Heft 12 - Umsatzsteuerrecht.de

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Heft 12 - Umsatzsteuerrecht.de
Heft 12
20. Juni 2012
S. 461–496
PVSt 6791
Aufsatz
Rechtsprechung
Ulrike Lange / Nicola Reiling
Leasingtypischer Minderwertausgleich – mit
oder ohne Umsatzsteuer?
461
Steuerbefreiungen: Heileurythmische Leistungen – Nachweis der erforderlichen Berufsqualifikation – Abschnittsbesteuerung
(BFH v. 8. 3. 2012)
474
Praxisforum Umsatzsteuer
Gunter Ammann
Doppelte Steuerpflicht von Arztumsätzen –
Zur Wandlung als steuerfrei behandelter Umsätze in steuerpflichtige für die Nichtanwendung des § 19 Abs. 1 UStG
465
Änderung der Bemessungsgrundlage: Zur
Vorsteuerberichtigung beim letzten Abnehmer
einer Lieferkette wegen ihm außerhalb der Lieferkette gewährter Herstellerrabatte
(BFH v. 15. 2. 2012)
mit Anm. Stephan Filtzinger
481
Besteuerungsverfahren: Elektronische Abgabe von Umsatzsteuer-Voranmeldungen –
Gleichmäßigkeit der Besteuerung und des
Steuervollzugs – Verpflichtungsklage auf Erlass
eines gebundenen Verwaltungsakts – fehlerfreie Ermessensausübung
(BFH v. 14. 3. 2012)
487
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III
12/2012
Inhaltsverzeichnis
Aufsatz
Ulrike Lange / Nicola Reiling
Leasingtypischer Minderwertausgleich – mit
oder ohne Umsatzsteuer?
461
Praxisforum Umsatzsteuer
Gunter Ammann
Doppelte Steuerpflicht von Arztumsätzen – Zur
Wandlung als steuerfrei behandelter Umsätze in
steuerpflichtige für die Nichtanwendung des
§ 19 Abs. 1 UStG
465
Rechtsprechung
Steuerbefreiungen: Dienstleistung eines im eigenen Namen auftretenden Kommissionärs (Wettbürobetreibers), aber für Rechnung eines die Tätigkeit eines Wettannehmers ausübenden Kommittenten
(6. EG-Richtlinie Art. 6 Abs. 4, Art. 13 Teil B
Buchst. f)
EuGH, Urt. v. 14.7.2011 – Rs. C-464/10 – Pierre
Henfling, Raphaël Davin und Koenraad Tanghe
als Insolvenzverwalter der Tiercé Franco-Belge
SA
470
Steuerbefreiungen: Steuerfreiheit heileurythmischer Leistungen – Nachweis der erforderlichen Berufsqualifikation – Abschnittsbesteuerung
(UStG 1999/2005 § 4 Nr. 14; 6. EG-Richtlinie Art. 13
Teil A Abs. 1 Buchst. c; SGB V §§ 140a ff.)
BFH, Urt. v. 8.3.2012 – V R 30/09
474
Änderung der Bemessungsgrundlage: Zur Vorsteuerberichtigung beim letzten Abnehmer einer Lieferkette wegen ihm außerhalb der Lieferkette gewährter Herstellerrabatte
(UStG § 10 Abs. 1 Sätze 1 und 2, § 17 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 und 2 a.F., § 17 Abs. 1 Satz 4; 6. EG-Richtlinie
Art. 20 Abs. 1 Buchst. b)
BFH, Urt. v. 15.2.2012 – XI R 24/09
mit Anmerkung Stephan Filtzinger
481
Besteuerungsverfahren: Elektronische Abgabe
von Umsatzsteuer-Voranmeldungen – Gleichmäßigkeit der Besteuerung und des Steuervollzugs – Verpflichtungsklage auf Erlass eines gebundenen Verwaltungsakts – fehlerfreie Ermessensausübung
(UStG § 18 Abs. 1; 6. EG-Richtlinie Art. 22 Abs. 4
Buchst. a; MwStSystRL Art. 250 Abs. 2; AO § 34
Abs. 1, § 150 Abs. 8; FGO §§ 101, 102)
BFH, Urt. v. 14.3.2012 – XI R 33/09
487
Verwaltungsentscheidungen
Ort der sonstigen Leistung: Vereinfachter Nachweis der Unternehmereigenschaft des Leistungsempfängers bei Pannenhilfe an Nutzfahrzeugen
im Drittlandsgebiet ansässiger Unternehmer
(UStG § 3a Abs. 2)
OFD Niedersachsen, Vfg. v. 19.1.2012 – S 7117 59 - St 173
494
Steuerbefreiungen:
Bewaffnete
Sicherheitsbegleitung als Umsatz für die Seeschifffahrt
(UStG § 4 Nr. 2, § 8 Abs. 1 Nr. 5)
BayLfSt, Vfg. v. 16.4.2012 – S 7155.2.1 - 2/9 St 33
494
Bemessungsgrundlage: Behandlung der Kulturund Tourismusförderabgabe bzw. der Übernachtungssteuer als durchlaufende Posten
(UStG § 10 Abs. 1)
LFD Thüringen, Vfg. v. 13.12.2011 – S 7200 A - 75
- A 5.14
495
Ausstellung von Rechnungen: Ausstellung mehrerer Rechnungen mit gesondertem Steuerausweis über dieselbe Leistung
(UStG §§ 14c, 15; UStDV § §§ 33–35)
OFD Frankfurt a.M., Vfg. v. 28.10.2011 – S 7300A 131 - St 128
495
Aufzeichnungspflichten: Muster des Umsatzsteuerheftes (Vordruckmuster USt 1 G)
(UStG § 22 Abs. 5)
BMF, Schr. v. 30.4.2012 – IV D 3 - S 7532/08/10005
– DOK 2012/0292789
496
Literatur
Zeitschriftenbeiträge
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20. Juni 2012
Seiten 461–496
61. Jahrgang · 12/2012
Ulrike Lange / Nicola Reiling*
Leasingtypischer Minderwertausgleich – mit oder ohne Umsatzsteuer?
Der BGH führt mit seiner Entscheidung vom 18.5.2011
seine bisherige Rechtsprechung (BGH, Urt. v. 11.2.1987
– VIII ZR 27/86, NJW 1987, 1690; BGH, Urt. v.
14.3.2007 – VIII ZR 68/06, UR 2007, 416) fort, wonach
Ausgleichszahlungen bei Beendigung eines FahrzeugLeasingvertrags Schadensersatzleistungen darstellen
und daher ohne Umsatzsteuer zu berechnen sind.
Demgegenüber beurteilt die Finanzverwaltung Zahlungen zum Ausgleich eines Minderwerts, den der
Leasinggeber nach regulärem Vertragsablauf wegen
einer über normale Verschleißerscheinungen hinaus-
gehenden Verschlechterung des zurückgegebenen
Leasinggegenstands vom Leasingnehmer beanspruchen kann, als umsatzsteuerbares Entgelt. Bis zur Entscheidung des BFH über die Revision gegen das Urteil
des Niedersächsischen Finanzgerichts, das sich der
Auffassung des BGH angeschlossen hat, bleibt die
Rechtslage unklar. Diese Diskrepanz zwischen zivilrechtlicher und umsatzsteuerrechtlicher Beurteilung
des Minderwertausgleichs erfordert von den Parteien
des Leasingvertrags besondere Vorsichtsmaßnahmen,
damit sie keinen Rechtsverlust erleiden.
I. Abgrenzung zwischen Leistungsaustausch und
Schadensersatz
rung sich die Vertragsparteien in einem gegenseitigen Vertrag verpflichtet haben, liegt grundsätzlich ein
Leistungsaustausch vor.3
Die Einordnung einer Zahlung als Schadensersatz hat
erhebliche Auswirkung auf die Höhe der Umsatzsteuer. Die Frage der Umsatzsteuerpflicht ist in allen Mitgliedstaaten der EU einheitlich zu beantworten. Auf
die nationalen Anspruchsgrundlagen kommt es deshalb nicht an.1
Demgegenüber wird Schadensersatz nicht geleistet,
weil der Leistende eine Lieferung oder sonstige Leistung erhalten hat, sondern weil er nach Gesetz oder
Vertrag für den Schaden und seine Folgen einzustehen hat.
Ist der Leistungsempfänger zur Zahlung von Schadensersatz verpflichtet, liegt kein steuerbarer Vorgang vor. Muss umgekehrt der leistende Unternehmer
Schadensersatz leisten, mindert dies nicht das Entgelt
für seinen Umsatz.4
Die von einem Unternehmer im Rahmen seines Unternehmens im Inland erbrachte Leistung ist nur steuerbar, wenn ihr eine Gegenleistung, d.h. ein Entgelt gegenübersteht. Ein solcher Leistungsaustausch setzt einen unmittelbaren, nicht aber einen inneren (synallagmatischen) Zusammenhang zwischen Leistung
und Entgelt voraus. Ein solcher un^mittelbarer Zusammenhang zwischen Leistung und Entgelt kann sich
aus verschiedenen Rechtsverhältnissen ergeben,
wenn diese in unmittelbarem Zusammenhang miteinander stehen.2 Bei Leistungen, zu deren Ausfüh-
Ausgangspunkt für die Entscheidungen des BGH zu
Ausgleichszahlungen nach Beendigung von Leasingverträgen ist die Rechtsprechung des EuGH5 zur Abgrenzung zwischen Leistungsaustausch i.S.v. Art. 2
* Regierungsdirektorin Ulrike Lange und Oberamtsrätin
Nicola Reiling sind im Umsatzsteuerreferat der Oberfinanzdirektion Karlsruhe tätig. Der Beitrag ist nicht in
dienstlicher Eigenschaft verfasst und gibt ausschließlich
die private Meinung der Autorinnen wieder.
1 BFH, Urt. v. 16.1.2003 – V R 72/01, BStBl. II 2003, 620 = UR
2003, 253 m. Anm. Widmann.
2 BFH, Urt. v. 15.4.2010 – V R 10/08, BStBl. II 2010, 879 = UR
2010, 657.
3 BFH, Urt. v. 8.11.2007 – V R 20/05, BStBl. II 2009, 483 = UR
2008, 425; Abschn. 1.1 Abs. 1 UStAE.
4 Abschn. 1.3 Abs. 3 UStAE.
5 EuGH, Urt. v. 16.12.2010 – Rs. C-270/09 – MacDonald Resorts Ltd., UR 2011, 462.
II. Rechtsprechung des BGH
Lange / Reiling
462
12/2012
Leasingtypischer Minderwertausgleich – mit oder ohne Umsatzsteuer?
Nr. 1 der 6. EG-Richtlinie (Art. 2 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL) und Schadensersatz.
Nach diesen Grundsätzen kommt der BGH in seiner
Entscheidung vom 14.3.20076 zu dem Schluss, dass
Schadensersatzleistungen, die der Leasingnehmer
nach einer von ihm schuldhaft veranlassten außerordentlichen Kündigung des Leasingvertrags zu erbringen hat, ohne Umsatzsteuer zu berechnen sind,
weil ihnen eine steuerbare Leistung nicht gegenübersteht und der Leasinggeber deshalb Umsatzsteuer auf
sie nicht zu entrichten hat. Nichts anderes gilt nach
seiner Auffassung für den leasingtypischen Ausgleichsanspruch des Leasinggebers, der auf Ausgleich seines noch nicht amortisierten Gesamtaufwands zum Zeitpunkt einer ordentlichen Kündigung,
einer nicht durch den Leasingnehmer schuldhaft veranlassten außerordentlichen Kündigung oder einer
einvernehmlichen vorzeitigen Beendigung des Leasingvertrags gerichtet ist.
Diese Rechtsprechung führt der BGH in seinem Urteil
vom 18.5.20117 fort. Danach ist ein Minderwertausgleich, z.B. wegen eines Unfallschadens, den der Leasinggeber nach regulärem Vertragsablauf wegen einer über normale Verschleißerscheinungen hinausgehenden Verschlechterung der zurückzugebenden
Leasingsache vom Leasingnehmer beanspruchen
kann, ohne Umsatzsteuer zu berechnen. Auch hier
verneint der BGH einen Leistungsaustausch zwischen
Leasinggeber und Leasingnehmer nach § 1 Abs. 1 Nr. 1
UStG und geht von nicht steuerbarem Schadensersatz
aus, weil mit der Kündigung die vertraglichen Hauptleistungspflichten der Vertragsparteien beendet sind
und damit kein Raum mehr für einen Leistungsaustausch besteht. Diese Entscheidung steht in Widerspruch zu den Aussagen der Finanzverwaltung8 und
ist nicht nur wegen Verneinung eines Leistungsaustauschs, sondern auch wegen einer Verletzung der
Vorlageverpflichtung an den EuGH nach Art. 101
Abs. 1 Satz 2 GG sowie der ausschließlichen Entscheidungskompetenz der Finanzbehörden über die Steuerpflicht auf deutliche Kritik von Stadie9 gestoßen.
III. Finanzgerichtliche Rechtsprechung
Eine Entscheidung des BFH zur steuerrechtlichen Einordnung des Minderwertausgleichs steht derzeit noch
aus. In seiner bisherigen Rechtsprechung zur Abgrenzung zwischen Schadensersatz und Entgelt legt der
BFH dieselben Grundsätze wie der BGH zugrunde.
Zahlungen, die vom Verkäufer eines Einkaufszentrums aufgrund einer Mietgarantie zu leisten waren,
hat der BFH13 nicht als Schadensersatz, sondern als
Entgeltminderung beurteilt. Da die tatsächlichen erheblich hinter den garantierten Mieteinnahmen zurückblieben, klagte die Erwerberin auf Schadensersatz aus der Mietgarantie. Nach Auffassung des
BFH besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Zahlung und der Lieferung der Immobilie,
da die Höhe der Mieterträge eine direkte und unmittelbare Auswirkung auf ihren Kaufpreis hatte. Dieser
wäre von vornherein niedriger festgesetzt worden,
wenn die geringeren Mieterträge bei der Kaufpreisermittlung berücksichtigt worden wären.
Auch in einem weiteren Verfahren14 stellte sich die
Frage nach einer Entgeltminderung. Nachdem beim
Bau eines Betriebsgebäudes zahlreiche Baumängel
festgestellt wurden, verpflichtete sich der Bauunternehmer in einem Vergleich zu einer Geldzahlung zum
Ausgleich dieser Mängel. Auch hier lag nach Auffassung des BFH kein Schadensersatz vor, weil die Zahlung den mängelbedingten Minderwert der Bauleistung ausgleichen sollte. Der BFH nahm vielmehr eine
modifizierte Erfüllung der Hauptverbindlichkeit an.
Entschädigungszahlungen für Flurschäden bei der Errichtung von Strommasten beurteilte der BFH15 ebenfalls als Entgelt für die einheitliche Leistung „Duldung
der Errichtung und des Betriebs einer Überlandleitung“. In der vertraglichen Vereinbarung über die Entschädigungszahlung sah er keine Verständigung über
die Höhe des Schadensersatzes, sondern eine Vereinbarung über ein Entgelt. Führt ein wirtschaftliches
Vorhaben, zu dessen Verwirklichung vertragliche Vereinbarungen geschlossen werden, zwangsläufig zu
Schäden bei einem Vertragspartner und wird hierfür
ein am Umfang der Schäden orientierter Ausgleich
vereinbart, ist wirtschaftlich von einer Gegenleistung
auszugehen.
Das Niedersächsische Finanzgericht10 hat entschieden, dass die Zahlung eines leasingtypischen Minderwertausgleichs für Beschädigungen oder übermäßigen Gebrauch des Leasinggegenstands nach Ende der
Vertragslaufzeit nicht der Umsatzsteuer unterliegt,
und sich damit der Rechtsprechung des BGH11 angeschlossen. Das Urteil ist mit Revision angefochten
und somit nicht rechtskräftig.12
Demgegenüber liegt bei der Zahlung einer Vertragsstrafe wegen nicht rechtzeitiger Erfüllung des vertraglichen Leistungsversprechens Schadensersatz vor.16
Die Vertragsstrafe ist eine Nebenverbindlichkeit, die
der ordentlichen Erfüllung der Hauptverbindlichkeit
dient. Der Gläubiger kann die Strafe neben der Erfüllung der Hauptverbindlichkeit verlangen. Sie hängt
zwar wirtschaftlich mit der Hauptverbindlichkeit zusammen, beruht aber auf einem eigenen Rechtsgrund
6 BGH, Urt. v. 14.3.2007 – VIII ZR 68/06, UR 2007, 416.
7 BGH, Urt. v. 18.5.2011 – VIII ZR 260/10, UR 2011, 813.
8 BMF, Schr. v. 22.5.2008 – IV B 8 - S 7100/07/10007 – DOK
2008/0260780, BStBl. I 2008, 632 = UR 2008, 477.
9 Stadie, Bundesgerichtshof zur Umsatzsteuer bei LeasingMinderwertausgleich, UR 2011, 801.
10 FG Nds., Urt. v. 2.12.2010 – 5 K 224/09, EFG 2001, 1020.
11 BGH, Urt. v. 18.5.2011 – VIII ZR 260/10, UR 2011, 813.
12 Anhängiges Revisionsverfahren, Aktenzeichen des BFH:
XI R 6/11.
13 BFH, Urt. v. 11.2.2010 – V R 2/09, BStBl. II 2010, 765 = UR
2010, 458.
14 BFH, Urt. v. 17.12.2009 – V R 1/09, BFH/NV 2010, 1869.
15 BFH, Urt. v. 11.11.2004 – V R 30/04, BStBl. II 2005, 802 = UR
2005, 157.
16 BFH, Urt. v. 4.5.1994 – XI R 58/93, BStBl. II 1994, 589 = UR
1994, 403 – Vertragsstrafe durch den leistenden Unternehmer; BFH, Urt. v. 25.11.1986 – V R 109/78, BStBl. II 1987,
228 = UR 1987, 131 – Vertragsstrafe durch den Leistungsempfänger.
Lange / Reiling
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Leasingtypischer Minderwertausgleich – mit oder ohne Umsatzsteuer?
und wirkt nicht als modifizierte Erfüllung der Hauptverbindlichkeit.
Ebenso sind Verzugszinsen nach einer Entscheidung
des EuGH17 nicht als Entgelt anzusehen, da sie den
sich aus der verspäteten Zahlung des Leistungsempfängers ergebenden Schaden im Vermögen des leistenden Unternehmers ausgleichen sollen. Einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Leistung hat der
EuGH verneint.
Zum selben Ergebnis gelangt der EuGH18 beim sog.
Angeld. Danach sind Zahlungen bei der Reservierung
von Hotelzimmern, die der Hotelier beim Rücktritt
vom Vertrag einbehält, pauschalierte Entschädigungen zum Ausgleich des entstandenen Schadens. Die
Reservierung ist keine eigenständige Leistung, da sie
sich direkt aus dem Beherbergungsvertrag ergibt.
IV. Auffassung der Finanzverwaltung
Nach Auffassung der Finanzverwaltung19 kommt es
bei Ausgleichszahlungen im Zusammenhang mit der
Beendigung von Leasingverträgen auf die zivilrechtliche Einordnung als Primär- oder Sekundäranspruch
nicht entscheidend an. Ihr kann allenfalls indizielle
Wirkung beigemessen werden.
Entscheidend ist, ob der Zahlung für den jeweiligen
„Schadensfall“ eine mit ihr eng verknüpfte Leistung
gegenübersteht. Für die Annahme eines Leistungsaustauschs müssen Leistung und Gegenleistung in einem wechselseitigen Zusammenhang stehen.
Für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung des Minderwertausgleichs hat die Finanzverwaltung20 zunächst aufgrund des BGH-Urteils vom 1.3.200021 entschieden, dass der Minderwertausgleich nicht als
Schadensersatz zu beurteilen ist, wenn der wertgeminderte Gegenstand zum Gebrauch im Rahmen
eines Leasingvertrags überlassen wurde. Ausgangssachverhalt war ein Minderwertausgleich, der aufgrund eines Unfallschadens in Höhe der gutachterlich
ermittelten Reparaturkosten vom Leasinggeber beansprucht wurde. Die Einordnung des vertraglichen,
aber auch des außervertraglichen Minderwertausgleichs wurde von Hummel22 ausdrücklich bestätigt.
wird. Auf die Art des Leasingvertrags und des überlassenen Leasinggegenstands sowie die Ursache für die
Wertminderung kommt es dabei nicht an.
Die Zahlungen zum Ausgleich eines Minderwerts
sind Entgelt für die bereits erfolgte Gebrauchsüberlassung im Rahmen des Leasingvertrags und der Duldung der Nutzung über den vertragsgemäßen Gebrauch hinaus. Die Rechtsauffassung wird wie folgt
begründet:
„Im Rahmen der für einen auf volle Amortisation abzielenden Leasingvertrag typischen Mischkalkulation stellt der
Minderwertausgleich eine leasingtypische vertragliche Gegenleistung für die Überlassung des Leasinggegenstands
durch den Leasinggeber dar. Dementsprechend hat der Leasingnehmer – anders als der Mieter – auch für diejenigen
Veränderungen und Verschlechterungen einzutreten, die auf
Zufall und höherer Gewalt beruhen. Der für den Leasingnehmer verbrauchbare Vorteil liegt in der ,übervertraglichen’
substanzbeeinträchtigenden Nutzung. Der erforderliche
Leistungswille des Leasinggebers ergibt sich insofern aus
der vertraglichen Wertminderungsklausel. In dieser ist die
konkludente Zustimmung zu dem entsprechenden ,übervertraglichen Gebrauch’ zu sehen.“
V. Vorgehensweise bis zur abschließenden Klärung
1. Derzeit unklare Rechtslage
Bis zur Entscheidung des BFH über die gegen das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts eingelegte
Revision24 bleibt die Rechtslage unklar. Zwar war der
BFH in der Vergangenheit durchaus geneigt, sich der
Rechtsauffassung des BGH – unter Änderung der eigenen Rechtsprechung – anzuschließen. Dies hat er
z.B. in seinen Entscheidungen zur Unzulässigkeit der
Aufrechnung von Vorsteuervergütungsansprüchen
mit Insolvenzforderungen25 getan, indem er dem Urteil des BGH vom 22.10.200926 gefolgt ist. Sofern der
BFH von der Entscheidung des BGH abweichen will,
muss er gem. § 2 RSprEinhG den Gemeinsamen Senat
anrufen.
Minderwertausgleich
BGH
BMF
FG
BFH
Schadensersatz
Leistungsaustausch
Schadensersatz
?
Diese Auffassung wurde im Jahr 2008 bestätigt.23 Dabei kommt es für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung des Minderwertausgleichs nicht darauf an, ob
der Leasingvertrag aufgrund vertraglich vereinbarter
Kündigungsrechte vorzeitig beendet wurde oder planmäßig geendet hat. Außerdem macht es keinen Unterschied, ob der Vertragsgegenstand vorzeitig in nicht
vertragsgemäßem Zustand oder erst am Ende einer
regulär beendeten Vertragsbeziehung zurückgegeben
Sowohl Leasinggeber als auch Leasingnehmer müssen bis zur endgültigen Klärung der Rechtsfrage entscheiden, wie sie sich während des Schwebezustands
verhalten, um möglichst keinen Rechtsverlust zu erleiden.
17 EuGH, Urt. v. 1.7.1982 – Rs. 222/81 – BAZ Bausystem AG,
EuGHE 1982, 2527 = UR 1982, 159 m. Anm. Weiß.
18 EuGH, Urt. v. 18.7.2007 – Rs. C-227/05 – Société thermale
d’Eugénie-les-Bains, EuGHE 2007, I-6415 = UR 2007, 643.
19 BMF, Schr. v. 22.5.2008 – IV B 8 - S 7100/07/10007 – DOK
2008/0260780, BStBl. I 2008, 632 = UR 2008, 477.
20 BMF, Schr. v. 20.2.2006 – IV A 5 - S 7100 - 23/06, BStBl. I
2006, 241 = UR 2006, 242.
21 BGH, Urt. v. 1.3.2000 – VIII ZR 177/99, ZIP 2000, 797 =
NJW-RR 2000, 1303.
22 Hummel, Umsatzsteuerrechtliche Behandlung einer Wertminderungsentschädigung, UR 2006, 614.
23 BMF, Schr. v. 22.5.2008 – IV B 8 - S 7100/07/10007 – DOK
2008/0260780, BStBl. I 2008, 632 = UR 2008, 477.
24 Anhängiges Revisionsverfahren, Aktenzeichen des BFH:
XI R 6/11.
25 BFH, Urt. v. 2.11.2010 – VII R 6/10, BStBl. II 2011, 374 = UR
2011, 541; BFH, Urt. v. 2.11.2010 – VII R 62/10, BStBl. II 2011,
439 = UR 2011, 546.
26 BGH, Urt. v. 22.10.2009 – IX ZR 147/06, DStR 2010, 1145.
Lange / Reiling
464
12/2012
Leasingtypischer Minderwertausgleich – mit oder ohne Umsatzsteuer?
2. Leasinggeber
Der Leasinggeber ist – sofern er Leistungen an einen
Unternehmer für dessen Unternehmen erbringt –
nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 UStG verpflichtet, diesem eine
Rechnung zu erteilen. Nach derzeitiger Verwaltungsauffassung unterliegt der Minderwertausgleich der
Umsatzsteuer. Der Leasinggeber hat daher den Umsatz in seiner Umsatzsteuer-Voranmeldung bzw. Umsatzsteuer-Jahreserklärung zu erfassen und die Umsatzsteuer an das Finanzamt abzuführen. Im Hinblick
auf das beim BFH anhängige Verfahren kann er
rechtswahrend gegen die Bescheide Einspruch einlegen und nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO Ruhen des Verfahrens beantragen. Somit empfiehlt es sich für den
Leasinggeber derzeit, die Umsatzsteuer in der Rechnung offen auszuweisen, auch wenn eine zivilrechtliche Durchsetzung des Umsatzsteueranteils nicht
möglich ist. Allerdings kommt schon im Hinblick auf
den Steuerausweis in der Rechnung keine Aussetzung der Vollziehung nach § 361 Abs. 2 AO in Betracht,
da die Umsatzsteuer nach § 14c Abs. 2 UStG auch dann
geschuldet wird, wenn der Minderwertausgleich
Schadensersatz darstellen sollte.
Rechnung
mit Umsatzsteuerausweis
Ruhen des
Verfahrens
Leasinggeber
Einspruch
Erfassung in
der Voranmeldung und in
der Jahreserklärung
Abführung
der
Umsatzsteuer
an das
Finanzamt
Sollte sich die Rechtsprechung letztendlich der
Rechtsauffassung der Finanzverwaltung anschließen,
kann es dabei verbleiben.
Kommt der BFH zu dem Ergebnis, dass ein Minderwertausgleich nicht steuerbarer Schadensersatz ist,
kann es der Leasinggeber – sofern der Leasingnehmer ein zum vollen Vorsteuerabzug berechtigter Unternehmer ist und die Umsatzsteuer an ihn bezahlt
hat – ebenfalls bei der bisherigen Behandlung belassen. § 176 Abs. 2 AO räumt ihm Vertrauensschutz ein,
d.h. eine von der Verwaltungsauffassung abweichende Entscheidung des BFH darf bei der Aufhebung
oder Änderung von Steuerbescheiden nicht zu seinen
Ungunsten angewandt werden. Nach den oben genannten Grundsätzen liegt für zurückliegende Be27 Abschn. 14c.2 Abs. 2 Nr. 2 UStAE.
steuerungszeiträume kein Fall des unberechtigten
Steuerausweises gem. § 14c Abs. 2 UStG vor, der den
Vorsteuerabzug beim Leasingnehmer nach § 15 Abs. 1
Nr. 1 UStG ausschließen würde.
Ist der Leasingnehmer ein Unternehmer, der nicht
zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt ist, oder ein
Nichtunternehmer, bleibt es dem Leasinggeber unbenommen, sich auf die günstigere Rechtsprechung zu
berufen. Von dieser Möglichkeit sollte er auch dann
Gebrauch machen, wenn der Leasingnehmer die Umsatzsteuer nicht an ihn entrichtet hat. Sofern in Fällen
des Schadensersatzes Umsatzsteuer offen ausgewiesen wird, liegt ein Fall des unberechtigten Steuerausweises gem. § 14c Abs. 2 UStG vor.27 Damit steht dem
Leasinggeber das Recht zu, den Steuerbetrag rückwirkend zu berichtigen, soweit der Leasingnehmer den
Vorsteuerabzug nicht in Anspruch genommen hat.28
Die Gefahr, dass insoweit Nachzahlungszinsen gem.
§ 233a AO entstehen, besteht somit nicht.
Zu berücksichtigen ist allerdings, dass die Finanzverwaltung ein Urteil des BFH erst dann allgemein über
den entschiedenen Einzelfall hinaus anwendet, wenn
es im Bundessteuerblatt ohne ergänzenden Nichtanwendungserlass veröffentlicht worden ist. Erfolgt
danach keine allgemeine Anwendung der Rechtsprechung durch die Finanzverwaltung, muss der Leasinggeber seine Rechte in einem finanzgerichtlichen Verfahren geltend machen.
Minderwertausgleich
ist Schadensersatz
Leasingnehmer ist zum
Vorsteuerabzug berechtigt
Leasingnehmer ist nicht
zum Vorsteuerabzug
berechtigt
Rechnung mit
Umsatzsteuer
(Vertrauensschutz)
Rechnung ohne
Umsatzsteuer
(rückwirkende
Berichtigung)
3. Leasingnehmer
Ist der Leasingnehmer zum Vorsteuerabzug aus der
Rechnung über den Minderwertausgleich berechtigt,
ist er mit der Zahlung der Umsatzsteuer an den Leasinggeber wirtschaftlich nicht belastet. Er kann somit
die Umsatzsteuer an den Leasinggeber – ggf. unter
Vorbehalt der Rückforderung und eines Verzichts des
Leasinggebers auf die Einrede der Verjährung – bezahlen. Eine rückwirkende Versagung des Vorsteuerabzugs hat er in Hinblick auf die Vertrauensschutzregelung des § 176 Abs. 2 AO nicht zu befürchten.
Soweit dem Leasingnehmer das Recht zum Vorsteuerabzug nicht zusteht, kann er den Zahlungsanspruch
hinsichtlich der Umsatzsteuer verweigern, da dieser
zivilrechtlich nicht durchsetzbar ist. Eine Zahlung ist
28 Abschn. 14c.2 Abs. 5 Satz 6 UStAE.
Lange / Reiling
12/2012
465
Leasingtypischer Minderwertausgleich – mit oder ohne Umsatzsteuer?
allenfalls zur Vermeidung einer Belastung der laufenden Geschäftsbeziehungen zum Leasinggeber anzuraten.
Minderwertausgleich
ist Schadensersatz
Leasingnehmer ist zum
Vorsteuerabzug berechtigt
Zahlung der Umsatzsteuer
Vorsteuerabzug
Leasingnehmer ist nicht
zum Vorsteuerabzug
berechtigt
keine Zahlung der
Umsatzsteuer
VI. Zusammenfassung
Es bleibt zu hoffen, dass die obersten Gerichte sowie
die Finanzverwaltung bald zu einer einheitlichen Beurteilung der umsatzsteuerrechtlichen Behandlung
des Minderwertausgleichs gelangen. Bis dahin sollten
die Parteien eines Leasingvertrags die oben dargestellte Vorgehensweise beachten.
Praxisforum Umsatzsteuer*
Gunter Ammann**
Doppelte Steuerpflicht von Arztumsätzen
– Zur Wandlung als steuerfrei behandelter Umsätze in steuerpflichtige für die
Nichtanwendung des § 19 Abs. 1 UStG –
Neue Aspekte für „alte“ Umsätze: Bis zum 31.12.2001
sah auch die Verwaltung bestimmte ärztliche Umsätze
als steuerfrei an. Ab 2002 änderte sie diese Ansicht;
die Umsätze sollten steuerpflichtig sein. Nicht nur die
Steuerpflicht ab 2002, sondern auch zurückblickend
für die Frage der Anwendung des § 19 Abs. 1 UStG im
Jahre 2002 wurden die Umsätze des Jahres 2001 als
steuerpflichtig angesehen. Der Beitrag sieht darin eine
Verdoppelung, weil aus der retrospektiven fiktiven
Steuerpflicht des Jahres 2001 bei Nichtanwendung des
§ 19 Abs. 1 UStG im Jahre 2002 die Besteuerung der
sonst nicht besteuerten Umsätze folgt. Die Lösung dieses Problems ist wichtig für Unternehmer, deren abzugsschädlich steuerfreie Umsätze aufgrund der Rechtsprechung oder auch Gesetzgebung steuerpflichtig
werden.
I. Ausgangslage
und deshalb nicht zum Gesamtumsatz i.S.d. § 19 Abs. 3
UStG gehören.
