodynamik und Pathogenese
•
•
Die Angst wird erst einmal als grundlos erlebt.
Bei kooperativen Patienten wird jedoch ausnahmslos ein Auslöser der Angstattacke objektivierbar. Meist handelt es sich um flüchtige
Impulse, Affekte (Ärger, Wut), Ideen, die wegen
der subjektiven Bedrohlichkeit rasch unterdrückt
werden. Von der Psa. beobachteter Zusammenhang von unterdrückten aggressiven Impulsen
und Entstehen von Angstsymptomatik
Im Sinne des Konfliktmodells hätte dann der Pat.
lieber Angst als einen Konflikt mit seinem Gewissen, mit einem anderen Bild von sich oder mit
äußerer Autorität.
233
•
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Angsterkrankungen
•
•
F 41 Andere Angststörungen
F 41.1 Generalisierte Angststörung –
Symptomatik (nach ICD 10)
•
Generalisierte und anhaltende, frei flottierende
Angst.
Symptome unterschiedlich, aber meist einhergehend mit ständiger Nervosität, Zittern,
Muskelspannung Schwitzen, Benommenheit,
Herzklopfen, Schwindelgefühle oder Oberbauchbeschwerden.
Häufig Befürchtungen, ein Angehöriger könnte
erkranken oder verunglücken, oder gehäuft
andere Sorgen und Vorahnungen
Diese Störung ist häufiger bei Frauen anzutreffen,
oft im Zusammenhang mit lang andauernden
234
Belastungen durch äußere Umstände.
•
•
•
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
•
•
Spezielle
Neurosen•
lehre:
Angst•
erkrankungen
•
•
•
•
F 41 Andere Angststörungen
F 41.1 Generalisierte Angststörung –
Epidemiologie und Verlauf
Die Prävalenz der Generalisierten Angststörung liegt bei 2,5% bis 5% der Bevölkerung.
Spontane Remissionsrate geringer als bei
der Panikstörung
Frauen überwiegen deutlich
Beginn eher schleichend
Krankheitsbild nicht so dramatisch, aber
dennoch schwer und meist chronisch
verlaufend
Im Alter oftmals eine spontane Milderung
235
der Symptomatik
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 5. Sitzung
•
F 41.1 Generalisierte Angststörung –
Psychodynamik und Pathogenese
•
•
Aus psychodynamischer Sicht liegt der Generalisierten
Angststörung eine psychische Schädigung des
Patienten in seiner Entwicklung zugrunde und evtl.
zusätzlich eine neurophysiologische Vulnerabilität
aufgrund einer angeborenen neurophysiologischen
Erregbarkeit.
Im Sinne des Defizitmodells erlaubten die Entwicklungsbedingungen dem Patienten nicht, eine hinreichend
stabile Persönlichkeit mit wirksamen Angsbewältigungsmechanismen herauszubilden.
Stattdessen erlebt der Pat. immer wieder seine innere
„Brüchigkeit“, seine Ich-Schwäche als bedrohlich und
ängstigend. Da die Angst nur unzureichend abgewehrt
werden kann – eben wegen der vorhandenen IchSchwäche – kommt es zum mehr oder weniger starken
Durchbruch der Angst als Symptom.
236
Spezielle
Neurosenlehre:
Angsterkrankungen
•
•
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 6. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die Zwangsneurose
•
•
Definitionen:
Der psychiatrische Begriff
„Zwang“ ist erstmals 1877 von
Westphal eingeführt worden mit
der Definition „Formaler
Denkzwang, dessen Inhalt oder
Gegenstand als widersinnig vom
Patienten erkannt werden muss“.
237
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
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Neurosenlehre
• 6. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die Zwangsneurose
•
•
Definitionen:
Nach K. Schneider kann von einem
Zwang gesprochen werden, wenn
der Betroffene sich von einem
„Bewusstseinsinhalt nicht lösen
kann, obschon er ihn gleichzeitig
als inhaltlich unsinnig oder wenigstens ohne Grund beherrschend
oder beharrlich beurteilt“. Das
subjektiv erlebte Zwangsgefühl ist
also trotz voller Einsicht in seine
Unsinnigkeit nicht unterdrückbar.
238
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 6. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die Zwangsneurose
•
•
Definitionen:
Zwang kann unter den verschiedensten Verhältnissen auftreten, in
der Neurose wie in der Psychose,
in funktionellen wie in hirnorganischen Zuständen, in der Schizophrenie wie in der endogenen Depression. Hier soll es zentral um
den Zwang als im Kranken vorherrschendes neurotisches
Symptom gehen, also um die
Zwangsneurose.
239
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
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Neurosenlehre
• 6. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die Zwangsneurose
•
•
•
Definitionen:
Für eine Definition der Zwangsneurose lassen sich 5 Aspekte anführen
(Stekel 1930):
Der Zwangskranke wird von Vorstellungen verfolgt, die ihm fremd
erscheinen; er wird von einer
inneren Stimme zu Handlungen
gezwungen, die er als unsinnig
(alogisch) beurteilt. Er empfindet
eine Art Spaltung seiner Persönlichkeit, den Kampf zwischen „Ich“
240
und „Gegen-Ich“.
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Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 6. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die Zwangsneurose
•
•
•
Definitionen:
Zwangshandlungen werden durch
die „Todes- und Unheilsklausel“
durchgesetzt. Die Unterlassung
der Zwangshandlung führt den
Tod, die Erkrankung oder den
Unfall eines dem Kranken nahestehenden Objekts herbei.
Der Kranke hat den direkten
Glauben an die Allmacht seiner
Gedanken.
241
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Neurosenlehre
• 6. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die Zwangsneurose
•
•
•
Definitionen:
Die Zwangshandlungen sind zu
einem System ausgebaut.
Neben dem Zwang besteht ein
mächtiger Affekt des Zweifels, der
sich auf die Ausführung der
Zwangshandlung bezieht. Jeder
Zwang ist mit einem Gegenzwang
verbunden.
242
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 6. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die Zwangsneurose
•
•
•
•
Epidemiologie:
Der Anteil in der psychotherapeutischen Praxis liegt bei unter 5%.
Die Gesamtmorbidität in der Bevölkerung ist sogar mit nur 0,05%
hochgerechnet worden.
Zwangshandlungen und Zwangsgedanken treten in den meisten
Fällen gemeinsam auf. In 25% der
Fälle klagen die Patienten allein
über Zwangsgedanken.
(vgl. Reinecker, 2003)
243
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
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Neurosenlehre
• 6. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die Zwangsneurose
•
Epidemiologie:
•
Während man früher davon ausging,
dass Männer häufiger betroffen sind
(Hysterie bei Frauen; Zwang bei
Männern), zeigen neuere Arbeiten,
dass der Zwang bei Männern und
Frauen gleich verteilt ist.
Dabei fällt jedoch auf, dass Frauen
eher an Waschzwängen und Männer
an Kontrollzwängen erkranken.
Bei Männern beginnt die Symptomatik
durchschnittlich mit 20 Jahren, bei
Frauen mit etwa 25 Jahren.
244
•
•
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
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Neurosenlehre
• 6. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die Zwangsneurose
•
Symptomatik:
•
1. Denkstörungen - formal und inhaltlich:
unablässiges Grübeln, ständiges Wiederholen der gleichen Abläufe, Weitschweifigkeit, Verlust des Blicks für das Wesentliche, Verschiebung aufs Kleinste.
Inhaltlich stehen starke Zweifel im Vordergrund und/oder eine Idee bildet das Zentrum des Denkens. Das Denken ist oft auf
einer magischen Ebene angesiedelt. Den
Gedanken wird eine magische Allmacht
zugesprochen: ein falscher Gedanke kann
töten, der Gedanke steht vielleicht schon
für die Tat.
245
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Neurosenlehre
• 6. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die Zwangsneurose
•
•
Symptomatik:
2. Zwangsantriebe, Zwangsimpulse, Zwangseinfälle:
einschießende Vorstellungen meist
aggressiven oder sexuellen Inhalts. Es sind dies als dranghaft
erlebte Gedanken und Gefühle,
einen anderen angreifen, verletzen,
ermorden, anspucken, anurinieren,
ansprechen, anschreien, anstarren, unsittlich anfassen, vergewaltigen usw. zu müssen.
246
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Neurosenlehre
• 6. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die Zwangsneurose
•
•
Symptomatik:
3. Zwangshandlungen: Magische
Rituale sollen das Böse bannen.
Kontrollzwänge sollen Gefahren,
schlimme Geschehnisse verhindern. Ordnungszwänge sollen
äußerlich dem befürchteten
(inneren) Chaos entgegenwirken.
247
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Neurosenlehre
• 6. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die Zwangsneurose
•
•
Symptomatik:
Charakteristisch für die Zwangsneurose ist, dass der Zwangsneurotiker sich intensiv, aber vergeblich gegen die einschießenden
Gedanken, Phantasien, Impulse,
Handlungen zur Wehr setzt; sie als
ich-dyston, gleichwohl zur eigenen
Person gehörig erlebt.
248
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Neurosenlehre
• 6. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die Zwangsneurose
•
•
Symptomatik:
Die Klassifizierung der Zwangsstörung in der ICD 10:
– F 42.0 vorwiegend Zwangsgedanken
oder Grübelzwang
– F 42.1 vorwiegend Zwangshandlungen (Zwangsrituale)
– F 42.2 Zwangsgedanken und
Zwangshandlungen, gemischt
– F 42.8 andere Zwangsstörungen
– F 42.9 nicht näher bezeichnete
Zwangsstörung
249
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Neurosenlehre
• 6. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die Zwangsneurose
Psychodynamik und Pathogenese:
Genetische Faktoren:
Familiäre Häufungen und
Zwillingsstudien sprechen dafür,
dass genetische Faktoren eine
Rolle spielen.
250
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Neurosenlehre
• 6. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die Zwangsneurose
Psychodynamik und Pathogenese:
Somatische Faktoren:
Für die Beteiligung von somatischen
Faktoren „sprechen höhere Raten von
Zwangsstörungen bei einer Subgruppe von Patienten, die an einem
rheumatischen Fieber oder an einer
Sydenham-Chorea erkrankten. Bei
dieser Subgruppe von Zwangsstörungen wird im Kindesalter eine
immunologische Genese angenommen.
251
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Neurosenlehre
• 6. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die Zwangsneurose
Psychodynamik und Pathogenese:
Somatische Faktoren:
„Für einen neurobiologischen
Kofaktor im Erwachsenenalter spricht
die Tatsache, dass insbesondere
Schwangerschaft und Geburt häufige
Auslösefaktoren von Zwangsstörungen sind. Anatomische Veränderungen im Bereich kortikostriataler
Hirnregionen weisen auf mögliche
neuroanatomische Faktoren hin.“
(H.H., S. 156).
252
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Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 6. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die Zwangsneurose
Psychodynamik und Pathogenese:
Somatische Faktoren:
Außerdem „müssen auch Störungen im Bereich verschiedener
Neurotransmittersysteme
(insbesondere des Serotoninstoffwechsels) angenommen
werden, wofür auch die Wirksamkeit der selektiven SerotoninWiederaufnahmehemmer spricht.“
(H.H., S. 156).
253
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Neurosenlehre
• 6. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die Zwangsneurose
Psychodynamik und Psychogenese:
Die Zwangssymptomatik entwickelt
sich meist aus Konflikten, die innerpsychisch durch die Virulenz analerotischer und anal-sadistischer
(antisoziale, motorisch-destruktive)
Wünsche entstehen. Mitunter sind
auch - vermischt - genitale Strebungen beteiligt. Die spezifische Dynamik
wird als ein regressives Ausweichen
vor den ödipalen Konflikten aufgefasst.
