Konzept zur Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen

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Konzept zur Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen
Konzept der
Medizinischen Rehabilitation
Abhängigkeitskranker
salus klinik Hürth
überarbeitete Fassung
Juli 2010
Verantwortlich: J. Domma-Reichart & M. Abu Khatir
salus klinik Hürth
Willy-Brandt-Platz 1
50354 Hürth
Tel.: 02233 8081-0
Fax: 02233 8081-888
E-Mail: [email protected]
www.salus-kliniken.de/kliniken/huerth/
Vorwort
Die salus klinik Hürth wurde am 02.11.2009 eröffnet. Die salus klinik Arnsberg (frühere Fachklinik auf
der Egge), die 2002 von der salus klinik GmbH übernommen wurde, wurde am alten Standort
geschlossen und die Betten in Hürth integriert. Zur Indikation Sucht wird nun auch eine
psychosomatische Abteilung eröffnet.
Die Konzeption basiert auf den mit den Kostenträgern vereinbarten Elementen, den Erfahrungen mit
den Arnsberger Patienten sowie den seit Jahren auf dem Markt erfolgreichen salus kliniken
Friedrichsdorf und Lindow.
Mit unserer Arbeit wollen wir einen Beitrag leisten zu einer bedarfsgerechten Versorgung
Suchtkranker, die dem allgemein anerkannten Stand der humanwissenschaftlichen Erkenntnisse
entspricht, die ausreichend und zweckmäßig ist, ohne das Maß des Notwendigen zu überschreiten,
und die individuell auf die Bedürfnisse der Einzelnen eingeht.
Mit unserer Konzeption möchten wir sowohl einem wissenschaftlichen Anspruch als auch der
therapeutischen Praxis gerecht werden und für unsere unterschiedlichen Lesergruppen
nachvollziehbar und verständlich sein. Eine Konzeption ist aus unserer Sicht aus diesem Grund ein
Kompromiss zwischen Theorie und Praxis, der es ermöglicht, die speziellen Anforderungen der
Rehabilitation im Bereich der Sucht zu verstehen und die dafür gefundenen Lösungen in der Klinik
nachzuvollziehen.
An der Konkretisierung der Therapieprozesse haben im Rahmen des Qualitätsmanagements
Mitarbeiter aus allen Abteilungen der salus klinik mitgewirkt, so dass es sich bei diesem
Rehabilitationskonzept mit seinen mannigfaltigen Einzelelementen um ein wirkliches
Gemeinschaftswerk handelt.
Das Wort „Mitarbeiter“ beinhaltet weibliche und männliche Personen. Wegen der besseren
Lesbarkeit haben wir auf Zwitterbegriffe wie „PatientINNen“ oder die immer wiederkehrende
doppelte Nennung „Patientinnen und Patienten“ verzichtet. Unter anderem im Wort
„Rehabilitanden“ wäre das auch ungebräuchlich. Wenn Personen eines Geschlechtes gemeint sind,
wie beispielsweise in Frauengruppen, wird von Patientinnen gesprochen, bei Männern von
männlichen Patienten.
Unsere Klinik ist ein dynamisches lernendes System das auf interne aber auch externe Ereignisse
flexibel reagiert. Deshalb ist ein Konzept in Papierversion nur noch für spezielle Zwecke sinnvoll.
Daher gibt es das Konzept in Zukunft als online-Version, die permanent auf den aktuellen Stand
gebracht werden kann.
Dr. J. Domma-Reichart und M. Abu Khatir
Inhalt
1. Störungen durch psychotrope Substanzen, Prävalenz und Folgen
1.1 Alkoholabhängigkeit
1.2 Mehrfachabhängigkeit
1
1
5
2. Medizinische Rehabilitation Suchtkranker
2.1 Grundlagen der Rehabilitation
2.2 Erwerbstätigkeit und Sucht
8
8
9
3.
11
11
12
Leistungsangebote der salus klinik Hürth
3.1 Übersicht der Leistungsangebote
3.2 Raumkonzept und Ausstattung
4. Indikation
15
5. Rehabilitationsziele
22
6. Behandlungsdauer
29
7. Medizinische Behandlung
7.1 Medizinische Abteilung
7.2 Medizinische Diagnostik
7.3 Medizinische Therapie
7.4 Sozialmedizin
7.5 Physiotherapie, Sport- und Bewegungstherapie
7.6 Ernährungsberatung
30
30
31
35
36
37
41
8. Psychotherapie
8.1 Psychologische Diagnostik
8.1.1 Kontextfaktoren, Aktivitäten und Teilhabe
8.1.2 Testpsychologie
8.2 Psychologische Therapie
8.2.1 Case-Management und Einzeltherapie
8.2.2 Bezugsgruppe
8.2.3 Rückfallprävention
8.2.4 Arbeits- und berufsbezogene Therapie
43
43
43
44
46
46
48
49
50
9. Sozialdienst
9.1 Diagnostik
9.2 Sozialdienstbetreuung und Klinische Sozialarbeit
51
51
51
10. Ergo- und Sporttherapie
10.1 Diagnostik
10.2 Leistungsangebote
10.2.1 Beruf und Arbeit
10.2.2 Freizeit, Kunst & Genuss
10.2.3 Gesundheit & Wellness
56
57
57
58
60
65
11. Indikative Behandlungsschwerpunkte
11.1 Suchtspezifische indikative Leistungsangebote
11.1.1 Mehrfachabhängigkeit
11.1.2 Spielabhängigkeit
11.1.3 Tabakabhängigkeit
11.2 indikative Leistungsangebote für weitere komorbide Störungen
11.3 Wiederholungsbehandlung
11.4 Aufbaubehandlung
11.5 ISAR
66
66
66
69
70
70
82
83
83
12. Stabilisierende Vernetzung
12.1 Medizin
12.2 Psychotherapie
12.3 Sozialdienst
85
85
85
87
13. Klinik-Management, Organisation und Struktur
13.1 Klinik-Management
13.2 Strukturelle Bedingungen
13.3 Personalstruktur
89
89
90
90
14. Evaluation und Qualitätssicherung
94
Anhang
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
96
Wochenpläne
Therapievertrag
Hausordnung
Selbstverständliche Hausordnungspunkte
Prinzipien der Behandlung aus wissenschaftlicher Sicht
Testpsychologie
I
V
VIII
X
XI
XVIII
Die salus klinik Hürth
Die salus klinik gehört zur Klinikgruppe der salus klinik GmbH und wurde im November 2009 eröffnet.
Die Hürther Klinik wurde neu geplant auf der Basis mit den Erfahrungen der Arnsberger Klinik. Die
besonderen Erfordernisse der medizinischen Rehabilitation für Suchtkranke und für Patienten mit
psychosomatischen Erkrankungen konnten in der baulichen Gestaltung bereits in der Planungsphase
berücksichtigt werden. Der Standort bietet sehr gute Möglichkeiten u.a. mit Betrieben im Großraum
Köln/Bonn/Düsseldorf zusammenzuarbeiten, die großstädtische Infrastruktur zu nutzen sowie eine
engmaschige Angehörigenarbeit in die Therapie zu integrieren.
Der aus dem Lateinischen stammende Name kann als Programm und Ziel der Klinik verstanden
werden: Zum „umfassenden leiblich-seelischen Wohlergehen“ gehören Selbsterkenntnis und
Kompetenz zur Selbstregulation als zentrale Faktoren der Genesung und Stabilisierung. Im § 4 SGB IX
kommt ein ähnliches Verständnis von Rehabilitation zum Ausdruck: die Rehabilitation bzw. die
Leistung zur Teilhabe soll nicht nur einer Behinderung vorbeugen, Einschränkungen der
Erwerbsfähigkeit überwinden oder mindern und die Teilhabe am Arbeitsleben entsprechend den
Neigungen und Fähigkeiten der Person dauerhaft sichern, sondern die persönliche Entwicklung
ganzheitlich fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine selbständige und
selbstbestimmte Lebensführung ermöglichen und erleichtern. Diese Zielorientierung ist im
lateinischen Begriff „salus“ enthalten.
Die Klinik liegt sehr zentral im Stadtbild von Hürth. Hürth ist eine mittelständische Stadt mit 60.000
Einwohnern, aufgeteilt auf 13 Stadtteile. Sie grenzt nahtlos an den Kölner Westen (Köln-Sülz, KölnKlettenberg). Die Klinik ist sowohl durch den PKW (Anbindung an die A1 sowie die A4) als auch
öffentliche Verkehrsmittel (Straßenbahn Nr. 18, Hürther Stadtbus) sehr gut erreichbar. Den Kölner
Hauptbahnhof erreicht man problemlos mit öffentlichen Verkehrsmitteln in 30 Minuten.
Die Infrastruktur rund um die Klinik ist sehr gut. Direkt neben dem Gebäude befindet sich das
Hürther Familienbad „De Bütt", ein großes Schwimmbad mit Saunalandschaft. Des Weiteren findet
man in unmittelbarer Nähe ein Tennis- und Bowlingzentrum mit 4 Tennishallen sowie 15
Bowlingbahnen. Zu Fuß erreicht man in 15 Minuten den „Hürth Park", ein Einkaufszentrum mit 150
Fachgeschäften, Gastronomie und der „UCI Kinowelt". In der gleichen Zeit kann man zum OttoMaigler-See spazieren. Dieser ist im Sommer ein beliebter Badesee mit Sandstrand und eignet sich
außerdem zur Ausübung jeglicher Sportarten an der frischen Luft (Nordic Walking, Joggen,
Fahrradfahren).
Therapeutisch bietet die Lage der Klinik günstige Möglichkeiten, bereits im Rahmen der stationären
medizinischen Rehabilitation die notwendigen Änderungs-, Adaptions- und Reintegrationsprozesse
unter realen Bedingungen einleiten und durchführen zu können.
In der salus klinik Hürth werden volljährige Patienten mit Störungen durch psychotrope Substanzen
(Alkoholabhängigkeit, Medikamentenabhängigkeit incl. Analgetika vom Opioidtyp oder polyvalenten
Substanzmissbrauch ohne Heroinabhängigkeit, insbesondere wenn es sich um intravenösen Konsum/
Applikation handelt) behandelt und außerdem Patienten mit psychischen und psychosomatischen
Erkrankungen, insbesondere Angststörungen, Anpassungsstörungen mit dem Schwerpunkt
posttraumatische Belastungsstörungen, depressive Störungen, Essstörungen, somatoforme
Störungen, Persönlichkeitsstörungen, Schmerzstörungen und Zwangsstörungen und pathologischem
Glücksspiel.
Die Suchtabteilung stellt ein umfassendes und qualifiziertes Rehabilitationsangebot für Suchtkranke
bereit. Es gibt etliche spezifische Behandlungsangebote, unter anderem für Senioren, für jüngere
Patienten mit einer Abhängigkeit von mehreren Substanzen und für Patienten mit gravierenden
psychischen Grund- oder Nebenerkrankungen. Auch Paare können in der salus klinik behandelt
werden. Da das Haus barrierefrei gebaut wurde, ist eine Behandlung von Rollstuhlfahrern und
gebehinderten Patienten sehr gut möglich.
Die Suchtklinik bietet auf zwei Etagen 120 Behandlungsplätze. Sie ist räumlich und personell in 2
Teams á 6 Bezugsgruppen untergliedert, die zwar weitgehend autonom arbeiten, die aber ihre
Spezialangebote auch den Patienten der anderen Teams zur Verfügung stellen. Eine Fachambulanz
sowie ein tagesklinisches Angebot für die Rehabilitation Alkohol- und Medikamentenabhängiger sind
in der Planungsphase. Die Räumlichkeiten hierfür sind bereits in der salus klinik vorgesehen.
In den Wohnbereichen der Suchtabteilung gibt es vorwiegend Einbettzimmer mit Dusche und WC,
die wohnlich und zweckmäßig eingerichtet sind. Für Patienten, die mit Einbettzimmern überfordert
sind, gibt es acht Zweibettzimmer, die ebenso wohnlich ausgestattet sind.
Ärztlicher Leiter der salus klinik ist ein Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. In der
medizinischen Station erfolgt die Aufnahmeuntersuchung, in einzelnen Fällen ein Aufenthalt zur
Entzugskontrolle und die Behandlung interkurrenter Erkrankungen, die eine vorübergehende
Isolierung oder engere Betreuung durch das Pflegepersonal erfordern. Die Klinik ist pflegerisch rund
um die Uhr mit examinierten Pflegekräften besetzt. Die ärztliche Versorgung wird außerhalb der
regulären Dienstzeiten über einen fachärztlichen Hintergrunddienst gewährleistet. Die Klinik verfügt
über alle diagnostischen und therapeutischen Einrichtungen, die für die Rehabilitation erforderlich
sind.
Insgesamt sind in der salus klinik ca. 85 Mitarbeiter beschäftigt. Das interdisziplinäre
Behandlungsteam
besteht
aus
Ärzte,
Psychologen,
Sozialarbeiter,
Arbeitsund
Beschäftigungstherapeuten sowie Sport- und Physiotherapeuten.
Alle Mitarbeiterbüros (inkl. aller Funktionsbereiche) sind über das Intranet miteinander verbunden.
Dies ist eine Voraussetzung für die schnelle und sichere Kommunikation zwischen den Mitarbeitern
und für die gemeinsame Pflege der elektronischen Patientenakte, die so stets auf dem aktuellen
Stand ist.
Die salus klinik ist in privater Trägerschaft und verfügt über eine Konzession nach § 30 der
Gewerbeordnung. Die Belegung der Klinik erfolgt durch Rentenversicherungsträger gemäß den
Paragraphen 13, Absatz 1 in Verbindung mit den Paragraphen 15, Absatz 2 SGB VI, und durch
Krankenversicherungsträger gemäß SGB V. Der federführende Leistungsträger ist die Deutsche
Rentenversicherung Rheinland. Für Beamte ist die Behandlung beihilfefähig nach den Vorschriften
(BhV) des Bundes und der Länder. Auch Selbstzahler werden aufgenommen.
Die Zertifizierung nach DIN ISO 9001:2008 und den Qualitätsgrundsätzen von DEGEMED und des FVS
ist für Ende 2010 angestrebt. Alle Prozesse von der Aufnahme bis zur Entlassung und Katamnese
werden derzeit im Klinikhandbuch in Form von Flussdiagrammen mit Schnittstellen,
Verantwortlichkeiten und verwendeten Dokumenten detailliert aufgenommen und beschrieben. Auf
eine Darstellung im Konzept wird aus diesem Grund verzichtet. Zur Sicherung und Verbesserung der
Qualität findet zwischen den salus kliniken regelmäßig ein Erfahrungsaustausch statt, so dass im
Sinne eines Benchmarkings den Patienten keine erfolgreiche Maßnahme einer einzigen salus klinik
vorenthalten wird.
Weiterbildungsermächtigungen im Fach Psychiatrie und Psychotherapie als auch im Gebiet der
Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie sind beantragt.
1
Störungen durch psychotrope Substanzen, Prävalenz und Folgen
1.1 Alkoholabhängigkeit
Bei der Alkoholabhängigkeit handelt es sich um eine chronische oder chronisch rezidivierende
Erkrankung, die nicht nur durch eine übersteigerte Trinkmenge, sondern gerade auch durch die
körperlichen, somatischen und sozialen Folgeschäden charakterisiert ist (Soyka, 1999a; Soyka 1999b;
Soyka, 2000). ICD-10 der WHO (Diagnose: Abhängigkeitssyndrom F10.2) sowie das DSM-IV der
American Psychiatric Association führen unter den diagnostischen Leitlinien psychische und soziale
Folgeschäden als ein diagnostisches Kriterium auf. Im ICD-10 heißt es unter anderem
„fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügen oder Interessen zugunsten des
Substanzkonsums... anhaltender Substanzkonsum trotz Nachweises eindeutiger schädlicher
Folgen...“; das DSM-IV nennt: „Wichtige soziale berufliche oder Freizeitaktivitäten werden aufgrund
des Substanzmissbrauchs aufgegeben oder eingeschränkt...“
Die bei Alkoholkonsum auftretenden Folgeschäden sind zahlreich, insbesondere die sozialen,
psychischen und körperlichen Folgen bestimmen die Behandlungsschwerpunkte der stationären
Entwöhnungsbehandlung.
Zur Komorbidität von Alkoholabhängigkeit mit psychischen Störungen liegen anerkannte
Untersuchungen vor. In der breit angelegten US-amerikanischen „epidemiologic catchment area
(ECA) study“ wiesen 37 % der Personen mit Alkoholabhängigkeit oder -missbrauch eine komorbide
psychische Störung auf (Regier, Farmer, Rae, Locke, Keith, Judd & Goodwin, 1990). Untersuchungen
in klinischen Kollektiven ergaben sogar höhere Prävalenzraten für psychische Störungen
(Schriftenreihe des Bundesministeriums für Gesundheit, 2000). Klinisch bedeutsam ist es, ob die
psychische Störung dem Beginn der Alkoholabhängigkeit voranging, oder sich erst im Anschluss
entwickelte. Die retrospektive Einschätzung ist schwierig, allerdings gibt es Hinweise darauf hin, dass
Depressionen bei Alkoholabhängigkeit häufig eher sekundär auftreten, Angststörungen dagegen
öfter primär (Driessen, 1999). Klinische Kollektive als auch epidemiologischen Untersuchungen (z.B.
ECA-Studie) deuten darauf hin, dass Patienten mit paranoider Schizophrenie ein gesteigertes Risiko
für schädlichen Substanzgebrauch haben. Dabei betrug die Prävalenzrate für schädlichen Gebrauch
von Alkohol und Alkoholabhängigkeit bei Schizophrenen über 30 % und war gegenüber der
Bevölkerung etwa vierfach erhöht (Soyka, 2000). Neben affektiven Störungen können kognitive
Defizite nach chronischem Alkoholkonsum auftreten und zu ausgeprägten strukturellen und
funktionellen Veränderungen im Nervensystem führen, insbesondere zur Schädigung im Bereich des
Großhirns, einer Volumenverminderung im Marklager und kortikalen Schädigungen, die sich auch
neuroradiologisch (CCT, NMR) darstellen. Als Folge kann sich eine leicht- bis mäßig ausgeprägte
Verschlechterung der Hirnfunktion zeigen („mild generalized dysfunction hypothesis“) (Parsons,
Butters & Nathan, 1997). Kognitive und visomotorische Defizite sind unter Abstinenzbedingungen,
teilweise aber nicht immer, reversibel. Dazu gehören zum Beispiel Gedächtnisdefizite,
Beeinträchtigungen von Aufmerksamkeit und kognitiver Leistungsgeschwindigkeit sowie
Abstraktionsvermögen und visuell-räumliche Wahrnehmung (Parsons et al. 1997; Mann, 2000).
1
Andere bei Alkoholabhängigkeit vorliegende psychosoziale Folgeschäden lassen sich quantitativ nur
schwer erfassen, spielen aber für die Prognoseeinschätzung und Therapie Alkoholabhängiger eine
große Rolle. Dazu gehören vor allem eine zunehmende Deprivation sowie Änderungen der
Persönlichkeit im Sinne einer zunehmenden Entdifferenzierung und Nivellierung („entkernte
Persönlichkeit“). Langjährig Alkoholabhängige fallen häufig durch eine Vielzahl von psychischen
Verhaltensänderungen auf, ohne dass testpsychologische Untersuchungen klare Beeinträchtigungen
etwa im Bereich der Kognition ergeben. Zu diesen typischen Verhaltensmerkmalen gehören eine
Einengung der persönlichen Interessen auf Aufrechterhaltung der Abhängigkeitserkrankung, die
Vernachlässigung anderer Interessen und Vergnügen, Defizite im Bereich Körperpflege und Hygiene,
eine affektive, sogar sexuelle Enthemmung, auch unabhängig von dem jeweiligen Grad der
Intoxikation. Zu den psychischen Störungen kann im Verlauf der Alkoholabhängigkeit eine gesteigerte
Aggressionsbereitschaft durch das Fehlen hemmender psychischer Mechanismen oder sogar eine
Delinquenz entstehen (Soyka, 2002).
Soziale Störungen in Folge einer Alkoholabhängigkeit zeigen sich insbesondere in den Bereichen
Partnerschaft und Familienleben sowie Arbeit und Beruf. Die Folgen der Alkoholabhängigkeit auf die
Partnerschaft und die Familie sind komplex und weitreichend. Befunde von Simon & Palazetti (1999)
zeigen, dass 75 % der weiblichen und 45 % der männlichen Alkoholabhängigen ein oder mehrere
Kinder haben, und dass in 45 % beziehungsweise 30 % der Fälle diese Kinder im Haushalt der
Betroffenen leben. 43 % der Alkoholikerinnen und 37 % der Alkoholiker sind verheiratet, 23 %
beziehungsweise 19 % geschieden. Verlässliche Zahlen zum Ausmaß psychischer Störungen bei
Kindern von alkoholabhängigen Eltern liegen nicht vor. Legt man skandinavische Schätzungen zu
Grunde, würden in Deutschland etwa 900 000 bis 1,6 Millionen Kinder alkoholabhängiger Eltern
leben
(Schriftenreihe
des
Bundesministeriums
für
Gesundheit,
2000).
Partner und vor allem Partnerinnen Alkoholabhängiger, aber auch andere Familienangehörige
(Kinder, Eltern), übernehmen dann oft die Führung und Verantwortung für die Familie. Parallel zum
Abhängigkeitsprozess des Betroffenen entwickeln die Partner häufig ein co-abhängiges Verhalten,
indem sie das süchtige Verhalten des Betroffenen stützen, versuchen den Konsum zu kontrollieren,
eventuell auch mithelfen, das tatsächliche Verhalten zu verschleiern und gegebenenfalls auch für den
Partner lügen. Dies alles führt zu erheblichen Belastungen für die betroffenen Familienmitglieder und
kann sogar in psychische und physische Erkrankungen der Angehörigen münden. Über die negativen
Auswirkungen auf das Familien- und partnerschaftliche Leben hinaus, gehen zudem Freundschaften
und soziale Kontakte verloren, nachdem die sozialen Interaktionen durch Enttäuschung und
Misstrauen geprägt waren (Soyka, 2002).
Die Bedeutung einer Alkoholabhängigkeit für Störungen am Arbeitsplatz ist überaus zentral, und
Arbeitslosigkeit ein häufiges Problem für die Betroffenen und später ein Hauptfaktor für die
Aufrechterhaltung der Abhängigkeitserkrankung durch fehlende Tagesstruktur und sinkendes
Selbstwertgefühl (siehe 2.2). Etwa 8 % der Erwerbstätigen trinken täglich während der Arbeitzeit
Alkohol, 4 – 7 % aller Berufstätigen sind alkoholabhängig (Heipertz & Triebig, 2000). Es lassen sich
aufgrund empirischer Studien einige Berufsfelder mit besonders hohem Risiko für die Entwicklung
eines Alkoholismus definieren. Dabei handelt es sich zum einen um Berufe, die mit der Produktion
und dem Vertrieb alkoholischer Getränke zu tun haben, um ungelernte Arbeiter, um so genannte
„Durstberufe“ (Gießer, Köche, Heizer, Drucker), aber auch Freiberufler (Soyka & Küfner, 2008).
Aus betriebsärztlicher Sicht ist die frühe Diagnose einer Alkoholabhängigkeit besonders wichtig für
eine richtige Einschätzung von Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten sowie bei Arbeiten mit
Absturzgefahr (Heipertz & Triebig, 2000). Bei vorliegender Alkoholabhängigkeit mit einem Anstieg
2
von Krankheitstagen und nachlassender Arbeitsleistung kommt es oft zu Kündigungen und
Arbeitslosigkeit. Alkoholkonsum vermindert die psychische und kognitive Leistungsfähigkeit,
insbesondere die motorische Geschicklichkeit, Koordination und Reaktionsvermögen. Unfälle sowie
Verletzungen sind häufige Folgen und schließlich verschlechtert sich die berufliche Situation des
Alkoholabhängigen zunehmend. Die durch Alkohol verursachte Hirnschädigung und die damit
verbundene Wesensänderung führen zu einer Verlangsamung der Psychomotorik und des
Denkvermögens, zu Konzentrationsschwächen und zu einer Verschlechterung der sensorischen und
motorischen Funktionen. Darüber hinaus kommt es zu nachlassender Initiative und Aktivität und zu
weiteren konsumbedingten Veränderungen wie Unzuverlässigkeit, mangelnde Sorgfalt,
Gleichgültigkeit, Gereiztheit und depressive Verstimmung. Andererseits wirken sie häufig in ihrem
Bemühen nicht aufzufallen oft überangepasst. Vorgesetzte und Arbeitskollegen bemerken dann eine
Verminderung der Produktion in quantitativer und qualitativer Hinsicht. Hinzu kommen
zwischenmenschliche Spannungen bis hin zu Mobbing am Arbeitsplatz, die infolge des geschilderten
Fehlverhaltens im Betrieb entstehen (Feuerlein, 2000).
Die enorme Bedeutung der Alkoholabhängigkeit zeigt sich neben den negativen Auswirkungen auf
die Familien- und Arbeitswelt auch in lebensbedrohenden alkoholassoziierten körperlichen
Folgeschäden. Akuter und chronischer Alkoholkonsum wirken sich krankheitsauslösend auf innere
Organe sowie auf das zentrale und periphere Nervensystems aus (Singer & Teyssen, 2001). Selbst der
sozial akzeptierte (moderate) Alkoholgenuss führt in bis zu 15 % der Fälle zur Abhängigkeit, wobei
das Ausmaß der durch ihn hervorgerufenen organischen Krankheiten unterschätzt wird. Weltweit
schätzt die WHO, dass 6 % des Bruttosozialproduktes einer Industrienation für die
alkoholassoziierten Folgeschäden verwendet werden (Singer & Teyssen, 2000; Singer & Teyssen,
2001). Alkoholabhängigkeit, schädlicher Gebrauch und gesellschaftsüblicher Alkoholkonsum können
zu einem breiten Spektrum von Organerkrankungen führen. Bis zu 75 % der Alkoholiker, die zur
stationären Entwöhnungsbehandlung kommen, leiden an Alkoholfolgekrankheiten. Bei 29 % der
Männer und 9 % der Frauen, die in ein Allgemeinkrankenhaus eingewiesen werden, liegt eine
alkoholassoziierte Erkrankung vor. Besonders betroffen sind Erwachsene im mittleren Alter (35 bis 55
Jahre). Die häufigsten Diagnosen bei Alkoholabhängigen sind Delirium tremens (13 %),
alkoholentzugsbedingte Krampfanfälle (11,4 %), Kopfverletzungen mit und ohne subdurale
Hämatome (9 %) und Leberzirrhose (8 %) (Ashley, Olin, Le Riche, Kornaczewski, Schmidt & Rankin,
1977; Bode, 1993; Gerke, Hapke, Rumpf & John, 1997; Kratzer, Blum, Mason et al., 1998; Teyssen &
Singer, 2001).
Chronischer Alkoholkonsum ist mit einer deutlich erhöhten Inzidenz bösartiger Tumoren der
Schleimhaut (Karzinome) in Mundhöhle, Pharynx, Hypopharynx und Ösophagus assoziiert (Tuyns,
Pequignot & Abbatucci, 1979; IARC International Agency for Research on Cancer, 1988; Maier &
Sennewald, 1994; Thun, Peto, Lopez, Monaco, Henley, Heath Jr & Doll, 1997; Hörmann, Riedel &
Hirth, 1999; Müller, Tisch, Teyssen, Wiesbeck & Keil, 2000; - 28). Das Risiko, an einem Mundhöhlenoder Kehlkopfkarzinom zu erkranken, ist bei einem täglichen Alkoholkonsum von 75 bis 100 g um
mehr als das 13fache und bei über 100 g um das 14fache gegenüber der Normalbevölkerung erhöht.
Für den Konsum von mehr als 100 g Alkohol pro Tag wurde ein relatives Risiko von 125 errechnet
(Maier & Sennewald, 1994). Wird bei Rauchern (mehr als 75 % der Alkoholiker sind
Tabakkonsumenten) der Krebs erzeugende Effekt des Tabakrauchs berücksichtigt, steigt das relative
Risiko, an einer der genannten Krebsarten zu erkranken auf das 16-, 19- beziehungsweise 21-fache
3
an. Das Ergebnis einer Metaanalyse aller bisher vorliegenden epidemiologischen Daten über die
Wirkung des chronischen Konsums alkoholischer Getränke und die Entstehung von bösartigen
Tumoren des Menschen belegt eine eindeutige Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen dem täglichen
Alkoholkonsum und dem Auftreten bösartiger Tumoren. Jeder Alkoholkonsum – ob gering, moderat
oder stark – steigert die Krebshäufigkeit (Thomas, 1995; Longnecker & Enger, 1996).
Lebererkrankungen (Fettleber, Alkoholhepatitis, Zirrhose), die chronische Pankreatitis und
Malignome sind die häufigsten Alkoholfolgeerkrankungen. Eine Fettleber wird bei Patienten mit
chronischem Alkoholkonsum in bis zu 90 %, eine Alkoholhepatitis in bis zu 50 % und eine
Leberzirrhose bei 20 bis 30 % gesehen (Hall, 1995). Mit einer deutlichen Risikosteigerung für die
Lebererkrankung ist bei Männern ab einem Alkoholkonsum von 40 bis 60 g/die und bei Frauen ab
einem Alkoholkonsum von 20 bis 30 g/die zu rechnen. Bei 60 g/die ist bei Männern das Risiko 6fach,
bei 80 g/die 14fach erhöht (Rimm, Giovannucci, Willet, Colditz, Ascherio, Rosner & Stampfer, 1991;
Bode C, Bode JC, Hahn, Rossol, Schäfer & Schuppan, 1999). Das Risiko der Frauen ist nahezu doppelt
so hoch wie das bei Männern.
Die chronische Pankreatitis ist die wesentliche alkoholbedingte Erkrankung der Bauchspeicheldrüse
(Sarles, 1991, Singer & Müller, 1995). Im Mittel nach 17 Jahren chronischen Alkoholkonsums bei
Männern und zehn Jahren bei Frauen von mehr als 80 g Alkohol (entspricht circa 1 Liter Wein) pro
Tag kommt es zur klinischen Manifestation der chronischen Pankreatitis (Sarles, 1991, Skinazi, Lévy &
Bernades, 1995).
Auch das kardiovaskuläre System wird durch chronischen Alkoholkonsum in Mitleidenschaft
gezogen. So weisen Alkoholabhängige eine Vielzahl an Herzrhythmusstörungen auf. Diese beinhalten
supraventrikuläre Ereignisse wie Tachyarrhythmien (Tachyarrhythmia absoluta), Vorhofflattern,
Extrasystolen, ventrikuläre Rhythmusstörungen mit Extrasystolie und Tachykardien sowie
verschiedene Formen der Erregungsleitungsverzögerungen mit AV-Blockierungen und
Schenkelblockbildern (Kupari & Koskinen, 1998). 1 -2 % chronischer Alkoholkonsumenten entwickeln
Symptome einer Herzinsuffizienz. Schätzungen gehen davon aus, dass dilatative Kardiomyopathien
„unklarer Genese“ zwischen 40 und 60 % auf chronischen Alkoholkonsum zurückzuführen sind
(Regan, 1984; McKenna, Codd, McCann & Sugrue, 1998). Alkohol wirkt blutdruckerhöhend. Die
Beziehung von Alkoholkonsum und Blutdruck ist positiv linear. Ab einem Alkoholkonsum von 30 g/die
bei Männern beziehungsweise 20 g/die bei Frauen muss mit einem signifikanten Anstieg des
Blutdrucks gerechnet werden (Keil, Liese, Filipiak, Swales & Grobbee, 1998; Strotmann & Ertl, 1999).
Besonders fatal auf ein langfristiges autonomes Leben und die Selbstständigkeit des
Alkoholabhängigen wirken sich alkoholassoziierte neurologische
Folgeerkrankungen aus.
Übermäßiger Alkoholgenuss, chronischer Alkoholkonsum und Alkoholexzess führen zu
charakteristischen
neurologischen
Krankheitsbildern.
Die
Wernicke-Enzephalopathie
(Polioencephalitis hämorrhagica superior), die sich in einer komplexen Störung der Okulomotorik,
einer Gangataxie und Desorientiertheit manifestiert oder das Korsakow-Syndrom mit
Beeinträchtigung der Gedächtnisfunktion.
Die periphere Polyneuropathie ist die häufigste chronische neurologische Erkrankung in Verbindung
mit abhängigem Alkoholkonsum. Neben einem unmittelbar toxischen Effekt des Alkohols wird auch
Mangelernährung als ätiologischer Faktor diskutiert (Claus, Eggers, Engelhardt, Neundörfer &
Warecka, 1985). Entzugsbedingte cerebrale Krampfanfälle sind mit einer Prävalenz von 20 bis 35 %
4
die häufigsten neurologischen Folgen des chronischen Alkoholkonsums (Viktor, 1991, Bode, 1993)
und zuletzt ist das Risiko für einen Apoplex ab einem täglichen Alkoholkonsum von etwa 30 bis 40
g/die im Vergleich zur Bevölkerung deutlich erhöht. Als Mechanismen, die für eine Erhöhung des
Schlaganfallrisikos bei starkem Alkoholkonsum verantwortlich sein können, kommen die akute oder
chronische arterielle Hypertonie, die alkoholassoziierte Kardiomyopathie, Arrhythmien und die
erhöhte Inzidenz des Tabakkonsums infrage.
In der Zusammenschau ergeben sich aus o. g. psychischen, sozialen und körperlichen Folgeschäden
die Schwerpunkte für eine adäquate und individuell zu gestaltende stationäre
Entwöhnungsbehandlung mit der Zielsetzung einer sozialen und beruflichen Reintegration sowie
dauerhafter gesundheitlicher Stabilisierung. Das Ziel der sozialen Reintegration und konzeptionelle
Basis der Entwöhnungsbehandlung in diesem Bereich ist die größtmögliche Eigenständigkeit durch
Motivation zu Veränderungsschritten, Aktivierung von Selbsthilfepotentialen, die Heranführung an
das gesellschaftliche Leben und der Aufbau tragfähiger Sozialkontakte. Zur Verselbstständigung und
Verbesserung der sozialen Fähigkeiten unterstützen wir unsere Patienten bei der Initiierung, Planung
und Durchführung von Freizeitaktivitäten. Die Vorbereitung und Reintegration zur der Teilhabe am
Arbeitsleben sind zentrale Bausteine der stationären Entwöhnungsbehandlung. Das Erkennen von
Belastungsfähigkeit und Schlüsselfertigkeiten sind in diesem Bereich unsere Aufgaben. Als Grundlage
dienen uns eine gut erhobene Berufsanamnese, eine spezifische Sozialberatung, Bewerbungstraining,
PC-Training, eine personell und materiell gute ausgestatte Arbeitstherapie, die Möglichkeit zu
externen Arbeits- und Belastungserprobungen (Praktika) in Betrieben, regelmäßige Visitationen
durch den beruflichen Reha-Berater der DRV-Rheinland und eine große Sorgfalt in der
sozialmedizinischen Leistungseinschätzung des Rehabilitanden.
1.2 Mehrfachabhängigkeit
Alkoholabhängige haben in steigendem Maße einen Beikonsum anderer psychotroper Substanzen
entwickelt. Die Deutsche Referenzstelle für die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und
Drogensucht (DBDD, 2003) berichtet, dass ein Viertel der Personen mit der Hauptdiagnose
Alkoholabhängigkeit zusätzlich Sedativa konsumiert; von den Frauen nehmen 22 % zusätzlich
Barbiturate, 17 % Benzodiazepine, 10 % Cannabis, 9% opiathaltige Mittel und weitere 5 % Heroin, 9%
Kokain, 11 % LSD und 6 % Amphetamine; die Zahlen der Männer sind vergleichbar hoch. Im Vergleich
zum Jahr 2001 sind diese Zahlen durchweg gestiegen.
Auch Alkoholika werden in Form von Alkopops und Trinksitten mit hochprozentigen Getränken
immer mehr wie Drogen konsumiert.
Während früher mit dem Konsum von psychotropen Substanzen ein Protest gegen die Ansprüche der
Leistungsgesellschaft verbunden war, findet sich heute in der Mentalität vieler Jugendlicher und
junger Erwachsener eine - wenn auch gebrochene - Übernahme der gesellschaftlichen
Leistungsanforderungen: Im Alltag von Schule, Ausbildung und Arbeit wird versucht, die gestellten
Leistungserwartungen zu erfüllen. An die Freizeit besteht demgegenüber die Erwartung, möglichst
viel Spaß zu haben. Schlagwortartig kann von einer Spaltung des Lebens in Alltag und „Party”
5
gesprochen werden. Eine solch starke Leistungsorientierung im privaten wie im schulischen und
beruflichen Bereich findet ihren Ausdruck in einem gesteigerten Konsum aktivierender,
stimmungsaufhellender Drogen (Amphetamine, Kokain, Ecstasy) und beruhigender Substanzen
(Cannabis). Diese Entwicklungstendenz war eng mit der Ende der 80er Jahre entstandenen Techno-,
House- und Rave-Szene und dem Konsum von Amphetaminderivaten wie „Ecstasy” verbunden (vgl.
Herbst, et al. 1996; Künzel, Kröger, Bühringer, Tauscher & Walden, 1997), greift aber bereits über sie
hinaus. Jüngste Schätzungen gehen von einem deutlich größeren Verbreitungsgrad des Konsums von
Psychostimulantien aus.
Die in der Techno-Szene unter dem Namen „Ecstasy” bevorzugten Amphetaminderivate (MDMA,
MDE) zeichnen sich durch eine entspannende und aktivierende Wirkung zugleich aus und haben
außerdem ein halluzinogenes Potential. Sie helfen auf Dauertanzpartys (Raves) Müdigkeit und
Schwäche zu überwinden und steigern körperliche Ausdauer. Sie erhöhen die
Kommunikationsbereitschaft, reduzieren die Schwellenangst und vermitteln somit auf
Massenveranstaltungen ein Gefühl der Solidarität, Verbundenheit und Nähe zu anderen. Wegen
ihrer besonderen Wirkung - dem Gefühl, mit sich selbst im Reinen zu sein und die Welt umarmen zu
können - werden diese Amphetaminderivate auch als neue psychotrope Substanzklasse der
”Entaktogene” bezeichnet.
Durch die Techno- und Rave-Kulturen haben „Amphetamine“ seit Beginn der 90er Jahre wieder an
Interesse gewonnen. Amphetamin, Dextroamphetamin und Methamphetamin werden als
„Amphetamine“ bezeichnet und meist als Pulver zur nasalen Einnahme, gelegentlich als Tabletten zur
oralen Einnahme auf dem illegalen Drogenmarkt angeboten. Der Konsument erlebt eine Steigerung
seiner körperlichen Leistungsfähigkeit und einen euphorisierenden Effekt mit dem Gefühl eins
geschärften Intellektes und erhöhter Tatkraft. Nach einigen Stunden verringert sich die stimulierende
Wirkung und ein Gefühlt von Erschöpfung und Müdigkeit tritt ein, wobei typischerweise Schlafen
erschwert bis unmöglich ist. Unter regelmäßigem Amphetaminkonsum sind Gewichtsabnahmen von
10 - 15 kg in wenigen Monaten möglich und können eine erhebliche Gesundheitsgefährdung
bedeuten. Bei häufigerem Konsum wird die Menstruation bei Frauen gestört oder kann ganz
ausbleiben. Bei Überdosierungen drohen Schlaganfälle durch Bluthochdruckkrisen und zerebrale
Krampfanfälle.
Um die bisherige Wirkung einer Droge zu steigern oder um neue Wirkungen hinzuzufügen, werden
Amphetamine, Kokain, LSD und Koffein konsumiert, und um Nebenwirkungen zu dämpfen, werden
Alkohol und Cannabisprodukte eingesetzt (vgl. Flüsmeier & Rakete, 1999). So verfestigt sich ein
polyvalenter Konsum verschiedener psychotroper Substanzen, die je nach gewünschter Wirkung in
wechselnder Kombination eingesetzt werden, wobei später oft Alkohol, Kokain bzw. Medikamente
als Leitsubstanz dominieren.
Solche Konsummuster bleiben nicht ohne schädliche Auswirkungen. Das Nichtbeachten von
Körpersignalen (Durst, Schmerz, Müdigkeit, Schwäche) führt zu Überforderung und zum Ausbrennen.
Die Folgen sind Unkonzentriertheit, Appetitlosigkeit und Motivationsarmut; das Leben erscheint grau
und freudlos. War mit dem Konsum ursprünglich eine Leistungs- und Spaßsteigerung angestrebt,
stellen sich nun z. B. Nachlassen der Leistungsbereitschaft, Schulversagen oder Abbruch der
Ausbildung, Interesseneinengung und allgemeine Dysphorie ein („Amotivationales Syndrom”). Die
Bekämpfung dieser Zustände durch erneute Einnahme psychotroper Substanzen (inkl. Alkohol) führt
nur noch weiter in die polyvalente Abhängigkeit.
6
Aber auch ein zunehmender Konsum von Cannabisprodukten wird in den letzten 10 Jahren in
Schulen sowie suchtspezifischen Einrichtungen registriert. Das Jahrbuch Sucht 2004 der DHS
berichtet von einem Rückgang des durchschnittlichen Einstiegsalters: Der Median des Einstiegsalters
liegt bei den Befragten der Geburtsjahrgänge 1978-1982 bereits bei 15,7 Jahren. Während im Alter
von 19 Jahren lediglich 4 % der 1950 Geborenen Cannabiserfahrungen hatten, sind dies bei den um
1980 Geborenen 38 % (Kraus, Orth & Kunz-Ebrecht, 2003). Auch zeigt sich eine deutliche
Veränderung des Konsumverhaltens hin zu exzessivem Gebrauch bei einer gleichzeitigen Steigerung
der Qualität (THC- Gehalt) der Cannabisprodukte. Als Anlass für den Besuch einer Beratungsstelle
wird Cannabis von 30 % am dritthäufigsten nach Alkohol und Opiaten genannt.
Psychische Nebenwirkungen des Konsums der psychoaktiven Stoffe können eine Verstärkung von
depressiver oder ängstlicher Stimmung, Halluzinationen und eine Aktivierung von bisher
unterschwelligen Ängsten und Konflikten sein. Als Folgeerkrankungen des Substanzmissbrauchs
treten immer wieder schwere Depressionen, Schlafstörungen, Panikstörungen, generalisierte Angst
vor „Flash-Backs”, Impulskontrollstörungen (aggressive Durchbrüche) und Psychosen auf (Schneider
& Kramer, 2009).
Derartige Nebenwirkungen und Folgeerkrankungen werden bereits jetzt beobachtet. Für die
nächsten Jahre ist mit einem Anwachsen dieser Probleme zu rechnen: Zum einen, weil sich der
Konsum von Amphetaminderivaten etc. über die ursprüngliche Techno-Szene hinaus unter
Heranwachsenden verbreitet. Zum anderen nimmt mit der Konsumdauer das Auftreten von
Nebenwirkungen und Folgeerkrankungen zu. So berichtet Thomasius (1997), dass bei Personen, die
mehr als 40-100 Einzeldosen Ecstasy eingenommen haben, gehäuft Psychosen auftreten.
Bei Mehrfachabhängigen ist der Zusammenhang zur Arbeitslosigkeit und Erwerbsminderung stärker
als bei Alkoholabhängigen ohne eine weitere F1 Diagnose (F17 (Tabak) unberücksichtigt). Arbeitslose
Alkoholabhängige haben dreimal häufiger eine komorbide F1 Diagnose (F17 unberücksichtigt) als
erwerbstätige Alkoholabhängige. Wenn sie bereits stationäre Therapieerfahrung haben und allein
leben ist die Wahrscheinlichkeit für eine komorbide F1 Diagnose fünffach erhöht (Vollmer & Kramer
2010). In der Regel sind die Mehrfachabhängigen jünger als Alkoholabhängige ohne eine komorbide
F1 Diagnose und ihre Motivation auf alle psychotropen Substanzen – selbst wenn Tabak
ausgeklammert wird – ist relativ schwach ausgeprägt. Entweder trauen sie sich zu, reduziert Alkohol
zu trinken oder gelegentlich Cannabis oder einer andere illegale Droge zu konsumieren.
Zur Erreichung einer sozialen und beruflichen Reintegration und einer gesundheitlichen Stabilisierung
sind bei den Mehrfachabhängigen motivierende Interventionen von zentraler Bedeutung.
Psychoedukation zu den Folgen aller in Frage kommender psychotroper Substanzen, motivierende
Verfahren sowohl in der Einzeltherapie als auch in der Gruppe sind wichtige Bestandteile der
Behandlung bei diesen Patienten. Daher ist für mehrfachabhängige Patienten der salus klinik Hürth,
die Teilnahme an der indikativen Gruppe Mehrfachabhängigkeit verpflichtend (siehe 11.1.1). Der
hohe Anteil Arbeitsloser bei den Mehrfachabhängigen, häufig gekoppelt mit einer fehlenden
beruflichen Ausbildung, erfordert eine gesonderte Betreuung durch Sozialdienst und klinische
Sozialarbeit (siehe 9.2)
7
2
Medizinische Rehabilitation Suchtkranker
2.1 Grundlagen der Rehabilitation
Im Jahr 1968 wurde die Sucht von psychotropen Substanzen in Deutschland als eigenständige
Krankheit anerkannt und die Sozialversicherungsträger einigten sich, dass der körperliche Entzug in
den Bereich der Versorgung in Krankenhäusern gehört und die eigentliche Behandlung der Sucht, die
so genannte Entwöhnung, in den Bereich der Rehabilitation fällt, für den überwiegend die
Rentenversicherungsträger zuständig sind. Die „Vereinbarung Abhängigkeitserkrankungen“ vom
04.05.2001 regelt die Zuständigkeit der Leistungsträger und deren Zusammenarbeit für die Entzugsund für die Entwöhnungsbehandlung. Die Regelung der Zuständigkeit für die
Entwöhnungsbehandlung bzw. Postakutbehandlung passt ausgezeichnet auf die Zielsetzung der
Rehabilitation, die sich in ihrem Anforderungsprofil bei weitem besser eignet als die auf die
Behandlung akuter Krankheiten spezialisierten Krankenversicherungen. Denn neben der Abstinenz
setzt die Rehabilitation die Behebung körperlicher und seelischer Störungen sowie die Eingliederung
in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (s. Vereinbarung „Abhängigkeitserkrankungen“, VDR 2001).
In einer Veröffentlichung der WHO – Europa (1987) wurde Gesundheit definiert als die Fähigkeit, ein
sozial und wirtschaftlich aktives Leben zu führen. Dies betrachten wir als realistisches Ziel für eine
Medizinische Rehabilitation. Zusätzlich gilt es in den industrialisierten westlichen Nationen als Ziel
jeder Suchtbehandlung, den Betroffenen zu einem Leben zu verhelfen, das in möglichst geringem
Ausmaß von Störungen durch psychotrope Substanzen beeinträchtigt wird. Eine langwierige oder gar
lebenslange medikamentöse Behandlung und eine dauerhafte soziale Aufsicht sind weitgehend zu
vermeiden. Die nachhaltige und selbst bestimmte Abstinenz-Fähigkeit gilt als erstrebenswertestes
Ziel der Suchtbehandlung.
Wesentliche gesetzliche Grundlage der stationären medizinischen Rehabilitation ist das SGB IX.
Insbesondere im § 4 werden die Leistungen zur Teilhabe beschrieben. Im Einzelnen gilt es:
1. Behinderungen abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten
oder ihre Folgen zu mildern,
2. Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit oder Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu
überwinden, zu mindern oder eine Verschlimmerung zu verhüten sowie den vorzeitigen
Bezug anderer Sozialleistungen zu vermeiden oder laufende Sozialleistungen zu mindern,
3. die Teilhabe am Arbeitsleben entsprechend den Neigungen und Fähigkeiten
dauerhaft zu sichern oder
4. die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am
Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbständige und selbstbestimmte
Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern.
Medizinische Rehabilitation ist darauf gerichtet, schädigungsbedingte Funktionsstörungen, die
nicht nur vorübergehender Natur sind, sowie drohende oder bereits manifeste
Beeinträchtigungen in der Teilhabe am beruflichen und gesellschaftlichen Leben zu vermeiden,
zu beseitigen, zu bessern oder zumindest deren Verschlimmerung zu verhüten. In § 1 des SGB IX
8
wird die Förderung der Selbstbestimmung und der gleichberechtigten Teilhabe behinderter oder
von Behinderung bedrohter Menschen als grundlegendes sozialpolitisches Ziel hervorgehoben.
Selbstbestimmung, Gleichberechtigung und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, wozu an
vorderer Stelle das Arbeitsleben zählt, hat der Gesetzgeber mit dem SGB IX zum Gegenstand des
Leistungsrechtes gemacht. Mit dieser Anschauung deckt sich die Selbstmanagement- bzw. salus„Philosophie“, die dementsprechend rechtskonform mit den Rahmenbedingungen der
Rehabilitation ist. Davon ausgehend, dass es sich bei Suchterkrankungen um eine chronische
Erkrankung handelt, bekommt die funktionale Gesundheit im Sinne der ICF (Internationale
Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit, WHO, 2001) hierbei eine
zentrale Bedeutung. Das in der ICF umfassend dargestellte biopsychosoziale Modell ist eine
zentrale Grundlage der medizinischen Rehabilitation. So werden in der medizinischen
Rehabilitation Behandlungspläne erstellt, in denen psychotherapeutisch soziotherapeutische,
somatotherapeutische, ergo- und sportherapeutische Interventionnen miteinander kombiniert
werden.
Die Bedeutung stabiler Lebensumstände hinsichtlich Arbeit, Familie und sonstigem sozialem Umfeld
für die Verstetigung des Behandlungserfolges ist aus der allgemeinen Rehabilitationsforschung
bekannt. Auch durch die empirische Suchtforschung ist diese Erkenntnis in mehreren Studien belegt
(z. B. Küfner & Feuerlein, 1989, Lindenmeyer & Kolling 2007, Vollmer & Kramer 2010). Henkel et al.
(2003) nennen in einer Zusammenfassung nationaler und internationaler Untersuchungen einen
Faktor zwischen 1,5 und 2, um den die Rückfallrate Arbeitsloser gegenüber Erwerbstätigen erhöht ist.
Die Rückkehr ins Erwerbsleben gelingt den Rehabilitanden im Suchtbereich deutlich häufiger als
denen der übrigen Indikationsgebiete: zwei Jahre nach einer stationären Maßnahme sind insgesamt
88% der Sucht-Rehabilitanden noch im Erwerbsleben verblieben, 61% sind sogar im ganzen Zeitraum
lückenlos tätig (Egner & Grünbeck, 2003). Diese Erfolge der Vergangenheit gilt es trotz wachsender
Krisen am Arbeitsmarkt zu sichern oder sogar auszubauen.
Die Sicherung bzw. Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit ist das vorrangige Ziel jeder
Rehabilitationsmaßnahme. Daher dienen alle diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen einer
Rehabilitations-Fachklinik letztendlich auch diesem Ziel und alle Mitarbeiter einer Klinik sind diesem
Grundsatz verpflichtet und haben in Ihrer Therapieplanung und –umsetzung die Wechselwirkungen
von Sucht und Erwerbstätigkeit zu beachten.
2.2 Erwerbstätigkeit und Sucht
Besondere Bedeutung bei der Rehabilitation Abhängiger kommt der Erwerbsfähigkeit zu. Sie ist
selbst dem Ziel Abstinenz vorgeschaltet. Andererseits ist durch den übermäßigen Konsum
psychotroper Substanzen die Erwerbsfähigkeit gefährdet. Denn Alkoholabhängige fehlen
durchschnittlich siebenmal häufiger am Arbeitsplatz, 25 % aller Arbeitsunfälle sind alkoholbedingt
und durch Unzuverlässigkeit und Fehlleistungen kosten Alkoholabhängige ihren Arbeitgeber
durchschnittlich 10.000,00 EUR pro Jahr. Der Zusammenhang zwischen Arbeitsproblemen und
schädlicher Gebrauch bzw. Abhängigkeit von psychotropen Substanzen ist komplex und unterliegt
Wechselwirkungen (Lindenmeyer & Kolling 2007).
9