Die Mühlen der Verwaltung mahlen langsam, manchmal wird auch längst als erledigt Gewähntes wieder
an das Tageslicht gebracht und in den Mahlgang geschüttet. Der betroffene Unternehmer ist Arzt, der auf
seine Umsätze bis einschließlich 2002 § 19 Abs. 1 UStG
anwendete. Gelegentlich einer Betriebsprüfung im
Jahre 2010 stellt das zuständige Finanzamt1 fest, dass
der Gesamtumsatz für das Jahr 2001 0 . betrug. Dieser Feststellung konnte gesetzlich nur zugrunde gelegen haben, dass die Umsätze gem. § 4 Nr. 8 Buchst. i,
Nr. 9 Buchst. b und Nr. 11 bis 28 UStG2 steuerfrei waren
Bei der Prüfung der Umsätze des Jahres 2002 wurden
Entgelte in Höhe von 40 000 .3 der Umsatzsteuer zum
Regelsteuersatz unterworfen und die Steuer auch entsprechend4 festgesetzt. Die Anwendung des § 19
Abs. 1 UStG wurde für das Jahr 2002 ausdrücklich ausgeschlossen. Der Unternehmer hatte für das Jahr
2002 zu dessen Beginn einen Gesamtumsatz von 0 .
prognostiziert und für das Jahr 2002 § 19 Abs. 1 UStG
angewandt.
* An dieser Stelle werden Beiträge aus der Umsatzsteuerpraxis, insbesondere der Beratungspraxis, veröffentlicht,
die vom UmsatzsteuerForum e.V. veranlasst sind, die jedoch nicht in jedem Fall die Meinung dieser Vereinigung
wiedergeben. Zuständig für die Praxisbeiträge ist im Auftrag der Vereinigung Prof. Dr. Hermann-Josef Tehler, Burloer Weg 95, 46397 Bocholt.
** Gunter Ammann ist Steuerberater in eigener Praxis in
Hamburg.
1 Landesfinanzbehörde i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 4 FVG und § 6
Abs. 2 Nr. 5 AO.
2 Konkret hat der Unternehmer die Befreiungen des § 4
Nr. 14 UStG als gegeben angesehen.
3 36 000 . entfielen auf „Erstellung ärztlicher Gutachten
über die pharmakologische Wirkung eines Medikaments
beim Menschen“, 4 000 . auf ärztliche Leistungen im Zusammenhang mit der Empfängnisverhütung.
4 Unter Berücksichtigung anteiligen Vorsteuerabzugs.
Ammann
466
12/2012
Doppelte Steuerpflicht von Arztumsätzen
II. Beispielsituation
1. Sachverhalt und Würdigung durch den Unternehmer
Das Finanzamt unterwarf für das Jahr 2002 Entgelte
in Höhe von 40 000 .7 der Umsatzsteuer zum Regelsteuersatz und setzte die Steuer entsprechend8 fest.
a) Unternehmer und dessen Beurteilung
Unternehmer ist ein Arzt, der bis einschließlich 2002,
wie seit Jahren davor, neben seinen unstreitig steuerfreien arzttypischen Leistungen auch die von ihm ausgeführten Umsätze
– „Erstellung von Berichten über die pharmakologische Wirkung eines Medikaments beim Menschen“ und
– „ärztliche Leistungen im Zusammenhang mit der
Empfängnisverhütung“
als steuerfrei angesehen und Umsatzsteuererklärungen wegen der Anwendung des § 19 Abs. 1 UStG nicht
abgegeben hatte.
b) Prognose für das Streitjahr 2002
Der Arzt hatte für das Jahr 2002 zu dessen Beginn einen Gesamtumsatz von 0 . prognostiziert und auch
für das Jahr 2002 § 19 Abs. 1 UStG angewandt, eine
Umsatzsteuererklärung nicht abgegeben.
2. Würdigung durch das Finanzamt
a) Beurteilung bis einschließlich des Jahres 2001
Das Finanzamt folgte den Auffassungen des Arztes5
bis einschließlich für das Jahr 2001, stellte im Prüfungsbericht den Gesamtumsatz des Jahres 2001 auch
ausdrücklich mit „0,00 .6“ dar.
b) Beurteilung der Umsätze des Jahres 2002
Für das Jahr 2002 vertrat das Finanzamt die Auffassung, die beiden besonderen Umsätze
– „Erstellung von Berichten über die pharmakologische Wirkung eines Medikaments beim Menschen“ und
– „ärztliche Leistungen im Zusammenhang mit der
Empfängnisverhütung“
seien steuerpflichtig.
Im Jahre 2002 sei § 19 Abs. 1 UStG für den Arzt nicht
– mehr – anwendbar, weil die entsprechenden Umsätze des Jahres 2001 für die Anwendung des § 19 Abs. 1
UStG bei der Ermittlung des Gesamtumsatzes als steuerpflichtig gewertet werden müssten und damit die
Maßgröße des § 19 Abs. 1 UStG von 16 620 . überschritten sei. Im Übrigen gelte für die Prognose des
laufenden Kalenderjahres 2002 nicht die Messzahl
von 50 000 ., sondern es sei auch hierfür die Zahl von
16 620 . zugrunde zu legen, die mit den Feststellungen der Betriebsprüfung bei weitem überschritten sei.
5 Wie unter II 1a geschildert.
6 Tatsächlich wäre ein DM-Betrag zu nennen, aus Darstellungsgründen wird nur Euro verwendet.
7 36 000 . entfielen auf „Erstellung ärztlicher Gutachten
über die pharmakologische Wirkung eines Medikaments
3. Problemstellungen
a) Grundproblem: Reihenfolge der zu klärenden
Fragen
Die Problemstellungen sind von gegenseitigen Abhängigkeiten bestimmt. Sind die aufgeführten9 fraglichen Umsätze im Jahre 2002 steuerfrei gem. § 4 Nr. 14
UStG, erübrigt sich die Frage nach der Anwendung
des § 19 Abs. 1 UStG. Einerseits müsste daher zunächst
geklärt werden, ob die genannten Umsätze im Jahre
2002 steuerpflichtig sind. Andererseits ist § 19 Abs. 1
UStG für das Jahr 2002 auch anzuwenden, wenn – wie
die Verwaltung vertritt – die Umsätze ab 1.1.2002 zwar
steuerpflichtig sind, für die Beurteilung des Vorjahresgesamtumsatzes – also den des Jahres 2001 – aber die
auch von der Verwaltung akzeptierte Steuerfreiheit
zugrunde gelegt wird und es bei der Messgröße voraussichtlich „50 000 .“ für die Prognose des Jahresumsatzes 2002 bleibt. Da bei Steuerpflicht der Umsätze im Jahre 2002 die Frage nach der Wertung dieser
Umsätze im Jahre 2001 nicht geklärt wird, ist es sinnvoller, vorgreiflich zu untersuchen, ob die Wandlung
der von den Beteiligten im Jahre 2001 einvernehmlich als steuerfrei angesehenen Umsätze in steuerpflichtige Umsätze für die Beurteilung des Vorjahresumsatzes aus der Sicht des Jahres 2002 rechtlich zulässig ist. Führt diese Untersuchung dazu, dass § 19
Abs. 1 UStG im Jahre 2002 anzuwenden ist, kann es
dahingestellt bleiben, ob und inwieweit die Umsätze
des Jahres 2002 steuerpflichtig sind, weil die etwa für
dieses Jahr geschuldete Steuer nicht zu erheben ist.
Sollte das Ergebnis zur Nichtanwendung des § 19
Abs. 1 UStG führen, bleibt es weiteren Untersuchungen überlassen festzustellen, ob die beiden besonderen Umsätze
– „Erstellung von Berichten über die pharmakologische Wirkung eines Medikaments beim Menschen“ und
– „ärztliche Leistungen im Zusammenhang mit der
Empfängnisverhütung“
im Jahre 2002 steuerpflichtig waren.
Die Arbeitsannahmen hierbei sind, dass die zuerst genannten Umsätze nach der deutschen Rechtsprechung immer noch steuerfrei sind und die von der
Verwaltung für die Steuerpflicht herangezogene
EuGH-Rechtsprechung nicht einschlägig ist; für die
zweiten, dass die Mehrwertsteuersystemrichtlinie
hierfür von Anfang an eine Steuerbefreiung vorsah
und die von der Verwaltung ab 1.1.2009 angewandte
Steuerbefreiung aufgrund der Gesetzesänderung von
der unmittelbaren Anwendung der Mehrwertsteuerbeim Menschen“, 4 000 . auf ärztliche Leistungen im Zusammenhang mit der Empfängnisverhütung.
8 Unter Berücksichtigung anteiligen Vorsteuerabzugs.
9 Unter II 2 b.
Ammann
12/2012
467
Doppelte Steuerpflicht von Arztumsätzen
systemrichtlinie überlagert wird. Eine Überprüfung
dieser Hypothesen bleibt einer weiteren Untersuchung vorbehalten.
b) Wird die Steuerbefreiung von Umsätzen des
Jahres 2001 für die Anwendung des § 19 Abs. 1
UStG beeinflusst durch die Steuerpflicht der
nämlichen Umsätze im Jahre 2002?
Dieses Problem hängt unmittelbar mit der Feststellung der Verwaltung zusammen, dass die „Erstellung
ärztlicher Gutachten über die pharmakologische Wirkung eines Medikaments beim Menschen“ im Jahre
2001 als steuerfrei, nach dem Jahre 2001 hingegen als
steuerpflichtig angesehen wurden. Die Umsätze „ärztliche Leistungen im Zusammenhang mit der Empfängnisverhütung“ werden von der Verwaltung im Jahre
2002 ebenfalls als steuerpflichtig angesehen.10
III. Umsatzsteuerrechtliche Würdigung des § 19
Abs. 1 UStG – Ermittlung der maßgebenden
Umsatzgrößen
1. Deutsches Umsatzsteuergesetz
Zu beantworten ist die Frage, ob vom Unternehmer
und vom Finanzamt einvernehmlich als steuerfrei
gem. § 4 Nr. 14 UStG angesehene Umsätze zum Gesamtumsatz i.S.d. § 19 Abs. 3 UStG gehören, wenn die
Auffassung der Verwaltung zugrunde gelegt wird, im
Folgejahr sei die Befreiung nach § 4 Nr. 14 UStG nicht
mehr gegeben.
a) § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG für 2002 hat folgenden Text:
„Die . . . geschuldete Umsatzsteuer wird . . . nicht erhoben,
wenn der in Satz 2 bezeichnete Umsatz zuzüglich der darauf entfallenden Steuer im vorangegangenen Kalenderjahr 16 620 Euro nicht überstiegen hat und im laufenden
Kalenderjahr 50 000 Euro voraussichtlich nicht übersteigen wird.“11
c) Der Gesamtumsatz wird im § 19 Abs. 3 UStG beschrieben:
„Gesamtumsatz ist die Summe der vom Unternehmer ausgeführten steuerbaren Umsätze im Sinne des § 1 Abs. 1
Nr. 1 abzüglich folgender Umsätze:
1. der Umsätze, die nach § 4 Nr. 8 Buchstabe i, Nr. 9 Buchstabe b und Nr. 11 bis 28 steuerfrei sind; . . .“
Die entscheidende Frage nach dem deutschen Recht
ist, ob die in Rede stehenden Umsätze im Jahre 2001
steuerfrei gewesen sind nach § 4 Nr. 11 bis 28 UStG.
2. Mehrwertsteuersystemrichtline der Europäischen
Union
Art. 285 und 286 MwStSystRL geben den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, Steuerpflichtigen mit einem Jahresumsatz von 1977 in Höhe von 5 000 . oder dem zur
Wahrung des realen Wertes auf einen zeitgerecht angehobenen Betrag eine Steuerbefreiung zu gewähren.12
Der „Gesamtumsatz“, den das deutsche Gesetz damit
kennzeichnet, dass von den steuerbaren Umsätzen
die abzugsschädlich steuerfreien Umsätze abgezogen
werden müssen, wird von der Mehrwertsteuersystemrichtlinie anders definiert. Gem. Art. 288 MwStSystRL13 sind den besteuerten14 Leistungen die abzugsfreundlich befreiten Umsätze sowie die Immobilien-, Finanz- und Versicherungsleistungen als Hauptumsätze hinzuzurechnen.15
Abzugsschädlich steuerfreie Umsätze werden in der
Mehrwertsteuersystemrichtlinie nicht genannt. Sie
gehören nicht zum Gesamtumsatz, gleich, warum sie
steuerbefreit sind.
3. Auffassung der Verwaltung
b) § 19 Abs. 1 Satz 2 UStG definiert den Umsatz im Sinne des Satzes 1 als den nach vereinnahmten Entgelten bemessenen Gesamtumsatz.
Die Steuerverwaltung wertet die selbst steuerfrei belassenen fraglichen Umsätze des Jahres 2001 aus dem
Blickwinkel der Anwendung des § 19 Abs. 1 UStG retrospektiv für das Jahr 2002 als steuerpflichtig und
zum Gesamtumsatz des Jahres 2001 gehörend.
10 Die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 14 UStG auf derartige Umsätze sieht die Verwaltung erst ab 1.1.2009 als gegeben
an.
11 Der Text gilt prinzipiell unverändert weiter. Im Jahre 2003
ist an die Stelle des Betrages von 16 620 . der von 17 500 .
getreten – Kleinunternehmerförderungsgesetz, anzuwenden ab 1.1.2003.
12 Art. 285 MwStSystRL: „Mitgliedstaaten, die von der Möglichkeit nach Artikel 14 der Richtlinie 67/228/EWG keinen Gebrauch gemacht haben, können Steuerpflichtigen
mit einem Jahresumsatz von höchstens 5 000 EUR oder
dem Gegenwert dieses Betrags in Landeswährung eine
Steuerbefreiung gewähren.“
Art. 286 MwStSystRL: „Mitgliedstaaten, in denen am
17. Mai 1977 für Steuerpflichtige mit einem Jahresumsatz
von mindestens dem Gegenwert von 5 000 Europäischen
Rechnungseinheiten in Landeswährung zu dem an dem
genannten Datum geltenden Umrechnungskurs eine
Steuerbefreiung galt, können diesen Betrag zur Wahrung
des realen Wertes anheben.“
13 Art. 288 MwStSystRL: „Der Umsatz, der bei der Anwendung der Regelung dieses Abschnitts zugrunde zu legen
ist, setzt sich aus folgenden Beträgen ohne Mehrwertsteuer zusammen:
1. Betrag der Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, soweit diese besteuert werden;
2. Betrag der gemäß Artikel 110, Artikel 111 und Artikel 125 Absatz 1 sowie Artikel 127 und Artikel 128 Absatz 1 mit Recht auf Vorsteuerabzug von der Steuer befreiten Umsätze;
3. Betrag der gemäß den Artikeln 146 bis 149 sowie den
Artikeln 151, 152 und 153 von der Steuer befreiten Umsätze;
4. Betrag der Umsätze mit Immobilien, der in Artikel 135
Absatz 1 Buchstaben b bis g genannten Finanzgeschäfte
sowie der Versicherungsdienstleistungen, sofern diese
Umsätze nicht den Charakter von Nebenumsätzen haben.
Veräußerungen von körperlichen oder nicht körperlichen Investitionsgütern des Unternehmens bleiben bei
der Ermittlung dieses Umsatzes jedoch außer Ansatz.“
14 Im deutschen Sinne die steuerpflichtigen Umsätze.
15 Das entspricht – unter umgekehrten Vorzeichen, weil sie
dort abgezogen werden müssen – § 19 Abs. 3 Nr. 2 UStG.
Ammann
468
12/2012
Doppelte Steuerpflicht von Arztumsätzen
Die von der Verwaltung selbst für dieses Jahr bestätigte Steuerbefreiung wird von ihr überwunden unter
Hinweis auf Abschn. 251 Abs. 2 Satz 2 UStR16:
eine fiktive Metamorphose als dazugehörend betrachtet werden; sie bleiben nach deutschem und Unionsrecht im Jahre 2001 unbesteuert.
„Ob ein Umsatz als steuerfrei zu berücksichtigen ist, richtet
sich nach den Vorschriften des laufenden Kalenderjahres.“
Ferner wendet sie in dem Beispielsfall für die Frage
der Anwendung des § 19 Abs. 1 UStG auf das Jahr
2002 nicht die gesetzlich vorgeschriebene PrognoseMessgröße von 50 000 . an, sondern legt für diese
Prognose auch den Wert von 16 620 . zugrunde, den
sie wegen der tatsächlich ausgeführten, von ihr für
steuerpflichtig gehaltenen Umsätze17 für überschritten hält.
4. Eigene Auffassung
a) Ermittlung des Gesamtumsatzes
Die Ermittlung des Gesamtumsatzes führt in dem
deutschen Umsatzsteuergesetz sowie in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie quantitativ betrachtet zu
demselben Ergebnis: Es ist die Summe der steuerpflichtigen sowie der abzugsfreundlich steuerfreien
Umsätze zuzüglich bestimmter abzugsschädlich steuerfreier Immobilien-, Finanz- und Versicherungsumsätze, wenn diese keine Nebenumsätze sind.
b) Qualitativer Unterschied zwischen Umsatzsteuergesetz und Mehrwertsteuersystemrichtlinie hinsichtlich des Gesamtumsatzes
Für das untersuchte Problemfeld unterscheiden sich
die Umsatzdefinitionen des deutschen Umsatzsteuergesetzes und der Mehrwertsteuersystemrichtlinie dadurch, dass die Mehrwertsteuersystemrichtlinie die
abzugsschädlichen, nicht besteuerten Umsätze von
Ärzten nicht nennt, die steuerbefreiten Umsätze von
Ärzten im deutschen Umsatzsteuergesetz zwar benannt, diese aber von der zunächst zu bildenden Summe der steuerbaren Umsätze abgezogen werden.
Selbst wenn der Auffassung der Verwaltung als Interpretation des deutschen Umsatzsteuergesetzes zugestimmt wird, bleibt für die gleiche Handlungsweise
nach der Mehrwertsteuersystemrichtlinie kein Raum.
Mit der Anwendung des Art. 288 MwStSystRL ist es
ausgeschlossen, die auch vom Finanzamt nicht besteuerten Umsätze des Jahres 2001 wegen der im Jahre 2002 nach Auffassung des Finanzamtes eingetretenen Steuerpflicht gleichsam rückwirkend für steuerpflichtig zu werten. Diese Umsätze gehörten 2001
nicht zum „Umsatz“ und können auch nicht durch
16 Wortidentisch mit BMF, Schr. v. 1.10.2010 – IV D 3 S 7015/10/10002 – DOK 2010/0815152, BStBl. l 2010, 846
– Verwaltungsregelung zur Anwendung des Umsatzsteuergesetzes
–
Umsatzsteuer-Anwendungserlass;
Abschn. 19.3 UStAE (Gesamtumsatz) zu § 19 UStG zuletzt
geändert durch BMF, Schr. v. 28.3.2012 – IV D 3 S 7360/11/10001 – DOK 2012/0233052, BStBl. I 2012, 481 =
UR 2012, 335.
17 Laut Feststellung der Außenprüfung entfielen 36 000 .
auf „Erstellung ärztlicher Gutachten über die pharmakologische Wirkung eines Medikaments beim Menschen“,
4 000 . auf ärztliche Leistungen im Zusammenhang mit
der Empfängnisverhütung.
c) Umsatzsteuer-Anwendungserlass zu § 19 UStG
geht ins Leere, ist möglicherweise rechtswidrig
Die „Verwaltungsregelung zur Anwendung des Umsatzsteuergesetzes“18 „Zu § 19“ formuliert unter „19.3
Gesamtumsatz“, dass die Frage, ob ein Umsatz als
steuerfrei zu berücksichtigen ist, sich nach den Vorschriften des laufenden Kalenderjahres richtet. Die
von der Verwaltung vertretene Ansicht, die im Jahr
2001 nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfreien Umsätze seien
für die Messgröße „Vorjahr19 nicht mehr als 16 620 .“
dann als steuerpflichtig zu werten, wenn für die fraglichen Umsätze im Jahr 2002 die Steuerpflicht gelte,
stimmt weder mit der Mehrwertsteuersystemrichtlinie noch mit dem Umsatzsteuergesetz überein.
Nach der Mehrwertsteuersystemrichtlinie umfasst
der Jahresumsatz des Jahres 2001 für die Frage, ob
die Kleinunternehmerregelung angewendet werden
kann, nicht die nicht besteuerten Umsätze für ärztliche Tätigkeit.
Das Umsatzsteuergesetz verweist für die Anwendung
des § 19 Abs. 1 UStG auf den Umsatz i.S.d. § 19 Abs. 1
Satz 2 UStG; § 19 Abs. 1 Satz 2 UStG nennt als Ausgangsgröße den Gesamtumsatz i.S.d. § 19 Abs. 3 UStG.
Dieser Absatz bestimmt unmissverständlich, dass
steuerbefreite Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt
nicht zum Gesamtumsatz gehören. Damit gehören
diese Umsätze auch nicht zum Umsatz i.S.d. § 19 Abs. 1
Satz 2 UStG. Da die Umsätze des Jahres 2001 ausschließlich aus steuerbefreiten Umsätzen aus der Tätigkeit als Arzt bestanden, ist der Umsatz des Vorjahres i.S.d. § 19 Abs. 1 Satz 2 UStG aus der Sicht des Jahres 2002 gleich 0 .. An die Verwaltungsauffassung,
die dieser Gesetzesanwendung widerspricht, ist der
Steuerpflichtige nicht gebunden, zumal es keine Begründung für den Wortlaut des Anwendungserlasses
gibt.
Eine Auslegungs- oder Anwendungsregel aus der
Rechtsprechung zu dieser Frage ist nicht ersichtlich.
Es wurde aber gerichtlich entschieden20, dass es sachlich nicht unbillig ist, wenn die Umsatzgrenze für
Kleinunternehmer wegen des Verkaufs eines Anlageguts überschritten und von dem Unternehmer deswegen die geschuldete Steuer erhoben wird. Dieses Urteil führte zu der Feststellung, welche „ungewöhnlichen“ Umstände zum Überschreiten der Umsatzgren18 BMF, Schr. v. 1.10.2010 – IV D 3 - S 7015/10/10002 – DOK
2010/0815152, BStBl. l 2010, 846 – Verwaltungsregelung
zur Anwendung des Umsatzsteuergesetzes – Umsatzsteuer-Anwendungserlass; wortidentisch mit Abschn. 251
Abs. 2 Satz 2 UStR 2000. Abschn. 19.3 UStAE (Gesamtumsatz) zu § 19 UStG zuletzt geändert durch BMF, Schr. v.
28.3.2012 – IV D 3 - S 7360/11/10001 – DOK 2012/0233052,
BStBl. I 2012, 481 = UR 2012, 335.
19 Im Beispielsfall 2001.
20 FG Hamburg, Urt. v. 20.8.1980 – V 157/78 (VI), EFG 1981,
55.
Ammann
12/2012
469
Doppelte Steuerpflicht von Arztumsätzen
ze geführt hätten, sei ohne Belang.21 Genauso wenig
dürfen ungewöhnliche Umstände, wie die Einführung
der Steuerpflicht ehemals steuerfreier Umsätze mit
Beginn eines Jahres, die Bemessung des Gesamtumsatzes des Vorjahres berühren, um die Nichtanwendung des § 19 Abs. 1 UStG gegen seinen Wortlaut zu erreichen.
Der Anwendungserlass ist an der genannten Stelle
auch noch aus einem anderen Grunde rechtswidrig.
Sollte die Anwendungsregel mit dem deutschen Gesetz noch in Einklang zu bringen sein, so kennt die
Mehrwertsteuersystemrichtlinie keine steuerfreien
Umsätze als Teil der Messgröße für Kleinunternehmer, die in steuerpflichtige Umsätze umgedeutet werden könnten. Da die Verwaltung verpflichtet ist, den
Vorrang der Mehrwertsteuersystemrichtlinie gegenüber dem nationalen Recht zugunsten der Bürger anzuwenden22, bleibt kein Raum für die Berücksichtigung des Anwendungserlasses.
gesetzlich vorgeschriebene Anwendung des § 19
Abs. 1 UStG ohne Bedeutung.26 Nur für den Fall, dass
kein Vorjahr vorhanden ist, auf das zurückgegriffen
werden könnte – wie beim Unternehmensbeginn –, ist
allein auf den voraussichtlichen Umsatz des laufenden Kalenderjahres abzustellen27, und zwar auf den
Grenzbetrag von inzwischen28 17 500 . und nicht von
50 000 ..
Für die Auffassung des Finanzamtes, auch im Streitfall
sei der Grenzbetrag von 16 620 . im zu beurteilenden
Jahr 2002 maßgebend, gibt es keinen Beleg.
IV. Zusammenfassung
Für diese Betrachtung mag dahingestellt bleiben, ob
im Jahre 200129 die Umsätze
– „Erstellung von Berichten über die pharmakologische Wirkung eines Medikaments beim Menschen“ und
d) Anwendung der Vorjahresmessgröße im zu
beurteilenden Kalenderjahr
– „ärztliche Leistungen im Zusammenhang mit der
Empfängnisverhütung“
Das deutsche Umsatzsteuergesetz nennt in § 19 Abs. 1
UStG neben dem Maß des Umsatzes für das Vorjahr
noch eine weitere Messgröße für das zu beurteilende
laufende Jahr, die aus der Sicht zum Jahresbeginn23
nicht überstiegen werden darf. Diese Messgröße24 ist
in dem Beispielssachverhalt von dem Arzt deshalb
nicht erreicht worden, weil seine Prognose wegen der
zu Jahresbeginn noch gesehenen Steuerfreiheit von
0 . ausging. Wären die fraglichen Umsätze als steuerpflichtig gewertet, wäre das Erreichen des gesetzlich
vorgesehenen Grenzbetrages von 50 000 . gleichwohl nicht prognostiziert worden, sondern ein Betrag
von maximal 30 000 ..
im Sinne der Verwaltung steuerpflichtig oder steuerfrei gewesen sind. Fest steht, dass die Verwaltung diese Umsätze 2001 nicht besteuert, sondern steuerfrei
belassen hat. Nach Art. 288 MwStSystRL gehören derartig steuerbefreite Umsätze nicht zu dem Umsatz, der
bei der Anwendung der Regelung dieses Abschnitts30
zugrunde zu legen ist. Art. 288 MwStSystRL enthält
eine positive Aufzählung, die abzugsschädlich steuerbefreite Umsätze nicht nennt. Damit bleibt kein Raum,
diese Umsätze für die Frage der Anwendung des § 19
Abs. 1 UStG im Jahre 2002 in den Gesamtumsatz des
Vorjahres 2001 einzubeziehen.
Nach der BFH-Rechtsprechung25 ist die zu Beginn eines Jahres vorzunehmende Beurteilung der Verhältnisse für das laufende Kalenderjahr auch maßgebend,
wenn der Unternehmer in diesem Jahr sein Unternehmen erweitert. Ob der tatsächliche Umsatz nach dem
mit nicht mehr als 50 000 . prognostizierten Umsatz
dann die Grenze von 50 000 . überschreitet, ist für die
21 Mößlang in Sölch/Ringleb, UStG, § 19 UStG Rz. 14.
22 EuGH, Urt. v. 27.6.1989 – Rs. 50/88 – Kühne, EuGHE 1989,
1925 = UR 1989, 373 m. Anm. Widmann.
23 „voraussichtlich“.
24 Von 50 000 ..
25 BFH, Urt. v. 7.3.1995 – XI R 51/94, BStBl. II 1995, 562 = UR
1995, 349.
Da im Jahre 2001 steuerfrei ausgeführte abzugsschädliche Umsätze unter keinen Umständen zum Gesamtumsatz gehören, ordnet § 19 Abs. 1 UStG an, dass die
geschuldete Umsatzsteuer im Jahre 2002 von Unternehmern, die ausschließlich derartige Umsätze im
Jahre 2001 ausgeführt haben, selbst dann nicht geschuldet wird, wenn diese Umsätze im Jahre 2001
steuerpflichtig sein sollten.
26 BFH, Urt. v. 22.11.1984 – V R 170/83, BStBl. II 1985, 142 =
UR 1985, 39 m. Anm. Weiß.
27 BFH, Urt. v. 19.2.1976 – V R 23/73, BStBl. II 1976, 400 =
StRK UStG 1967 § 19 R. 6.
28 Geändert durch Kleinunternehmerförderungsgesetz, anzuwenden ab 1.1.2003.
29 Und auch im Jahre 2002.
30 „Kleinunternehmerregelung“.
470
12/2012
Rechtsprechung
Steuerbefreiungen
Dienstleistung eines im eigenen Namen auftretenden
Kommissionärs (Wettbürobetreibers), aber für Rechnung eines die Tätigkeit eines Wettannehmers ausübenden Kommittenten
6. EG-Richtlinie Art. 6 Abs. 4, Art. 13 Teil B Buchst. f
Die Art. 6 Abs. 4 und Art. 13 Teil B Buchst. f der 6. EGRichtlinie 77/388/EWG sind dahin auszulegen, dass,
wenn ein Wirtschaftsteilnehmer bei der Annahme von
Wetten, die nach Art. 13 Teil B Buchst. f der 6. EG-Richtlinie von der Mehrwertsteuer befreit sind, im eigenen
Namen, aber für Rechnung eines die Tätigkeit eines
Wettannehmers ausübenden Unternehmens auftritt, dieses Unternehmen gem. Art. 6 Abs. 4 der 6. EG-Richtlinie
so behandelt wird, als ob es dem genannten Wirtschaftsteilnehmer Wettdienstleistungen erbrächte, die unter die
genannte Steuerbefreiung fallen.
EuGH, Urt. v. 14.7.2011 – Rs. C-464/10 – Pierre Henfling,
Raphaël Davin und Koenraad Tanghe als Insolvenzverwalter der Tiercé Franco-Belge SA
y Sachverhalt
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Abs. 4 und Art. 13 Teil B Buchst. f der
6. EG-Richtlinie 77/388/EWG (ABl. EG Nr. L 145/1977, 1).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem belgischen Staat und den Herren
Henfling, Davin und Tanghe in ihrer Eigenschaft als Insolvenzverwalter der Tiercé Franco-Belge SA (im Folgenden: TFB) wegen der Weigerung dieses Staates, die von
den Wettannahmestellen für TFB erbrachten Dienstleistungen von der Mehrwertsteuer zu befreien.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 Nach Art. 2 Nr. 1 der 6. EG-Richtlinie unterliegen der
Mehrwertsteuer
„Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die
ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt“.
4 Gem. Art. 5 Abs. 1 und 4 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie
gelten als Lieferung eines Gegenstands
„die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über
einen körperlichen Gegenstand zu verfügen“,
und
„die Übertragung eines Gegenstands auf Grund eines Vertrags über eine Einkaufs- oder Verkaufskommission“.
5
Art. 6 der 6. EG-Richtlinie bestimmt:
„(1) Als Dienstleistung gilt jede Leistung, die keine Lieferung
eines Gegenstands im Sinne des Artikels 5 ist.
...
(4) Steuerpflichtige, die bei der Erbringung von Dienstleistungen im eigenen Namen, aber für Rechnung Dritter tätig
werden, werden so behandelt, als ob sie diese Dienstleistungen selbst erhalten und erbracht hätten.
. . .“
6 In Art. 13 der 6. EG-Richtlinie („Steuerbefreiungen im
Inland“) heißt es:
„. . .
B. Sonstige Steuerbefreiungen
Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien
die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung
der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von
Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen
Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:
...
f) Wetten, Lotterien und sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz unter den Bedingungen und Beschränkungen, die
von jedem Mitgliedstaat festgelegt werden;
. . .“
Nationales Recht
7 Art. 10 § 1 CTVA (Code de la taxe sur la valeur ajoutée, belgisches Mehrwertsteuergesetz) bestimmt:
„Als Lieferung eines Gegenstands gilt die Übertragung der
Befähigung, wie ein Eigentümer über einen Gegenstand zu
verfügen.
Dazu gehören u.a. die Fälle, in denen ein Gegenstand dem
Erwerber oder Übernehmer in Erfüllung eines Übergabevertrags oder einer Anweisung zur Verfügung gestellt wird.“
8
Art. 13 §§ 1 und 2 CTVA lautet:
„§ 1 Ein Einkaufskommissionär gilt als Käufer und, in Bezug
auf seinen Kommittenten, als Verkäufer des durch seine Vermittlung gekauften Gegenstands; ein Verkaufskommissionär
gilt als Verkäufer und, in Bezug auf seinen Kommittenten, als
Käufer des durch seine Vermittlung verkauften Gegenstands.
§ 2 Als Kommissionär gilt nicht nur, wer in seinem eigenen
Namen oder im Namen einer Firma für Rechnung eines
Kommittenten handelt, sondern auch der Vermittler des
Kaufs oder des Verkaufs, der in welcher Eigenschaft auch immer eine Rechnung, eine Lastschrift oder ein sonstiges
gleichwertiges, auf seinen Namen ausgestelltes Schriftstück
vom Verkäufer erhält bzw. dem Käufer aushändigt.“
9
In Art. 18 § 1 CTVA heißt es:
„Als Dienstleistung gilt jede Leistung, die keine Lieferung eines Gegenstands im Sinne des vorliegenden Gesetzbuchs ist.
Als Dienstleistung gilt unter anderem die Ausführung eines
Vertrags mit folgendem Gegenstand:
...
3. Auftrag;
. . .“
10 Art. 20 § 1 Abs. 1 CTVA bestimmt:
„. . . [E]in Kommissionär und jeder sonstige Vermittler, der
wie in Art. 13 § 2 vorgesehen handelt und Dienstleistungen
erbringt, werden so behandelt, als ob sie diese Dienstleistungen selbst erhalten und erbracht hätten.“
11 Gem. Art. 44 § 3 Nr. 13 CTVA sind
„Wetten, Lotterien und sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz unter den Bedingungen und Beschränkungen, die vom
König festgelegt werden“,
von der Mehrwertsteuer befreit.