254
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Neurosenlehre
• 6. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die Zwangsneurose
Psychodynamik und Psychogenese:
Tendenziell: Im Gegensatz zur
hysterischen Neurose ist der Kern des
zwangsneurotischen Symptoms die
auf einen Triebimpuls zurückgehende
bewusste Zwangsvorstellung.
255
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Neurosenlehre
• 6. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die Zwangsneurose
Psychodynamik und Psychogenese:
Der Zwangsneurotiker weist
regelhaft ein sehr strenges ÜberIch auf. Den als antisozial erlebten
Triebwünschen steht die Hypermoralität des Gewissens gegenüber. Die kreativen Möglichkeiten
des Ichs zur Konfliktlösung sind
eingeschränkt. Es ist so, als
würden Es- und Über-Ich-Inhalte
quasi kurzgeschlossen.
256
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Neurosenlehre
• 6. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die Zwangsneurose
Psychodynamik und Psychogenese:
Vorherrschende Abwehrmechanismen
sind: Reaktionsbildung, Regression,
Isolierung, Ungeschehen-machen,
Intellektualisierung. Affektiv erlebt der
Zwangsneurotiker meist Ambivalenz,
wodurch der Zugang, der Übergang
zum Handeln oft verstellt ist. Außerdem vermag das Ich nicht sicher genug zu unterscheiden zwischen Vorstellung und Handlung (vgl. magisches Denken).
257
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Neurosenlehre
• 6. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die Zwangsneurose
Zur Psychogenese:
Im Familienmilieu Häufung von
zwanghaften Personen.
"Insgesamt bestehen strenge,
rigide legalistische, sachbezogene,
teilweise aggressive oder auch
willkürliche Entwicklungsbedingungen. Spontaneität, Eigenwille,
lebhafte Motorik und Aggressivität
müssen früh unterdrückt und mit
Angst- und Schamgefühlen abgewehrt werden.
258
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Neurosenlehre
• 6. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die Zwangsneurose
Zur Psychogenese:
Der äußere Zwang wird so zu
einem inneren. Statt einem Autonomiegefühl entstehen im Kind
Scham und Zweifel (Erikson)."
Quint: "Beim Zwangsneurotiker
fehlt eine ausreichend positive
Beurteilung des ausprobierenden
Handels".
Eine biogenetisch mitbedingte
Verursachung der Zwangsneurose
ist wahrscheinlich.
259
Ergänzungsreihe.
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Neurosenlehre
• 6. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die Zwangsneurose
Zugrunde liegende Persönlichkeit:
Häufig der sog. Zwangscharakter,
der sich durch Pedanterie, Rigidität
und Enge im Denken auszeichnet.
Starkes Bedürfnis nach Ordnung
und Sauberkeit, auch im moralischen Bereich.
260
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Neurosenlehre
• 6. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die Zwangsneurose
Zugrunde liegende Persönlichkeit:
Als weitere Persönlichkeitszüge
imponieren oft: Ängstlichkeit, Unzulänglichkeitsgefühle, Skrupulösität, Entschlussunfähigkeit, peinliche Genauigkeit und Gewissenhaftigkeit, Unfähigkeit, das Unwesentliche zu vernachlässigen,
latent aggressive, evtl.
"stänkernde", querulatorische
Haltung.
261
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Neurosenlehre
• 6. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die Zwangsneurose
Zugrunde liegende Persönlichkeit:
Die dynamische Struktur des
Zwangscharakters (in Anlehnung an
Shapiro):
•
•
•
Emotionale Autarkie: "Ich brauche
niemanden."
Vermeidung echt autonomer Handlungen, um Fehler zu vermeiden.
Gefühl des Getriebenseins: Dem
Zwanghaften sitzt immer ein imaginärer Aufpasser im Nacken. Hoher
Leistungsdruck - geringes Maß an
Lustgefühlen.
262
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Neurosenlehre
• 6. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die Angststörungen
•
•
Klassifikation lt. ICD 10:
F 40: Phobische Störungen
– F 40.0: Agoraphobie
– F 40.00: Agoraphobie ohne
Panikstörung
– F 40.01: Agoraphobie mit Panikstörung
– F 40.1 Soziale Phobien
– F 40.2: Spezifische (isolierte) Phobien
– F 40.8: andere Angststörungen
– F 40.9: nicht näher bezeichnete
Angststörungen bzw. phobischer
Zustand
263
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Neurosenlehre
• 6. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die Angststörungen
•
Klassifikation lt. ICD 10:
•
F 41: Andere Angststörungen
–
–
–
F 41.0: Panikstörung (episodisch
paroxysmale Angst)
F 41.1: generalisierte Angststörung
F 41.2: Angst und depressive Störung,
gemischt
• Dazugehöriger Begriff: leichte oder nicht
anhaltende ängstliche Depression
–
–
F 41.3: Andere gemischte Angststörungen
F 41.8: Andere spezifische Angststörungen
• Dazugehöriger Begriff: Angsthysterie
–
F 41.9: nicht näher bezeichnete
Angststörung
• Dazugehöriger Begriff: nicht näher bezeich264
nete Angst
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Neurosenlehre
• 7. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die
Depression
265
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Neurosenlehre
• 7. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die
Depression
Gliederung
• Historisches
• Diagnostische
Merkmale
• Klassifikation
• Fallbeispiel
• Psychodynamik
• Behandlung
• Diskussion
266
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Neurosenlehre
• 7. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die
Depression
Historisches
• Bedeutung in Antike
und Mittelalter:
Depression =
Melancholie
• Seit Anfang des 20.
Jahrhunderts:
Bemühung um
Systematisierung
und Klassifikation,
Definitionswandel
267
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Neurosenlehre
• 7. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die
Depression
Historisches
• 1916
Erstveröffentlichung
des Freud´schen
Aufsatzes mit dem
Titel: „Trauer und
Melancholie“.
•
Hier wird der nicht
krankhafte Zustand der
Trauer dem Zustand der
Melancholie
gegenübergestellt.
268
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Neurosenlehre
• 7. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die
Depression
Historisches
•
„Die Melancholie ist seelisch ausgezeichnet durch
eine tief schmerzliche Verstimmung, eine Aufhebung des Interesses für die Außenwelt, durch
den Verlust der Liebesfähigkeit, durch die Hemmung jeder Leistung und die Herabsetzung des
Selbstwertgefühls, die sich in Selbstvorwürfen und
Selbstbeschimpfungen äußert und bis zur wahnhaften Erwartung von Strafe steigert. Dies Bild
wird unserem Verständnis näher gerückt, wenn wir
erwägen, dass die Trauer dieselben Züge aufweist, bis auf einen einzigen; die Störung des
Selbstwertgefühls fällt bei ihr weg. Sonst aber ist
es dasselbe.“
269
(Freud, S., 1916, GW VIII, S. 429)
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Neurosenlehre
• 7. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die
Depression
Definition von „Depression“
gemäß Dorsch (1998) (modifiziert):
Komplexer Begriff für
vielfältige Symptomatik,
die sich
• emotional
• kognitiv
• motorisch
• motivational und
• vegetativ/somatisch
äußert.
270
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Neurosenlehre
• 7. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die
Depression
Diagnostische Merkmale der „Depression“
gemäß WILL (1998/2000):
Äußerer Eindruck:
Depressive wirken bedrückt, niedergeschlagen, traurig,
resigniert; sprechen meist mit leiser, monotoner Stimme, das Gesicht ist oft verhärmt, „die niedergezogenen
Mundwinkel und die reduzierte Mimik und Gestik bezeugen den Verlust an Vitalität und Lebensfreude“. Sie
erscheinen oft vorgealtert; Körperhaltung gebeugt und
kraftlos, Schultern hochgezogen, der Gang schwer, die
Haut blass und welk, die Augen dunkel umrandet, der
Blick verschleiert und müde. Die Körperbewegungen oft
gehemmt und reduziert. Ihrer Umgebung gegenüber
zeigen sie sich gleichgültig, teilnahmslos, mitunter
verhalten sie sich aber auch missmutig und gereizt. 271
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Neurosenlehre
• 7. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die
Depression
Diagnostische Merkmale der „Depression“
gemäß WILL (1998/2000):
Psychische Symptomatik:
Leitsymptom ist die traurige Verstimmung, verbunden
mit Niedergeschlagenheit, Bedrücktheit, gelegentlich
stillem Vor-sich-hin-Weinen und einer Verzweiflung, die
untröstbar ist. Manche schwer Depressive zeigen eine
emotionale Versteinerung und Erstarrung, in der sie
auch nicht weinen können.
„Losigkeits-Symptome“: Freudlosigkeit, Lustlosigkeit,
Energielosigkeit, Interesselosigkeit, Passivität und
Apathie, mitunter auch innere Erregung und psychomotorische Unruhe. Mutlosigkeit, Verzagtheit, Resignation und Pessimismus sind sehr häufig anzutreffen.
272
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Neurosenlehre
• 7. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die
Depression
Diagnostische Merkmale der „Depression“
gemäß WILL (1998/2000):
Psychische Symptomatik (Fortsetzung):
Konzentrationsstörungen mit Verlangsamung, Hemmung des Denkens, „Leere im Kopf“, Tendenz zum zirkulären, unproduktiven Grübeln. „Sie neigen dazu, Probleme überzubewerten und die eigene Person, die umgebende Welt und die Zukunft nur noch negativ zu sehen.“
(Will) Daraus resultieren nicht selten die depressive
Entscheidungsunfähigkeit und Entschlusslosigkeit.
Störungen des Selbstwertgefühls und Minderwertigkeitsgefühle, negative Selbsteinschätzung bis hin zum
Kleinheits- oder Schuldwahn.
Angstempfindungen in Form von Verlust-, VersagensVerarmungs-, Scham- und Schuldängsten treten häufig
273
auf.
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Neurosenlehre
• 7. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die
Depression
Diagnostische Merkmale der „Depression“
gemäß WILL (1998/2000):
Psychische Symptomatik (Fortsetzung):
In den Beziehungen zu anderen Menschen ziehen sich
die Depressiven meist zurück oder verhalten sich außerordentlich anklammernd, was oft weitere Enttäuschungen verursacht. Ihre Gefühlsverarmung und die Konzentration auf die eigene Befindlichkeit beeinträchtigt den
Kontakt, ebenso der drängende Wunsch nach Zuwendung, Fürsorge und liebevoller Bestätigung. Bewusste
Schuldgefühle sind häufig und nur schwer korrigierbar,
auch wenn sie für einen äußeren Beobachter nicht
begründet erscheinen.
Bei schweren Depressionen können die Patienten auch
von Wahnideen und paranoiden Fehldeutungen erfasst
274
oder von hypochondrischen Überzeugungen beherrscht
sein.
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Neurosenlehre
• 7. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die
Depression
Diagnostische Merkmale der „Depression“
gemäß WILL (1998/2000):
Körperliche Symptomatik:
Die Beschwerden werden oft diffus und wenig konkret
geschildert.
Vegetative Störungen und Missempfindungen:
Kopfschmerzen, z.T. beschrieben als Helm- und Reifengefühl. Unspezifische Störungen des Sehens, Globusoder Würgegefühl im Hals, Druckgefühl auf den Ohren
oder Ohrgeräusche, Verminderung des Hörvermögens
oder Geräuschempfindlichkeit.
