03/2015

Transcription

03/2015
2
Juli 2015
Nr. 67
Freireligiöse Jugendweihe 2015
Neben ihren Guckkästen blicken hier mutig und froh in die Zukunft:
Unten: Daniela Schneider, Philippine Zerfaß, Virginia Müller und Pfarrer Martin Buchner.
Oben: Nils Augustin, Pascal Szokol, Ben Greuloch, Laslo Marx, Sebastian Elfner
und Vorsitzender Gerhard Schneider.
Die Zukunft hat viele Namen:
Für Schwache ist sie das Unerreichbare,
für die Furchtsamen das Unbekannte, für die Mutigen die Chance.
Victor Hugo 1802 - 1885
2
UNSERE JUGENDWEIHE am 12. April 2015
Besucherrekord: 230 Menschen im Gemeindezentrum
der Freien Religionsgemeinschaft! Ein fast übervolles
Haus anlässlich der feierlichen Aufnahme von acht Jugendlichen in unsere philosophische, humanistische
und naturverbundene Gemeinde. Musikalisch begleitet
wurde die Feierstunde von Dipl. Musiker Tiberius und
Irina Busneag mit neuen und alten Hits, die die Festgemeinde begeisterten.
Ihre persönlichen Standpunkte äußerten die Jugendlichen eindringlich in eigenen Texten zur Erläuterung
selbstgewählter Sinnsprüche aus den Werken bedeutender Dichter und Denker. Die Grundsatzrede von
Pfarrer Buchner stand unter dem Motto von Ralph
Waldo Emerson: „Es ist nicht ein willkürlicher ‚Ratschluss‘ Gottes, sondern es liegt in der Natur des Menschen, dass ein Vorhang uns das Morgen verbirgt.“ Das
Morgen, das ist die Zukunft, von der wir getrennt zu
sein scheinen wie durch einen Schleier – wie der amerikanische Philosoph schrieb. Weil das so ist, leben wir
alle im Heute. Und doch stellen wir uns die Frage, wie
es denn sein wird, wenn die Kinder von heute im Haus
von Morgen wohnen werden. Ihre Antworten darauf
hatten die Jugendlichen bereits im Seminar in zwei Zukunfts-Guckkästen eingebracht.
Präsentation der künstlerischen Arbeiten
Pfarrer Buchner: „Die Zukunft ist jetzt im Kasten. Der
Guckkasten ist eigentlich ein Gegenstand aus der Vergangenheit. Im 17., 18. und frühen 19. Jahrhundert gab
es den Guckkästner, meist ein armer Mann, ein Kriegsinvalide mit einem Holzbein, der von einem Jahrmarkt
zum anderen humpelte, um den neugierigen Menschen
seinen Guckkasten zu zeigen – für ein paar Pfennige
konnten die Leut‘ durch eine Linse, ein Vergrößerungsglas, in den nach vorne geschlossenen Kasten hineinschauen, während der Guckkästner die Bilder
erläuterte. Bilder bekamen die meisten Menschen damals nur in den Kirchen zu sehen, und so war der
Guckkasten ein neues und wichtiges Massenmedium,
eine Art frühes Fernsehgerät mit noch nie gesehenen
Bildern von fremden Städten und Landschaften. Aber
auch voller Bilder von Kriegen, Großbränden und Erdbeben, also voll mit dem, wovor sich Menschen fürchten, aber auch neugierig und sensationslüstern
angezogen werden – sofern sie nicht selbst davon betroffen sind.
Eure selbstgebastelten Guckkästen, liebe Jugendweihlinge, sind anders. Sie sind offen und zeigen nicht
eine fremde Welt der Gegenwart, sondern die eigene
Welt der Zukunft, so wie ihr sie euch vorstellt – mit naturalistischen Bildern, mit Symbolischem und Verschlüsseltem. Das macht uns jetzt alle neugierig, zumal
es jetzt etwas für uns ‚umsonst‘ gibt.“
Die Mädchengruppe: „Wir haben auf unseren Zukunftskasten eine Weltkugel mit vielen Hochhäusern
geklebt, da es in naher Zukunft wahrscheinlich so sein
wird, dass es immer höhere Wolkenkratzer geben wird,
weil sich jedes Land übertrumpfen muss.
Unter den ganzen Hochhäusern haben wir einen Kinderwagen, ein Hochzeitspaar und eine Katze geklebt,
weil wir uns in der Zukunft wünschen, zu heiraten, Kinder zu bekommen oder Haustiere, zum Beispiel eine
Katze, zu haben.