12/2012
Rechtsprechung
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
12 TFB ist eine am 27.10.2008 für insolvent erklärte
mehrwertsteuerpflichtige Aktiengesellschaft mit Sitz in
Belgien, die sich mit der Annahme von Wetten, insbesondere für Pferderennen in Belgien und anderen Staaten
befasst.
13 Im Rahmen ihrer Tätigkeit bedient sie sich eines Netzes lokaler Agenturen, sogenannter „Wettbürobetreiber“,
das sich über das gesamte Königreich Belgien erstreckt.
Diese Wettbürobetreiber sind für die Einnahme der Wetteinsätze für Pferderennen oder andere Sportereignisse,
die Aufzeichnung der Wetten und die Ausstellung von
Wettscheinen oder Tickets an die Wetter sowie für die
Auszahlung der Gewinne zuständig.
14 Jeder Wettbürobetreiber ist durch einen sogenannten
„Kommissionsvertrag“ an TFB gebunden.
15 Gemäß diesem Vertrag steht das vom Wettbürobetreiber geführte Geschäft im Eigentum von TFB. Sie stellt
ihm die Räumlichkeiten und die notwendige Stromversorgung zur Verfügung und sorgt für die Sach- und Gebäudeversicherung sowie für die Anbringung und die
ordnungsgemäße Funktion des Firmenschilds.
16 Im genannten Vertrag ist auch festgelegt, dass TFB
dem Wettbürobetreiber die Hard- und Software zur Verfügung stellt, mit der sämtliche getätigten Wetten und die
Auszahlung der Gewinne registriert werden müssen. Der
Wettbürobetreiber erhält die Hard- und Software und die
Unterlagen von TFB unentgeltlich; sie bleiben ausschließliches Eigentum von TFB. Der Wettbürobetreiber
verpflichtet sich, die ihm somit von TFB zur Verfügung
gestellte Hard- und Software sorgfältig zu behandeln und
ihr jegliche daran auftretende Funktionsstörung zu melden, wobei Reparatur und Wartung der Hard- und Software von TFB auf deren Kosten durchgeführt werden.
17 Außerdem ist der Wettbürobetreiber gemäß dem mit
TFB geschlossenen „Kommissionsvertrag“ verpflichtet,
die Regelungen über die Wettannahme – insbesondere
über Registrierung, Buchführung und Gewinnauszahlung
– einzuhalten. Er verpflichtet sich, seine Agentur regelmäßig zu betreiben und im Rahmen von Veranstaltungen, die mit den Tätigkeiten oder den Produkten von
TFB in Zusammenhang stehen, geöffnet zu halten. Er hat
jedoch das Recht, über die Organisation seiner Agentur
frei zu entscheiden und Personal einzustellen, um seine
Verpflichtungen bestmöglich erfüllen zu können.
18 TFB gestattet dem Wettbürobetreiber, alle Arten von
Wetten entgegenzunehmen, für die sie eine ordnungsgemäße Zulassung besitzt, sei es durch Gesetz oder
durch Bevollmächtigung, und sie gestattet ihm, jede
sonstige Tätigkeit auszuüben, soweit sie nicht gegen das
Gesetz über Pferdewettagenturen verstößt und nicht für
Rechnung eines unmittelbaren Wettbewerbers von TFB
ausgeübt wird.
19 Gemäß den allgemeinen Bestimmungen der Regelung von TFB kann der Betreiber der Agentur, der als
Einziger berechtigt ist, eine Wette zu registrieren, die Annahme einer Wette jederzeit ganz oder teilweise verweigern, ohne dies begründen zu müssen. Außerdem kann
sich ein Wetter seinen Gewinn nur bei dem Wettbürobetreiber auszahlen lassen, bei dem er seine Wette abgeschlossen hat.
20 Der Wettbürobetreiber wird durch eine Provision in
Höhe eines Prozentsatzes der für die registrierten Wetten
getätigten Einsätze, nach Abzug der vorgenommenen
Rückzahlungen, vergütet. Diese Provision wird monatlich, außerhalb des offiziellen Wettbetriebs, berechnet
471
und bezahlt. Der Wettbürobetreiber stellt TFB für die von
ihm erhaltenen Provisionen keine Rechnungen aus.
21 Auf der Vorderseite des Wettscheins, den ein Wettbürobetreiber einem Spieler ausstellt, um die Wette zu
konkretisieren, stehen oben der Name des Wettbürobetreibers, seine Handelsregisternummer und seine Mehrwertsteuernummer. Außerdem steht auf der Vorderseite
dieser Wettscheine an der Seite „Belgische Tiercé“ und
„Tiercé belge“ (unten auf den Scheinen) und „Tiercé
Franco Belge“ (oben). Auf der Rückseite der Wettscheine
steht:
„Durch seine Teilnahme erklärt der Wetter, dass er die Regelungen der S.C. P.M.U. belge, der S.A. Tiercé Franco-belge
und der Bingoal zur Kenntnis genommen hat und diese akzeptiert.“
22 Bei einer im Juli 2000 eingeleiteten Kontrolle stellte
die belgische Steuerverwaltung fest, dass für die von den
Wettbürobetreibern in der Zeit vom 1.1.1997 bis
31.12.2000 eingenommenen Provisionen keine Mehrwertsteuer abgeführt worden war. Da sie der Auffassung
war, dass die Wettbürobetreiber im Namen von TFB arbeiteten und ihre Tätigkeit daher mehrwertsteuerpflichtig sei, stellte sie im November 2001 an TFB eine Nachforderung hinsichtlich der für die genannten Provisionen
geschuldeten Mehrwertsteuer, zuzüglich Geldbußen und
Verzugszinsen.
23 TFB erhob beim Tribunal de première instance de
Liège Klage auf Feststellung, dass die streitigen Provisionen nicht mehrwertsteuerpflichtig seien, weil die Wettbürobetreiber gemäß den Rechtsvorschriften über die
Mehrwertsteuer als Kommissionäre anzusehen seien,
die im Rahmen einer von dieser Steuer befreiten Dienstleistung tätig würden.
24 Das genannte Gericht gab der Klage mit Urteil vom
20.9.2004 statt. Dieses Urteil wurde auf die vom État belge
erhobene Berufung hin von der Cour d’appel de Liège in
allen Teilen mit Urteil vom 5.10.2005 bestätigt. Die Cour
de cassation hob dieses Urteil auf und verwies die Sache
zurück an das vorlegende Gericht.
25 Erstens prüfte dieses Gericht den Vertrag zwischen
TFB und den Wettbürobetreibern und stellte fest, dass
sich aus der Kombination der vertragseigenen und vertragsfremden Elemente ergebe, dass die Wettbürobetreiber von TFB im Rahmen eines Kommissionsvertrags und
nicht einer Bevollmächtigung zur Annahme und Registrierung von Wetten verpflichtet worden seien. Außerdem folge aus Art. 13 § 2 CTVA, dass die Frage, ob der
Vermittler als Bevollmächtigter und nicht als Kommissionär gehandelt habe, unerheblich sei. Im Ergebnis würden
die Wettbürobetreiber aufgrund eines Kommissionsvertrags unmittelbar im eigenen Namen zur Erbringung einer Dienstleistung tätig, die die Registrierung von Wetten
und die Auszahlung der Gewinne für Rechnung von TFB
umfasse.
26 Zweitens versuchte das vorlegende Gericht festzustellen, ob die Provisionen, die den Wettbürobetreibern von TFB gezahlt wurden, von der Mehrwertsteuer
befreit sind. Da die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nach Ansicht der Cour d’appel de Mons eine Auslegung des Unionsrechts erfordert, hat sie das Verfahren
ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
„Sind die Art. 6 Abs. 4 und Art. 13 Teil B Buchst. f der 6. EG-Richtlinie dahin auszulegen, dass sie der Gewährung einer Steuerbefreiung für Dienstleistungen eines Kommissionärs entgegenstehen, der im eigenen Namen, aber für Rechnung eines Kommit-
472
Rechtsprechung
tenten, der von Art. 13 Teil B Buchst. f der 6. EG-Richtlinie erfasste
Dienstleistungen organisiert, auftritt?“
y Aus den Entscheidungsgründen
Zur Vorlagefrage
n Gegenstand des Vorabentscheidungsersuchens
27 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 6 Abs. 4 und Art. 13 Teil B Buchst. f der
6. EG-Richtlinie dahin auszulegen sind, dass sie der Gewährung einer Befreiung von der Mehrwertsteuer für
Dienstleistungen eines Kommissionärs entgegenstehen,
der im eigenen Namen, aber für Rechnung eines Kommittenten, der von Art. 13 Teil B Buchst. f der 6. EG-Richtlinie erfasste Dienstleistungen organisiert, auftritt. Diese
Frage bezieht sich insbesondere darauf, wie das Verhältnis zwischen einem Unternehmen, das die Tätigkeit eines Wettannehmers ausübt, und einem Wirtschaftsteilnehmer, der bei der Annahme von Wetten im eigenen
Namen, aber für Rechnung des genannten Unternehmens auftritt, im Hinblick auf die Mehrwertsteuer zu beurteilen ist.
n Steuerbefreiung von Wetten, Lotterien und sonstigen
Glücksspielen
28 Wetten, Lotterien und sonstige Glücksspiele mit
Geldeinsatz sind gem. Art. 13 Teil B Buchst. f der 6. EGRichtlinie unter den Bedingungen und Beschränkungen,
die von jedem Mitgliedstaat festgelegt werden, von der
Mehrwertsteuer befreit.
29 Diese Steuerbefreiung ist durch praktische Erwägungen veranlasst, da sich Glücksspielumsätze schlecht für
die Anwendung der Mehrwertsteuer eignen, und nicht,
wie es bei bestimmten im sozialen Bereich erbrachten
Dienstleistungen von allgemeinem Interesse der Fall ist,
durch den Willen, diesen Tätigkeiten eine günstigere
mehrwertsteuerliche Behandlung zu gewährleisten (vgl.
EuGH, Urt. v. 13.7.2006 – Rs. C-89/05 – United Utilities,
EuGHE 2006, I-6813 = UR 2006, 5211 – Rz. 23; EuGH, Urt. v.
10.6.2010 – Rs. C-58/09 – Leo-Libera, EuGHE 2010, I-5189
= UR 2010, 494 – Rz. 24).
n Charakter von Wettumsätzen
30 Wettumsätze im Sinne der genannten Vorschrift sind
durch die Einräumung einer Gewinnchance an die Wettteilnehmer und im Gegenzug die Hinnahme des Risikos,
diese Gewinne auszahlen zu müssen, gekennzeichnet
(EuGH, Urt. v. 13.7.2006 – Rs. C-89/05 – United Utilities,
EuGHE 2006, I-6813 = UR 2006, 5212 – Rz. 26).
31 Der Gerichtshof hat daraufhin festgestellt, dass CallCenter-Dienstleistungen, die zugunsten eines Organisators von Telefonwetten erbracht werden und die die Annahme der Wetten im Namen des Wettorganisators
durch das Personal des Erbringers dieser Dienstleistungen einschließen, keine Wettumsätze i.S.v. Art. 13 Teil B
Buchst. f der 6. EG-Richtlinie darstellen, so dass ihnen die
in dieser Vorschrift vorgesehene Mehrwertsteuerbefreiung nicht zugutekommen kann (EuGH, Urt. v. 13.7.2006 –
Rs. C-89/05 – United Utilities, EuGHE 2006, I-6813 = UR
2006, 5213 – Rz. 29).
1
2
Mit Anm. Hahne, UR 2006, 523.
Mit Anm. Hahne, UR 2006, 523.
12/2012
n Unterschiede zwischen den Dienstleistungen eines
Call-Centers zugunsten eines Organisators von
Telefonwetten und eines Wettbürobetreibers im
Vorlageverfahren
32 Das Ausgangsverfahren unterscheidet sich jedoch in
mehreren Punkten von dem, das zum Urteil United Utilities geführt hat. Zum einen ist nämlich die Tätigkeit der
Wettbürobetreiber insbesondere insofern anders als die
der genannten Call-Center, als Wettbürobetreiber den
Wettern bekannt sind, die Annahme einer Wette jederzeit
ganz oder teilweise verweigern können, ohne dies begründen zu müssen, und auch für die Auszahlung der Gewinne an die Wetter zuständig sind. Zum anderen betraf
die Rechtssache, die zum genannten Urteil führte, die
Annahme von Wetten im Namen des Wettorganisators,
während sich die im Ausgangsverfahren aufgeworfene
Frage ausdrücklich auf die Situation eines Wirtschaftsteilnehmers bezieht, der für die Annahme der genannten
Wetten zwar für Rechnung des Wettorganisators, jedoch
im eigenen Namen auftritt.
33 Ein solches Auftreten im eigenen Namen bedeutet,
dass, anders als es in der Rechtssache, die dem Urteil
United Utilities zugrunde lag, gemäß dessen Rz. 27
(EuGH, Urt. v. 13.7.2006 – Rs. C-89/05 – United Utilities,
EuGHE 2006, I-6813 = UR 2006, 5214) der Fall war, das
Rechtsverhältnis nicht unmittelbar zwischen dem Wetter
und dem Unternehmen, für dessen Rechnung der hinzutretende Wirtschaftsteilnehmer tätig wird, sondern
zwischen diesem Wirtschaftsteilnehmer und dem Wetter
auf der einen und diesem Wirtschaftsteilnehmer und
dem genannten Unternehmen auf der anderen Seite entsteht.
n Umsatzsteuerrechtliche Behandlung eines im eigenen
Namen, aber für Rechnung Dritter tätigen Dienstleisters
34 Was die Beurteilung eines solchen Auftretens in Bezug auf die Mehrwertsteuer angeht, bestimmt Art. 6
Abs. 4 der 6. EG-Richtlinie, dass Steuerpflichtige, die bei
der Erbringung von Dienstleistungen im eigenen Namen,
aber für Rechnung Dritter tätig werden, so behandelt
werden, als ob sie diese Dienstleistungen selbst erhalten
und erbracht hätten.
35 Diese Vorschrift begründet somit die juristische Fiktion zweier gleichartiger Dienstleistungen, die nacheinander erbracht werden. Gemäß dieser Fiktion wird der
Wirtschaftsteilnehmer, der bei der Erbringung von
Dienstleistungen hinzutritt und Kommissionär ist, so behandelt, als ob er zunächst die fraglichen Dienstleistungen von dem Wirtschaftsteilnehmer, für dessen Rechnung er tätig wird und der Kommittent ist, erhalten hätte
und anschließend diese Dienstleistungen dem Kunden
selbst erbrächte. In dem zwischen Kommittent und Kommissionär bestehenden Rechtsverhältnis werden also
ihre jeweiligen Rollen als Dienstleister und als Zahler in
Bezug auf die Mehrwertsteuer fiktiv vertauscht.
n Geltung der für Wettumsätze bestehenden Steuerbefreiung auch im Rechtsverhältnis zwischen
Kommittent und Kommissionär
36 Da Art. 6 Abs. 4 der 6. EG-Richtlinie in deren Abschnitt V
(„Steuerbarer Umsatz“) fällt und allgemein gefasst ist,
3
4
Mit Anm. Hahne, UR 2006, 523.
Mit Anm. Hahne, UR 2006, 523.
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Rechtsprechung
ohne Beschränkungen in Bezug auf seinen Anwendungsbereich oder seine Tragweite zu enthalten, betrifft die mit
dieser Vorschrift geschaffene Fiktion auch die Anwendung von nach der 6. EG-Richtlinie vorgesehenen Befreiungen von der Mehrwertsteuer. Wenn demzufolge die Erbringung von Dienstleistungen, bei der der Kommissionär hinzutritt, von der Mehrwertsteuer befreit ist, gilt diese Befreiung auch im Rechtsverhältnis zwischen Kommittent und Kommissionär.
37 Dieses Ergebnis gilt auch für die nach Art. 13 Teil B
Buchst. f der 6. EG-Richtlinie für Wettgeschäfte vorgesehene Befreiung. Diese weist nämlich im Verhältnis zu anderen Befreiungen keine Besonderheiten auf, die es
rechtfertigen könnten, den Anwendungsbereich von
Art. 6 Abs. 4 der 6. EG-Richtlinie einzuschränken und
Wetten von ihm auszunehmen. Außerdem spielt es für
die Anwendung der letztgenannten Vorschrift keine Rolle, dass der genannte Art. 13 Teil B Buchst. f der 6. EGRichtlinie für Vermittlungsleistungen keine Steuerbefreiung vorsieht, während eine solche in Art. 13 Teil B
Buchst. a und d der 6. EG-Richtlinie ausdrücklich vorgesehen ist.
n Wahrung des Neutralitätsgrundsatzes
38 Auch der Grundsatz der steuerlichen Neutralität
spricht entgegen dem Vorbringen der belgischen Regierung nicht dagegen, auf das Verhältnis zwischen Kommittent und Kommissionär die nach Art. 13 Teil B Buchst. f
der 6. EG-Richtlinie vorgesehene Befreiung von der
Mehrwertsteuer anzuwenden, obwohl die Provision, die
einem Bevollmächtigten gezahlt wird, der im Namen und
für Rechnung des Vollmachtgebers handelt, der Mehrwertsteuer unterliegt. Die 6. EG-Richtlinie selbst sieht
nämlich, wie sich aus Art. 6 Abs. 4 der 6. EG-Richtlinie ergibt, vor, dass für Dienstleistungen eines Kommissionärs,
der im eigenen Namen, jedoch für Rechnung Dritter tätig
wird, besondere Regeln gelten, die von denen für Dienstleistungen eines Bevollmächtigten abweichen, der in
fremdem Namen und für fremde Rechnung tätig wird.
n Würdigung eines Handelns im eigenen Namen ist
Sache des nationalen Gerichts
39 Hinsichtlich der von der belgischen Regierung aufgeworfenen Frage, ob die im Ausgangsverfahren in Rede
stehenden Wettbürobetreiber bei der Annahme von Wetten tatsächlich im eigenen Namen i.S.v. Art. 6 Abs. 4 der
6. EG-Richtlinie tätig werden, ist festzustellen, dass die
Vorlagefrage, die den Wortlaut dieses Absatzes aufgreift,
auf der Prämisse beruht, dass die genannten Wettbürobetreiber in den Anwendungsbereich dieser Vorschrift fallen.
40 Es ist im Rahmen des Verfahrens nach Art. 267 AEUV
Sache des nationalen Gerichts, bei dem ein Rechtsstreit
über die Anwendung von Art. 6 Abs. 4 der 6. EG-Richtlinie
anhängig ist, unter Berücksichtigung des gesamten Sachverhalts und insbesondere der Natur der vertraglichen
Verpflichtungen des betreffenden Wirtschaftsteilnehmers gegenüber seinen Kunden zu prüfen, ob die genannte Voraussetzung für die Anwendung dieser Vorschrift erfüllt ist (vgl. in diesem Sinne in Bezug auf Art. 26
der 6. EG-Richtlinie EuGH, Urt. v. 12.11.1992 – Rs.
C-163/91 – Van Ginkel, EuGHE 1992, I-5723 = UR 1995,
5
Mit Anm. Henkel, UR 2005, 698.
473
302 – Rz. 21; EuGH, Urt. v. 13.10.2005 – Rs. C-200/04 – ISt,
EuGHE 2005, I-8691 = UR 2005, 6945 – Rz. 19 und 20).
n Zweckdienliche Hinweise an das nationale Gericht
zur Würdigung des Handelns eines Wettbürobetreibers im eigenen Namen
41 Der Gerichtshof, der dazu aufgerufen ist, dem nationalen Gericht zweckdienliche Antworten zu geben, ist jedoch befugt, dem vorlegenden Gericht auf der Grundlage der Akten des Ausgangsverfahrens und der vor ihm
abgegebenen schriftlichen und mündlichen Erklärungen
Hinweise zu geben, die diesem Gericht eine Entscheidung ermöglichen (vgl. EuGH, Urt. v. 11.12.2007 – Rs.
C-438/05 – International Transport Workers’ Federation
und Finnish Seamen’s Union, EuGHE 2007, I-10779 –
Rz. 85; EuGH, Urt. v. 13.4.2010 – Rs. C-73/08 – Bressol u.a.,
EuGHE 2010, I-2735 – Rz. 65).
42 Was die Tätigkeit der im Ausgangsverfahren in Rede
stehenden Wettbürobetreiber angeht, ist die in Art. 6
Abs. 4 der 6. EG-Richtlinie vorgesehene Bedingung, wonach der Steuerpflichtige im eigenen Namen, aber für
Rechnung Dritter tätig werden muss, zwar – wie sich aus
Rz. 40 des vorliegenden Urteils ergibt – anhand der fraglichen vertraglichen Beziehungen auszulegen, jedoch ist
es zum ordnungsgemäßen Funktionieren des durch die
6. EG-Richtlinie geschaffenen gemeinsamen Mehrwertsteuersystems erforderlich, dass das vorlegende Gericht
konkret prüft, ob die genannten Wettbürobetreiber in
Anbetracht aller gegebenen Umstände bei der Annahme
von Wetten tatsächlich im eigenen Namen handelten.
43 In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu berücksichtigen, ob die Ausübung ihrer Tätigkeit eine behördliche Genehmigung erfordert, dass auf den von den
Wettbürobetreibern ausgestellten Wettscheinen der
Name von TFB erwähnt wird, dass die Kunden gemäß
den Angaben auf diesen Wettscheinen die Regelungen
dieser Gesellschaft akzeptieren, dass die von den Wettbürobetreibern geführten Geschäfte das Firmenschild
der genannten Gesellschaft tragen, die deren Eigentümerin ist, und ob die Wettbürobetreiber vor dem streiterheblichen Zeitpunkt als Bevollmächtigte handelten. Ob möglicherweise eine nationale Vorschrift auf dem Gebiet der
Mehrwertsteuer existiert, die die in Art. 6 Abs. 4 der 6. EGRichtlinie vorgesehene rechtliche Fiktion über die in diesem Absatz vorgesehenen Kriterien hinaus ausdehnt, ist
jedoch bei der Prüfung, ob die Wettbürobetreiber im eigenen Namen handelten, nicht zu berücksichtigen.
Wenn nämlich die Voraussetzungen von Art. 6 Abs. 4 der
6. EG-Richtlinie nicht erfüllt sind, kommt im Ausgangsverfahren eine Mehrwertsteuerbefreiung für Wetten
nach Art. 13 Teil B Buchst. f der 6. EG-Richtlinie nicht in
Betracht.
44 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten,
dass Art. 6 Abs. 4 und Art. 13 Teil B Buchst. f der 6. EGRichtlinie dahin auszulegen sind, dass, wenn ein Wirtschaftsteilnehmer bei der Annahme von Wetten, die
nach Art. 13 Teil B Buchst. f der 6. EG-Richtlinie von der
Mehrwertsteuer befreit sind, im eigenen Namen, aber für
Rechnung eines die Tätigkeit eines Wettannehmers ausübenden Unternehmens auftritt, dieses Unternehmen
gem. Art. 6 Abs. 4 der 6. EG-Richtlinie so behandelt wird,
als ob es dem genannten Wirtschaftsteilnehmer Wettdienstleistungen erbrächte, die unter die genannte Steuerbefreiung fallen.
474
Rechtsprechung
Steuerbefreiungen
Steuerfreiheit heileurythmischer Leistungen – Nachweis der erforderlichen Berufsqualifikation – Abschnittsbesteuerung
UStG 1999/2005 § 4 Nr. 14; 6. EG-Richtlinie Art. 13 Teil A
Abs. 1 Buchst. c; SGB V §§ 140a ff.
1. Zum Nachweis der bei richtlinienkonformer Auslegung von § 4 Nr. 14 UStG erforderlichen Berufsqualifikation aus einer „regelmäßigen“ Kostentragung durch
Sozialversicherungsträger genügt es nicht, dass lediglich
einzelne gesetzliche Krankenkassen in ihrer Satzung
eine Kostentragung für Leistungen der Heileurythmie
vorsehen (Fortführung von BFH, Urt. v. 11.11.2004 – V R
34/02, BFHE 208, 65 = BStBl. II 2005, 316 = UR 2005, 207
m. Anm. Heidner).
2. Der Befähigungsnachweis kann sich auch aus dem
Abschluss eines Integrierten Versorgungsvertrags nach
§§ 140a ff. SGB V zwischen dem Berufsverband des Leistungserbringers und den gesetzlichen Krankenkassen
ergeben. Dies setzt voraus, dass der Leistungserbringer
Mitglied des Berufsverbands ist, der Integrierte Versorgungsvertrag Qualifikationsanforderungen für die Leistungserbringer aufstellt und der Leistungserbringer diese Anforderungen auch erfüllt.
BFH, Urt. v. 8.3.2012 – V R 30/09
Vorinstanz: FG Baden-Württemberg, Urt. v. 22.6.2009 –
12 K 179/06, 12 K 855/09, 12 K 2055/09, EFG 2009, 1877
y Sachverhalt
1 I. Die Beteiligten streiten um die Steuerfreiheit der
vom Kläger in 1999 bis 2003 sowie 2005 bis 2006 (Streitjahre) erbrachten Leistungen auf dem Gebiet der Heileurythmie (Bewegungstherapie).
2 Im Anschluss an eine vierjährige Grundausbildung in
Eurythmie absolvierte der Kläger vom 23.8.1993 bis zum
10.12.1994 eine Ausbildung zum Heileurythmisten an der
Schule für Eurythmische Heilkunst. Diese erteilte ihm
hierüber am 10.12.1994 ein „Abschluss-Zeugnis“ und am
20.2.2007 ein „Heileurythmie-Diplom“. Danach wird er
von der Leitung der Schule für befähigt erklärt, „im Zusammenhang mit dem Arzt bei Erwachsenen und Kindern Heileurythmie anzuwenden“. Seit 1995 ist der Kläger selbständig als Heileurythmist tätig. Die von ihm erbrachten Leistungen erfolgten stets auf ärztliche Anordnung und wurden größtenteils von einzelnen gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Hinsichtlich der für
die Kostentragung maßgeblichen Grundlage ist zwischen
den Streitjahren bis 2005 und dem Streitjahr 2006 zu unterscheiden:
3 In den Streitjahren 1999 bis 2003 und 2005 erfolgte
die Kostenübernahme durch einzelne Krankenkassen
als Satzungsleistung bzw. aufgrund einer individuellen
Vereinbarung:
4 Die Betriebskrankenkasse securvita (BKK) hatte die
Heileurythmie seit 1997 als Satzungsleistung in ihren
Leistungskatalog aufgenommen. Soweit Leistungen nicht
der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet
werden müssen, gehörten nach § 13 Abs. 2 BKK-Satzung
vom 19./20.11.1996 zu den gesetzlich vorgesehenen Leistungen (. . .):
12/2012
„2. Leistungen der anerkannten besonderen Therapieeinrichtungen (Homöopathie, Anthroposophische Medizin,
Phytotherapie, Naturheilkunde)“.
Eine auf Unterlassen dieser Kostentragung gerichtete
Verpflichtungsanordnung der Aufsichtsbehörde erklärte
das BSG mit Urteil vom 22.3.2005 (BSG, Urt. v. 22.3.2005 –
B 1 A 1/03 R, BSGE 94, 221) für rechtswidrig.
5 Die IKK Hamburg (IKK) übernahm von April 1997 bis
März 2005 die Behandlungskosten für heileurythmische
Leistungen im Rahmen eines Modellprojekts zur Anthroposophischen Medizin nach §§ 63 ff. SGB V (Fünftes Buch
Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung).
Auch insoweit handelte es sich um eine Satzungsleistung, da nach § 64 Abs. 4 i.V.m. § 194 Abs. 1 Nr. 3 SGB V die
Leistungen im Rahmen von Modellprojekten in der Satzung der jeweiligen Krankenkasse zu regeln sind.
6 Die AOK X hatte eine Kostenübernahme für heileurythmische Leistungen nicht in ihren Leistungskatalog
als Satzungsleistung aufgenommen, übernahm jedoch
ausweislich der vom FG in Bezug genommenen Anlage K 18 die Kosten aufgrund einer individuellen Vereinbarung mit dem Kläger.
7 Mit Wirkung zum 1.1.2006 schlossen die IKK und der
Berufsverband Heileurythmie e.V. (BVHE), zu dessen Mitgliedern der Kläger gehört, einen „Vertrag zur Durchführung Integrierter Versorgung nach §§ 140a ff. SGB V über
die Versorgung mit Anthroposophischer Medizin“. § 6
IKK-Vertrag regelt die Teilnahmevoraussetzungen für
nicht-ärztliche Therapeuten dahingehend, dass diese
ihre Teilnahme durch Unterzeichnung einer „Teilnahmeerklärung“ anzeigen. Die Teilnahmeberechtigung wird
nach § 6 Abs. 3 IKK-Vertrag von dem jeweiligen Berufsverband erteilt, wenn der Heilmittelerbringer die in § 6
Abs. 4 IKK-Vertrag genannten Voraussetzungen nachweist. Dies setzt voraus, dass sie speziell ausgebildet sind
und hinsichtlich ihrer Ausbildung und Eignung durch
den jeweiligen Berufsverband überprüft und anerkannt
worden sind. Dabei ist die Überprüfung und Anerkennung durch den jeweiligen Berufsverband zwingend. Als
speziell ausgebildet und damit teilnahmeberechtigt gelten Heilmittelerbringer mit der durch den entsprechenden Berufsverband ausgestellten Berechtigung zur Führung der Berufsbezeichnung sowie solche Heilmittelerbringer, die eine durch den entsprechenden Berufsverband bestätigte Gleichwertigkeit ihrer Qualifikation
nachweisen können. Zur Erbringung von Leistungen
nach diesem Vertrag ist der Heilmittelerbringer ab dem
Zeitpunkt berechtigt, ab dem er die Teilnahmeberechtigung gem. § 6 Abs. 3 IKK-Vertrag vom jeweiligen Berufsverband erhält (§ 6 Abs. 5 IKK-Vertrag).
8 Mit Wirkung zum 1.7.2006 schloss der BVHE zwei
weitere Versorgungsverträge nach §§ 140a ff. SGB V: Einen mit der Betriebskrankenkasse des Bundesverkehrsministeriums (BKK BVM), den anderen mit beigetretenen
gesetzlichen Krankenkassen (BKK BVM, BKK Ernst &
Young, BKK Herkules, BKK Kassana, BKK R+V, KEH Ersatzkasse, mhplus BKK sowie TAUNUS BKK).
9 In dem mit der BKK BVM geschlossenen Versorgungsvertrag sind die Teilnahmevoraussetzungen für
nicht-ärztliche Therapeuten inhaltsgleich zu dem mit der
IKK geschlossenen Vertrag geregelt, insbesondere sieht
auch dieser Vertrag vor, dass die Teilnahmeberechtigung
vom jeweiligen Berufsverband bei Erfüllung der Qualifikationsvoraussetzungen erteilt wird (§ 6 Abs. 3 BKKBVM-Vertrag) und der Heilmittelerbringer von dem Zeitpunkt an berechtigt ist, Leistungen nach diesem Vertrag
12/2012
Rechtsprechung
zu erbringen, ab dem er die Teilnahmeberechtigung vom
jeweiligen Berufsverband erhält.
10 Der mit Wirkung ab 1.7.2006 in Kraft getretene Vertrag mit beigetretenen gesetzlichen Krankenkassen regelt in § 2 Nr. 1, dass die „Leistungserbringung eine Zulassung des Leistungserbringers durch den jeweiligen Berufsverband voraussetzt“. Die Durchführung der Behandlung darf nur hierfür analog den gemeinsamen Empfehlungen nach § 124 Abs. 4 SGB V von qualifizierten Therapeuten und in nach § 124 Abs. 2 SGB V zugelassenen Praxen erfolgen.
11 In den für die Streitjahre abgegebenen Umsatzsteuererklärungen erfasste der Kläger die als Heileurythmist
erbrachten Leistungen nicht, da es sich seiner Ansicht
nach um nach § 4 Nr. 14 UStG 1999/2005 steuerfreie Leistungen handelte.
12 Im Anschluss an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung
für die Jahre 1999 bis 2003 vertrat das beklagte FA die
Ansicht, die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nach
§ 4 Nr. 14 UStG lägen wegen fehlender Kassenzulassung
des Klägers und wegen fehlender Aufnahme der Heileurythmie in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen nicht vor. Hierauf setzte das FA die Umsatzsteuer für 1999 bis 2003 mit den Bescheiden vom
14.10.2005 fest. Außerdem änderte das FA die unter dem
Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Umsatzsteuerfestsetzungen 2005 und 2006 mit den Bescheiden vom
19.4.2007 (Umsatzsteuer 2005) und vom 8.5.2008 (Umsatzsteuer 2006). Die dagegen eingelegten Einsprüche blieben erfolglos.
13 Das FG gab nur der Klage wegen Umsatzsteuer 2006
statt und wies die Klage im Übrigen als unbegründet ab.