Enge im Brustkorb (Reifengefühl), Atemenge, flache
und unregelmäßige Atmung, Nicht-durchatmen-Können,
Schmerzen in der Herzgegend, Herzjagen oder „Herzstolpern“, Kreislaufregulationsstörungen, Blutdruck- 275
schwankungen.
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Neurosenlehre
• 7. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die
Depression
Diagnostische Merkmale der „Depression“
gemäß WILL (1998/2000):
Körperliche Symptomatik (Fortsetzung):
Funktionelle Magen-Darm-Beschwerden mit Übelkeit,
Magendruck, Blähungen, Durchfall oder Verstopfung;
Störungen der Blasenfunktion mit Miaaempfindungen,
Schmerzen und häufigem Harndrang. Häufig sind Muskelverspannungen im Schulter-Nacken-Armbereich,
Rücken- und Nackenschmerzen, diffuse Gelenk- und
Muskelschmerzen (evtl. larvierte Depression!).
Störungen der Haut und der Schleimhäute: Zungenbrennen, trockene Schleimhäute in Nase und Mund,
diffuser Juckreiz, trockene, blasse, eingefallene Haut,
müder Gesichtsausdruck, tiefliegende verschattete
Augen, glanzloses Haar bis hin zum Haarausfall. 276
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Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 7. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die
Depression
Diagnostische Merkmale der „Depression“
gemäß WILL (1998/2000):
Körperliche Symptomatik (Fortsetzung):
Depressive klagen häufig über Ein- und Durchschlafstörungen, über Appetitverlust und in der Folge
Gewichtsverlust. Das sexuelle Verlangen lässt meist
nach, die Potenz vermindert sich und es kann zu
Menstruationsstörungen und Schmerzen beim Verkehr
kommen.
Weitere vegetative Funktionsstörungen: Hitzewallungen,
Kälteschauer, Zittern und erhöhte Temperaturempfindlichkeit.
277
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Neurosenlehre
• 7. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die
Depression
Nosologische Einordnung
– Somatogene Depressionen
• organische Depression
• symptomatische Depression
– Endogene Depressionen
• schizophrene Depression
• zyklische Depression
• periodische Depression
• Spätdepression
– Psychogene Depressionen
• neurotische Depression
• Erschöpfungsdepression
• Reaktive Depression
278
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 7. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die
Depression
Klassifikation nach ICD 10
Affektive Störungen
•
•
•
•
F30
F31
F32
F33
manische Episode
bipolare affektive Störung
depressive Episode
rezidivierende depressive
Störungen
• F34 anhaltende affektive
Störung
• F38 sonstige affektive
Störungen
279
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Neurosenlehre
• 7. Sitzung
Klassifikation nach ICD 10
•
– F32 einmalige depressive Episode
– F33 rezidiv. depressive Phasen; keine
manischen Phasen; zwischen den Episoden
i.d.R. vollständige Remission; mehrere Monate
ohne eindeutig affektive Symptomatik
– F34 Dysthymia
zusammenhängende Perioden mit gutem
Befinden, dann monatelange Müdigkeit; Alltag
wird bewältigt
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die
Depression
- Zyklothymia
andauernde Instabilität der Stimmung,
zahlreiche Perioden mit leichter Depression und
leicht gehobener Stimmung
280
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 7. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die
Depression
Diagnostik nach ICD 10
– Mindestdauer zwei Wochen
– mind. zwei Leitsymptome:
• depressive/gedrückte
Stimmung
• Verlust von Interesse/Freude
• erhöhte Ermüdbarkeit
– mind. 2-3 der weiteren Symptome
281
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 7. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die
Depression
Diagnostik nach ICD 10
– mind. 2-3 der weiteren Symptome:
• verminderte Konzentration/ Aufmerksamkeit
• vermindertes Selbstwertgefühl und
Selbstvertrauen
• Schuldgefühle/Gefühle von Wertlosigkeit
• negative/pessimistische Zukunftsperspektiven
• Suizidgedanken, Selbstverletzung, Suizidhandlung
• Schlafstörungen
• verminderter Appetit
• zirkadiane Schwankungen
282
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 7. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die
Depression
Psychotische vs. Neurotische Depression
• Verdachtsmomente für eine
psychotische Depression
• wahnhaftes Erleben
• starke Vitalisierung
• Tages- und Jahresrhythmen
• häufig plötzlicher Beginn
• rezidivierende Phasen
• familiäre Häufung
283
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 7. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die
Depression
Psychotische vs. Neurotische Depression
• Verdachtsmomente für eine
neurotische Depression
• schwache Vitalisierung
• gewöhnlich kein zyklischer
Verlauf
• schleichender Beginn
• keine klaren Phasen
• keine auffällige familiäre
Häufung
284
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 7. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die
Depression
Prävalenz (Vorkommen)
• Lebenszeitprävalenz: 12-17%
• Punktprävalenz in Bezug auf
die Weltbevölkerung: 2-7%
• Prävalenz der
Altersdepression (> 65 J.):
15-25%
285
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 7. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die
Depression
Prävalenz (Vorkommen)
• Depressionen = 10 -20% der
neurotischen Erkrankungen
• („neurotische“ Depression v.a. im
dritten und vierten Lebensjahrzehnt;
„psychotische“ Depression v.a. im
fünften und sechsten Lebensjahrzehnt)
• Frauen häufiger von Depressionen
betroffen als Männer
286
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 7. Sitzung
•
•
Ätiologie und Psychogenese
Spezielle
• Sigmund FREUD (1916): früher ObjektNeurosenverlust, Introjektion des ambivalent besetzten
lehre:
Liebesobjekts, Selbstgefühlsminderung
Die
• Karl ABRAHAM (1924): das Modell der
Depression „bösen Mutter“: schwere Liebesenttäuschung
an der Mutter, kindliche Urverstimmung,
Wiederbeleben der Urverstimmung in der
Erwachsenendepression
• E. BIBRING (1954): Selbstwertverlust nicht nur
durch Frustration bzw. Objektverlust, sondern
auch Enttäuschung narzißtischer Bedürfnisse
287
(anale, phallische)
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Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 7. Sitzung
•
•
Ätiologie und Psychogenese
Spezielle
• E. JACOBSON (1953/1971):
NeurosenSelbstwertgefühlsverlust erklärt sich durch
lehre:
bestimmte Energieverteilungs- und insbesondere strukturelle Störungen der SelbstDie
repräsentanz bzw. des Über-Ich (archaisch)
Depression
und des Ich-Ideals (zu hoch).
• M. KLEIN: (Depressive Position (als universales Stadium bzw. Zustand). Melancholie:
keine gelungene Internalisation des guten
Objekts. Aggressionshemmung (Angst, das
gute Objekt zu verlieren).
288
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Neurosenlehre
• 7. Sitzung
•
•
Ätiologie und Psychogenese
Spezielle
• H. KOHUT: Mangelhafte Spiegelung, keine
Neurosenbejahende freudige Reaktion auf die
lehre:
Existenz des Kindes = „leere“ Depression.
Die
Mangelhafte Teilhabe an Ruhe und
Sicherheit eines idealisierten Erwachsenen
Depression
= Schulddepression.
• A. Green (1983): das Modell der „toten“
Mutter
• St. Mentzos: das 3-Säulen-Modell
289
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Neurosenlehre
• 7. Sitzung
•
•
Ätiologie und Psychogenese
Spezielle
Neurosen- • Lerntheoretische ätiologische
Modelle
lehre:
• M. SELIGMAN: erlernte Hilflosigkeit
Die
Depression • A. BECK: kognitive, pessimistische
Grundkonzepte, depressiver Affekt
sekundär, Therapie durch kognitive
Korrektur
290
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Neurosenlehre
• 7. Sitzung
•
•
Psychodynamik bei Depressiven
Spezielle
• Psychodynamik nach E. Bibring (1952):
Neurosen– Voraussetzung:
lehre:
• erhöhte Verletzbarkeit des SelbstDie
wertgefühls
Depression
– auslösende Situation:
• narzißtische Kränkung
– Bedingungen:
• Ich-Hemmung
• Absinken der Selbstachtung
• Hilflosigkeit
291
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Neurosenlehre
• 7. Sitzung
•
•
Psychodynamik bei Depressiven
Spezielle
• Psychodynamik nach E. Bibring:
Neurosen– Hilflosigkeit entsteht durch Versagung
lehre:
gegenüber den „Urwünschen“:
Die
• Wunsch/Bedürfnis geliebt zu werden
(emotionale Annahme)
Depression
• Wunsch, stark zu sein (narzißtische
Annahme)
• Wunsch, gut zu sein (moralische Annahme)
– aus der Kluft zwischen Wünschen/ Ansprüchen
und Selbsteinschätzung entsteht depressive
Verstimmung
292
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Neurosenlehre
• 7. Sitzung
•
•
Psychodynamik bei Depressiven
Spezielle
• Psychodynamik nach E. Bibring:
Neurosen– Interaktion der psychodynamischen
lehre:
Elemente:
Die
• Unbewusste Verlustphantasien
Depression
• Ausgeprägte Abhängigkeitsbeziehungen
•
•
•
•
•
Unbewusste Größenphantasien
Entstehung aggressiver Affekte
Rigide Gewissensbildung
Wendung der Aggression gegen das Selbst
Erhöhte Verletzbarkeit des Selbstwertgefühls
293
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Neurosenlehre
• 7. Sitzung
•
•
Psychodynamik bei Depressiven
Spezielle
• Der depressive Grundkonflikt basiert
Neurosennach Will (2000) auf der
lehre:
• Unverträglichkeit zweier Wünsche:
Die
– einerseits dem Liebesobjekt nah
Depression
sein wollen bis zur Verschmelzung,
– andererseits eine Wut (und eine
Gier) ausleben zu wollen, die bis zur
Zerstörung des Objekts oder seiner
selbst gehen könnte. (a.a.O., S. 88)
294
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Neurosenlehre
• 7. Sitzung
•
•
Psychodynamik bei Depressiven
Spezielle
Als Ursache und zugleich Folge dieses depressiven
Neurosen- Grundkonflikts treten in Erscheinung:
lehre:
– Orale Konflikte und Regressionen:
Orale Wünsche nach Versorgung und Geborgenheit führen zu
Die
starker Abhängigkeit der Depressiven vom Objekt. Die oralen
Depression
Wünsche sind dabei voller Gier (versteckt oder offen), über-
mäßig und unerfüllbar, da sie die die ursprünglich erlebte Leere
und den Mangel überdecken müssen.“ (S. 89)
– Selbstwertkonflikte:
chronische Differenz zwischen einem überhöhten Ich-Ideal und
einem entwerteten Selbstbild
– Überich- und Schuldkonflkte:
„Die überaus strengen Forderungen, Gebote und Verbote des
depressiven Gewissens äußern sich in einer Selbstkritik, die
295sich
mit Härte gegen das Ich entfaltet.
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Neurosenlehre
• 7. Sitzung
•
•
Psychodynamik bei Depressiven
Spezielle
•
Psychodynamik
nach
St.
