Thema: Bildanalyse - HS-OWL

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Thema: Bildanalyse - HS-OWL
Hochschule Ostwestfalen-Lippe
Detmolder Schule für Architektur und Innenarchitektur
WS 11/12
Grundlagen Farbe und Material
Dozent: Prof. Thomas Kesseler
Autor: Katharina Obst
Thema: Bildanalyse
Abbildung
Vincent van Gogh
Auf dem Rücken liegende Krabbe (Januar, 1889)
Öl auf Leinwand, 38 x 46,5 cm
Van Gogh Museum Amsterdam
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Kurzbiografie
Vincent Willem van Gogh wird am 30. März 1853 in dem niederländischen Dorf
Groot-Zundert (Nordbrabant) als Sohn eines Predigers der NiederländischReformierten Gemeinde geboren.
Noch während seiner Jugendzeit versucht sich Vincent an ersten Zeichnungen.
Nach Abbruch der Internatsschule in Tilburg beginnt Vincent als Lehrling in der
Pariser Kunsthandlung „Goupil & Cie“ in Brüssel. Seine Stellung kündigt er jedoch
später wieder und versucht sich in weiteren Berufen, wie Hilfslehrer und -prediger
in London.
Vincent besucht von August bis Oktober 1878 eine Evangelistenschule in Laeken
bei Brüssel, da er zu der Zeit seine Berufung in der Predigt und der Religion sieht.
Er wird jedoch für den Beruf des Laienpredigers als ungeeignet befunden. Aufgrund
dessen reist Vincent im Dezember des gleichen Jahres ins belgische Kohlerevier,
das Borinage, um dort, unter ärmlichsten Umständen, sein Können unter Beweis zu
stellen. In dieser Zeit entstehen erste Skizzen von Bergarbeitern.
Im Jahre 1880 entschließt sich Vincent, sich auf dem Gebiet der Kunst zu bewegen
und Maler zu werden. Er studiert in Brüssel an der Kunstakademie anatomisches
und perspektivisches Zeichnen von Oktober 1880 bis April 1881.
Es entstehen erste Aquarelle und Stillleben in Öl, beruhend auf Arbeiten anderer
Künstler (Millet und Delacroix).
Um sich weiter fortzubilden wird er von Anton Mauve, einem Maler, in Den Haag
unterrichtet. Der Kontakt zu Mauve bricht später ab und Vincent beginnt
Landschaften zu malen.
Nach der Trennung von Clasina Maria Hoornik, genannt Sien, mit der er ein Jahr in
Den Haag zusammenlebte, wohnt er ab 1883 zwei Jahre in Nuenen bei seinen
Eltern. In diesen zwei Jahren entstehen rund 200 Gemälde, die eine dunkle und
erdfarbende Tonalität auszeichnet, unter anderem von Portraitstudien, nachdem
zuvor Landschaften und Menschen bei der Arbeit im Vordergrund standen.
Vincent wird, nachdem er im Jahr 1886 in Paris eintrifft, durch Theo mit weiteren
Malern wie Monet, Renoir, Sisley und Seurat bekannt. Weiterhin freundet er sich
mit Paul Gauguin an.
In seiner Pariser Zeit (rund zwei Jahre) entstehen erneut ca. 200 Gemälde, die durch
hellere Farben gekennzeichnet sind.
1888 zieht er nach Arles und mietet sich den rechten Flügel des „gelben Hauses“ am
Place Lamartine.
Im Oktober zieht Gauguin nach mehrerer Aufforderung zu ihm. Die Beziehung der
beiden verschlechtert sich jedoch rapide und Vincent erleidet in der Nacht vom 23.
auf den 24. Dezember einen Anfall geistiger Umnachtung und schneidet sich den
unteren Teil des linken Ohres ab.
1889 wird er auf eigenen Wunsch in das Asyl für Geisteskranke Saint-Paul-deMausole bei Saint-Rémy-de-Provence eingewiesen.
Im folgenden Jahr lässt er sich in Auvers-sur-Oise bei Paris nieder, da hier Dr.
Gachet, den er während seines Aufenthaltes portraitiert, lebt und sich um ihn
kümmern soll.
Er erliegt, aufgrund eines Schusses in die Brust, welchen er sich selbst zufügt, zwei
Tage zuvor, am 29. Juli 1890 in der Nacht seinen Verletzungen und wird am
Folgetag auf dem Friedhof von Auvers beerdigt.