Zur Begründung führte es in seinem veröffentlichten Urteil im Wesentlichen aus:
14 Die bis einschließlich 2005 erbrachten Leistungen
des Klägers seien steuerpflichtig, weil insoweit der berufliche Befähigungsnachweis fehle. Der Berufsstand des
Heileurythmisten habe keine berufsrechtliche Regelung
erfahren, sodass von einer beruflichen Befähigung
grundsätzlich nicht ausgegangen werden könne. Ein Befähigungsnachweis liege zwar auch vor, wenn die Leistungen des Unternehmers in der Regel von den Sozialversicherungsträgern finanziert würden. Grundlage hierfür sei in erster Linie eine Zulassung des jeweiligen Unternehmers oder seiner Berufsgruppe gem. § 124 Abs. 2
SGB V, woran es im Streitfall fehle. Die vom Kläger erbrachten Leistungen seien auch nicht in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen
worden. Unerheblich sei, ob den Patienten die Vergütungen für die Leistungen zu weit über 90 % nachträglich erstattet worden seien, weil im Zeitpunkt der Leistung
nicht festgestanden habe, ob die Leistungen der Umsatzsteuer unterliegen. An dieser Ungewissheit ändere sich
auch in den Fällen des sog. Systemmangels nichts. Zu
dessen Feststellung und den daraus zu ziehenden Konsequenzen seien allein die Gerichte befugt. Im Streitfall
sei weder vom Kläger vorgetragen noch ersichtlich, dass
eine gerichtliche Entscheidung vorliege.
15 Die Klage wegen Umsatzsteuer 2006 sei dagegen begründet, weil die Leistungen des Klägers als Regelleistungen im Sinne des BFH-Urteils vom 11.11.2004 (BFH,
Urt. v. 11.11.2004 – V R 34/02, BFHE 208, 65 = BStBl. II 2005,
316 = UR 2005, 2071) vergütet worden seien. Maßgeblich
1
2
Mit Anm. Heidner, UR 2005, 210.
Mit Anm. Heidner, UR 2005, 210.
475
hierfür seien der verbindliche Abschluss von Integrierten Versorgungsverträgen und die Mitgliedschaft des
Klägers im Berufsverband Heileurythmie.
16 Die vom FG zugelassene Revision haben sowohl der
Kläger als auch das FA eingelegt.
17 Der Kläger macht im Wesentlichen geltend, das FG
habe ihm die Steuerfreiheit seiner in den Streitjahren
1999 bis 2003 und 2005 erbrachten Leistungen zu Unrecht versagt:
18 Hinsichtlich der Kostentragung für heileurythmische
Leistungen habe sich die Sach- und Rechtslage – gegenüber dem die Jahre 1973 bis 1978 betreffenden BFH-Urteil vom 11.11.2004 (BFH, Urt. v. 11.11.2004 – V R 34/02,
BFHE 208, 65 = BStBl. II 2005, 316 = UR 2005, 2072) – entscheidend geändert, da seit 1999 mehrere gesetzliche
Krankenkassen die Kosten der Heileurythmie regelmäßig erstatteten: Die securvita als Satzungsleistung, die
IKK im Rahmen eines Modellprojektes und die AOK X
aufgrund einer Vereinbarung mit dem Kläger. Nach dem
BFH-Urteil vom 11.11.2004 (BFH, Urt. v. 11.11.2004 – V R
34/02, BFHE 208, 65 = BStBl. II 2005, 316 = UR 2005, 2073)
genüge für die Annahme einer regelhaften Kostenübernahme der Sozialversicherungsträger die Aufnahme der
Leistung in die Satzung einzelner Krankenkassen. Die
Kostenübernahme beruhe somit nicht mehr – wie früher – auf Ausnahme- oder Ermessensentscheidungen
der gesetzlichen Krankenkassen.
19 Dass die Heileurythmie nicht in das Leistungsverzeichnis der Heilmittel-Richtlinien des Gemeinsamen
Bundesausschusses aufgenommen worden sei, hänge damit zusammen, dass der Bundesausschuss seine Beschlüsse nur auf Antrag fasse, die Berufsverbände der
Leistungserbringer der Anthroposophischen Medizin
und insbesondere der Berufsverband Heileurythmie aber
nicht antragsberechtigt seien und daher eine Prüfung
und Empfehlung über eine neue Behandlungsmethode
i.S.d. § 135 SGB V nicht in Gang setzen könnten. Das BSG
habe in seinem Urteil vom 22.3.2005 (BSG, Urt. v.
22.3.2005 – B 1 A 1/03 R, BSGE 94, 221 – Rz. 42) die Annahme
eines „Systemversagens“ als nicht fernliegend erachtet.
20 Soweit Krankenkassen in den Streitjahren die Kosten
für die heileurythmischen Leistungen des Klägers trugen, hätten sie diese ganz überwiegend bzw. ausschließlich als Regelleistung übernommen, was sich aus der hohen Kostenübernahmequote von 95 % bis 98 % bei allen
Patienten dieser gesetzlichen Krankenversicherungen
ergebe. Entgegen der Ansicht des FA sei die Regelhaftigkeit der Kostenübernahme nicht danach zu bestimmen,
ob alle Krankenkassen bundesweit und einheitlich die
Kosten für die Leistungen übernehmen, sondern danach,
ob die Leistung seitens der jeweils übernehmenden Kasse als Regelleistung angesehen und finanziert werde.
Nur diese Auslegung entspreche dem Zweck des § 4
Nr. 14 UStG, der in der Entlastung der Kostenträger von
der Umsatzsteuer liege. Entscheidend sei allein, wie die
Kasse selbst die Leistung auffasse und darstelle, ob als
Einzelfall-Ausnahmeentscheidung oder als Regelleistung
ohne Einzelfallprüfung. Bei allen Kassen, die heileurythmische Leistungen finanzierten, sei Letzteres der Fall gewesen. Die gegenteilige Auffassung des FA führe dazu,
dass nur die Aufnahme von Leistungen in den bundesweiten Leistungskatalog das Erfordernis der regelhaften
Kostenübernahme erfüllen könne, obwohl nach der
höchstrichterlichen Rechtsprechung die Aufnahme der
3
Mit Anm. Heidner, UR 2005, 210.
476
Rechtsprechung
Leistungen in die Heilmittel-Richtlinien lediglich ein Indiz
für die Annahme der beruflichen Befähigung darstelle.
21 Soweit das FA allein auf die Aufnahme in das bundesweit einheitliche Leistungsverzeichnis der HeilmittelRichtlinien abstelle, berücksichtige es nicht die Möglichkeit von Satzungsleistungen nach § 194 Abs. 1 Nr. 3
SGB V. Die Aufnahme als Satzungsleistung selbst sei
zwar freiwillig, mit der Aufnahme in die Satzung verpflichte sich die Kasse jedoch zu diesen Leistungen gegenüber ihren Versicherten. Im Falle von Satzungsleistungen seien die Regelungen naturgemäß nicht bundesweit einheitlich, sondern kassenindividuell. Gleichwohl
erfüllten auch solche Satzungsleistungen nach dem BFHUrteil vom 11.11.2004 (BFH, Urt. v. 11.11.2004 – V R 34/02,
BFHE 208, 65 = BStBl. II 2005, 316 = UR 2005, 2074) das Erfordernis der regelhaften Kostenübernahme.
22 Dass eine regelhafte Kostenübernahme auch beim
Abschluss eines Vertrags einer einzelnen Krankenkasse
mit einem Leistungserbringer vorliege, ergebe sich aus
dem BFH-Urteil vom 10.3.2005 (BFH, Urt. v. 10.3.2005 –
V R 54/04, BFHE 210, 151 = BStBl. II 2005, 669 = UR 2005,
674). Darin sei vom BFH nicht beanstandet worden, dass
das FG die berufliche Qualifikation des Klägers u.a. auf
der Grundlage eines Ernährungsberatungsvertrags mit
nur einer Krankenkasse sowie seiner Tätigkeit für den
Medizinischen Dienst der Krankenkassen bejaht habe.
Der BFH habe insoweit auf die Erfüllung der Qualifikationsvoraussetzungen von Versorgungsverträgen nach
§ 11 Abs. 2, § 23 Abs. 4, § 40, § 111 SGB V abgestellt.
23 Selbst wenn unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte kein Befähigungsnachweis für die Streitjahre
1999 bis 2003 und 2005 vorliege, ergebe sich dieser aus
einer Rückwirkung des vom FG für das Streitjahr 2006
anerkannten beruflichen Befähigungsnachweises, da
sich im Hinblick auf die berufliche Qualifikation des Klägers ab dem Jahr 2006 nichts geändert habe. Ebenso wie
das FG Baden-Württemberg (FG BW, Urt. v. 17.7.2007 –
1 K 490/04, EFG 2007, 1910) aus der zeitweisen Aufnahme
der Fußreflexzonenmassage in die Heilmittel-Richtlinien
ein Fortwirken der beruflichen Qualifikation angenommen habe, sei im Streitfall spiegelbildlich von einer Rückwirkung der beruflichen Qualifikation auf die Streitjahre
vor Inkrafttreten der Integrierten Versorgungsverträge
auszugehen.
24 Im Übrigen verstoße eine Versagung der Steuerbefreiung für die Heileurythmie sowohl gegen die Ziele der
6. EG-Richtlinie 77/388/EWG als auch gegen den Neutralitätsgrundsatz:
25 Ziel des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie sei es nach der Rechtsprechung des EuGH nicht, die
Sozialversicherungssysteme zu entlasten, sondern die
Kosten der Heilbehandlungen zu senken und diese Behandlungen dem Einzelnen zugänglicher zu machen. Da
nur diejenigen Heilbehandlungen steuerbefreit seien, die
unter Berücksichtigung der beruflichen Ausbildung der
Behandelnden eine ausreichende Qualität aufwiesen,
müsse der Ausschluss eines bestimmten Berufs durch
sachliche Gründe gerechtfertigt sein, die sich auf die berufliche Qualifikation des Behandelnden und damit auf
Erwägungen im Zusammenhang mit der Qualität der erbrachten Leistungen beziehen. Damit nicht vereinbar sei
es, die Steuerbefreiung an eine Kassenzulassung der Berufsgruppe der Heileurythmisten zu knüpfen. Im Hinblick auf die unterschiedliche Ausgestaltung der Krankenversicherungssysteme in den Mitgliedstaaten hande4
Mit Anm. Heidner, UR 2005, 210.
12/2012
le es sich bei der Voraussetzung einer regelhaft erbrachten Leistung der gesetzlichen Krankenkassen um kein
zulässiges Kriterium. Die fehlende Kassenzulassung sage
nichts über die berufliche Qualifikation eines Heileurythmisten und die Qualität seiner Leistung aus und sei
somit als Kriterium ungeeignet. Dasselbe gelte für den
Umstand, dass die Heileurythmie nicht Bestandteil der
Heilmittel-Richtlinie sei, worauf sich das BVerfG und der
BFH stützten.
26 Der Neutralitätsgrundsatz verbiete es, dass Wirtschaftsteilnehmer mit gleichartigen Umsätzen unterschiedlich behandelt werden. Anthroposophische Ärzte
nähmen Heileurythmiebehandlungen seit Jahrzehnten
umsatzsteuerfrei vor und seien dafür eher weniger qualifiziert als ausgebildete Heileurythmisten. Zudem gehörten Heileurythmiebehandlungen durch Heileurythmisten in anthroposophischen Krankenhäusern seit jeher
zum Therapieangebot und würden dort nach § 4 Nr. 14
UStG oder § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG als umsatzsteuerfrei
anerkannt.
27 Für das Streitjahr 2006 habe das FG die Steuerfreiheit
zu Recht bejaht, da die Heileurythmie in den Versorgungsverträgen ausdrücklich als deren Bestandteil erwähnt sei. Den Versicherten werde ein Rechtsanspruch
auf die Leistungen garantiert. Auf der Grundlage dieser
Verträge finde auch eine Qualitätssicherung in Bezug auf
Ausbildung und Qualifikation der beteiligten Therapeuten statt. Zudem sähen § 1 Nr. 3 und § 2 Nr. 1 eine analoge
Anwendung der §§ 124 ff. SGB V ausdrücklich vor; die
Leistungserbringung setze also eine Zulassung des Leistungserbringers seitens des Berufsverbandes voraus.
28 Der Kläger beantragt,
1. das angefochtene Urteil des FG Baden-Württemberg
vom 22.6.2009 aufzuheben, soweit es die Streitjahre
1999 bis 2003 (12 K 179/06) und 2005 (12 K 855/09) betrifft,
2. die Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre 1999 bis
2003 vom 14.10.2005 sowie für das Streitjahr 2005 vom
19.4.2007 und die Einspruchsentscheidungen vom
24.3.2006 und vom 29.5.2007 aufzuheben und die Umsatzsteuer auf 0 . festzusetzen,
3. die Revision des FA betreffend das Streitjahr 2006
(12 K 2055/09) zurückzuweisen.
29 Das FA beantragt, die Revision des Klägers hinsichtlich Umsatzsteuer 1999 bis 2003 und 2005 zurückzuweisen und hinsichtlich Umsatzsteuer 2006 das Urteil des FG
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
30 Das FG habe die Steuerfreiheit der Leistungen des
Klägers in 2006 zu Unrecht bejaht, da Integrierte Versorgungsverträge keine einheitliche und verbindliche Regelung der Kostenübernahme durch alle gesetzlichen
Krankenkassen enthielten. Es sei weiterhin von einem
unterschiedlichen Leistungsverhalten der Kassen auszugehen. Eine klare Rechtsgrundlage bestehe nur für die
Versicherungsnehmer bezüglich ihres Anspruchs auf
Kostenübernahme von Heileurythmieleistungen, sofern
sie bei bestimmten Krankenkassen versichert seien. Aus
dem Urteil des BSG vom 22.3.2005 (BSG, Urt. v. 22.3.2005
– B 1 A 1/03 R, BSGE 94, 221) lasse sich nicht ableiten,
dass Heileurythmie generell zum Leistungsbereich der
Krankenkassen gehöre.
31 Ein Beschluss des Bundesausschusses, wonach Leistungen eines Heileurythmisten zum Leistungsumfang
12/2012
Rechtsprechung
der gesetzlichen Krankenkassen (§§ 124, 92 SGB V) zählten, sei nicht bekannt und lasse sich den Gründen des
FG-Urteils nicht entnehmen. Auch nach Auskunft von
AOK und BKK seien die Leistungen der Heileurythmie
nicht Gegenstand der Heilmittel-Richtlinien.
32 Ob und inwieweit die Nichtaufnahme der Heileurythmie in den Leistungskatalog im Hinblick auf den Wandel
der Erstattungspraxis von einzelnen Sozialversicherungsträgern seine Richtigkeit habe, liege außerhalb des
Entscheidungsbereichs der Finanzbehörde. Diese könne
lediglich anhand der gesetzlichen Regelungen des SGB V
prüfen, ob die Leistungen in der Regel von Sozialversicherungsträgern finanziert würden.
33 Eine Steuerfreiheit der streitigen Umsätze sei unvereinbar mit dem Neutralitätsgrundsatz, da dies zur Folge
hätte, dass gleichartige Leistungen wegen der regional
unterschiedlichen Erstattungspraxis der einzelnen Krankenkassen für die Inanspruchnahme von Leistungen, die
nicht im jeweils geltenden Leistungskatalog (§ 92 SGB V)
enthalten sind, umsatzsteuerrechtlich unterschiedlich zu
beurteilen wären.
34 Soweit der Kläger anführe, dass Heilpraktiker und
Physiotherapeuten im Gegensatz zu Heileurythmisten
ausdrücklich zu den nach § 4 Nr. 14 UStG befreiten Berufen zählten und darin eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung liege, könne dem nicht gefolgt werden. Auch wenn die Tätigkeit eines Heileurythmisten
mit der Tätigkeit eines Physiotherapeuten vergleichbar
sei und eine ähnliche Ausbildung bzw. ähnliche Ausbildungsbedingungen vorlägen, komme es darauf nicht
mehr an. Bestimmendes Merkmal für die Definition der
arztähnlichen Berufe sei nach dem EuGH-Urteil Solleveld
(EuGH, Urt. v. 27.4.2006 – Rs. C-443/04 und C-444/04 – Solleveld und van den Hout-van Eijnsbergen, EuGHE 2006,
I-3617 = UR 2006, 587 – Rz. 37 und 40) die Qualifikation
des Behandelnden. Der Heilpraktiker und der Physiotherapeut gehörten unstreitig zu den Berufen nach § 4 Nr. 14
UStG und hätten somit die Qualifikation, während der
Heileurythmist die für § 4 Nr. 14 UStG erforderliche Qualifikation nicht besitze.
477
ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit (Umsatzsteuergesetz
1999: „im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes“) und aus der Tätigkeit als klinischer Chemiker steuerfrei. Die Vorschrift setzt Art. 13 Teil A Abs. 1
Buchst. c der 6. EG-Richtlinie um, wonach „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen
der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat
definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe erbracht
werden“, steuerfrei sind.
38 § 4 Nr. 14 UStG setzt nach ständiger Rechtsprechung
(vgl. zuletzt BFH, Urt. v. 18.8.2011 – V R 27/10, UR 2011,
9025 = BFH/NV 2011, 2214; BFH, Urt. v. 2.9.2010 – V R
47/09, BFHE 231, 326 = BStBl. II 2011, 195 = UR 2011, 101)
bei richtlinienkonformer Auslegung voraus, dass der Unternehmer eine Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin durch ärztliche oder arztähnliche Leistungen erbringt und er die dafür erforderliche berufliche Qualifikation besitzt, damit die Heilbehandlungen unter Berücksichtigung der beruflichen Ausbildung der Behandelnden eine ausreichende Qualität aufweisen (vgl.
EuGH, Urt. v. 27.4.2006 – Rs. C-443/04 und C-444/04 – Solleveld und van den Hout-van Eijnsbergen, EuGHE 2006,
I-3617 = UR 2006, 587 – Rz. 37).
n Begriff der Heilbehandlung
39 2. Heilbehandlungen i.S.d. Art. 13 Teil A Abs. 1
Buchst. c der 6. EG-Richtlinie sind Tätigkeiten, die zum
Zwecke der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen bei Menschen vorgenommen werden (EuGH, Urt.
v. 6.11.2003 – Rs. C-45/01 – Dornier, EuGHE 2003, I-12911
= UR 2003, 5846 = BFH/NV Beilage 2004, 40 – Rz. 48;
EuGH, Urt. v. 20.11.2003 – Rs. C-212/01 – Unterpertinger,
EuGHE 2003, I-13859 = UR 2004, 70 = BFH/NV Beilage
2004, 111). Diese Voraussetzungen lagen nach den Feststellungen des FG im Streitfall vor, denn die auf ärztliche
Anordnung erbrachten heileurythmischen Leistungen
des Klägers dienten dem Zweck der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen der Leistungsempfänger.
y Aus den Entscheidungsgründen
n Revision teilweise erfolgreich
35 II. Die Revision des Klägers wegen Umsatzsteuer
1999 bis 2003 und 2005 ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Die Revision des FA wegen Umsatzsteuer 2006 ist im Ergebnis begründet und
führt mangels Spruchreife zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
36 Das FG hat die Steuerfreiheit der heileurythmischen
Leistungen des Klägers für die Streitjahre 1999 bis 2003
und 2005 zu Recht verneint. Für das Streitjahr 2006 kann
der Senat aufgrund der Feststellungen des FG nicht abschließend über die Steuerfreiheit der Umsätze des Klägers entscheiden.
n Umsatzsteuerbefreiung von Heilbehandlungen im
Bereich der Humanmedizin durch Erbringen ärztlicher oder arztähnlicher Leistungen
37 1. Nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG sind die Umsätze aus
der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut (Krankengymnast), Hebamme oder aus einer
5
Mit Anm. Marchal, UR 2011, 905; Anm. Wüst, UR 2011, 906.
n Nachweis der erforderlichen beruflichen Qualifikation aufgrund berufsrechtlicher Regelungen
40 3. Der Nachweis der Qualifikation kann sich nach
ständiger Rechtsprechung des Senats für die nicht unter
die Katalogberufe fallenden Unternehmer insbesondere
aus berufsrechtlichen Regelungen ergeben (vgl. zuletzt
BFH, Urt. v. 30.4.2009 – V R 6/07, BFHE 225, 248 = BStBl. II
2009, 679 = UR 2009, 563).
41 Eine berufsrechtliche Regelung über Ausbildung,
Prüfung, staatliche Anerkennung sowie staatliche Erlaubnis und Überwachung der Berufsausübung ist, wie
das FG zu Recht festgestellt hat, für das Berufsbild des
Heileurythmisten in Deutschland trotz entsprechender
Initiativen der Berufsverbände bislang nicht erlassen
worden. Die vom Kläger erworbene Qualifikation („Abschluss-Zeugnis“ bzw. „Heileurythmie-Diplom“ mit Zulassung als Heileurythmist) kann somit nicht auf einer derartigen berufsrechtlichen Regelung beruhen und steht
ihr auch nicht gleich, da sie nicht von staatlichen, sondern von einem privaten Ausbildungsinstitut verliehen
wurde.
6
Mit Anm. Widmann, UR 2003, 594.
478
Rechtsprechung
12/2012
n Nachweis der für die Leistungserbringung erforderlichen Berufsqualifikation aus einer „regelmäßigen“
Kostentragung durch Sozialversicherungsträger
n Keine Zulassung der Berufsgruppe der Heileurythmisten von den gesetzlichen Krankenkassen in den
Streitjahren als Leistungserbringer
42 4. Im Hinblick auf die Rechtsprechung des BVerfG
(BVerfG, Urt. v. 29.10.1999 – 2 BvR 1264/90, BVerfGE 101,
132 = BStBl. II 2000, 155 = UR 1999, 494) kann der Nachweis der für die Leistungserbringung erforderlichen Berufsqualifikation auch aus einer „regelmäßigen“ Kostentragung durch Sozialversicherungsträger folgen, wobei
eine derartige Kostentragung durch gesetzliche Krankenkassen nach der Rechtsprechung des Senats nur
dann von Bedeutung ist, wenn sie den Charakter eines
Befähigungsnachweises hat (vgl. zuletzt BFH, Urt. v.
2.9.2010 – V R 47/09, BFHE 231, 326 = BStBl. II 2011, 195 =
UR 2011, 101 – unter II 3 der Gründe). Die Kostentragung
kann sich im Einzelfall aus den Beziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern nach dem Vierten Kapitel des SGB V und damit aus den §§ 69 ff. SGB V
ergeben. So ist z.B. die Aufnahme der betreffenden Leistungen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen nach § 92 SGB V, der Abschluss eines Versorgungsvertrags nach § 111 SGB V oder die Zulassung des
Unternehmers oder seiner Berufsgruppe nach § 124
SGB V als Indiz für das Vorliegen der erforderlichen Berufsqualifikation anzusehen (vgl. z.B. BFH, Urt. v. 2.9.2010
– V R 47/09, BFHE 231, 326 = BStBl. II 2011, 195 = UR 2011,
101 – unter II 3 der Gründe; BFH, Urt. v. 30.4.2009 – V R
6/07, BFHE 225, 248 = BStBl. II 2009, 679 = UR 2009, 563 –
unter II 1 b der Gründe).
45 a) Weder der Kläger selbst noch die Berufsgruppe
der Heileurythmisten ist in den Streitjahren als Leistungserbringer von den gesetzlichen Krankenkassen
nach § 124 SGB V zugelassen. Selbst in den aktuellen
Empfehlungen des Spitzenverbandes der gesetzlichen
Krankenversicherung zur einheitlichen Anwendung der
Zulassungsbedingungen nach § 124 Abs. 2 SGB V vom
18.10.2010 sind die Heileurythmisten weder bei den zulassungsfähigen noch bei den nicht zulassungsfähigen
Berufsgruppen genannt.
43 Darüber hinaus ergibt sich der für die Steuerfreiheit
erforderliche Befähigungsnachweis nach der Rechtsprechung des Senats auch daraus, dass der Behandelnde die
Qualifikation hat, die in einem Versorgungsvertrag gem.
§ 11 Abs. 2, § 40, § 111 SGB V für Leistungen von Fachkräften zur medizinischen Rehabilitation benannt ist (vgl.
BFH, Urt. v. 25.11.2004 – V R 44/02, BFHE 208, 80 = BStBl. II
2005, 190 = UR 2005, 2527). Steuerfreie Leistungen kommen danach in Betracht, wenn eine Rehabilitationseinrichtung aufgrund eines mit einer Krankenkasse geschlossenen Versorgungsvertrags gem. § 11 Abs. 2, § 40,
§ 111 SGB V mit Hilfe von Fachkräften Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erbringt. In diesem Fall sind
regelmäßig sowohl die Leistungen der Rehabilitationseinrichtung als auch die Leistungen der Fachkräfte an
die Rehabilitationseinrichtung steuerfrei, soweit diese
Fachkräfte die in dem Versorgungsvertrag benannte
Qualifikation haben. Ferner kann sich nach dem Senatsurteil vom 30.4.2009 (BFH, Urt. v. 30.4.2009 – V R 6/07,
BFHE 225, 248 = BStBl. II 2009, 679 = UR 2009, 563) der berufliche Befähigungsnachweis auch aus einer Kostentragung nach § 43 SGB V in Verbindung mit einer „Gesamtvereinbarung“ ergeben. Charakteristisch für die Kostentragung in diesen Fällen ist, dass vertragliche Vereinbarungen mit gesetzlichen Krankenkassen geschlossen
und zur Leistungserbringung jeweils Fachkräfte eingebunden werden, die bestimmte Qualifikationsanforderungen zu erfüllen haben.
n Aufnahme der betreffenden Leistungen in den
Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen
46 b) Der berufliche Befähigungsnachweis ergibt sich
auch nicht daraus, dass die betreffenden Leistungen in
den durch die Heil- und Hilfsmittel-Richtlinien gem. § 92
SGB V konkretisierten Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen worden sind oder
nach Maßgabe der Satzung der jeweiligen Krankenkasse
gem. § 194 Abs. 1 Nr. 3 SGB V übernommen werden (vgl.
BFH, Urt. v. 11.11.2004 – V R 34/02, BFHE 208, 65 = BStBl. II
2005, 316 = UR 2005, 2078 – unter II 4 b bb der Gründe).
n Heileurythmische Leistungen keine Heilmittel im
Sinne der Heilmittel-Richtlinien
47 aa) Insoweit hat das FG zu Recht entschieden, dass
es sich bei den heileurythmischen Leistungen um keine
Heilmittel im Sinne der Heilmittel-Richtlinien handelt
und deren Kosten daher nicht von den gesetzlichen
Krankenkassen getragen wurden.
n Heileurythmische Leistungen als Satzungsleistung
einzelner Krankenkassen
48 bb) Das FG hat in seiner Entscheidung zwar nicht berücksichtigt, dass Satzungsleistungen neben den Leistungen aus den Heilmittel-Richtlinien die zweite Kategorie
von Kassenleistungen bilden, auf die der Versicherte einen Anspruch hat und der berufliche Befähigungsnachweis daher auch aus einer Kostentragung nach Maßgabe
der Satzung von Krankenkassen folgen kann (BFH, Urt.
v. 11.11.2004 – V R 34/02, BFHE 208, 65 = BStBl. II 2005, 316
= UR 2005, 2079 – unter II 4 b bb der Gründe).
49 Entgegen der Auffassung des Klägers reicht es insoweit aber nicht aus, dass – wie vorliegend in den Streitjahren 1999 bis 2003 und 2005 – nur einzelne Krankenkassen
die heileurythmischen Leistungen als Satzungsleistung ersetzten, da dies keine regelmäßige Finanzierung der Sozialversicherungsträger im Sinne der Rechtsprechung des
BVerfG und des erkennenden Senates darstellt:
n Anthroposophische Medizin als Satzungsleistung
n Kein Vorliegen des beruflichen Befähigungsnachweises für die Streitjahre 1999 bis 2003 und 2005
44 5. Nach diesen Grundsätzen liegt – entgegen der
Auffassung des Klägers – ein beruflicher Befähigungsnachweis in den Streitjahren 1999 bis 2003 und 2005
nicht vor:
7
8
Mit Anm. Heidner, UR 2005, 254.
Mit Anm. Heidner, UR 2005, 210.
50 (1) Ausweislich § 13 Abs. 2 Nr. 2 der Satzung der securvita vom 19./20.11.1996 gehörte zum Leistungskatalog
der Versicherten auch die Anthroposophische Medizin
und damit die Heileurythmie. Außerdem erstattete die
IKK im Rahmen eines Modellprojekts zur Anthroposophischen Medizin nach §§ 63 ff. SGB V die Kosten heileurythmischer Leistungen.
9
Mit Anm. Heidner, UR 2005, 210.
12/2012
Rechtsprechung
n Regelmäßige Kostentragung durch den Großteil der
Träger gesetzlicher Krankenkassen
51 (2) Leistungen eines Heileurythmisten werden aber
nur dann im Sinne des BVerfG-Urteils vom 29.10.1999
(BVerfG, Urt. v. 29.10.1999 – 2 BvR 1264/90, BVerfGE 101,
132 = BStBl. II 2000, 155 = UR 1999, 494) und des Senatsurteils vom 13.4.2000 (BFH, Urt. v. 13.4.2000 – V R 78/99,
BFHE 191, 441 = UR 2000, 436) „in der Regel von den Sozialversicherungsträgern finanziert“, wenn ein Großteil
der Träger gesetzlicher Krankenkassen eine Kostentragung in ihrer Satzung regelt. Dem steht nicht entgegen,
dass die Heileurythmie als Teil der anthroposophischen
Medizin nach § 2 Abs. 1 Satz 2 SGB V nicht als Heilmittel
ausgeschlossen ist. Diese Vorschrift ermöglicht es den
gesetzlichen Krankenkassen zwar, derartige Leistungen
zu übernehmen, verpflichtet sie aber nicht dazu.
n Träger der gesetzlichen Krankenversicherung
52 (a) Träger der gesetzlichen Krankenversicherung
sind gem. § 12 i.V.m. § 21 Abs. 2 SGB I und § 4 Abs. 2 SGB V
die Ortskrankenkassen (§§ 143 ff. SGB V), die Betriebskrankenkassen (§§ 147 ff. SGB V), die Innungskrankenkassen (§§ 157 ff. SGB V), die Landwirtschaftlichen Krankenkassen (§ 166 SGB V), die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See (§ 167 SGB V) und die Ersatzkrankenkassen (§ 168 SGB V). Die gesetzlichen Krankenkassen sind dezentral organisiert, ihre Zahl wechselt
jährlich: Gab es im Streitjahr 1999 noch 455 gesetzliche
Krankenkassen, ging ihre Zahl im Streitjahr 2000 auf 420,
in 2003 auf 324 und im Streitjahr 2006 auf 267 zurück (vgl.
Bundesministerium für Gesundheit, Daten des Gesundheitswesens 2011 – unter 8.4: Zahl der gesetzlichen Krankenkassen).
n Satzungsmäßige und individuell vereinbarte
Kostentragung durch drei gesetzliche Krankenkassen
zur Annahme einer regelmäßigen Kostentragung
nicht ausreichend
53 (b) Der Senat kann nach den Umständen des Streitfalles offen lassen, wie viele gesetzliche Krankenkassen
eine Kostentragung in ihre Satzung aufzunehmen haben,
damit von einer regelmäßigen Finanzierung durch die
Träger der gesetzlichen Krankenversicherung auszugehen ist. Denn der Kläger hat lediglich dargelegt, dass
dies – auch unter Berücksichtigung einer individuellen
Vereinbarung mit der AOK X – bei lediglich drei Krankenkassen der Fall war. Zur Annahme einer regelmäßigen Kostentragung durch „die Sozialversicherungsträger“ genügt dies nicht. Soweit die Ausführungen im Senatsurteil vom 11.11.2004 (BFH, Urt. v. 11.11.2004 – V R
34/02, BFHE 208, 65 = BStBl. II 2005, 316 = UR 2005, 20710
– unter II 4 b bb und II 5 der Gründe) dahingehend verstanden worden sind, dass bereits die Kostentragung in
der Satzung einer gesetzlichen Krankenkasse genügen
sollte, hält der Senat hieran nicht fest.
n Keine Kostentragungspflicht der gesetzlichen
Krankenkassen wegen „Systemversagens“
54 cc) Entgegen der Ansicht des Klägers ergibt sich der
berufliche Befähigungsnachweis auch nicht aus einer
Kostentragungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen
wegen „Systemversagens“.
10 Mit Anm. Heidner, UR 2005, 210.
479
n Begriff des Systemversagens
55 (1) Nach der Rechtsprechung des BSG kann sich eine
Leistungsverpflichtung der gesetzlichen Krankenkassen
ausnahmsweise ergeben, wenn die fehlende Anerkennung der Heilmethode auf einem Mangel des gesetzlichen Leistungssystems beruht (Systemversagen). Dies ist
insbesondere der Fall, wenn die fehlende Anerkennung
einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode
darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem
Gemeinsamen Bundesausschuss trotz Erfüllung der für
eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht
durchgeführt wurde oder zwar kein Antrag auf Anerkennung gestellt wurde, eine Überprüfung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss wegen eines indikationsbezogenen Wirksamkeitsnachweises jedoch angezeigt
gewesen wäre (BSG, Urt. v. 27.3.2007 – B 1 KR 30/06 R,
SGb 2007, 287 = Urteilssammlung für die gesetzliche
Krankenversicherung 2007-36; BSG, Beschl. v. 9.11.2006 –
B 10 KR 3/06 B, juris). Die Annahme eines Systemversagens ist ausgeschlossen, solange vertraglich zugelassene Leistungserbringer zur Behandlung der bestehenden Erkrankung in ausreichender Zahl zur Verfügung
stehen (LSG NW, Urt. v. 28.2.2008 – L 5 KR 113/07, juris).
n Kein Systemversagen bezüglich heileurythmischer
Leistungen
56 (2) Der Senat hält im Hinblick auf die dargestellten
Rechtsprechungsgrundsätze ein Systemversagen für ausgeschlossen. Abgesehen davon, dass der Kläger nicht
dargelegt hat, dass die für eine Überprüfung durch den
Bundesausschuss notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen vorgelegen haben, ist weder
vorgetragen noch für den Senat ersichtlich, dass vertraglich zugelassene Leistungserbringer zur Behandlung der
Erkrankungen nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung standen (Versorgungslücke).