Überforderung: Viele Arbeitsplätze sind zunehmend
durch psychischen Stress
gekennzeichnet. Die Beschäftigten sind einem erheblichen Qualifikationsdruck durch
neue Informationstechnologien, der verstärkten Erwartung zu Flexibilisierung und der
zunehmenden Bedrohung durch Arbeitslosigkeit in Form einer „Erosion der
Vollzeitarbeitsverhältnisse“ und einer „Fragmentierung stabiler Berufsbiografien“
ausgesetzt (Zielke, 2000). Eine Zunahme an Alkoholproblemen ist insbesondere dann zu
beobachten, wenn Beschäftigte auf diese Situation mit einer Verausgabung und einer
unökonomischen Aktivität reagieren. Unsichere und befristete Arbeitsverhältnisse führen
zu einem Anstieg psychosomatischer Erkrankungen (Aronsson, Gustafsson & Dallner,
2002), die nicht selten mit psychotropen Substanzen behandelt werden.
Unterforderung: Bei anderen Erwerbstätigen ist ein erhöhter Alkoholkonsum an
eintönigen und unterfordernden Arbeitsplätzen zu beobachten. Hier dient der Alkohol
eher als Kick und Abwechslung.
Risikoberufe: Bestimmte Berufsgruppen haben ein besonderes Risiko für
Alkoholprobleme. Hier sind Berufe mit einer Häufung von problematischem
Alkoholkonsum (Baugewerbe, Straßenbau, Gastronomie, chemische Industrie, Ärzte,
Manager) von Berufen zu unterschieden, in denen bereits ein geringer Alkoholkonsum
aufgrund der besonderen Sicherheitsrisiken vermehrt zu ernsthaften Problemen führt
(z.B. Maschinenführer, Fahrer, Polizisten, Piloten).
Arbeitslosigkeit: In einer Vielzahl von Studien konnte ein verstärktes Auftreten von
Alkoholproblemen bei Arbeitslosigkeit festgestellt werden (Henkel, 2007). Allerdings wird
das Suchtverhalten wohl weniger durch die Arbeitslosigkeit an sich, sondern durch das
Ausmaß des dadurch verursachten Rückgangs an sozialen Ressourcen bestimmt (Puls et
al., 2005). Lediglich der Verlust des Arbeitsplatzes ist in der Regel mit einem Anstieg des
Alkoholkonsums verbunden. Bei einer Zunahme der Arbeitslosigkeit um 3 % in einer
Gesellschaft steigt die alkoholbedingte Mortalität um 28 %, insbesondere bei den
Personen mit einer schlechten Berufsausbildung (Stuckler et al. 2009)
Stabile Lebensumstände hinsichtlich Arbeit, Familie und dem sonstigen sozialem Umfeld sind ein
wesentlich erleichternder Faktor für den Behandlungserfolg einer medizinischen Rehabilitation
(Küfner & Feuerlein, 1989). Nach Henkel, Zemlin & Dornbusch (2003) ist in ihrer Zusammenfassung
nationaler und internationaler Untersuchungen die Rückfallrate Arbeitsloser gegenüber
Erwerbstätigen um einen Faktor zwischen 1,5 bis 2 erhöht.
Die Rückkehr ins Erwerbsleben gelingt den Rehabilitanden im Suchtbereich deutlich häufiger als
denen der übrigen Indikationsgebiete: zwei Jahre nach einer stationären Maßnahme sind insgesamt
88% der Sucht-Rehabilitanden noch im Erwerbsleben verblieben, 61% sind sogar im ganzen Zeitraum
lückenlos tätig (Egner & Grünbeck, 2003). Und die meisten zu Beginn der Behandlung erwerbstätigen
Patienten sind auch noch ein Jahr nach Beendigung der Rehabilitation weiterhin erwerbstätig. Diese
Erfolge der Vergangenheit gilt es trotz wachsender Krisen am Arbeitsmarkt zu sichern oder sogar
auszubauen.
10
3
Leistungsangebote der salus klinik Hürth
Die Suchtabteilung, die in dieser Konzeption vorgestellt wird, stellt ein umfassendes und
qualifiziertes Rehabilitationsangebot für Suchtkranke bereit. Die salus klinik ist ein in 2009 neu
entstandenes Gebäude, das entsprechend modern und den Ansprüchen der Kostenträger gemäß
gebaut wurde. Dies spiegelt sich sowohl im Raumkonzept als auch in der apparativen Ausstattung
wider. Die Vorzüge der Kliniklage wurden bereits in der Einleitung beschrieben. Eine gute
therapeutische und persönliche Atmosphäre ist zusätzlich durch die Aufteilung in Behandlungsteams
gewährleistet.
3.1 Übersicht der Leistungsangebote
Die salus klinik Hürth bietet im Rahmen medizinischer Rehabilitation Abhängigkeitserkrankter eine
stationäre Entwöhnungsbehandlung für volljährige Frauen und Männer.
Der Neubau der Klinik ermöglicht eine barrierefreie Nutzung aller Räume, so dass auch die
Behandlung gehbehinderter und rollstuhlgebundener Patienten möglich ist.
Es gibt etliche spezifische Behandlungsangebote, unter anderem für Mehrfachabhängige, für
Abhängige von psychotropen Substanzen mit komorbiden stoffungebundenen Abhängigkeiten
(pathologisches Glücksspiel, pathologischer PC-Gebrauch), für Patienten mit Partner- und
Familienkonflikten und für Patienten mit gravierenden psychischen Grund- oder Nebenerkrankungen
(z. B. Affektive Störungen, Persönlichkeitsstörungen, im Einzelfall auch Erkrankungen aus dem
schizophrenen Formenkreis, wenn entaktualisiert oder neuroleptisch gut eingestellt, sodass eine
Reha-Fähigkeit gegeben ist). Die Angebote der ambulanten und der ganztätig ambulanten
Rehabilitation sind in Planung. Sie werden in den dafür indizierten Fällen eine Verkürzung der
stationären Therapiezeit erlauben und einen Beitrag zur regionalen integrierten Versorgung leisten.
Flexible, individuell abgestimmte Behandlungszeiten werden auf der Grundlage detaillierter
Therapiepläne nach dem Prinzip „nicht mehr Behandlung als notwendig“ umgesetzt. Die geplanten
Behandlungsdauern liegen zwischen 8 und 13 Wochen. Nur bei zwingender Indikation wird davon
abgewichen, wie zum Beispiel bei Mehrfachabhängigkeit mit einer Behandlungsdauer von im
Einzelfall bis zu 26 Wochen.
Für Paare (Ehepaare und Lebensgemeinschaften) besteht die Möglichkeit der gemeinsamen
Aufnahme zur Paartherapie. In einem Vorgespräch wird abgestimmt, ob die Aufnahme direkt im
Doppelzimmer erfolgt oder ob zunächst Einzelzimmer indiziert sind.
Neben der Paartherapie ist die Integration von Angehörigen in die Therapie ein wichtiger Baustein
jeder Rehabilitationsmaßnahme. Zum einen besteht in Absprache mit dem federführenden
Leistungsträger die Möglichkeit, an einer kompletten Therapiewoche teilzunehmen, zum anderen
bieten die räumliche Nähe zum Ballungsgebiet und die gute Anbindung durch öffentliche
Verkehrsmittel Angehörigen die Chance, regelmäßige Gespräche wahrzunehmen.
Der Rehabilitationsauftrag „Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit“ spielt im Therapiealltag eine
ganz zentrale Rolle. Aus diesem Grund wurde der Bereich der Arbeitstherapie mit
11
Bewerbungstraining und Bewerbungen schreiben sehr gut ausgebaut. Patienten haben die
Möglichkeit, im Holz- und Metallbau, in der Garten- und Landschaftspflege sowie im EDV-Bereich zu
arbeiten. Unterstützt wird dieser Bereich durch eine engmaschige Sozialdienstbetreuung und
regelmäßige Besuche des DRV-Reha-Beraters. Sozialarbeiter sind für einen festen Patientenstamm
zuständig, so dass eine durchgängige Beratung gewährleistet ist.
Frauen und Männer werden in gemischten Bezugsgruppen behandelt, werden jedoch durch frauenund männerspezifische Zusatzprogramme (indikative Frauengruppe, Frauensportgruppe, Stress
bewältigen) unterstützt.
Patienten, die durch ihren Konsum an Gehstörungen bedingt durch die Alkohol Polyneuropathie
leiden, finden in unserer sehr gut ausgestatteten Bewegungs- und Physiotherapie (siehe 7.5) beste
Voraussetzungen, diese Störungen zu beheben.
Die sehr gute Infrastruktur im Umfeld der Klinik sowie die Nähe zu Köln und Bonn ermöglichen uns
eine enge Zusammenarbeit mit Betrieben (Gespräche mit Vorgesetzten, Teamleitern etc.; externe
Praktika). Auch im Bereich der Freizeitgestaltung haben die Patienten viele Möglichkeiten,
verschiedene Dinge auszuprobieren und für ihre Zukunft zu planen.
Durch die Psychosomatische Abteilung können komorbide psychische Störungen konsiliarisch
zusätzlich im Haus abgeklärt werden (z. B. Schmerzstörungen). Die Vernetzung kann ebenfalls für die
gleichzeitige Behandlung Abhängiger mit psychosomatisch erkrankten Partnern genutzt werden.
Eine gute Vernetzung mit Nachsorgeeinrichtungen ist uns wichtig. Verschiedene Selbsthilfegruppen
(u. a. AA, Blaues Kreuz, GAMA-Frechen) kommen regelmäßig ins Haus und stellen sich vor.
Die Nähe zum Dialysezentrum in Hürth ermöglicht es, auch abhängige Patienten zu behandeln, die
auf eine Dialyse angewiesen sind.
3.2 Raumkonzept und Ausstattung
Die Klinik ist klar strukturiert und in die Gebäudeteile A und B aufgeteilt. Das Haus A (Hauptgebäude)
wurde in Form eines Us gebaut und ist über einen Übergang mit Haus B verbunden:
Salus Haus
salus klinik - Gelände
A
Bowlingcenter und
Tennishallen
B
Fitness &
Physiotherapie
-Räume
einer externen Firma
Sport
Abb. 1: Gelände und Gebäude der Klinik
12
Das viergeschossige Haus A ist einfach aufgebaut. Man betritt die Klinik durch den Mittelteil, wo man
die Rezeption, die Lobby, die Aufzüge, das Treppenhaus, die Aufnahmesekretariate, die medizinische
Station und die ärztlichen Untersuchungsräume, den Vortragssaal, die Lehrküche und den EDVSchulungsraum findet. Im linken Flügel des Erdgeschoss sind der Speisesaal, die Cafeteria und die
Küche, im rechten die Verwaltung, Klinikleitung und Mitarbeiterbüros untergebracht. Im Mittelteil
der Obergeschosse befinden sich die Therapeutenbüros sowie Funktionsräume, in den beiden
Flügeln die den Innenhof umschließen, die Patientenzimmer. Das erste Obergeschoss wird von der
psychosomatischen Abteilung genutzt, das zweite und dritte von der Suchtabteilung.
Auf jedem Obergeschoss stehen den Patienten drei Gruppenräume und ein Freizeitraum zur
Verfügung. Die Gruppenräume sind ausgestattet mit einer kleinen Küchenzeile (Kaffeemaschinen,
Wasserkocher, Geschirr) und großen Flachbildfernsehern. Die Freizeiträume können zum Lesen und
Spielen genutzt werden (Bücher und Gesellschaftsspiele sind vorhanden). Die 120 Patientenzimmer
(überwiegend Einzelzimmer; behindertengerechte Zimmer) der Suchtabteilung entsprechen einem
gehobenen Rehabilitationsstandard (kleiner Kühlschrank, Minisafe, Telefon).
Im Kellergeschoss befinden sich die Funktionsräume der Hauswirtschaft (mit der Wäscheausgabe für
Patienten), der Haustechnik (mit dem Serverraum der EDV-Anlage) sowie der Wasch- und
Trockenraum für Patienten.
Das zweigeschossige Haus B umfasst auf Ebene 1 die therapeutischen Räume der psychosomatischen
Abteilung. Im Erdgeschoss befinden sich drei lichtdurchflutete Kreativräume, die Werkstatt für
Metall- und Holzbau, ein zusätzlicher Maschinenraum, der Hauswirtschaftsraum mit der „salus
Boutique“ (Secondhandkleidung) sowie die Büros der Ergo-, Arbeits- und Sporttherapeuten.
Daran angegliedert ist die hochmoderne Sporthalle, die von der Höhe und Größe her auch
Mannschaftsspiele wie Volleyball erlaubt.
In der Sport- und Physiotherapie bieten den Patienten neben der Sporthalle noch drei Gymnastikund Entspannungsräume, mehrere Physiotherapiekabinen und ein großer Fitnessraum vielfältige
Möglichkeiten, sich körperlich fit fürs Erwerbsleben zu machen und Freude an der Bewegung
zurückzugewinnen. Die Gymnastik- und Physiotherapieräume sowie der Fitnessraum befinden sich
im salus Haus, das etwas 100 Meter vom Hauptgebäude entfernt liegt und barrierefrei zu erreichen
ist.
Die salus klinik ist im medizinischen sowie im ergo- und sporttherapeutischen Bereich mit
hochmodernen Geräten ausgestattet.
Im medizinischen Bereich können alle gängigen internistischen Erkrankungen und insbesondere
suchtspezifische Folgeerkrankungen (z.B. äthyltoxischen Leberschäden, gastro-intestinalen
Folgeerkrankungen, art. Hypertonie, chronisch obstruktive Lungenerkrankung ) in der Klinik abgeklärt
werden. Die Untersuchungen erfolgen durch einen Facharzt für Innere Medizin.
An medizinischen Geräten stehen zur Verfügung:
EKG, Ergometrie (Belastungs-EKG), Spirometrie (Lungenfunktionsprüfung), Spiroergometrie, LangzeitBlutdruckmessgerät, Sonographie der Bauchorgane und der Schilddrüse sowie Duplex-Sonographie
der Gefäße.
13
Laborchemische Untersuchungen (ausgenommen Drogenanalytik über Multi-Drogen-Schnelltests,
die im Hause durchgeführt werden) werden in einem externen Labor vorgenommen. Blut- und
Urinproben werden werktäglich abgeholt und der Labordatentransfer erfolgt am gleichen Tag direkt
in unsere digitale Patientendokumentation (PaDo).
Alle weiterführenden diagnostischen Maßnahmen (unfallchirurgische, kardiologische, gynäkologische
Untersuchungen) werden in kooperierenden Akut-Krankenhäusern (Sana-Krankenhaus Hürth,
Uniklinikum Köln) durchgeführt. Auf dem Gelände des Sana-Krankenhauses, das nur wenige
Autominuten entfernt liegt, befindet sich auch ein Dialysezentrum.
Darüber hinaus kooperiert die salus klinik für weitere Konsiliaruntersuchungen mit den
niedergelassenen Fachärzten im Umkreis der Klinik (Allgemeinmedizin: Obrocki/Hürth, Decker und
Schmidt/Köln; Augenheilkunde: Tauchert/Hürth; Dermatologie: Neuss/Hürth; HNO: Behrens/Hürth;
Innere Medizin: Ollig/Köln, Ostermeyer/Brühl; Neurologie: Blöink/Hürth; Orthopädie:
Buschtöns/Hürth, Merkle/Brühl; Urologie: Eisenbach/Hürth, Tusche/Hürth; Zahnheilkunde:
Pohl/Hürth; Chirurgie: Gutbrod/Köln; Radiologie: Beyers/Frechen).
Die Physiotherapeutische Abteilung umfasst vier Behandlungskabinen, die mit Massagebänken,
Ultraschallgerät und Wärmelampen ausgestattet sind. Die Kabinen grenzen direkt an den Gymnastikund Fitnessraum, so dass alle krankengymnastischen Übungen vor Ort durchgeführt werden können.
Die Sport- und Bewegungstherapie findet zum einen in der Sporthalle und zum anderen in den
Räumlichkeiten im salus Haus statt. Im Fitness- und Gymnastikraum stehen hochmoderne Geräte für
die Durchführung der therapeutischen Einheiten zur Verfügung:
Laufbänder, Ergometer, Crosstrainer, unterschiedliche Kraftgeräte (Hantelbänke, Bauch- und
Rückentrainer, Einzelhanteln), Balance-Boards, Vibrationsstäbe, Sitzbälle sowie unterschiedliches
Gymnastikzubehör.
Die Kardio-Geräte sind mit einem Computer-Chipsystem ausgestattet, so dass das Training der
Patienten auch per Computer überwacht werden kann. Patienten haben dadurch eine zusätzliche
Kontrolle über ihre körperliche Entwicklung und Leistungsgrenzen und ein „Übertrainieren“ kann
unterbunden werden.
14
4
Indikation
Indikationskritierien der salus klinik Hürth
Aufgenommen werden volljährige substanzabhängige Frauen und Männer (F10.2x, F12.2x, F13.2x,
F14.2x, F15.2x, F19.2x, F55.x nach ICD-10) mit vorliegendem Bewilligungsbescheid der
Rentenversicherungsträger bzw. mit Kostenzusage oder als Privatzahler. Patientinnen und Patienten
mit einer Abhängigkeit von anderen psychotropen Substanzen als Alkohol können in allen
Bezugsgruppen aufgenommen werden, sofern sie keine Therapieauflage nach BtmG § 35 oder § 64
StGB haben. Primär Cannabis-, Amphetamin- und „Partydrogen“-abhängige (v. a. „Ecstasy“, GHB,
GBL) Personen, in Einzelfällen nach Vorgespräch in der salus klinik auch kokainabhängige Personen,
die aus einem sozial intaktem Umfeld kommen, für die aus Sicht der Berater und Leistungsträger ein
Aufenthalt in einer Drogeneinrichtung mit einer typischen „Szene“-Klientel kontraindiziert ist,
erhalten einen an das Konsumverhalten angepassten Behandlungsplan (u. a. Indikativgruppe
„polyvalente Abhängigkeit“). Hierdurch berücksichtigen wir die stetig steigende Zahl der vorwiegend
jungen Cannabis-, Amphetamin- und „Partydrogen“-Konsumenten.
In Zweifelsfällen kann in Absprache mit den Leistungsträgern ein Vorgespräch in der salus klinik
Hürth angeboten werden, um die Frage der Behandlungsmöglichkeit im Rahmen unseres TherapieSettings zu klären.
Erwünscht ist ein vorangegangener, möglichst stabiler Kontakt zu einer Beratungsstelle, in dessen
Verlauf ein Sozialbericht erstellt wurde. Außerdem hilft ein vorheriger Besuch einer Selbsthilfegruppe
bei der Motivierung und späteren Nachsorgevorbereitung.
Falls es aus medizinischer Sicht erforderlich ist, sollte eine qualifizierte stationäre Entzugsbehandlung
zeitnah vor Antritt der Behandlung durchgeführt worden sein.
Damit die Patienten gut auf die Entwöhnungsbehandlung vorbereitet sind und eine optimale
Zuordnung rasch erfolgen kann, ist die Indikationsstellung für eine der im Folgenden genannten
Spezialgruppen bereits vor der Einweisung in die Klinik sehr hilfreich.
Für Personen, die von Alkohol, psychotropen Medikamenten oder bestimmten Drogen abhängig sind
(F10.2x, F12.2x, F13.2x, F14.2x, F15.2x, F19.2x, F55.x nach ICD-10) verfügt die salus klinik Hürth über
spezifische Behandlungsangebote in kompletten Teams, in einzelnen Bezugsgruppen und in der
Einzeltherapie. Dazu gehören Angebote für Patienten




mit ausschließlicher Alkoholabhängigkeit (F10.2)
mit ausschließlicher Cannabisabhängigkeit (F12.2)
mit ausschließlicher Amphetaminabhängigkeit (F15.2)
mit ausschließlicher Medikamentenabhängigkeit (F13.2 / F55.x)

die polyvalent abhängig sind (bei allen Diagnosen excl. Heroin und ohne gerichtliche Auflagen):
o Abhängige von Cannabis, Amphetamine, Partydrogen oder Kokain
o mit Alkoholabhängigkeit oder schädlichem Gebrauch von Alkohol
(F12.2 / F14.2 / F15.2 und F10.2 oder F10.1)
o ohne Alkoholabhängigkeit oder schädlichem Gebrauch von Alkohol
(F12.2 / F14.2 / F15.2)
15
o









Abhängige von Medikamenten (F13.2 / F55.x)
o mit Alkoholabhängigkeit oder schädlichem Gebrauch von Alkohol
(F13.2 / F55.x und F10.2 oder F10.2)
o ohne Alkoholabhängigkeit oder schädlichem Gebrauch von Alkohol
(F13.2 / F55.x)
neben einer stoffgebundenen Abhängigkeit auch stoffungebunden abhängig sind (pathologisches
Glücksspiel)
nach einer erfolgreichen Entwöhnungsbehandlung und Abstinenzphase wieder rückfällig wurden
bzw. die ihre gegenwärtige Abstinenz gefährdet sehen („intensivierte Rückfallprophylaxe“)
aus der näheren Umgebung kommen und bereit sind, an ISAR teilzunehmen, einer Integration
von stationärer und ambulanter Therapie
langzeitarbeitslos und/oder sozial mehrfach belastet sind
ihren Partner in die Entwöhnungsbehandlung einbeziehen möchten
eine frauenspezifische Entwöhnungsbehandlung wünschen oder benötigen
eine männerspezifische Behandlung wünschen oder benötigen
bedingt durch ihre homo- oder bisexualität eine spezifische Entwöhnungsbehandlung benötigen
nur eine Kurzzeitbehandlung (8 Wochen) benötigen
Für alle Patienten gibt es sowohl in der Einzel- als auch in der Regel in der Gruppentherapie
zusätzliche Behandlungsangebote bei folgenden komorbiden Störungen:







pathologisches Glückspiel (F63.0 nach ICD-10)
depressive Störungen (F3x.x nach ICD-10)
Persönlichkeitsstörungen (F60.x nach ICD-10)
nicht-organische Schlafstörungen (F51.x)
Angsterkrankungen (F40.x; F41.x)
schädlicher Gebrauch von Tabak und Tabakabhängigkeit (F17.1; F17.2x nach IDC-10)
paranoide Schizophrenien (F20.x), wenn entaktualisiert oder neuroleptisch gut
eingestellt, sodass eine Reha-Fähigkeit gegeben ist
Komorbide Patienten mit paranoider Schizophrenie (F20.x) oder bipolarer affektiver Störung (F34.x)
werden engmaschig im Rahmen einer psychiatrischen Sprechstunde von einem Facharzt betreut.
Eine moderne Psychopharmakotherapie mit geringem Nebenwirkungsprofil und sowie eine
erkrankungsspezifische Psychoedukation können so gewährleistet werden. Voraussetzung für die
Aufnahme dieser komorbider Patienten ist eine Symptomfreiheit. Es können nach Anfrage in
Einzelfällen auch Patienten mit anderen psychiatrischen Erkrankungen behandelt werden. Hierbei
wird von uns auf Grundlage der vorliegenden Unterlagen und ggf. nach einem Vorgespräch mit dem
Rehabilitand die Rehabilitationsfähigkeit geprüft.
Die Behandlung von Schmerzstörungen, chronischen Schmerzsyndromen (F45.8; G43.x; G44.x), EssStörungen (F50.x), Somatisierungsstörungen und Reaktionen auf schwere Belastungen (F40.x)
werden in der Konzeption der Psychosomatischen Abteilung ausführlich beschrieben und dort zu
finden sein.
16
Patienten mit Komorbidität pathologisches Glücksspiel (F63.0 nach ICD-10) und Abhängigkeit von
psychoaktiven Substanzen werden in der Suchtabteilung behandelt. Die Glücksspieler werden dort
einer eigenen Bezugsgruppe zugeordnet und nehmen über die gesamte Behandlungsdauer an der
Indikativgruppe „pathologisches Glücksspiel“ teil.
Falls jemand ausschließlich pathologisch spielt, wird er in der Psychosomatischen Abteilung
behandelt. Die Module der Behandlung sind in dem Konzept der medizinischen Rehabilitation für die
Psychosomatik (2010) dargestellt.
Indikationskriterien für eine stationäre Behandlung
Zu Beginn und auch während der Behandlung wird wiederholt geprüft, inwiefern eine stationäre
medizinische Rehabilitation wirklich indiziert und der Patient ausreichend motiviert ist. Denn die
üblichen Diagnosegruppen geben keine oder nur grobe Orientierungshilfen für die Entscheidung zur
stationären oder ambulanten Behandlungsform, da sie keine therapiebezogenen Entscheidungen zur
Verfügung stellen (Schneider, 2000). Das gilt übrigens nicht nur für die Störungen durch psychotrope
Substanzen, sondern für die meisten psychiatrischen Diagnosen der ICD-10. Selbst wenn man sich
unter allen Experten auf die verbindliche Definition von Fallgruppen einigen könnte, die den
biopsychosozialen
Schweregrad
der
Störung
(Wetterling
&
Veltrup,
1997)
bzw.
den
Behandlungsbedarf kategorial festlegen, würden die Kontextfaktoren – sicherheitsrelevanter
Arbeitsplatz, familiäre Situation, Wohnumgebung etc. – sowie das Wunsch- und Wahlrecht des
Versicherten stets einen weiteren erheblichen Einflussfaktor für die Wahl der Behandlungsmodalität
darstellen. Die in der Anlage 3 zur „Vereinbarung Abhängigkeitserkrankungen“ über die
Zusammenarbeit von Krankenkassen und Rentenversicherungsträgern vom 04.05.2001 genannten
Kriterien berücksichtigen dies. Einer zumindest anfänglich stationären Rehabilitation wird Vorrang
eingeräumt, wenn eines oder mehrere der folgenden Merkmale vorliegen:

Die Befreiung aus einer aktuell belastenden, schwer erträglichen oder gar pathogenen
Lebenssituation ist nötig oder zumindest günstig (z. B. Gewalt, destruktive Beziehungen; keine
Wohnung, instabile Wohnsituation).

Der Genesungsprozess wird durch starke Befindlichkeitsschwankungen und häufige Krisen so
erschwert, dass eine ambulante Therapie nicht regelmäßig stattfinden kann bzw. kein Einsatz am
Arbeitsplatz möglich ist.