Abbildungen:
von oben nach unten: Selbstportrait 1886, Haags Gemeentemuseum, Den Haag; Selbstportrait 1887, The Art Institute of Chicago, Chicago;
Selbstportrait 1887, Van Gogh Museum, Amsterdam; Selbstportrait (Gauguin gewidmet) 1888, Fogg Art Museum, Harvard University, Cambridge
(Mass.); Selbstportrait mit verbundenem Ohr und Pfeife 1889, Collection Niarchos
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Bildinhalt, Bildanalyse und Bildinterpretation
1. Bildinhalt
Das Bild „Auf dem Rücken liegende Krabbe“ aus dem Jahre 1889 zeigt ein
Stillleben einer auf dem Rücken liegenden Krabbe vor einem Hintergrund aus
grünen, breiten Pinselstrichen.
2. Bildanalyse
2.1. Analyse und Interpretation der Bildkomposition
Bei der Bildkomposition fällt bei der Position der Krabbe deutlich etwas
auf: Obwohl die Krabbe wichtigster Bestanteil des Bildes ist, befindet sie
sich nicht zentral. Das Bild ist, wie man gut an der Skizze 1 erkennen kann,
linkslastig, d.h. es befindet sich nicht im Gleichgewicht.
Das wird besonders deutlich, wenn man sich Skizze 2 anschaut.
Durch die Verbindung der äußersten Punkte an der Ober- und der
Unterseite der Krabbe wird ersichtlich, dass die linke Seite definitiv mehr
belastet ist, als die rechte Seite, denn die Linien laufen nachts rechts hin
zusammen, nach links hin auseinander.
Weiterhin wird ein klares Gefälle sichtbar, da die leichte Steigung von der
Unterseite der Krabbe ersichtlich geringer ist, als die negative Steigung der
Oberseite. Würde man die Linien über die Bildgrenze hinaus weiterziehen,
würden sich diese in einem Punkt schneiden. Es wirkt wie ein Pfeil, der
nach rechts zeigt.
Die komplette Komposition des Bildes erzeugt eine deutliche Spannung.
Durch die Linkslastigkeit des Bildes scheint das Bild nach links zu kippen.
Die negative Steigung, die durch die Lage entsteht, in der sich die Krabbe
befindet, wirkt jedoch entgegengesetzt.
Die negative Steigung deutet eher auf eine allgemeine negative Stimmung
des Bildes. Die Tatsache, dass sich die Krabbe auf ihrem Rücken befindet,
wird somit noch durch Komposition hervorgehoben. Für die Krabbe ist so
eine Situation mit Hilflosigkeit, Todesangst und Ausweglosigkeit
verbunden, da sie es von sich aus nicht schaffen würde, sich wieder auf die
Beine zu drehen und so elendig sterben würde.
Diese Situation lässt sich mit der von Van Gogh vergleichen. Zur der Zeit,
als unter anderem dieses Bild entstand, bestand sein Leben aus vielen
Krankenhausbesuchen, basierend auf dem Vorfall Ende Dezember 1888,
bei dem Van Gogh sich bei einem Anfall geistiger Umnachtung den
unteren Teil des linken Ohres abschnitt.
Van Gogh klagte häufig über Wahnvorstellungen, Depressionen und
Alpträumen. Er war sich bewusst, dass er es ohne fremde Hilfe nicht
schaffen könnte; genauso wie diese Krabbe. Er begab sich hilf- und wehrlos
in die Hände der Ärzte.
Die sich zuspitzende Form der Krabbe, die durch die beiden Linien
verbunden gar pfeilförmig ist, lässt sich als Fortlauf bzw. als Entwicklung
deuten, die in diesem Fall jedoch tendenziell negativ zu sein scheint.
Schaut man weiter in das Leben Van Goghs lässt sich dies nur bestätigen.
Selbst wenn er zwischenzeitlich Fortschritte gemacht hat, es endet mit
seinem Freitod.
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Skizze 1: Bildkomposition, Bildelemente, Bildaufteilung
Skizze 2: Bildkomposition, Neigungen
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2.2. Analyse und Interpretation des Pinselduktus‘
Typisch für Van Goghs Werk ist sein ausdrucksvoller Pinselduktus.
Dieser prägt sich ab 1886, nach dem Kontakt zum Impressionismus, weiter
aus.
Bei diesem Bild ist in Bezug auf den Pinselduktus vor allem der grünliche
Hintergrund interessant: Als allererstes fällt auf, dass sich die Pinselstriche
des Hintergrundes an der Form der Krabbe orientieren. Sehr deutlich wird
dies im unteren Bereich des Bildes bei den Schatten der Krabbe. Diese
Schatten bestehen aus einzelnen Pinselstrichen, die vom jeweiligen,
schattengebenden Teil der Krabbe abhängig sind (siehe Skizze 4).
Im unteren linken Bereich bewegt sich der komplette Pinselduktus
angepasst an die Scheren der Krabbe. Der obere, hellere Bereich ist
gekennzeichnet durch wesentlich breitere Pinselstriche, die teils angepasst
an die Form der Krabbe, aber größtenteils wie wild übereinandergesetzt
erscheinen. Zusammenfassend erzeugt der Pinselduktus einen Eindruck von
Bewegung.