57 Hinzu kommt, dass nur die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit einen Leistungsanspruch gegen die gesetzlichen Krankenkassen aufgrund Systemversagens
feststellen können (vgl. BSG, Beschl. v. 21.3.2005 – B 1 KR
16/04 B, juris; BSG, Urt. v. 28.3.2000 – B 1 KR 11/98 R,
BSGE 86, 54 = SGb 2001, 436). Aus der veröffentlichten
sozialgerichtlichen Rechtsprechung ergeben sich für ein
Systemversagen bei heileurythmischen Leistungen keine Anhaltspunkte, insbesondere nicht aus dem vom Kläger angeführten BSG-Urteil vom 22.3.2005 (BSG, Urt. v.
22.3.2005 – B 1 A 1/03 R, BSGE 94, 221). Darin hat das
BSG lediglich zu den Grenzen aufsichtsbehördlichen Einschreitens bei besonderen Therapieeinrichtungen, zu denen auch die Heileurythmie gehört, eingehend Stellung
genommen. Soweit der Kläger behauptet, aus diesem Urteil (BSG, Urt. v. 22.3.2005 – B 1 A 1/03 R, BSGE 94, 221 –
Rz. 42) ergebe sich, dass das BSG die Annahme eines
„Systemversagens“ für nicht fernliegend erachte, ist dies
dem Urteil nicht zu entnehmen. Im Zusammenhang mit
einem Systemversagen hat das BSG vielmehr offen gelassen, welche Folgen für aufsichtsrechtliche Maßnahmen
sich aus seinem Urteil vom 16.9.1997 (BSG, Urt. v.
16.9.1997 – 1 RK 28/95, BSGE 81, 54 [71 f.]) ergeben. Selbst
wenn sich die behauptete Aussage dem Urteil sinngemäß
entnehmen ließe, enthielte sie jedenfalls nicht die für
eine „regelhafte“ Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen erforderliche Feststellung eines Systemversagens.
480
Rechtsprechung
58 Im Übrigen wäre selbst die sozialgerichtliche Feststellung eines Systemversagens für heileurythmische Leistungen nur dann zu berücksichtigen, wenn die hieraus
folgende Kostentragungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen auch den Charakter eines Befähigungsnachweises hätte (Senatsurteil des BFH, Urt. v. 2.9.2010 – V R
47/09, BFHE 231, 326 = BStBl. II 2011, 195 = UR 2011, 101 –
unter II 3 der Gründe).
n Keine Rückwirkung eines für spätere Streitjahre
anerkannten Befähigungsnachweises
59 dd) Der für die Steuerfreiheit heileurythmischer Leistungen erforderliche Befähigungsnachweis für die Jahre
1999 bis 2003 und 2005 kann auch nicht aus einer Rückwirkung des vom FG für das Streitjahr 2006 anerkannten
Befähigungsnachweises abgeleitet werden.
n Im Umsatzsteuerrecht geltendes Abschnittsprinzip
60 (1) Nach dem auch im Umsatzsteuerrecht geltenden
Abschnittsprinzip (vgl. BFH, Urt. v. 12.6.1975 – V R 42/74,
BFHE 116, 201 = BStBl. II 1975, 755 = UR 1975, 191; BFH,
Urt. v. 25.11.1976 – V R 98/71, BFHE 121, 550 = BStBl. II
1977, 448 = UR 1977, 15511; BFH, Urt. v. 27.6.1991 – V R
106/86, BFHE 165, 304 = BStBl. II 1991, 860 = UR 1991, 317;
BFH, Urt. v. 18.6.1993 – V R 101/88, BFH/NV 1994, 746)
werden alle steuerrechtlich erheblichen Vorgänge für
diesen Besteuerungszeitraum erfasst, ohne dass grundsätzlich eine Bindung an die Beurteilung in einem vorangegangenen Besteuerungszeitraum besteht oder für einen folgenden Besteuerungszeitraum eintritt (BFH, Urt. v.
27.6.1991 – V R 106/86, BFHE 165, 304 = BStBl. II 1991, 860
= UR 1991, 317 – unter II 1 der Gründe; Birkenfeld in Birkenfeld/Wäger, Umsatzsteuer-Handbuch, § 211a Rz. 1).
Liegen – wie im Streitfall – die Voraussetzungen der Steuerfreiheit in den Streitjahren 1999 bis 2003 und 2005
nicht vor, kann das Fehlen von einzelnen Tatbestandsmerkmalen grundsätzlich nicht dadurch ersetzt werden,
dass auf deren Vorliegen in einem späteren Veranlagungszeitraum (2006) rekurriert wird.
n Kein Entgegenstehen der Senatsrechtsprechung zur
Rückwirkung von Bescheinigungen
61 (2) Etwas anderes ergibt sich – entgegen der Auffassung des Klägers – auch nicht aus der Senatsrechtsprechung zur Rückwirkung von Bescheinigungen nach § 4
Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG (BFH, Urt. v.
20.8.2009 – V R 25/08, BFHE 226, 479 = BStBl. II 2010, 15 =
UR 2010, 29) sowie zur rückwirkenden Anerkennung
nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. n der 6. EG-Richtlinie
(BFH, Urt. v. 18.2.2010 – V R 28/08, BFHE 228, 474 =
BStBl. II 2010, 876 = UR 2010, 376).
62 Im BFH-Urteil vom 20.8.2009 (BFH, Urt. v. 20.8.2009 –
V R 25/08, BFHE 226, 479 = BStBl. II 2010, 15 = UR 2010,
29) beruhte die Rückwirkung auf dem Vorliegen eines
– im Streitfall nicht vorhandenen – Grundlagenbescheids
(§ 171 Abs. 10 AO), im BFH-Urteil vom 18.2.2010 (BFH, Urt.
v. 18.2.2010 – V R 28/08, BFHE 228, 474 = BStBl. II 2010,
876 = UR 2010, 376) auf einer Bescheinigung der Bezirksregierung. Im Streitfall liegt keine (rückwirkende) Bescheinigung über die Befähigung des Klägers vor, die für
die Steuerfreiheit im Streitjahr 2006 maßgeblichen Versorgungsverträge wurden erst mit Wirkung ab 1.1.2006
bzw. ab 1.7.2006 abgeschlossen.
11 Mit Anm. Weiß, UR 1977, 157.
12/2012
n Kein Entgegenstehen der Rechtsprechung zum Fortwirken einer beruflichen Qualifikation nach
Streichung der Leistung aus dem Leistungskatalog
der gesetzlichen Krankenkassen
63 (3) Auch die Berufung des Klägers auf die Ausführungen des FG Baden-Württemberg (FG BW, Urt. v.
17.7.2007 – 1 K 490/04, EFG 2007, 1910) führt nicht zur Annahme eines rückwirkenden Befähigungsnachweises.
Anders als im Streitfall ging es dort nicht um die Rückwirkung eines Befähigungsnachweises, sondern um das
Fortwirken der beruflichen Qualifikation nach Streichung der Fußreflexzonenmassage aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen, wobei der spätere Leistungsausschluss nicht auf der beruflichen Qualifikation der Behandelnden und der Qualität der erbrachten Leistungen beruhte.
n Kein Verstoß gegen Unionsrecht
64 ee) Die Versagung der Steuerbefreiung für heileurythmische Leistungen in den Streitjahren 1999 bis 2003
und 2005 verstößt nicht gegen Unionsrecht.
n Zulässiges Differenzierungskriterium der regelhaften
Finanzierung durch die gesetzlichen Krankenkassen
65 (1) Ohne Erfolg macht der Kläger insoweit geltend,
das Erfordernis der regelhaften Finanzierung durch die
gesetzlichen Krankenkassen stelle im Hinblick auf Ziel
und Zweck des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der 6. EGRichtlinie kein zulässiges Differenzierungskriterium dar,
weil eine fehlende Kassenzulassung nichts über die berufliche Qualität des Heileurythmisten und die Qualität
seiner Leistung aussagen. Abgesehen davon, dass die regelmäßige Finanzierung durch die gesetzlichen Krankenkassen nur Indizcharakter hat, ist die Verknüpfung
zur Qualität der erbrachten Heilbehandlungsleistung
nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats dadurch gewährleistet, dass einer Kostentragung nur dann
indizielle Bedeutung zukommt, wenn diese den Charakter eines Befähigungsnachweises hat (vgl. zuletzt BFH,
Urt. v. 2.9.2010 – V R 47/09, BFHE 231, 326 = BStBl. II 2011,
195 = UR 2011, 101 – unter II 3 der Gründe).
n Wahrung des unionsrechtlichen Neutralitätsgrundsatzes
66 (2) Die Steuerpflicht heileurythmischer Leistungen
widerspricht auch nicht dem unionsrechtlichen Neutralitätsgrundsatz. Dieser besagt insbesondere, dass Wirtschaftsteilnehmer, die gleichartige Umsätze ausführen,
bei der „Erhebung“ der Mehrwertsteuer und im Besteuerungsverfahren nicht unterschiedlich behandelt werden
dürfen (vgl. zuletzt BFH, Urt. v. 2.9.2010 – V R 47/09, BFHE
231, 326 = BStBl. II 2011, 195 = UR 2011, 101 – unter II 2 der
Gründe m.w.N. zur Rechtsprechung des EuGH).
67 Von gleichartigen Leistungen in diesem Sinne ist bei
Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin nur insoweit auszugehen, als sie eine gleichwertige Qualität
aufweisen (vgl. BFH, Urt. v. 2.9.2010 – V R 47/09, BFHE
231, 326 = BStBl. II 2011, 195 = UR 2011, 101 – unter II 2 der
Gründe; EuGH, Urt. v. 27.4.2006 – Rs. C-443/04 und
C-444/04 – Solleveld und van den Hout-van Eijnsbergen,
EuGHE 2006, I-3617 = UR 2006, 587 – Rz. 40). Für heileurythmische Leistungen, für die kein Rechtsanspruch auf
12/2012
Rechtsprechung
481
Finanzierung durch die gesetzlichen Krankenkassen besteht, fehlt ein Indiz für die erforderliche Qualifikation
des Behandelnden. Da sich der Befähigungsnachweis
auch nicht aus anderen Indizien ergibt, fehlt es damit im
Ergebnis an der Gleichartigkeit der erbrachten Leistungen, und ein Verstoß gegen den Neutralitätsgrundsatz ist
ausgeschlossen.
der Abschlussprüfung vom 28.11.1994 wurde ihm hierauf
das Abschluss-Zeugnis verliehen sowie später das „Heileurythmie-Diplom“ ausgestellt. Diese Ausbildung ist
nach § 3 Nr. 1 BVHE-Satzung anerkannt und berechtigt
den Kläger, im Zusammenhang mit einem verordnenden
Arzt bei Erwachsenen und Kindern Heileurythmie anzuwenden.
n Mögliche Steuerfreiheit der heileurythmischen
Leistungen im Streitjahr 2006
n Anerkennung der Teilnahmeberechtigung des
Leistungserbringers durch den Berufsverband
68 6. Für das Streitjahr 2006 kommt zwar eine Steuerfreiheit der heileurythmischen Leistungen nach § 4 Nr. 14
UStG in Betracht. Der Senat kann hierüber aber nicht abschließend entscheiden, da Feststellungen dazu fehlen,
ob und ggf. ab welchem Zeitpunkt dem Kläger die Teilnahmeberechtigung an den Integrierten Versorgungsverträgen von seinem Berufsverband erteilt wurde.
74 cc) Allerdings sind die Leistungserbringer – und damit auch der Kläger – erst von dem Zeitpunkt an berechtigt, Leistungen nach den Integrierten Versorgungsverträgen zu erbringen, ab dem sie die Teilnahmeberechtigung von dem jeweiligen Berufsverband erhalten haben
(§ 6 Nr. 5 IKK-Vertrag). Diese Teilnahmeberechtigung wird
von dem jeweiligen Berufsverband erteilt, wenn der Leistungserbringer die in § 6 Nr. 4 IKK-Vertrag genannten Voraussetzungen nachweist und die Regelungen des Vertrags anerkennt. Dabei sind die Überprüfung und Anerkennung durch den jeweiligen Berufsverband zwingend.
n Erfüllung der in Integrierten Versorgungsverträgen
enthaltenen Qualifikationsanforderungen
69 a) Im Streitfall beruht die Kostentragung zwar weder
auf einem Versorgungsvertrag gem. § 11 Abs. 2, § 40, § 111
SGB V noch auf § 43 SGB V in Verbindung mit einer „Gesamtvereinbarung“ (vgl. Ausführungen unter II 4). Die für
Versorgungsverträge und Gesamtvereinbarungen geltenden Grundsätze gelten jedoch auch für Integrierte
Versorgungsverträge (§§ 140a ff. SGB V), die Berufsverbände von Leistungserbringern mit gesetzlichen Krankenkassen abschließen, sofern der jeweilige Berufsverband die Teilnahmeberechtigung der Leistungserbringer
davon abhängig macht, dass die in den Verträgen enthaltenen Qualifikationsanforderungen erfüllt werden.
n Erfordernis weiterer Sachaufklärung im Streitfall
75 Zur Anerkennung der Teilnahmeberechtigung durch
den Berufsverband des Klägers enthält das Urteil des FG
keine Feststellungen. Eine für die Leistungserbringung
durch den Kläger erforderliche Anerkennung ergibt sich
insbesondere nicht aus dem im Klageverfahren als Anlage K 17a vorgelegten Schreiben vom 7.12.2007. Danach
bestätigt der Berufsverband lediglich, dass der Kläger ordentliches Mitglied des Berufsverbands ist und an der Integrierten Versorgung mit der IKK und den anderen beigetretenen Kassen teilnimmt. Ab welchem Zeitpunkt
dem Kläger die Teilnahmeberechtigung für die jeweiligen
Versorgungsverträge erteilt wurde, lässt sich dem Schreiben nicht entnehmen. Die fehlenden Feststellungen wird
das FG daher im zweiten Rechtsgang nachzuholen haben.
70 b) Ob diese Voraussetzungen im Streitfall vorliegen,
kann der Senat mangels Feststellungen des FG nicht abschließend beurteilen.
n Kein Erfordernis eines Vorabentscheidungsersuchens
an den EuGH
n Ordentliches Mitglied des Leistungserbringers in dem
am Integrierten Versorgungsvertrag beteiligten
Berufsverband
71 aa) Die vom BVHE zu Beginn und im Laufe des Streitjahres abgeschlossenen Integrierten Versorgungsverträge mit gesetzlichen Krankenkassen betreffen die Versorgung mit Anthroposophischer Medizin, zu der auch die
Heileurythmie gehört. Der Kläger war nach den Feststellungen des FG ordentliches Mitglied des BVHE und
konnte damit als Leistungserbringer in die integrierte
Versorgung mit Anthroposophischer Medizin einbezogen werden.
n Konkrete Qualifikationsanforderungen im
Versorgungsvertrag
72 bb) Die Versorgungsverträge enthalten auch konkrete Qualifikationsanforderungen an die Leistungserbringer. Diese können nur dann zugelassen werden, wenn sie
speziell ausgebildet sind. Als speziell ausgebildet und damit teilnahmeberechtigt gelten Heilmittelerbringer mit
der durch den entsprechenden Berufsverband ausgestellten Berechtigung zur Führung der Berufsbezeichnung
(vgl. § 6 Nr. 4 IKK-Vertrag).
73 Der Kläger hatte im Anschluss an eine vierjährige
Grundausbildung in Eurythmie ein eineinhalbjähriges
Aufbaustudium in Heileurythmie absolviert. Aufgrund
76 7. Eine Vorlage an den EuGH zur Einholung einer
Vorabentscheidung gem. Art. 267 AEUV (Vertrag über die
Arbeitsweise der Europäischen Union) ist nicht erforderlich, da die im Streitfall entscheidungserhebliche Auslegung von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie durch die EuGH-Rechtsprechung (insbesondere
EuGH, Urt. v. 10.9.2002 – Rs. C-141/00 – Kügler, EuGHE
2002, I-6833 = UR 2002, 513; EuGH, Urt. v. 27.4.2006 – Rs.
C-443/04 und C-444/04 – Solleveld und van den Hout-van
Eijnsbergen, EuGHE 2006, I-3617 = UR 2006, 587) bereits
hinreichend geklärt ist.
Änderung der Bemessungsgrundlage
Zur Vorsteuerberichtigung beim letzten Abnehmer einer Lieferkette wegen ihm außerhalb der Lieferkette
gewährter Herstellerrabatte
UStG § 10 Abs. 1 Sätze 1 und 2, § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
und 2 a.F., § 17 Abs. 1 Satz 4; 6. EG-Richtlinie Art. 20
Abs. 1 Buchst. b
Erstattet der erste Unternehmer in einer Lieferkette dem
letzten Abnehmer einen Teil des von diesem gezahlten
Leistungsentgelts durch nachträglich ausgezahlte Gutschriften, ist dessen Vorsteuerabzug nicht nach § 17
482
Rechtsprechung
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG in der bis zum 15.12.2004 gültigen
Fassung zu berichtigen.
BFH, Urt. v. 15.2.2012 – XI R 24/09
Vorinstanz: FG Düsseldorf, Urt. v. 29.5.2009 – 1 K
4494/08 U, EFG 2010, 456
y Sachverhalt
1 I. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin,
eine GmbH, im Streitjahr 2004 den von ihr in Anspruch genommenen Vorsteuerabzug nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
UStG a.F. – in der bis zum 15.12.2004 gültigen Fassung – berichtigen muss, weil sie außerhalb einer Lieferkette nachträglich gewährte Herstellerrabatte erhalten hatte.
2 Die Klägerin war u.a. im Baustoffhandel tätig. Sie bezog im Streitjahr Zement von der D-GmbH, die ihrerseits
den Zement von der Z-AG bezog. Die Z-AG gewährte der
Klägerin außerhalb der Lieferkette Rabatte in Form von
nachträglich ausgezahlten Gutschriften. Die Z-AG minderte unter Bezugnahme auf das Urteil des EuGH vom
15.10.2002 (EuGH, Urt. v. 15.10.2002 – Rs. C-427/98 – Kommission/Deutschland, EuGHE 2002, I-8315 = BStBl. II 2004,
328 = UR 2002, 523) ihre steuerpflichtigen Umsätze für
das Kalenderjahr 2004 in Höhe der gewährten Rabatte
und berichtigte den von ihr geschuldeten Steuerbetrag
entsprechend.
3 Anlässlich einer Betriebsprüfung bei der Klägerin
durch das FA für Groß- und Konzernbetriebsprüfung D
vertrat der Prüfer die Auffassung, dass korrespondierend
zu der Steuerminderung der Z-AG der Vorsteuerabzug
bei der Klägerin als Empfängerin der Rabatte zu mindern
sei. Dementsprechend änderte das beklagte FA mit Bescheid vom 24.10.2006 den Umsatzsteuerbescheid für
2004. Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein. Das FA
änderte während des Einspruchsverfahrens den Umsatzsteuerbescheid für 2004 mit Bescheid vom 19.2.2008 erneut und nahm die Vorsteuerkürzung, soweit sie den
Zeitraum 1.1. bis 30.4.2004 betraf, wieder zurück. Im Übrigen blieb der Einspruch ohne Erfolg.
4 Das FG wies die sich anschließende Klage als unbegründet ab. Die ab dem 16.12.2004 geltende Neuregelung
des § 17 Abs. 1 Satz 4 UStG, wonach ein durch die Änderung der Bemessungsgrundlage wirtschaftlich begünstigter Unternehmer seinen Vorsteuerabzug auch dann berichtigen müsse, wenn er nicht Leistungsempfänger der
Ausgangsumsätze sei, sei auf den Streitfall nicht anzuwenden. Alle relevanten Vorgänge (Rabattgewährung
durch die Z-AG) lägen im Streitjahr vor diesem Zeitpunkt.
5 Die Vorsteuer könne jedoch nach § 17 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 UStG a.F. berichtigt werden. Der Wortlaut der Vorschrift sei nicht eindeutig. Er schließe nicht aus, dass „der
Unternehmer, an den dieser Umsatz ausgeführt worden
ist“ im Sinne dieser Berichtigungsvorschrift auch der sei,
an den der Umsatz auf einer späteren Stufe innerhalb einer Lieferkette ausgeführt werde. Zur Vermeidung systemwidriger Vorsteuerüberhänge müsse jede Änderung
der umsatzsteuerrechtlichen Bemessungsgrundlage und
die damit einhergehende Minderung der Umsatzsteuer
korrespondierend eine Minderung der Vorsteuer des Unternehmers nach sich ziehen, bei dem die geminderte Bemessungsgrundlage wirtschaftlich die Aufwendungen
für seine Eingangsleistungen reduziere. Dies gelte selbst
dann, wenn der Gesetzgeber entsprechend der früher
von der Finanzverwaltung vertretenen Auffassung ursprünglich die Vorstellung gehabt habe, eine Änderung
der umsatzsteuerrechtlichen Bemessungsgrundlage könne nur innerhalb einer konkreten Leistungsbeziehung in
12/2012
Betracht kommen. Denn § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG a.F.
sei im Lichte der 6. EG-Richtlinie 77/388/EWG und der
dazu ergangenen Rechtsprechung des EuGH auszulegen.
6
Das Urteil ist veröffentlicht.
7 Die Klägerin stützt ihre Revision auf die Verletzung
von § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG a.F. Die vom FG getroffene Auslegung gegen den eindeutigen Wortlaut dieser Berichtigungsvorschrift sei unzulässig. Das FG nehme damit einen Akt der Rechtsetzung vor, der dem Gesetzgeber vorbehalten sei. Deutschland habe vor der Änderung des Umsatzsteuergesetzes mit Wirkung vom
16.12.2004 die im Streitfall einschlägige Bestimmung des
Art. 20 Abs. 1 Buchst. b der 6. EG-Richtlinie bewusst nicht
in nationales Recht umgesetzt. Die Regelung in § 17
Abs. 1 Satz 4 UStG sei daher nicht nur klarstellend, sondern rechtsbegründend. Sie könne nur auf Sachverhalte
Anwendung finden, die – anders als im Streitfall – nach
dem 16.12.2004 verwirklicht worden seien. Eine Rückwirkung sei § 17 Abs. 1 Satz 4 UStG nicht beigelegt worden.
8 Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den Umsatzsteuerbescheid für 2004 vom
19.2.2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom
4.11.2008 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer
2004 auf einen bestimmten Betrag festgesetzt wird.
9 Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
10 Es trägt vor, die Auslegung des dem § 17 UStG zugrunde liegenden Art. 20 Abs. 1 Buchst. b der 6. EG-Richtlinie
durch die Rechtsprechung des EuGH sei von der Finanzverwaltung zunächst nicht geteilt worden. Die Verwaltung habe sich mit Veröffentlichung des EuGH-Urteils
Kommission/Deutschland (in BStBl. II 2004, 328) unter
gleichzeitiger Bekanntgabe des BMF-Schreibens vom
19.12.2003 (BMF, Schr. v. 19.12.2003 – IV B 7 - S 7200 101/03, BStBl. I 2004, 443 = UR 2004, 100) dieser Auslegung jedoch angeschlossen. Da die betroffenen Unternehmer erst mit Veröffentlichung dieses BMF-Schreibens
im Bundessteuerblatt Teil I vom 30.4.2004 von der Änderung der Verwaltungsauffassung erfahren hätten, sei aus
Vertrauensschutzgründen von einer Vorsteuerberichtigung für vor dem 30.4.2004 erhaltene Preisnachlässe abgesehen worden, wie dies im Streitfall durch den Änderungsbescheid vom 19.2.2008 geschehen sei. Die mit Wirkung vom 16.12.2004 erfolgte Änderung des § 17 Abs. 1
UStG durch das Gesetz zur Umsetzung von EU-Richtlinien in nationales Recht und zur Änderung weiterer Vorschriften (Richtlinien-Umsetzungsgesetz – EURLUmsG)
vom 9.12.2004 (BGBl. I 2004, 3310) sei nach der Gesetzesbegründung zu Art. 5 Nr. 12 EURLUmsG (BR-Drucks.
605/04, 69–71) lediglich klarstellend.
y Aus den Entscheidungsgründen
n Revision erfolgreich
11 II. Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt
zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur antragsgemäßen Herabsetzung der Umsatzsteuer (§ 126 Abs. 3
Satz 1 Nr. 1 FGO). Eine Rechtsgrundlage zur Berichtigung
des von der Klägerin in Anspruch genommenen Vorsteuerabzugs ist nicht vorhanden.
n Berichtigung des geschuldeten Steuerbetrags und des
in Anspruch genommenen Vorsteuerabzugs nach
einer Änderung der Bemessungsgrundlage
12 1. Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 UStG wird der Umsatz bei
Lieferungen und sonstigen Leistungen nach dem Entgelt
12/2012
Rechtsprechung
bemessen; nach § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG ist Entgelt alles,
was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung
zu erhalten (abzüglich der Umsatzsteuer). Hat sich diese
Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz geändert, so haben nach § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG a.F.
der Unternehmer, der diesen Umsatz ausgeführt hat, den
dafür geschuldeten Steuerbetrag (§ 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
UStG a.F.) und der Unternehmer, an den dieser Umsatz
ausgeführt worden ist, den dafür in Anspruch genommenen Vorsteuerabzug (§ 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG a.F.)
entsprechend zu berichtigen.
n Keine Minderung der Bemessungsgrundlage für
Umsätze des Zwischenhändlers an den letzten Unternehmer der Lieferkette
13 a) Für die an die Klägerin von der D-GmbH ausgeführten Umsätze (Zementlieferungen) hat sich die Bemessungsgrundlage, das Entgelt, nicht gemindert. Es
fehlt mithin insoweit an den Voraussetzungen, an die die
Vorsteuerkorrektur nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG a.F.
anknüpft.
n Berichtigung des geschuldeten Steuerbetrags des
ersten Unternehmers bei Minderung der Bemessungsgrundlage für seine Umsätze an den Zwischenhändler
14 b) Der Umsatz, dessen Bemessungsgrundlage sich
nachträglich geändert hat, wurde nicht an die Klägerin,
sondern (von der Z-AG) an die D-GmbH ausgeführt.
15 Erstattet der erste Unternehmer in einer Lieferkette
dem letzten Abnehmer – wie im Streitfall die Z-AG der
Klägerin – einen Teil des von diesem gezahlten Leistungsentgelts oder gewährt er ihm einen Preisnachlass,
mindert sich dadurch die Bemessungsgrundlage für den
Umsatz des ersten Unternehmers – hier der Umsatz der
Z-AG an die D-GmbH – (vgl. EuGH, Urt. v. 24.10.1996 – Rs.
C-317/94 – Elida Gibbs, EuGHE 1996, I-5339 = BStBl. II
2004, 324 = UR 1997, 2651; EuGH, Urt. v. 24.10.1996 – Rs.
C-288/94 – Argos Distributors Ltd., EuGHE 1996, I-5311 =
UR 1997, 263; EuGH, Urt. v. 15.10.2002 – Rs. C-427/98 –
Kommission/Deutschland, EuGHE 2002, I-8315 = BStBl. II
2004, 328 = UR 2002, 523; BFH, Urt. v. 12.1.2006 – V R 3/04,
BFHE 213, 69 = BStBl. II 2006, 479 = UR 2006, 2852 – unter
II 1 b der Gründe; BFH, Urt. v. 13.7.2006 – V R 46/05, BFHE
214, 463 = BStBl. II 2007, 186 = UR 2007, 148 – unter II 2 der
Gründe; BFH, Urt. v. 13.3.2008 – V R 70/06, BFHE 221, 429
= BStBl. II 2008, 997 = UR 2008, 651 – unter II 1 b aa der
Gründe). Diese – die Z-AG – konnte daher den für ihren
Umsatz an ihren Abnehmer der nächsten Stufe – die
D-GmbH – geschuldeten Steuerbetrag nach § 17 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 UStG a.F. zu ihren Gunsten berichtigen (vgl.
BFH, Urt. v. 12.1.2006 – V R 3/04, BFHE 213, 69 = BStBl. II
2006, 479 = UR 2006, 2853 – unter II 1 b der Gründe). Der
von der D-GmbH an die Klägerin ausgeführte Umsatz ist
hiervon nicht betroffen.
n Für die Berichtigung des in Anspruch genommenen
Vorsteuerabzugs nach einer Änderung der Bemessungsgrundlage maßgeblicher Unternehmer
16 2. Entgegen der Vorentscheidung und der von der Finanzverwaltung vertretenen Auffassung (BMF, Schr. v.
1 Mit Anm. Weiß, UR 1997, 268.
2 Mit Anm. Stadie, UR 2006, 287.
3 Mit Anm. Stadie, UR 2006, 287.
483
19.12.2003 – IV B 7 - S 7200 - 101/03, BStBl. I 2004, 443 =
UR 2004, 100 – Rz. 14) kann § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG
a.F. nicht richtlinienkonform dahingehend ausgelegt
werden, dass – wie das FG entschied – Unternehmer im
Sinne dieser Vorschrift (= „Unternehmer, an den dieser
Umsatz ausgeführt worden ist“) auch der ist, an den der
Umsatz, dessen Bemessungsgrundlage sich geändert hat,
zwar nicht ausgeführt wurde, der aber Leistungsempfänger auf einer späteren Stufe innerhalb einer Lieferkette
war (vgl. Nieskens, UR 2004, 441 – unter II 4; a.A. Nieskens, UR 2004, 640; Nieskens, UR 2005, 57 – unter
III 3 c cc; Klenk in Sölch/Ringleb, UStG, § 17 UStG Rz. 53;
Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 17 UStG Anm. 139).
n Richtlinienkonforme Auslegung nationalen Rechts
17 a) Die Rechtsprechung ist sowohl nach nationalem
(vgl. z.B. BFH, Urt. v. 15.4.2010 – IV R 5/08, BFHE 229, 524
= BStBl. II 2010, 912 – unter II 2 b bb der Gründe m.w.N.)
als auch nach Unionsrecht (vgl. z.B. EuGH, Urt. v.
27.11.2003 – Rs. C-497/01 – Zita Modes, EuGHE 2003,
I-14393 = UR 2004, 194 = BFH/NV Beilage 2004, 128 –
Rz. 34 m.w.N.) verpflichtet, den Sinn und Zweck einer
Norm unter Berücksichtigung ihrer Einordnung in das
Gesetz und damit ihres systematisch-teleologischen Zusammenhangs zu ermitteln. Ein Gericht hat sich bei der
Auslegung des nationalen Umsatzsteuerrechts so weit
wie möglich am Wortlaut und Zweck der einschlägigen
unionsrechtlichen Bestimmungen auszurichten (vgl. z.B.
EuGH, Urt. v. 11.7.2002 – Rs. C-62/00 – Marks & Spencer,
EuGHE 2002, I-6325 = UR 2002, 436 – Rz. 24 m.w.N.).
n Richtlinienkonformität einer Auslegung von
mehreren möglichen Auslegungen des nationalen
Rechts
18 b) Die hiernach gebotene richtlinienkonforme Auslegung kommt nur in Betracht, wenn es im konkreten
Fall verschiedene Auslegungsmöglichkeiten gibt (vgl.
z.B. BFH, Urt. v. 2.4.1998 – V R 34/97, BFHE 185, 536 =
BStBl. II 1998, 695 = UR 1998, 3495 – unter II 3 b der Gründe; BFH, Urt. v. 22.1.2004 – V R 41/02, BFHE 204, 371 =
BStBl. II 2004, 757 = UR 2004, 248 – unter II 1 der Gründe;
Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 4 AO Rz. 246 m.w.N.).
Lässt der Gesetzestext mehrere Auslegungen zu und ist
nur eine mit dem Unionsrecht vereinbar, so ist – wie bei
der verfassungskonformen Auslegung im Hinblick auf
das Grundgesetz – der Auslegung der Vorzug zu geben,
nach der die Norm nicht als unionsrechtswidrig einzustufen ist (vgl. z.B. BFH, Urt. v. 8.9.2010 – XI R 40/08,
BFHE 231, 343 = BStBl. II 2011, 661 = UR 2011, 322 – unter
II 4 der Gründe; BFH, Urt. v. 29.6.2011 – XI R 15/10, BFHE
233, 470 = BStBl. II 2011, 839 = UR 2011, 837 – unter II 2 der
Gründe; zur verfassungskonformen Auslegung vgl.