Die subjektive Sicherheit des Patienten bezüglich der Kontrolle des Problemverhaltens ist gering:
Abbau der Demoralisierung, Stärkung der Hoffnung auf Erfolg und Motivierung sind vitale
Themen.

Die Bildung formeller und informeller Gruppen ist ambulant nicht möglich, aber die Aktivierung
derartiger Wirkfaktoren ist von entscheidender Bedeutung.
17

Mehrere spezifische Therapieangebote, die komplexe Probleme auf mehreren Ebenen
gleichzeitig bearbeiten (z.B. bei Multimorbidität), sind erforderlich.

Es ist viel Stützung und Sicherheit beim Experimentieren mit neuen, subjektiv ungewohnten
Verhaltensweisen sowie bei dem systematischen Aufbau der Abstinenzhaltung empfehlenswert.

Das soziale Umfeld hat so wenig unterstützende Funktion für Persönlichkeits- und
Verhaltensänderungen, dass dies durch ambulante Hilfen nicht kompensiert werden kann.

Es gibt Schwierigkeiten in der Beurteilung und Diagnose, denen nur durch die Möglichkeit zur
zeitlich umfassenden und detaillierten Beobachtung und durch häufigen Kontakt begegnet
werden kann.

Die Fähigkeiten zur Bewältigung des täglichen Lebens sind so beeinträchtigt, dass die
Belastungen aus Beruf und Familie nicht kompensiert werden können.
Welche Fähigkeiten zur Alltagsbewältigung aber sind es, die so beeinträchtigt sein können, dass eine
ambulante Behandlung keine ausreichend gute Erfolgsprognose hat? Wir schlagen eine Orientierung
an den im Folgenden genannten Problembereichen vor.
Kontrollverlustängste: Hierbei handelt es sich nicht nur um die Angst des Substanzabhängigen vor
dem Kontrollverlust, sondern in allgemein psychologischem Sinn um die Folge eines kompletten
Vertrauensverlustes in die eigenen Fähigkeiten und in die soziale Umwelt. Kontrollverlustängste
treten besonders oft bei Personen mit Abhängigkeitserkrankungen, verschiedenen Angststörungen,
depressiven Störungen und Reaktionen, Persönlichkeitsstörungen oder Zwangserkrankungen auf.
Patienten mit diesem Problem brauchen einerseits einen beschützenden Rahmen, um erste
Veränderungsschritte zu wagen, andererseits müssen sie aktiviert werden, um trotz der massiven
Verunsicherung die gewünschten Kompetenzen aufzubauen, die zur Wiederherstellung der
Erwerbsfähigkeit nötig sind.
Ausgeprägte Verhaltensdefizite: Verhaltensdefizite in sozialen Kompetenzen oder in der Verrichtung
alltäglicher Aufgaben führen dazu, dass die Patienten in ihrer sozialen Funktionstüchtigkeit derart
beeinträchtigt sind, dass ohne ein intensives, häufig stattfindendes Training zum (Wieder-) Erlangen
der fehlenden Kompetenzen die Erwerbsfähigkeit bedroht ist. Solche depressiven, sozialphobischen
oder selbstunsicheren Patienten werden ohne die im klinischen Rahmen mögliche Kontrolle zwischen
den therapeutischen Sitzungen immer wieder in ihr Defiziterleben zurückfallen. Häufig erleben sich
solche Patienten mit zunehmender Anzahl ambulanter Sitzungen immer depressiver, da die
Erkenntnis über die eigenen "Unfähigkeiten" und die Schuldgefühle wegen der Versäumnisse oder
Taten in der Trinkzeit zunehmen, während die notwendigen Therapie- und Trainingseinheiten nicht
entsprechend angepasst werden.
18
Ausgeprägte Verhaltensexzesse: In Menge, Frequenz und Konsumdauer massive Konsumepisoden,
ruinöse Spielsepisoden bei pathologischen Glücksspielern oder dissoziative Zustände bei Vorliegen
einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörungen auf Borderline-Noveau sind Beispiele dafür. Im
ausschließlich ambulant arbeitenden Bereich fehlen hier geeignete Kontrollmöglichkeiten, um für die
Betroffenen den Aufbau von Selbstkontrolle zu sichern.
Dramatisch erlebte physische Bedrohung: Gewalterfahrungen in der Familie oder im Drogenmilieu
verlangen eine Herausnahme aus der sozialen Umgebung. Ebenso können schwere körperliche
Erkrankungen, wie ein ambulant ständig entgleisender Diabetes mellitus, eine Leberzirrhose, eine
rezidivierende Pankreatitis oder eine sich verschlechternde Alkohol-Polyneuropathie, infolge der
wiederkehrenden Krankenhauseinweisungen eine ambulante Entwöhnungsbehandlung extrem
erschweren. Auch Patienten mit komorbiden psychiatrischen Störungen, die beispielsweise wegen
Panikattacken,
depressiver
Dekompensation
oder
akuten
Belastungssituationen
gehäuft
psychiatrische Ambulanzen aufsuchen, können nur im interdisziplinär arbeitenden stationären Setting
Erfahrungen machen, die im Gegensatz zur ständigen Konfrontation mit der marginalen
Akutversorgung entdramatisierend wirken.
Komorbidität mit körperlichen Erkrankungen: In Fällen, in denen Patienten mit Abhängigkeits- und /
oder psychiatrischen Erkrankungen zusätzlich körperliche Erkrankungen aufweisen, kann es
erforderlich sein, dass während der Psychotherapie auch eine gut koordinierte medizinische
Unterstützung permanent greifbar sein muss. Dies betrifft insbesondere Patienten, bei denen
während der Behandlung aus medizinischen Gründen keine physischen Überlastungsreaktionen
auftreten dürfen (z. B. bei Alholabhängigen mit Leberzirrhose, bei „Herzneurotikern“ mit Zustand
nach Myokardinfarkt oder bei Adipositas per magna mit Diabetes mellitus und Affektionen der
Gelenke und des Gelenksystems), eine körperliche Aktivierung jedoch trotzdem unabdingbar
erscheint.
Schwer durchzuhaltende Bewältigungsstrategien: Auch hier ist eine engmaschige medizinischpsychotherapeutische Zusammenarbeit notwendig, denn unter diesem Problembereich sind alle
Behandlungsmaßnahmen zusammengefasst, die zu intensiven Entzugsreaktionen bei den Betroffenen
führen. Hierzu gehört das Absetzen von jahrelang eingenommenen Psychopharmaka oder Analgetika.
Das Absetzen einiger dieser Medikamente kann zu massiven körperlichen Entzugssymptomen oder
schwer beherrschbaren Absetzphänomenen führen, die in der Regel Patienten dazu bringen, noncompliant zu werden, den Arzt zu wechseln und zum Zwecke der Schmerzvermeidung erneut zum
Arzneimittel
zu
greifen.
Im
stationären
Bereich
besteht
die
Möglichkeit,
nachhaltige
Motivierungsarbeit zu leisten und auf breiter Ebene Unterstützung dabei anzubieten, solchen
verständlichen Rückfallversuchungen zu widerstehen.
Chronische Überforderung: Wir sehen häufig Frauen, die mit dem Anforderungscharakter von Beruf,
Haushaltsführung und Kindererziehung nicht angemessen umgehen können. Infolge der ständigen
subjektiven oder objektiven Überforderungen kommt es zu Medikamenten- (insbes. Benzodiazepine
19
und Analgetika) und Alkoholkonsum, zu Angstzuständen oder zu massiven vegetativen Symptomen
mit depressiven Störungen, die die Leistungsfähigkeit stark beeinträchtigen. Um diesen Teufelskreis
zu unterbrechen und die Betroffenen wieder zu stabilisieren, ist es nötig, einen Abstand zum
heimischen Alltag zu schaffen. Erst dadurch wird es möglich, mit therapeutischer Unterstützung neue
Lebenspläne und Stressbewältigungsstrategien zu entwerfen und einzuüben.
Eindimensionale Vorstellungen von Krankheit und Gesundung: Sehr viele Suchtpatienten kommen
mit großer Skepsis zur Behandlung, da sie Zweifel daran haben, ob ihnen überhaupt geholfen werden
kann und wenn doch, ob die angebotene Hilfe für sie geeignet ist. Der Hintergrund dafür ist oft ein
ungeeignetes Störungsverständnis. Viele Patienten führen ihr Leid alleine auf einen möglichen
körperlichen Defekt zurück („die Gene“), andere ausschließlich auf soziale oder sonstige
Umwelteinflüsse. Solcherlei eingeschränkte und eindimensionale Krankheitsvorstellungen führen
natürlich zu eindimensionalen Heilungserwartungen, wie z. B.: "Ich muss nur noch den richtigen Arzt
finden." Für ambulante Behandler kann es äußerst schwierig sein, ausschließlich kraft ihrer
professionellen Autorität die Patienten zu differenzierter
Selbstreflexion anzuregen. Im
Zusammenleben in einer spezialisierten stationären Einrichtung findet hingegen ein reger informeller
Austausch der Patienten untereinander statt. Entsprechend können die Betroffenen, angeregt durch
psychoedukative Vorträge und Gruppentherapien, lernen, Zusammenhänge zwischen ihrem
Substanzkonsum, ihren sozialen Problemen oder ihren somatischen Beschwerden zu sehen. Dadurch
werden die Patienten zu Experten im Umgang mit ihrer Erkrankung. Ein solches „biopsychosoziales
Bewusstsein" ist die Grundlage dafür, neue, selbständige Stressbewältigungsstrategien zu entwickeln.
Das Entwickeln eines Bewusstseins für verschiedene Bedingungsfaktoren der eigenen Krankheit ist
von daher nicht Voraussetzung, sondern Ziel einer stationären Verhaltenstherapie. Sind Patienten
dann infolge der ausdifferenzierten Sichtweise der eigenen Problematik gut motiviert zur aktiven
Beteiligung
am
Veränderungsprozess,
erscheint
auch
eine
weiterführende
ambulante
Entwöhnungsbehandlung ausreichend.
Chronisches Krankheitsverhalten: Unter chronischem Krankheitsverhalten versteht man die Folgen
aus dem Gefühl, kränker zu sein als man tatsächlich ist. Viele häufig rückfällig gewesene Patienten
frequentieren Ärzte häufiger, nehmen mehr Medikamente ein, schonen sich körperlich, um einen
vermeintlichen Defekt nicht noch zu verschlimmern, und ziehen sich sozial zurück. In Bezug auf das
chronische Krankheitsverhalten wird in einer stationären Einrichtung sehr viel geboten. In
verschiedenen aktivierenden und psychotherapeutischen Gruppen werden die Patienten zu
aktiverem Verhalten angeregt und insbesondere in Situationen gebracht, die gezielt und anfangs
kontrolliert Verlangen auslösen, um zu lernen, solche Versuchungen angemessen zu bewältigen.
Ausgeprägte Kommunikationsstörungen: Dieser Problembereich findet sich insbesondere bei
Patienten mit Persönlichkeitsstörungen, die permanent korrektive Rückmeldungen über die
unterschiedlichsten Aspekte ihres Sozialverhaltens benötigen. Für diese Patienten reicht auch ein
ganztägig ambulantes Setting (teilstationäre tagesklinische Behandlung) meistens nicht aus, da sich
diese Störungen gerade in der so genannten Freizeit manifestieren. Im vollstationären Setting werden
20
solche Störungen oft überhaupt erst sichtbar. Auch sind verschiedene therapeutische Modalitäten,
wie Bewegungs- und Kreativtherapie und sonstige nicht-sprachliche Therapieformen, eng miteinander
verknüpft, so dass verschiedene Ausdrucks- und Erfahrungsmöglichkeiten für solche Störungen
existieren. Hierdurch können die Betroffenen ihre Kommunikationsprobleme unmittelbar erfahren
und bearbeiten.
Je mehr Problembereiche vorliegen, desto dringlicher wird die Indikation zu einer stationären
Entwöhnungsbehandlung, die mit einer hohen Dichte von verschiedenen Maßnahmen und mit
stabilisierenden Rahmenbedingungen die notwendige Unterstützung gewährleistet.
Kontraindikationen für eine Behandlung in der salus klinik Hürth
Kontraindikationen für eine Aufnahme stellen akute Suizidalität, Fremdaggressivität, wiederholte
autoaggressive Handlungen, fehlende Steuerungsfähigkeit, Impulskontrollverlust, akute psychotische
Episoden sowie durch Ansteckung gefährdende körperliche Krankheiten dar. Permanent bettlägerige
Patienten können nicht aufgenommen werden. Zudem werden Patienten mit einer gerichtlichen
Auflage zur Durchführung einer Entwöhnungsbehandlung (BtmG § 35, StGB § 64) nicht
aufgenommen.
21
5
Rehabilitationsziele
In einer Veröffentlichung der WHO – Europa (1987) wurde Gesundheit definiert als die Fähigkeit, ein
sozial und wirtschaftlich aktives Leben zu führen. Dies betrachten wir als realistisches Ziel für eine
Medizinische Rehabilitation. Zusätzlich gilt es in den industrialisierten westlichen Nationen als Ziel
jeder Suchtbehandlung, den Betroffenen zu einem Leben zu verhelfen, das in möglichst geringem
Ausmaß von Störungen durch psychotrope Substanzen beeinträchtigt wird. Eine langwierige oder gar
lebenslange medikamentöse Behandlung und eine dauerhafte soziale Aufsicht sind weitgehend zu
vermeiden. Die nachhaltige und selbst bestimmte Abstinenz-Fähigkeit gilt als erstrebenswertestes
Ziel der Suchtbehandlung. Diese Zieldefinition entspringt keiner Ideologie, wie Verfechter des
„Kontrollierten Trinkens“ gelegentlich behaupten. Die Selbstbestimmung ist zwar ein ideologischer
Wert unserer Demokratie, aber aus der empirischen Forschung stammt die Begründung des Zieles
„Abstinenz“. Denn wenn dieses Ziel verfehlt wird, ergeben sich langfristig instabile Verläufe (Jung,
Koester, Schneider, Bühringer & Mai, 1987; Schäfer, 1996; Vaillant, 2003). Das Erreichen der
Abstinenz korreliert am höchsten mit einer stabilen Arbeitssituation (Jung et al., 1987) und mit
Zufriedenheit und Erfolg in allen Lebensbereichen (Schneider & Kluger, 1999). Deshalb vermitteln wir
unseren Patienten, dass die Abstinenz für Abhängige das erstrebenswerte und langfristig
lebensnotwendige Ziel ist.
Nachdem die Abhängigkeitserkrankung in Deutschland im Jahre 1968 als eigenständige Krankheit
anerkannt wurde, haben sich die Sozialversicherungsträger darauf geeinigt, dass der körperliche
Entzug von psychotropen Substanzen in den Bereich der Versorgung in Krankenhäusern gehört und
die eigentliche Behandlung der Abhängigkeit, die so genannte Entwöhnung, in den Bereich der
Rehabilitation, für den überwiegend die Rentenversicherungsträger zuständig sind. Das war ein
Glücksfall für die Versorgung Substanzabhängiger, weil die Zielsetzung der Rehabilitation sehr viel
besser zu ihrem Anforderungsprofil passt als das von der Behandlung akuter Krankheiten dominierte
Verständnis der Krankenversicherung: Neben die Abstinenz setzt die Rehabilitation die Behebung
körperlicher und seelischer Störungen sowie die Eingliederung in Arbeit, Beruf und Gesellschaft
(siehe Vereinbarung „Abhängigkeitserkrankungen“, VDR 2001). Die Bedeutung gesicherter
Lebensumstände in Bezug auf Arbeit, Familie und das sonstige soziale Umfeld für die nachhaltige
Genesung ist aus der empirischen Suchtforschung seit langem hinlänglich bekannt (Küfner &
Feuerlein, 1989). Deshalb gibt es auch kaum Differenzen in der Priorität der Behandlungsziele
zwischen Rehabilitations- und Experten für Abhängigkeitserkrankungen. Im Rahmen der
Rehabilitation haben sich die Einrichtungen auf die besonderen Anforderungen eingestellt, die
chronische Erkrankungen an die Behandlung stellen. Um welche besonderen Bedingungen es sich
handelt, wird aus der folgenden Übersichtstafel (nach Kanfer, 1989) ersichtlich:
22
Verlaufsform
Dimensionen
Akut
Chronisch
Beginn
Plötzlich, zum Handeln oder
Hilfesuchen drängend
Schleichend, lange
unbemerkt oder irrelevant
Dauer
kurz, begrenzt
lang, unbegrenzt
Behandlungsziel
Wiederherstellung der
Gesundheit, Heilung
Linderung,
Bewältigungskompetenz
Förderung der
„Restfähigkeiten“
Behandlungsergebnis
sofort, klar
verzögert, unklar
Verantwortung für das
Ergebnis
Gesundheitssystem
Person gemeinsam mit
System
Behandlungsmodell
a) Patient ist passiv
Patient ist aktiv; Therapeut,
Patient, und System
kooperieren
b) Arzt verwaltet
Krankheitsmodell des
Patienten
einzelne Ursachen,
viele Ursachen,
spezifisches Syndrom
Symptome wechseln
Einfluss auf das Selbstbild
des Patienten
Minimal
weit reichend
Einfluss auf die sozialen
Rollen des Patienten
vorübergehend oder gar
nicht
Rollenbeeinträchtigung in
vielen
Lebensbereichen
Die Zielsetzung in der Behandlung einer chronischen psychischen Erkrankung, wozu die Abhängigkeit
von psychotropen Substanzen zählt, ist also eine gänzlich andere als bei akuten Krankheiten. Dieses
Verständnis kann übrigens auch bei unseren Rehabilitanden nicht vorausgesetzt werden, sondern
muss meistens erst im Rehabilitationsprozess erzeugt werden.
23
Wenn man nun konkrete Unterziele betrachtet, die im Einzelfall zur langfristigen Teilhabe am
gesellschaftlichen Leben beitragen und vor Rezidiven bewahren sollen, dann entdeckt man, dass es
kaum isolierte Ziele gibt. Beispielsweise hängt das Ziel einer verbesserten psychischen Belastbarkeit
oft mit körperlicher Fitness, diese mit der medizinischen Einstellung des Blutdrucks und dieser
wiederum mit der Konfliktlösungsfähigkeit im Arbeitsleben usw. zusammen. Eine solche Vernetzung
frühzeitig zu erahnen und zu erkennen sowie aus dieser Erkenntnis eine Reihenfolge von
Interventionen abzuleiten, die für das betreffende Individuum akzeptabel und motivierend ist, darin
besteht die Kunst der Behandlungsplanung. Derartige Zusammenhänge können nur idiographisch
dargestellt werden.
Wegen der besseren Übersichtlichkeit wählen wir hier die für den klinischen Alltag künstliche
Unterteilung in Zieldimensionen und Zielbereiche, die aber den Vorteil bieten, dass ihnen später
therapeutische Maßnahmen zugeordnet werden können. Diese Systematik wurde von der Abteilung
für Medizinische Psychologie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (Prof. U. Koch) für das
Peer-Review-Verfahren im Qualitätssicherungsprogramm der Gesetzlichen Rentenversicherung
entwickelt. Wir haben den Katalog stärker auf Substanzabhängigkeiten abgestimmt und umgestellt.
Im Gegensatz zu Koch et al. sehen wir nämlich die Psychoedukation nicht als Zielebene, sondern als
Methode. Wo Ziele mit der Psychoedukation angestrebt werden, die andernorts nicht genannt sind,
haben wir sie den drei eigentlichen Zieldimensionen hinzugefügt, der psychosozialen (A), der
somatischen (B) und der von Aktivitäten und Partizipation (C).
Dimension A: Zielsetzungen auf psychosozialer Ebene
1.
1.1
1.2
1.3
1.4
1.5
1.6
Motivierung zur aktiven Teilnahme und Änderung
Entwicklung eines tragfähigen therapeutischen Arbeitsbündnisses
Wissen um Rolle und Aufgaben des Patienten in der stationären Rehabilitation
Aufbau einer stabilen Psychotherapiemotivation
Klärung von Werten und Zielen
Vermittlung eines biopsychosozialen Krankheitsverständnisses
Vermittlung eines Erklärungsmodells für die Entstehung und Aufrechterhaltung der
Symptomatik
2.
2.1
2.2
2.3
2.4
Konsum von psychotropen Substanzen
Klärung problematischer Konsummuster
Vermittlung von Informationen zu psychotropen Substanzen
Kenntnisse von Alternativen zum bisherigen Konsum
Zielvereinbarung klären (Reduktion des Konsums; bedingte Abstinenz; nachhaltige
Abstinenz)
3.
3.1
3.2
3.3
3.4
3.5
3.6
Kompetenzen zur Stabilisierung der Einstellungsänderung
Erwerb eines konstruktiven Rückfallverständnisses
Kenntnisse über einen ausgewogenen, bedürfnisorientierten Lebensstil
Differentieller Abbau von Vermeidungsverhalten
Angebote konsequent und sozial verträglich zurückweisen können
Verbesserung der Selbstkontrolle in Risikosituationen
Tagesstrukturierung durch gute Routinen
24
3.7
3.8
3.9
3.10
3.11
3.12
3.13
Antriebssteigerung
Abbau von Rückzugsverhalten; Beteiligung am sozialen Leben
Langeweile aushalten bzw. in der Erlebnisqualität verändern
Konstruktiver Umgang mit Ärger / Ungeduld
Förderung der Genussfähigkeit
Aktivierung von Ressourcen
Vorbereitung / Planung von Nachsorgemaßnahmen
4.
Psychische Stabilisierung
4.1
4.2
4.3
4.4
4.5
Ruhe und Erholung
Verbesserung der psychischen Belastbarkeit
Förderung der Entspannungsfähigkeit
Erwerb von Kenntnissen über Stressentstehung und –bewältigung
Erwerb von Stressbewältigungsfähigkeiten
5.
Veränderung / Bearbeitung emotionaler Aspekte
5.1
5.2
5.3
5.4
5.5
5.6
5.7
5.8
5.9
5.10
Emotionale Entlastung und Stabilisierung
Abbau von Schuldgefühlen / Scham
Verbesserung des Umgangs mit Ärger, Wut, Aggression
Unterstützung eines adäquaten Trauerprozesses
Stimmungsaufhellung
Abbau von Versagensängsten
Verarbeitung erlebter Kränkungen
Verbesserung der Impulskontrolle
Verbesserung der Affekttoleranz
Verbesserung in der Verarbeitung und im Ausdrücken von Affekten
6.
6.1
6.2
6.3
6.4
6.5
6.6
Bearbeitung kognitiver Aspekte
Verringerung von Bagatellisierung, Leugnung und Verantwortungsdelegation
Veränderung irrationaler Ideen und „Denkfehler“
Verbesserung der Problemlösefähigkeiten
Verbesserung der Konzentrationsfähigkeit
Kognitive Umstrukturierung
Bearbeitung der Ambivalenz in Bezug auf die Abstinenzentscheidung
7.
Soziale Kompetenz
7.1
7.2
7.3
Sozial erfolgreiches Kommunikationsverhalten
Selbstsichere Verhaltensweisen zur Wahrnehmung persönlicher Rechte
Erkennen und Bearbeiten dysfunktionaler Beziehungsmuster
8.
Intrapsychische Aspekte
8.1
8.2
Verbesserung Konfliktwahrnehmung, Konflikttolerenz, Konfliktbewältigungskompetenz
Bearbeitung grundlegender intrapsychischer Konflikte (z. B. Autonomie – Abhängigkeit) von Schuld, Scham
25
9.
9.1
9.2
9.3
Selbstbild / Selbstverantwortung
Entwicklung eines realistischen Selbstbildes (Selbstwirksamkeit,
Selbstwertgefühl)
Wahrnehmung eigener Ziele, Wünsche und Bedürfnisse
Steigerung der Selbstverantwortung / Eigenmotivation
10.
10.1
10.2
10.3
10.4
Akzeptanz und Realität
Erarbeiten einer Krankheitseinsicht
Wahrnehmung und Akzeptanz von Belastungsgrenzen
Körperakzeptanz
Erhöhung der Frustrationstoleranz
11.
11.1
11.2
11.3
11.4
Bearbeiten biographisch relevanter Ereignisse
Bewältigung einer vorangegangenen Trennung oder eines Verlustes
Bearbeitung traumatischer Lebensereignisse
Bearbeitung der biographischen Hintergründe der Symptomatik
Bearbeitung der Beziehungen zur Herkunftsfamilie
12.
12.1
12.2
Sexualität
Kenntnis der Zusammenhänge zwischen dem Konsum psychotroper Substanzen und Libido
bzw. Sexualität
Besserung spezifischer Störungen
13.
13.1
13.2
13.3
13.4
13.5
13.6
13.7
13.8
13.9
13.10
Änderung sonstiger Störungen
Reduktion der Angstsymptomatik
Verbesserung der Angstbewältigungskompetenzen
Abbau von Vermeidungsverhalten
Reduktion der depressiven Symptomatik
Verbesserung der Depressionsbewältigungskompetenzen
Aktivitätssteigerung
Verbesserung der Tagesstrukturierung
Abbau des Rückzugsverhaltens
Verbesserung der Schmerzbewältigungskompetenzen
Normalisierung des Essverhaltens
Selbstvertrauen,
Dimension B: Zielsetzungen auf somatischer Ebene
1.
1.1
1.2
1.3
Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit
Besserung der körperlichen Fitness (Kondition, Beweglichkeit, Kraft und Koordination)
Kräftigung der Rückenmuskulatur
Verbesserung der Körperwahrnehmung
2.
2.1
2.2
Reduzierung von Risikofaktoren / -verhalten
Gewichtsreduktion
Gewichtszunahme
26
2.3
2.4
2.5
2.6
2.7
2.8
Tabakabstinenz / -reduktion
Blutdruckeinstellung
Diabeteseinstellung
Senkung der Blutfettwerte
Verbesserung der Leberwerte
Verbesserung eventueller Krebsfrühstadien
3.
3.1
3.2
3.3
3.4
3.5
3.6
3.7
3.8
Linderung spezifischer Störungen
Lockerung der muskulären Anspannung
Verbesserung der kardiopulmonalen Belastbarkeit
Linderung von Beschwerden des Gastrointestinaltrakts
Linderung von Schmerzen im Wirbelsäulenbereich
Linderung von Gelenkbeschwerden
Linderung von Kopfschmerzen
Reduktion von Schlafstörungen
Stuhlgangregulierung von Abführmittel
4.
4.1
4.2
4.3
Optimierung der Medikation
Reduktion / Absetzen von Psychopharmaka
Ansetzen einer adäquaten Medikation
Verbesserung der Compliance bzgl. der Medikation
5.
Diagnostische Abklärung des somatischen Zustandsbildes
Dimension C: Zielsetzungen auf der Ebene der Aktivitäten und Partizipation
1.
1.1
1.2
1.3
1.4
1.5
1.6
1.7
Wiederherstellung / Erhalt der Arbeitsfähigkeit
Sicherung des bestehenden Arbeitsplatzes
Klären belastender Faktoren am Arbeitsplatz
Verbesserung des beruflichen Leistungsvermögens
Klärung der quantitativen und qualitativen Leistungsfähigkeit
Erhöhung von Vermittlungschancen am Arbeitsmarkt
Erweiterung berufsbezogener Kompetenzen
Wiedereingliederung in das Erwerbsleben
2.
2.1
2.2
Verbesserung von Problemen im interpersonellen Bereich
Stärkung sozialer und interpersoneller Ressourcen für den beruflichen Bereich
Stärkung von interpersonellen Ressourcen in der Partnerschaft bzw. im sozialen Umfeld
3.
3.1
3.2
Erarbeiten von Zukunftsperspektiven
Klärung der weiteren beruflichen Zukunft
Erarbeiten von Zukunftsperspektiven im sozialen Bereich
4.
4.1
4.2
Verbesserung der Freizeitgestaltung
Erarbeiten einer sinnvoll erlebten Zeitstruktur
Erarbeiten und Stärken von Interessen
27
4.3
Erproben subjektiv zufrieden stellender Aktivitäten
5.
5.1
5.2
5.3
5.4
Verbesserung der Alltagsbewältigung
Klärung häuslicher Belastungen
Klärung und Verbesserung der finanziellen Situation / Umgang mit Geld
Verbesserung der Wohnsituation
Stärkung der Eigenständigkeit bzgl. Haushaltsführung
Ein solcher Zielkatalog hilft, einen Überblick über das Tätigkeitsfeld und die Zielrichtung der
klinischen Arbeit in der Suchtrehabilitation zu gewinnen. Insofern ist er für Therapeuten, Ärzte und
Sozialarbeiter ausgesprochen hilfreich. Aber trotz seines Umfangs wird er manchem Einzelfall
wahrscheinlich nicht gerecht werden können, so dass wir es nicht mit einem abgeschlossenen
Katalog zu tun haben.
Die Zielhierarchie macht deutlich, wie wichtig das Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung bzw. stabilisierung im Sinne einer konsistenten Integration des „süchtigen Teiles“ in das Selbstbild ist, wie
das Bedürfnis nach Kontrolle durch die Stärkung der Selbstkontrollkompetenz befriedigt wird und wie
den Bedürfnissen nach Lustgewinn/Unlustvermeidung und nach Bindung Rechnung getragen wird.
Außerdem lassen sich die vier therapeutischen Wirkfaktoren von Grawe (1998, S. 87 ff.)
schwerpunktmäßig einigen Zielbereichen zuordnen, und zwar die Intentionsveränderung der
Zielhierarchie-Spalte 1 und 2, die Intentionsrealisierung der Spalte 3 und die Ressourcenaktivierung
den Spalten 4 und 5. Eine prozessuale Aktivierung ist in allen Bereichen notwendig, so wie bei den
meisten Zielrealisierungen jeweils mehrere Wirkfaktoren aktiviert werden müssen.
28
6
Behandlungsdauer
Ein wissenschaftlicher Nachweis bezüglich einer idealen Behandlungsdauer existiert nicht, so dass bei
diesem umfangreichen Zielkatalog die Gefahr für zu lange Behandlungszeiten besteht. Wir richten
uns deshalb zum einen soweit wie möglich an den Bedürfnissen und Problemstellungen der
Patienten und zum anderen an den beiden Therapiezielen Erwerbsfähigkeit und Abstinenz aus.
Sobald diese ohne eine weitere stationäre medizinische Rehabilitation gewährleistet erscheint, sollte
die Behandlung beendet werden, damit der Patient das Gelernte auch in seiner natürlichen
Lebenswelt umsetzen kann. Die Mindestdauer des stationären Aufenthaltes beträgt nach unseren
Erfahrungen 6 Wochen, die Höchstdauer sechs Monate. Letzteres ist die absolute Ausnahme und
auch 6 Wochen Behandlungen sind eher selten. Die Regel sind eher 12 bis 13 Wochen. Ansonsten
gibt es in der salus klinik Hürth keine zwingenden zeitlichen Vorgaben, wohl aber einen von den
Bewilligungsbescheiden gesetzten Zeitrahmen. Die Therapieschemata für Regelbehandlung, Kurzzeitund Wiederholungsbehandlung sind darauf abgestimmt. Die bewilligte Dauer kann bei einzelnen
Rehabilitanden im Rahmen des globalen Therapiezeitbudgets nach deren individuellem
Behandlungsbedarf unter- oder überschritten werden. Je nach Behandlungsart orientieren wir uns an
folgenden Richtwerten für eine erfolgreiche Therapie:
Regelbehandlung
13 Wochen
Regelbehandlung für Mehrfachabhängige:
bis zu maximal 20 Wochen
Wiederholungsbehandlung:
8 – 10 Wochen
Auffangbehandlung:
6 Wochen
ISAR, stationär:
8 Wochen
Kurzzeitbehandlung:
8 Wochen
Falls möglich wird versucht eine kürzere Verweildauer anzustreben, was am ehesten bei der
Regelbehandlung gelingen kann und bei den übrigen Therapien eher eine sehr seltene Ausnahme
darstellt. Gründe für eine Verkürzung der bewilligten Behandlung können darin liegen, dass die
Therapieziele des Patienten bereits weitgehend erreicht werden konnten oder eine ambulante
Weiterbehandlung ausreichend erscheint. Da es für eine Verlängerung der Behandlung keine
wissenschaftlich begründeten Kriterien gibt, ist in jedem Einzelfall zu entscheiden, ob für eine
Sicherung der Abstinenz und der Erwerbsfähigkeit die Verlängerung notwendig ist oder nicht doch
durch eine ambulante Behandlung ersetzt werden kann. Denn die häufig genannten Kriterien wie
Persönlichkeitsstörungen, hohe Komorbidität etc. sind nach unseren Erfahrungen keine Kriterien, die
automatisch eine längere stationäre Therapie nach sich ziehen sollten. Daher muss im Team vom
Bezugstherapeuten in Absprache mit dem Patienten eine Verlängerung beantragt werden, um
gemeinsam mit allen Therapeuten einen Plan zu erstellen, was der Patient in den verschiedenen
Bereichen (Medizin, Psychotherapie, Ergotherapie) unter welchen Bedingungen noch erreichen kann.
29
7
Medizinische Behandlung
7.1 Medizinische Abteilung
Die medizinische Abteilung einer Rehabilitationseinrichtung für abhängige Menschen hat die Aufgabe
die Mehrdimensionalität der Abhängigkeitserkrankung und deren Wechselwirkungen individuell zu
verstehen und die Behandlungsschwerpunkte dementsprechend zu formulieren. Der physische
Zustand des Patienten muss dabei im Kontext zu seiner psychischen Verfassung und seinem sozialen
Setting aus dem er zu uns kommt betrachtet werden. Für die Umsetzung bedeutet dies die
Notwendigkeit einer optimalen Zusammenarbeit zwischen medizinischer Abteilung und
therapeutischen Bereich.
Den Hauptfokus legt die medizinische Abteilung auf den Gesundheitszustand des Patienten,
insbesondere die substanztypischen Begleit- und Folgeerkrankungen berücksichtigend sowie evtl.
vorhandene Allgemeinerkrankungen. Die hohe Komorbidität mit psychiatrischen Erkrankungen,
insbesondere affektive Störungen, schizophreniforme Erkrankungen und Persönlichkeitsstörungen,
macht zudem eine adäquate und kontinuierlich psychiatrische Mitbehandlung unersetzlich.
Im Hinblick auf die Ermöglichung eines beruflichen Wiedereinstiegs durch die
Rehabilitationsmaßnahme, besteht der Bedarf für eine enge Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern
des Sozialdienstes, Fachtherapeuten – insbesondere der Arbeitstherapeuten - und
Bezugstherapeuten mit den Ärzten als Koordinatoren. Gemeinsam mit dem Patienten streben wir die
Entwicklung eines Bewusstseins an, das die Zusammenhänge zwischen körperlichen, psychischen und
sozialen Faktoren umfasst und über dieses Verständnis zu einer dauerhaften Substanzabstinenz und
einer gewissenhaften Gesundheitsfürsorge beim abhängigen Patienten führen soll.
Die medizinische Versorgung unserer Patienten ist geprägt von einer salutogenetischen
Herangehensweise, orientiert an einem biopsychosozialen Krankheitsmodell. Die Ärzte unserer Klinik
verstehen sich als Coach, der dem Patienten hilft, einen eigenverantwortlichen Umgang mit seiner
Gesundheit zu finden. Dieses Vorgehen entspricht dem unserer Entwöhnungsbehandlung zugrunde
liegenden Selbstmanagement-Behandlungskonzept.
Wir versuchen, gemeinsam mit dem Patienten eine ganzheitliche Sicht seines Zustandes zu
gewinnen, welche seine organmedizinischen Funktionen, sein psychisches Befinden und seine soziale
Situation berücksichtigt. Wir sind bestrebt, unsere Patienten zu einer möglichst gesunden
Lebensweise zu motivieren, um im Sinne einer Primärprävention Krankheiten vorzubeugen.
Insbesondere bei Patienten, bei denen bereits chronische Beschwerden aufgetreten sind, ist es unser
Ziel, diese zu einem aktiven Umgang mit ihrem Krankheitsbild zu motivieren, also durch gezielte
Verhaltensänderungen den Zustand selbst positiv zu beeinflussen, statt in einer passiven
Behandlungserwartung zu verharren. Wo spezifische medizinische Behandlungsmaßnahmen
notwendig sind, soll die Compliance des Patienten durch möglichst umfassende Aufklärung über
seinen Zustand gefördert werden.
Viele Patienten kommen nach einer langen Phase des Substanzkonsum in einem schlechten
körperlichen Zustand in unsere Klinik. Der letzte Arztbesuch liegt bei diesen Patienten häufig schon
lange zurück. In diesen Fällen ist es unser ausgesprochenes Ziel, versäumte Vorsorgeuntersuchungen
nachzuholen, verschleppte Krankheitszustände zu diagnostizieren und eine geeignete Behandlung
einzuleiten.
30
Jeder Patient der salus klinik bekommt schon vor Aufnahme in unsere Klinik einen Bezugsarzt
zugeteilt, der ihn während des gesamten stationären Verlaufs medizinisch betreut. Die medizinische
Betreuung erfolgt in enger Kooperation mit dem jeweiligen Bezugstherapeuten, um ein möglichst
umfassendes Bild des Patienten zu erhalten. Außerdem ist eine fachärztliche Supervision durch die
im Hause tätigen Fachärzte gewährleistet (Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie,
Psychosomatik und Innere Medizin).
Die ärztliche Betreuung erfolgt durch regelmäßige Einzelvisiten und Kurvenvisiten. Bei körperlichen
Beschwerden können die Patienten zudem die ärztliche Sprechstunde bei ihrem Bezugsarzt in
Anspruch nehmen.
Die Medizinische Station ist Dreh- und Angelpunkt des medizinischen Handelns und ist durch Früh-,
Spät- und Nachtdienst mit examinierten Pflegekräften 24 Stunden besetzt. Damit sind die Mitarbeiter
der Medizinischen Station die zentrale Anlaufstelle für Patienten außerhalb des Regelbetriebs der
Klinik, z. B. in der Nacht. Die wesentlichen Aufgaben der Mitarbeiter der Medizinischen Station
bestehen in der pflegerischen Aufnahme neuer Patienten, in der Vitalzeichenkontrollen, im
Ausarbeiten der Patientenkurven und ärztlichen Anordnungen, im Stellen und in der Ausgabe von
Medikamenten, in der Durchführung von Alkoholkontrollen und Drogenscreenings, in der
Unterstützung
der
Ärzte
bei
diagnostischen
und
therapeutischen
Maßnahmen,
Terminvereinbarungen mit kooperierenden niedergelassenen Fachärzten sowie in der Durchführung
von entlastenden Gesprächen bei Patienten in krisenhaften Zuständen.
Patienten, die aufgrund einer psychischen oder somatischen Krise überwacht werden müssen,
werden auf die Medizinische Station, in den sogenannten „Wachbereich“ verlegt und überwacht.
Hier stehen 4 Betten für Kriseninterventionen zur Verfügung.
Unsere Rückfallkonzeption sieht bei Rückfallereignissen die Verlegung des rückfälligen Patienten in
den Überwachungsbereich vor.
Entsprechend dem Modell von Marlatt & George (1984) wird ein Rückfall als ein „Vorfall“ (lapse)
gesehen, aus dem der Patient lernen kann, kritische Rückfallsituationen erfolgreich zu bewältigen.
Dementsprechend werden mit dem Patienten Verhaltensanalysen durchgeführt und alternative
Strategien zum Umgang mit der kritischen Situation erarbeitet. Außerdem wird die Bedeutung des
Rückfalls für die therapeutische Beziehung reflektiert. Voraussetzung für die Fortführung der
Behandlung trotz Rückfall ist das Offenlegen es Rückfalls durch den Patienten sowie die Bereitschaft
aus diesem „Vorfall“ zu lernen und Verhaltensänderungen einzuleiten.
7.2 Medizinische Diagnostik
Aufnahmeprocedere
Am Aufnahmetag wird der Patient vom zuständigen Bezugsarzt umfassend untersucht. Es erfolgt
eine internistische, neurologische mit Überprüfung der Vitalzeichen sowie eine psychiatrische
Untersuchung mit Erhebung eines psychopathologischen Befundes incl. Klärung hinsichtlich
Suizidalität. Ziel der ärztlichen Aufnahmeuntersuchung ist die Erstellung einer vollständigen
31
Krankenanamnese mit Exploration wesentlicher Vorerkrankungen und ggf. das Stellen erster
somatischer und psychiatrischer Verdachtsdiagnosen, die im weiteren Behandlungsverlauf
differentialdiagnostisch abgeklärt werden können.
Entsprechend des festgestellten Gesundheitszustandes des Patienten spricht der Arzt bei
Notwendigkeit Einschränkungen bezüglich des individuellen Behandlungsplans aus oder verordnet
gesundheitsfördernde Maßnahmen, wie beispielsweise das Gehtraining bei Vorliegen einer
Polyneuropathie, intensiviertes Körperaufbautraining bei körperlich abgebauten Patienten,
Rückenschule bei Wirbelsäulenerkrankungen oder Mentaltraining bei Vorhandensein kognitiver
Defizite.
Routineuntersuchungen
Jeder Patient wird ausführlich körperlich, psychiatrisch und neurologisch untersucht, und es wird
eine vollständige Anamnese erhoben. Routinemäßig durchläuft jeder Patient eine medizinisches
Aufnahmeprozedere:

das ärztliche Aufnahmegespräch mit Anamneseerhebung und Durchführung einer
internistischen, neurologischen und psychiatrischen Untersuchung
 bei Notwendigket Verordnung einer Pharmako- / Psychopharmakotherapie
 das pflegerische Aufnahmegespräch
 die Erstellung einer elektrokardiographischen Untersuchung (Ruhe-EKG)
 das Messen von Blutdruck, Herzfrequenz, Körpertemperatur, Blutzucker, Körpergröße und
Körpergewicht
 die Blutabnahme zur Durchführung einer laborchemischen Blutuntersuchung auf Blutbild,
Leber-, Pankreas und Nierenwerte, Elektrolyte und Blutfette; ein Urinstatus gehört ebenfalls
zum Routinelabor
 die Durchführung eines Atemalkoholtest sowie Drogenscreening
 eine Abdomensonographie bei V.a. substanztypische Organerkrankungen
Sind weitere Laborparameter erforderlich, werden diese je nach individueller Fragestellung
bestimmt. Die Ergebnisse sämtlicher Untersuchungen werden im Rahmen der Sprechstunden
ausführlich mit dem Patienten besprochen.
Je nach Problemlage des Patienten sind ergänzende Untersuchungen durch konsiliarische
Vorstellungen bei kooperierenden Facharztpraxen außerhalb der Klinik möglich.
Digitale Patientenakte
Von jedem Patienten wird über unsere Dokumentations-Software (PaDo) eine digitale Patientenakte
geführt, die die ärztliche Anamnese, den Aufnahme- und Abschlussuntersuchungsbefund, die
berufliche Leistungsbeurteilung, die Ergebnisse der laborchemischen Untersuchungen, medizinische
Krisen und alle ärztlichen Befunde sowie konsiliarischen Befunde enthält. Damit wird die zur
optimalen Zusammenarbeit notwendige Transparenz zwischen allen beteiligten Berufsgruppen
erreicht. Die Dokumentation fließt nach Entlassung des Patienten in einen umfassenden
Entlassungsbericht, der entsprechend der Vorgabe des Rentenversicherungsträgers, einen Überblick
über den gesamten Behandlungsverlauf gibt.
32
Die medizinische Betreuung des Patienten endet kurz vor dem Entlassungstermin mit einer ärztlichen
Abschlussuntersuchung. Der Patient erfährt hier die Ergebnisse des Abschlusslabors, wird über die
Entlassmedikation und ggf. über eine weitere ärztliche Behandlungsnotwendigkeit informiert. Zudem
gehören zum ärztlichen Abschlussgespräch die Erstellung einer beruflichen Leistungsbeurteilung
sowie die Verfassung eines ärztlichen Kurzbriefes für die weiterbehandelnden Ärzte.
Ärztliche Sprechstunde
Die Ärztliche Sprechstunde findet dreimal wöchentlich statt. Hier hat der Patient Gelegenheit bei
akuten Beschwerden vorstellig zu werden, vom Bezugsarzt über seine gesundheitliche Verfassung
Auskunft zu erhalten und die Ergebnisse der laborchemischen Blutuntersuchung zu besprechen. Bei
weiterführender Behandlungsnotwendigkeit stellen wir den Patienten bei kooperierenden
Facharztpraxen vor. Dabei verordnete Medikamente werden vom Bezugsarzt überwacht und vom
Pflegepersonal realisiert.
Außerhalb der Sprechstundenzeiten ist bei entsprechender Aktualität des Anliegens bzw. der
gesundheitlichen Beschwerden der zuständige Bezugsarzt erreichbar und ansprechbar.
Sollte ein Patient wegen somatischer Beschwerden stationär behandlungsbedürftig werden, verlegen
wir zur interkurrenten Behandlung in das zuständige pflichtversorgende Krankenhaus. Bei
psychiatrischen Notfällen erfolgt die Verlegung in die pflichtversorgende psychiatrische Klinik (Klinik
Marienborn, Zülpich). Wird nach Rückfallereignis in seltenen Fällen eine qualifizierte stationäre
Entzugsbehandlung notwendig verlegen wir den betroffenen Patienten in die Suchtabteilung einer
mit uns kooperierenden psychiatrischen Klinik (LVR-Klinik Köln). Die laufende Kostenzusage des
Leistungsträgers verfällt jedoch zu diesem Zeitpunkt und es muss ein neuer Antrag auf stationäre
Entwöhnungsbehandlung gestellt werden.
Patienten mit einer psychiatrischen Vordiagnose werden am Aufnahmetag vom Bezugsarzt in der
psychiatrischen Sprechstunde vorgestellt. Der Psychopathologischer Eingangsbefund wird von einem
Facharzt für Psychiatrie erhoben und gegebenenfalls die Psychopharmakotherapie bestätigt oder
modifiziert. Die weitere fachärztliche psychiatrische Behandlung erfolgt über den gesamten
Behandlungszeitraum in der psychiatrischen Sprechstunde.
Wird ein Patient während der Entwöhnungsbehandlung psychopathologisch auffällig, erfolgt
ebenfalls auf Veranlassung des Bezugsarztes oder Bezugstherapeuten eine Vorstellung in der
psychiatrischen Sprechstunde.
Psychiatrische Sprechstunde
Zur Komorbidität psychiatrischer Störungen mit Alkoholabhängigkeit liegen inzwischen hinreichend
klinische und epidemiologische Daten vor. In verschiedenen klinischen Untersuchungen war zum
einen gefunden worden, dass die Prävalenzraten für Alkoholismus bei Schizophrenien in
verschiedenen Untersuchungen zwischen 20 bis über 50 % betrugen. Auch Patienten mit affektiven
Erkrankungen wiesen eine hohe Komorbidität auf, wobei häufig Prävalenzraten von 20 - 40 %
genannt wurden (Übersicht in Soyka 1995 b; Soyka & Möller 1997). Robins et al. (1998) berichteten
aufgrund einer näheren Analyse der ECA-Daten eine hohe Komorbidität für antisoziale
33
Persönlichkeit, Manie oder schizophreniforme Erkrankungen, Drogenabhängigkeit sowie Depression
und Dysthmia.
Die in der Literatur aufgezeigte Komorbidität zu psychiatrischen Erkrankungen lassen sich durch
unsere klinische Erfahrung der letzten Jahren bestätigen. Regelmäßig sehen wir Patienten mit
behandlungsrelevanten psychiatrischen Diagnosen, insbesondere Persönlichkeitsstörungen,
Depressionen, nichtorganischen Schlafstörungen und paranoiden Schizophrenien. Psychiatrische
Vordiagnosen werden durch einen Facharzt für Psychiatrie auf ihr Fortbestehen überprüft, ebenso
die Notwendigkeit und Dosierungen voreingestellter Psychopharmaka. Durch die lange
Behandlungszeit, die uns im Rahmen der Entwöhnungsbehandlung zur Verfügung steht, sind wir in
der Lage bislang nicht erfasste psychiatrische Störungen zu erkennen, diagnostisch zuzuordnen und
notwendige Behandlungsmaßnahmen wie z. B. Psychopharmakotherapie, Anpassung des aktuellen
Behandlungsplans, notwendige Weiterbehandlung (Anbindung an einen niedergelassenen
Psychiater, ggf. ambulante Psychotherapie,) in die Wege zu leiten. Häufig bestehen
abhängigkeitserhaltende Zusammenhänge zwischen Substanzkonsum und psychiatrischer
Erkrankung, die durch eine kontinuierliche psychiatrische Mitbehandlung erkannt werden und in die
aktuelle therapeutische Arbeit einfließen können.
Um der hohen Komorbidität mit psychiatrischen Erkrankungen Rechnung zu tragen, bieten die
Fachärzte der Suchtabteilung eine Psychiatrische Sprechstunde an. Hier erfolgen diagnostische
Abklärungen bei auffälligen psychopathologischen Befunden, ggf. Ergänzung der
psychotherapeutischen Behandlung durch eine Psychopharmakotherapie, Prüfung vorbestehender
psychiatrischer Diagnosen sowie bei Notwendigkeit Anpassung, Umstellung aber auch Abdosierung
vorbestehender Psychopharmaka.
Diagnostische Überlegungen, Ein- und Abdosierungen von Psychopharmaka, Veränderungen des
psychopathologischen Befundes werden regelmäßig zwischen Psychiatern und zuständigem
Bezugstherapeuten ausgetauscht.
Finden sich unter den Zuweisungsdiagnosen psychiatrische Erkrankungen, besteht eine
Psychopharmakotherapie oder zeigen Patienten während des Behandlungsverlaufes
Verhaltensauffälligkeiten und haben in durchgeführten psychologischen Tests pathologische Werte,
werden Sie in der Psychiatrischen Sprechstunde gesehen .
Durch die psychiatrische Sprechstunde soll erreicht werden, dass der Patient bei Vorliegen einer
psychiatrischen Komorbidität seine psychiatrische Diagnose verstehen und akzeptieren kann,
Copingstrategien entsprechend der psychiatrischen Diagnose entwickelt werden können und eine
erzielte Remission stabilisiert wird.
Psychiatrische Notfälle, wie Exazerbationen depressiver Störungen und schizophreniformer
Erkrankungen aber auch suizidale und autoaggressive Krisen, werden umgehend vom Psychiater
untersucht und entsprechende Maßnahmen eingeleitet - wie z. B. Anpassung der
Psychopharmakotherapie, Verlegung in den Überwachungsbereich, Verlegung zu Krisenintervention
in eine psychiatrische Klinik, Prüfung einer Psych.KG-Indikation.
34
7.3 Medizinische Therapie
Medizinische Gesundheitsinformation
Die Medizinische Gesundheitsinformation ist eine durch den Bezugsarzt durchgeführtes
Pflichtprogramm, die den neu aufgenommenen Patienten in der ersten Behandlungswoche an 3
Terminen ein Verständnis für die gesundheitlichen Auswirkungen von Alkohol und anderen
psychotropen Substanzen auf den menschlichen Körper vermitteln soll. Es handelt sich um eine
offene Gruppe, die es ermöglicht, neu hinzugekommene Patienten konsekutiv mit einzubeziehen.
Der Bezugsarzt versteht sich hier weniger als Lehrer, sondern vielmehr als Vermittler, welcher sein
eingebrachtes medizinisches Wissen als sinnvolle Ergänzung für die von Patienten selbst
geschilderten Erfahrungen nutzt. Es wird eine psychoedukativer Ansatz verfolgt, ausgehend vom
Grundgedanken dem Patienten die zum Verständnis der mit Alkohol assoziierten Erkrankungen
notwendigen Informationen zu vermitteln.
Die medizinische Gesundheitsinformation befasst sich:

mit der Funktion der Leber und der Entstehung von äthyltoxischen Leberschäden - fettige
Leberdegeneration, Leberzirrhose, portale Hypertension

mit gastro-intestinalen Folgeerkrankungen - akute Ösophagitis, Ösophagusvarizenblutung,
Gastritis, Resorptionsstörungen, akute und chronische Pankreatitis sowie Diabetes mellitus

mit neuropsychiatrischen Symptome und deren Folgeschäden - Merkmale des
Entzugssyndroms, Korsakow-Syndrom, Delirium tremens und Polyneuropathie (20 - 40 % der
Alkoholabhängigen)

mit substanztypischen körperlichen und psychischen Auswirkungen bei Konsum von
Cannabis, Amphetamine, „Partydrogen“ und Benzodiazepinen – „Amotvationsyndrom“,
drogeninduzierte psychotische Eposoden, lebensgefährdender Mischkonsum
Pharmakotherapeutische Suchtmedizin
Zur Aufrechterhaltung der Abstinenz alkoholkranker Menschen wird in den letzten Jahren
zunehmend der Einsatz von Medikamenten propagiert. In Deutschland ist für die Indikation
„Unterstützung der Aufrechterhaltung der Abstinenz bei alkoholabhängigen Patienten“ seit 1995 die
Substanz Acamprosat (Campral®) zugelassen.
Der Nutzen von Acamprosat oder anderer „Anticraving-Substanzen“ in der stationären
Entwöhnungsbehandlung alkoholkranker Menschen ist wissenschaftlich nicht geklärt. Denkbar wären
eine Verbesserung der Rückfallraten oder der Haltequoten in der stationären Therapie. Für beides
gibt es jedoch keine Belege. Theoretische Überlegungen sprechen gegen positive Auswirkungen einer
Acamprosat-Medikation auf diese Bereiche (Kramer, 2003).
Das Erlernen von Bewältigungsstrategien im Umgang mit „craving“ ist ein zentraler Baustein der
Entwöhnungsbehandlung in unserer Klinik. Auch aus diesen Gründen erscheint eine medikamentöse
Unterdrückung von craving während der stationären Entwöhnungsbehandlung nicht sinnvoll.
Die Gabe von Acamprosat kommt in unserer Klinik daher nur in begründeten Einzelfällen in Betracht,
wenn die Medikation vom Patienten ausdrücklich gewünscht wird und schon über längeren Zeitraum
35
eindosiert war. In der Regel wird eine solche Medikation bei Aufnahme in unsere Klinik – nach
Rücksprache und Einverständnis mit dem Patienten - abgesetzt.
7.4 Sozialmedizin
Da ca. 65 % unserer Patienten arbeitslos sind, liegt ein Schwerpunkt der ärztlichen Arbeit in der
Sicherung bzw. Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit als vorrangiges Ziel der
Rehabilitationsmaßnahme. Daher dienen alle diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen
letztendlich auch diesem Ziel. Alle Mitarbeiter der Klinik sind diesem Grundsatz verpflichtet. Jeder
Patient, bei dem die Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit fraglich ist, wird dem Leitenden Arzt
oder seinem Stellvertreter vorgestellt, um das Procedere zur Wiederherstellung der
Leistungsfähigkeit zu besprechen und um eine sozialmedizinische Leistungseinschätzung
durchzuführen. Diese sozialmedizinische Einschätzung findet im Rahmen der Fallkonferenz aber vor
allem in speziell eingerichteten sozialmedizinischen Konferenzen und im Beisein aller zentralen
therapeutischen Bezugspersonen statt, in der Regel nehmen Bezugsarzt, Bezugstherapeuten,
Sozialarbeiter, Fachtherapeuten – insbesondere Arbeitstherapeuten - und Ltd. Arzt bzw.
Stellvertreter daran teil. Alle diagnostisch relevanten Befunde werden zusammengetragen und noch
fehlende Maßnahmen (z.B. externe fachärztliche Konsile, interne oder externe
Belastungserprobungen) besprochen bzw. angeordnet.
In der Zusammenschau
 der körperlichen Untersuchungsbefund,
 des psychopathologischen Befundes,
 der testpsychologischen Ergebnisse,
 der laborchemischen und technischen Befunde,
 der fachärztlicher Befunde,
 eines Fähigkeitenprofils in Anlehnung an MELBA,
 eventueller externer Belastungserprobungen und
 des Fitness-Profils aus der Bewegungstherapie
wird eine sozialmedizinische Leistungsbeurteilung vorgenommen und besprochen. Sollten
Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben notwendig erscheinen, wird in diesem Forum darüber
entschieden und evtl. die Vorstellung beim Reha-Berater der Deutschen Rentenversicherung
eingeleitet, der regelmäßig in ca. 4-wöchigem Abstand zu Beratungen in die Klinik kommt.
Notwendige Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben werden bereits während des stationären
Aufenthaltes eingeleitet, sofern keine gravierenden Hindernisse dies unmöglich machen.
Die sozialmedizinische Einschätzung erfolgt grundsätzlich unter Berücksichtigung der vorliegenden
Konsile durch den Leitenden Arzt bzw. seinem Stellvertreter in Kooperation mit dem Bezugsarzt.
Dem Bezugsarzt obliegt die Aufgabe im ärztlichen Abschlussgespräch dem Patienten aus
sozialmedizinischer Sicht über seine Möglichkeiten aber auch über seine Grenzen in Bezug auf den
Arbeitsmarkt zu informieren. Die berufliche Leistungseinschätzung mit vorliegenden quantitativen
und qualitativen Einschränkungen werden dem Patienten mitgeteilt und verständlich erklärt.
36
Jeder stationäre Rehabilitationsaufenthalt in unserer Klinik endet mit der Erstellung eines ärztlichen
Entlassungsberichtes, welcher unter anderem die Funktion eines sozialmedizinischen Gutachtens hat.
In diesem Bericht werden somit alle soziamedizinisch relevanten Befunde zusammengefasst und in
der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung bewertet.
7.5 Physiotherapie, Sport- und Bewegungstherapie
Die nachhaltige Sicherung oder Wiederherstellung der Teilhabe am beruflichen und
gesellschaftlichen Leben ist ein hochrangiges Ziel in der Medizinischen Rehabilitation. Wenn
schädigungsbedingte Fähigkeitsstörungen vorliegen, die nicht vorübergehender Natur sind und die
durch Physiotherapie gebessert oder beseitigt werden können, so wird eine entsprechende
Maßnahme eingeleitet. Die Sport- und Bewegungstherapie ist in der Medizinischen Rehabilitation für
die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit sowohl unmittelbar als auch mittelbar von Bedeutung.
Unmittelbar, weil sie aktuelle Einschränkungen, die mit dem Bewegungsapparat und der
Belastungsfähigkeit des Organismus zusammenhängen, positiv beeinflussen kann, und mittelbar, weil
sie die nachhaltige Bewältigung der chronischen Erkrankung erleichtert. Öfter als spezifische
körperliche Fähigkeitsstörungen finden wir bei Suchtkranken erhebliche unspezifische
Beeinträchtigungen durch mangelnde körperliche Fitness, die beispielsweise zu psychophysischer
Labilität, zu Stressanfälligkeit und erhöhter Angstbereitschaft beitragen. Ebenso wird der Sport von
vielen Rehabilitanden wenig zur Regeneration, zum Wohlbefinden und zu sozialen Kontakten
genutzt, was für die Rückfallprophylaxe jedoch von erheblichem Wert wäre. Die Bandbreite der Ziele
in der körperorientierten Behandlung ist also weiter, als es auf den ersten Blick erscheinen mag.
Die Indikation für physiotherapeutische Maßnahmen wird durch das ärztliche Personal der salus
klinik gestellt. Die Bezugsärzte werden bei der Indikationsstellung durch unsere Fachärzte unterstützt
(Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, Innere Medizin, Psychosomatik). Zudem können
weitere Fachärzte aus kooperierenden Praxen, insbesondere für Orthopädie, konsultiert werden, die
dann entsprechende physiotherapeutische Anwendungen verordnen können. Grundsätzlich legt
unser Konzept auch in der Behandlung orthopädischer Beschwerden (insbesondere chronische
Lumbalgien, Arthrosen) den Schwerpunkt auf die Aktivierung und Gesundheitserziehung der
Patienten.
Indikative Angebote, insbesondere bei Vorliegen orthopädischer, neurologischer sowie psychischer
Beschwerden, sind:
Gehtraining bei polyneuropathischer Beschwerden
Die alkoholbedingte Polyneuropathie ist die bei Alkoholabhängigen am häufigsten vorkommende
chronische neurologische Erkrankung. Aus diesem Grund bieten wir ein Gehtraining bei
polyneuropathischen Beschwerden und kombinieren diese mit Ultraschall- und Reizstromtherapie.
Besteht die Zuweisungsdiagnose einer alkoholbedingten Polyneuropathie oder wird diese im Rahmen
der ärztlichen Aufnahmeuntersuchung erkannt, nimmt der Patient am Gehtraining teil.
Hier werden Streckenabläufe mit unterschiedlichen Bodenarten, Hindernissen sowie Aufgaben
erstellt. Darüber hinaus werden sowohl thermische wie mechanische Reize zugeführt,
Gleichgewichtsübungen durchgeführt und Erschwernisse, beispielsweise durch Augenbinden,
37
gesetzt. Diese Aufgaben unterliegen konstanten Änderungen und haben die Verbesserung der
Eigenwahrnehmung und der Tiefensensibilität sowie die Stimulation afferenter und efferenter
Nervenausläufer zum Ziel. Für den Patienten soll eine spürbare Verbesserung der Koordination,
vorwiegend der unteren Extremitäten, eine gesteigerte Mobilität sowie ein Rückgang von
Mißempfindungen erreicht werden.
Rückenschulung
Die Gruppe "Rückenschule" mit den Zielen Aufbau und Stabilisierung der Rückenmuskulatur
vermittelt Ziele und Themen wie Langfristige Motivation, Rückenprophylaxe im Alltag zu betreiben;
Erkennen von Zusammenhängen zwischen Rückenschmerz, Stress und Verspannung;
Belastungsgrenzen erkennen und Reserven mobilisieren; Basisinformationen zu Aufbau und Funktion
von Wirbelsäule und Bandscheibe; Funktionale Übungen zum Aufbau einer ausgewogenen
Muskulatur und die Anwendung einfacher Entspannungsübungen
Körperaufbautraining
Je nach Bewegungseinschränkungen und körperlichen Symptomen wird ein individuelles
Übungsprogramm erstellt, wie z.B. Haltungsschulung bei Haltungsschwächen und ein Individuelles
Muskel- und Herz-Kreislauftraining zur Stärkung und Stabilisierung. Durch unterschiedliche
Gymnastik- und Spielformen werden Kraft, Koordination und Kondition verbessert. Durch das
gesundheitsorientierte Hanteltraining wird die Muskulatur widerstandsfähiger und ausdauernder.
Die Patienten erleben ihre Leistungsgrenzen und –reserven und die Bewegungsfreude wird
gesteigert.
Medizinische Trainingstherapie (MTT)
Die salus Klinik Hürth verfügt innerhalb der Sporttherapie über eine moderne und gut ausgestattete
Medizinische Trainingstherapie (MTT), mittels der sich auf den Patienten abgestimmte individuelle
Trainingsprogramme erstellen lassen, die je nach Trainingszustand bzw. -fortschritt gesteigert,
erweitert oder umfangreicher gestaltet werden können. Ziel ist es, die Leistungsfähigkeit in den
Bereichen Kraft, Ausdauer, Beweglichkeit und Koordination zu verbessern, um so nachhaltig einen
Therapieerfolg zu sichern.
MTT ist ein spezielles Krafttraining bzw. ein spezielles Muskelaufbautraining mit oder ohne Gerät mit
dem Ziel





gestörte oder beeinträchtigte Körperfunktionen wieder herzustellen
die Belastbarkeit von Muskeln und Strukturen zu erhöhen
muskuläre Dysbalancen auszugleichen
den Allgemeinzustand des Patienten zu verbessern oder zu erhalten
Prophylaxen zu erlangen (Prävention)
Nach einem pulsgesteuerten Ausdauertest, sowie einer Testung der Kraft, Koordination und
Flexibilität, erhalten die Patienten einen individuellen Trainingsplan. Dieser wird via Chipsystem auf
die Geräte übertragen. Die Geräte sind darüber hinaus biofeedbackgesteuert, um ein optimales
Training zu gewährleisten.
38
Wir arbeiten mit den Genius ECO Trainings- und Testgeräten der Firma FREI AG, die eine individuelle
und chipgesteuerte Trainingsplanung und –betreuung ermöglichen. Unsere Gerätelandschaft umfasst
insgesamt dreizehn Kraft- und Ausdauergeräte für ein umfangreiches und individuelles Kraft- und
Ausdauertraining.
(Nordic-)Walking
In der Gruppe Walking werden vermittelt Ziele und Themen wie langfristige Motivation,
gesundheitsfördernden Sport zu treiben, Verbesserung der allgemeinen körperlichen
Ausdauerleistung, Steigerung des körperlichen Wohlbefindens, Steigerung der Kondition, Erläuterung
und Demonstration von Bewegungsabläufen, Veränderung von Schrittfrequenz und Schrittlänge,
Koordination von Armen und Beinen sowie Dehnübungen und Pulskontrolle.
Entspannungsverfahren
Progressive Relaxation
In dieser Gruppe wird vermittelt, wie Entspannung gezielt herbeigeführt werden kann. Durch das
Prinzip der wechselseitigen An- und Entspannung bestimmter Muskelgruppen soll eine Umstellung
im Körper erreicht werden, die zur Entspannung, Leistungssteigerung und zu körperlichem
Wohlbefinden führen kann. Insofern kann sich das Prinzip "Halten und Loslassen" nicht nur physisch,
sondern auch psychisch positiv auswirken, indem sich Verhärtungen lockern: Zum Beispiel können
psychisch stark Angespannte durch das Loslassen mehr Zugang zu ihren Gefühlen erhalten, und bei
Antriebsschwachen kann sich durch das kräftige Halten mehr Entschlussfreudigkeit einstellen. Die
gesunde Mitte und Flexibilität zwischen den Polen von Spannung und Entspannung weitet sich so
auch auf die Psyche aus. Die gezielte Lenkung der Körperwahrnehmung, vor allem auf die Auflösung
der Muskelanspannung, soll zur Steigerung des Entspannungszustandes beitragen.
Indikationen für die Progressive Relaxation sind:




Häufige Anspannung, Bluthochdruck und Stresszustände im Alltag
Schwierigkeit, sich körperlich zu entspannen oder gedanklich abzuschalten; generelles Fehlen
von innerer Ruhe und Ausgeglichenheit
Häufiger Eindruck, sich nicht richtig konzentrieren zu können
Leiden unter körperlichen Beschwerden, wie chronische Schmerzen, Kopfschmerzen,
Bluthochdruck und Nervosität.
Weitere Angebote
Optional werden außerdem angeboten Tai Chi und Ohr-Akupunktur
Tai Chi
Tai Chi ist eine alte chinesische Bewegungskunst und heute eine wichtige Methode der Traditionellen
Chinesischen Medizin. Es dient zur Gesunderhaltung, Meditation und Selbstverteidigung. Tai Chi
bedeutet „Das höchste Letzte, Namenlose, Absolute“. Tai Chi wird erst seit den 80ern in Europa
unterrichtet. Die meditativen und gesundheitlichen Aspekte traten in der weiteren Entwicklung des
Tai Chi immer stärker in den Vordergrund. Bekannteste Formen sind:
39
 Lange Form des Yang-Stils nach Meister Yang Cheng Fu
 Gekürzte Form des Yang-Stils nach Prof. Cheng Man Ching
 Peking Form: auf Yang-Stil basierend.
In der Klinik werden kleinere Formen wie z. B. „Harmonie“ in der Gruppe praktiziert. In der
therapeutischen Anwendung entfalten sich folgende Wirkungen:





Durch spezielle Übungshaltungen werden die Meridiane entspannt und gedehnt;
Energieblockaden lösen sich, und die Lebensenergie (Qi bzw. Chi) kann ungehindert durch
den Körper fließen, die Organe werden in ausgewogener Weise mit Qi versorgt.
Dehnung und Aufrichtung der Wirbelsäule fördert deren Beweglichkeit und führt zur
Entlastung der Bandscheiben.
In den Knien gebeugter Stand und langsame Bewegung bewirken schonenden Muskelaufbau.
Ruhiger Atem und entspannte Haltung lösen psychische und physische Anspannungen.
Nebenwirkungen sind bei Berücksichtigung der Prinzipien nicht bekannt. Schädliche Effekte
sind höchstens durch falsche Atemführung und unangemessene geistige Übungen möglich.
Deshalb geschieht die Anleitung durch einen gut ausgebildeten Lehrer.
Als Indikationen kommen zusätzlich zu den unter Entspannung genannten in Frage:






Entzündliche und degenerative Gelenkserkrankungen
Chronische Schmerzzustände (Kopfschmerz und Migräne)
Lähmungen (insbesondere nach Apoplex)
Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes wie funktionelle Verdauungsstörungen
Herz-Kreislauf-Erkrankungen (kardiale Hypertonie, Angina pectoris)
Anspannungen z. B. vegetative Dystonie.
Kontraindikationen sind:


Schwangerschaft und Menstruation (bei bestimmten Übungen und Körperhaltungen)
psychotische Zustände.
Ohr-Akupunktur nach dem NADA-Protokoll
Die Ohr-Akupunktur nach dem NADA-Protokoll ist ein Behandlungskonzept, das Akupunktur und
konventionelle therapeutische Elemente verbindet. Die inneren Selbstheilungskräfte der OhrAkupunktur basieren nach der traditionell chinesischen Medizin auf die Lebensenergie, dem
sogenannten Qi (Schi). Das Setting hat einfache Regeln, die der Patient einhalten kann. Das stärkt
ihn. Er sitzt, er darf Kontrolle behalten anstatt zu liegen und sich hingeben zu müssen, er kommt zu
festen Zeiten. Ruhe, Struktur und Ausgeglichenheit während der Akupunktur. Die "NADATherapeuten" unserer Klinik sind examinierte Krankenschwestern, die die NADA-Ausbildung mit
theoretischer und praktischer Prüfung erfolgreich abgeschlossen haben.
Das Behandlungsverfahren der NADA (National Acupuncture Detoxification Association) – das NADAProtokoll – kombiniert Ohr-Akupunktur mit einer strukturierten, nicht-ängstigenden Art des
Behandlungsstils. Es geht damit vor allem auf die besondere Problematik Suchtkranker sowie
psychiatrisch Kranker ein und eignet sich während der Entwöhnungsbehandlung:
40







als Ergänzung zur Rückfallprophylaxe
zur Reduktion von Suchtverlangen (craving) bei sämtlichen Suchtstoffen
zur Symptomlinderung medikamentöser Nebenwirkungen
zur Unterstützung der Tabakentwöhnung
zur Regulation des Schlafverhaltens bei nichtorganischen Schlafstörungen
zur Reduktion von Unruhezuständen, Ängsten und Spannungszuständen
zur Besserung von Konzentrationsschwächen
Das Behandlungssetting in dem die Ohrakupunktur stattfindet enthält Elemente des NADAProtokolls, die sich als günstig für den Behandlungserfolg erwiesen haben:






Gruppensetting
Durchführung der Akupunktur in bequemer Körperposition (Liegesitze)
feste Behandlungszeiten
non-konfrontative und ruhige Atmosphäre in einem liebevoll ausgestalteten Behandlungsraum
tägliche Behandlung in den ersten beiden Wochen
täglich mehrfaches Trinken eines Tee aus 6 Kräutern
Alle diese Indikativen Gruppen und Kurse werden von Sporttherapeuten oder examinierten
Krankenschwestern durchgeführt. In der Mehrzahl der Fälle lassen sich die orthopädischen und
häufig auch neurologische und psychische Beschwerden unserer Patienten alleine durch diese
Maßnahmen beseitigen oder deutlich bessern.
Sollten darüber hinaus physiotherapeutische Maßnahmen im engeren Sinne notwendig sein, so
werden diese nach ärztlicher Verordnung klinikintern durch einen Physiotherapeuten durchgeführt.
7.6 Ernährungsberatung
Durch die behandelnden Bezugsärzte wird bei einer festgestellten und ernährungsmedizinisch
relevanten Cholesterinerhöhung, bei Diabetes melliuts (insbesondere bei noch ungeschulten
Patienten), bei Adipositas (BMI > 30), kardialer Hypertonie (Einzelfallenscheidung), Anorexia und
Bulimia oder anderen Folgeerkrankungen von Übergewicht eine individuelle Ernährungsberatung
angeboten. Bei entsprechender Indikation nehmen die Patienten täglich an spezifischen Angeboten
zur Unterstützung gesundheitsbewusster Verhaltensweisen und zur Gewichtsabnahme in unserer
Sporttherapie teil (Ergometer-Training, Fitness-Training). Für Patienten mit einem BMI > 30 wird eine
Adipositas Gruppe angeboten. Patienten mit Diabetes-Diagnose werden dem Oberarzt der
Psychosomatischen Abteilung, der Facharzt für Innere Medizin ist, vorgestellt und in Kooperation mit
dem Bezugsarzt medikamentöse Einstellung besprochen, Ernährungspläne ausgearbeitet und
Blutzuckerwerte sowie das Gewicht kontrolliert.
Auch für Patienten ohne die Diagnosen Essstörung, Diabetes melitus, Adipositas oder kardiale
Hypertonie wird eine allgemeine Ernährungsberatung angeboten. Grundlage für die Diät- und die
Ernährungsberatung sind die Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Den
Patienten wird die Ernährungspyramide vermittelt, in der die Mengenverhältnisse der Lebensmittel
und die Notwendigkeit einer vielfältigen Ernährung dargestellt sind. Außerdem lernen die Patienten,
41
die 10 Regeln der DGE: Vielseitig essen; Getreideprodukte mehrmals am Tag und reichlich Kartoffeln;
Gemüse und Obst täglich; täglich Milch und Milchprodukte, 1 - 2mal in der Woche Fisch, Fleisch und
Wurstwaren sowie Eier in Maßen; wenig Fett und fettreiche Lebensmittel; Zucker und Salz in Maßen;
reichlich Flüssigkeit; schmackhaft und schonend zubereiten; Zeit nehmen und das Essen genießen;
auf Gewicht achten und sich ausreichend bewegen. Den Patienten wird vermittelt, dass eine gesunde
Ernährung wichtig ist, um Folgeerkrankungen zu vermeiden und dass eine gesunde Ernährung im
Bedarfsfall zu einer Gewichtsreduktion und einem wünschenswerten Body Mass Index (BMI)
beitragen kann. Die Patienten erhalten Empfehlungen zur Lebensmittelauswahl und individuell wird
mit den Patienten ihr Energie- und Nährstoffbedarf besprochen.
42
8
Psychotherapie
8.1 Psychologische Diagnostik
Die psychologische Diagnostik orientiert sich ebenso wie die medizinische am ICD-10 und an der
Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF, WHO 2005).
Dazu gehören
 eine Vertiefung der ICD Diagnostik und Berücksichtigung der ICF-Kontextfaktoren durch die
Verhaltensanalyse und psychologische Anamnese (8.1.1)
 die Analyse der Aktivitäten einer Person und der Teilhabe durch die Verhaltensanalyse, die
psychologische Anamnese und die Motivationsdiagnostik (8.1.1)
 die testpsychologische Validierung der ICD-Diagnostik für den Bereich Sucht (8.1.2 und
Anhang VI b)
 arbeits- und berufsbezogene Diagnostik (8.1.2)
 die testpsychologische Validierung der ICD-Diagnostik für komorbide F-Störungen (8.1.2 und
Anhang VI c)
 die Analyse der Körperfunktionen mit dem Schwerpunkt Mentale Funktionen (8.1.2 und
Anhang VI d)
8.1.1 Kontextfaktoren, Aktivitäten und Teilhabe
In der Verhaltensanalyse erfolgt eine genaue Beschreibung des Missbrauchs- oder
Abhängigkeitsverhaltens und weiterer therapierelevanter Störungen in allen Modalitäten. Unter
anderem beinhaltet die Verhaltensanalyse (siehe Kanfer & Saslow, 1965; Schulte, 1974; Caspar, 1989;
Wittchen & Hoyer; 2006):