Mentzos:
Neurosen– Herabsetzung des Selbstwertlehre:
gefühls nimmt zentrale Stellung in
Die
den Theorien zur Psychodynamik
Depression
der Depression ein => Theorie zur
Regulation des Selbstwertgefühls
(„Dreifuß-/Dreisäulenmodell“)
296
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Neurosenlehre
Psychodynamik bei Depressiven
Selbstwertregulation
• 8. Sitzung
I. Säule
nach
Mentzos
II. Säule
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die
Depression
III. Säule
•
Externe Stärkung
durch
Anerkennung
Stärkung
durch
Identifikation
Externe Stärkung
durch
Spiegelung
297
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Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
8. Sitzung
• Spezielle
NeurosenLehre:
• Die
Depression
Neurosenlehre
Psychodynamik bei Depressiven
Selbstwertregulation
Externe Stärkung
durch
Anerkennung
Leitbilder
Frühe
Elternimagines
Symbiose
Stärkung
durch
Identifikation
Größenphantasien
GrößenSelbst
I. Säule
Archaische
s Überich
III. Säule
Ödipales
Überich
Reifes
IdealSelbst
II. Säule
Reifes
Idealobjekt
Reifes
Gewissen
nach
Mentzos,
1995
Externe Stärkung
durch
Spiegelung
298
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Neurosenlehre
• 8. Sitzung
•
•
Psychodynamik bei Depressiven
Spezielle
•
Psychodynamik
nach
St.
Mentzos:
Neurosen– Beeinträchtigung der
lehre:
Selbstwertregulation:
Die
• Säule 1: narzißtische Zufuhr von einem
Depression
realen Objekt wird verringert oder
entfällt
• Säule 2: Objektverlust, Trennung, Enttäuschung über das idealisierte Objekt
• Säule 3: Verunsicherung durch Kritik/
Strafe wegen nicht erbrachter
Leistungen
299
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Neurosenlehre
• 8. Sitzung
•
•
Psychodynamik bei Depressiven
Spezielle
•
Psychodynamik
nach
St.
Mentzos:
Neurosen– Regressive Aktivierung hat zur
lehre:
Folge bei
Die
• Säule 1: Manie
Depression
• Säule 2: Abhängigkeitsdepression
• Säule 3: Schulddepression
• Säulen 1/2/3: „leere Depression“
300
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
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Neurosenlehre
• 8. Sitzung
•
•
Psychodynamik bei Depressiven
Spezielle
•
Psychodynamik
nach
St.
Mentzos:
Neurosen• Depressiver Affekt
lehre:
– Ursachen:
Die
• schwerer realer Verlust oder Kränkung
Depression
• unlösbar erscheinende Konflikte
• psychophysische Erschöpfung
• reale Hilfs- und Ausweglosigkeit
– Wichtig: Depressiver Affekt entspricht nicht der
klinischen Depression; entwickelt sich erst bei
längerem Anhalten und zusätzlich auftretenden
Mechanismen (häufig in Form von circuli vitiosi)
301
zur Depression.
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Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 8. Sitzung
•
•
Psychodynamik bei Depressiven
Spezielle
•
Psychodynamik
nach
St.
Mentzos:
Neurosen• Drei psychische circuli vitiosi
lehre:
– Regressiver Rückzug von der äußeren
Die
Welt/ Realität -> Fehlen der narzißtischen
Depression
Zufuhr -> Auswirkung auf Säule 1 ->
Überzeugung, nicht geliebt zu werden,
verstärkt sich, da Korrektur von außen fehlt
– Objektverlust/Trennung: es findet eine
Introjektion des ambivalent besetzten
Objekts statt -> Erhöhung des Konfliktpotentials -> Blockierung
302
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Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 8. Sitzung
•
•
Psychodynamik bei Depressiven
Spezielle
•
Psychodynamik
nach
St.
Mentzos:
Neurosen• Drei psychische circuli vitiosi
lehre:
– Rigides Über-Ich -> Hemmung der
Die
Frustrationsaggression -> ersatzlose
Depression
Verdrängung oder Autoaggression ->
verstärkt auftretende aggressive
Regungen -> immer größere
Selbstunterwerfung und -bestrafung
303
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Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
8. Sitzung
• Spezielle
NeurosenLehre:
• Die
Depression
Neurosenlehre
• Behandlungsansätze bei Depressiven
Antidepressiva
Psychotherapie
Physiotherapie
Lithium
Depression
Schlafentzug
Elektrokrampftherapie
304
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 8. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre
Die
Depression
Psychotherapie bei Depressiven
Analyse
neurotische Depression, Konflikteinsicht durch
Entfaltung der Übertragung, Analyse der
Übertragungs- und Gegenübertragungsmanifestationen, Aufdecken auch des Gegenwartsund des Vergangenheits-Unbewussten,
Ziel: psychische Umstrukturierung
Interpersonelle Therapie
konkrete Beziehungsschwierigkeiten, Psychodynamik, Übertragung/Gegenübertragung,
Bearbeitung der Vergangenheit nicht im
Mittelpunkt
305
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Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
• 8. Sitzung
•
•
Psychotherapie bei Depressiven
Spezielle
Neurosen- Verhaltenstherapie
welche Verhaltensweisen beeinflussen
lehre:
Stimmung
Die
negativ, welche Aktivitäten können nicht mehr
Depression
erfolgen
Kognitive Therapie
Wahrnehmung, Veränderung depressiver
Kognitionen
Soziotherapie
Umfeld, Rehabilitation, Wiedereingliederung
306
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Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
Kognitive Psychotherapie
bei Depressiven
• 8. Sitzung
•
•
Spezielle
Neurosenlehre:
Die
Depression
-
Aufbau einer tragfähigen Beziehung
kurzfristige, entlastende Maßnahmen
Aufbau angenehmer, entlastender Aktivitäten
Abbau von belastenden Aktivitäten und Strukturen
Aufbau von sozialer Fertigkeit und Kontakten
Veränderung einseitiger Wahrnehmung und
Bewertungsmuster sowie Korrektur
absolutistischer Grundüberzeugungen
(Hautzinger, 1989)
307
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Die Klassifikation von Persönlichkeitsstörungen im Rahmen der ICD 10:
F 60 Spezif. Persönlichkeitsstörungen
F 60.0
paranoide Persönlichkeitsstörung
F 60.1
schizoide Persönlichkeitsstörung
F 60.2
dissoziale Persönlichkeitsstörung
F 60.3
emotional instabile
Persönlichkeitsstörung
F 60.30
impulsiver Typus
F 60.31
Borderline-Typus
F 60.4
histrionische Persönlichkeitsstörung
F 60.5
anankastische
Persönlichkeitsstörung
F 60.6
ängstliche (vermeidende)
Persönlichkeitsstörung
F 60.7
abhängige Persönlichkeitsstörung
F 60.8
andere spezifische
Persönlichkeitsstörungen
F 60.9
nicht näher bezeichnete
Persönlichkeitsstörung
F 61
kombinierte und andere
Persönlichkeitsstörungen
F
61.0
kombinierte
Persönlichkeitsstörungen
F
61.1
störende Persönlichkeitsänderungen,
nicht klassifizierbar in F 60 oder F
62
F 62
Andauernde
Persönlichkeitsänderung,
nicht Folge einer Schädigung
oder Erkrankung des Gehirns
F
62.0
Andauernde
Persönlichkeitsänderung nach
Extrembelastung
F
62.1
Andauernde
Persönlichkeitsänderung nach
psychischer Erkrankung
308
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Die Klassifikation von Persönlichkeitsstörungen im Rahmen der ICD 10:
F 60.3
F
60.30
emotional instabile Persönlichkeitsstörung
impulsiver Typus
Ö wesentliche
Charakterzüge:
emotionale Instabilität
und mangelnde
Impulskontrolle,
insbesondere aggressive
Durchbrüche häufig
F
Borderline-Typus
60.31 Ö einige Kennzeichen
emotionaler Instabilität,
oft das Selbstbild und die
„inneren Präferenzen“ unklar
und gestört;
Neigung zu intensiven, aber
unbeständigen Beziehungen;
rezid. Krisen, u. U. mit
Suiziddrohungen oder
anderen autoaggressiven
Impulshandlungen
einhergehend.
309
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
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Neurosenlehre
Borderline-Störungen
Deskriptive Analyse
Strukturelle Analyse
Psychodynamik
Ätiologie
Therapeutische Ansätze
Die folgenden Folien enthalten Exzerpte und Zusammenfassungen aus:
Kernberg O. F., 1978, 1988; Kernberg u.a. 1993; Clarkin et al., 2001; RhodeDachser, 1982; Volkan, 1992 und aus weiterer angegebener Literatur
310
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Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
Borderline-Störungen
• Der Diagnostizierung
einer BorderlinePersönlichkeit liegen
zugrunde:
• A) bestimmte typische
Symptomkomplexe
• B) eine typische
Konstellation von
Abwehrmechanismen
• C) typische Störungen im
Bereich der inneren
Objektbeziehungen
• D) charakteristische
genetisch-dynamische
Besonderheiten
311
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
Borderline-Störungen
• Zur Diagnostizierung
einer BorderlinePersönlichkeit ist es
erforderlich:
• A) eine deskriptive
Analyse
• B) eine strukturelle
Analyse
des Patienten
vorzunehmen
312
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
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Neurosenlehre
Borderline-Störungen
• die diagnostischen
• Im Rahmen der
Verdachtsmomente
deskriptiven Analyse
anhand der
einer Borderlinevorhandenen
Persönlichkeit gilt es:
Symptomatik zu
erfassen
313
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
Borderline-Störungen, deskriptive Analyse
Der Nachweis von
2 – 3 der aufgeführten
Symptome gilt als
gewichtiger Hinweis
auf eine
möglicherweise
Zugrunde liegende
Borderline-Persönlichkeit:
Symptome:
1. Angst (chronisch, diffus, frei
flottierend)
2. Polysymptomatische
Neurosen
3. Polymorph-perverse Tendenzen im Sexualverhalten
4. Impulsneurosen und Süchte
5. Primitive Selbstdestruktivität
314
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
Borderline-Störungen, deskriptive Analyse
Ad 2.:
Polysymptomatische
Neurosen
a) Polyphobien
b) Zwangssymptome
c) Konversionsymptome
(multiple, besonders
ausgestaltete, bizarre K.s.)
d) Dissoziative Reaktionen,
insbesondere hysterische
Dämmerzustände und
Fuguezustände sowie Amnesien
in Verbindung mit
Bewusstseinsstörungen
e) Hypochondrie
f) Paranoide und
hypochondrische Züge
315
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
Borderline-Störungen, deskriptive Analyse
Ad 3.:
PolymorphPerverse
Tendenzen im
Sexualverhalten
„Patienten mit einer manifesten sexuellen Deviation, in der sich verschiedenartige perverse Tendenzen kombinieren.“ ... Je chaotischer und vielgestaltiger die perversen Phantasien und
Handlungen und je labiler die mit solchen Interaktionen verbundenen Objektbeziehungen sind, desto eher ist eine
Borderline-Persönlichkeitsstruktur zu
erwägen. Bizarre Perversionsformen,
besonders wenn sie mit primitiven
Aggressionsäußerungen oder auch mit
einer Ersetzung genitaler durch urethrale und anale Triebziele (Urinieren,
Defäzieren) einhergehen, erwecken
ebenfalls den Verdacht auf das Vorliegen einer Borderline-Persönlichkeitsstruktur.“
(Kernberg, 1978, S. 28)
316
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
Borderline-Störungen, deskriptive Analyse
Ad 4.:
Impulsneurosen
und
Süchte
Hiermit sind „bestimmte Formen von
schweren Charakterstörungen“ gemeint,
„bei denen es chronisch immer wieder
zu Impulsdurchbrüchen mit Befriedigung
von Triebbedürfnissen kommt, und zwar
mit der Besonderheit, dass diese Arten
von Triebbefriedigung außerhalb der
„triebhaften“ Episoden ich-dyston, während dieser Episoden aber ich-synton
und sogar hochgradig lustvoll erlebt
wird. Der Alkoholismus und andere
Süchte, aber auch bestimmte Formen
psychogener Fettsucht und Kleptomanie
sind hierfür typische Beispiele.