Im Gegensatz zum Hintergrund ist die Struktur der Krabbe um einiges
detaillierter und feiner. Der für Van Gogh typische Pinselduktus ist zwar
erkennbar, aber in der Intensität nicht so ausgeprägt. Er wirkt präziser
gesetzt, erzeugt aber auch hier einen Eindruck von Bewegung (vgl. Skizze
3).
Unter anderem durch die teils vorhandenen Konturen der Krabbe setzt sich
diese von ihrer Umgebung ab.
Die empfundene Bewegung kann von der Bewegung des Hintergrundes
abhängig gemacht werden. Die Krabbe wird durch die Bewegung des unter
ihr befindlichen Wassers hin und her bewegt wie ein kleines Boot.
Würde man die Tatsache, dass Van Gogh eine tote Krabbe als Modell
gewählt hat, außer Betracht lassen, unterstreicht diese Abhängigkeit die
hilflose und wehrlose Situation der Krabbe nur noch: Ihr bleibt gar nichts
anderes übrig, als sich den Gegebenheiten und dem Rhythmus des Wassers
hinzugeben.
Trotzdem scheint es so, als ob sich die Krabbe gegen ihre hilflose Situation
wehrt – nicht nur durch die Eigenbewegung, die durch den strichartigen
Pinselduktus innerhalb der Krabbe entsteht, sondern vor allem durch die
Schattenstriche auf der grünen Fläche, die sich der Form der Krabbe
anpassen. Solch eine Darstellung von Bewegung erinnert zum Beispiel an
Comicfiguren, bei denen an bewegungsreichen Körperteilen mehrere solche
sich der Form des Körperteils anpassenden Striche angesetzt sind.
Van Gogh haucht dem toten Tier so wieder Lebendigkeit ein.
Weiterhin setzt Van Gogh bei dieser Krabbe, wie später häufiger im
Expressionismus zu sehen, dunkle Konturen. Unter anderem durch diese
teils vorhandene dunkle Umrandung setzt sich die Krabbe von ihrer
Umgebung ab. Die Krabbe wirkt in sich stimmig und grenzt sich, wie oben
bereits erwähnt, von der wild wirkenden Umgebung ab. Die Krabbe rückt
so in den bildlichen Vordergrund und ist trotz der nicht zentralen Position
Blickfang.
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Skizze 3: Pinselduktus in der Krabbe
Skizze 4: Pinselduktus Bildhintergrund
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2.3. Analyse und Interpretation von Licht und Schatten
Van Gogh benutzt diese Krabbe als Studienobjekt für den Fall von Licht
und Schatten. Es scheint in ihm großes Interesse hervorgerufen zu haben,
zu untersuchen, wie das Licht vom Panzer der Krabbe reflektiert wird. Der
feinere und detailliertere Pinselduktus unterstützt seine Untersuchungen
und zeigt weiterhin, dass es ihm wichtig war, diese Krabbe so genau wie
möglich darzustellen.
Auf der Skizze kann man ganz deutlich die Licht- und Schattenverteilung
erkennen. Mit Hilfe der Tontrennung lassen sich die einzelnen, grauen
Farbnuancen einander vergleichen. Die dunkelsten Stellen im
Bildhintergrund sind die dunklen Schattenstriche unterhalb der Krabbe, auf
der Krabbe selbst sind es die Scheren, die Füße und Schattenpartien zB.
unterhalb des rechten Arms. Die weißen Partien beschreiben die
Lichtreflexion.
Bild: Tontrennung; Darstellung von Licht und Schatten
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2.4. Analyse und Interpretation der Farbe – Farbkontraste
Die Farben des Bildes lassen sich in fünf Hauptfarben aufteilen: Blau (7),
Orange (2-3), Grün (5-6) und Braun (1; 4).
Dabei befinden sich die Orange-, Rot- und Brauntöne in der Krabbe, die
grünen und blauen Farbtöne bilden den Hintergrund.
Der grüne Hintergrund (vgl. Farbton 5) ist im oberen, rechten Bereich mit
weiß aufgehellt (vgl. Farbton 6), im unteren linken Bereich mit Blau (7)
schattiert.
Am rechten Bildrand sind ein paar wenige beige-braune, sandfarbende
Akzente.
Den größten Teil der Bauchseite des Körpers ist durch ein helles Beige (1)
gekennzeichnet, welches mit braunen Farbtönen (4) verdunkelt wird. Die
Stellen, die zum Rücken gehören, sowie die äußeren Gliedmaßen sind mit
Orangetönen (2) gefüllt, die an den dunkleren Stellen bis ins Rötliche (3)
führen.