Horizontale Verhaltensanalyse zu Handlungen und Kognitionen, durch die der Patient seine
Funktionsfähigkeit einschränkt, sei es in Form einer Gefährdung von Körperfunktionen (z. B.
ungesunde Ernährung, Bewegungsmangel), der Beibehaltung ungünstiger aber
veränderbarer Umweltfaktoren (z. B. keine Besorgung erreichbarer Hilfsmittel am
Arbeitsplatz) oder der Vermeidung von Aktivitäten und von Teilhabe (z.B. Selbstversorgung,
soziales Leben). Dazu gehört auch die Verhaltensanalyse des Suchtverhaltens, nach ICD-10
klassifizierter Störungen und des arbeits- und beruflichen Verhaltens
Vertikale Verhaltensanalyse (Oberpläne, Strategien und Verhaltensregeln, interaktionelles
Verhalten), die eine Einschränkung der Funktionsfähigkeit begünstigen
Schemata Analyse (suchtspezifische und allgemeine Grundkognitionen, automatische
Kognitionen)
Makroanalyse (Genese der Erkrankung, Ätiologiemodell, Ressourcen und bestehende
Selbsthilfemöglichkeiten und Bewältigungsfähigkeiten)
Motivationale Analyse entsprechend dem Rubikon Modell (Heckhausen 1987 a, b)
43
Psychologische Anamnese: Sinnvolle Strukturierungshilfen sind u. a. ein Genogramm und eine
Lebenslinie. Bei der Besprechung der Beziehungen innerhalb des Familienstammbaums werden erste
Systemregeln deutlich, Grenzen zwischen einzelnen Untergruppierungen in den Verwandtschaftskreisen
und eine eventuelle Vorbelastung mit Alkoholismus in der Vorgeschichte. Daraus wiederum lassen sich
allgemeine Änderungs- und Vermeidungsstrategien und auch Fähigkeiten und Stärken des Patienten
erkennen.
8.1.2 Testpsychologie
Es wird im folgenden ein kurzer Überblick zu den testpsychologischen Untersuchungen und zur
klinisch-psychologischen Verlaufsmessung gegeben. Eine ausführlichere Darstellung der
Messinstrumente befindet sich im Anhang dieser Konzeption
Suchspezifische Diagnostik
Suchtspezifische Tests (s. auch Anhang VI a) werden allen Patienten vorgegeben, die sprachlich und
kognitiv in der Lage sind die Fragebogen auszufüllen. Zur Erfassung der Alkoholabhängigkeit erhalten
die Patienten den MALT, Münchener Alkoholismus Test (Feuerlein, Ringer, Küfner & Antons, 1977),
für die Medikamentenabhängigkeit den KMM: Kurzfragebogen zum Medikamentenmissbrauch
(Watzl, Rist, Höcker & Miehle, 1990) und zur Erfassung der Tabakabhängigkeit den Fagerström:
Fragebogen zur Abklärung von Nikotinabhängigkeit (Fagerström et al. 1991 ). Zur Erfassung der
Mehrfachabhängigkeit wird ein klinikinterner Fragebogen vorgegeben.
Kritische Situationen für Rückfälle werden für Alkoholabhängige mittels des IDTSA Inventory of Drug
Taking Situations für Alkoholabhängige (Lindenmeyer & Florin, 1998) erfasst und für
Mehrfachabhängige mittels einer IDTSA Variante.
Eine Therapieverlaufsmessung bezüglich der Handlungs-Ergebnis-Erwartung für Abstinenz in
kritischen Situationen geschieht durch den DTCQA Drug Taking Confidence Questionnaire
(Lindenmeyer et al., 2003).
Arbeits- und berufsbezogene Diagnostik
In den ersten Wochen der Medizinischen Rehabilitationsbehandlung werden von den Patienten
Merkmalprofile zur Eingliederung Leistungsgewandelter und Behinderter in Arbeit (MELBA,
Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, 1999) erfasst. Dieses strukturierte
Interviewverfahren ist ausführlicher unter Ergotherapie dargestellt (10.1)
Zur Therapieverlaufsmessung von Verhaltens- und Erlebensmustern bezüglich der Arbeit wird allen
Patienten, die sprachlich und kognitiv in der Lage sind Fragebogen auszufüllen der AVEM,
Arbeitsbezogene Verhaltens- und Erlebensmuster, Schaarschmidt, U.; Fischer, A. (2003) vorgegeben.
Aktuelle psychische Verfassung
Zur Verlaufsmessung der aktuellen psychischen Verfassungen (s. auch Anhang VI b) werden der BSI:
Brief Symptom Inventory (Kurzform der SCL-90-R) (Franke, 2000) und der ADS-K: Allgemeine
Depressionsskala (ADS, Radloff, 1977; deutsche Version: Hautzinger & Bailer, 1992) eingesetzt.
44
Komorbide Störungen
Komorbide Störungen (s. auch Anhang II c) werden zu Behandlungsbeginn erfasst durch ein
strukturiertes Klinisches Interview nach SKID I (Wittchen, Zaudig & Fydrich, 1997) bzw. nach ICDL
(Hiller, Zaudig & Mombour, 1997) und durch den Fragebogen incl. Interview SKID II (Wittchen, Zaudig
& Fydrich, 1997).
Je nach den Ergebnissen des strukturierten klinischen Interviews werden zur Verlaufsmessung
folgende Tests vorgegeben (s. auch Anhang VI c):
AKV: Fragebogen zu körperbezogenen Ängsten, Kognitionen und Vermeidung (Ehlers & Margraf, J.
2001; engl. Version: Chambless et al., 1984),
SPS: Soziale Phobie- Skala (Stangier et al., 1999),
HZI-K: Hamburger-Zwangsinventar Kurzform (Klepsch, Zaworka, Hand, Lünenschloß & Jauernig,
1993),
FEV: Fragebogen zum Essverhalten (Pudel & Westhöfer, 1989),
SOMS-2: Screening für somatoforme Störungen (Rief, Hiller & Heuser, 1997),
PDS: Posttraumatic stress diagnostic scale (Ehlers, Steil, Winter & Foa (1996),
KFG: Kurzfragebogen zum Glücksspielverhalten (Petry & Baulig, 1995),
BSL-95: Borderline-Symptom-Liste (Bohus et al., 2001),
PFB: Partnerschaftsfragebogen (Hahlweg, 1996),
FB: Die Familienbögen (Cierpka & Frevert, 1994)
Mentale Körperfunktionen
Im Rahmen der Analyse der mentalen Körperfunktionen werden sowohl globale mentale Funktionen
(z. B. Orientierung, Intelligenz, Energie und Antrieb; ICF: b110-139) als auch spezifische mentale
Funktionen (z.B. Aufmerksamkeit, Gedächtnis, kognitiv-sprachliche Funktionen; ICF: 140-189) erfasst.
Dazu werden folgende Tests je nach Indikation eingesetzt:







Testbatterie zur Aufmerksamkeitsprüfung (TAP 1, 2, 5, 6, 9, 11 ) mit den Faktoren Alertness (
Aufgewecktheit), geteilte Aufmerksamkeit (mehrere Reize berücksichtigen), selektive
Aufmerksamkeit (Fähigkeit zur Unterdrückung einer nicht adäquaten Reaktion),
Arbeitsgedächtnis, kognitive Flexibilität und Vigilanz
d2 Aufmerksamkeits-Belastungstest
DCS Diagnostikum für Cerebralschädigungen
VLMT Verbaler Lern- und Merkfähgigkeitstest
Wechsler Intelligenztest
MWT-B Mehrfachwahl-Wortschatz-Test
CFT-20 nichtsprachlicher Intelligenztest
45



Trail Making Test
DemTect zur Erfassung von Demenzstörungen
SIDAM zur Differentialdiagnose einer Demenzstörung
8.2 Psychologische Therapie
Ziel der psychologischen Therapie ist auf Grundlage der medizinischen und psychologischen
Diagnostik eine Wiederherstellung oder Besserung der Funktionsfähigkeit auf der Ebene der
Aktivitäten, um eine optimale Teilhabe an Lebensbereichen für den Rehabilitanden zu erreichen.
Dieses geschieht unter Einbeziehung von Kontextfaktoren, indem Barrieren, die die Teilhabe
erschweren, reduziert werden und indem Förderfaktoren, die die Teilhabe unterstützen, ausgebaut
werden. Die psychologischen Interventionen zur Erreichung dieser Ziele sind Einzeltherapie,
Bezugsgruppe, Abstinenzgruppe, psychologische arbeits- und berufsbezogene Therapie und je nach
individueller Indikation störungsspezifische Gruppen.
8.2.1 Case-Management und Einzeltherapie
Der Bezugstherapeut ist sowohl Case-Manager als auch Psycho- oder Sozialtherapeut des Patienten.
Der Case-Manager und Psycho- bzw. Sozialtherapeut kann aus der Berufsgruppe der Ärzte,
Psychologen oder Sozialarbeiter mit Zusatzausbildung kommen. Zu seinen Aufgaben gehört die
Ablauforganisation der gesamten Behandlung (Zielbestimmung, Behandlungs- und Wochenplan,
Heimfahrten, Koordination aller Maßnahmen usw.), die Überwachung der vereinbarten Versorgung,
also die Klärung der Fragen, ob der Patient alle vereinbarten Hilfen erhält, ob die anderen Helfer
Unterstützung brauchen und ob der Patient die Vereinbarungen einhält, sowie die Sicherstellung der
Vernetzung mit dem sozialen Stützsystem (Familie, Arbeit, Freizeit) und Zugangserschließung zur
Nachsorge, wozu gegebenenfalls auch die Überleitung des Patienten zu seinem Case-Manager am
Heimatort gehört.
Die Aufgabe des Case-Managers ist die Koordination aller therapeutischen Maßnahmen für einen
Patienten. Das bedeutet konkret zu gewährleisten, dass der Patient an allen indizierten Maßnahmen
teilnimmt, unabhängig davon um welchen Fachbereich es sich handelt. Außerdem beinhaltet das
Case-Management, die Therapie so zu gestalten, dass es für den Patienten ein Ganzes ergibt,
konkreter ausgedrückt ein Streben nach innerer Harmonie in der Kombination von Beruf / Arbeit –
Freizeit, Kunst & Genuss – Gesundheit & Wellness, erreichbar durch die Teilnahme an auf die
Persönlichkeit und Probleme des Patienten abgestimmten Maßnahmen der Ergo- und Sporttherapie
(siehe 10.2).
Als Psycho- oder Sozialtherapeut führt der Bezugstherapeut die klassischen Verfahren der
Verhaltenstherapie wie Diagnostik einschließlich Verhaltens- und Plananalyse, die Erstellung und
Verabschiedung eines Therapieplans gemeinsam mit dem Patienten und die Durchführung der
indizierten
Interventionen
(z.B.
Aktivitätstraining,
Kognitive
Umstrukturierung,
Kommunikationsübungen). Außerdem ist der Einzeltherapeut, falls notwendig, für pädagogische
Interventionen zuständig, um dem Patienten das Vermeiden von Verstößen gegen die Hausordnung
oder von ungeschicktem Sozialverhalten zu erleichtern. Die Psychotherapie im Einzelkontakt
46
orientiert sich an den Wirkfaktoren von Grawe (1998): Ressourcen-Aktivierung,
Problemaktualisierung, Klärung und aktive Hilfe zur Problembewältigung. In Anlehnung an das 7Phasen-Modell von Kanfer & Grimm (1980) und an das Rubikon Modell von Heckhausen (1977a, b,
siehe Anhang) ist die Einzeltherapie in fünf aufeinanderfolgende aber sich überschneidende Phasen
aufgeteilt (Vollmer & Domma-Reichart, 2010a):
a) Diagnostik: in dieser Phase erfolgt, ebenso wie in der Medizin, eine erneute Prüfung der
Überweisungsdiagnosen, hier durch die Verhaltensanalyse, und es wird versucht den Patienten
ganzheitlich zu erfassen: manifeste Symptomatik entsprechend den ICD F-Diagnosen (z. B.
Persönlichkeitsstörungen, affektive Störungen), mentale Körperfunktionen (z. B. Funktionen der
Orientierung, Funktionen von Temperament und Persönlichkeit), Aktivitäten und Teilhabe (z. B.
Kommunikation, Haushaltsaufgaben, interpersonelle Interaktionen und Beziehungen) und
Umweltfaktoren (z. B. das Vorhandensein von Produkten für die Erwerbstätigkeit,
Lebensbedingungen Unterstützung durch Personen).
b) Therapiekompetenz: mit den Zielen einer Rollenstrukturierung, Vermittlung von Kompetenzen zur
Vermeidung oder Bewältigung kritischer Situationen während der Therapie, pädagogischen
Maßnahmen bei störenden Fehlverhaltensweisen, Festigung der Motivation zur stationären
Behandlung und zur Abstinenz während der Behandlung und Definition von Zielen, die der Patient
während der stationären Behandlung erreichen möchte,
c) Erprobungsphase: in dieser Phase werden kognitive, emotionale und behaviorale Reaktionen
ausprobiert, die für den Patienten nach der Behandlung hilfreich sein könnten. Es werden Ziele
angestrebt, die mit dem Patienten vereinbart worden sind und es werden abstinenzfördernde
Kompetenzen für nach der Therapie vermittelt (z. B. Bewältigung unangenehmer Gefühle,
angemessener Umgang mit Kritik, selbstsicheres Auftreten beim Ablehnen von Alkoholangeboten,
Konflikte in der Familie klären). Für Verhaltensänderungen die aus therapeutischer Sicht – im
Gegensatz zur Einstellung des Patienten – unbedingt notwendig sind, werden motivierende
Interventionen eingesetzt.
d) Motivierungsphase: es erfolgt die Motivierung zur Abstinenz für nach der Therapie und für
abstinenzfördernde Verhaltensweisen. In diesem entscheidenden Abschnitt der Behandlung sollten
die Patienten durch motivierende Gesprächsführung und andere motivierende Interventionen von
sich aus, ohne sich vom Therapeuten gedrängt zu fühlen, den Rubikon überschreiten, um dann die in
der Phase der Therapiekompetenz und der Erprobung vermittelten psychischen Fertigkeiten zur
Aufrechterhaltung der Abstinenz unter normalen alltäglichen Bedingungen in die Tat umzusetzen.
e) Volitionsphase: es werden Handlungen für die Zeit nach der Therapie vereinbart; Umsetzung
abstinenzfördernder Verhaltensweisen in und außerhalb der Klinik in Ausgängen und auf
Heimfahrten; Korrektur der Verhaltensweisen und erneutes Training; falls notwendig erneute
Motivierung zu einzelnen abstinenzfördernden Verhaltensweisen; sehr konkrete Planung der ersten
Monate nach Therapieende und Einleitung der ersten Schritte für die Umsetzung der Planung.
Nicht nur zur Erreichung einer langfristigen Abstinenz orientiert sich der Bezugstherapeut an den fünf
Therapiephasen, sondern auch zu der Erreichung weiterer Ziele, die er mit dem Patienten verfolgt.
Dazu gehören die Wiederherstellung oder Aufrechterhaltung der Erwerbsfähigkeit, der Aufbau von
47
Fertigkeiten, die die Wahrscheinlichkeit für eine (Beibehaltung der) Erwerbstätigkeit erhöhen, der
Aufbau von Fertigkeiten für ein abstinentes Leben bei vorübergehender Arbeitslosigkeit und die
Reduzierung komorbider psychischer und somatischer Störungen und manifester Symptome, die
nach der Behandlung eine akute Rückfallgefährdung bedeuten und daher nicht auf die
Folgebehandlung oder –betreuung verschoben werden sollte. Fertigkeiten, die der Patient in den
Indikativen Gruppen gelernt hat, werden in der Einzeltherapie gefestigt und subjektive Probleme, die
für den Patienten in der Ergo- und der Sport- und Bewegungstherapie und im Rahmen des
Sozialdienstes auftreten, werden in der Einzeltherapie bearbeitet, falls es mehrere Patienten betrifft
und von allgemeinem Interesse ist auch in der Bezugsgruppe.
8.2.2 Bezugsgruppe
In der Bezugsgruppe sind alle Patienten eines Therapeuten über den gesamten Behandlungszeitraum
versammelt. Gemeinsamer Gegenstand der Arbeit ist das Verstehen, Akzeptieren und Bewältigen der
Störung durch psychotrope Substanzen und der damit zusammenhängenden komorbiden Störungen
und Probleme. Das zugrunde liegende Konzept hat seinen Ursprung bei Grawe, Dziewas & Wedel
(1980) und bei Brown & Yalom (1977). In der Bezugsgruppe werden im verhaltenstherapeutischen
Kontext sowohl systemische als auch tiefenpsychologische Ansätze berücksichtigt. So haben zum
Beispiel Heigl-Evers & Heigl (1987) aufgrund theoretischer und praktischer Erwägungen Änderungen
an der tiefenpsychologisch orientierten Gruppentherapie bei Süchtigen vorgenommen, die sie als
„das Prinzip Antwort“ in ihrer psychoanalytisch-interaktionellen Therapie bezeichnen. Die
Unterschiede zum verhaltenstherapeutischen Vorgehen sind wesentlich geringer als viele
Berufsanfänger dieser beiden Therapierichtungen vermuten, was auf mehreren gemeinsamen
Suchttagungen sehr gut deutlich wurde (z. B. Heigl-Evers, Vollmer, Helas & Knischewski, 1988; HeiglEvers, Helas & Vollmer, 1993; Heigl-Evers, Helas & Vollmer, 1995). Ebenso verhält es sich mit
systemischen Ansätzen, bei denen wir uns an Thomasius (2000) und Thomasius & Küstner (2005)
orientieren. Der Schwerpunkt liegt aber in der interaktionellen verhaltenstherapeutischen
Gruppentherapie. Ende der Woche, am Freitag werden jeweils drei Bezugsgruppen
zusammengefasst, die Patienten reflektieren die Woche und berichten ihre Wochenendplanung.
Allgemeine Ziele, die sowohl in den einzelnen Bezugsgruppen als auch in der zusammengelegten
Bezugsgruppe verwirklicht werden sind (Yalom 1974):









Erleben, dass man mit dem eigenen Leiden nicht allein dasteht, sondern es mit anderen teilt.
Durch das Miterleben, wie andere mit ihren Problemen allmählich besser fertig werden,
Hoffnung schöpfen.
Die Erfahrung machen, für andere wichtig zu sein und ihnen helfen zu können.
Gefühle zulassen und offen äußern.
Das Wiedererleben und Bearbeiten von Beziehungssituationen, die denen in der eigenen
Familie ähnlich sind.
Zusammengehörigkeit erleben und selbst etwas dazu beitragen.
Einsichten in das eigene seelische Funktionieren gewinnen.
Offene Rückmeldung bekommen, welche Wirkung man mit seinem Verhalten bei anderen
erzielt.
Verantwortung
für
sich
selbst
übernehmen,
für
die
eigenen
Gefühle, Meinungen, den Charakter und das Leben, das man führt.
48



Neues zwischenmenschliches Verhalten lernen und erproben.
Hilfestellung und Anleitung durch andere Gruppenmitglieder und den Therapeuten erfahren.
Indirekte Lernerfahrungen machen, indem man sich mit anderen Gruppenmitgliedern
identifiziert.
Die Aufgabe des Therapeuten ist die Steuerung der Gruppenprozesse, ohne ein vorgegebenes
strukturiertes Manual, um die obigen allgemeinen Ziele zu erreichen unter Wahrung der spezifischen
Rehabilitationsziele und Umlenkung des manchmal chaotischen Verhaltens der Gruppenmitglieder in
konstruktive Problemlösungen. Außerdem hat der Therapeut die Aufgabe die Gruppensitzungen
ressourcen- und lösungsorientiert zu gestalten und zu beachten, dass die Thematik von (fast) allen
Gruppenmitgliedern als persönlich relevant und als zielorientiert erlebt wird.
8.2.3 Rückfallprävention
Die Prävention von Rückfällen und Strategien zur Beendigung eines Rückfalls sind zentrale Themen
dieser Gruppe.
In dieser Gruppe lernt der Patient kognitive, emotionale und behaviorale Strategien wie er seine
Abstinenz nach der Behandlung aufrechterhalten kann bzw. für Patienten ohne eine F10.2 Diagnose,
wie sie Punktabstinenz erreichen können. Folgende Themen werden in dieser Gruppe behandelt, die
sich an das Vorgehen von Schneider & Kramer (2009) orientiert:
Therapieziele: Der Patient stellt seine anfänglichen persönlichen Therapieziele (und seinen
Therapieplan) zur Diskussion.
Suchtentwicklung: Anhand einer für alle sichtbar aufgemalten so genannten „Lebenslinie“ erläutert
er die Entwicklung seiner Sucht und möglicher Zusammenhänge mit Lebensereignissen. Er beschreibt
„Wendepunkte“, an denen sein Alkoholkonsum zugenommen bzw. abgenommen hat.
Abwehrmechanismen: Der Patient listet zunächst alle negativen Auswirkungen seines
Alkoholkonsums auf und erläutert dann, auf welche Weise er früher gegenüber sich und anderen
versucht hat, diese zu verheimlichen bzw. zu verharmlosen: „Wie habe ich es geschafft, das nicht
wahrzunehmen, wichtig zu nehmen und als Anlass für Veränderungen zu nehmen?“ Die
Mitpatienten vergleichen dies mit ihren eigenen Abwehrmechanismen.
Abhängigkeitsverständnis: Der Patient stellt seine persönliche Ansicht zur Diskussion, woran er
festmacht, dass er abhängig ist. Patienten, die sich nicht für abhängig halten, können dies begründen
und zur Diskussion stellen.
Therapiezwischenbilanz: Der Patient stellt ungefähr zur Hälfte der geplanten Therapiezeit seinen
bisherigen Therapieverlauf zur Diskussion und bittet um Rückmeldung.
Abstinenz-Gefährdungs-Situationen: Der Patient erläutert, welche Situationen für ihn ein besonderes
Risiko enthalten, dass die Abstinenz unterbrochen oder für längere Zeit beendet wird. Gemeinsam
mit den Mitpatienten werden die wichtigen Bestandteile der Risikosituationen des Patienten
herausgearbeitet.
49
Ablehnungstraining: Der Patient übt im Rollenspiel das selbstsichere Ablehnen von
Alkoholangeboten in sozialen Verführungssituationen. Er stellt hierbei zur Diskussion, in welchen
Situationen er sich zu seiner Abhängigkeit bekennen will und in welchen nicht.
Argumente für Abstinenz vertreten: Der Patient stellt die wichtigsten Gründe für seine künftige
Alkoholabstinenz in der Therapiegruppe zur Diskussion. Die Mitpatienten sollen und dürfen
versuchen die vorgetragenen Argumente gezielt zu attackieren und zu widerlegen.
Rückmeldung: Der Patient erbittet von seinen Mitpatienten eine begründete Stellungnahme,
inwiefern er eingeschätzt wird, ein abstinentes Leben zu schaffen und woran er noch arbeiten sollte.
Bewältigte Abstinenz-Gefährdungs-Situationen: Es werden Situationen berichtet, die für die
Patienten kritisch waren und wie sie diese Situationen erfolgreich bewältigt haben, seien es
Situationen in der Klinik oder auf Heimfahrten.
Konkrete Planung: Die Patienten schildern ganz konkrete Pläne für die Zeit nach der Therapie mit
besonderem Schwerpunkt auf der ersten Wochen. Diese Pläne beinhalten Umgang mit kritischen
Situationen, Vorsätze und konkrete Nachsorgebemühungen (z. B. Selbsthilfegruppenbesuch,
ambulante Weiterbehandlung).
8.2.4 arbeits- und berufsbezogene psychologische Therapie
Ebenso wie die Einzeltherapie, die Bezugsgruppe und die Rückfallprävention ist die arbeits- und
berufsbezogene Gruppe für alle Patienten verbindlich. Ziel ist die Verbesserung der behavioralen,
emotionalen und kognitiven Kompetenz sowohl für Erwerbstätige, Personen in Ausbildung,
Arbeitslose und für Rentner. Einerseits können die Gruppen voneinander profitieren, andererseits
werden sie bei sehr spezifischen Themen in Kleingruppen aufgeteilt. Unter anderem hat diese
Gruppe folgende Themen, die psychotherapeutisch behandelt werden: Zufriedene Arbeitsgestaltung,
Zeitmanagement, Arbeiten als Arbeitsloser, Freizeit bei Arbeitslosigkeit, Freizeit bei hohem
Arbeitsanfall, Stress am Arbeitsplatz, Kommunikation mit Arbeitskollegen, Verhalten gegenüber
Vorgesetzten, Teamarbeit etc.
Beruflich belastende und auch erfolgreiche Situationen werden analysiert, und es werden adäquate
Strategien zum Umgang mit schwierigen Situationen vermittelt. Anhand von Problem- und
Verhaltensanalyse werden spezifische Belastungssituationen erarbeitet und problematische
Reaktionen identifiziert. Dabei werden dysfunktionale Gedanken und inadäquate Bewertungen in
Bezug auf beruflich bedingte Ereignisse mittels kognitiver Methoden umstrukturiert. Zur Erweiterung
sozialer Fertigkeiten zum Umgang mit schwierigen Situationen werden am Beispiel eigener Anliegen
alternative Bewältigungsstrategien in Rollenspielen geübt. Positive Erfahrungen und schwierige
Situationen in der Ergotherapie werden regelmäßig reflektiert. Konkrete Vorsätze für die berufliche
Zukunft und für erwartete schwierige Situationen am Arbeitsplatz werden von den Patienten
definiert. Diese Gruppe ist eng vernetzt mit der Ergotherapie und dem klinischen Sozialdienst.
50
9
Sozialdienst
9.1 Diagnostik
In der ersten Woche der Rehabilitationsbehandlung wird durch den Sozialdienst abgeklärt, ob bei
einem Patienten in folgenden Bereichen Probleme vorliegen:

in der Existenzsicherung, wie z.B.
Übergangsgeld,
Sozialhilfe,
Beihilfen,
Klärung von Ansprüchen,
Schulden

bzgl. der beruflichen Situation wie z. B.
Gefährdung des Arbeitsplatzes,
Kündigung vor Antritt der Rehabilitation,
Arbeitslosigkeit und Gründe dafür,
Berufliche Perspektiven

bzgl. der Wohnsituation, z. B.
Zustand der Wohnung,
Mietvertrag (z. B. Kündigung),
Miete

geplante Nachsorgemaßnahmen, z. B.
Vermittlung in Adaption,
Betreutes Wohnen
Für Patienten mit Problemen am Arbeitsplatz oder arbeitslose Patienten wird eine erweiterte
Berufsanamnese erstellt. Diese Anamnese beinhaltet:
a) Erfassung der Problemfelder am Arbeitsplatz und Klärung von Wünschen des Patienten
b) Erfassung der persönlichen Stärken / Fähigkeiten und Schwächen in beruflicher Hinsicht,
c) Klärung von Anforderungsprofilen am Arbeitsmarkt,
d) differenzierte Ermittlung der Gründe für die Arbeitslosigkeit
9.2 Sozialdienstbetreuung und klinische Sozialarbeit
Sozialdienstbetreuung
Eine Indikation für die Betreuung durch den Sozialdienst in Einzel- oder Gruppenkontakten liegt vor,
wenn der Patienten überfordert ist behördliche, sozialrechtliche oder juristische Probleme zu
bewältigen, wie z. B. Unklarheiten mit dem Übergangsgeld, mit Reisekosten für Familienangehörige
oder auch juristische Probleme. In der ersten Woche nehmen alle Patienten an einer
Informationsgruppe teil, in der die Arbeit des Sozialdienstes vorgestellt und die wichtigsten
sozialrechtlichen Fragen geklärt werden. Erfahrungsgemäß ist für fast alle Patienten die Teilnahme
an einer der Sozialdienstgruppen für wenigstens einige wenige Sitzungen notwendig.
51
Ein nicht geringer Teil der Rehabilitanden ist in sozialen und existenziellen Nöten, die es zuerst zu
mindern gilt, damit überhaupt eine Aufnahmefähigkeit für die Behandlung erreicht wird und die
Patienten sich der Therapie ihrer Suchterkrankung zuwenden können. In Gruppen, in denen
Patienten mit ähnlichen Problemen zusammenkommen, unterstützen sich die Patienten gegenseitig
unter Beachtung, dass sie für sich selbst Verantwortung übernehmen und entsprechend ihren
Fähigkeiten im Selbstmanagement Lösungen suchen und in die Tat umsetzen. Sie werden von den
Mitarbeitern des Sozialdienstes in folgenden Bereichen unterstützt und angeleitet:










die Beantragung von Übergangsgeld: Hier wird im Einzelfall geprüft, ob ein Anspruch besteht;
wenn ja, Unterstützung bei der Beantragung unter Berücksichtigung der neuen gesetzlichen
Richtlinien nach SGB IX
die Beantragung von Grundsicherung / „Eingliederungshilfe“: Während einer stationären
Rehabilitationsmaßnahme kann die Zuständigkeit vom örtlichen Träger der Sozialhilfe auf
den überörtlichen Träger übergehen. Das ist jedoch von Bundesland zu Bundesland
verschieden und muss im Einzelfall geprüft und ggf. neu beantragt werden. Anfragen bzgl.
außerordentlicher Beihilfen, wie z. B. Kleidergeld, werden vom Sozialdienst geprüft und beim
Kostenträger beantragt. Der Sozialdienst weist die Patienten immer wieder darauf hin,
Quittungen für die Praxisgebühr bei externen Arztbesuchen oder Zuzahlungen für
Medikamente zu sammeln, damit umgehend ein Antrag auf Befreiung bei der Krankenkasse
gestellt werden kann.
Vorschüsse: Der Sozialdienst prüft Anfragen der Patienten auf einen Vorschuss in
Rücksprache mit den Bezugstherapeuten darauf hin, inwieweit er notwendig ist
(therapeutisch indizierte Heimfahrt, Vorstellungsgespräch für Adaption). In Einzelfällen wird
der Kauf der Fahrkarten organisiert.
Reisekosten: Aufklärung über die Bestimmungen für An- bzw. Abreise sowie für
Familienheimfahrten. In Ausnahmefällen muss die Kostenübernahme für zusätzliche
Fahrtkosten beantragt werden (z. B. schwere Erkrankung oder Tod eines
Familienangehörigen, Sicherung der Wohnsituation, Vorstellungsgespräch bei einem
Arbeitgeber, Vorstellung für eine externe Adaptionsbehandlung, Vorstellung bei einem Platz
für Betreutes Wohnen)
Arbeitssuche: Beratung und Betreuung bzgl. Kontakte zu regionalen Arbeitsämtern (ggf. mit
Durchführung von Eignungstests), Fahrten zum BIZ nach Köln
Behördenkontakte: Unterstützung bei Kooperation mit Behörden wie Arbeitsamt,
Berufsförderungswerke, Berufstrainingszentren
Zuzahlung: Klärung und Beantragung der Befreiung von der Zuzahlungspflicht
Befreiung der Zuzahlung bei Zahnersatz: Patienten, die ALG II oder Grundsicherung beziehen,
können bei ihrer Krankenkasse einen Antrag auf Befreiung der Zuzahlung bei Zahnersatz
stellen. Der Sozialdienst berät die Patienten und leistet auch hier Hilfestellung.
Die MPU-Beratung: Der Sozialdienst kooperiert mit einem MPU-Berater in Köln; er
koordiniert und organisiert die monatlich stattfindenden Gruppenberatungen unserer
Patienten.
Wohnung: Kontaktaufnahme zu Vermietern im Konfliktfall (Mietschulden etc.); Hilfestellung
und Motivierung bei der Suche nach einer Wohnung (Zeitung, Internet, Initiativgesuche
formulieren); Hilfestellung bei der Beantragung einer Sozialwohnung; Hilfestellung bei der
Beantragung von Wohngeld; Beantragung von Darlehen (Sozialamt, Agentur für Arbeit, Arge,
52



Wohnungsamt); Klärung von Nachsorgemöglichkeiten (Betreutes Wohnen, betreutes
Einzelwohnen)
Klärung rechtlicher Fragen: Die Fragen betreffen das Zivilrecht (Scheidungsrecht,
Unterhaltsforderungen, Trennungsjahr, Gewaltschutzgesetz), das Arbeitsrecht (Was tue ich
bei einer Kündigung? Was ist bei einem Aufhebungsvertrag zu beachten?), das Sozialrecht
(Was kann ich tun, wenn die Arbeitsagentur / Arge, Sozialamt keine Leistungen bewilligt?)
und das Strafrecht (Gerichtsverhandlungen, Straftaten, Zeugenaussagen). Der Sozialdienst
hilft bei der Klärung solcher Fragestellungen. Zudem besteht ein regionales Netzwerk zu
Rechtsanwälten der verschiedenen Fachrichtungen. Finanziell schlecht gestellte Patienten
können zudem über einen Beratungsschein vom Amtsgericht des Wohnortes einen Anspruch
auf Rechtsberatung erwerben.
Die Schuldenregulierung: Sie umfasst die Elemente a) Klärung der Schuldensituation (IstZustand), b) Kontaktaufnahme zu Gläubigern, c) Klärung von Leistungen, d)
Schuldnerberatung, e) Insolvenzverfahren und f) Gesetzliche Betreuung. Die
Schuldnerberatung durch spezialisierte Berater ist für den Überschuldeten kostenlos.
Allerdings ist mit einer Wartezeit von bis zu einem halben Jahr zu rechnen. Wichtig ist
deshalb eine frühzeitige Information im Rehabilitationsverlauf. Durch das Internet können
sich unsere Patienten ebenfalls bei den einzelnen Beratungsstellen informieren: (www.bagschuldnerberatung.de; www.verbraucherzentrale-hessen.de; www.verbraucherzentralen.de;
www.sozialnetz-nrw.de). Neben der Möglichkeit des privaten Insolvenzverfahrens weisen wir
unsere Patienten auf mögliche Unterstützungsforen hin, die Darlehen bzw. Gelder zur
Schuldentilgung bewilligen (z. B. die „Marianne von Weizsäcker Stiftung“). Wenn alle diese
Angebote nicht in Frage kommen und der Patient mit einer Klärung der eigenen
Angelegenheiten vollkommen überfordert ist, kann eine Betreuung beantragt werden. Ein
Teil der Patienten hat bereits bei Aufnahme eine gesetzliche Betreuung; der Sozialdienst
nimmt in diesen Fällen regelmäßig Kontakt zu den Betreuern auf, um den
Behandlungsverlauf und die Nachsorgebetreuung gut zu koordinieren. Äußert der Patient
den Wunsch, seine gesetzliche Betreuung aufzugeben, wird dies in enger Kooperation mit
dem Bezugstherapeuten, Bezugsarzt und der Betreuungsstelle thematisiert, und es werden
ggf. „Realitätstrainings“ in Form der Führung eines Haushaltsbuches, der Einteilung des
Geldes etc. durchgeführt, um die Eigenverantwortlichkeit der Patienten zu prüfen.
Im Verlauf der Behandlung besucht jeder Patient einer Nachsorgegruppe, in der über die
verschiedenen Möglichkeiten nach der Rehabilitationsmaßnahme informiert wird.
Klinische Sozialarbeit
Indikationen für die Teilnahme an Maßnahmen der klinischen Sozialarbeit bestehen, wenn Patienten
arbeitslos sind, der Arbeitsplatz gefährdet ist, ein Arbeitsplatzwechsel auf Grund der
Suchterkrankung notwendig ist oder wenn sehr starke Belastungen am Arbeitsplatz bestehen, so
dass die Abstinenz gefährdet ist.
Sowohl in Einzelgesprächen als auch in der Gruppe wird die Planung der beruflichen Zukunft
Arbeitsloser oder von Arbeitslosigkeit Bedrohter bearbeitet, im Idealfall im konkreten
Bewerbungsverfahren.
Der Fokus der Interventionen liegt in der zielorientierten Berufsplanung, vor allem um einen neuen
beruflichen Einstieg zu schaffen (Arbeitslosigkeit, Umschulungssuche).
53
Neben einer „Ist-Analyse“, welchen Stellenwert die Arbeit im Leben des Einzelnen hatte oder hat,
werden Hintergründe der Arbeitslosigkeit in Gruppen gemeinsam erarbeitet. Im weiteren Verlauf
werden zur Klärung einer realistischen Berufsplanung die persönlichen Neigungen und Fähigkeiten
eruiert. Bisherige persönliche Kompetenzen und positive Erfahrungen bei der Suche nach
Arbeitsstellen werden gefördert.
Ein Schwerpunkt der Behandlung liegt in der Vermittlung von Fertigkeiten, die für eine erfolgreiche
Suche nach einer Arbeitsstelle notwendig sind:
Indikativgruppe: Richtig bewerben
In dieser Gruppe werden folgende wesentliche Rehabilitationsziele verfolgt: eine vertiefende
psychosoziale Stabilisierung durch die Verbesserung der Chancen auf dem Arbeitsmarkt, die
Vermittlung von sozialen Basisinformationen, den Erwerb von Handlungskompetenz, die Erarbeitung
von Perspektiven sowie die Aktivierung von beruflichen Ressourcen.
Die Gruppe „Richtig bewerben“ ist in zwei Komponenten aufgeteilt. Der Baustein „Bewerbungen
schreiben“ bietet allen Patienten im Laufe ihrer Therapie die Möglichkeit, eine Bewerbungsmappe zu
erstellen. Die zweite Einheit bildet das „Bewerbungstraining“ im klassischen Sinne und ist für die
Patienten indiziert, die über das „Bewerbungen schreiben“ hinaus weitere therapeutische Hilfe
benötigen, Handlungskompetenzen aufzubauen.
Bewerbung schreiben
Inhalt:
 Selbständiges Nutzen von Online-Jobbörsen (www.arbeitsagentur.de, www.jobpilot.de,
usw.)
 Erstellen eines aktuellen Lebenslaufes unter den Gesichtspunkten: wie gestalte ich einen
Lebenslauf, wie gehe ich mit Lücken im Lebenslauf um, etc.
 Erstellen einer kompletten Bewerbungsmappe mit Berücksichtigung der aktuellen Berufsund Lebenssituation
 Anpassung einer Bewerbung an die Anforderungen des Arbeitsplatzes
Ziele:



Der Patient/die Patientin ist am Ende der Therapie im Besitz einer vollständigen schriftlichen
Bewerbungsmappe (Deckblatt, Anschreiben, Lebenslauf) und hat diese bei Bedarf auch
digital gespeichert
Der Patient/die Patientin ist über die Möglichkeiten einer Onlinebewerbung informiert und
hat diese ggf. online eingestellt
Der Patient/die Patientin wird über verschiedene Möglichkeiten der Arbeitssuche informiert
und kann sich schon während der Therapie z.B. über das Internet auf die Suche nach einer
geeigneten Arbeitsstelle begeben.
Patienten ohne PC-Kenntnisse erhalten zudem eine integrierte PC-Schulung, um ihre persönlichen
Unterlagen erstellen zu können (siehe 10.2.1).
54
Bewerbungstraining
Inhalt:





Ziele:




Möglichkeiten der Arbeitssuche
Erarbeiten von persönlichen Stärken und Schwächen für eine potentielle Arbeitsstelle
Rollenspiele mit Videoaufzeichnung zur Vorbereitung für ein Bewerbungsgespräch
Wie gehe ich mit dem Thema „Alkohol und Drogen“ in einem Bewerbungsgespräch um
Thema Bewerbungsgespräch: welche Fragen sind erlaubt und wie kann / sollte ich auf nicht
erlaubte Fragen reagieren
Eigene Fähigkeiten und Schwächen (in Bezug auf eine mögliche Arbeitsfähigkeiten) erkennen
Eine Entscheidung in Bezug auf das Thema „Alkohol und Drogen“ bei einem potentiellen
neuen Arbeitgeber treffen – bin ich ehrlich, was passiert wenn ich lüge, Alkoholabhängigkeit
als Krankheit, etc.
Selbstsicherheit und Routine in Bezug auf Bewerbungsgespräche finden
sich Wissen zum Thema „wie finde ich eine Arbeitsstelle“ aneignen
Patienten für die eine externe Arbeitserprobung indiziert ist, die im Rahmen der
Entwöhnungsbehandlung in Kooperationsbetrieben durchgeführt werden kann, erproben ihre in der
Gruppe „Richtig bewerben“ vermittelten Fertigkeiten vor Antritt der Arbeitserprobung bei der
betreffenden Stelle.
55
10 Ergo- und Sporttherapie
Auch in der Ergo-, Sport- und Bewegungstherapie gilt das Prinzip den Patienten in seiner Ganzheit zu
erfassen und zu behandeln. Wir haben die Maßnahmen der Ergo-, Sport- und Bewegungstherapie
drei Bereichen zugeordnet, entsprechend den Zielen, die mit den Maßnahmen verfolgt werden:
Beruf & Arbeit; Freizeit, Kunst & Genuss und Gesundheit & Wellness und dieses Vorgehen im
Abschnitt „Prinzipien der Behandlung“ (siehe Anhang) begründet. Angebote aus dem Bereich Sport
und Bewegungstherapie befinden sich je nach therapeutischem Ziel in dem Bereich Gesundheit oder
Freizeit. Der Bezugstherapeut als Case-Manager achtet auf eine individuelle, patientenspezifische
Vernetzung von Maßnahmen der Bereiche Arbeit, Freizeit und Gesundheit. Besonders wichtig ist eine
Harmonie zwischen diesen Bereichen für Patienten, die im abstinenten Zustand zu exzessiven
Arbeitsverhalten neigen und dadurch ihre Erwerbsfähigkeit schädigen.
Wir gehen davon aus, dass alle drei Bereiche gleichermaßen wichtig sind für die Erreichung einer
langfristigen Abstinenz und Aufrechterhaltung der Erwerbsfähigkeit. Beruf, Freizeit und Gesundheit
stehen miteinander in Wechselwirkung. Sie beeinflussen sich gegenseitig. Defizite in der
Freizeitgestaltung führen zu Problemen in der Arbeit und können zu Gesundheitsschäden führen.
Eine ausgeglichene Lebensgestaltung, eine Harmonie zwischen Arbeit, Freizeit und Gesundheit ist ein
guter Schutz vor Rückfällen und vor einer Gefährdung der Erwerbsfähigkeit. So wird in die
Behandlung darauf geachtet, dass alle Patienten Leistungen aus allen drei Bereichen in Anspruch
nehmen. An welchen Maßnahmen die Patienten teilnehmen hängt einerseits von ihren Interessen ab
und andererseits von der Indikation. Ein Patient mit einer Diagnose Rückenbeschwerden wird
motiviert an der Rückenschulung teilzunehmen und eventuell auch am Schwimmen. Ein Patient, der
sehr verschlossen ist, dem es sehr schwer fällt über Gefühle zu reden, wird zu der Gruppe Bild und
Gespräch motiviert. Sportlich interessierte Patienten nehmen im Bereich Freizeit, Kunst & Genuss an
den sportlichen Angeboten teil wie Tischtennis oder Volleyball. Patienten, die weniger sportlich sind,
sich mehr für Kunst interessieren, müssen zwar auch an den sportlichen Basisprogrammen
teilnehmen, können sich aber mehr auf Veranstaltungen konzentrieren, die eine Auseinandersetzung
mit Kunst beinhalten, sei es Malerei, Literatur oder Film. Unser Grundgedanke ist, dass nach den
Prinzipien der Indikation und des persönlichen Interesses für jeden Patienten beachtet wird, dass er
individuelle Angebote aus den drei Bereichen Arbeit & Beruf; Freizeit, Kunst & Genuss und
Gesundheit & Wellness in Anspruch nimmt und dass Planungen erstellt werden, wie nach der
Behandlung ein ausgeglichener Lebensstil durch Beibehaltung von Aktivitäten in allen drei Bereichen
gewährleistet werden kann. So sollte der Erwerbstätige Planungen entwickeln für seine Freizeit und
für seine Gesundheit, um beides zu genießen und Belastungen in der Arbeit besser bewältigen zu
können. Ein Rentner hingen sollte Planungen erstellen, wie er seine Freizeit gestalten möchte, wie er
ein gesundes Leben führt und welche arbeitsnahen Aktivitäten (handwerkliche Arbeiten im eigenen
Haus oder Beschäftigung mit einem Hobby) er in seiner Freizeit durchführen möchte. Im Rahmen des
Sozialdienstes erkunden die Patienten bereits während der Behandlung Angebote in ihrer Region und
erschließen sich neue Lebensräume, anfangs über Internet, später durch Besuche während ihrer
Heimfahrten. Das Case-Management für die Vernetzung der drei Bereiche Beruf & Arbeit; Freizeit,
Kunst & Genuss und Gesundheit & Wellness während der Behandlung und für die Zukunftsplanung
des Patienten liegt beim Bezugstherapeuten und erfordert eine enge Kooperation zwischen
Ergotherapie, Sporttherapie, Medizin, Psychotherapie und Sozialdienst. Voraussetzung für einen
sinnvollen Einsatz der ergo- und sporttherapeutischen Maßnahmen ist eine umfassende Diagnostik,
die von allen Fachbereichen aufeinander abgestimmt durchgeführt wird (Vollmer & DommaReichart, 2010b).
56
10.1 Diagnostik
Drei Verfahren werden von Beginn der Behandlung an zur ergotherapeutischen Diagnostik eingesetzt
 MELBA ist ein Instrument zur beruflichen Rehabilitation und Integration (Bundesministerium
für Arbeit und Sozialordnung 1999). Die Abkürzung steht für: Merkmalprofile zur
Eingliederung Leistungsgewandelter und Behinderter in Arbeit. Es ist ein wissenschaftlich
abgesichertes Assessment-Verfahren in der sozialmedizinischen Diagnostik arbeitsbezogener
Probleme, das auch die vorhandenen Kompetenzen ins Blickfeld der Rehabilitanden rückt.
MELBA ist ein Verfahren, mit dem einerseits die Fähigkeiten eines Rehabilitanden und
andererseits die Anforderungen einer Tätigkeit dokumentiert werden können. Dazu stellt das
Verfahren ein Fähigkeits- und ein Anforderungsprofil bereit. Der Vergleich dieser beiden
Profile ermöglicht darüber hinaus eine fähigkeitsadäquate Platzierung. Anhand
standardisierter Aufgaben, wie z. B. das Herstellen einer Schachtel, werden zu allen
berufsbezogenen Schlüsselqualifikationen, für die normierte Werte vorliegen, verlässliche
Einschätzungen möglich. Die 29 Bereiche, die in Melba erfasst werden sind: Antrieb,
Arbeitsplanung, Auffassung, Aufmerksamkeit, Ausdauer, Durchsetzung, Feinmotorik,
Kontaktfähigkeit, Konzentration, Kritische Kontrolle, Kritisierbarkeit, Lernen/Merken, Lesen,
Misserfolgstoleranz, Problemlösen, Pünktlichkeit, Reaktionsgeschwindigkeit, Rechnen,
Schreiben, Selbständigkeit, Sorgfalt, Sprechen, Umstellung, Verantwortung und Vorstellung.
 Klinikinternes halbstandardisiertes Interview. Es wurde von Prof. Dr. Wolfgang Domma
gemeinsam mit den Ergotherapeuten in der salus klinik Arnsberg entwickelt und es werden
diagnostische Informationen zum Arbeits- Freizeit- und Gesundheitsverhalten erfasst.
 Klinikinternes halbstandardisiertes Interview zu vergangenen und zukünftigen
Arbeitsanforderungen, zur Motivation, zur Emotionalen Kompetenz und zur sozialen
Kompetenz im Arbeitsbereich.
 Verhaltensbeobachtungen (Ereignis- und Zeitstichprobe) in der Ergotherapie, die im
Dokumentationssystem der Klinik niedergelegt werden und für alle zuständigen Therapeuten
zugänglich sind.
Nach der medizinischen Untersuchung durch den aufnehmenden Arzt erhalten die Patienten einen
Fitness-Check in der Sporttherapie. Getestet werden Ausdauer, Kraft, Koordination und
Beweglichkeit. Im Anschluss daran bekommt jeder Patient ein persönliches Beratungsgespräch mit
einem Sporttherapeuten von ca. 20 Minuten.
10.2 Leistungsangebote
Die Ergo- und die Sporttherapie sollen verloren gegangene oder noch nicht vorhandene Funktionen
körperlicher, geistiger oder psychischer Art über handlungsorientierte Aktivitäten verbessern, so dass
die Betroffenen größtmögliche Selbständigkeit und Unabhängigkeit in ihrem Alltags- und Berufsleben
erreichen. Die Aktivitäten umfassen lebenspraktisches Handeln, handwerkliche Aktivitäten und
gestalterische Prozesse, die zu einer Verbesserung der Handlungsfähigkeit im Alltag, der
gesellschaftlichen Teilhabe und der Lebensqualität führen. Dementsprechend umfasst insbesondere
die Ergotherapie ein breites Spektrum an Bereichen wie die Arbeitstherapie, Haushaltstraining,
Gedächtnistraining, Freizeitkompetenztraining, Kunst- und Gestaltungstherapie.
57
10.2.1 Beruf und Arbeit
Während es im Sozialdienst und in der klinischen Sozialarbeit um Arbeitssuche geht (z. B.
Bewerbungsschreiben, Vorstellungsgespräche), steht in der Ergotherapie im Bereich „Beruf und
Arbeit“ die Aufrechterhaltung eines Arbeitsverhältnisses im Zentrum, einschließlich der Arbeit im
eigenen Haushalt. Dazu gehört unter anderem, die geforderten und notwendigen Aufgaben einer
Arbeitsstelle zu erfüllen, rechtzeitig zur Arbeit zu erscheinen, in der Gruppe zu arbeiten, Ordnung am
Arbeitsplatz. Die Teilnahme an diesem Bereich ist für alle Patienten sinnvoll: für Erwerbstätige,
Arbeitslose, Hausfrauen/-männer Rentner und Auszubildende. Durch gegenständliches und
zweckgebundenes Tun wird in diesem Bereich zum Erreichen der Rehabilitationsziele beigetragen. Je
nach Gruppe und nach Leistungsfähigkeit wird die Arbeitstherapie individuell auf den Patienten
abgestimmt bzgl. der Ziele, der Aufgaben und der Anforderungen. Auch ein Rentner kann von der
Arbeitstherapie profitieren, in dem er lernt seinen Tag durch für ihn sinnvolle Tätigkeiten zu
strukturieren und noch Fertigkeiten z. B. im Umgang mit Computern oder durch Gartenarbeiten
lernt, die er bisher noch nicht beherrschte. Besonders wichtig ist die Arbeitstherapie für
Erwerbstätige, Arbeitslose und Auszubildende. Dieser Gruppe werden Aufgaben mit „Ernstcharakter“
gestellt; sie werden gefordert, sich auf ungewohnte oder für ihn schwierige Aufgaben einzulassen
und sie erhalten Hilfestellung zu deren Bewältigung. Fehlende Fertigkeiten, die für die
Erwerbstätigkeit notwendig sind, können erworben werden wie zum Beispiel handwerkliches
Geschick oder Umgang mit Computern. Weitere Zielbereiche sind: Verbesserung der Ausdauer und
Stetigkeit, Einhalten von Zeit- und Qualitätsvorgaben, Erkennen und Lösen von Problemen,
Verbesserung der Kooperationsfähigkeit. Diese Ziele werden zu Beginn individuell, konkret und
transparent definiert und im Prozess adaptiert.
In dem Bereich Beruf & Arbeit stehen je nach Indikation folgende Bereiche für die Patienten zur
Verfügung:
EDV und Bürokommunikation
Für Patienten, die bereits Grundkenntnisse im Umgang mit Computern besitzen wird ein
Büroarbeitsplatztraining angeboten. Jeweils zwei Patienten arbeiten an Einzelarbeitsplätzen,
angeleitet durch eine Bürofachkraft. Anhand von fachspezifischen Übungsunterlagen und SchulungsCD’s bzw. klinikinternen Arbeitsaufträgen (Schreibarbeiten, Führen einer Patientenbibilothek,)
werden Arbeiten ergebnisorientiert überprüft. Darüber hinaus wird die Arbeit mit dem Computer
auch zur Erfassung der Belastungserprobung und zur Verbesserung der Arbeitsausdauer, des
Durchhaltevermögens und der Konzentrationsfähigkeit während der Arbeit eingesetzt.
Je nach Kenntnisstand werden den Patienten verschiedene PC-Kurse angeboten:
„Computer für Einsteiger“ vermittelt Grundregeln zum Umgang mit Computern bei Anfängern. Die
therapeutische Aufgabe liegt darin, Versagensangst vor Computerbedienung abzubauen und
Selbstvertrauen hierfür zu entwickeln. Mittels spezieller „Spiele“ sollen die Grundelemente bei
Schreiben und Gestaltung von Texten, Speichern und Wiederfinden geübt werden.
„Computer für Fortgeschrittene“ vertieft allgemeine Computer-Grundkenntnisse. Dabei werden die
erweiterten Möglichkeiten zum Arbeiten mit verschiedenen Programmen, insbesondere Windows
und Excel veranschaulicht (Aufbau der Programme, Ordner anlegen, Verknüpfungen herstellen,
Möglichkeiten in der Bedienung durch die rechte Maustaste etc.).
58
„Word intensiv“ vertieft speziell die Kenntnisse zum Bedienen vom Schreibprogramm Word. Das Ziel
ist, die Arbeitsweise in diesem Standardprogramm zu vereinfachen und höhere Arbeitseffektivität zu
erreichen (Einrichten und Benutzen der Symbolleisten, Einfügen von Seitenzahlen, Fußnoten,
Querverweisen und Grafiken, automatisches Erstellen von Inhaltsverzeichnissen, Zeichenanimation,
WordArt, Spalten, Nummerierungen, Aufzählungen, Rahmen, Tabellen, Formatvorlagen u. a.).
Schreinerei und Metallbau
Für Patienten, die ihre handwerklichen Fähigkeiten reaktivieren, vertiefen oder auch neu erlernen
möchten, bietet sich der Arbeitstherapiebereich Handwerk an.
Hier werden Grundarbeitsfähigkeiten in der Holzbearbeitung sowie dem Metallbau vermittelt. Auch
spezielle handwerkliche Fähigkeiten (z. B. Malerarbeiten) können in diesem Bereich erlernt werden.
Unser moderner Schreinerei-Maschinenraum ermöglicht es, Maschinenkenntnisse zu erwerben,
neue Möbel herzustellen sowie alte Möbelstücke aufzuarbeiten. Darüber hinaus sind die Patienten
für Werkzeugpflege und Instandhaltung verantwortlich.
Dieser Arbeitsbereich gestattet es insbesondere, in Kleingruppen zu arbeiten, dadurch auch
Leitungsfähigkeiten und Durchsetzungsvermögen zu erproben. Stress- und Konfliktmanagement am
Arbeitsplatz kann in realitätsnaher Umgebung angewendet und umgesetzt werden. Durch
Projektarbeiten können Patienten selbstverantwortlich Arbeiten planen, diese entsprechend
durchführen und ein Endobjekt fertigstellen.
Garten- und Landschaftspflege
Die Arbeitstherapie findet entsprechend schwerpunktmäßig in den Außenanlagen der Klinik statt.
Inhalt der Arbeit sind die Pflege und Instandhaltung der Grünanlagen. Darüber hinaus wird eine
Obstplantage angelegt, die von den Patienten versorgt wird. Des Weiteren sollen in den nächsten
Jahren verschiedene Projekte mit der Arbeitstherapie umgesetzt werden: Garten der Sinne;
Labyrinth; Grillplatz. Auch Vorschläge der Patienten sollen in diesem Bereich Beachtung finden.
Ähnlich wie im Bereich „Handwerk“ bildet die Gruppenarbeit einen Schwerpunkt, so dass u. a. soziale
Kompetenzen trainiert werden können. Anstehende Projekte müssen erst geplant werden, so dass
auch „Büroarbeiten“ mit in diesen Bereich einfließen.
In den beiden Arbeitsbereichen „Handwerk“ und „Garten- und Landschaftspflege“ sollen Synergien
genutzt und bereichsübergreifend gearbeitet werden.
Soziales und Hauswirtschaft
Dieser Bereich ist besonders für die Patienten geeignet, die die sich in den letzten Jahren nicht mehr
selbst versorgt haben oder denen grundlegende Fertigkeiten in der Haushaltsführung fehlen. Das
Training in Aktivitäten des täglichen Lebens besteht vorwiegend aus praktischen Übungen. Es soll die
Patienten befähigen, unter Berücksichtigung ökonomischer Gesichtspunkte eine Wohnung zu pflegen
und die wesentlichen Arbeiten zu bewältigen, die im Haushalt anfallen. Inhalte sind unter anderem
Bügeln, Wäsche waschen, (Anleitung, Benutzung einer Waschmaschine), Tipps zur Raumpflege
(Begehung des Patientenzimmers) kleinere Näharbeiten (Knöpfe annähen, Hosensaum umnähen),
günstig Einkaufen und schließlich Kochen mit den Themen „Kochen für Singles“; „fettarm Kochen“
und „Kochen für Gäste“.
59
Funktionstraining
Neben indikativen Angeboten zum Training des Gleichgewichts, der Koordination und der
Wahrnehmung liegt bedingt durch die Folgen des exzessiven Gebrauchs psychotroper Substanzen ein
Schwerpunkt in der Verbesserung der kognitiven Fertigkeiten, insbesondere der
Gedächtnisfunktionen. Es werden verschiedene Trainings angeboten für Patienten bei denen durch
eine neuropsychologische Testung folgende starke Einschränkungen nachgewiesen werden:





im Ultrakurzzeitgedächtnis,
im Kurzzeitgedächtnis
im Langzeitgedächtnis,
kognitiven Funktionsstörungen und
andauernde Konzentrationsstörung.
Je nach Indikation besteht die Möglichkeit zwischen zwei verschiedenen Trainings:
Cogpack
Computergestütztes Gedächtnistraining Cogpack bedeutet computergestütztes Hirnleistungstraining
mittels Computer. Das Programm trainiert alle kognitiven Fähigkeiten, wie Wahrnehmung,
Aufmerksamkeit, Merkfähigkeit, Informationsverarbeitung und Problemlösung. Das CogpackProgramm umfasst mittlerweile über 100 Test- und Übungsprogramme mit jeweils mehreren
Varianten
zu
den
Bereichen,
Visumotorik,
Auffassung,
Reaktion,
Merkfähigkeit,
sprachliche/intellektuelle Fähigkeiten und Sachwissen. Ziel ist eine Verbesserung von Konzentrations, Leistungs- und Motivationsstörungen.
Im Gedächtnistraining werden Konzentration, Aufmerksamkeit, Merkfähigkeit (Kurz- und
Langzeitgedächtnis) sowie das gesamte Spektrum des Denkens trainiert und damit basale Fähigkeiten
der Erwerbsfähigkeit verbessert.
CAT
Im Gedächtnistraining „CAT“ werden mittels diverser bewährter Übungsmaterialen Denken in
Zusammenhängen (assoziatives Denken), Erinnern, Wortfindung, Merkfähigkeit, Konzentration,
Kommunikation, Aufmerksamkeit und Informationsverarbeitung gezielt trainiert und verbessert. Die
Trainingsteilnehmer werden an mentale Strategien herangeführt, die zur Bewältigung der
Alltagspflichten von großem Nutzen sind. Für alle Betroffenen, auch für Nichterwerbspersonen, ist
der Trainingsfortschritt in diesen Trainingsprogrammen eine der wirksamsten Rückmeldungen für die
positiven Veränderungen im Genesungsprozess und damit ein Verstärker für Selbstverantwortung
und die weitere Arbeit an sich selbst.
10.2.2 Freizeit, Kunst & Genuss
Die Verbesserung der emotionalen Funktionen (z. B. Angemessenheit) und der von Temperament
und Persönlichkeit (z. B. Ausgeglichenheit), der Aufbau von Handlungen und Kognitionen, die
Voraussetzung für angemessene interpersonelle Interaktionen sind (z. B. auf Gefühle anderer
reagieren), die eine Teilhabe am Gemeinschaftsleben erleichtern (z. B. Vereine) und von Handlungen
und Kognitionen zur Erholung und Freizeit (z. B. Ausflüge) stehen im Vordergrund des
60
ergotherapeutischen Bereiches Freizeit, Kunst & Genuss, der eng verzahnt ist mit Interventionen der
klinischen Sozialarbeit und der Psychotherapie.
Ausdrucksorientierte Ergotherapie
Im Mittelpunkt der ausdrucksorientierten Ergotherapie stehen Funktionen von Temperament und
Persönlichkeit wie Offenheit gegenüber Erfahrungen, Optimismus, Umgänglichkeit und emotionale
Funktionen wie affektive Kontrolle und Schwingungsfähigkeit, Übereinstimmung von Gefühl und
Situation. Ein Teil unserer Patienten ist in Wahrnehmung und Ausdruck von Emotionen erheblich
gestört. Oft ist die Verbindung zwischen dem ursächlichen Geschehen und den zugehörigen
Emotionen, Haltungen und Deutungen zerrissen, die Einsicht in das Krankheitsgeschehen eher
verschlossen. Bei manchen Patienten ist der Ausdruck von Emotionen sehr wechselhaft und sogar
selbst schädigend. Leichte Störungen in diesem Bereich bessern sich oft durch die gestalterische
Tätigkeit oder durch die Auseinandersetzung mit künstlerischen Werken im Rahmen des
beschäftigungstherapeutischen Angebots. Bei starker Ausprägung ist die Teilnahme an
gestaltungstherapeutischen Angeboten indiziert, in denen an den Inhalten und den Strukturen der
Gestaltungen sowie an den begleitenden Kognitionen und Emotionen gearbeitet wird. Aber auch
sportliche Aktivitäten können sich sehr positiv auf die Psyche der Patienten auswirken (siehe 7.5).
Bild und Gespräch
Das Ausdrucksmalen und –gestalten ist ein Verfahren, um im Sinne einer Problemaktualisierung nach
Grawe (1998) emotionale und biographische Komplexe, Konflikte, Hemmungen, Ängste und
Bewertungen zu aktivieren, zum sichtbaren Ausdruck zu bringen, zu betrachten, neu zu erleben und
neu zu bewerten.
Das Gestalten von Bildern und Skulpturen erfordert den gleichzeitigen koordinierten Einsatz des
Körpers, des psychischen und geistigen Vermögens der Menschen. Die dabei aktivierten psychischen
Komplexe spiegeln sich in ihrer Struktur und Intensität in der Gestaltung wieder.
Bewegungsempfinden, taktile und optische Reize wirken unmittelbar auf den Gestaltungsprozess
zurück und hinterlassen Niederschläge in den beteiligten neuronalen Strukturen. Dieser Prozess ist
der eigentliche Inhalt der Gruppe Ausdrucksmalen.
Es findet ebenfalls eine Realitätsprüfung statt, wie weit die Bilder und Assoziationen mit objektiven
Daten, Familienerzählungen etc. übereinstimmen oder divergieren. Das dient der Integration in ein
zusammenhängendes Selbstbild. Allein deshalb kann die Bildbesprechung sinnvoll sein. Das Bild ist
ganz Eigentum seines Schöpfers, das heißt, er bestimmt, was er vorstellt, wem und wie weit er die
Inhalte zugänglich macht, ob und von wem er Anregungen, Rückmeldungen und Kommentare
annimmt. Die Interpretation des Patienten ist gültig.
Ziele sind:
 Förderung der Ausdrucksmöglichkeiten von Stimmungen, Fantasien, Ängsten und Haltungen
 Klären, Verbalisieren und Neustrukturieren von affektivem Erleben, Konflikten, Beziehungs- und
Motivationsgeflechten
 Aufgabe übersteigerter Kontrolle
 Verbesserung der emotionalen Regulation
 verbessertes Verstehen und teilweise Aussöhnung mit dem Krankheitsgeschehen.
61
Indikationen: Patienten



deren Gefühlsausdruck einer Hemmung unterliegt,
deren unstrukturierter, evtl. überschießender Gefühlsausdruck einer „ordnenden“ Gestaltung
zugänglich gemacht werden soll,
bei denen bestimmte Komplexe durch Tabuisierung, Traumatisierung, inadäquate
Konfliktlösungen… nicht oder schwer zugänglich sind oder unzureichend integriert wurden.
Kontraindikation sind folgende komorbide Diagnosen:


ICD-10 Diagnose: F20, Schizophrenie
ICD-10 Diagnose: F43.1, Posttraumatische Belastungsstörung
Leben, um davon zu erzählen
In dieser Kunst-, Literatur- und Filmgruppe wird versucht den Patienten einen gesunden Umgang mit
Medien, eine kritische und aktive Haltung zu Film und Fernsehen zu vermitteln. Außerdem sollen
Lesegewohnheiten aufgebaut werden und ein schöpferischer und kommunikativer Umgang mit den
Medien Film, Theater und Literatur. Gemeinsam mit dem Therapeuten wählen die Patienten
Gemälde, Literaturstellen und Filme aus, mit denen sie sich ästhetisch und inhaltlich
auseinandersetzen.
Indikation: diese Gruppe ist für alle Patienten geeignet, die daran Interesse haben, insbesondere für
Patienten mit Defiziten in ihrem Freizeitverhalten.
Freies Gestalten
Im „Freien Gestalten“ haben die Teilnehmer viele Möglichkeiten, in einer überschaubaren Gruppe mit
ganz unterschiedlichen Materialien zu experimentieren: Holz (Mobiles, Puzzles, Laubsägearbeiten,
Holzbrandtechnik, Schnitzen), Seide / Stoff (Seidenmalerei, Stoffmalerei, Stoffdruck), Papier / Malen /
Zeichnen (mit oder ohne Vorlagen, Aquarelle, Buntstiftzeichnungen, Ölkreiden, Filzstifte;
Geschenkschachteln, Collagen, Papierobjekte, Papiermaché); Ton, Gips, Töpfern, Encaustik,
Gipsmasken, Peddigrohr werken, Speckstein usw.
Der Kurs aktiviert die Teilnehmer über die leicht erlernbare Bearbeitung dieser Materialien, führt zu
sichtbaren Ergebnissen und wirkt so Abgeschlagenheit und Antriebslosigkeit entgegen. Mitunter sind
die Arbeiten langwierig in der Herstellungszeit, und die Teilnehmer arbeiten daran in ihrer Freizeit am
Abend und am Wochenende weiter.
Einige Räume der Ergotherapie stehen den Patienten zu diesem Zweck an jedem Wochenende und an
Abenden zur Verfügung, an denen keine Zusatzkurse angeboten werden.
Indikation:


für alle Patienten geeignet
Interesse des Patienten
62
Freizeitkompetenz
In dem Bereich Freizeitkompetenz stehen abwechselnd ergotherapeutische, sozialarbeiterische,
sporttherapeutische und psychotherapeutische Interventionen im Vordergrund.
Indikationen bestehen besonders für:
 Patienten mit Defiziten im Freizeitverhalten
 Patienten, die exzessiv gearbeitet haben
aber ebenso
 für alle Patienten, mit je nach Persönlichkeit und Interessen unterschiedlichen
Schwerpunkten
Für die Patienten gibt es verschiedene Angebote zu einer nachhaltigen Verbesserung des
Freizeitverhaltens. Gemeinsam mit dem Patienten klärt der Bezugstherapeut, welche Aktivitäten der
Interessenlage des Patienten entsprechen und am ehesten geeignet sind für die Zeit nach der
Behandlung. Es wird darauf geachtet, dass jeder Patient ein breites Spektrum an
Freizeitmöglichkeiten kennenlernt und wenigstens einige Male ausprobiert.
Computer
Computerkenntnisse sind nicht nur für die Arbeitswelt unverzichtbar, sondern auch für die
Gestaltung eines zufriedenen Freizeitverhaltens sehr nützlich. So lernen die Patienten in der Gruppe:






Zeitmanagement am PC (wie viel Zeit verbringe ich am Computer?)
Suchtprävention z. B. bei PC Spielen (was mache ich am Computer?)
Sinnvolle Nutzung des PCs für die Freizeitgestaltung (digitale Fotoverarbeitung,
Schreibwerkstatt, Erstellen von Visitenkarten, Einladungen, Glückwunschkarten, etc.)
Gezieltes „Surfen“ im Internet, zeitlich begrenztes Chatten, Internet als Kommunikationsmittel
spezielle Programmnutzung z. B. zum erstellen von Zeichnungen, Routenplanernutzung,
Reiseinformationen, Freizeitkalender der Heimatorte
Kontaktaufnahme zu Vereinen und ehrenamtlicher Arbeit
Sport
Im Unterschied zu dem Bereich Gesundheit und Wellness mit den Angeboten der Sport- und
Bewegungstherapie, geht es hier um die Vermittlung von Handlungen, die es den Patienten
erleichtern sollen, sich auch nach Abschluss der medizinischen Rehabilitationsbehandlung an
sportlichen Aktivitäten zu beteiligen. Dazu nehmen die Patienten an verschiedenen
sporttherapeutischen Angeboten der Klinik teil. Während im Sport und Bewegung die Verbesserung
der aktuellen körperlichen Situation im Vordergrund steht, geht es bei der Freizeitkompetenz, um die
(Wieder-)Entdeckung befriedigender und gesundheitsfördernder sportlicher Aktivitäten für die Zeit
nach der Therapie. Die sportlichen Bereiche sind so ausgewählt, dass alle Patienten wenigsten an
einem Angebot teilnehmen können. Die Patienten können in Absprache mit dem betreuenden Arzt
auswählen zwischen


Fitness in der Freizeit: Zirkeltraining; Ausdauertraining
Tischtennis: Erlernen von Grundfertigkeiten und Technik
63