Klein/Gersch, AO, 10. Aufl., § 4 AO Rz. 33 m.w.N.).
n Keine richtlinienkonforme Auslegung gegen den
Wortlaut und Wortsinn des nationalen Gesetzes
19 c) Die in der Vorentscheidung getroffene richtlinienkonforme Auslegung des § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG
a.F. ist nach vorgenannten Grundsätzen nicht möglich.
Sie geht über Wortlaut und Wortsinn des Gesetzestextes
hinaus. Der Wortlaut des § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG a.F.
(Vorsteuerberichtigung bei dem „Unternehmer, an den
4 Mit Anm. Wäger, UR 2004, 24.
5 Mit Anm. Stadie, UR 1998, 351.
484
Rechtsprechung
dieser Umsatz ausgeführt worden ist“) ist – entgegen
dem FG – eindeutig. Eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs bei der Klägerin wäre danach nur bei einer Änderung der Bemessungsgrundlage für den zwischen der
Klägerin und der D-GmbH ausgeführten Umsatz vorzunehmen; das Entgelt für diesen Umsatz ist aber – wie
dargelegt – unverändert (vgl. Stadie in Rau/Dürrwächter,
UStG, § 17 UStG Anm. 139; ferner BFH, Urt. v. 12.1.2006 –
V R 3/04, BFHE 213, 69 = BStBl. II 2006, 479 = UR 2006,
2856 – unter II 1 b der Gründe). Diese Regelung ist mithin
nicht auslegungsfähig (vgl. Nieskens, UR 2004, 441 – unter
II 4). Das für die Klägerin günstigere nationale Recht geht
in diesem Fall dem Unionsrecht vor (vgl. z.B. BFH, Urt. v.
25.11.2004 – V R 4/04, BFHE 208, 470 = BStBl. II 2005, 415 =
UR 2005, 553 – unter II A 4 c der Gründe m.w.N.).
n Unterlassen einer rechtzeitigen Umsetzung von
Gemeinschaftsrecht in nationales Recht trotz
Kenntnis der Richtlinienwidrigkeit des nationalen
Rechts
20 3. Über seinen Wortlaut hinaus ist § 17 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 UStG a.F. nicht anzuwenden. Einer teleologischen Extension steht entgegen, dass der Gesetzgeber bis zur Änderung des § 17 Abs. 1 UStG durch das EU-Richtlinien-Umsetzungsgesetz mit Wirkung ab 16.12.2004 es – in Kenntnis der Problematik – unterlassen hatte, die nach Art. 20
Abs. 1 Buchst. b der 6. EG-Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen bei Rabattgewährungen außerhalb einer Lieferkette – wie im Streitfall – in nationales Recht umzusetzen.
n Berichtigung des ursprünglichen Vorsteuerabzugs
nach Gemeinschaftsrecht in der Auslegung durch den
EuGH
21 a) Der ursprüngliche Vorsteuerabzug wird nach
Art. 20 Abs. 1 Buchst. b der 6. EG-Richtlinie nach den von
den Mitgliedstaaten festgelegten Einzelheiten berichtigt,
„wenn sich die Faktoren, die bei der Festsetzung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden, nach Abgabe der Erklärung geändert haben, insbesondere bei . . . erlangten Rabatten . . .“
22 Hierzu führte der EuGH für den Fall, dass eine Vergütung nicht an den Leistungsempfänger des Rabattgewährenden, sondern an einen anderen zum Vorsteuerabzug berechtigten Abnehmer einer Lieferkette gewährt
wird, der die Ware für sein Unternehmen verwendet, aus,
„ein Vorsteuerüberhang, der sich aus der nachträglichen
Erstattung eines Gutscheins ergäbe, [kann] dadurch verhindert werden, dass bei dem Endabnehmer eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. b
der 6. EG-Richtlinie vorgenommen wird. Diese Vorschrift
sieht nämlich vor, dass der ursprüngliche Vorsteuerabzug berichtigt werden kann, wenn sich die Faktoren,
die bei der Festsetzung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden, nach Abgabe der Erklärung geändert haben“ (EuGH, Urt. v. 15.10.2002 – Rs. C-427/98 –
Kommission/Deutschland, EuGHE 2002, I-8315 = BStBl. II
2004, 328 = UR 2002, 523 – Rz. 66).
n Anpassung der Berichtigung des ursprünglichen
Vorsteuerabzugs an das Gemeinschaftsrecht erst
durch das EU-Richtlinien-Umsetzungsgesetz
23 b) Eine dementsprechende Vorsteuerberichtigung
war im Umsatzsteuergesetz ursprünglich nicht vorgese6 Mit Anm. Stadie, UR 2006, 287.
7 Mit Anm. Weiß, UR 1997, 268.
12/2012
hen. Erst mit § 17 Abs. 1 Satz 4 UStG i.d.F. des EU-Richtlinien-Umsetzungsgesetzes wurde Art. 20 Abs. 1 Buchst. b
der 6. EG-Richtlinie insoweit in nationales Recht umgesetzt und eine Berichtigung der abgezogenen Vorsteuer
für den Fall angeordnet, dass ein anderer Unternehmer
als der, für den der Umsatz ausgeführt wurde, durch die
Änderung der Bemessungsgrundlage wirtschaftlich begünstigt wird.
n Nach Auffassung der Rechtsprechung und der Finanzverwaltung vor der Gesetzesänderung Entgeltminderung nur in der jeweiligen Leistungsbeziehung
24 aa) Sowohl die Rechtsprechung des BFH (vgl. noch
BFH, Beschl. v. 14.4.1983 – V B 28/81, BFHE 138, 113 =
BStBl. II 1983, 393 = UR 1983, 106) als auch die Finanzverwaltung (vgl. noch BMF, Schr. v. 25.5.1998 – IV C 3 S 7200 - 29/98, BStBl. I 1998, 627 = UR 1998, 283) gingen
hinsichtlich § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG a.F. davon aus,
dass sich eine Entgeltminderung nur in der jeweiligen
Leistungsbeziehung ergeben könne.
n Übereinstimmung der früheren Auffassung der
Bundesregierung mit alter Rechtsprechung und
Ansicht der Finanzverwaltung
25 bb) Die Bundesregierung teilte zum Anwendungsbereich des § 17 Abs. 1 UStG a.F. in ihrem Antwortschreiben vom 10.11.1992 auf eine Anfrage der Europäischen
Kommission mit, dass „Voraussetzung für eine Berichtigung der Steuer und Vorsteuer nach § 17 Abs. 1 UStG . . .
eine Änderung der Bemessungsgrundlage für den Umsatz des Lieferers an seinen unmittelbaren Abnehmer“
sei (vgl. EuGH, Urt. v. 15.10.2002 – Rs. C-427/98 – Kommission/Deutschland, EuGHE 2002, I-8315 = BStBl. II 2004,
328 = UR 2002, 523 – Rz. 11).
n Aufrechterhaltung der Auffassung der Bundesregierung auch nach den EuGH-Urteilen Elida Gibbs
und Argos Distributors
26 cc) Auch nach Ergehen der EuGH-Urteile Elida Gibbs
(EuGH, Urt. v. 24.10.1996 – Rs. C-317/94 – Elida Gibbs,
EuGHE 1996, I-5339 = BStBl. II 2004, 324 = UR 1997, 2657)
und Argos Distributors Ltd. (EuGH, Urt. v. 24.10.1996 –
Rs. C-288/94 – Argos Distributors Ltd., EuGHE 1996,
I-5311 = UR 1997, 263) vertrat die deutsche Regierung
noch 2002 im Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission gegen Deutschland vor dem EuGH
die Ansicht, dass eine Verminderung der Besteuerungsgrundlage des Herstellers in den Fällen, in denen der
Hersteller und der, dem der Gutschein letztlich erstattet
werde, nicht in einer unmittelbaren Vertragsbeziehung
zueinander stünden, dem Grundsatz der Neutralität der
Mehrwertsteuer widerspreche; deshalb habe sie das einschlägige nationale Recht nicht an die Entscheidung des
EuGH im Urteil Elida Gibbs (EuGH, Urt. v. 24.10.1996 – Rs.
C-317/94 – Elida Gibbs, EuGHE 1996, I-5339 = BStBl. II
2004, 324 = UR 1997, 2658) angepasst (vgl. EuGH, Urt. v.
15.10.2002 – Rs. C-427/98 – Kommission/Deutschland,
EuGHE 2002, I-8315 = BStBl. II 2004, 328 = UR 2002, 523 –
Rz. 17 bis 20, 34). Gegen den Neutralitätsgrundsatz werde
auch verstoßen, wenn von einer formellen Berichtigung
der Besteuerungsgrundlage des Herstellers, die auch den
Vorsteuerabzug des Einzelhändlers berühre, abgesehen
werde, da die Steuerpflichtigen nur bei einem System,
8 Mit Anm. Weiß, UR 1997, 268.
12/2012
Rechtsprechung
bei dem sich die Steuerschuld des Lieferanten und der
Vorsteuerabzug des Abnehmers betragsmäßig entsprächen, nicht von der Mehrwertsteuer belastet würden
(vgl. EuGH, Urt. v. 15.10.2002 – Rs. C-427/98 – Kommission/Deutschland, EuGHE 2002, I-8315 = BStBl. II 2004,
328 = UR 2002, 523 – Rz. 36).
n Keine bloße Klarstellung, sondern materielle
Änderung der Rechtslage zur Vorsteuerberichtigung
durch das EU-Richtlinien-Umsetzungsgesetz
27 dd) Hiernach ist nicht davon auszugehen, dass eine
Berichtigung des Vorsteuerabzugs für einen Fall wie diesen bereits durch § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG a.F. getroffen gewesen wäre. Der Vorschrift des § 17 Abs. 1 Satz 4
UStG kommt mithin – entgegen der Ansicht des FA –
rechtsbegründende Funktion zu.
28 Soweit in den Gesetzesmaterialien zu Art. 5 Nr. 12
EURLUmsG (BR-Drucks. 605/04, 70) – worauf das FA hinweist – ausgeführt wird, „§ 17 UStG ist klarstellend dahin
zu ergänzen, dass sich die Bemessungsgrundlage bei
dem Unternehmer, der den Umsatz ausgeführt und den finanziellen Aufwand für die Vergütung des Gutscheins
trägt, mindert, während bei dem Unternehmer, an den
dieser Umsatz ausgeführt worden ist, der Vorsteuerabzug
unverändert bleibt“, ergibt sich nichts anderes. Angesichts dessen, dass der Gesetzgeber – bewusst – jahrelang davon abgesehen hat, § 17 UStG an die EuGH-Rechtsprechung im Urteil Elida Gibbs (EuGH, Urt. v. 24.10.1996
– Rs. C-317/94 – Elida Gibbs, EuGHE 1996, I-5339 =
BStBl. II 2004, 324 = UR 1997, 2659) anzupassen, kann von
einer bloßen „Klarstellung“ der Rechtslage durch § 17
Abs. 1 Satz 4 UStG keine Rede sein.
n Keine Abweichung der Entscheidung von der Rechtsprechung des V. Senats des BFH
29 4. Soweit der V. Senat des BFH in einem Urteil, das
Preisnachlässe einer Einkaufsgenossenschaft gegenüber
ihren Mitgliedern betrifft, zum Preisnachlass des ersten
Unternehmers einer Lieferkette an den Zwischenhändler
ausgeführt hat, dass sich beim Empfänger des Preisnachlasses auch im entsprechenden Umfang der Vorsteuerabzug mindere bzw. im entsprechenden Umfang zu berichtigen sei (BFH, Urt. v. 13.3.2008 – V R 70/06, BFHE
221, 429 = BStBl. II 2008, 997 = UR 2008, 651 – unter
II 1 b aa der Gründe), handelt es sich um ein nicht entscheidungserhebliches obiter dictum, dem der erkennende Senat aus den dargelegten Gründen nicht folgt und
das auch keine Vorlage an den Großen Senat des BFH
nach § 11 Abs. 2 FGO wegen Abweichung gebietet (vgl.
z.B. Senatsurteil des BFH, Urt. v. 9.2.2011 – XI R 35/09,
BFHE 233, 86 = BStBl. II 2011, 1000 = UR 2011, 538; Gräber/
Ruban, FGO, 7. Aufl., § 11 FGO Rz. 11 m.w.N.).
n Keine rückwirkende Anwendung der durch das
EU-Richtlinien-Umsetzungsgesetz vorgenommenen
Rechtsänderung
30 5. Die Klägerin hat – wie das FG zu Recht entschied –
ihren Vorsteuerabzug auch nicht nach § 17 Abs. 1 Satz 4
9 Mit Anm. Weiß, UR 1997, 268.
10 Gesetz zur Umsetzung von EU-Richtlinien in nationales
Steuerrecht und zur Änderung weiterer Vorschriften
(Richtlinien-Umsetzungsgesetz – EURLUmsG) vom
9.12.2004, BGBl. I 2004, 3310.
485
UStG i.d.F. des Art. 5 Nr. 14 Buchst. a EURLUmsG zu berichtigen.
31 Nach den Feststellungen des FG, an die der erkennende Senat gem. § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, liegen
alle umsatzsteuerrelevanten Vorgänge (Rabattgewährung durch die Z-AG) im Streitjahr vor dem Zeitpunkt des
Inkrafttretens des EU-Richtlinien-Umsetzungsgesetzes
am 16.12.2004 (Art. 22 Abs. 1 EURLUmsG – am 15.12.2004
verkündet). Dies ist zwischen den Beteiligten im Übrigen
auch unstreitig. Da der Gesetzgeber eine rückwirkende
Anwendung des § 17 Abs. 1 Satz 4 UStG nicht vorgesehen
hat, kann diese Regelung – worauf die Klägerin zutreffend hinweist – nur auf Sachverhalte Anwendung finden,
die nach dem 15.12.2004 verwirklicht worden sind.
n Spruchreife des Rechtsstreits
32 6. Das Urteil des FG war danach aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der Senat kann auf Grundlage der
Feststellungen des FG selbst entscheiden.
Anmerkung:
1. Entscheidung zur alten Rechtslage mit Ausstrahlung auf aktuelle Fragen
Die Entscheidung XI R 24/09 vom 15.2.2012 stellt eigentlich steuerrechtliche Vergangenheitsbewältigung
dar. Das Urteil betrifft einen Fall aus dem Streitjahr
2004, in dem ein Baustoffhändler Zement von einem
Zwischenhändler bezogen und dessen Vorlieferant,
der Hersteller des Zements, dem Baustoffhändler unmittelbar nachträgliche Gutschriften auf den Preis gewährt hatte. Das FA setzte daraufhin dessen Vorsteueranspruch herab, was der BFH nun verworfen hat.
Weil der Baustoffhändler nicht Abnehmer des Zementherstellers gewesen war, verneint der BFH das
Vorliegen der Voraussetzungen des damals maßgebenden § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG a.F. Dieser sah
die Berichtigung des Vorsteuerabzugs nur vor beim
Abnehmer des Umsatzes, dessen Bemessungsgrundlage berichtigt wird. Erst Ende 2004 wurde § 17 Abs. 1
Satz 3 und 4 UStG n.F. geschaffen.10 Danach muss jeder unternehmerische Abnehmer einer Leistung eine
Vorsteuerkorrektur vornehmen, der von einer Minderung der Bemessungsgrundlage „wirtschaftlich begünstigt“11 wird; dies kann auch jemand sein, der
nicht unmittelbarer Abnehmer desjenigen Unternehmers ist, der seine Umsatzsteuer berichtigt. Nach
neuerer Rechtslage hätte der Baustoffhändler seinen
Prozess also verlieren müssen. Obwohl die Entscheidung damit keine unmittelbare Bedeutung mehr für
das geltende Umsatzsteuergesetz hat, enthält sie Hinweise, die über den Fall hinausreichen. Dass in diesem Bereich zudem mit Änderungen zu rechnen ist,
zeigt der neue Richtlinienvorschlag der EU-Kommission vom 10.5.2012 zur Gutscheinproblematik12, der
allerdings die hier entschiedene Fallkonstellation der
Preiserstattung ohne vorherige Ausgabe eines entsprechenden Gutscheins nicht unmittelbar erfasst.
11 Kritisch zu dieser Formulierung Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 17 UStG Anm. 134 – Lfg. 138, April 2009.
12 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der
Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem hinsichtlich der Behandlung von Gutscheinen vom 10.5.2012, COM (2012) 206 final.
486
Rechtsprechung
2. Keine Vorsteuerberichtigungspflicht nach altem
Recht
Ein belastender Verwaltungsakt bedarf stets einer
ausreichenden ihn rechtfertigenden Rechtsgrundlage. Die vorliegende Entscheidung des XI. Senats
fragt deshalb richtigerweise danach, ob das im Streitjahr maßgebende Gesetz ausgereicht hat, um dem Unternehmer seinen nach § 15 UStG zunächst (zutreffend) vorgenommenen Abzug der Vorsteuer im Wege
der Berichtigung nach § 17 Abs. 1 UStG wieder zu nehmen. Im vorliegenden Fall verneint er dies und lässt
es damit zu, dass der Baustoffhändler die Vorsteuer
behalten darf, obwohl die Umsatzsteuerschuld des Zementherstellers herabgesetzt worden ist. Auch wenn
damit in der Gesamtschau des Vorgangs kein mehrwertsteuerlich neutrales Ergebnis erreicht wird,
kommt der BFH zu dieser Entscheidung, weil er das
systematisch eigentlich folgerichtige Ergebnis einer
korrespondierenden Vorsteuerkorrektur auf § 17
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG a.F. nicht zu stützen vermochte. Er begründet dies damit, dass er eine richtlinienkonforme Auslegung zu Lasten des Baustoffhändlers nicht für möglich hält.13 Denn eine solche komme
nur in Betracht, wenn es im konkreten Fall verschiedene Auslegungsmöglichkeiten gebe. Das sei aber
vorliegend nicht der Fall, weil dem der eindeutige
Wortlaut und der Sinn des Gesetzestextes entgegenstehe. Das ist zutreffend. Der Wortlaut des § 17 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 UStG a.F. ist völlig klar: Im Fall der Minderung der Bemessungsgrundlage eines Ausgangsumsatzes muss ausdrücklich nur „der Unternehmer,
an den dieser Umsatz ausgeführt worden ist, den dafür in Anspruch genommenen Vorsteuerabzug“ berichtigen. Weil vorliegend das Entgelt aber nicht in
der Lieferbeziehung von Zwischenhändler und Baustoffhändler gemindert worden ist, wird der gesetzliche Tatbestand nicht erfüllt. Damit fehlt es an der Verpflichtung zur Berichtigung des Vorsteuerabzugs und
mithin an einer Eingriffsgrundlage für das FA.14
Diese kann angesichts der Klarheit des Gesetzestextes auch weder aus einer Analogie noch einem Anwendungsvorrang des Unionsrechts hergeleitet werden.15 Das hatte die Finanzverwaltung seinerzeit aber
angenommen16 und war mit dieser Sicht auch weder
im Schrifttum17 noch in der Rechtsprechung allein geblieben, wie der Hinweis des XI. Senats auf ein noch
2008 getroffenes obiter dictum des V. Senats18 zeigt19.
3. Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur zeitnahen
Umsetzung von EuGH-Rechtsprechung
Die Entscheidung macht deutlich, wie begrenzt die
nationalen Handlungsspielräume unter der Ägide einer zunehmend vom EuGH beherrschten Mehrwertsteuerrechtsprechung zwischenzeitlich sind. Der
EuGH hatte nämlich bereits 1996 in seiner ElidaGibbs-Entscheidung20 festgestellt, dass auch bei die
Lieferkette überspringenden Preisgutschriften eines
13 BFH, Urt. v. 15.2.2012 – XI R 24/09, UR 2012, 481 – Rz. 18 ff.
14 Zum steuerrechtlichen Legalitätsprinzip siehe Lang in
Tipke/Lang, Steuerrecht, 20. Aufl., Köln 2010, § 4 Rz. 150 ff.
15 So auch Nieskens, UR 2004, 441 (448).
16 Vgl. BMF, Schr. v. 19.12.2003 – IV B 7 - S 7200 - 101/03,
BStBl. I 2004, 443 = UR 2004, 100.
17 Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 17 UStG Anm. 139 –
Lfg. 138, April 2009.
18 BFH, Urt. v. 13.3.2008 – V R 70/06, BStBl. II 2008, 997 = UR
2008, 651.
19 BFH, Urt. v. 15.2.2012 – XI R 24/09, UR 2012, 481 – Rz. 29.
12/2012
Herstellers einer Ware an einen Einzelhändler oder
an den letzten Abnehmer die Bemessungsgrundlage
des Herstellers gemindert werden kann, obwohl sich
im Verhältnis zu seinem direkten Abnehmer das Entgelt nicht ändert. Diese Rechtsprechung wurde hierzulande aber lange für falsch gehalten, weshalb man
die nationale Rechtslage nicht änderte und das Urteil
ignorierte, bis schließlich im Jahr 2002 in einem Vertragsverletzungsverfahren der Verstoß gegen das Sekundärrecht festgestellt wurde.21 Erst dann veröffentlichte man das Elida-Gibbs-Urteil22 und setzte es gesetzlich um.
Bis dahin bestand nach Auffassung des BFH nun also
eine Gesetzeslücke. Indem der BFH die späte Gesetzesänderung als bewusstes jahrelanges Unterlassen
geißelt23, bringt er zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber zu einer viel rascheren Reaktion verpflichtet
gewesen war. Acht Jahre darf die Umsetzung einer
EuGH-Entscheidung jedenfalls nicht auf sich warten
lassen. Fälle, in denen der Gesetzgeber und sein Souffleur in Gestalt des BMF ein derart hartnäckiges Beharrungsvermögen gezeigt haben, sind allerdings selten.
4. Materielle Gesetzesänderung keine bloße Klarstellung
Der BFH zeiht die 2004 gegebene Gesetzesbegründung zudem der Irreführung, soweit sie vorgab, die
Änderung sei nur „klarstellend“.24 Denn § 17 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 UStG a.F. habe für einen Fall wie den vorliegenden gerade keine Vorsteuerberichtigung vorgesehen. Das ist, wie oben aufgezeigt, letztlich richtig
und ein zweiter Fingerzeig für den Gesetzgeber, nämlich bei „Klarstellungen“ genau hinzuschauen, ob das
geänderte Recht wirklich bloß unklar war oder vielleicht doch ein bisschen anders als das neue.
Sofern der BFH für seine Feststellungen allerdings die
Stellungnahmen der Bundesregierung im damaligen
Vertragsverletzungsverfahren heranzieht, geht dies
meines Erachtens fehl. Denn die Bundesregierung
hatte lediglich die bis dahin allgemein anerkannte
Auffassung verteidigt, wonach Umsatzsteuer- und
Vorsteuerberichtigungen immer nur korrespondierend in den jeweiligen Leistungsbeziehungen erfolgen können. Im damaligen nationalen Systemverständnis stellte die Preiserstattung außerhalb einer
Leistungsbeziehung deshalb keine Minderung der Bemessungsgrundlage, sondern umsatzsteuerrechtlich
unbeachtlichen Werbeaufwand dar.25 Mithin stellte
sich schon dem Grunde nach nicht die Frage nach
der Vorsteuerberichtigung. Dass die Bundesregierung
im Fall der Zulassung einer Minderung der Umsatzsteuer bei die Lieferkette überspringenden Preisgutschriften auf eine dann folgerichtige Berichtigung der
Vorsteuer bei dem Unternehmer, dem die Preiserstattung zu Gute kommt, hätte verzichten wollen, kann
man den damaligen Ausführungen jedenfalls kaum
entnehmen.
20 EuGH, Urt. v. 24.10.1996 – Rs. C-317/94 – Elida Gibbs,
EuGHE 1996, I-5339 = BStBl. II 2004, 324 = UR 1997, 265 m.
Anm. Weiß.
21 EuGH, Urt. v. 15.10.2002 – Rs. C-425/98 – Kommission/
Deutschland, EuGHE 2002, I-8315 = BStBl. II 2004, 328 =
UR 2002, 523.
22 Im BStBl. II 2004, 324.
23 BFH, Urt. v. 15.2.2012 – XI R 24/09, UR 2012, 481 – Rz. 28.
24 BFH, Urt. v. 15.2.2012 – XI R 24/09, UR 2012, 481 – Rz. 26 ff.
25 Vgl. Nieskens, UR 2004, 551 (448).
Rechtsprechung
12/2012
5. Orientierung an der grammatikalischen Auslegung
Im Ergebnis bleibt die vorliegende Entscheidung aber
richtig, auch wenn das gefundene Ergebnis systematisch keineswegs befriedigen kann.26 Und sie ist insofern auch beruhigend, als sie das strenge Wortlautverständnis wieder stärker in das Zentrum der Betrachtung rückt.27 Dies ist deshalb erwähnenswert, weil
man in der jüngeren Rechtsprechung des BFH eine
gegenläufige Tendenz ausmachen könnte.
So soll etwa die Vermögensverwaltung durch juristische Personen öffentlichen Rechts umsatzsteuerbar
sein, obwohl § 2 Abs. 3 UStG eindeutig eine Anknüpfung an den Begriff des Betriebs gewerblicher Art
gem. §§ 1 und 4 KStG anordnet, wonach die Vermögensverwaltung gerade nicht besteuert wird; der
BFH hält das Umsatzsteuergesetz hier für eigenständig richtlinienkonform auslegungsfähig28.
Ebenfalls nicht zweifelsfrei ist etwa die Entscheidung
zum Vorsteuerabzug aus Eingangsleistungen, die für
unentgeltliche Wertabgaben nach § 3 Abs. 1b Nr. 3
UStG verwendet werden. Hier versagt der BFH dem
Unternehmer trotz Leistungsbezugs für sein Unternehmen das Recht auf Vorsteuerabzug29; der Wortlaut
des § 15 Abs. 1 UStG verhinderte diese Feststellung
nicht.
Alle diejenigen, für die der Text des Gesetzes die erste
und entscheidende Rechtsfindungsquelle darstellt,
dürften der aktuellen Entscheidung deshalb eine versöhnliche Wirkung abgewinnen. Und obwohl sie vorliegend unterlegen ist, hilft die vorliegende Entscheidung insofern auch und gerade der Verwaltung, deren
Aufgabe allein darin besteht, nur genau das zu vollziehen, was ihr der Gesetzgeber aufgetragen hat –
nicht weniger, aber auch nicht mehr.
Ministerialrat STEPHAN FILTZINGER, Mainz
26 Vgl. dazu ausführlich Tehler, UVR 2003, 33.
27 Zu den Wortlautgrenzen der richtlinienkonformen Auslegung siehe Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 20. Aufl.,
Köln 2010, § 14 Rz. 8 ff.
28 Vgl. dazu insbesondere BFH, Urt. v. 15.4.2010 – V R 10/09,
UR 2010, 646 m. Anm. Bollweg und Küffner; BFH, Urt. v.
3.3.2011 – V R 23/10, BStBl. II 2012, 74 = UR 2011, 617 m.
Anm. Küffner.
29 BFH, Urt. v. 13.1.2011 – V R 12/08, BStBl. II 2012, 61 = UR
2011, 295 m. Anm. Filtzinger; vgl. dazu auch BMF, Schr. v.
2.1.2012 – IV D 2 - S 7300/11/100002 – DOK 2011/1014846,
BStBl. I 2012, 60 = UR 2012, 243 – unter II 1 c.
487
2. Beantragt der Unternehmer, zur Vermeidung von unbilligen Härten die Umsatzsteuer-Voranmeldungen (weiterhin) nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck in Papierform abgeben zu dürfen, muss das Finanzamt diesem
Antrag entsprechen, wenn dem Unternehmer die elektronische Datenübermittlung der Umsatzsteuer-Voranmeldungen wirtschaftlich oder persönlich unzumutbar
ist.
3. Liegt eine solche wirtschaftliche oder persönliche Unzumutbarkeit nicht vor, verbleibt es bei dem Anspruch
des Unternehmers auf ermessensfehlerfreie Entscheidung des Finanzamts über diesen Antrag.
4. Der Unternehmer darf vom Finanzamt hinsichtlich der
zur Erfüllung der Erklärungspflicht auf elektronischem
Weg erforderlichen Hard- und Software grundsätzlich
nicht auf den Internetzugang anderer „Konzerngesellschaften“ verwiesen werden.
BFH, Urt. v. 14.3.2012 – XI R 33/09
Vorinstanz: FG Niedersachsen, Urt. v. 20.10.2009 – 5 K
149/05, EFG 2010, 277
y Sachverhalt
1 I. Streitig ist, ob die Klägerin berechtigt ist, ihre Umsatzsteuer-Voranmeldungen weiterhin in Papierform abzugeben.
2 Die Klägerin ist eine im Jahr 2004 gegründete GmbH
& Co. KG. Geschäftsführer der persönlich haftenden Gesellschafterin der Klägerin sind die Eheleute A und B sowie deren Kinder C und D. Einziger Kommanditist der
Klägerin ist A.
3 Die Klägerin vermietet Betriebsgrundstücke an verbundene Unternehmen und erwirtschaftete in den Jahren 2005 bis 2008 einen Gewinn. Sie erstellte ihre Buchführung handschriftlich mit einem sog. „amerikanischen
Journal“.
4 Mit Schreiben des A beantragte die Klägerin unter
dem 12.12.2004 beim beklagten FA, ihre UmsatzsteuerVoranmeldungen weiterhin in Papierform abzugeben
und begründete dies wie folgt:
5 „Umsatzsteuervoranmeldung 2005
für Steuernummer: . . .
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich beantrage hiermit, auch in Zukunft die Meldungen auf
amtlichem Formular handschriftlich abgeben zu dürfen, weil
ich
a) aus technischer Sicht,
b) aus persönlichen Gründen
Besteuerungsverfahren
Elektronische Abgabe von Umsatzsteuer-Voranmeldungen – Gleichmäßigkeit der Besteuerung und des
Steuervollzugs – Verpflichtungsklage auf Erlass eines
gebundenen Verwaltungsakts – fehlerfreie Ermessensausübung
UStG § 18 Abs. 1; 6. EG-Richtlinie Art. 22 Abs. 4
Buchst. a; MwStSystRL Art. 250 Abs. 2; AO § 34 Abs. 1,
§ 150 Abs. 8; FGO §§ 101, 102
1. Die Verpflichtung eines Unternehmers, seine Umsatzsteuer-Voranmeldungen dem Finanzamt grundsätzlich
durch Datenfernübertragung elektronisch zu übermitteln, ist verfassungsgemäß.
nicht in der Lage bin, der Vorschrift zu entsprechen.
Die Buchhaltung ist so klein, dass sie zurzeit ohne elektronische Hilfe erledigt werden kann. Außerdem verfügt die
Buchhaltung nicht über die erforderliche Hard- und Software. Zusätzlich ist anzumerken, dass die Sachbearbeitung
noch nicht in der Lage ist, mit einem PC umzugehen [. . .]“.
6 Den Antrag lehnte das FA mit Schreiben vom
21.12.2004 ab.
7 Der Einspruch vom 25.12.2004, in dem A u.a. auf sein
Alter, auf das Fehlen eines Internetzugangs, auf seine
mangelnde Fähigkeit zur Nutzung des Internets, auf den
Umstand, dass es sich um ein „neues Unternehmen“ handele, welches „noch anlaufen“ müsse, sowie darauf verwiesen hatte, dass voraussichtlich nur ca. 150 Buchungssätze pro Jahr anfallen würden und dass die Buchführung in Form eines „amerikanischen Journals“ erstellt
488
Rechtsprechung
werde, so dass ein technischer Anschluss „völlig überdimensioniert“ wäre, blieb ohne Erfolg. In der Einspruchsentscheidung vom 18.3.2005 führt das FA zur Begründung aus:
8 „[. . .] Zur Vermeidung unbilliger Härten kann das Finanzamt in Ausnahmefällen weiterhin die Abgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldung in herkömmlicher Form (Papier) zulassen. Ein Härtefall kann vorliegen, wenn und solange es dem
Unternehmer bzw. Arbeitgeber nicht zumutbar ist, die notwendigen technischen Voraussetzungen für die elektronische Übermittlung zu schaffen. Dies ist insbesondere der
Fall, wenn der Unternehmer
– finanziell nicht in der Lage ist, entsprechende Investitionen zu tätigen oder
– kurzfristig eine Einstellung seiner betrieblichen Tätigkeit
beabsichtigt oder
– in nächster Zeit eine Umstellung der Software/Hardware
beabsichtigt.
Keines dieser Merkmale trifft jedoch zu. Hierbei ist auch zu
berücksichtigen, dass die Gesellschaft zu einem Konzern gehört. Der Konzern – zu welchem die Einspruchsführerin gehört – unterhält nach den vorliegenden Wirtschaftsprüfungsberichten eine hauseigene EDV-Anlage, in der sowohl die
anfallenden Geschäftsvorfälle als auch die Lohn- und Gehaltsbuchführung erfasst werden. Mehrere der Konzerngesellschaften unterhalten zudem eine Internetpräsenz. Finanzielle Investitionen müssten – wenn überhaupt – nur in
sehr geringem Umfang getätigt werden. Dies ist der Einspruchsführerin finanziell zuzumuten und verstößt gegen
keinerlei Übermaßverbot. Die Einwendung, die Übermittlung
von Steuerdaten mit der ELSTER-Software sei nicht sicher, ist
unberechtigt [. . .]“
9 Auf die daraufhin erhobene Klage mit dem Antrag,
das FA zu verpflichten, ihr zu gestatten, UmsatzsteuerVoranmeldungen weiterhin in herkömmlicher Form (Papierform) abgeben zu dürfen, verpflichtete das FG das
FA, den Antrag der Klägerin vom 12.12.2004 unter Beachtung der Rechtsauffassung des FG neu zu bescheiden.