Die dunkelsten Stellen des Panzers sind zudem mit Blau und Schwarz
gefärbt, zB. die Scheren.
In diesem Bild sind fünf von sieben Farbkontrasten vertreten.
1. Farbe-an-sich-Kontrast: Dort, wo Krabbe und grüner Hintergrund
direkt aufeinandertreffen ist der Farbe-an-sich-Kontrast am stärksten.
Dort trifft kräftiges Orange-Rot auf ein klares Gras-Grün. Dieser
Kontrast wird zu den Bildrändern und zur Bildmitte hin schwächer, da
die Farben mit Weiß und blau-schwarzen Farben getrübt werden.
2. Qualitätskontrast: Diesen Kontrast findet man vor allem im grünen
Hintergrund. Im oberen linken Bereich wird das Grün mit weiß
vermischt, die Qualität der reinen Farbe nimmt ab.
3. Warm-Kalt Kontrast: Da das Grün im Hintergrund kein kaltes Grün ist,
sondern eher warm wirkt, findet man diesen Kontrast nicht so häufig in
diesem Bild. Jedoch findet man ihn dort, wo die warme, braunorangene Farbe des Panzers auf die blau-schwarzen Scheren und blaugrünen Schatten im unteren Bereich des Bildes trifft.
4. Hell-Dunkel-Kontrast: Auf den ersten Blick nicht allzu präsent ist der
Hell-Dunkel-Kontrast. Er tritt hauptsächlich an den Stellen auf, wo sich
die Füße der Krabbe und die Scheren befinden, da hier die blauschwarze Farbe direkt an helle Stellen grenzen, bei den Fußen ist es das
helle Grün, bei den Scheren der hell sandfarbende Bauch der Krabbe.
Zudem tritt er an einigen Stellen des Körpers auf, wo rein weiße Farbe
als Lichtreflexionen aufgetragen ist (vgl. Skizze „Licht- und
Schattenanalyse“). Auch durch die dunklen Konturen der Krabbe wird
an einigen Stellen der Kontrast hervorgerufen.
5. Komplementär-Kontrast: Dieser Kontrast ist definitiv der
Dominanteste. Dieser Kontrast tritt an zwei Stellen am deutlichsten auf:
einmal dort, die zum Rücken gehörenden rot-orangenen Körperteile
und Beine auf den grünen Hintergrund treffen. Hier kontrastieren die
rötlichen Teile vom Korpus mit dem grünen Hintergrund.
Weiterhin findet man ihn dort, wo mit Hilfe blauer Farbe schattiert
worden ist, zB. im unteren Bereich des Bildes unter der Krabbe, aber
auch innerhalb der Krabbe durch die Konturen und dunklen Stellen, zB.
unterhalb der Arme. Hier kontrastieren die blauen Farbtöne mit den
orangenen Farbanteilen der Krabbe.
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Alle der aufgeführten Farbkontraste dienen dazu, eine Spannung zwischen
Objekt und Hintergrund hervor zu rufen. Die Krabbe setzt sich somit nicht
nur durch den Pinselduktus, sondern auch durch die Farbkontraste von ihrer
Umgebung ab. Die Krabbe wird so einmal mehr Blickfang und
Hauptaugenmerk des Bildes.
Die sandfarbenden Farbakzente am rechten Bildrand wirken der
linkslastigen Komposition entgegen.
3. Zusammenfassende Bildinterpretation
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich Van Gogh dieser Krabbe sehr
detailliert genähert hat und sich intensiv mit seinem Motiv auseinander gesetzt
hat. Dies erkennt man nicht nur an der detaillierten Darstellung von Licht und
Schatten, sondern auch an seinem gar gezügelt wirkenden Pinselduktus auf dem
Korpus der Krabbe.
Auch durch diesen reduzierten Pinselduktus kombiniert mit den dunklen
Konturen und den Farbkontrasten, hier vor allem der Komplementärkontrast,
sticht die Krabbe hervor. Sie setzt sich vom Hintergrund ab.
Die linkslastige Bildkomposition und die Farbkontraste erzeugen Spannung und
machen das Bild für den Betrachter interessant, das Zusammenspiel der Farben
wirkt zudem harmonisch für das Auge des Betrachters.
Bezogen auf Van Goghs Lebenssituation, lassen sich Verbindungen zur
Auseinandersetzung mit seiner Psyche erkennen, wobei das Augenmerk Van
Goghs bei diesem Bild wohl eher der detaillierten und präzisen Darstellung des
Panzers, sowie den Licht- und Schattenpartien, lag.
Dafür ist sein expressiver Pinselduktus zu sehr beschränkt, die Verbindungen
werden alleinig von der Tatsache abhängig gemacht, dass die Krabbe auf dem
Rücken liegt.