Badminton: Erlernen von Grundfertigkeiten und Technik
Volleyball: Erlernen von Grundfertigkeiten und Technik
Wandern, Schwimmen, Radfahren
Außerdem besteht für die Patienten die Möglichkeit in ihren therapiefreien Zeiten Sonderangebote
des direkt an der Klinik gelegenen Fitnesscenters und Schwimmbades zu nutzen.
Kultur in der Region
Auch diese Maßnahme ist für alle Patienten geeignet und dient der Teilhabe am sozialen und
gesellschaftlichen Leben in der Hoffnung, dass die Patienten Anregungen für die Zeit nach der
Behandlung erhalten. Die Lage der Klinik gestattet die Nutzung einer Vielzahl kostengünstiger
kultureller Angebote. Das „Bürgerhaus Hürth“ ist ein innovatives Veranstaltungshaus, in dem
unterschiedlichste kulturelle Angebote stattfinden. Theater-, Tanz- und Musikaufführungen diverser
Genre finden regelmäßig statt. Bekannt ist die „Hürther Jazznacht“, die einmal im Jahr ein großes
Publikum von auswärts nach Hürth lockt. Kleinere Hausmessen informieren ihre Besucher über
regionale Entwicklungen. Auch das „Feierabendhaus“ in Hürth bietet über das Jahr verteilt
unterschiedliche Veranstaltungen an. Im „Löhrerhof Hürth“ finden insbesondere Kabarett,
Kleinkunst, Jazzmusik und Veranstaltungen für Kinder statt.
Das große Kino UCI bietet die Möglichkeit aktuelle Filme zu schauen. Im traditionsreichen Berli-Kino
werden aktuelle und ausgefallenere Filme gezeigt. Hier erhalten unsere Patienten vergünstigten
Eintritt. Ebenso findet einmal in der Woche in der Klinik die „Film-AG“ (unter therapeutischer
Leitung) statt, in der Filme besprochen und für das „Patienten-Kino“, das jeden Freitag durchgeführt
wird, ausgesucht werden.
Des Weiteren gibt es in Hürth verschiedene Sportvereine, deren Spiele und Veranstaltungen man
häufig kostenfrei besuchen kann.
Die Stadt Hürth besitzt eine Stadtbücherei, die Bücher, Hörbücher und Filme verleiht.
Die Nähe zu Köln und Bonn ermöglicht es, ein umfangreiches Kulturprogramm zu nutzen, das
insbesondere auf einer Vielzahl von Museen aufbaut.
Von Klinikseite aus werden Gruppenausflüge mit und ohne therapeutische Leitung in die nähere
Umgebung unterstützt. Darüber hinaus werden Patientenbesuche einiger Einrichtungen in Hürth von
Klinikseite subventioniert (z. B. Schwimmbad mit Solebad, Kino, Fußballspiele).
Falls notwendig werden die Patienten durch einen Therapeuten oder durch Mitpatienten an die
Hand genommen, um wenigstens für eine kurze Zeit in neue Lebensbereiche einzutauchen, in der
Hoffnung, dass sich dadurch neue Interessen entwickeln oder alte wiederbelebt werden, die ihnen
ein abstinentes Leben erleichtern.
Zukunftsplanung
Mit den Patienten wird gemeinsam festgelegt in welchen Freizeitbereichen (Sport, Gestaltung, PC,
Kunst) sie während der Behandlung Schwerpunkte setzen. Im letzten Drittel der Behandlung wird mit
ihnen dann gemeinsam ein Freizeitplan für die Zeit nach der Therapie erstellt. Dazu können unter
64
anderem gehören der Besuch von Sportvereinen, Büchereien, VHS-Kursen, ehrenamtliche Arbeiten,
Kontaktaufnahme zu alten Freunden ohne Alkohol- und Drogenproblemen.
10.2.3 Gesundheit und Wellness
Die Sport- und Bewegungstherapie, die ein Schwerpunkt in dem Bereich Gesundheit & Wellness ist,
lässt sich definieren als eine bewegungstherapeutische Maßnahme, die mit geeigneten Mitteln des
Sports gestörte körperliche, psychische und soziale Funktionen kompensiert, regeneriert,
Sekundärschäden vorbeugt und gesundheitlich orientiertes Verhalten fördert. Sporttherapie beruht
auf biologischen Gesetzmäßigkeiten, bezieht besonders pädagogische, psychologische und
soziotherapeutische Verfahren mit ein und versucht eine überdauernde Gesundheitskompetenz zu
erzielen.
Die Ärzte, die Sporttherapeuten und die Bezugstherapeuten motivieren die Patienten in der Klinik
deshalb zu gesundheitsfördernden Maßnahmen, wie Rückenschule, Wirbelsäulengymnastik,
Polyneurophathie- und Adipositasgruppe. Wenn es für das Wiedererlangen der Erwerbsfähigkeit
zwingend erforderlich ist, werden solche Maßnahmen auch durch den zuständigen Arzt angeordnet,
falls alle anderen Motivierungsstrategien scheitern. Das Angebot richtet sich nach den Beschwerden
der Patienten. Die Maßnahmen der Sport- und Bewegungstherapie sind bereits ausführlich unter 8.5
beschrieben. Zusätzlich gestattet die Lage der Klinik die Nutzung einer Vielzahl von Gesundheit &
Wellness Angeboten. So werden die Patienten bereits während des Aufenthaltes in der Klinik
unterstützt für sie passende Angebote in Selbstkontrolle wahrzunehmen, in der Hoffnung, dass sie
dadurch auch für die Zeit nach der Therapie die für sie notwendigen sport- und
bewegungstherapeutischen Übungen fortführen und ein gesundheitsbewusstes Leben führen.
65
11 Indikative Behandlungsschwerpunkte
Während die unter 8.2 genannten psychotherapeutischen Interventionen verpflichtend für alle
Patienten sind, da für (fast) alle Patienten eine Indikation vorliegt und von daher keine Probleme
bestehen, die Patienten in Gruppen zusammenzufassen, geschieht eine verpflichtende Teilnahme an
den folgenden Interventionen nur wenn eine eindeutige Indikation vorliegt. Ob zusätzlich zu der
Einzeltherapie eine Gruppe angeboten wird ist abhängig von der aktuellen Prävalenz der psychischen
und somatischen Störungen in der Klinik und die Frequenz und Dauer dieser Gruppen ist abhängig
von der Anzahl der Patienten mit der betreffenden Indikation. So lag zum Beispiel bei 80 % der
Patienten eine Tabakabhängigkeit (F17) vor, bei 28 % eine Schlafstörung (F51), bei 24 % eine
depressive Störung (F32, F33, F34.1), bei 10,3 % eine Abhängigkeit von anderen Psychotropen
Substanzen als Alkohol (F12, F13, F14, F15, F16, F19) und bei 7 % wurde neben der Abhängigkeit von
Psychotropen Substanzen die Diagnose Pathologisches Glücksspiel (F63.0) gestellt. Auf Grund der
hohen Prävalenz werden für diese Störungen immer indikative Gruppen angeboten. Wegen ihrer
besonderen Bedeutung, ihres Suchtcharakters und des in der Regel hohen Schweregrades nehmen
die Patienten mit einer F19 und F63.0 Diagnose an den indikativen Gruppen „Mehrfachabhängigkeit“
und „Spielabhängigkeit“ durchgehend teil, d. h. ebenso wie bei den Bezugsgruppen während ihres
gesamten Therapieaufenthaltes. Die Teilnahme an den anderen indikaktiven Gruppen erfolgt je nach
individueller Problematik, in der Regel erstreckt sich die Teilnahme über 8 Wochen. Die Dauer der
Gruppensitzungen ist abhängig von der Anzahl der Teilnehmer. Sollten sich zum Beispiel nur drei
Patienten mit der Diagnose Adipositas in der Klinik befinden, so wird mit den Patienten regelmäßig
eine Gruppensitzung von ca. 20 minütiger Dauer durchgeführt. Befinden sich 12 Patienten mit dieser
Diagnose in der Klinik, so liegt die Dauer der Gruppe zwischen 60 bis 90 Minuten. Im Folgenden sind
nur die Störungen bzw. Interventionen gelistet, zu denen nach unseren Erfahrungen in der Regel
mehrere Patienten betroffen sind, so dass die Gruppengröße meistens zwischen 8 bis 12 Personen
liegt. Je nach therapeutischer Notwendigkeit werden die Gruppen auch geschlechtsspezifisch
getrennt.
Sämtliche suchtspezifischen Indikationsgruppen als auch die Indikationsgruppen für komorbide
psychische Störungen finden Bezugsgruppen übergreifend statt. Patienten können je nach Indikation
und Schweregrad der spezifischen Störung während der gesamten Behandlungszeit an der
Indikationsgruppe teilnehmen.
11.1 suchtspezifische indikative Leistungsangebote
11.1.1 Mehrfachabhängigkeit
Diese Gruppe ist verpflichtend für polyvalent Abhängige und werden getrennt durchgeführt für
Patienten mit
-
Cannabisabhängigkeit
Amphetamin-, Partydrogen- und / oder Kokainabhängigkeit
Medikamentenabhängigkeit
Bei Mehrfachabhängigen stehen häufig trotz äußerlich erkennbarer Hinweise auf eine
Abhängigkeitsentwicklung subjektiv psychische oder psychosomatische Beschwerden im
66
Vordergrund. Da gelegentlich auch der ursprünglich ärztlich verordnete Beigebrauch von
Benzodiazepinen im polyvalenten Einnahmeverhalten eine erhebliche Rolle spielt (Künzel et al.,
1997), sind bei diesen Patienten die psychosomatische Störungen und die Abhängigkeit von
Medikamenten und Alkohol integrativ zu behandeln. Häufige Problembereiche, die bei
Mehrfachabhängigen vorliegen, werden in der Einzel- und Gruppentherapie standardmäßig
berücksichtigt. Dazu gehören:
1) Früher Drogenkonsum führt bei vielen dieser Patienten zu Defiziten in der Sozialisation, der
Reifung und zu einer Verzögerung von Entwicklungsprozessen. Es wurden keine Normen und Werte
ausreichend ausgebildet, an denen sie sich orientieren können; erstrebenswerte Ziele fehlen. Dies
hat negative Auswirkungen auf Selbstwert, Selbstvertrauen und die Konfliktfähigkeit.
Identitätsprobleme verbunden mit einer fehlenden Zugehörigkeit zu sozial angemessenen Gruppen,
die Schutz und Geborgenheit bieten und die Reifungsdefizite, erfordern besondere
Behandlungsmaßnahmen für diese Patienten, sei es die Vermittlung von Normen,
selbstwertsteigernde erlebnisorientierte Angebote, Angehörigengespräche, spezielle sportliche
Angebote und weitere individuelle Interventionen, die eine Nachreifung und Identitätsfindung
fördern. Zur Erreichung dieser Ziele ist häufig eine Behandlungszeit von mehr als 13 Wochen
notwendig.
2) Früher Beginn mit Drogen zum Beispiel mit Cannabis führte bei vielen dieser Patienten zu
Problemen in der Schule und in der Arbeit, wenn überhaupt eine Arbeitsstelle jemals angetreten
wurde. Bedingt durch die hohe Arbeitslosenquote dieser Patienten sind die arbeits- und
berufsbezogenen Maßnahmen und die Ergotherapie von besonderer Bedeutung, so dass in der
Gruppe Mehrfachabhängigkeit immer wieder motivierende Interventionen stattfinden zu einer
sinnvollen Nutzung dieser Angebote der Klinik.
3)
Störungen
der
Gefühlssteuerung:
Im
Rahmen
einer
emotional
instabilen
Persönlichkeitsentwicklung, depressiver Störungen oder eines gesteigerten Stimulationsbedürfnisses
können häufig nur wenige, extreme Gefühle empfunden oder unterschieden werden; es kommt zu
innerer Leere, Konfliktvermeidung, geringer Frustrationstoleranz, enormem Konsumverhalten.
Schnelllebigkeit, ruheloses Agieren, starker Bewegungsdrang, Suche nach dem nächsten “Kick” bei
gleichzeitiger innerlicher Unbeteiligtheit oder scheinbarem Desinteresse an anderen verweisen auf
eine Nähe zum Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom (ADS). Depressive Störungen können sowohl
Ausdruck einer tiefer gehenden persönlichen Problematik sein als auch bloßes Ergebnis des
Ausgebranntseins und Rückzugs nach dem Wochenende sowie dem damit verbundenen Verlust an
positiven Verstärkern.
4) Störungen im Bereich zwischenmenschlicher Beziehungen: In der Regel besteht noch ein starker
Bezug zur Familie, oft negativ oder abwehrend und wechselnd zwischen starker Wut und
Schamgefühlen. Die Familie wird häufig als nach außen funktionierend, materiell verwöhnend, aber
wenig Wärme gebend, mit hohen Leistungsansprüchen oder sadistischen Zügen eines Elternteils
beschrieben. So entsteht gegenüber den Eltern eine Spannung zwischen Dankbarkeit und SichWehren gegen hohe Ansprüche sowie dem Versuch, das eigene Bedürfnis nach Wärme und
Zuwendung zu vermitteln. Diese Ambivalenz ist oft nicht bewusst, sondern äußert sich nur im
heftigen Wechsel der Bewertung.
Im Verhältnis zu Gleichaltrigen besteht eine Tendenz zur Vereinzelung bei gleichzeitig zahlreichen
oberflächlichen Kontakten: Die Techno-Szene ermöglicht die Trance in der Masse ohne eine konkrete
67
Szenen-Zuordnung. Der Drogenkonsum erzwingt meistens einen Wechsel des Freundeskreises (User
sucht User), so dass mit der Aufgabe des Drogenkonsums kein fester Freundeskreis mehr besteht.
Immer wieder erkennen Patienten nach längerer Abstinenz, dass am Beginn ihres Drogenkonsums
soziale Ängste und der Wunsch nach Gruppenzugehörigkeit gestanden haben, aber die
Gruppenregeln („cool und hip sein“) das Verbalisieren und Erleben der Ängste nicht zuließen.
5) Selbstwertproblematik: Probleme in der Gefühlsregulation, Störungen der zwischenmenschlichen
Beziehungen und ein geringes Selbstwertgefühl bedingen sich gegenseitig. Dieser Teufelskreis findet
sich bei nahezu jeder psychischen Störung. Bei Mehrfachabhängigen führt die Betonung des
Leistungs- und des Lustprinzips zu einer zusätzlichen Destabilisierung des Selbstwerts: Die
Betroffenen erwarten von sich, erfolgreich zu sein und viel “Party zu machen”, gleichzeitig haben sie
Angst, den Leistungsansprüchen nicht zu genügen, oder sie verschieben die Leistungsbereitschaft in
den Freizeitbereich (Maxime ”immer schneller, härter, weiter – breiter”). Das “Ausgepowertsein”
nach dem Wochenende führt zu einer Vernachlässigung der Arbeit bzw. Schule und somit
zwangsläufig zum Versagen vor den eigenen Erwartungen.
6) Suche nach Sinn und Gemeinschaft: Nachdem die übergeordneten Ziele vergangener Jahrzehnte,
wie Demokratisierung, Emanzipation und Ökologie, ihre sinnstiftende Funktion zu verlieren scheinen,
bieten sich Musik als Identifikationsmedium und die Fixierung auf das Partyfeiern als Ersatz an. Der
Alltag wird als grau und langweilig empfunden, das Leben letztlich als sinnlos; so kann der Wunsch
nach (Dauer-) Rausch als Sinnsuche verstanden werden und die Illegalität als zusätzlicher Kick.
7) geringe Veränderungsmotivation: Mehrfachabhängige befinden sich in der Regel - selbst wenn sie
sich in eine stationäre Behandlung begeben haben - in der prädezisionalen Phase. Sie sind eventuell
bereit den Gebrauch einer Drogen einzustellen, sehen aber keine Probleme im Gebrauch anderer
psychotroper Substanzen und vertreten die Einstellung, dass es ihnen gelingen wird Alkohol oder
Cannabis reduziert zu konsumieren.
Diese Probleme der Patienten verlangen von den Therapeuten ein hohes Maß an Verständnis und
Akzeptanz für die Ambivalenz bezüglich des Substanzkonsums und der Therapie. Besonderes
Augenmerk wird darauf gelegt, Einsicht zu entwickeln, inwieweit bereits ein abhängiges oder
missbräuchliches Einnahmeverhalten der verschiedenen Substanzen bestand.
Ziele für die Therapie ergeben sich zunächst vor allem aus den Motiven, die bei der Einnahme der
Drogen eine zentrale Rolle spielten: die Steigerung der Erlebnisintensität, das subjektive Erleben von
Verbundenheit mit anderen und die Sinnarmut des Alltagslebens. Neben der Vermittlung von
Fertigkeiten zur Bedürfnisbefriedigung findet auch eine Auseinandersetzung mit den tatsächlichen
Fähigkeiten und Möglichkeiten statt. Der Tendenz zur Resignation dieser Patientengruppe wird durch
systematisches, konkretes Arbeiten in kleinen Schritten entgegengewirkt. Erlebnis- und
freizeitpädagogische Maßnahmen sind nach unseren Erfahrungen für Mehrfachabhängige hilfreich
und werden daher in das Gruppenangebot eingebaut und die Patienten werden motiviert an anderen
indikativen Gruppen (z. B. kreative Angebote der Ergotherapie, Angebote der Sporttherapie)
teilzunehmen.
68
11.1.2 Spielabhängigkeit
Indikation: komorbide ICD-10 Diagnose:
-
F63.0, Pathologisches Glücksspiel (Spielautomaten, Casino-Spiele, Sportwetten)
-
F63.8, weitere abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle, wie sie
beispielsweise bei pathologischem PC Gebrauch zu finden sind:
 Computerspiele wie „World of Warcraft” (mmorpg = massive multiplayer online role
play game) oder “ego-shooter” (z. B. “Counter Strike”)
 online-Glücksspiel (z. B. Poker, Wetten, Chatsucht)
Ziele dieser Gruppe sind:
 Abstinenz vom Glücksspiel
 reflektierter Umgang mit Spielen des alltäglichen Lebens (z. B. Gesellschaftsspiele,
Computerspiele, Computernutzung)
 Angemessenes Geldmanagement, Vorbereitung der Schuldenregulierung über hiesigen
Sozialdienst (Kontaktaufnahme mit Gläubigern, ggf. Einleitung eines privaten
Insolvenzverfahrens)
Diese Gruppe ist vollkommen auf die Problematik der Spielabhängigkeit ausgerichtet. Ursachen und
psychische Folgestörungen und –probleme werden in der Bezugsgruppe gemeinsam mit den
Patienten, die von psychotropen Substanzen abhängig sind bearbeitet.
Zu Beginn der Behandlung wurde mit den Patienten bereits vereinbart, dass sie während der
stationären Behandlung alle Glücksspiele (einschl. Lotto, Kartenspiele, Computerspiele) unterlassen
und ebenso alle Verhaltensweisen, die für sie persönlich Abhängigkeitscharakter haben (z. B.
Internetrecherchen, Fernsehen). In einem ersten Schritt werden mit den Patienten auf der
Grundlage verschiedener Spielertypologien (z. B. neurotisches, impulsives oder psychopathisches
Glücksspiel) Therapieziele erarbeitet und ein Therapieplan erstellt. Ein gegenseitiger Austausch
erlaubt den Patienten ihre eigenen Ziele zu reflektieren. Die in der Abstinenzgruppe erstellte
Lebenslinie zum Gebrauch psychotroper Substanzen wird in dieser Gruppe ergänzt durch die
Entwicklung des pathologischen Glücksspielens und durch andere exzessive Verhaltensweisen des
Patienten. Geleitet durch eine nicht-direktive Gesprächsführung des Therapeuten berichten die
Patienten untereinander, wie sie es in der Vergangenheit geschafft haben, Kritik von Bezugspersonen
von sich fern zu halten und ihr exzessives Verhalten vor sich selbst zu rechtfertigen. Durch
sokratischen Dialog und kognitive Umstrukturierung werden zu diesen die Abhängigkeit
aufrechterhaltenen Kognitionen alternative erarbeitet. Außerdem berichten die Patienten in der
Gruppe ihre bereits durchgeführten Schritte zur Reduzierung der negativen Folgen (z. B.
Schuldenregulierung, Wiederaufnahme von Kontakten zu alten Bezugspersonen, Klärung der durch
die Spielabhängigkeit entstandenen Beziehungsstörungen) und es werden weitere Schritte
vereinbart. Zu Gefährdungssituationen werden Bewältigungsstrategien erarbeitet, die auf der
kognitiven Ebene durch Disputation eingeübt und auf der Verhaltensebene durch Rollenspiele
gefestigt werden. Regelmäßig berichten die Patienten, welche Gefährdungssituationen sie
erfolgreich wie bewältigt haben und welche Situationen noch eine Überwindung darstellen, um für
diese Situationen noch Lösungsmöglichkeiten zu erarbeiten. Gegen Ende der Gruppe werden ganz
konkrete Pläne von den Patienten erstellt für die Zeit nach der Therapie mit dem Schwerpunkt auf
die ersten Wochen. Diese Pläne beinhalten Zieldefinitionen, welche Spiele erlaubt und welche nicht
69
erlaubt sind, welche exzessiven Verhaltensweisen sie nicht mehr durchführen werden und wie sie
sich in den in der Gruppe identifizierten Gefährdungssituationen verhalten werden. Außerdem stellt
jeder Patient vor welche weiteren Schritte er unternimmt, um die negativen Folgen, die durch sein
Glücksspiel entstanden sind, zu reduzieren.
11.1.3 Tabakabhängigkeit
Indikation:
 ICD-10 Diagnose: F17.1, schädlicher Gebrauch von Tabak
 ICD-10 Diagnose: F17.2, Abhängigkeit von Tabak
 Wunsch des Patienten
Da in den Gebäuden und auf dem Gelände der salus klinik - bis auf gekennzeichnete Raucherpavillons
im Freien – nicht geraucht werden darf, fühlen sich Raucher in ihren Gewohnheiten und Wünschen
erheblich gestört. Infolgedessen werden fast alle Raucher bezüglich dieser Gewohnheit
selbstaufmerksam, manche sogar selbstkritisch. Selten aber bilden sie alleine deshalb von sich aus
einen Änderungsvorsatz, und noch seltener setzen sie einen solchen Vorsatz in die Tat um. Dazu
bedarf es zusätzlicher Anreize oder Hilfen. Unser Ziel ist es, möglichst viele Patienten dazu zu
motivieren, auf das Rauchen ganz zu verzichten oder es zumindest einzuschränken. Unmotivierte
oder sehr gering motivierte Patienten erhalten in der Einzeltherapie Interventionen der
Motivierenden Gesprächsführung. Patienten, die den Vorsatz haben, von Tabak abstinent zu leben,
nehmen an der Gruppe teil.
Im
"Nichtraucher-Programm"
werden
verhaltenstherapeutische
Grundlagen
der
Raucherentwöhnung vermittelt. Ziel ist der Aufbau von Fertigkeiten, die eine selbstgesteuerte
Beendigung des Rauchens ermöglichen. Neben psychoedukativen Aspekten (Informationen zum
Störungsbild) werden dabei Strategien der Entscheidungsbildung (Abwägung der Vor- und Nachteile)
besprochen. Vor dem Hintergrund der Selbstbeobachtung des Rauchverhaltens (Anfertigung von
Protokollen) wird die konkrete Umsetzung des Rauchstopps (Schlusspunkt- vs. Reduktionsmethode,
kurzfristige Bewältigungsstrategien) geplant. Außerdem ist die langfristige Stabilisierung der
Tabakabstinenz (Selbstverstärkung, Rückfallvorbeugung) Inhalt der Gruppe. Die zeitnahe Beendigung
des Rauchens unter Anwendung der vermittelten Fertigkeiten wird angeregt und therapeutisch
begleitet.
11.2 indikative Leistungsangebote für weitere komorbide Störungen
Adipositas
Indikationen:
 ICD-10 Diagnose: E66, Adipositas
 Body-Mass-Index: > 30.
70
Schwerpunkt der Behandlung ist anfangs Halten des Gewichts, dann eine langsame und langfristig
geplante Gewichtsreduktion ohne Diät und ohne Einnahme von Medikamenten (zur Entwässerung,
zur Beeinflussung des Appetits oder der Nahrungsaufnahme im Darm), dafür mit gezielter
Veränderung des Essverhaltens und mit Aktivierung von körperlichem Ausgleichsverhalten (nicht nur
gewichtsbezogen, sondern auch zur Minderung bspw. des Herz-Kreislauf-Risikos, das mit
Übergewicht einhergeht). Die Anleitung zur Selbstbeobachtung, unter anderem anhand von
Essprotokollen, hilft, Zusammenhänge zwischen bestimmten Situationen, den dabei auftretenden
eigenen Gefühlen und Gedanken und dem Essverhalten zu klären. Dies trägt mit dazu bei, die
eigenen Einstellungs- und Verhaltensmuster und die im Laufe der Jahre erworbenen Gewohnheiten
zu erkennen, die zu dem unangepassten Essverhalten und zum Übergewicht geführt haben. Zum
Aufbau eines gesunden Essverhaltens gilt es, ganz bewusst Schritt für Schritt ein Gefühl für Appetit,
Hunger und Sättigung sowie ein selbstgesteuertes, genussvolles Essen (wieder) zu erwerben. Für
persönliche und zwischenmenschliche Schwierigkeiten und Konflikte, insbesondere für diejenigen,
die zur Entwicklung der Essstörung beitrugen oder die sie aufrechterhalten, werden neue Lösungen
gesucht und erprobt. Ebenso wichtig ist es, ungeachtet des Gewichtes ein besseres Gefühl für den
eigenen Körper zu entwickeln, Freude an körperlichen Aktivitäten (wieder) zu entdecken und das
Selbstvertrauen in verschiedenen sozialen Situationen zu stärken. In dieser Gruppe werden ebenso
wie in der Einzeltherapie die Erfahrungen, Erfolge und Misserfolge besprochen und gegebenenfalls
wird nach passenderen Lösungswegen gesucht. Durch gemeinsames Einkaufen und Kochen von
Speisen werden die theoretischen Inhalte praktisch erprobt. Gegen Ende der Behandlung spielt die
Rückfallprophylaxe eine besondere Rolle. Hierzu zählen im engeren Sinne Methoden der
Selbststeuerung, im weiteren Sinne die Vermittlung ambulanter Weiterbehandlungsangebote oder
Selbsthilfegruppen.
Angstbewältigung
Indikationen:
 ICD-10 Diagnose: F40, phobische Störung
 ICD-10 Diagnose: F41, sonstige Angststörungen
 ICD-10 Diagnose: F60.6, ängstliche Persönlichkeitsstörung
Diese Patienten leiden häufig unter starken Angstgefühlen in bestimmten Situationen wie
Fahrstuhlfahren, Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Kaufhäusern, Menschenmengen, großen
Plätzen, Dunkelheit oder Höhe leiden. Bei einigen geschehen die Angstanfälle aus heiterem Himmel
ohne erkennbare Auslöser. Die Ängste sind begleitet von intensiven körperlichen Symptomen wie z.
B. Herzrasen, Schwitzen, Engegefühl, Schwindel, weiche Knie oder Atembeklemmung. Die
Befürchtungen im Zusammenhang mit der Angst sind auf schlimme körperlich-geistige Folgen
gerichtet (z. B. Ersticken, Herzinfarkt, Schlaganfall oder Verrücktwerden) oder soziale Folgen (z. B.
Peinlichkeit, Ausgeliefertsein). Aufgrund dieser Angst können bestimmte Dinge nicht mehr getan (z.B.
zur Arbeit gehen, aus dem Haus gehen, in Urlaub fahren) oder nur unter intensiver Angst bewältigt
werden. Wie diese Beispiele verdeutlichen ist die Behandlung dieser Störungen eine Voraussetzung
für die beiden Therapieziele Abstinenz und Erwerbsfähigkeit.
In dieser Gruppe werden zunächst Informationen zu Angststörungen vermittelt, zum Beispiel wie die
Ängste entstanden sind, warum sie weiter bestehen bleiben, auch wenn sie irrational erscheinen. Im
71
weiteren Verlauf werden anhand typischer Angstsituationen der Teilnehmer auslösende Umstände,
begleitende Befürchtungen, die als überwältigend erlebten Gefühle sowie Flucht- bzw.
Vermeidungsreaktionen („Angst-Teufelskreis“) individuell analysiert. Mittels spezieller Übungen (z. B.
Hyperventilationstest) wird ein Angstzustand gezielt provoziert. Dadurch soll den Patienten
erkennbar werden, wie die Hyperventilationstetanie in dem Teufelskreis wirkt und die
Angstsymptome verstärkt. Zum Erlernen von alternativen Bewältigungsstrategien werden
Expositionsübungen durchgeführt: Bei diesem Verfahren werden die Patienten mit den bislang
vermiedenen Situationen konfrontiert. Dadurch lernen sie, unangemessene Befürchtungen zu
relativieren und ihre Angst eigenständig zu bewältigen.
Diese Indikativgruppe ist nicht sinnvoll für Patienten, bei denen diffuse Ängste, wie beispielsweise
Angst vor der Zukunft, vor Versagen oder vor Ansteckung mit Keimen haben bzw. bei denen die
Angst, Fehler zu machen, im Vordergrund stehen. Bei starken Ängsten vor Bewertung durch andere
Menschen, der Angst, vor anderen zu reden oder zu schreiben (soziale Phobien) ist das Soziale
Kompetenztraining angezeigt. Auch Ängste nach traumatischen Erfahrungen (z. B. nach
Vergewaltigung, Banküberfall etc., so genannte posttraumatische Belastungsstörungen) sind nicht
Inhalt dieser Gruppe. Diese Patienten mit posttraumatischen Belastungsstörungen (F43.1) werden
einzeln und in Kleingruppen behandelt.
Faire Kommunikation
Indikation:

Patienten mit Problemen im Kontakt zu nahestehenden Personen
o Bedürfnisse zu äußern
o Konflikte zu lösen
o Kritik zu akzeptieren
o Kritik angemessen zu äußern

Patienten mit den folgenden Persönlichkeitsstörungen, die bisher gut auf die Behandlung
ihrer Persönlichkeitsstörung ansprechen
o ICD-10 Diagnose: F60.3, emotional instabile Persönlichkeitsstörung
o ICD-10 Diagnose: F60.4, histrionische Persönlichkeitsstörung
o ICD-10 Diagnose: F60.7, abhängige Persönlichkeitsstörung
Bei dieser Gruppe handelt es sich um Patienten mit einer Neigung zu impulsiven Handlungen und
Wutausbrüchen in Konfliktsituationen (z.B. mit Kollegen, Familienangehörigen). Sie sind häufig nicht
in der Lage bei Auseinandersetzungen mit anderen den eigenen Standpunkt zur Zufriedenheit zu
vertreten. Sie haben oft den Eindruck, bei Konflikten unterlegen zu sein. Oder es sind auch Patienten,
die in der Partnerschaft oder gegenüber Familienangehörigen ihre Bedürfnisse nicht äußern können.
In den ersten Sitzungen werden den Patienten durch standardisierte Übungen
Kommunikationsregeln vermittelt. Dazu gehören Fertigkeiten, die bei der Äußerung von Wünschen,
Forderungen, Kritik, Meinungen und Gefühlen zu beachten sind und Fertigkeiten, die beim Zuhören
solcher Äußerungen für eine gute Beziehung hilfreich sind. Die Patienten lernen dabei eine
verbesserte Gefühlswahrnehmung und den Ausdruck angenehmer und unangenehmer Gefühle.
Außerdem wird durch Standardübungen vermittelt, wie man Konfliktgespräche durchführt. Nach
Kenntnis der grundlegenden Kommunikationsfertigkeiten, werden individuelle Situationen der
Teilnehmer bearbeitet. Es werden gemeinsam Lösungen gesucht unter Einsatz der Methode
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Problemlösen und in Rollenspielen werden auf der Grundlage der Kommunikationsprinzipien
alternative Strategien zum bisherigen unangemessenen Verhalten entwickelt. Ziel dabei ist es, die
Angst vor Konfliktsituationen zu reduzieren und neue Verhaltensweisen in scheinbar ausweglosen,
eingefahrenen Situationen zu erproben.
Positiv denken
Indikationen:
 ICD-10 Diagnosen: F32, F33, F34, F43
 mit einem Depressionswert im ADS-K (>18)
Diese Patienten leiden unter gedrückter Stimmung, Gefühle von Schwermut oder Melancholie,
häufiges Weinen, Gefühle der inneren Leere, Hoffnungslosigkeit, Ohnmacht, Einsamkeit und
Zukunftsängsten. Sie haben in der Regel Schwierigkeit, täglichen Anforderungen nachzugehen,
wegen Antriebslosigkeit sowie Konzentrationsbeschwerden und innere Unruhe. Außerdem liegt
häufig Lustlosigkeit, Appetitlosigkeit und/oder vermindertes Interesse an Sexualität und eine
Vernachlässigung früherer Aktivitäten vor.
Auf der Grundlage der individuellen Lebenssituation der einzelnen Patienten geht es in dieser Gruppe
um die Entwicklung allgemeiner Bewältigungsstrategien für depressives Erleben und Verhalten.
Dabei wird zunächst ein grundlegendes Verständnis für die Hintergründe von Depressionen erläutert.
Anhand ausführlicher Analysen von individuell typischen Situationen der depressiven Verstimmung
werden die entscheidenden Zusammenhänge (Denken, Fühlen, Handeln) erkannt und entsprechend
alternative, individuelle Lösungsversuche erarbeitet. Automatische depressogene Gedanken werden
als solche identifiziert und kognitiv umstrukturiert. Anhand der Spaltentechnik lernen die Patienten,
wie sie in Selbstregulation Neubewertungen vornehmen können. Durch ein Training in positiver
Selbstinstruktion lernen die Patienten, sich für persönliche Leistungen selbst zu verstärken und nicht
wie bisher selbst alle objektiv erfolgreichen Handlungen in Frage zu stellen. Besonderes Augenmerk
liegt in dieser Gruppe auf der Erhöhung der Aktivität durch geeignete Tätigkeiten, dem Erkennen
eigener negativer Denkansätze und entsprechend auf der Entwicklung gesunder, den Selbstwert
fördernder Denkmuster sowie auf einer geeigneten Rückfallprophylaxe.
Schlafqualität
Indikation:
 ICD-10 Diagnose: F51, nichtorganische Schlafstörungen
 Leiden an Einschlafschwierigkeiten trotz längerer Abstinenz
 Erwachen in der Nacht und lange Dauer bis zum erneuten Einschlafen
 Zu frühes Erwachen am Morgen
 Gefühl, „nicht richtig tief zu schlafen“
Kontraindikationen:
 Schlafstörungen als Folge von Schmerzen
 F20 Komorbidität
 Schwere Depression
73
Alkohol oder bestimmte Medikamente und Drogen erleichtern den Menschen zwar das Einschlafen,
aber als Nervengifte und somit für den Körper Stress erzeugende Substanzen führen sie dazu, dass
der Schlaf flacher und unruhiger wird. Häufiges Erwachen in der zweiten Nachthälfte und schlechtes
Einschlafen können weitere Folgen sein.
Das Ziel dieser Gruppe ist es, durch angeleitete Selbstbeobachtung eine kontinuierlich ansteigende
Schlafdauer zu erreichen. Das Verfahren basiert sowohl auf physiologischen wie auch
psychologischen Prinzipien. Hierdurch wird zum einen eine verbesserte Schlafkontinuität und ein mit
den übrigen biologischen Rhythmen synchroner Schlaf-Wach-Rhythmus bewirkt, zum anderen ergibt
sich für den Patienten durch den Wegfall stundenlanger Wachliege- und Grübelzeiten eine oft
spürbare Entlastung.
Zur Erfassung der Schlafdauer wird neben einem Selbstbeobachtungsprotokoll auch elektronisches
Gerät zur nächtlichen Verlaufskontrolle eingesetzt, das so klein und handlich ist, dass es die
Patienten mit auf ihr Zimmer nehmen und ganz „normal“ damit schlafen können. Am nächsten
Morgen geben sie es bei ihrer Ärztin ab, die das Schlafprotokoll über die Schlafstadien dann über den
PC auswertet und ausdruckt.
Nach der Auswertung und Besprechung der persönlichen und elektronischen Protokolle werden
Maßnahmen eingeleitet, welche die Mechanismen (Grübeln, Sorgen, Ärger) weitgehend
unterbinden, die den Schlaf stören. Die Ergebnisse diverser Studien zeigen, dass es so zu einer
deutlichen Zunahme der Schlafeffizienz kommt, die sich als stabil erweist und einen eventuellen
bisherigen Schlaftablettenkonsum in der Regel unnötig macht. Außerdem werden in der Gruppe mit
den Patienten sportliche und körperliche Aktivitäten vereinbart
In Kombination mit sporttherapeutischen Elementen ist die körperliche Aktivität zur Steigerung der
Effektivität des Schlaftrainings sehr wirksam.
Selbstsicherheit
Indikationen:
 ICD-10 Diagnose: F60.6 ängstliche Persönlichkeitsstörung
 ICD-10 Diagnose: F40.1 Soziale Phobie
 Häufiges Gefühl, die persönlichen Rechte und Bedürfnisse nicht angemessen
verwirklichen zu können (z. B. auf Ämtern, beim Einkauf, gegenüber Autoritätspersonen)
 Schwierigkeiten, in Beziehungen Gefühle und Wünsche mitzuteilen
 Regelhafte Vermeidung, fremde Menschen anzusprechen oder jemanden um etwas zu
bitten
 Starke Sorgen in sozialen Situationen kritisiert oder abgelehnt zu werden
In der Gruppe "Selbstsicherheitstraining" soll nicht problematisierend und klärend über etwas
geredet werden, sondern es wird so viel wie möglich aktiv trainiert, denn die Vermeidung ist das
Kernsymptom der sozialen Kompetenzprobleme Selbstunsicherer. Durch die Rollenspiele lernen die
Patienten selbstsichere Verhaltensweisen in Abgrenzung von selbstunsicherem und aggressivem
Verhalten. Außerdem reduzieren sich durch die Rollenspiele soziale Ängste und selbstabwertende
Kognitionen. Begonnen wird das Training mit Standardsituationen, die für unsere Patienten typisch
sind und die verschiedenen Selbstsicherheitstrainings entnommen wurden (Hinsch & Pfingsten,
2002; Schneider, 1994; Ullrich & Ullrich de Muynck, 1998). Es handelt sich dabei um Übungen Rechte
durchzusetzen, Beziehungen zu gestalten, Sympathie erwerben, Kritik annehmen und äußern,
Kontakte herzustellen, unberechtigte Forderungen abzulehnen. Nach der Vermittlung von
74
Grundlagen der Selbstsicherheit und deren Training werden mit den Patienten individuelle
persönliche Situationen erarbeitet. Das Vorgehen orientiert sich dabei an dem Personal Effectiveness
Training (Liberman et al. 1975). In der Einzeltherapie und in der Bezugsgruppe werden die Themen
des Selbstsicherheitstrainings vertieft.
Verhaltenstherapeutische Familieninterventionen
Unter „Angehörigen“ verstehen wir nicht nur Ehe- bzw. Lebenspartner, Kinder, Eltern, Geschwister
und Großeltern, sondern auch wichtige Bezugspersonen wie Freunde und gelegentlich dem
Patienten sehr vertraute Arbeitskollegen. Mit allen diesen Personen können je nach Indikation, das
Einverständnis
des
Patienten
vorausgesetzt,
verhaltenstherapeutisch
orientierte
Familieninterventionen angewendet werden. Am häufigsten handelt es sich dabei um den Partner
oder um Familienangehörige ersten Grades. Die Interventionen finden entweder einzeln mit den
Angehörigen oder auch mit Angehörigen mehrerer Patienten zusammen statt.
Angehörigenseminar
Indikationen:
 Patienten mit Partner ohne eine F1 Diagnose (F17 nicht berücksichtigt)
 Patienten mit Angehörigen ersten Grades ohne eine F1 Diagnose (F17 nicht berücksichtigt)
 Patienten ohne Partner und Familienangehörige ersten Grades, aber mit entfernten
Angehörigen, zu denen ein sehr enger Kontakt bestand bzw. besteht, und die keine F1
Diagnose (F17 nicht berücksichtigt) haben
 Patienten ohne Partner und Familienangehörige, aber mit sehr guten Freunden oder mit
sehr vertrauten Arbeitskollegen, jeweils ohne eine F1 Diagnose (F17 nicht berücksichtigt).
Die beiden letzten Gruppen sind Ausnahmefälle und es wird in einem Einzelgespräch mit dem
Patienten sorgfältig geprüft, inwiefern die Einbeziehung dieser Personen hilfreich ist. Die
Einbeziehung nahestehender Familienangehöriger ist vorrangig und geschieht, falls es nicht gelingt,
dass diese Personen in die Klinik kommen, in der Einzeltherapie.
Da bei der überwiegenden Mehrheit der Patienten mit familiären oder partnerschaftlichen
Bindungen Probleme vorliegen, wird versucht alle Patienten und deren Angehörige zu einer
Teilnahme an dem Seminar zu motivieren.
Das Angehörigen- bzw. Partnerseminar ist ein wichtiger und seit vielen Jahren bewährter Bestandteil
unseres Behandlungskonzeptes. Es basiert auf einem verhaltenstherapeutischen Grundmodell der
Bearbeitung von Partnerschaftsproblemen (Hahlweg, Schindler & Revenstorf, 1982).
In allen internationalen Standardlehrbüchern findet man zur Bewertungen der Frage, welche
Therapiebestandteile sich empirisch als erfolgreich bewährt haben, die verhaltenstherapeutische
Paartherapie (behavioural marital therapy) stets an vorderer Stelle (vgl. Edwards, Marshall & Cook
2003). In der salus klinik Friedrichsdorf wurde ein Behandlungsbaustein entwickelt, der Elemente der
suchtspezifischen Großgruppe mit paarspezifischen Therapieelementen verbindet (Schneider, 1993,
Schneider & Kramer 2009). Dieses Programm wurde von der salus klinik Hürth übernommen.
Das Seminar hat folgende Ziele:
75







Information über Abhängigkeit und Verlauf der Krankheit vermitteln
Erwartungen und Wünsche wechselseitig äußern lernen
Gedanken und Gefühle austauschen, Zuhören lernen
Anstoß für Lösungen und ggf. neue Interaktionsmöglichkeiten
Notfallplan für Rückfallsituationen entwickeln, Rückfallrisiken gemeinsam erkennen
Gemeinsame Pläne schmieden, Ziele vereinbaren (Freizeit, abstinentes Zusammenleben
konkretisieren)
Änderungen von Regeln und Kommunikationsmustern anstoßen
Mit einem spielerischen Eingangsritual zur Frage "Was bedeutet mir meine Familie/meine
Partnerschaft?" wird die häufig von Liebe und Harmoniebedürftigkeit getragene Situation unter den
Familien erlebbar. In den Antworten spiegelt sich die ganze Bandbreite der Einstellungen wider, sehr
selten vollständige Disharmonie und Trennungsabsicht, oft eine Ambivalenz zwischen Hoffnung und
Verunsicherung, häufig eine fast naiv wirkende Zuversicht, dass alles vollständig harmonisch wird,
hinter der sich aber manchmal nur die Unwilligkeit oder Angst verbirgt , die "Dinge beim Namen zu
nennen" und sich mit den Belastungen auseinander zu setzen. Als Folge des so oft verletzten
Vertrauens, der Hilflosigkeit, Wut und Resignation, die jeglichen offenen Dialog abwürgte, wurde
kaum noch miteinander geredet, so dass das Angehörigenseminar dazu eine Hilfestellung bieten und
sicherstellen muss, dass Ehrlichkeit und emotionale Tiefe nicht bestraft werden.
Informationen über Abhängigkeit
Das Seminar vermittelt den Angehörigen Informationen über das Krankheitsbild Alkoholismus.
Unsere Patienten erhalten in ihrer stationären Behandlungszeit vielfältige Möglichkeiten, sich über
das Krankheitsbild zu informieren, so dass ihr Wissensstand sich ähnelt. Das Wissen über die Sucht
ist bei den Angehörigen hingegen sehr unterschiedlich, zum Teil gab es im Vorfeld wenig Möglichkeit,
sich über das Krankheitsbild fachkundig zu informieren, oder es wird die Schwere des
Krankheitsbildes noch nicht richtig realisiert. Analog unseren Patientenvorträgen bietet das Seminar
die Möglichkeit, durch einen Bezugstherapeuten oder Arzt der Klinik die Entwicklung der
Suchterkrankung besser zu verstehen, individuelle Fragen beantwortet zu bekommen und auch die
eigene Rolle verstehen zu lernen.
Erwartungen und Wünsche wechselseitig äußern lernen
In der Entstehung der Suchterkrankung durchlaufen Betroffene und Angehörige verschiedene
Phasen. Diese Verläufe werden auch immer wieder in unseren Seminaren deutlich. Im Einzelnen
können die Phasen wie folgt beschrieben werden:



Beschützer- oder Erklärungsphase: Trinkverhalten anfänglich ebenso verleugnen wie
Betroffene, Trinkverhalten erklären und entschuldigen, Gespräche über Alkoholkonsum
werden schwerer, erste Ermahnungen weniger zu trinken.
Kontrollphase: Zweifel an der eigenen Beobachtungsgabe, verstärkter Versuch, dem
Betroffenen „zu helfen“, verstärkte Kontrollen .z. B. Verstecke von Alkohol suchen, von
Trinkanlässen fernhalten.
Anklagephase: Drohungen aussprechen, jedoch noch ohne endgültige Konsequenzen, sozialer
Rückzug, sämtliche Pflichten des Betroffenen werden übernommen.
76