10 Die Klägerin habe nach der ab 1.1.2009 geltenden
und im Streitfall maßgebenden Rechtslage keinen Anspruch, von der Verpflichtung befreit zu werden, Umsatzsteuer-Voranmeldungen in elektronischer Form abzugeben. Die grundsätzliche Verpflichtung zur Abgabe von
Umsatzsteuer-Voranmeldungen in elektronischer Form
nach § 18 Abs. 1 UStG liege innerhalb des verfassungsrechtlichen Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers.
Weder das Fehlen der für eine elektronische Übermittlung erforderlichen Hard- und Software noch das geltend
gemachte Alter der Geschäftsführer A und B oder die
vorgebrachten generellen Sicherheitsbedenken gegen
die Abgabe elektronischer Steueranmeldungen führten
zu einem Anspruch auf Befreiung nach § 18 Abs. 1 UStG
i.V.m. § 150 Abs. 8 AO.
11 Das FA sei aber zur Neubescheidung des Antrags der
Klägerin vom 12.12.2004 zu verpflichten, weil es von dem
ihm durch § 18 Abs. 1 UStG eingeräumten Ermessen nicht
i.S.d. § 102 Satz 1 FGO in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht habe. Es
habe die Ermessensentscheidung nicht aufgrund einer
erschöpfenden Ermittlung des Sachverhalts getroffen
und die Ermessensentscheidung nicht mit einer hinreichenden Begründung (§ 121 Abs. 1 AO) versehen. Das FA
habe in seiner Einspruchsentscheidung pauschal auf
eine „Konzernstruktur“ verwiesen, in die die Klägerin
eingebunden gewesen sei, ohne die „Konzerngesellschaften“ zu bezeichnen oder in sonstiger Weise darzulegen, welche Verflechtungen seiner Ermessenserwägung
zugrunde lagen. Außerdem fehlten jegliche Erwägungen
zu Umsätzen und Gewinnen der Klägerin oder anderer
12/2012
mit der Klägerin verbundener Unternehmen. Zwar habe
das beklagte FA im Klageverfahren Konkretisierungen
vorgenommen, allerdings überschreite dieses Nachholen den Rahmen des § 102 Satz 2 FGO, so dass der Ermessensfehler nicht geheilt werden könne.
12 Das Urteil ist veröffentlicht.
13 Mit ihrer durch das FG zugelassenen Revision rügt
die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Das FG
gehe unzutreffend von der Verfassungsmäßigkeit des
§ 18 Abs. 1 UStG, § 150 Abs. 8 AO aus. Der Gesetzgeber
könne dem Unternehmer nicht vorschreiben, wie er den
notwendigen Schriftwechsel mit den Finanzbehörden zu
führen habe. Dies stelle einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit und die Grundrechte aus Art. 12 und 14 GG dar.
14 Jedenfalls verneine das FG unzutreffend eine Ermessensreduzierung auf Null im Rahmen einer ggf. durchzuführenden Härtefallprüfung. Im Jahr 2008 habe das
von ihr verwendete amerikanische Journal lediglich 30
Buchungen ausgewiesen. Lediglich in vier Fällen habe
sich eine Umsatzsteuer ergeben. Aus drei Geschäftsvorfällen habe sich zusammen ein näher bezifferter Vorsteuerbetrag ergeben. Im Jahr 2009 seien fünf UmsatzsteuerVoranmeldungen eingereicht worden, aus denen sich
eine Zahllast ergeben habe. Die übrigen sieben Umsatzsteuer-Voranmeldungen hätten „Null-Meldungen“ enthalten. Sie verfüge nicht über die technischen Voraussetzungen zur elektronischen Übermittlung und sei auch
nicht verpflichtet, diese zu schaffen. Außerdem bestehe
die Gefahr von Virenverseuchung und unberechtigten
Zugriffen auf ihre Buchhaltung über das Internet.
15 Im Übrigen sei der Zwang zur elektronischen Übermittlung der Umsatzsteuer-Voranmeldungen auch dann
unverhältnismäßig und unzumutbar, wenn der Steuerpflichtige nicht mit dem elektronischen Datenverkehr
vertraut sei und nicht über hinreichende Medienkompetenz verfüge. Dies sei bei den Geschäftsführern A und
B der Fall. Auf die weiteren Geschäftsführer C und D
könne nicht abgestellt werden. Diese seien „lediglich formal als solche bestellt“ und nur wegen des Alters von A
und B zu Geschäftsführern berufen worden. Tatsächlich
nähmen die Kinder C und D – aus unterschiedlichen
Gründen – keine Geschäftsführertätigkeit wahr.
16 Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil des
FG aufzuheben und das FA unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 21.12.2004 sowie der Einspruchsentscheidung vom 18.3.2005 unbefristet zu verpflichten,
ihrem Antrag, die Umsatzsteuer-Voranmeldungen in Papierform abgeben zu dürfen, zu entsprechen.
17 Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
18 Es ist der Auffassung, § 18 Abs. 1 UStG und § 150 Abs. 8
AO verstießen nicht gegen das Grundgesetz.
19 Ein Anspruch nach § 150 Abs. 8 AO auf Abgabe der
Umsatzsteuer-Voranmeldungen in Papierform scheide
aus. Der finanzielle Aufwand für den Erwerb eines Computers sei für die Klägerin unerheblich. Darüber hinaus
könne die Klägerin auf die Nutzung des Internets durch
den Unternehmensverbund der X-KG zurückgreifen. Die
X-KG, an deren Vermögen A zu 50 % beteiligt sei, unterhalte eine hauseigene EDV-Anlage, in der sowohl die angefallenen Geschäftsvorfälle als auch die Lohn- und Gehaltsbuchführung erfasst würden. Mehrere Gesellschaften des von der X-KG beherrschten Unternehmensverbunds hätten eine Internetpräsenz in Form einer Homepage.
12/2012
Rechtsprechung
489
20 Alter und Hinweis auf mangelnde Computererfahrung einzelner von mehreren Geschäftsführern der
Komplementärin der Klägerin führten ebenfalls nicht zu
einer Ermessensreduzierung auf Null. Vielmehr seien
dies lediglich Aspekte, die im Rahmen der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen seien, wobei auch in Betracht gezogen werden könne, dass gem. § 34 Abs. 1 AO
grundsätzlich jeder Geschäftsführer einer GmbH deren
steuerrechtliche Pflichten zu erfüllen habe.
rungsabgabe nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz
durch Datenfernübertragung für den Steuerpflichtigen wirtschaftlich oder persönlich unzumutbar ist. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Schaffung der technischen Möglichkeiten für eine Datenfernübertragung des amtlich vorgeschriebenen Datensatzes nur mit einem nicht unerheblichen finanziellen Aufwand möglich wäre oder wenn der
Steuerpflichtige nach seinen individuellen Kenntnissen und
Fähigkeiten nicht oder nur eingeschränkt in der Lage ist, die
Möglichkeiten der Datenfernübertragung zu nutzen.“
y Aus den Entscheidungsgründen
n Für eine Verpflichtungsklage auf Erlass eines gebundenen Verwaltungsakts maßgebende Rechtslage im
Zeitpunkt der Entscheidung in der Tatsacheninstanz
n Revision erfolglos
21 II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet und war
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 und 4 FGO). Das FG
hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die Klägerin
vom FA neu zu bescheiden ist.
n Beurteilung des geltend gemachten Anspruchs unter
Zugrundelegung der im Zeitpunkt der gerichtlichen
Entscheidung ab dem 1.1.2009 geltenden Regelungen
22 1. Das FG hat den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch zu Recht unter Zugrundelegung der im
Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (ab dem
1.1.2009) geltenden Regelungen des § 18 Abs. 1 UStG und
des § 150 Abs. 8 AO beurteilt.
n Einführung der Verpflichtung zur elektronischen
Übermittlung der Umsatzsteuer-Voranmeldungen
zum 1.1.2005
23 a) Die Verpflichtung, die Umsatzsteuer-Voranmeldungen elektronisch zu übermitteln, war zum 1.1.2005 durch
§ 18 Abs. 1 Satz 1 UStG a.F. eingeführt worden. Nach dieser Vorschrift hatte der Unternehmer bis zum 10. Tag
nach Ablauf jedes Voranmeldungszeitraums eine Umsatzsteuer-Voranmeldung nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck auf elektronischem Weg nach Maßgabe
der Steuerdaten-Übermittlungsverordnung zu übermitteln; auf Antrag konnte das Finanzamt zur Vermeidung
von unbilligen Härten auf eine elektronische Übermittlung verzichten.
n Neufassung der Regelung zum 1.1.2009
24 b) § 18 Abs. 1 UStG wurde mit Wirkung vom 1.1.2009
durch das Gesetz zur Modernisierung und Entbürokratisierung des Steuerverfahrens (Steuerbürokratieabbaugesetz) vom 20.12.2008 (BGBl. I 2008, 2850) neu gefasst
(Art. 8 Nr. 2 Buchst. a, Art. 17 StBürokratAbG). Nach § 18
Abs. 1 Satz 1 UStG hat der Unternehmer bis zum 10. Tag
nach Ablauf jedes Voranmeldungszeitraums eine Voranmeldung nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz
durch Datenfernübertragung nach Maßgabe der Steuerdaten-Übermittlungsverordnung zu übermitteln. Gem.
§ 18 Abs. 1 Satz 2 UStG kann das Finanzamt zur Vermeidung von unbilligen Härten auf Antrag auf eine elektronische Übermittlung verzichten; in diesem Fall hat der
Unternehmer eine Voranmeldung nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck abzugeben.
25 Hierzu bestimmt der zeitgleich eingeführte § 150
Abs. 8 AO (Art. 10 Nr. 4, Art. 17 StBürokratAbG):
„Ordnen die Steuergesetze an, dass die Finanzbehörde auf
Antrag zur Vermeidung unbilliger Härten auf eine Übermittlung der Steuererklärung nach amtlich vorgeschriebenem
Datensatz durch Datenfernübertragung verzichten kann, ist
einem solchen Antrag zu entsprechen, wenn eine Erklä-
26 c) Bei Verpflichtungsklagen auf Erlass eines gebundenen Verwaltungsakts kommt es grundsätzlich auf die
im Zeitpunkt der Entscheidung in der Tatsacheninstanz
bestehende Sach- und Rechtslage an (vgl. BFH, Urt. v.
21.7.1992 – VII R 28/91, StRK StBerG 1975 § 36 R. 17 = BFH/
NV 1993, 440 – unter 2 b der Gründe; BFH, Urt. v. 2.6.2005
– III R 66/04, BFHE 210, 265 = BStBl. II 2006, 184 – unter
II 2 b aa der Gründe; BVerwG, Urt. v. 24.6.2004 – 2 C 45.03,
BVerwGE 121, 140 – unter 1a der Gründe m.w.N.; Lange
in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 101 FGO
Rz. 25 f. m.w.N.; Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 101
FGO Rz. 8; Wolff in Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 113
VwGO Rz. 102).
27 Dies gilt auch bei Ermessensentscheidungen, wenn
– wie hier – eine Ermessensreduzierung auf Null geltend
gemacht wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.1.1992 – 1 C 49.88,
NVwZ 1992, 1211; Wernsmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 5 AO Rz. 235 ff., 242; Brandis in Tipke/
Kruse, AO/FGO, § 101 FGO Rz. 8 m.w.N.; Wagner, EFG
2010, 280 [281]; Wolff in Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl.,
§ 113 VwGO Rz. 113). Eine solche Verpflichtung kann nur
ausgesprochen werden, wenn zu dem Zeitpunkt, in dem
die gerichtliche Entscheidung ergeht, ein Anspruch auf
die erstrebte Verpflichtung des FA besteht (vgl. Lange in
Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 101 FGO Rz. 25
m.w.N.; Kruse in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 5 AO Rz. 77
m.w.N.; Wagner, EFG 2010, 280 [281]).
n Verfassungsmäßigkeit der Pflicht zur elektronischen
Übermittlung der Umsatzsteuer-Voranmeldung
28 2. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist die Regelung in § 18 Abs. 1 UStG i.V.m. § 150 Abs. 8 AO verfassungsgemäß (vgl. FG Nds., Urt. v. 17.3.2009 – 5 K 303/08,
EFG 2009, 1069, rkr.; FG Hamburg, Urt. v. 9.11.2009 – 2 K
65/08, n.v., rkr.; Drüen/Hechtner, DStR 2006, 821 [822];
Heß in Weimann/Lang, Umsatzsteuer, § 18 UStG Ziff. 2.1.1;
Maunz in Hartmann/Metzenmacher, UStG, § 18 UStG
Rz. 50; Wagner, EFG 2010, 280 [282]; wohl auch Kraeusel
in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 18 UStG Rz. 224; Treiber
in Sölch/Ringleb, UStG, § 18 UStG Rz. 11; Leonard in Bunjes, UStG, 10. Aufl., § 18 UStG Rz. 4; Schmid in Offerhaus/
Söhn/Lange, UStG, § 18 UStG Rz. 24). Die Regelung liegt
innerhalb des verfassungsrechtlichen Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers und wahrt insbesondere die Verhältnismäßigkeit.
n Verfassungsrechtlich legitimes Ziel der Pflicht zur
elektronischen Übermittlung der UmsatzsteuerVoranmeldung
29 a) Die Pflicht zur elektronischen Übermittlung der
Umsatzsteuer-Voranmeldung nach § 18 Abs. 1 Satz 1 UStG
dient verfassungsrechtlich legitimen Zielen.
490
Rechtsprechung
n Vorteile online übermittelter elektronischer Steuererklärungen für die Finanzverwaltung
30 aa) Die online übermittelte elektronische Steuererklärung bietet der Finanzverwaltung den großen Vorteil,
die vom Steuerpflichtigen bzw. von dessen Berater bereits erfassten elektronischen Daten unmittelbar weiterverarbeiten zu können. Neben der Verwaltungsvereinfachung und der administrativen Kostenersparnis verbessert die elektronische Übermittlung offenkundig die
Überprüfungsmöglichkeiten von Umsatzsteuer-Voranmeldungen durch die Finanzverwaltung und beschleunigt die Auswertung (vgl. Drüen/Hechtner, DStR 2006,
821 [822]; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 150 AO Rz. 36
i.V.m. § 85 AO Rz. 33 ff.).
n Wahrung gewichtiger öffentlicher Belange
31 bb) Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich sowohl
bei der Sicherstellung der von Art. 3 Abs. 1 GG verlangten Gleichmäßigkeit der Besteuerung und des Steuervollzugs (vgl. BVerfG, Urt. v. 27.6.1991 – 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239 = BStBl. II 1991, 654 = StRK EStG 1975 Allg.
R. 76; BVerfG, Urt. v. 9.3.2004 – 2 BvL 17/02, BVerfGE 110,
94 [115] = BStBl. II 2005, 56) und auch bei der Gewährleistung einer effektiven, möglichst wirtschaftlichen und einfachen Verwaltung (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG) um gewichtige
öffentliche Belange handelt (vgl. BFH, Urt. v. 16.11.2011 –
X R 18/09, BStBl. II 2012, 129 – unter B II 1 c cc [3] – Rz. 67;
BFH, Urt. v. 18.1.2012 – II R 49/10, BFHE 235, 151 – unter
II C 3 c aa der Gründe – Rz. 47 – und II C 3 c bb ggg der
Gründe – Rz. 96).
32 Die Automatisierung und maschinelle Bearbeitungsfähigkeit der Steueranmeldungen sind in besonderem
Maße geeignet, die Verwirklichung der genannten Belange zu fördern.
n Kontrollmöglichkeiten zur Gewährleistung der
steuerlichen Belastungsgleichheit
33 (1) Hängt die Festsetzung einer Steuer – wie vorliegend – von der Erklärung des Steuerschuldners ab, werden erhöhte Anforderungen an die Steuerehrlichkeit des
Steuerpflichtigen gestellt. Der Gesetzgeber muss die
Steuerehrlichkeit deshalb durch hinreichende, die steuerliche Belastungsgleichheit gewährleistende Kontrollmöglichkeiten abstützen. Im Veranlagungsverfahren bedarf das Deklarationsprinzip der Ergänzung durch das
Verifikationsprinzip (vgl. BVerfG, Urt. v. 27.6.1991 – 2 BvR
1493/89, BVerfGE 84, 239 = BStBl. II 1991, 654 = StRK EStG
1975 Allg. R. 76 – unter C I 2 der Gründe; BVerfG, Urt. v.
9.3.2004 – 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94 = BStBl. II 2005, 56
– unter C II 1 der Gründe).
n Bekämpfung des Steuerbetrugs im Bereich der
Umsatzsteuer
34 (2) Dabei kommt insbesondere im Bereich der Umsatzsteuer der Bekämpfung des Steuerbetrugs besondere
Bedeutung zu (vgl. z.B. Drüen/Hechtner, DStR 2006, 821
[822]; Mattes, UR 2006, 689; Ammann, UR 2009, 372; Kemper, UR 2009, 751; Pahne, UR 2011, 247). So wird beispielsweise in dem Bericht des Bundesrechnungshofs vom
3.9.2003 über Steuerausfälle bei der Umsatzsteuer durch
Steuerbetrug und Steuervermeidung davon ausgegangen, dass dem Fiskus zum damaligen Zeitpunkt durch nationale und internationale Betrugsdelikte im Bereich der
Umsatzsteuer jährlich zweistellige Milliardenbeträge entgehen (BT-Drucks. 15/1495, 3). Ebenso ergibt sich aus
12/2012
dem Gemeinsamen Bericht des Bundesrechnungshofs
und der Rechnungshöfe von Belgien und den Niederlanden zum innergemeinschaftlichen Umsatzsteuerbetrug
vom 12.3.2009 die Notwendigkeit eines schnelleren Datenaustauschs der Steuerverwaltungen der Mitgliedstaaten (www.bundesrechnungshof.de/veroeffentlichungen/
sonderberichte).
n Unionsrechtliche Befugnis der Mitgliedstaaten zur
Regelung einer Übermittlung von UmsatzsteuerVoranmeldungen auf elektronischem Weg
35 cc) Auch das Unionsrecht sieht die Befugnis der Mitgliedstaaten vor, die Übermittlung von Umsatzsteuer-Voranmeldungen auf elektronischem Weg vorzuschreiben
(vgl. Art. 22 Abs. 4 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie 77/388/
EWG; Art. 250 Abs. 2 MwStSystRL 2006/112/EG, ABl. EU
Nr. L 347/2006, 1).
n Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit
36 b) § 18 Abs. 1 Satz 1 UStG verstößt nicht gegen den
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. dazu z.B. BFH,
Urt. v. 16.11.2011 – X R 18/09, BStBl. II 2012, 129 – unter
B II 1 c cc der Gründe – Rz. 62 ff.).
n Beachtung einer Zumutbarkeit durch eine
Härtefallregelung
37 aa) Der Gesetzgeber hat die Frage der Zumutbarkeit
gesehen und ihr durch die sog. Härtefallregelung in § 18
Abs. 1 Satz 2 UStG Rechnung getragen.
n Anspruch auf Befreiung bei wirtschaftlicher oder
persönlicher Unzumutbarkeit
38 bb) Zudem haben die Finanzbehörden in den Fällen
des § 150 Abs. 8 AO abweichend von § 18 Abs. 1 Satz 2
UStG keinen Ermessensspielraum. Denn ausweislich der
Gesetzesmaterialien wurde durch § 150 Abs. 8 AO „in Ergänzung der einzelgesetzlichen Regelungen“ (vgl. BTDrucks. 16/10940, 10) der nach den Einzelsteuergesetzen
bestehende Ermessensspielraum bei der Entscheidung
über einen Härtefallantrag in den in § 150 Abs. 8 AO aufgeführten Fällen (wirtschaftliche oder persönliche Unzumutbarkeit) – zu Gunsten der Steuerpflichtigen – beseitigt und ein Anspruch auf Befreiung begründet (vgl. BTDrucks. 16/10910, 1; BT-Drucks. 16/10940, 10; Heuermann
in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 150 AO Rz. 53).
§ 150 Abs. 8 AO konkretisiert bestimmte Härtefälle und
verdichtet in Fällen der wirtschaftlichen oder persönlichen Unzumutbarkeit den nach den Einzelsteuergesetzen bestehenden Anspruch des Steuerpflichtigen auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Befreiungsantrag zu einem Anspruch auf Befreiung.
n Aufnahme des Befreiungsanspruchs durch den
Finanzausschuss in den Entwurf zum Steuerbürokratieabbaugesetz
39 (1) § 150 Abs. 8 AO, der in dem Gesetzentwurf der
Bundesregierung zum Steuerbürokratieabbaugesetz vom
2.9.2008 (BT-Drucks. 16/10188) noch nicht enthalten war,
ist aufgrund der Beschlussempfehlung des federführenden Finanzausschusses des Deutschen Bundestags vom
12.11.2008 in den Gesetzentwurf aufgenommen worden
(BT-Drucks. 16/10910).
40 Der Finanzausschuss empfahl darin „insbesondere,
den Gesetzentwurf dahingehend zu ändern, dass in be-
12/2012
Rechtsprechung
stimmten Härtefällen ein Anspruch auf Erteilung einer
Ausnahmegenehmigung zur Übermittlung von Daten an
die Finanzverwaltung in Papierform besteht“ (vgl. BTDrucks. 16/10910, 1).
n Ziel der Aufnahme des Befreiungsanspruchs durch
den Finanzausschuss
41 (2) Im Bericht des Finanzausschusses vom 13.11.2008
wird das Anliegen des Antrags allgemein vorgestellt (BTDrucks. 16/10940, 3):
42 Danach ermögliche es § 150 Abs. 8 AO „denjenigen,
die nicht über die technischen Voraussetzungen verfügen, weiterhin Daten auf Papierbasis zu übermitteln“.
Die Regelung sei so weit gefasst, dass eine ungerechtfertigte Versagung einer Ausnahmegenehmigung ausgeschlossen sei. Gegen die Möglichkeit der tatsächlichen Freiwilligkeit der elektronischen Datenübermittlung habe man sich entschieden, da man zu der Auffassung gekommen sei, dass die Nutzung der von der Steuerbehörde aufgebauten Infrastruktur im wirtschaftlich
notwendigen Ausmaß nur durch die verpflichtende Einführung der elektronischen Datenübermittlung sichergestellt sei. Um dennoch jede Form von Unbilligkeit zu
vermeiden, habe man sich auf eine großzügige Ausnahmeregelung ohne Notwendigkeit eines förmlichen Antrags geeinigt. Auch Schwierigkeiten mit der Kapazität
der Datenleitungen insbesondere im ländlichen Raum
führten zur Erzielung einer Ausnahmegenehmigung.
n Kein Ermessensspielraum der Finanzbehörde im Fall
unbilliger Härte
43 (3) Weiter wird § 150 Abs. 8 AO wie folgt im Einzelnen
dargestellt (BT-Drucks. 16/10940, 10):
44 „Die Finanzbehörden können nach den einschlägigen
Regelungen der Steuergesetze (z.B. § 25 Abs. 4 Satz 2 EStG,
§ 31 Abs. 1a Satz 2 KStG, § 14a Satz 2 GewStG oder § 181
Abs. 2a AO) zur Vermeidung unbilliger Härten auf Antrag auf
eine Übermittlung der Steuererklärung nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung verzichten. § 150 Abs. 8 AO bestimmt in Ergänzung der einzelgesetzlichen Regelungen, dass dem Antrag zu entsprechen
ist, wenn die Härte darin besteht, dass dem Steuerpflichtigen
die Erklärungsabgabe nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung wirtschaftlich oder persönlich nicht zuzumuten ist. In diesen Fällen haben die Finanzbehörden abweichend von den einzelgesetzlichen Regelungen keinen Ermessensspielraum.
45 Einem Steuerpflichtigen ist die Erklärungsabgabe nach
amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung insbesondere nicht zuzumuten, wenn er nicht über
die erforderliche technische Ausstattung verfügt und es für
ihn nur mit nicht unerheblichem finanziellen Aufwand möglich wäre, die für eine elektronische Übermittlung der Steuererklärungen nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz
mittels Datenfernübertragung erforderlichen technischen
Möglichkeiten zu schaffen. Eine unbillige Härte ist darüber
hinaus anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige nach seinen
individuellen Kenntnissen und Fähigkeiten nicht oder nur
eingeschränkt in der Lage ist, die Möglichkeiten einer Datenfernübertragung zu nutzen. In der Praxis dürften diese Voraussetzungen insbesondere bei Kleinstbetrieben gegeben
sein.“
n Keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die
Pflicht zur elektronischen Übermittlung der Umsatzsteuer-Voranmeldung
46 c) Die in § 18 Abs. 1 Satz 1 UStG enthaltene Anordnung begegnet unter Berücksichtigung der Regelungen
491
in § 18 Abs. 1 Satz 2 UStG und in § 150 Abs. 8 AO keinen
verfassungsrechtlichen Bedenken.
n Keine Verpflichtung des Unternehmers zur Übermittlung von Umsatzsteuer-Voranmeldungen ausschließlich auf elektronischem Weg
47 aa) Der Einwand der Klägerin, die Vorschrift des § 18
Abs. 1 Satz 1 UStG verpflichte den Unternehmer, Umsatzsteuer-Voranmeldungen „nur“ noch auf elektronischem
Weg zu übermitteln, greift zu kurz.
48 Denn die Vorschriften des § 18 Abs. 1 Satz 2 UStG und
des § 150 Abs. 8 AO bieten bei sachgerechter, die Vorstellungen des Gesetzgebers berücksichtigender Anwendung hinreichend Gewähr, dass etwaige Härten im Einzelfall vermieden werden.
n Keine Verpflichtung zur elektronischen Übermittlung
bei Unterschreiten eines Mindestumsatzes
49 bb) Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass nach
§ 18 Abs. 2 Satz 3 UStG das FA den Unternehmer von der
Verpflichtung zur Abgabe der Voranmeldungen und Entrichtung der Vorauszahlungen befreien kann, wenn die
Steuer für das vorangegangene Kalenderjahr nicht mehr
als 1000 . beträgt. Wird diese Befreiung erteilt (vgl. dazu
Abschn. 18.2 Abs. 2 Satz 2 UStAE), entfällt somit auch die
Verpflichtung zur elektronischen Übermittlung.
50 Unabhängig von der Regelung des § 18 Abs. 2 Satz 3
UStG kann das FA den Unternehmer von der Abgabe
von Voranmeldungen befreien, z.B. wenn und soweit in
bestimmten Voranmeldungszeiträumen regelmäßig keine Umsatzsteuer entsteht (Abschn. 18.6 Abs. 1 Satz 1
UStAE).
n Keine wirtschaftliche oder persönliche Unzumutbarkeit der Abgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldungen
nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch
Datenfernübertragung im Streitfall
51 3. Im Ergebnis zu Recht hat das FG entschieden, dass
sich ein Anspruch der Klägerin darauf, die UmsatzsteuerVoranmeldungen weiterhin auf amtlich vorgeschriebenem Vordruck (Papierform) abgeben zu dürfen, nicht aus
§ 150 Abs. 8 AO ergibt.
52 Die dafür erforderliche Voraussetzung, dass der Klägerin die Abgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldungen
nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung wirtschaftlich oder persönlich unzumutbar ist (vgl. § 150 Abs. 8 Satz 1 AO), liegt nicht vor.
n Voraussetzungen einer wirtschaftlichen Unzumutbarkeit
53 a) Wirtschaftliche Unzumutbarkeit i.S.d. § 150 Abs. 8
Satz 1 AO ist gegeben, wenn die Schaffung der technischen Möglichkeiten für eine Datenfernübertragung
nur mit einem nicht unerheblichen finanziellen Aufwand
möglich wäre (vgl. § 150 Abs. 8 Satz 2 Alt. 1 AO).
54 Davon kann im Streitfall schon angesichts der von
der Klägerin erwirtschafteten Gewinne (in den Jahren
2005 bis 2008 jeweils mehr als näher bezifferte Beträge)
nicht ausgegangen werden. Sie trägt selbst vor, dass für
den Zugang zum Internet in der heutigen Zeit nur ein unerheblicher finanzieller Aufwand erforderlich sei. Soweit
sie darauf hinweist, bei der Frage des finanziellen Aufwands dürfe nicht unberücksichtigt bleiben, dass für ei-
492
Rechtsprechung
nen internetfähigen Computer GEZ-Gebühren erhoben
würden, wäre dies im Streitfall jedenfalls angesichts der
Höhe der Gewinne der Klägerin unbeachtlich.
n Vorhandensein der technischen Voraussetzungen
55 aa) Zwar wurde zu § 18 Abs. 1 Satz 1 UStG a.F. die Ansicht vertreten, die Vorschrift umfasse nicht die Pflicht
des Unternehmers, sich zur Erfüllung der Erklärungspflicht auf elektronischem Wege Hard- und Software
(erst) anschaffen zu müssen (vgl. FG Hamburg, Beschl. v.
10.3.2005 – II 51/05, EFG 2005, 992; FG Nds., Urt. v.
17.3.2009 – 5 K 303/08, EFG 2009, 1069, rkr.; Drüen/Hechtner, DStR 2006, 821 [824]; Seer in Widmann [Hrsg.], Steuervollzug im Rechtsstaat [DStJG 31], Köln 2008, S. 7, 23;
Maunz in Hartmann/Metzenmacher, UStG, § 18 UStG
Rz. 53).
56 Diese Ansicht konnte sich auf die Gesetzesbegründung zu § 18 Abs. 1 UStG a.F. stützen, wonach dem Härtefallantrag insbesondere dann stattzugeben sei, wenn der
Unternehmer nicht über die technischen Voraussetzungen verfüge, die für die Übermittlung nach der Steuerdaten-Übermittlungsverordnung eingehalten werden
müssten (BT-Drucks. 15/1798, 13; BT-Drucks. 15/1945, 14).
n Schaffung der technischen Voraussetzungen
57 bb) § 150 Abs. 8 Satz 1 i.V.m. Satz 2 Alt. 1 AO stellt jedoch für einen Anspruch auf Befreiung nicht auf das Vorhandensein technischer Ausstattung ab, sondern darauf,
ob die „Schaffung“ der technischen Möglichkeiten für
eine Datenfernübertragung für den Unternehmer nur mit
einem nicht unerheblichen finanziellen Aufwand möglich wäre.
58 Damit hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass im
Rahmen des § 150 Abs. 8 AO bei wirtschaftlicher Zumutbarkeit der Anschaffung allein das Fehlen der für eine
elektronische Übermittlung der Voranmeldungen erforderlichen Technik keinen Anspruch i.S.d. § 150 Abs. 8
Satz 1 AO auf Befreiung von der Abgabe von Voranmeldungen in elektronischer Form begründet (ebenso Wagner, EFG 2010, 280 [282]; a.A. Klein/Rätke, AO, 10. Aufl.,
§ 150 AO Rz. 21; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 150 AO
Rz. 43 – jedoch ohne auf den Wortlaut des § 150 Abs. 8
Satz 2 AO näher einzugehen).
59 Dies bedeutet aber nicht, dass die Frage der vorhandenen technischen Ausstattung nicht im Rahmen der Ermessensausübung nach § 18 Abs. 1 Satz 2 UStG zu berücksichtigen wäre (siehe unter II 4 b dd).
n Voraussetzungen einer persönlichen Unzumutbarkeit
60 b) Der Klägerin ist die Abgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldungen auf elektronischem Weg auch nicht i.S.d.
§ 150 Abs. 8 Satz 1 AO aus persönlichen Gründen unzumutbar.
n Individuelle Kenntnisse und Fähigkeiten des Steuerpflichtigen
61 aa) Persönliche Unzumutbarkeit im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn der Steuerpflichtige nach seinen
individuellen Kenntnissen und Fähigkeiten nicht oder
nur eingeschränkt in der Lage ist, die Möglichkeiten der
Datenfernübertragung zu nutzen (vgl. § 150 Abs. 8 Satz 2
Alt. 2 AO).
12/2012
n Mangelnde Medienkompetenz
62 bb) Diese Voraussetzung ist zwar gegeben, wenn der
Steuerpflichtige über keinerlei Medienkompetenz verfügt und z.B. aufgrund seines Alters auch keinen Zugang
zur Computertechnik mehr finden kann (vgl. Heuermann
in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 150 FGO
Rz. 53; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 150 AO Rz. 43;
Klein/Rätke, AO, § 150 AO Rz. 21; Pahlke/Koenig/Cöster,
AO, 2. Aufl., § 150 AO Rz. 40). Darauf beruft sich die Klägerin aber ohne Erfolg.
n Mangelnde Computererfahrung einzelner von
mehreren Geschäftsführern
63 (1) Die Klägerin ist eine KG (§ 161 HGB). Sie wird
durch die Komplementär-GmbH und diese durch ihre
vier Geschäftsführer A, B, C und D vertreten. Zu Recht
weist das FG darauf hin, dass Alter und mangelnde Computererfahrung lediglich einzelner von mehreren Geschäftsführern grundsätzlich nicht geeignet sind, einen
Anspruch auf Befreiung i.S.d. § 150 Abs. 8 Satz 1 AO zu begründen.