(Kernberg, 1978, S. 29)
317
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
Borderline-Störungen, deskriptive Analyse
Ad 5.:
Primitive
Selbstdestruktivität
„Zu dieser Gruppe gehören unter
anderem Patienten mit ausgeprägten
selbstdestruktiven Zügen (die auch
kein gut integriertes Über-Ich haben
und auffallend wenig in der Lage sind,
Schuldgefühle zu empfinden). Als
typisches Beispiel hierfür sind Patienten anzuführen, die im Sinne einer
unspezifischen Entlastung von Angstund Spannungsgefühlen sich selbst
Schnittwunden oder sonstige Verletzungen zufügen oder die in einer
Stimmung von großer Wut, aber ohne
eigentliche Depression, impulshafte
Suizidversuche unternehmen.
(Kernberg, 1978, S. 38)
318
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
Borderline-Störungen, strukturelle Analyse
Die
strukturelle
Analyse
Die strukturelle Analyse basiert auf
der Abklärung, inwiefern
a) unspezifische Anzeichen von IchSchwäche
b) primärprozesshafte Denkformen
c) spezifische Anzeichen von IchSchwäche (wie sie durch das
Überwiegen von primitiven
Abwehrmechanismen repräsentiert
werden)
d) eine spezifische Störung der
verinnerlichten Objektbeziehungen
vorliegen.
(vgl. Kernberg, 1978, S. 41)
319
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
Borderline-Störungen, strukturelle Analyse
Ad a):
Unspezifische
Anzeichen von
Ich-Schwäche
1. Mangelhafte
Angsttoleranz
2. Mangelhafte
Impulskontrolle
3. Mangelhaft entwickelte
Sublimierungen
4. mangelhafte
Differenzierung
zwischen Selbst- und
Objektrepräsentanzen
(vgl. Kernberg, 1978, S. 41)
320
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
Borderline-Störungen, strukturelle Analyse
Ad a):
Unspezifische
Anzeichen von
Ich-Schwäche
1. Mangelhafte Angsttoleranz
„Eine mangelhafte Angsttoleranz
lässt sich daran ermessen, inwieweit
jede Steigerung von Angst über das
gewohnte Maß hinaus zu weiterer
Symptombildung, alloplastischen
Verhaltensweisen oder tieferer IchRegression führt. Ich möchte betonen, dass es hier nicht auf das
Ausmaß der Angst an sich ankommt, sondern darauf, wie das Ich
auf jede zusätzliche Angstbelastung
reagiert.“
(vgl. Kernberg, 1978, S. 41)
321
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
Borderline-Störungen, strukturelle Analyse
Ad a):
Unspezifische
Anzeichen von
Ich-Schwäche
2. Mangelhafte Impulskontrolle
„Charakterstörungen vom Typ des sog.
>>triebhaften Charakters<< sind ein
Beispiel für eine mangelhafte
Impulskontrolle. Man muss hier jedoch
unterscheiden zwischen einer
unspezifischen, globalen Form und
andererseits einem ganz
umschriebenen und hochspezifischen
>>Mangel an Impulskontrolle<<, wie er
im Rahmen bestimmter charakterlicher
Abwehrformationen vorkommt. ….
(vgl. Kernberg, 1978, S. 41)
322
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
Borderline-Störungen, strukturelle Analyse
Ad a):
Unspezifische
Anzeichen von
Ich-Schwäche
2. Mangelhafte Impulskontrolle
.... In solchen Fällen zeigt sich das
Spezifische dieser Form von >>mangelhafter Impulskontrolle<< typischerweise
an der Ichsynchronizität des betreffenden Triebimpulses im Moment des
impulsiven Verhaltens, an der stereotypen Wiederkehr solcher episodischen
Impulsdurchbrüche, am fehlenden emotionalen Kontakt zwischen dem impulsiven Persönlichkeitsanteil und dem
sonstigen Selbsterleben des Patienten
und schließlich an der blanken Verleugnung, mit der solche dissoziierten
>>Durchbrüche<< nachher abgewehrt
werden.
(vgl. Kernberg, 1978, S. 42)
323
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
Borderline-Störungen, strukturelle Analyse
Ad a):
Unspezifische
Anzeichen von
Ich-Schwäche
2. Mangelhafte Impulskontrolle
„Etwas ganz anderes ist die unspezifische, globale Form mangelhafter Impulskontrolle, wie man sie
typischerweise bei infantilen Persönlichkeiten findet. Sie erscheint hier in
Form einer unberechenbaren,
sprunghaften Impulsivität als unspezifische Reaktion auf jeden
stärkeren Anstieg von Angst oder
Triebspannungen gleich welcher
Art.“
(Kernberg, 1978, S. 42)
324
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
Borderline-Störungen, strukturelle Analyse
Ad a):
Unspezifische
Anzeichen von
Ich-Schwäche
3. Mangelhaft entwickelte
Sublimierungen
„Die mangelhafte Ausbildung von
Sublimierungen ist wiederum schwer
zu beurteilen, denn man muss hierzu
unter anderem konstitutionell bedingte
Fähigkeiten wie z.B. das Intelligenzniveau und besondere Fertigkeiten
abschätzen und Begabungen gegen
tatsächliche Leistungen abwägen.
Auch die soziale Umwelt des Patienten
ist in Rechnung zu stellen.
(Kernberg, 1978, S. 42)
325
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
Borderline-Störungen, strukturelle Analyse
Ad a):
Unspezifische
Anzeichen von
Ich-Schwäche
3. Mangelhaft entwickelte
Sublimierungen
„Kreative Genussfähigkeit und
kreative Leistungsfähigkeit sind die
beiden wichtigsten Aspekte der
Sublimierungsfähigkeit: sie sind
auch vielleicht die besten Indikatoren dafür, in welchem Ausmaß
der Patient über eine konfliktfreie
Ichsphäre verfügt, und daher ist
umgekehrt ihr Fehlen ein wichtiger
Indikator für eine Ichschwäche.“
(Kernberg, 1978, S. 43)
326
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
Borderline-Störungen, strukturelle Analyse
Ad b):
Primärprozesshafte
Denkformen
Primärprozesshafte Denkabläufe bei
Borderline-Patienten zeigen sich seltener in Form von formalen Denkstörungen, sondern eher in Form von
1. Primitiven Phantasien
2. einer verminderten Fähigkeit zur
Berücksichtigung der formalen
Gegebenheiten des Testmaterials
3. der Verwendung formal auffälliger
Formulierungen
(vgl. Kernberg, 1978, S. 44)
327
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
Borderline-Störungen, strukturelle Analyse
Ad c):
Spezifische
Anzeichen von
Ich-Schwäche
Spezifische Abwehrmechanismen auf
dem Niveau der BorderlinePersönlichkeitsorganisation:
Abwehr durch Teilung des Ichs
– wobei ein Zustand, der ursprünglich
schlicht Ausdruck mangelhafter Integration war, nun aktiv zu bestimmten
Zwecken herbeigeführt wird –.
1. Mechanismus der Spaltung
2. Frühformen der Projektion,
insbesondere die projektive
Identifizierung.
3. Primitive Idealisierung
4. Grobe Verleugnung
5. Omnipotenz und Entwertung
(vgl. Kernberg, 1978, S. 45)
328
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
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Neurosenlehre
Borderline-Störungen, strukturelle Analyse
Ad d):
Die spezifische
Pathologie
der verinnerlichten Objektbeziehungen
-
-
Unfähigkeit zur Synthese der >>guten<<
und der >>bösen/schlechten<< Introjektionen und Identifizierungen.
Konsequenzen: a) mangelhafte Legierung libidinöser mit aggressiven Triebabkömmlingen, dadurch werden die
Modulierung und Differenzierung der
Affektdispositionen des Ichs erheblich
beeinträchtigt. Daraus folgen: dauernde
Neigung zu primitiven Affektausbrüchen
und häufig eine mangelnde Fähigkeit zu
echten Schuldgefühlen und tiefer Anteilnahme.
b) schwerwiegendes Hindernis für die
Überich-Integration.
c) auch die Zusammensetzung des IchIdeals behindert die Überich-Integration.
(vgl. Kernberg, 1978, S. 55)
329
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
Borderline-Störungen, Ätiologie
•
Gespaltene Partial-Selbst- und Partial-Objekt-Repräsentanzen
Part.-Selbst-Repr. -
Part.-Objekt-Repr. -
Part.-Objekt-Repr.-
Part.-Selbst-Repr. -
Part.-Selbst-Repr.+
Part.-Objekt-Repr. +
Part.-Objekt-Repr.+
Part.-Selbst-Repr. +
330
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
Borderline-Störungen, Ätiologie
•
Gespaltene Partial-Selbst- und Partial-Objekt-Repräsentanzen,
bei Dominanz negativ valenter Partial-Repräsentanzen
Part.-Selbst-Repr. Part.-Selbst-Repr.+
Part.-Objekt-Repr. Part.-Objekt-Repr. +
Part.-Objekt-Repr.Part.-Objekt-Repr.+
Part.-Selbst-Repr. -
Part.-Selbst-Repr. +
331
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
Borderline-Störungen, Ätiologie
•
Normale Organisation
Part.-Objekt-Repr. +
+
Part.-Objekt-Repr. -
Part.-Objekt-Repr. +
+
Part.-Objekt-Repr. -
Part.-Objekt-Repr. +
+
Part.-Objekt-Repr. -
Part.-Objekt-Repr. +
+
Part.-Objekt-Repr. -
Part.-Selbst-Repr.+
+
Part.-Selbst-Repr.-
Part.-Objekt-Repr. +
+
Part.-Objekt-Repr. -
Part.-Objekt-Repr. +
+
Part.-Objekt-Repr. -
Part.-Objekt-Repr. +
+
Part.-Objekt-Repr. -
332
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Neurosenlehre
Borderline-Störungen, Ätiologie
Die
wichtigsten
ätiologischen
Faktoren
-
ein Übermaß an primärer
Aggression
oder auch an sekundärer, frustrationsbedingter Aggression
weitere pathogene Faktoren
sind vermutlich auch bestimmte Entwicklungsdefekte
der primären Ich-Apparate und
eine mangelhafte Angsttoleranz
(vgl. Kernberg, 1978, S. 57)
333
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
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Neurosenlehre
Borderline-Störungen, Ätiologie
Konsequenzen
-
Erstens wird durch die mangelhafte Legierung libidinöser
mit aggressiven Triebabkömmlingen die normalerweise
stattfindende Modulierung und
Differenzierung der Affektdispositionen des Ichs erheblich
beeinträchtigt, so dass eine
dauernde Neigung zu primitiven Affektausbrüchen bestehen bleibt.
(vgl. Kernberg, 1978, S. 57)
334
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
Borderline-Störungen, Ätiologie
Konsequenzen
-
Weiterhin kann auch die besondere Affektdisposition, die
etwas mit der Ichfähigkeit, Depression, Anteilnahme, und
Schuldgefühl zu empfinden, zu
tun hat, gar nicht erlangt werden, solange positive und negative Introjektionen noch nicht
zusammengekommen sind. ...
Borderline-Patienten mangelt
es oft an der Fähigkeit zu
echten Schuldgefühlen und
tiefer Anteilnahme gegenüber
anderen Menschen.
(vgl. Kernberg, 1978, S. 57)
335
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
Borderline-Störungen, Ätiologie
Alternative
ätiologische
Annahmen
These von Abend et al.:
- Die Spaltung im Erleben des Kleinkindes
sei nicht Ausdruck der normalen Entwicklung, sondern stelle sich bereits als
Folge einer pathologischen frühen Entwicklung dar.