Oben am Himmel unseres Guckkastens schwebt ein
pinkfarbenes Einhorn auf einem Regenbogen, da keiner
weiß was in der Zukunft passiert. Das Einhorn symbolisiert das ungewisse und fantastische der Zukunft. Wir
wissen nicht, ob es irgendwo Aliens oder Einhörner
gibt, die von anderen Planeten kommen, ob es fliegende Autos oder Roboter geben wird, oder ob mehr
für die Umwelt getan wird, damit unser Planet nicht
ausstirbt.“
3
Die Jungengruppe: „Das fliegende Auto soll eine reiche Zukunft darstellen. Der Mount Rushmore soll darstellen, dass wir in der Zukunft in gewisser Weise
berühmt werden wollen, und dass jeder Mensch etwas
auf der Erde hinterlässt. Die Straße und die Berge stellen dar, dass wir alle mal die Welt bereisen wollen. Das
Ufo steht dafür, dass man in der Zukunft vielleicht auf
andere Planeten reisen kann.“
Jugend ist nicht ein Lebensabschnitt – Jugend ist
ein Geisteszustand. Sie ist Schwung des Willens,
Regsamkeit der Phantasie, Stärke der Gefühle,
Sieg des Mutes über Feigheit, Triumph der Abenteuerlust über die Trägheit.
ALBERT SCHWEITZER, 1875-1965
Der Künstler hat übrigens bis 1941 am MountRushmore-Erinnerungsdenkmal 14 Sommer an den
Köpfen der vier Präsidenten herumgemeißelt und gesprengt – und ist sogar darüber gestorben. Ihr habt es
dank der digitalen Technik und der Unterstützung durch
Christiane Friedrich in kürzerer Zeit geschafft. Eine clevere Idee. Einer der Köpfe am Mount Rushmore ist der
von Thomas Jefferson, einem frühen Präsidenten der
USA, der für die Religionsfreiheit eingetreten ist und mit
den amerikanischen Freireligiösen, den Unitariern, sehr
verbunden war. Kein Wunder, daß heute einige Freie
Religionsgemeinschaften in den USA seinen Namen
tragen, so z.B. die Thomas Jefferson Unitarian Church
in Louisville/Kentucky.
Auf einer Internetseite der US-Unitarier sind die Gemeindemitglieder, Junge und Alte in vielen Hautfarben,
auf einem fröhlichen Foto zu sehen, zusammen mit
dem Banner-Slogan „Standing on the side of love“.
Liebe soll auch Eure Taten lenken und Euch erfüllen
ebenso wie der Geist der Gerechtigkeit und der Geist
der Wahrheit, der euch leiten soll auf Eurem Weg in die
Zukunft. Was immer ihr dann sein werdet, und wo
immer ihr dann auch seid, möge Euch die Freireligiöse
Gemeinde Idar-Oberstein das bleiben, was sie jetzt
schon ist: Eure geistige Plattform, eure geistige Heimat.
Fotos: Anke Becker
Pfarrer Buchner: „Wozu haben mich Eure Guckkästen inspiriert? Was konnte ich herauslesen und hineindeuten? Im Guckkasten der Mädchen schwebt das
Einhorn, ein mythologisches Wesen und Fabeltier vieler
Kulturen und Religionen, von dem es heißt, dass es in
der Gefangenschaft eingeht.
Das Einhorn, ein Symbol der Reinheit, des Lichtes und
der Liebe. Und die Liebe ist ja unser Grundgesetz in der
Freien Religion, wie es Prediger Karl Weiß vor einem
langen Menschenalter geschrieben hat: „Das Grundgesetz der Religion der Menschlichkeit ist die Liebe, nicht
der Glaube…Die Liebe vereint, der Glaube trennt.“
Ja – und was ist mit dem Kasten der Jungen, die Spuren hinterlassen wollen? Da ist der Mount Rushmore
mit den Köpfen – das ist ja viel abenteuerlicher als
Köpfe an eine Felswand hier in Oberstein zu kleben.
Wir nennen uns religiös, weil das Leben etwas Heiliges ist. (…) Niemand kennt den letzten Ursprung
der Welt. Er bleibt ewiges Geheimnis der fragenden
Menschen. Religion heißt Ehrfurcht haben vor diesem geheimen Quell allen Lebens. Unsere Ehrfurcht hat nichts zu tun mit Furcht vor strafenden
Göttern, sondern sie gründet sich auf das Vertrauen, dass das Leben einen höheren Sinn hat.
Dieses religiöse Vertrauen gibt uns Halt im Wechsel
des Schicksals, es macht uns stark zur Überwindung von Unglück und Leid, es schenkt uns Lebensfreude und Zukunftsglauben und lässt uns, auf
dem Boden der Wahrheit stehend, mit sonniger
Kraft die Forderungen des Lebens erfüllen.“
GEORG PICK, 1892-1972