64 Denn bei einer KG haben die geschäftsführenden
persönlich haftenden Gesellschafter (§§ 161, 114, 125, 164,
170 HGB) die Pflichten zu erfüllen, welche dieser Gesellschaft wegen der Besteuerung auferlegt sind (§ 34 Abs. 1
AO). Ist persönlich haftender Gesellschafter eine GmbH,
haben deren Geschäftsführer (§ 35 GmbHG) die steuerlichen Pflichten dieser Gesellschaft (§ 34 Abs. 1 AO) und
mit diesen die steuerlichen Pflichten der KG zu erfüllen.
Zu diesen Pflichten gehört es auch, Steuererklärungen
abzugeben (vgl. Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler,
AO/FGO, § 34 AO Rz. 45; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO,
§ 34 AO Rz. 19).
n Verpflichtung jedes einzelnen Geschäftsführers zur
Erfüllung der steuerlichen Verpflichtungen der
Gesellschaft
65 (2) Sind – wie hier – mehrere gesetzliche Vertreter einer GmbH bestellt, so trifft jeden von ihnen gem. § 34
Abs. 1 AO, § 35 GmbHG die Pflicht zur Geschäftsführung
im Ganzen, d.h. grundsätzlich jeder von ihnen hat auch
alle steuerlichen Pflichten zu erfüllen, die der GmbH auferlegt sind (vgl. BFH, Urt. v. 26.4.1984 – V R 128/79, BFHE
141, 443 = BStBl. II 1984, 776 = UR 1984, 278; BFH, Urt. v.
23.6.1998 – VII R 4/98, BFHE 186, 132 = BStBl. II 1998, 761
= StRK AO 1977 § 69 R. 70).
66 Als Geschäftsführer der GmbH trifft deshalb auch C
und D die Verpflichtung, bis zum 10. Tag nach Ablauf jedes
Voranmeldungszeitraums eine Voranmeldung nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung nach Maßgabe der Steuerdaten-Übermittlungsverordnung zu übermitteln (§ 34 Abs. 1 AO, § 18 Abs. 1
Satz 1 UStG). Unerheblich sind die Einwände der Klägerin,
C und D seien lediglich formal bestellt (vgl. Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 34 AO Rz. 54 m.w.N.)
und private Gründe hinderten C und D an der Ausübung
der Geschäftsführertätigkeit. Anhaltspunkte dafür, dass
sie nicht über die für eine Datenfernübertragung notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen, sind weder
vorgetragen noch anderweitig zu erkennen.
n Kein Vorliegen sonstiger Gründe für einen Anspruch
auf Abgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldungen auf
amtlich vorgeschriebenem Vordruck
67 c) Sonstige Gründe, aus denen sich im Streitfall aus
§ 150 Abs. 8 Satz 1 AO außerhalb der in § 150 Abs. 8 Satz 2
12/2012
Rechtsprechung
493
AO formulierten Regelbeispiele („insbesondere“) ein Anspruch der Klägerin auf Abgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldungen auf amtlich vorgeschriebenem Vordruck
ergeben könnte, sind durch das FG nicht festgestellt worden und auch nicht ersichtlich.
messen nicht – wie nach § 102 Satz 1 FGO erforderlich –
in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden
Weise Gebrauch gemacht hat.
68 Sie können insbesondere nicht aus allgemeinen Bedenken gegen die Sicherheit der von § 18 Abs. 1 Satz 1
UStG vorgeschriebenen elektronischen Übermittlung
von Voranmeldungen nach amtlich vorgeschriebenem
Datensatz durch eine Datenübertragung nach Maßgabe
der – aufgrund der Ermächtigung in § 150 Abs. 6 AO erlassenen – Steuerdaten-Übermittlungsverordnung i.d.F. der
Änderungsverordnung vom 20.12.2006, BGBl. I 2006,
3380 (abgedruckt u.a. bei Heuermann in Hübschmann/
Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 150 AO Rz. 51), hergeleitet werden (vgl. FG Nds., Urt. v. 17.3.2009 – 5 K 303/08, EFG 2009,
1069, rkr.; FG Hamburg, Urt. v. 9.11.2009 – 2 K 65/08, n.v.,
rkr.; Drüen/Hechtner, DStR 2006, 821 [827 f.]; Wagner,
EFG 2010, 280 [282]; Maunz in Hartmann/Metzenmacher,
UStG, § 18 UStG Rz. 50; Heß in Weimann/Lang, Umsatzsteuer, § 18 UStG Ziff. 2.1.1; wohl auch Treiber in Sölch/
Ringleb, UStG, § 18 UStG Rz. 12a; Leonard in Bunjes, UStG,
§ 18 UStG Rz. 4; a.A. Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 18
UStG Anm. 51 a.E.).
n Pflichtgemäße Ermessensausübung durch umfassende
Einzelfallabwägung
69 Hierzu hat das FG zu Recht im Einzelnen – und insoweit von der Revision nicht angegriffen – dargelegt, dass
die Übermittlung der Daten im – auf der Basis der Steuerdaten-Übermittlungsverordnung von der Finanzverwaltung zur Verfügung gestellten – ELSTER-Verfahren (vgl.
dazu Drüen/Hechtner, DStR 2006, 821 [824 ff.]; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 150 AO Rz. 35 ff.) nicht manipulationsanfälliger als die papiergebundene Abgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldungen ist.
70 Ein etwaiges trotz Anwendung der zur Verfügung stehenden technischen Sicherungsmöglichkeiten verbleibendes Risiko eines „Hacker-Angriffs“ auf die gespeicherten oder übermittelten Daten ist im überwiegenden
Interesse des Gemeinwohls hinzunehmen (vgl. BFH, Urt.
v. 18.1.2012 – II R 49/10, BFHE 235, 151 – unter II C 4 c der
Gründe – Rz. 102).
n Verpflichtung des Finanzamts durch die finanzgerichtliche Entscheidung zur Neubescheidung
71 4. Im Ergebnis zu Recht hat das FG das FA zur Neubescheidung der Klägerin verpflichtet (§ 101 Satz 2 FGO).
n Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung
72 a) Da nach den tatsächlichen Feststellungen des FG
die Voraussetzungen des § 150 Abs. 8 AO für einen Anspruch der Klägerin, die Umsatzsteuer-Voranmeldungen
weiterhin in Papierform abgeben zu dürfen, nicht gegeben sind, verbleibt es bei ihrem Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ihren Antrag gem. § 18
Abs. 1 Satz 2 UStG, auf die elektronische Übermittlung
zur Vermeidung unbilliger Härten zu verzichten (vgl.
Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO,
§ 150 AO Rz. 53 f.; Schmid in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG,
§ 18 UStG Rz. 24). Davon ist das FG zutreffend ausgegangen.
n Kein Gebrauchmachen von dem eingeräumten
Ermessen
73 b) Dem ist das FA bislang – wie das FG im Ergebnis
zu Recht entschieden hat – nicht nachgekommen, weil es
von dem durch § 18 Abs. 1 Satz 2 UStG eingeräumten Er-
74 aa) Im Rahmen des § 18 Abs. 1 Satz 2 UStG sind einerseits die vom Unternehmer für das Vorliegen eines Härtefalls vorgetragenen Gründe in die pflichtgemäße Ermessensausübung und Einzelfallabwägung umfassend einzubeziehen. Andererseits sind diesen Erwägungen die
dargelegten Interessen des Fiskus an einer elektronischen Übermittlung der Umsatzsteuer-Voranmeldungen gegenüberzustellen.
n Berücksichtigung einer „Konzernzugehörigkeit“
75 bb) Das FA hat in seiner Einspruchsentscheidung
vom 18.3.2005 im Kern dargelegt, dass ein Härtefall i.S.d.
§ 18 Abs. 1 UStG dann vorliegen könne, wenn ein Unternehmer finanziell nicht zu den für eine elektronische
Übermittlung erforderlichen Investitionen in der Lage sei
oder kurzfristig eine Einstellung seiner betrieblichen Tätigkeit oder eine Umstellung der Soft- bzw. Hardware beabsichtige. Es hat das Vorliegen dieser Tatbestände verneint und dabei die Zugehörigkeit der Klägerin zu einem
„Konzern“ berücksichtigt.
n Keine vollständige Würdigung der vom Steuerpflichtigen zur Begründung seines Befreiungsantrags vorgetragenen Gründe
76 cc) Dies ist bereits deshalb unzureichend, weil das
FA die von der Klägerin mit ihrem Antrag vom
12.12.2004 und mit ihrem Einspruch vom 25.12.2004 vorgetragenen Gründe für eine Befreiung nicht – bzw. nicht
vollständig – gewürdigt hat.
77 Eine fehlerfreie Ermessensausübung setzt aber voraus, dass die Behörde ihre Entscheidung anhand eines
einwandfrei und erschöpfend ermittelten Sachverhalts
trifft und dabei die Gesichtspunkte tatsächlicher und
rechtlicher Art berücksichtigt, die nach Sinn und Zweck
der Norm, die das Ermessen einräumt, maßgeblich sind
(vgl. dazu z.B. BFH, Urt. v. 22.5.2001 – VII R 79/00, BFH/NV
2001, 1369 – unter II 1 der Gründe; BFH, Beschl. v.
25.8.2010 – X B 149/09, BFH/NV 2011, 266 – unter II 2 b der
Gründe m.w.N.; Wernsmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 5 AO Rz. 122; Kruse in Tipke/Kruse, AO/
FGO, § 102 FGO Rz. 1a m.w.N.; Lange in Hübschmann/
Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 102 FGO Rz. 87, 97 ff. m.w.N.).
n Keine Zurechnung von im Konzernverbund vorhandenen technischen Ausstattungen
78 dd) Bei der nach § 18 Abs. 1 Satz 2 UStG zu treffenden
Ermessensentscheidung muss das FA insbesondere den
Einwand eines Unternehmers berücksichtigen, er verfüge nicht über die für eine elektronische Übermittlung
der Umsatzsteuer-Voranmeldungen erforderliche Hardund Software (vgl. Heuermann in Hübschmann/Hepp/
Spitaler, AO/FGO, § 150 AO Rz. 54; Leonard in Bunjes,
UStG, § 18 UStG Rz. 4). Das ergibt sich aus der (unter II 1a
und b) dargelegten Entstehungsgeschichte des § 18 Abs. 1
Satz 2 UStG und insbesondere aus den (unter II 2 b bb)
wiedergegebenen Vorstellungen des Gesetzgebers.
Rechtsprechung
494
79 Soweit das FA in seiner Einspruchsentscheidung die
Klägerin hinsichtlich der für eine elektronische Übermittlung der Umsatzsteuer-Voranmeldungen erforderlichen technischen Ausstattung auf den Internetzugang
anderer „Konzerngesellschaften“ verwiesen hat, ist diese
– vom FA vor dem FG und in der Revisionserwiderung
vertiefte und vom FG grundsätzlich für zutreffend gehaltene – Erwägung nicht statthaft. Denn bei der Klägerin
und den vom FG angesprochenen „Konzerngesellschaften“ handelt es sich um selbständige Rechtssubjekte.
Folglich kann die technische Ausstattung anderer „Konzerngesellschaften“ grundsätzlich nicht der Klägerin zugerechnet werden. Zudem hat das FA bei seiner Argumentation die sich aus dem Steuergeheimnis gem. § 30
AO ergebenden Grenzen nicht beachtet.
80 Ob im Fall einer Organschaft (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG) etwas anderes gilt, braucht im Streitfall nicht entschieden
zu werden. Denn nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt liegen die Voraussetzungen einer Organschaft
nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG (siehe dazu z.B. BFH, Urt. v.
1.12.2010 – XI R 43/08, BFHE 232, 550 = BStBl. II 2011, 600
= UR 2011, 4561; BFH, Urt. v. 7.7.2011 – V R 53/10, BFHE
234, 548 = UR 2011, 943 = BFH/NV 2011, 2195) im Streitfall
nicht vor. Davon geht offenbar auch das FA aus.
1
12/2012
n Verpflichtung des Finanzamts zu erneuter Bescheidung
unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats
81 c) Das FA hat den Antrag der Klägerin, ihre Umsatzsteuer-Voranmeldungen weiterhin in Papierform abgeben zu dürfen, bislang in der Einspruchsentscheidung
vom 18.3.2005 erst auf der Grundlage der mittlerweile außer Kraft getretenen Regelung des § 18 Abs. 1 Satz 1 UStG
a.F. und des im Dezember 2004 von der Klägerin dargestellten – mittlerweile jedenfalls teilweise überholten –
Sachverhalts beurteilen können.
82 Da die Sache mangels einer Ermessensreduzierung
auf Null nicht i.S.v. § 101 Satz 1 FGO spruchreif ist (vgl.
Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 101 FGO Rz. 2; Kruse
in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 102 FGO Rz. 10 m.w.N.; Lange
in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 102 FGO
Rz. 118) und der Senat nicht befugt ist, sein Ermessen an
die Stelle des Ermessens der Finanzbehörde zu setzen
(vgl. z.B. BFH, Urt. v. 24.8.2011 – I R 87/10, BFH/NV 2012,
161 – unter II 3 der Gründe; Kruse in Tipke/Kruse, AO/
FGO, § 102 FGO Rz. 9 m.w.N.; Lange in Hübschmann/
Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 102 FGO Rz. 114 m.w.N.), verbleibt es bei der vom FG bereits ausgesprochenen Verpflichtung des FA, die Klägerin – nunmehr unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats – erneut zu bescheiden (§ 101 Satz 2 FGO).
Mit Anm. Eberhard/Mai, UR 2011, 460.
Verwaltungsentscheidungen
Ort der sonstigen Leistung
Vereinfachter Nachweis der Unternehmereigenschaft
des Leistungsempfängers bei Pannenhilfe an Nutzfahrzeugen im Drittlandsgebiet ansässiger Unternehmer
kraftwagens im Drittlandsgebiet erfolgt. Dieser Nachweis
ist regelmäßig durch eine Kopie der vom Leistungsempfänger mitgeführten Fahrzeugpapiere zu führen.
Bei anderen Nutzfahrzeugen (z.B. Kleintransporter und
sog. Sprinter) kann in der Regel nicht allein aufgrund einer ausländischen Zulassung die Unternehmereigenschaft des Halters bzw. eine Nutzung zu unternehmerischen Zwecken unterstellt werden.
UStG § 3a Abs. 2
OFD Niedersachsen, Vfg. v. 19.1.2012 – S 7117 - 59 - St 173
In Fällen der Pannenhilfe an einen Unternehmer für dessen Unternehmen bestimmt sich der Leistungsort nach
§ 3a Abs. 2 UStG. Hierzu hat der leistende Unternehmer
nachzuweisen, dass der Leistungsempfänger Unternehmer ist, der die Leistung für den unternehmerischen Bereich bezieht (vgl. Abschn. 3a.2 Abs. 9 ff. UStAE). Der
Nachweis der Unternehmereigenschaft eines ausländischen Unternehmers aus einem Drittland, der im Inland Pannenhilfe benötigt, ist meist schwierig zu erbringen.
In den Fällen von Pannenhilfe für Lastkraftwagen i.S.v. § 4
Abs. 4 Nr. 3 PBefG (Personenbeförderungsgesetz) mit einem zulässigen Gesamtgewicht von mindestens 7,5 Tonnen von im Drittlandsgebiet ansässigen Unternehmern
wird es nach Abstimmung der obersten Finanzbehörden
des Bundes und der Länder nicht beanstandet, wenn vom
leistenden Unternehmer der Nachweis über den Sitz des
Leistungsempfängers, über die Unternehmereigenschaft
und die unternehmerische Verwendung der Pannenhilfe
nur durch einen Nachweis über die Zulassung des Last-
Steuerbefreiungen
Bewaffnete Sicherheitsbegleitung als Umsatz für die
Seeschifffahrt
UStG § 4 Nr. 2, § 8 Abs. 1 Nr. 5
BayLfSt, Vfg. v. 16.4.2012 – S 7155.2.1 - 2/9 St 33
Leistungen für die Seeschifffahrt sind umsatzsteuerfrei
Nach § 4 Nr. 2 i.V.m. § 8 Abs. 1 UStG sind Umsätze für die
Seeschifffahrt von der Umsatzsteuer befreit. Nach § 8
Abs. 1 Nr. 5 UStG sind auch andere als in § 8 Abs. 1 Nr. 1
und Nr. 2 UStG bezeichnete sonstige Leistungen, die für
den unmittelbaren Bedarf der in § 8 Abs. 1 Nr. 1 UStG bezeichneten Wasserfahrzeuge bestimmt sind, steuerfrei.
Die Auflistung in Abschn. 8.1 Abs. 7 UStAE von Leistungen, die unter § 8 Abs. 1 Nr. 5 UStG fallen, ist nicht abschließend.
12/2012
Verwaltungsentscheidungen
Die Bereitstellung einer bewaffneten Sicherheitsbegleitung . . .
Auf Kreuzfahrtschiffen wird für bestimmte Routen eine
bewaffnete Sicherheitsbegleitung eingesetzt, zu deren
Aufgaben z.B. die Koordinierung der Sicherheitsmaßnahmen an Bord, das Briefing bzw. Training der Schiffsbesatzung und die bewaffnete Abwehr von Piratenangriffen
gehören. Streitig war, ob dieses Leistungspaket „Bereitstellung einer bewaffneten Sicherheitsbegleitung“ für
Kreuzfahrtschiffe nach § 4 Nr. 2 i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 5 UStG
als umsatzsteuerfrei zu behandeln ist.
. . . ist eine umsatzsteuerfreie Leistung für die Seeschifffahrt
Nach dem Ergebnis der Erörterungen durch die Vertreter
der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder
in Umsatzsteuerfragen ist zwingende Voraussetzung für
die Steuerbefreiung, dass die Leistung für den unmittelbaren Bedarf des Seeschiffes und unmittelbar an den Unternehmer der Seeschifffahrt erbracht wird. Diese Voraussetzungen werden von dem Leistungspaket „Bereitstellung einer bewaffneten Sicherheitsbegleitung“ erfüllt.
495
selbst Abgabenschuldner und somit unmittelbar zur Zahlung an den Empfänger verpflichtet zu sein (Abschn. 10.4
Abs. 1 Satz 2 UStAE). Die Abgabe ist somit kein (zusätzliches) Entgelt für die eigene Leistung (Abschn. 10.4 Abs. 3
Satz 1 UStAE im Umkehrschluss).
Die Abgabe ist auf der Rechnung für den Übernachtungsgast bzw. auf der Eintrittskarte nicht in die Bemessungsgrundlage der Beherbergungsleistung / kulturellen Leistung einzubeziehen, sondern ist als gesonderter Betrag
auszuweisen.
Abschließend weise ich darauf hin, dass die Abgabe jedoch zum Entgelt für die Beherbergungsleistung / kulturellen Leistung gehört, wenn eine Stadt ihre Satzung derart (um-) gestaltet, dass der Beherbergungsbetrieb, die
Kultureinrichtung oder der Veranstalter selbst Abgabeschuldner ist. Dies gilt auch, wenn die Abgabe gesamtschuldnerisch mit dem Übernachtungsgast, dem Erwerber der Eintrittskarte oder dem Besucher der Veranstaltung geschuldet – und nicht nur dafür gehaftet – wird
(Abschn. 10.4 Abs. 4 Satz 1 UStAE).
Einzelfälle bitte ich entsprechend der jeweiligen Satzung
nach diesen Kriterien zu beurteilen.
Die Bezugsverfügung (LFD Thür., Vfg. v. 14.12.2010 –
S 7200 A - 75 - A 3.11, UR 2011, 364) wird aufgehoben.
Bemessungsgrundlage
Ausstellung von Rechnungen
Behandlung der Kultur- und Tourismusförderabgabe
bzw. der Übernachtungssteuer als durchlaufende
Posten
Ausstellung mehrerer Rechnungen mit gesondertem
Steuerausweis über dieselbe Leistung
UStG § 10 Abs. 1
UStG §§ 14c, 15; UStDV §§ 33–35
LFD Thüringen, Vfg. v. 13.12.2011 – S 7200 A - 75 - A 5.14
OFD Frankfurt a.M., Vfg. v. 28.10.2011 – S 7300A - 131 St 128
In Thüringen erheben verschiedene Städte eine Kultur-/
Tourismusförderabgabe für Übernachtungen/Eintrittsgelder bzw. eine Übernachtungssteuer. Satzungen zur Erhebung von Abgaben auf Übernachtungen liegen mir derzeit von den Städten Eisenach, Erfurt, Gera, Jena und
Weimar vor. Die Erhebung von Abgaben auf Eintrittsgelder ist mir nur von der Stadt Weimar bekannt.
Die oben genannten Abgaben belaufen sich entweder
auf einen bestimmten Prozentsatz des vom Übernachtungsgast für die Beherbergung aufgewendeten Betrags
(einschließlich der Umsatzsteuer) oder auf einen bestimmten Betrag je Übernachtung und Übernachtungsgast bzw. je Eintrittskarte/Besucher.
Umsatzsteuerlich stellen die Abgaben für die Beherbergungsbetriebe, Kultureinrichtungen oder Veranstalter
durchlaufende Posten dar, da Abgabenschuldner nach
den vorliegenden Satzungen jeweils der Übernachtungsgast, der Erwerber der Eintrittskarte oder der Besucher
der Veranstaltung ist.
Die Beherbergungsbetriebe, Kultureinrichtungen oder
Veranstalter haften zwar gem. § 6 ThürKAG (Thüringer
Kommunalabgabengesetz) gesamtschuldnerisch, haben
jedoch grundsätzlich nur die Abgabe für die jeweilige
Stadt zu vereinnahmen und an diese abzuführen. Dies ist
auch dann der Fall, wenn die Satzung die Beherbergungsbetriebe, Kultureinrichtungen oder Veranstalter als „Abgabenpflichtige“ gem. § 6 ThürKAG definiert. Durch den
Bezug auf § 6 ThürKAG, der einen Haftungstatbestand regelt, liegt auch hier nur eine Haftungsschuld vor.
Die Beherbergungsbetriebe, Kultureinrichtungen oder
Veranstalter fungieren dabei als Mittelsperson, ohne
Es kommt vor, dass Unternehmer Rechnungen mit gesondertem Ausweis der Umsatzsteuer und daneben über
denselben Umsatz eine weitere Rechnung oder eine
– später ausgestellte – Gesamtabrechnung mit erneutem
gesonderten Umsatzsteuerausweis erstellen. Zu den
Rechnungen gehören auch Kleinbetragsrechnungen
(§ 33 UStDV) oder Fahrausweise (§ 34 UStDV).
Unternehmer, die für ein und dieselbe Leistung mehrere
Rechnungen mit gesondertem Ausweis der Umsatzsteuer
erteilen, schulden die in den zusätzlichen Abrechnungen
ausgewiesene Steuer – neben der Umsatzsteuer für den
ausgeführten Umsatz – nach § 14c Abs. 1 UStG.
Der Leistungsempfänger kann für die empfangene Leistung – auch wenn er mehr als eine Rechnung erhalten
hat, die die Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 UStG erfüllen
würden – den Vorsteuerabzug nach § 15 UStG nur einmal
in Anspruch nehmen, da nur die gesetzlich geschuldete
Steuer als Vorsteuer abziehbar ist.
1. Erteilung von Gesamtabrechnungen
Unternehmer, die über bereits ausgeführte Umsätze oder
über Voraus- oder Abschlagszahlungen zum Vorsteuerabzug berechtigende Einzelrechnungen erteilen und später in einer Gesamtabrechnung die Umsatzsteuer hierfür
nochmals gesondert ausweisen, schulden die zusätzlich
ausgewiesene Umsatzsteuer nach § 14c Abs. 1 UStG. Das
betrifft z.B. Einzel- und Monatsabrechnungen von Kurierdiensten, von Tankstellen, von zahntechnischen Labors,
Abschlags- und Schlussrechnungen von Bauunternehmen, vorläufige und endgültige Rechnungen der Auto-
496
Verwaltungsentscheidungen
vermieter, Monats- und Jahresrechnungen über Leasingraten. In diesen oder vergleichbaren Fällen sollte das Abrechnungsverfahren so gestaltet werden, dass nur eine
Rechnung (entweder die Einzelrechnung oder die spätere Gesamtabrechnung) den Rechnungsempfänger zum
Vorsteuerabzug berechtigt oder die gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer für eine Voraus- oder Anzahlung in
der Gesamtrechnung abgesetzt wird (vgl. hierzu die Beispiele in Abschn. 14.8 Abs. 7 UStAE).
2. Abrechnungen über Fahrausweise
Fahrausweise (z.B. Bahnfahrkarten, Flugscheine usw.)
werden vielfach so gestaltet, dass sie einem unternehmerischen Leistungsempfänger unter den weiteren Voraussetzungen des § 15 UStG den Vorsteuerabzug ermöglichen (vgl. §§ 34 und 35 UStDV, Abschn. 14.7 UStAE und
Abschn. 15.5 UStAE). Wenn über diese Leistung ein Reisebüro zusätzlich eine Rechnung mit gesondertem Umsatzsteuerausweis im Einvernehmen mit den Verkehrs- oder
Leistungsträgern unter Hinweis auf die Vermittlertätigkeit
(Ausweis der Umsatzsteuer „im Namen und für Rechnung
des Verkehrs- oder Leistungsträgers“) erteilt, schuldet der
betreffende Verkehrs- oder Leistungsträger die in der Reisebürorechnung ausgewiesene Umsatzsteuer zusätzlich
nach § 14c Abs. 1 UStG. Erteilt das Reisebüro die Rechnung
ohne Hinweis auf die Vermittlertätigkeit und wird die Leistung nicht vom Reisebüro, sondern vom Verkehrs- oder
Leistungsträger erbracht, schuldet das Reisebüro die gesondert ausgewiesene Steuer nach § 14c Abs. 2 UStG.
Die Verkehrs- oder Leistungsträger bzw. die Reisebüros
können – um eine zusätzliche Steuerschuld nach § 14c
Abs. 1 oder 2 UStG zu vermeiden – das Abrechnungsverfahren so gestalten, dass nur ein Beleg (entweder die
Fahrkarte bzw. der Flugschein oder die Abrechnung des
Reisebüros) den Rechnungsempfänger zum Vorsteuerabzug berechtigt. Beispielsweise kann in den Rechnungen des Reisebüros über Fahrausweise die Umsatzsteuer
nicht gesondert ausgewiesen werden (Erteilung sog.
Bruttorechnungen).
Die Rundverfügungen vom 16.3.2001 (OFD Frankfurt
a.M., Vfg. v. 16.3.2001 – S 7300 A - 131 - St IV 21, USt-Kartei OFD Ffm § 15 – S 7300 - Karte 34) ist überholt und
kann ausgesondert werden.
Hinweis: Siehe auch BMF, Schr. v. 28.2.2001 – IV B 7 S 7300 - 8/01, UR 2001, 180.
12/2012
Aufzeichnungspflichten
Muster des Umsatzsteuerheftes (Vordruckmuster
USt 1 G)
UStG § 22 Abs. 5
BMF, Schr. v. 30.4.2012 – IV D 3 - S 7532/08/10005 – DOK
2012/0292789
Durch Art. 6 Nr. 3 i.V.m. Art. 12 Abs. 4 EU-VorgabenUmsG
(Gesetz zur Umsetzung steuerlicher EU-Vorgaben sowie
zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 8.4.2010,
BGBl. I 2010, 386 = BStBl. I 2010, 334) wurde mit Wirkung
vom 1.7.2010 der Anwendungsbereich der Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers (§ 13b USG) erweitert
und neu strukturiert. Durch Art. 6 Nr. 8 i.V.m. Art. 12
Abs. 4 EU-VorgabenUmsG wurde mit Wirkung vom
1.7.2010 die Abgabefrist für die Zusammenfassende Meldung (§ 18a UStG) geändert. Durch Art. 4 Nr. 2 und 8 und
Art. 32 Abs. 5 JStG 2010 vom 8.12.2010 (BGBl. I 2010, 1768)
wurden mit Wirkung vom 1.1.2011 die Regelungen zum
innergemeinschaftlichen Erwerb in § 1a Abs. 4 UStG ergänzt.
Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterung mit
den obersten Finanzbehörden der Länder gilt Folgendes:
(1) Das durch BMF-Schreiben vom 30.4.1981 (BMF, Schr.
v. 30.4.1981 – IV A 1 - S 7389 - 1/81, IV A 3 - S 7340 - 14/81,
BStBl. I 1981, 312 = UR 1981, 186) eingeführte und zuletzt
durch BMF-Schreiben vom 2.2.2009 (BMF, Schr. v. 2.2.2009
– IV B 9 - S 7532/08/10005 – DOK 2009/0065245, BStBl. I
2009, 370 = UR 2009, 180) geänderte Vordruckmuster
USt 1 G – Umsatzsteuerheft
wird entsprechend der Neufassung der Regelung zum innergemeinschaftlichen Erwerb nach § 1a Abs. 4 Satz 2
UStG, der Erweiterung der Steuerschuldnerschaft des
Leistungsempfängers nach § 13b UStG und der Abgabefrist für die Zusammenfassende Meldung nach § 18a
UStG angepasst.
(2) Die anderen Änderungen gegenüber dem bisherigen
Vordruckmuster sind lediglich redaktioneller Art.
(3) Die Umsatzsteuerhefte sind ab sofort entsprechend
dem beiliegenden Muster* herzustellen.
*
Vordruckmuster hier nicht abgedruckt.
Literatur
Zeitschriftenbeiträge
Manzur Esskandari · Daniela Bick, Innergemeinschaftliche Lieferungen – Zur „um . . . zu“-Formel des EuGH in
der Rechtsprechung von BFH und BGH, UStB 2012,
139–143.
Hans-Martin Grambeck, Leistungsort für Güterbeförderungsleistungen im Drittland – Zur (Nicht-)Anwendbarkeit und Untauglichkeit des neuen § 3a Abs. 8 UStG,
UStB 2012, 133–139.
Ulrich Grünwald, Anzahlungsbesteuerung im Umsatzsteuerrecht – Wie endgültig ist die vorläufige Besteuerung?, DStR 2012, 998–1001.
Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V., Entwurf eines BMF-Schreibens betreffend Nachweispflichten bei der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche
Lieferungen (§ 4 Nr. 1 Buchst. b; § 6a UStG); Änderungen
der §§ 17a, 17b und 17c UStDV – Stellungnahme, Ubg
2012, 363–366.
Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V., Entwurf eines überarbeiteten BMF-Schreibens zu Leistungsbeziehungen bei der Abgabe werthaltiger Abfälle; Anwendung der Grundsätze des tauschähnlichen Umsatzes
– Stellungnahme, Ubg 2012, 367–368.
Bert Kaminski, Plädoyer für eine umsatzsteuerliche Anrufungsauskunft, Stbg 5/2012, M1.
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0341–8669
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gbd. 89,80 €. ISBN 978-3-504-62657-0
Steuerrecht und besondere Beratungsrisiken
Schneider Schenkungsteuerrisiken bei Leistungen zwischen Kapitalgesellschaften und ihren
Gesellschaftern
Behrens Gestaltungsrisiken bei der Grunderwerbsteuer
Randt Risiken bei verschärften Steuerhinterziehungsregeln
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Ja, ich bestelle mit 14-tägigem Rückgaberecht Steuerberater-Jahrbuch 2011/2012 Zugleich Bericht über den 63. Fachkongress der Steuerberater Köln, 11. und
12.10.2011. Band 63, 653 Seiten DIN A5, 2012, gbd. 89,80 1. ISBN 978-3-504-62657-0
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6/12
B e s t e l l e n S i e b e i I h r e r B u c h h a n d l u n g o d e r b e i m V e r l a g D r. O t t o S c h m i d t · P o s t f a c h 5 1 1 0 2 6 · 5 0 9 4 6 K ö l n
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Umwandlungen
verlässlich steuern.
Neu
2012
Rödder/Herlinghaus/van Lishaut,
Umwandlungssteuergesetz, 2. Auflage 2012.
Herausgegeben von WP/StB Prof. Dr. Thomas
Rödder, RiBFH Dr. Andreas Herlinghaus und
LMR Dr. Ingo van Lishaut. 2. Auflage 2012,
rd. 1.400 Seiten Lexikonformat,
gbd. ca. 160,– €. ISBN 978-3-504-37016-9.
Erscheint im Spätsommer 2012.
Fünf Jahre nach dem SEStEG hat die Finanzverwaltung mit dem Umwandlungssteuer-Erlass
2011 ihre Auffassung zu Unternehmens-Umstrukturierungen formuliert, nicht immer zur Zufriedenheit der Unternehmen und ihrer Berater.
Beratungsrisiken hinweg tragen. Neu hinzugefügt wurden den bewährten Anhängen weitere
zur Abgeltungs- und Erbschaftsteuer, zur verbindlichen Auskunft in Umwandlungsfällen sowie der
Text des Umwandlungssteuer-Erlasses 2011.
Dieser in seiner Perspektive ausgewogene und zuverlässige Standardkommentar bietet – nunmehr
in sorgfältiger Diskussion der Verwaltungsansicht –
verlässliche Erläuterungen, die über Untiefen und
Erscheint im Spätsommer, jetzt vormerken.
Bei Ihrer Buchhandlung oder direkt bei
www.otto-schmidt.de