Kritik von Wurmser:
- Mit der Akzentuierung des ich-strukturellen
Defizits gehe die Gefahr einher, die Konflikthaftigkeit der Innenwelt von Borderline-Patienten nicht genau genug wahrzunehmen.
Kritik und These von Fonagy, Target,
Gergely und Jurist:
- Die Disposition zur Herausbildung einer
Borderline-Störung gehe darauf zurück,
dass der Patient nicht die Möglichkeit
hatte, sich hinreichend die Fähigkeit zur
Mentalisierung anzueignen, sondern auf
den sog. Äquivalenzmodus fixiert blieb.336
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
Borderline-Störungen, Charakterzüge
Typische
Charakterzüge
der Patienten mit
BorderlinePersönlichkeitsstruktur
-
„Sobald sich eine Situation ergibt, aus der normalerweise
eine tiefere zwischenmenschliche Beziehung entstehen
könnte, zeigt sich die Unfähigkeit dieser Patienten zu wirklicher Einfühlung und echtem
Mitgefühl, ihre unrealistisch
verzerrte Wahrnehmung anderer
Personen und die dem Selbstschutz dienende Flachheit ihrer
emotionalen Beziehungen.“
(Kernberg, 1978, S. 58)
337
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
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Neurosenlehre
Borderline-Störungen, Charakterzüge
Typische
Charakterzüge
der Patienten mit
BorderlinePersönlichkeits
struktur
-
„Ein weiterer Wesenszug dieser
Patienten betrifft die insgesamt
stark mit Aggression durchsetzten
prägenitalen und genitalen Triebziele, die in ihrem Verhalten mehr
oder weniger subtil oder auch in
primitiverer, direkterer Form zum
Ausdruck kommen. Unverhüllte
ausbeuterische Tendenzen, eine
maßlose Ansprüchlichkeit und die
rücksichtslose und taktlose Manipulation anderer Menschen sind nur
einige der Züge, die sich leicht
feststellen lassen. Die schon erwähnte Tendenz zur Entwertung der
Objekte gehört ebenfalls dazu.“
(Kernberg, 1978, S. 59f.)
338
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
Borderline-Störungen, Psychotherapie
Entwicklung
psychotherapeutischer
Techniken für
die
Behandlung
von BorderlinePatienten
Seit der Erstveröffentlichung des Buches
‘Borderline Conditions and pathological
Narcissism‘, von Kernberg im Jahr 1975
wurde der psychodynamische Ansatz zur
Behandlung von Borderline- und narzißtischen Persönlichkeiten stetig weiterentwickelt, wie sich dies in einer Unzahl
an Literatur zu diesem Thema niederschlägt (s. Literaturverzeichnis). Später
wurden die Behandlungskonzepte auch
auf andere schwere Persönlichkeitsstörungen bezogen. Eine Autorengruppe
um Kernberg hat sich in ihrer vorläufig
letzten sehr detaillierten Darstellung der
Behandlungsmethodik darum bemüht,
ein Manual zur Psychotherapie der
Borderline-Persönlichkeit vorzulegen.339
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
Borderline-Störungen, Psychotherapie
Clarkin,
Yeomans,
Kernberg (2001) :
Psychotherapie der
BorderlinePersönlichkeit
Prinzipien der übertragungsfokussierten Psychotherapie
(Transference-Focused
Psychotherapy, TFP)
„Die Schwerpunkte und strategischen Prinzipien der übertragungsfokussierten Psychotherapie (TFP) basieren auf einem
objektbeziehungstheoretischen,
psychodynamischen Verständnis
der Persönlichkeitsstörung .... .“340
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
Borderline-Störungen, Psychotherapie
Clarkin,
Yeomans,
Kernberg (2001) :
Psychotherapie der
BorderlinePersönlichkeit
„Das hier dargestellte Therapieverfahren ist
primär darauf ausgerichtet, an den unreifen
Abwehrmechanismen anzusetzen, wie sie für
die Borderline-Störung charakteristisch
sind.“
Es ist zu erwarten, dass „sich in der psychodynamischen Therapie eine spezifische
Beziehung entwickelt, in der diese unreifen
Abwehrmechanismen in ihrem vollen Ausmaß aktiviert werden. Der Therapeut versucht, diese Abwehr nicht zu unterdrücken,
sondern sie dem Patienten verstehbar und in
ihrer bisherigen Funktion bewusst zu
machen.“
341
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
Borderline-Störungen, Psychotherapie
Clarkin,
Yeomans,
Kernberg (2001):
Psychotherapie der
BorderlinePersönlichkeit
„Das Hauptziel der TFP
besteht darin, die typischen Muster in
den internalisierten Objektbeziehungen
bei Patienten mit einer BorderlinePersönlichkeitsorganisation zu verändern, die zu den wiederkehrenden
fehlangepaßten Verhaltensweisen und
den chronischen affektiven und kognitiven Störungen führen, die für diese
Psychopathologie charakteristisch sind.
…
→
342
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Neurosenlehre
Borderline-Störungen, Psychotherapie
Clarkin,
Yeomans,
Kernberg (2001):
Psychotherapie der
BorderlinePersönlichkeit
Aus unserer Sicht beinhaltet eine tiefgreifende Veränderung der psychischen Grundstruktur auch eine Lockerung der fixierten
internalisierten Objektbeziehungen und eine
Integration der abgespaltenen Selbst- und
Objektrepräsentanzen in ausgewogenere,
reifere und flexiblere Vorstellungen von sich
selbst und den anderen. ...
Eine derartige Veränderung ... wird schrittweise erreicht, indem er (der Patient) in der
therapeutischen Beziehung erlebt, wie ihn der
Therapeut immer wieder unterstützt, sich seiner gespaltenen und polarisierten Selbst- und
Objektrepräsentanzen bewusst zu werden, die
für die Heftigkeit und das Chaos in seinem
343
subjektiven Erleben verantwortlich sind.“ ...
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Neurosenlehre
Borderline-Störungen, Psychotherapie
Clarkin,
Yeomans,
Kernberg (2001):
Psychotherapie der
BorderlinePersönlichkeit
„Das grundlegende Konzept der
psychodynamischen Therapie von
Persönlichkeitsstörungen
besteht darin, die Pathologie des Patienten
als eine im „Hier-und-Jetzt“ stattfindende
unbewusste Wiederholung pathogener,
internalisierter Beziehungserfahrungen aus
der Vergangenheit anzusehen. Unbewusste
Konflikte der Vergangenheit, die als internalisierte Beziehungsmuster in der Psyche
verankert sind, werden symbolisch immer
wieder reinszeniert und vom Patienten als
aktuelle Realität erlebt.“
344
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Neurosenlehre
Borderline-Störungen, Psychotherapie
Clarkin,
Yeomans,
Kernberg (2001):
Psychotherapie der
BorderlinePersönlichkeit
„Übertragungen …
(sind) Wiederholungen von Objektbeziehungsmustern in der Gegenwart, die auf frühen internalisierten und in der psychischen Struktur
niedergeschlagenen Erfahrungen – häufig in
verzerrter Form – beruhen; die so entstandenen
Strukturen bestimmen das gegenwärtige Erleben
von Realität und Beziehungen des Betreffenden.
Bei Borderline-Patienten enthalten die internalisierten Beziehungsmuster primitive Anteile und
führen zu pathologischen Beziehungen zum
Selbst und zu anderen Personen. Die pathologischen Muster entfalten sich in den Reaktionen
des Patienten auf den Therapeuten und stellen
die wichtigsten Mittel für das Verstehen und
Intervenieren in der inneren Welt des Patienten
dar.“ (S. 59)
345
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Borderline-Störungen, Psychotherapie
Clarkin,
Yeomans,
Kernberg (2001):
Psychotherapie der
BorderlinePersönlichkeit
Die Therapieziele werden durch
die drei folgenden strategischen
Prinzipien erreicht:
das Erkennen der dominanten Objektbeziehungsmuster des Patienten, wie sie sich
in der Übertragungsbeziehung zwischen
Therapeut und Patient darstellen
die Analyse des Rollenwechsels (beispielsweise wenn der Pat. unbewusst zwischen der
Opfer- und der Täterrolle hin und her
wechselt.)
die Integration positiver und negativer Sichtweisen von sich selbst (Opfer-Täter) und
wichtigen Bezugspersonen.
346
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Borderline-Störungen, Psychotherapie
Clarkin,
Yeomans,
Kernberg (2001) :
Psychotherapie der
BorderlinePersönlichkeit
„Die
drei Grundbestandteile
der Interventionstechnik
… sind
Klärung, Konfrontation
und Deutung der Übertragungsbeziehung zwischen Therapeut
und Patient im "Hier-und-Jetzt“.“
347
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Neurosenlehre
Borderline-Störungen, Psychotherapie
Clarkin,
Yeomans,
Kernberg (2001):
Psychotherapie der
BorderlinePersönlichkeit
Klärung, Konfrontation,
Deutung
Klärung Ö besteht darin, dass der
Therapeut das subjektive Erleben
des Patienten mit seinen unklaren
oder verwirrenden Anteilen so lange
bespricht, bis entweder der Patient
sich verwirrt fühlt, weil ein Widerspruch zutage getreten ist, oder aber
beide, Therapeut und Patient, genau
verstanden haben, was besprochen
wurde.
348
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Borderline-Störungen, Psychotherapie
Clarkin,
Yeomans,
Kernberg (2001):
Psychotherapie der
BorderlinePersönlichkeit
Klärung, Konfrontation,
Deutung
Konfrontation Ö bedeutet, dass der
Therapeut zuvor geklärte Informationen, die einander widersprechen, in
Konflikt miteinander stehen oder
keinen Sinn ergeben, zusammenträgt
und den Patienten dann taktvoll mit
diesem Material konfrontiert. Vor allem
in den frühen und mittleren Phasen
der Therapie werden die Schritte
Klärung und Konfrontation vor den
Deutungen den Vorrang haben.
349
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Borderline-Störungen, Psychotherapie
Clarkin,
Yeomans,
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Psychotherapie der
BorderlinePersönlichkeit
Klärung, Konfrontation,
Deutung
Deuten Ö heißt in diesem Therapieverfahren in erster Linie, Objektbeziehungen bewusst zu machen, die unbewusst erlebt werden und sich entweder
im Agieren oder in körperlichen Symptomen äußern.
Der Deutungsprozess Ö besteht
schließlich darin, klare Hypothesen zu
den beobachteten Widersprüchen und
Gegensätzen aufzustellen, so dass
350
diese verstehbar werden.
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Borderline-Störungen, Psychotherapie
Clarkin,
Yeomans,
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Psychotherapie der
BorderlinePersönlichkeit
Grundprinzip der
psychodynamischen Therapie
Ö von
einer Position der
technischen Neutralität aus zu
intervenieren.
–
–
„Technische Neutralität ist unentbehrlich in
der TFP, weil diese Position es dem Therapeuten erlaubt, alle an den Konflikten des
Patienten beteiligten Kräfte zu beobachten,
zu verstehen und die Interaktion zwischen
ihnen zu analysieren.
Beibehalten der technischen Neutralität
bedeutet nicht, mit dem Patienten oberflächlich und emotionslos umzugehen.“ 351
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Borderline-Störungen, Psychotherapie
Clarkin,
Yeomans,
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Psychotherapie der
BorderlinePersönlichkeit
Schritte in der Formulierung
von Deutungen
a) Erkennen und Benennen der aktuell
aktivierten Objektbeziehung.
b) Klärung, wer innerhalb der Dyade
zu welchem Zeitpunkt gerade welche
Position einnimmt.
c) Integration der voneinander
abgespaltenen Rollen in der
Übertragungssituation.
352
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Borderline-Störungen, Psychotherapie
Clarkin,
Yeomans,
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Psychotherapie der
BorderlinePersönlichkeit
Prinzipien zum Erreichen
therapeutischer Ziele
Der Patient bestimmt den Inhalt der
Stunde.
Der Therapeut fokussiert die Themen, bei
denen der Affekt des Patienten am
intensivsten ist.
Auf das Material achten, das direkt oder
indirekt auf den Therapeuten Bezug
nimmt, „da sich der Affekt des Pat. oftmals
auf das Hier-und-Jetzt“ in der Therapie
bezieht.
353Ö
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Borderline-Störungen, Psychotherapie
Clarkin,
Yeomans,
Kernberg (2001):
Psychotherapie der
BorderlinePersönlichkeit
Prinzipien zum Erreichen
therapeutischer Ziele
„In der frühen Phase der Therapie eines Borderline-Patienten ist es - ... – typisch, dass der
Patient verbal die am wenigsten wichtige Information übermittelt und dass sich die tieferen, die
bedeutsameren und vorwiegend unbewussten
Informationen durch sein Verhalten und in der
Gegenübertragung des Therapeuten mitteilen.“
Registrieren, welcher der drei Informationskanäle am stärksten affektiv besetzt ist.
Ö
354
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Borderline-Störungen, Psychotherapie
Clarkin,
Yeomans,
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Psychotherapie der
BorderlinePersönlichkeit
Prinzipien zum Erreichen
therapeutischer Ziele
„Während Übertragung und Gegenübertragung
bei Borderline-Patienten in der Regel rasch
wechseln, muss der Therapeut neben den sich
ständig verändernden Gegenübertragungsgefühlen auch seine anhaltende Gegenübertragungsdisposition prüfen.“
„Bei Borderline-Patienten besteht ein recht
hohes Risiko eines gefährlichen Gegenübertragungsagierens. ... „Der Therapeut läuft vor
allem Gefahr, projizierte Aggression in Handlung umzusetzen, indem er bei Verhaltensweisen des Patienten, die gefährdend für die
Therapie sind, „mitspielt“ oder sie nicht
355
konfrontiert.“
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Neurosenlehre
Borderline-Störungen, Psychotherapie
Clarkin,
Yeomans,
Kernberg (2001):
Psychotherapie der
BorderlinePersönlichkeit
Strategische Prinzipien der
Behandlung in Grundzügen
Ziel der TFP ist es, Patienten mit BorderlinePersönlichkeitsorganisation zu helfen, mehrdimensionale, zusammenhängende und
integrierte Bilder von sich und anderen zu
entwickeln. ... Der Therapeut zeigt dem
Patienten hierzu die jeweils aktivierten TeilSelbst- und Teil-Objektbilder und die Abwehrmechanismen auf, die deren Aufrechterhaltung
als nicht integrierte Fragmente vollständiger
Selbst- und Objektrepräsentanzen dienen.
356
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Borderline-Störungen, Psychotherapie
Clarkin,
Yeomans,
Kernberg (2001):
Psychotherapie der
BorderlinePersönlichkeit
Strategisches Prinzip 1:
Definieren der dominanten
Objektbeziehungen
¾
Schritt 1: Erleben der Verwirrung Ö häufig schon in
der ersten Stunde beunruhigende, gespannte, bedrohliche oder konfuse Atmosphäre. Die Verwirrung
verstärkt im Therapeuten das Gefühl von Hilflosigkeit. Der Therapeut sollte die Verwirrung unvoreingenommen auf sich wirken lassen und sollte aufmerksam auf die spezifische Qualität der in ihm
ausgelösten Gefühle achten (Gegenübertragung)
achten, da sie ihm als wichtiger Hinweis auf einen
derzeit im Patienten aktiven gleichartigen oder
komplementären Gefühlszustand dienen kann.
357
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Borderline-Störungen, Psychotherapie
Clarkin,
Yeomans,
Kernberg (2001):
Psychotherapie der
BorderlinePersönlichkeit
Strategisches Prinzip 1:
Definieren der dominanten
Obektbeziehungen
¾
Schritt 2: Erkennen der dominanten
Objektbeziehungen
Rückschlüsse über die internalisierten Objekte
können lediglich aus den wiederhergestellten
Interaktionsmustern des Patienten in seinen
Beziehungen zu anderen Personen, insbesondere
zum Therapeuten, gezogen werden. ... Indem der
Therapeut sich die Rollen verdeutlicht, die der
Patient gerade einnimmt bzw. dem Therapeuten
zuschreibt, kann er ein lebendiges Bild der
Repräsentanzenwelt des Patienten gewinnen.
358
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Neurosenlehre
Borderline-Störungen, Psychotherapie
Clarkin,
Yeomans,
Kernberg (2001):
Psychotherapie der
BorderlinePersönlichkeit
Strategisches Prinzip 1:
Definieren der dominanten
Obektbeziehungen
¾
Schritt 3: Benennen der Akteure
Deuten dann, wenn der Patient noch emotional
beteiligt, die Intensität des Affekts aber im
Abnehmen begriffen ist. „Der Therapeut sollte den
Prozess so genau wie möglich beschreiben und
Details erfassen, welche die Individualität des
Patienten widerspiegeln.“ Metaphern bieten oft eine
schöne Möglichkeit der Verdichtung, um die
Komplexität von Selbst- und Objektvorstellungen zu
erfassen. ….“
359
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Neurosenlehre
Borderline-Störungen, Psychotherapie
Clarkin,
Yeomans,
Kernberg (2001):
Psychotherapie der
BorderlinePersönlichkeit
Strategisches Prinzip 1:
Definieren der dominanten
Obektbeziehungen
¾
Schritt 4: Beobachten der Reaktion des Patienten
Nach Benennen der aktivierten Teil-Selbst- bzw.
Teil-Objekt-Dyade aufmerksam die Reaktionen des
Patienten beobachten! Mögliche Varianten:
a) Die beschriebene Selbst-Objekt-Interaktion wird
noch verstärkt.
b) Es kommt zum Rollentausch, z.B. benanntes
Selbstbild wird auf den Therapeuten projiziert ...
c) Die Charakterisierung kann zu erkennbarer
Einsicht führen. Der Patient liefert weiteres entsprechendes, auch neues Material.
360
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Neurosenlehre
Borderline-Störungen, Psychotherapie
Clarkin,
Yeomans,
Kernberg (2001):
Psychotherapie der
BorderlinePersönlichkeit
Strategisches Prinzip 1:
Definieren der dominanten
Obektbeziehungen
¾
Schritt 4: Beobachten der Reaktion des Patienten
Plötzliche Aktivierung einer andersartigen Objektbeziehungsdyade.
Eine zutreffende Rollenbeschreibung kann auch auf
totale Ablehnung stoßen.
„Mit Fortschreiten der Therapie werden zutreffende
Interventionen häufiger zu einer Verlagerung weg von
den geschilderten Dyaden und hin zu einer Aktivierung einer entgegengesetzten Dyade führen. Einander
entgegengesetzte Selbst- und einander entgegengesetzte Objektrepräsentanzen können dann innerhalb
einer einzigen Sitzung präsent sein. In diesem Fall
kann die Deutung der Spaltung für den Patienten
361
besonders bedeutsam sein.“ ...
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
Borderline-Störungen, Psychotherapie
Clarkin,
Yeomans,
Kernberg (2001):
Psychotherapie der
BorderlinePersönlichkeit
Strategisches Prinzip 2:
Beobachten und Deuten der
Rollenwechsel
•
•
•
„Der Therapeut sollte für jeden Patienten
eine Reihe von Charakteren festlegen und
die einzelnen Akteure mit Hilfe von Adjektiven so genau wie möglich beschreiben.
Üblicherweise werden die Rollen alternierend gespielt. ... ... ist sich der Patient
häufig nicht im klaren, welche Rolle er
gerade einnimmt ...“
Ein Rollenwechsel geht häufig dann vor
sich, wenn der Therapeut plötzlich den
Eindruck hat, den Faden verloren zu haben.
362
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
Borderline-Störungen, Psychotherapie
Clarkin,
Yeomans,
Kernberg (2001):
Psychotherapie der
BorderlinePersönlichkeit
Strategisches Prinzip 3:
Beobachten und Deuten der
Zusammenhänge zwischen sich
gegenseitig abwehrenden
Objektbeziehungsdyaden
„In der Arbeit mit Borderline-Patienten muss der
Therapeut nicht nur die unterschiedlichen Zerrbilder,
aus denen sich die Dyaden zusammensetzen, und die
Oszillationen zwischen Selbst- und Objektrepräsentanzen innerhalb dieser Dyaden herausarbeiten,
sondern er muss außerdem die Funktion erkennen,
die eine Dyade in der Beziehung zu einer anderen
ausüben kann, um die Fragmentierung und die Konflikte in der inneren Welt des Patienten vollständig
363
verstehen zu können.“
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
Borderline-Störungen, Psychotherapie
Clarkin,
Yeomans,
Kernberg (2001):
Psychotherapie der
BorderlinePersönlichkeit
Strategisches Prinzip 4:
Integrieren der abgespaltenen
Teil-Objekte
¾
¾
¾
¾
¾
¾
Kennzeichen der schrittweisen Integration von Seiten
des Patienten:
„Äußerungen des Patienten, die entweder eine
Erweiterung oder eine zusätzliche Klärung der
Kommentare des Therapeuten enthalten.
Bewahren und Tolerieren von bewusst gewordenem
Hass.
Toleranz von Phantasien und Öffnung eines
Übergangsraums.
Toleranz und Fähigkeit zur Integration von Deutungen
primitiver Abwehrmechanismen, insbesondere der
projektiven Identifizierung.
Durcharbeiten des pathologischen Größenselbst in
der Übertragung.
364
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
Borderline-Störungen, Psychotherapie
Clarkin,
Yeomans,
Kernberg (2001):
Psychotherapie der
BorderlinePersönlichkeit
Strategisches Prinzip 4:
Integrieren der abgespaltenen
Teil-Objekte
¾
¾
¾
Kennzeichen der schrittweisen Integration von Seiten
des Patienten:
Änderungen in dominanten Übertragungsthemen.
Die Fähigkeit, Schuldgefühle zu erleben und in eine
depressive Position einzutreten. ... Diese Position ist
insofern depressiv, als das Individuum den Verlust
des primitiven idealen Objekts betrauern und die
Realität akzeptieren muss, dass es kein ideales
Objekt gibt.“ ... Das „Gefühl von Schuld und Sorge
geht einher mit dem Bemühen, ambivalent geliebten
Objekten gegenüber etwas wieder gut zu machen; es
bildet die Grundlage für eine reifere Abhängigkeit,
Dankbarkeit und Kooperation in der Arbeit mit dem
Therapeuten und auch für eine Ausdehnung dieser
Fähigkeiten auf Beziehungen außerhalb des
therapeutischen Rahmens.“
365
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
Borderline-Störungen, Psychotherapie
Marsha M. Linehan:
Grundlagen der
dialektischen
Verhaltenstherapie
bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen
In: Schmitz, Fydrich,
Limbacher (1996):
Persönlichkeitsstörungen: Diagnostik
und Psychotherapie.
Weinheim: Beltz.
(S. 179-199).
¾ Die „dialektische
Verhaltenstherapie“
Die DVT kombiniert eine Gruppenbehandlung mit einer Einzelpsychotherapie, in der psychodynamische
Ansätze, verhaltenstherapeutische
Techniken und Pharmakotherapie zur
Anwendung kommen.
¾
Der Fokus der DVT
… wird auf die schweren dysfunktionalen
Verhaltensmuster, einschließlich des
suizidalen Verhaltens, gelegt.
366
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
Borderline-Störungen, Psychotherapie
M. M. Linehan:
Grundlagen der
dialektischen
Verhaltenstherapie
bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen
(a.a.O.)
¾ Die „dialektische
Verhaltenstherapie“
•
Die theoretischen Grundlagen
der Behandlung werden gebildet durch
• eine biosoziale Theorie,
• dialektisch philosophische
Annahmen,
• die Zen-Prinzipien und
• die verhaltenstheoretisch fundierten Prinzipien, die nach wie vor die
Auswahl der Strategien bestimmen.
367
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
Borderline-Störungen, Psychotherapie
M. M. Linehan:
Grundlagen der
dialektischen
Verhaltenstherapie
bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen
¾ Die „dialektische
Verhaltenstherapie“
Der Begriff „kognitiv“ wurde ersetzt durch den Begriff
„dialektisch“
•
weil die Behandlung nicht mehr auf einer
kognitiven Theorie der Verhaltens- und
emotionalen Dysfunktion basiert;
•
weil ein breiterer, theoretischer Rahmen
benötigt wurde, der die modifizierte
philosophische, theoretische und technische
Grundlage der Behandlung umfassen konnte.
(a.a.O.)
368
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
Borderline-Störungen, Psychotherapie
M. M. Linehan:
Grundlagen der
dialektischen
Verhaltenstherapie
bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen
(a.a.O.)
¾ Die „dialektische
Verhaltenstherapie“
Biosoziale Theorie
Basishypothese:
Die DVT geht davon aus, dass „die
Verhaltensmuster bei der BorderlinePersönlichkeitsstörung
entweder funktionell in Beziehung zu
einer fundamentalen Dysregulation des
emotionalen Systems stehen
oder unvermeidbare Konsequenzen
dieser Dysregulation sind. …
369
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
Borderline-Störungen, Psychotherapie
M. M. Linehan:
Grundlagen der
dialektischen
Verhaltenstherapie
bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen
¾ Die „dialektische
Verhaltenstherapie“
•
„Diese systemische Dysregulation ist eine Folge
von emotionaler Vulnerabilität in Kombination mit
ausgeprägten Schwierigkeiten, emotionale
Reaktionen zu steuern.“
(a.a.O.)
•
Emotionale Vulnerabilität
Ö hohe Sensitivität für emotionale Reize
Ö heftige emotionale Reaktionen
Ö langsame Rückkehr zur Baseline
Biosoziale Theorie
370
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
Borderline-Störungen, Psychotherapie
M. M. Linehan:
Grundlagen der
dialektischen
Verhaltenstherapie
bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen
(a.a.O.)
¾ Die „dialektische
Verhaltenstherapie“
Biosoziale Theorie
„Defizite in der Regulation von Emotionen sieht Linehan
„möglicherweise verursacht“ dadurch, dass BorderlinePatienten nicht hinreichend in der Lage sind:
•
stimmungsabhängige dysfunktionale Verhaltensweisen zu hemmen;
•
ihr Verhalten auf Ziele auszurichten, unabhängig von
momentanen Stimmungen;
•
ihre physiologische Erregung situationsadäquat zu
steigern oder zu verringern;
•
die Aufmerksamkeit von emotional erregenden
Reizen abzuziehen;
•
dem emotionalen Erleben (zu begegnen(?)), ohne
sofortigen Rückzug oder ohne weitere extreme
negative Emotion zu entwickeln.
371
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
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Neurosenlehre
Borderline-Störungen, Psychotherapie
M. M. Linehan:
Grundlagen der
dialektischen
Verhaltenstherapie
bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen
(a.a.O.)
¾ Die „dialektische
Verhaltenstherapie“
Biosoziale Theorie
•
Die Mechanismen der initialen Dysregulation
seien unklar geblieben!
•
Allerdings geht Linehan davon aus, „dass
biologische Faktoren eine wichtige Rolle
spielen würden.“ Diese könnten sich zusammensetzen aus genetischen Einflüssen,
pränatalen Faktoren und traumatischen
Kinheitserlebnissen, die die Entwicklung des
Gehirns und des Nervensystems betreffen.
372
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
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Neurosenlehre
Borderline-Störungen, Psychotherapie
M. M. Linehan:
Grundlagen der
dialektischen
Verhaltenstherapie
bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen
(a.a.O.)
¾ Die „dialektische
Verhaltenstherapie“
Biosoziale Theorie
•
Aus der Perspektive von Linehan haben Emotionen eine
kognitive Bewertungskomponente, eine physiologische
oder biochemische Komponente, eine phänomenologische Erfahrungskomponente, eine muskuläre und
mimische Komponente, und eine Handlungskomponente.[1]
•
„Es ist das System, das dysreguliert ist.“
[1] Eine kommunikative Komponente von Emotionen findet auffälligerweise keine
Erwähnung.
•
Linehan betont, dass - angeblich im Unterschied zu
anderen Theorien - die DVT annehme, daß die Regulation
und Toleranz aller Emotionen dysfunktional vonstatten
gehe. Daraus leite sich das Postulat ab, spezifisch
emotionale Erfahrungen und Dysregulationen im
jeweiligen Einzelfall „äußerst gründlich“ zu erfassen.373
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
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Neurosenlehre
Borderline-Störungen, Psychotherapie
M. M. Linehan:
Grundlagen der
dialektischen
Verhaltenstherapie
bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen
(a.a.O.)
¾ Die „dialektische
Verhaltenstherapie“
Biosoziale Theorie
¾ Invalidierende Umfelder
•
Damit sich eine Borderline-Persönlichkeitsstörung entwickelt, reicht eine
anfängliche temperamentsbedingte
Vulnerabilität gegenüber emotionaler
Dysregulation nicht aus. Hinzutreten
müsse ein sog. „invalidierendes
Umfeld“.
374
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Borderline-Störungen, Psychotherapie
M. M. Linehan:
Grundlagen der
dialektischen
Verhaltenstherapie
bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen
¾ Die „dialektische
Verhaltenstherapie“
Biosoziale Theorie
¾ Invalidierende Umfelder
•
(a.a.O.)
•
Ö Tendenz, persönliche Erfahrungen zu
negieren und/oder unberechenbar und
unangemessen (?) auf sie zu reagieren
Ö Insbesondere emotionale Erfahrungen
und Interpretationen von Ereignissen
werden oft als nicht angemessene
Reaktionen betrachtet, werden bestraft,
trivialisiert, abgetan oder nicht beachtet,
und/oder sie werden auf sozial unakzeptierte
Eigenschaften zurückgeführt, z.B. auf
Überempfindlichkeit, Boshaftigkeit etc. 375
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
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Neurosenlehre
Borderline-Störungen, Psychotherapie
M. M. Linehan:
Grundlagen der
dialektischen
Verhaltenstherapie
bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen
¾ Die „dialektische
Verhaltenstherapie“:
Biosoziale Theorie
¾ Invalidierende Umfelder
•
(a.a.O.)
•
•
•
Ö Es werden negative Emotionen unterstellt
(Projektionen) und zugleich werden negative
Affekte kaum geduldet.
Ö Die Notwendigkeit der Kontrolle von
Emotionen wird sehr betont.
Ö Tendenz, das Verhalten vor allem durch
Strafen zu regulieren.
Linehan geht davon aus, dass sexueller
Missbrauch der Prototyp des invalidierenden
Umfeldes für Kinder sei.
376
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
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Neurosenlehre
Borderline-Störungen, Psychotherapie
M. M. Linehan:
Grundlagen der
dialektischen
Verhaltenstherapie
bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen
¾ Die „dialektische
Verhaltenstherapie“
Biosoziale Theorie
¾
Invalidierende Umfelder
•
Die Betroffenen würden auf diese Weise lernen,
ihren inneren Zuständen zu misstrauen, und
würden stattdessen in ihrer Umgebung nach
Anhaltspunkten dafür suchen, wie sie zu handeln,
zu denken und zu fühlen hätten (gilt vor allem für
die abhängige Persönlichkeitsstörung oder/und
das sog. „falsche Selbst“ (Winicott)).
In auffälliger Übereinstimmung mit gleichlautenden Formulierungen der Psychodynamik versteht
Linehan „die für die Borderline-Persönlichkeitsstörung charakteristischen dysfunktionalen Verhaltensweisen als fehlangepasste Lösungsversuche für überwältigenden, äußerst schmerz377
haften negativen Affekt“.
(a.a.O.)
•
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Neurosenlehre
Borderline-Störungen, Psychotherapie
¾
M. M. Linehan:
Grundlagen der
dialektischen
Verhaltenstherapie
bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen
Die „dialektische Verhaltenstherapie“
Richtlinien für die kognitive Therapie der
Persönlichkeitsstörungen
•
•
•
(a.a.O.)
•
•
Interventionen sind am wirksamsten, wenn sie auf
einer individualisierten Konzepterstellung der
Probleme des Klienten beruhen.
Es ist sowohl für den Therapeuten als auch für den
Klienten wichtig, miteinander auf klar festgelegte,
gemeinsame Ziele hinzuarbeiten.
Es ist wichtig, der Therapeut-Klient-Beziehung mehr
Aufmerksamkeit als gewöhnlich zu schenken. Ö
Das, was im psychoanalytischen Bezugsrahmen
„Übertragung“ genannt wird, seien „aus kognitiver
Sicht Übergeneralisierte Überzeugungen und
Erwartungen, die der Klient in Beziehungen zu
Bezugspersonen erworben hat.
Überlegen Sie, mit therapeutischen Schritten zu
beginnen, die kein ausführliches Sich-Öffnen
erfordern.
Interventionen, die das Gefühl der Selbstwirksamkeit des Klienten stärken, reduzieren oft die Inten378
sität seiner Symptomatik und erleichtern andere
Interventionen.“
Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie
Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin
Neurosenlehre
Borderline-Störungen, Psychotherapie
M. M. Linehan:
Grundlagen der
dialektischen
Verhaltenstherapie
bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen
¾
(a.a.O.)
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Die „dialektische Verhaltenstherapie“
Richtlinien für die kognitive Therapie der
Persönlichkeitsstörungen
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Verlassen Sie sich nicht hauptsächlich auf verbale Interventionen. Ö Hierarchie von Verhaltensexperimenten
Bemühen Sie sich, die Ängste Ihres Klienten zu erkennen
und anzusprechen, bevor sie Veränderungen initiieren.
Helfen Sie dem Klienten, angemessen mit aversiven Emotionen umzugehen.
Rechnen Sie mit Problemen hinsichtlich der Compliance.
Gehen Sie nicht davon aus, dass der Klient in einem „vernünftigen“ Umfeld lebt. Ö Bei der Initiierung von Veränderungen ist es (daher) wichtig, die zu erwartenden Reaktionen
der Bezugspersonen im Umfeld des Klienten einzuschätzen,
anstatt nur anzunehmen, sie seien angemessen.
Achten Sie während des Therapieverlaufs auf ihre eigenen
emotionalen Reaktionen. Ö „Da emotionale Reaktionen
nicht zufällig entstehen, ist eine außergewöhnlich starke Gefühlsregung wahrscheinlich eine Reaktion auf einen bestimmten Aspekt des Klientenverhaltens.“
Seien Sie realistisch hinsichtlich der Dauer und der Ziele der
Therapie sowie der Maßstäbe, die Sie an sich legen. 379