Kapitulation: ernsthafte Trennungsabsichten, die evtl. in die Tat umgesetzt werden,
Resignation, Anerkennung, dass man das süchtige Trinken nicht direkt ändern kann.
Ziel des Angehörigenseminars ist es, Änderungen der Regeln und Kommunikationsmuster
herbeizuführen. Dies setzt voraus, dass verstrickte und gestörte Beziehungen aufgelöst und eine
Ebene des gegenseitigen Verstehens (wieder) entstehen kann.
In zwei getrennten Gruppen haben Patienten und Angehörige jeweils die Möglichkeit, sich mit den
eigenen Wünschen, Sorgen und Zukunftsvorstellungen auseinander zu setzen. Diese werden auf
einem Flipchart zusammengefasst. Im Plenum werden daraufhin Patienten und Angehörige wieder
zusammengeführt. Es geht dabei nur darum zu erfahren, wie es den Partnern geht. Die Partner sollen
hier noch nicht in einen gemeinsamen Dialog treten. Es ist nämlich schwieriger als die meisten
ahnen, die Aussagen der Partner erst einmal nur anzunehmen und nicht in eine
"Verteidigungshaltung" zu verfallen. Es gibt beim Zuhören manchen "Aha-Effekt" und oft
Übereinstimmung in dem Wunsch nach mehr Gemeinsamkeit, nach mehr gegenseitigem Vertrauen,
nach mehr Verständnis für die Situation des anderen, nach mehr Gespräch und Austausch über das,
was gefühlt wird, getragen von dem Wunsch, „es gemeinsam zu schaffen". Aber auch die
gegensätzlichen Seiten werden sichtbar. Dass die Angehörigen mehr Selbständigkeit und
Eigenverantwortung von den Suchtkranken einfordern, dass der Ausstieg aus der Abhängigkeit selbst
verantwortet wird, dass sich das Leben nicht nur um den Süchtigen drehen soll. Aus der Sicht der
Patienten geht es immer wieder um den Wunsch, dass einem verziehen wird, dass aber auch
Verständnis für die Krankheit besteht, ohne in „Watte gepackt“ zu werden. Das Thema Vertrauen
spielt auch hier eine große Rolle, die Betroffenen wünschen sich, nicht immer hinterfragt oder "in
Frage" gestellt zu werden, dass die Sorge der Angehörigen nicht zu erdrückend, dass Erwartungen an
die Zukunft nicht zu hoch gehalten werden.
Neben den Partnern, die im Seminar die Mehrheit bilden, kommen aber auch Kinder und Eltern der
Patienten zu Wort. Kinder, die sich wieder die Mutter oder den Vater zurückwünschen, Eltern, die
die Hoffnung haben, dass das eigene Kind endlich das Leben in den Griff bekommt und sich eine
Existenz aufbaut. Die Frage nach Wünschen und Sorgen lässt auch einen gemeinsamen Blick in die
Vergangenheit zu, Gefühle werden seit langer Zeit erstmals wieder ausgesprochen, es kommt zu
einer Problemaktualisierung. Die Patienten sind diese Gruppenarbeit gewöhnt, für Angehörige ist es
nicht selten die allererste Möglichkeit, sich gemeinsam mit anderen Betroffenen über Belastungen
der Vergangenheit und Fragen zur Zukunft auszutauschen. Angehörige wie Betroffene erleben auch
eine Ressourcen-Aktivierung, wenn sie das eigene Leiden nicht mehr als „Einzelschicksal“ begreifen,
sondern es mit anderen teilen und sich in den Lebensgeschichten anderer selbst wieder finden.
Um das Erfahrene zu vertiefen, schließt sich nach jedem Plenum eine „Partner-Familienübung“ an.
Betroffene und Angehörige gehen nun im kleinen Kreis nochmals im Wechsel in die Erzähler- und
Zuhörerrolle. Auch dabei geht es wieder nur um diese zwei Haltungen, die es zu erproben gilt.
„Tandem-Runde“
Aufbauend auf die Wünsche und Erwartungshaltungen und die damit erprobten Sprecher- und
Zuhörerregeln wird in einem weiteren Schritt der Rahmen ermöglicht, sich über Gemeinsamkeiten,
aber auch belastende Gefühle auszutauschen. In unserer „Tandem-Runde“ sitzen die Patienten und
ihre Angehörigen ähnlich einem Tandem-Fahrrad hintereinander. Es gibt einen Innen- und einen
Außenkreis, jeweils gebildet durch die Angehörigen und die Patienten. Mit der Fragestellung „Was
77
trennt uns, was verbindet uns?“ wird jeder Gruppe für ca. 45 Minuten die Möglichkeit gegeben,
diese ambivalenten Gefühle ansprechen zu dürfen. Der Außenkreis übernimmt immer nur die
Zuhörerrolle, ein Austausch über das Gehörte findet im Anschluss an die Tandem-Runde in einem
Plenum statt. Auch hier geht es wieder um das bessere gegenseitige Verstehen, und Verstehen setzt
Zuhören und Reden voraus. Nicht selten ist diese Runde für Patienten eine Möglichkeit, sich
öffentlich bei ihren Angehörigen nochmals für die zugeführten Verletzungen zu entschuldigen, was
emotional sehr bewegend sein kann. Durch das Zulassen und Äußern von Gefühlen kommt es dann
zu einer Intentions-Veränderung: Patienten und Angehörige erleben durch Rückmeldung die
Möglichkeit, mit mehr Eigenverantwortung die eigene Haltung und das eigene Verhalten zu
reflektieren. Gerade aber auch das Benennen von Gemeinsamkeiten dient als (Wieder-) Aufbau
positiven Erlebens und gegenseitigen Zutrauens und bietet somit eine aktive Hilfe zur
Problembewältigung.
Zukunftsplanung
Bei diesem Thema geht es um einen Ausblick auf die Zeit nach der Entwöhnungsbehandlung. Er
beinhaltet ganz alltägliche Fragen, wie „Wollen wir eine alkoholfreie Wohnung?“, bis zu manchmal
heiß diskutierten Themen, ob etwa Angehörige selbst noch Alkohol konsumieren sollten und in
welcher Form die von dem Angehörigen übernommene Verantwortung in der Phase der aktiven
Sucht wieder an den Betroffenen zurückgegeben wird. Es gilt im Einzelfall zu erarbeiten, wie eine
zufriedene Abstinenz im Alltag der Partnerschaft und Familie aussehen kann und vielleicht schon
erste Schritte zu konkretisieren. Grundsätzlich gilt: Um einen guten Transfer der therapeutisch
induzierten Veränderung in den Alltag zu gewährleisten, bedarf es auch der Information und
Vermittlung weiterer Nachsorgemöglichkeiten. Zum Abschluss des zweitägigen Seminares erhalten
alle Teilnehmer Broschüren, Adressen und Infomaterial gängiger und bewährter Nachsorgemodelle
(ambulante Rehabilitation, Suchtberatung, Selbsthilfe, Fachstellen, Literatur, Internet...).
In den Nachbesprechungen, die für die teilnehmenden Patienten verbindlich zu den Seminaren
gehören, wird oft berichtet, dass „ein Stein ins Rollen“ gekommen sei, dass man zum gemeinsamen
Gespräch (zurück-) gefunden habe und dass man oft auch wieder mehr Gemeinsamkeiten entdeckt
und praktiziert habe. Damit scheint die mit dem Seminar verbundene Zielsetzung einer Verstetigung
des Rehabilitationserfolges durch die Einbeziehung Angehöriger in vielen Fällen tatsächlich erreicht
worden zu sein.
Familiengespräche
An den Familiengesprächen nehmen der Patient und Angehörige teil. In der Regel wird in der
Behandlung Wert gelegt – in Rangreihe der Wichtigkeit – auf die Teilnahme von: Partner, Eltern bei
jüngeren Patienten, Kindern bei älteren Patienten, Geschwister, Großeltern und weitere sehr
nahestehende Familienangehörige. Die Ziele und Interventionen entsprechen zu einem großen Teil
dem Vorgehen der Angehörigenseminare mit dem Unterschied, dass in den Familiengesprächen auch
sehr persönliche Themen behandelt werden können. Bei jungen Abhängigen ist zu beachten, dass ein
Ziel der Gespräche mit den Eltern auch eine vorübergehende Distanzierung sein kann.
Drogenabhängige, die sich nach der stationären Behandlung von ihren Eltern distanzierten, keinen
Kontakt mehr zu ihnen hatten, lebten zur Drei-Monats-Katamnese eher abstinent (Vollmer & Krauth,
2000). Die Festlegung der Ziele für den Kontakt mit seinen Angehörigen liegt bei dem Patienten, der
78
Therapeut unterstützt ihn durch eine nicht-direktive Gesprächsführung, dass der Patient für sich
richtige Entscheidungen trifft.
Die Familiengespräche eignen sich sehr gut für die Erhebung diagnostisch wertvoller Informationen.
Es ergeben sich zusätzliche Informationen, die für die Therapieplanung wichtig sind und denen der
Patient in der Exploration keine Bedeutung beigemessen hat oder die er verdrängt hatte, da sie ihm
unangenehm sind. Außerdem eignen sich die Familiengespräche sehr gut zur Analyse von
Interaktionen zwischen den Mitgliedern. High-Expressed-Emotion-Situationen, die eine
Rückfallgefährdung bedeuten werden erkannt, so dass interveniert werden kann. Ferner lassen sich
die Oberpläne des Patienten in der Kommunikation mit seinen Angehörigen leichter identifizieren als
in einer normalen Exploration. Bei Indikation und in Absprache mit dem Patienten werden
Zweiergespräche mit einem Familienangehörigen und dem Patienten durchgeführt, in denen sehr
ähnliche Interventionen eingesetzt werden wie in den Partnergesprächen.
Paar-Interventionen
Es wird versucht mit allen Patienten, die einen Partner haben wenigstens ein bis zwei
Partnergespräche durchzuführen. Neben den Themen des Angehörigenseminars und der
Familiengespräche gehören zu den Standardthemen die von Fahrner (1990) ermittelten Bereiche, die
für viele Beziehungen in denen einer abhängig ist, problematisch sind:





Kommunikation (z.B. Bedürfnisse und Wünsche äußern, Konflikte ansprechen)
Rückfall (z.B. Angst vor einem Vorfall (lapse), Verhalten bei einem Vorfall)
mangelnde Zärtlichkeit (Häufigkeit und Art, Initiative zu Zärtlichkeiten)
Sexualität (gegenseitige Wünsche, Häufigkeit, Probleme)
Erziehung der Kinder (Freunde der Kinder, Schule, Anwesenheiten zu Hause).
Weitere Themen sind (Vollmer & Domma, 2005):





Berufliche und familiäre Zukunftsplanung
Gegenseitige Erwartungen
Gegenseite Wünsche
Schuldfrage bzgl. der Kommunikationsprobleme
Aktuelle Konflikte.
Konflikte werden nach dem Schema des Konfliktgespräches (Hahlweg et al., 1982) bearbeitet mit
dem Ziel, einen aktuellen Konflikt zu lösen und mit dem Ziel dem Paar (oder dem Patienten und
seinem Vater) Strategien zu vermitteln, wie Konflikte ohne fremde Unterstützung geklärt werden
können. Ein Schwerpunkt der Konfliktgespräche liegt in ressourcenorientierten Interventionen. Dazu
gehören die Sammlung und Planung von angenehmen gemeinsamen und getrennten Aktivitäten und
gegenseitige Verwöhntage. Den Partner-Interventionen sei es mit dem Lebenspartner oder mit
einem Elternteil oder einem älteren Sohn/Tochter wird ein hoher Stellenwert beigemessen. Ein
funktionierendes soziales Netwerk ist ein entscheidender Einflussfaktor für die Aufrechterhaltung der
Abstinenz.
Im Gegensatz zur Familien- oder Partnertherapie kommen die Angehörigen nicht als Patienten zu den
Gesprächen, sei es Angehörigenseminar, Familiengespräche oder Paar-Interventionen. Die Kunst des
79
Therapeuten besteht darin, den Angehörigen zu vermitteln, dass sie keine Patienten sind und
trotzdem Änderungen für sie und für den Patienten hilfreich für verbesserte Beziehungen sind. Dazu
muss der Therapeut eine neutrale Rolle gegenüber allen Familienmitgliedern einnehmen und jeden
einzelnen vor unnötigen Verletzungen schützen und in der Auseinandersetzung mit anderen
Familienmitgliedern stützen. Verbündet sich der Therapeut mit den Eltern, so wird die
therapeutische Beziehung zum Patienten gestört, verbündet er sich mit dem Patienten, so besteht
die Gefahr, dass die Eltern direkt oder indirekt gegen die Therapie arbeiten werden. Um dieser
Aufgabe gewachsen zu sein, ist für den Therapeuten kollegiale Supervision notwendig und schwierige
Gruppensituationen werden von zwei Therapeuten geleitet (Vollmer, Wacker, Böhmer, et al., 1993).
In Absprache mit dem federführenden Leistungsträger besteht bei entsprechender Indikation für den
Partner eines Patienten die Möglichkeit, an einer kompletten Therapiewoche teilzunehmen. In
diesem Fall nimmt der Partner an einer anderen Bezugsgruppe als der Patient teil und es finden
mehrere Einzelgespräche und gemeinsame Gespräche mit Beiden statt.
Familieninterventionen ohne Familie
Sowohl bei Patienten bei denen es nicht gelingt Familienangehörige zu einem Besuch der Klinik zu
bewegen, als auch bei Patienten mit Angehörigen, die an einer oder mehreren Maßnahmen der
Klinik teilgenommen haben, werden in der Einzeltherapie und zu einem Teil auch in der
Bezugsgruppe Familieninterventionen durchgeführt. In der Bezugsgruppe werden Plananalysen
durchgeführt und Suchtbiographien in Kombination mit der familiären Situation dargestellt. Themen
in der Bezugsgruppe sind:
Partnersituation: Partnerkonflikte, Trennung oder Fortführung einer Partnerschaft,
Freizeitaktivitäten mit und ohne Partner, Freizeitaktivitäten des Partners ohne den Patienten,
getrennte und gemeinsame Urlaube, Haushaltsführung, etc.
Kontakte zu Eltern und Schwiegereltern: Häufigkeit und Art der Kontakte, Nähe und Distanz,
Verhalten bei Alkoholabhängigkeit oder –missbrauch der Angehörigen, typische problematische
Interaktionsmuster zu den Schwiegereltern und zu den eigenen Eltern und Lösungsmöglichkeiten,
etc.
Kontakte zu den Kindern: typische Erziehungsfehler als Folge der Abhängigkeit, Verhalten bei frühem
oder übermäßigen Alkoholgebrauch der Kinder, Verhalten bei Cannabisgebrauch der Kinder,
gemeinsame Unternehmungen, erwachsene Kommunikation zu den Kindern, pädagogische
Maßnahmen, etc.
Die therapeutische Grundhaltung der Neutralität und der Unterstützung ist in diesen Sitzungen
besonders wichtig und wird durch eine nicht-direktive Gesprächsführung des Therapeuten erreicht
und ein sehr direktives Eingreifen, wenn einige Gruppenmitglieder verletzend reagieren oder ihren
Mitpatienten zu einem anderen Verhalten überreden wollen. Ein zentrales Ziel dieser
Familieninterventionen ohne Familie ist die Förderung von Selbstaufmerksamkeit und
Selbstregulation (Vollmer & Domma, 2005). Ähnlich wird in den familienorientierten
Einzeltherapiesitzungen vorgegangen. Hat sich der Patient durch Problemlösestrategien für neue
Verhaltensweisen entschieden, die für ihn eine Überwindung bedeuten, so werden diese in der
Gruppe oder auch einzeln in Rollenspielen eingeübt. Die Verteilung der Themen auf die
80
Bezugsgruppe oder die Einzeltherapie hängt von der Intimität der Themen ab und von der
Gruppenkohäsion und inwiefern die Patienten bereit sind sich an die Gruppenregel der
Schweigepflicht zu halten.
Verstand & Gefühl
Indikation:
 ICD-10 Diagnose: F60.3, emotional instabile Persönlichkeitsstörung
 ICD-10 Diagnose: F60.4, histrionische Persönlichkeitsstörung
 ICD-10 Diagnose: F61.0, kombinierte Persönlichkeitsstörung
In dieser Indikativgruppe wird ein Fertigkeitstraining zum Umgang mit starken
Stimmungsschwankungen sowie mit selbstschädigenden oder impulsiven Verhaltensweisen
angeboten. Mit Hilfe gezielter Selbstbeobachtungen und des Protokollierens problematischer
Situationen werden zunächst die sozialen Auslöser und gefühlsmäßigen Umstände, die zu den
individuellen emotionalen Turbulenzen führen, genau erfasst und analysiert. Zudem werden
grundlegende Informationen über die Anfälligkeit für emotionale Turbulenzen und deren mögliche
Hintergründe vermittelt. Gezielte Wahrnehmungs- und Konzentrationsübungen (zur inneren
Achtsamkeit) unterstützen die Fertigkeit, die gesamte Aufmerksamkeit zu bündeln, die
Sinneswahrnehmung zu schärfen und wertfrei zu beschreiben, was man wahrnimmt. Ferner werden
Strategien zum besseren Umgang mit persönlichen, partnerschaftlichen oder sonstigen sozialen
Krisen und Schwierigkeiten im Alltag erarbeitet und geübt. Die Behandlung orientiert sich an den
Programmen von Linehan (1993) und Padesky & Greenberger (1995). Durch sehr strukturierte
Übungen, verbunden mit Psychoedukation lernen die Patienten den Umgang mit stressigen
Situationen, Fertigkeiten zur Spannungstoleranz und zur Emotionsregulierung, Fertigkeiten zur
Steigerung der inneren Achtsamkeit und zu angemessenen zwischenmenschlichen Kontakten.
Besondere Aufmerksamkeit wird von Beginn an auf suizidales und selbstschädigendes Verhalten
gelegt. Zwar werden in der salus klinik Hürth keine akut suizidalen Patienten aufgenommen, aber bei
Patienten mit einer F60.3 Diagnose wird ebenso wie bei Patienten mit einer depressiven Störung, die
Suizidgefährdung regelmäßig abgeklärt. Außerdem wird von Beginn der Behandlung an, den
Patienten geholfen die Rahmenbedingungen der Therapie einzuhalten. Zusätzlich zu der
Gruppentherapie ist eine intensive Einzeltherapie notwendig in der die Inhalte der Gruppentherapie
vertieft werden und die Umsetzung der gelernten Verhaltensweisen gefördert und kontrolliert
werden. Die Patienten werden so weit stabilisiert, dass sie nach der stationären Behandlung
abstinent leben können. Eine Vermittlung zu einer ambulanten Psychotherapie geschieht bereits in
der vorletzten Phase der Behandlung, da ansonsten eine langfristige Abstinenz und
Aufrechterhaltung der Erwerbsfähigkeit sehr unwahrscheinlich ist.
81
11.3 Wiederholungsbehandlung
Indikation:
 Patienten, die sich in den letzten fünf Jahren einer oder mehreren stationären Therapien
unterzogen haben und
 wenigstens eine der Therapien in diesem Zeitraum hat länger als 10 Wochen gedauert
In der Regel haben die Patienten dieser Gruppe eine stationäre Behandlung erfolgreich
abgeschlossen, waren danach mehrere Monate oder Jahre abstinent wurden schließlich wieder
rückfällig und waren nicht in der Lage, den Rückfall von sich aus zu beenden. Eine
Wiederholungsbehandlung ist für viele Patienten mit Gefühlen der Scham verbunden. So benötigen
einige Patienten mehrere Versuche bis es ihnen überhaupt gelingt, die stationäre Behandlung
anzutreten, andere Patienten kommen, obwohl sie gerade die Entgiftung erfolgreich beendet haben,
unter Alkoholeinfluss zur Aufnahme der medizinischen Rehabilitationsklinik. Die Wahrscheinlichkeit,
dass bei Aufnahme ein therapieerfahrener Patient unter Alkoholeinfluss steht ist im Vergleich zu
einem Patienten ohne Therapieerfahrung zwei Mal höher (Vollmer & Kramer 2010). Den meisten
Patienten sind zu Beginn der neuen Therapie ihre Schamgefühle nicht bewusst, ebenso wie sie auch
Schwierigkeiten haben andere Gefühle an sich wahrzunehmen und zu beschreiben. Unangenehme
Gefühle und Konflikte, gerade wenn sie nicht erkannt werden, bedeuten eine höhere
Rückfallgefährdung. Durch eine nicht-direktive Gesprächsführung wird den Patienten in der Gruppe
ermöglicht, ihre Gefühle besser wahrzunehmen und untereinander auszutauschen. Dadurch werden
kognitive Blockaden gelöst, die den Therapieprozess hemmen können. Durch den erfolglosen
Abstinenzversuch nach der letzten stationären Therapie haben die Patienten eine geringere
Handlungs-Ergebnis-Erwartung, so dass es notwendig ist, Gewohnheiten zu identifizieren, die zum
Rückfall geführt hatten, um dann Übungen abzuleiten, die zu einer Stärkung der Handlungs-ErgebnisErwartungen für abstinenzorientierte Verhaltensweisen führen. Mit den Patienten werden praktische
Übungen vereinbart, um die Gewohnheiten für die abstinenzorientierten Verhaltensweisen zu
stärken. Bei den Rückfallanalysen liegt ein Schwerpunkt auf dem Abstinenzverletzungseffekt. Es wird
mit den Patienten erarbeitet unter welchen situativen und psychischen Bedingungen es ihnen
gelungen wäre, nach dem ersten oder zweiten „Vorfall“ den Gebrauch der psychotropen Substanz
wieder einzustellen. Im zweiten Teil der Gruppe wird eine Motivationsanalyse durchgeführt. Im
sokratischen Dialog wird erarbeitet in welcher handlungstheoretischen Phase sich die Patienten
gegen Ende der letzten Therapie befanden, waren sie bereits in einer volitionalen Phase und wenn ja
in welcher oder verweilten sie noch in der prädezisionalen Phase. Anschließend findet ein Vergleich
zu der gegenwärtigen Situation statt, mit der Frage, ob die Patienten den Rubikon überschritten
haben und ob sie günstige Gelegenheiten für eine Umsetzung der abstinenzorientierten Handlungen
wahrnehmen. Diese handlungstheoretische Analyse zur letzten Therapie und zur gegenwärtigen
Situation erfolgt ohne Vermittlung des dazugehörigen Modells, um akademische Diskussionen zu
vermeiden, durch die sich die Patienten vor einer Veränderung schützen könnten. Das Modell ist
lediglich für den Therapeuten eine Strukturierungshilfe, um den Patienten konkrete Fragen zu stellen
und deren Antworten zu paraphrasieren. Abschließend erstellt jeder Patient konkrete Vorsätze und
holt sich in der Gruppe Anregungen von seinen Mitpatienten.
82
11.4 Aufbaubehandlung
Indikation:
 Patienten, die nach abgeschlossener Rehabilitation einen kurzfristigen Rückfall hatten, und
inzwischen wieder abstinent leben oder den Gebrauch psychotroper Substanzen inzwischen
sehr stark reduziert haben und von denen eine Kostenzusage über sechs Wochen vorliegt
Motivierende Interventionen zur Abstinenz sind für diese Patienten, die den Rubikon überschritten
haben, nicht notwendig, mit der Ausnahme für einzelne Verhaltensweisen, die den Rückfall
begünstigt haben (z. B. Besuch eines Schützenfestes). Es werden Analysen der Rückfallsituation
durchgeführt, der Verhaltensweisen, die dem Patienten zuvor geholfen haben abstinent zu leben und
der Strategien, die es dem Patienten ermöglicht haben, wieder abstinent zu leben bzw. den Konsum
sehr stark zu reduzieren. Im letzteren eher ungewöhnlichen Fall ist eine Motivierung zur Abstinenz
notwendig. Schwerpunkt der Behandlung liegt von Beginn an in der Stärkung der HandlungsErgebnis-Erwartung für die Bewältigung schwieriger Situationen und der Umsetzung in der
natürlichen Umgebung des Patienten. Außerdem wird analysiert, inwiefern dem Patienten nicht
bewusste Konflikte zu Spannungszuständen geführt haben, die den Rückfall beeinflussten. In solchen
Fällen wird der Patient zu einer ambulanten Psychotherapie motiviert, da die Bearbeitung der
zugrundeliegenden psychischen Probleme zwar im Rahmen der medizinischen Rehabilitation
begonnen, aber erfolgreicher ambulant behandelt werden kann unter der Bedingung, dass die
Abstinenz nach der stationären Therapie gewährleistet ist.
11.5 ISAR
Die integrierte stationär-ambulante Therapie besteht aus einer vergleichsweise kurzen stationären
Therapie und einer nahtlos verbundenen ambulanten Therapie. Hierbei handelt es sich nicht um eine
Variante stationärer Kurzzeittherapie, sondern um ein auf lange Dauer angelegtes Konzept, für das
bereits zu Behandlungsbeginn im Rahmen eines Therapievertrages das Einverständnis einzuholen ist.
Indikation
Das Therapiemodell richtet sich an Patienten:
 für die eine rein ambulante Therapie nur deshalb nicht indiziert ist, weil noch keine
ausreichende Abstinenzstabilität vorliegt (aber hinreichende Krankheitseinsicht und
Veränderungsmotivation),
 die durch gehäufte Rückfälligkeit oder wegen sonstiger Lebenskrisen während einer
ambulanten Therapie einen stationären Aufenthalt als Ausstieg aus dem gewohnten
Lebensumfeld benötigen und
 für die eine kurzfristige stationäre Behandlung ausreichend ist, sofern sie durch eine
ambulante Rehabilitation ergänzt wird.
83
Das ISAR-Konzept ist wegen der Kürze der stationären Phase ausschließlich für Abhängige
psychotroper Substanzen mit folgenden Merkmalen geeignet:




dauerhafter Arbeitsplatz oder aktueller Arbeitsplatzverlust ohne Reintegrationsprobleme,
bzw. ein stabiler, unterstützender familiärer Rahmen bei Nichterwerbspersonen.
keine schwerwiegenden Folge- und Begleiterkrankungen. Die Schwere der körperlichen
Erkrankungen bemisst sich daran, ob eine aktive Teilnahme am Therapieprogramm von
Beginn an möglich
ist und ob die Erwerbsfähigkeit innerhalb der stationären
Behandlungszeit wieder voll herstellbar sein wird.
gute soziale Einbindung.
enge Kooperation zwischen Klinik- und AmbulanzmitarbeiterInnen, die eine sorgfältige und
ausführliche Übergabe an der Schnittstelle zwischen stationärer und ambulanter Phase
ermöglicht.
Therapievereinbarung
Die Beratungsstelle trifft mit dem Patienten im Verlauf der ambulanten Vorbereitungsphase eine
schriftliche Therapievereinbarung über die verbindliche Teilnahme am Gesamtprogramm und stellt
beim zuständigen Leistungsträger einen regulären Reha-Antrag unter Angabe dessen, dass der
Behandlungsplan die Integration von stationärer und ambulanter Therapie vorsieht.
Unmittelbar nach stationärer Aufnahme wird von Seiten der Klinik ein Antrag auf „Ambulante
Rehabilitation“ gestellt, so dass ein nahtloser Übergang gesichert ist.
Vernetzung
Im Rahmen des ISAR-Modells gewinnt die engmaschige, inhaltlich-therapeutische Abstimmung
zwischen dem behandelnden Bezugstherapeuten in der Klinik und dem ambulanten Therapeut eine
herausragende Bedeutung. Um eine größtmögliche inhaltliche und personelle Kontinuität zu
gewährleisten, verpflichtet sich die salus klinik Patienten im Rahmen des Programms in einer hierfür
spezialisierten Bezugsgruppe zu behandeln.
Folgende inhaltliche Abstimmungsprozesse und –zeitpunkte bilden den Mindeststandard:
Phasen des ISAR Programm
1. Anmeldung
Telefonkonferenz zwischen ambulanter und stationärer BezugstherapeutIn
2. Aufnahme
telefonische oder persönliche Fallbesprechung
3. Stat. Phase
Regelmäßige Besprechungen zum Verlauf des therapeutischen Prozesses
Organisation therapeutischer Maßnahmen (z. B. Regelung mit Arbeitsamt) in
Absprache mit ambulanter Behandlungsstelle
4. Entlassung
Entlassungsbericht am Tag der Entlassung an ambulante Behandlungsstelle
telefonische oder persönliche Fallbesprechung
5. Ambul. Phase
Rückmeldung an den stat. Bezugstherapeuten
6. Abschluss
Telefonkonferenz zwischen ambulantem und stationärem Bezugstherapeuten
unter Wertung des Gesamtprozesses
Abschlussbericht an die stationäre Einrichtung
84
12 stabilisierende Vernetzung
12.1 Medizin
Patienten, bei denen eine vorzeitige Entlassung notwendig ist (z. B. wegen wiederholter Rückfälle
oder mangelnder Mitwirkung an der Behandlung) oder Patienten, die von sich aus die Behandlung
abbrechen werden an ihre Beratungsstelle und Hausarzt vermittelt. Es wird versucht, dass noch
während des Aufenthaltes in unserer Klinik vom Patienten der Kontakt zur Beratungsstelle hergestellt
wird und der Patient einen Termin vereinbart. Bei den vorzeitigen Entlassungen kann dieses
Vorgehen in der Regel erfolgreich umgesetzt werden, bei Abbrüchen der Behandlung durch den
Patienten gelingt es hingegen nur sehr selten.
Wesentlich einfacher ist die Einleitung einer Betreuung nach der stationären medizinischen
Rehabilitation bei den Patienten die die Behandlung regulär abschließen. Dazu gehören auch die
Patienten, bei denen die Behandlungszeit verkürzt wird. Vorausplanend werden von den Ärzten und
Therapeuten gemeinsam mit dem Patienten Möglichkeiten erarbeitet, nach Abschluss der
stationären Behandlung den therapeutischen Erfolg zu stabilisieren. Auch Patienten, die sehr
motiviert an der Behandlung teilgenommen haben, überschätzen sich gelegentlich und würden am
liebsten keine Betreuung mehr in Anspruch nehmen. Hier sind motivierende Interventionen häufig
notwendig. In der Regel werden bereits im letzten Drittel der stationären Behandlung die Kontakte
zu den weiter betreuenden Institutionen hergestellt. Patienten werden an ihre Beratungsstelle und
ihren Hausarzt vermittelt. Es wird auch abgeklärt inwiefern der Besuch einer Selbsthilfegruppe
sinnvoll ist. Bereits während der Behandlung werden Kontakte zu der Selbsthilfegruppe hergestellt,
teils auch über die Selbsthilfegruppen, die sich in der Klinik in regelmäßigen Abständen vorstellen.
12.2 Psychotherapie
Bereits in der Psychotherapie Abhängiger werden wesentliche Ziele einer arbeitsbezogenen
Rehabilitation realisiert, wie zum Beispiel Abstinenz, positives Selbstwertgefühl, innere Gelassenheit,
Erholungsfähigkeit. Die Therapeuten achten darauf, dass in den Therapieveranstaltungen immer
wieder eine Brücke von den individuellen Symptomen zu deren Bedeutung für das Arbeitsleben
geschlagen wird. An dieser Vernetzung sind Mitarbeiter aus allen Berufsgruppen beteiligt. Denn
neben den manuellen und motorischen Fertigkeiten zur Erreichung der Erwerbsfähigkeit bzw. deren
Aufrechterhaltung, sind auch die kognitiven, motivationalen und emotionalen in der Behandlung zu
berücksichtigen. Das folgende Schaubild verdeutlicht den Umfang der Maßnahmen die zur
Erreichung der arbeitsbezogenen Rehabilitationsziele notwendig sind und die vom
Bezugstherapeuten koordiniert und kontrolliert werden. Nimmt ein Patient nicht an einer indizierten
Maßnahme teil oder kommt es dort zu gehäuften Fehlzeiten, so ist es Aufgabe des
Bezugstherapeuten den Patienten zu einer regelmäßigen Teilnahme zu motivieren.
85
Arbeitsbezogene Bausteine der Therapie
Betriebsseminar
Arbeitgebergespräch
IG:
Problembewältigung am
Arbeitsplatz
KreativitätsBeschäftigungsTherapie
Primär freizeitpäd.
Funktion
GestaltungsTherapie
Förderung des
emotionalen
Ausdrucks
IG:
Beruf
und
Zukunft
Aktivitäten
des täglichen
Lebens
Haushalts
training
Aktive
Arbeitsplatzsuche
RehaBeratung
Ergotherapie
Externe
Arbeitserprobung
Ohne
Arbeit u.
Wohnung
?
ja
Hirnleistungtraining
Arbeitstherapie
Assessment
ArbeitsErwerb von
berufsTraining
notwendigen
bezogener
Fertigkeiten,
Kompetenzen Büroarbeitsplatztraining insbesondere
am PC
Fähigkeits-/AnForderungsprofil Belastungserprobung
Adaption
Abb. 2: Arbeitsbezogene Bausteine der Therapie (Schneider & Kramer, 2009)
Bezüglich der Vernetzung hat der Bezugstherapeut als Case-Manager eine weitere für den Patienten
eine ganz zentrale Aufgabe. In enger Zusammenarbeit mit dem Sozialdienst werden Kontakte bzw.
die Überweisung zu Institutionen vermittelt, die die Wahrscheinlichkeit für eine langfristige
Aufrechterhaltung der Erwerbsfähigkeit und des Arbeitsplatzes bzw. der Reinintegration in das
Erwerbsleben erhöhen.
86
12.3 Sozialdienst und klinische Sozialarbeit
Sollten am Ende der stationären Behandlung die Voraussetzungen für eine soziale und berufliche
Wiedereingliederung noch nicht gegeben sein, müssen in einem möglichst nahtlosen
trägerübergreifenden Prozess passende Interventionen in die Wege geleitet werden, die weiterhin
das langfristige Ziel verfolgen, den Rehabilitanden in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren (Abb. 3).
Häufig bietet die Adaption als weitere stationäre Phase der Medizinischen Rehabilitation dafür den
richtigen Rahmen. Nur wenn feststeht, dass eine Reintegration mittelfristig nicht möglich sein wird,
muss der Betreuungsbedarf geklärt und eine Unterbringung im Betreuten Wohnen oder in einem
soziotherapeutischen Heim veranlasst werden. Und erst wenn auch eine solche Maßnahme keinen
langfristigen Erfolg verspricht, sollte an eine Berentung gedacht werden.
Nahtloser trägerübergreifender Prozess
Ende der stationären medizinischen Reha-Maßnahme
nein
ambul. o. teilstat.
indiziert
später
ja
Arbeit und Wohnung
vorhanden?
ja
Berufliche Wiederein- nein
Weiterführende
nein
Berentung
gliederung möglich?
Betreuung notwendig?
ja
teilstat.
sofort
ambul.
nein
ja
ja
Klärung des
Betreuungsbedarfs
Berufsorientierende
Maßnahme des AA
Maßnahme zur Verbesserung der Eingliederungsaussichten
Adaption
nein
Ambulante
Nachsorge
Betreutes Wohnen
Sozialtherapeutisches Heim
Werkstatt für Behinderte
Berufliche Wiedereingliederung geglückt?
ja
Reguläre Erwerbstätigkeit
Abb. 3: Weiterbetreuung (Schneider & Kramer, 2009)
Für den „Normalfall“ – der größte Teil der Patienten verfügt über Wohnung - gibt es zwei bewährte
strukturelle Möglichkeiten: Die eine besteht in der ambulanten Fortführung der stationären
Rehabilitation, die andere in der ganztägig ambulanten. Für einen Teil der Patienten bietet sich als
Lösung die ambulante Fortsetzung der Rehabilitation am Heimatort an, für Patienten aus der Kölner
Region gibt es dafür unser ISAR-Programm. Für andere jedoch reicht die Strukturierung der Tage und
Wochen durch zwei oder drei ambulante Termine nicht aus bzw. der weiterhin bestehende
Therapiebedarf kann durch das ambulante Setting nicht gesättigt werden. In diesen Fällen kann eine
ganztägig ambulante Phase am Ende der Behandlung von besonderem Nutzen sein.
Die folgende Abbildung zeigt die Vielzahl der Möglichkeiten, die mit dem Patienten zur
Wiedereingliederung in die Arbeitswelt gemeinsam abgeklärt werden.
87
Netzwerk „Arbeit“
Berufliche
Trainingszentren
BerufsförderungsWerke (BFW)
Werkstatt Köln
(Arbeit statt
Sozialhilfe)
MPUBeratung
Berufsbildungszentren (BBZ)
Fachberater
der Rentenversicherer
Externe
Arbeitserprobung
Arbeitskreis
Sucht in der
Arbeitswelt
Betriebsseminare
Adaption
Zeitarbeitsfirmen
Agenturen
für
Arbeit
Private
Arbeitsvermittler
Institutionen
für Schulabschlüsse
Internet-Jobbörse
ArbeitslosenInitiativen
Köln
Volkshochschulen
SchuldnerBeratung
Abb. 4: Netzwerk Arbeit während und nach der stationären Rehabilitation (nach Schneider & Kramer,
2009)
88
13 Klinikmanagement, Organisation und Struktur der Klinik
13.1 Klinikmanagement
Das Klinik-Management trägt die Hauptverantwortung für das motivierende Erscheinungsbild und die
Haltequote der Klinik. Ihr Vorgaben - angefangen vom äußeren Erscheinungsbild der Gebäude und
des Informationsmaterials bis hin zur Begrüßung von Besuchern oder dem Aufnahmeverfahren –
scheinen diesbezüglich oft eine gewichtigere Rolle als das Störungs- und Therapiekonzept zu spielen.
Entscheidend ist das Leitbild, das vom Management vorgegeben, vermittelt und vorgelebt wird. Es
hat für alle Bereiche und Abteilungen Gültigkeit. Ein Leitbild gibt Orientierung und eine kollektive
Vision für die Arbeit. Es dient als Maxime dessen, was gewollt ist, und es ist zugleich ein Katalysator,
wenn es gilt, Entscheidungen zu treffen. Das Leitbild stellt eine Herausforderung dar und ist in seiner
konkreten Ausgestaltung ein Maßstab für die qualitative und quantitative Zielfindung und deren
Realisierung in der Klinik.
Das Leitbild sollte von Mitarbeitern als selbstverständlich angenommen und in ihren Arbeitsalltag
integriert werden, da es Stellung zu den unterschiedlichen Verpflichtungen, die mit der täglichen
Arbeit verbunden sind, eingeht.
Dem Management ist es wichtig, dass im Sinne des Versorgungsauftrags und zum Wohle der
Patienten stets mit einer hohen Ergebnisqualität gearbeitet wird. Hierfür zeichnet sich die salus klinik
durch kreative Individualität und Bereitschaft zur Innovation aus.
Zuweiser wissen, dass ihre Patienten bei uns mit Respekt und unter größtmöglicher Wahrung ihrer
persönlichen Integrität behandelt werden. Ihr Recht auf Selbstbestimmung wird nur in
Ausnahmefällen eingeschränkt, wenn es für ihren Selbstschutz oder die Wahrung der Rechte anderer
notwendig ist.
Ziel ist es, ein passendes Angebot für nahezu jeden Patienten mit Störungen durch psychotrope
Substanzen oder aus dem psychosomatischen Formenkreis bereitstellen zu können.
Um dieses Ziel erreichen zu können, sind wir auf qualitativ sehr gute Mitarbeiter angewiesen, die sich
in ihrer Arbeit wohlfühlen und sich der Klinik zugehörig fühlen. Dies erreichen wir u. a. durch flache
Hierarchien, die es Mitarbeitern erlauben, selbstverantwortlich Entscheidungen zu treffen und ihre
personalen Ressourcen im Sinne der Patienten effizient zu nutzen.
Transparenz, Verständigungsbereitschaft, Wertschätzung und gegenseitige Achtung im Arbeitsalltag
sind die Grundlage für das Übertragen von Verantwortung und für selbständiges Arbeiten in einem
guten Betriebsklima. Zum Arbeiten mit Gestaltungsfreiraum gehört die Identifikation mit dem
Unternehmen, seiner Arbeitsweise und seinen Zielen, damit Entscheidungen im Sinne des Teams und
im Geist der Klinik getroffen werden.
89
13.2 Strukturelle Bedingungen
Unter Strukturqualität werden die Charakteristika eines Leistungserbringers verstanden, die im
Zeitablauf relativ konstant sind. Dazu gehören die dem Leistungserbringer zur Verfügung stehenden
Mittel und Ressourcen und die Bedingungen der physischen und organisatorischen Umgebung. Dies
betrifft also die technischen und organisatorischen Voraussetzungen der Arbeit ebenso wie die Art
und Anzahl der Mitarbeiter und deren Qualifikation. Die Strukturqualität soll die Bedingungen
herstellen, die notwendig und hinreichend sind, um die Ziele einer geforderten Leistung ökonomisch
und sicher zu erreichen.
Grundsätzliche Anforderungen hinsichtlich der sächlichen und personellen Ausstattung von
Rehabilitationseinrichtungen zur Behandlung Suchtkranker sind zuletzt am 04.05.2001 in der
„Vereinbarung Abhängigkeitserkrankungen“ mit ihren vier Anlagen von der Kranken- und
Rentenversicherung festgeschrieben worden. Darin werden außerdem das Verfahren bei der
Bewilligung von Leistungen, deren Finanzierung, Ziele der Leistungen, Anspruchsvoraussetzungen für
die „Gewährung“ von Entzugs- und Entwöhnungsbehandlungen und die Zuständigkeiten von KV und
RV geregelt.
Die Kataloge der strukturellen Anforderungen wurden in den letzten Jahren immer elaborierter. Statt
sie weiter zu verfeinern und „hochzurüsten“ wäre aus Sicht der Leistungserbringer eine
Harmonisierung zwischen den Kosten- und Leistungsträgern sowie den Zertifizierungskriterien für
das Qualitätsmanagement (DEGEMED / FVS) dringlicher und Effizienz förderlicher.
13.3 Personalstruktur
Träger der salus klinik ist die salus klinik GmbH & Co Hürth KG, deren Geschäftsführer Alfons Domma
in Hürth ist. Die Geschäftsleitung in Hürth liegt bei der Direktorin Dr. Julia Domma-Reichart.
Der gesamte Rehabilitationsprozess liegt in der Gesamtverantwortung der ärztlichen Leiter Ines
Frege, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, und Mohamed Abu Khatir, Facharzt für
Psychiatrie und Psychotherapie.
Organigramm 1 der salus klinik
A. Domma, GF
Dr. J. Domma- Reichart, Direktorin
Ärztliche Leitung
M. Abu Khatir ( Sucht)
K. Chatzirafailidis
I. Frege ( PS)
Dr. T. Primke
Ob e rarzt
Ob e rarzt
Sucht
(120)
Mediz inis che
Station
Psychosomatik
(54)
Verwaltung
Funktionsbe re iche
90
Im „Organigramm 1“ ist die gesamte Klinik enthalten. In diesem Konzept wird im Weiteren nur noch
auf die Suchtabteilung eingegangen. Die Zahlen in den Abteilungskästchen des Organigramms
beziehen sich auf die Anzahl der Rehabilitationsplätze.
Die Klinik für Suchterkrankungen nutzt die Medizinische Station sowie die Funktionsbereiche
gemeinsam mit der Klinik für Psychosomatische Störungen. Ansonsten sind beide Kliniken personell
und räumlich voneinander separiert. Gemeinsame Veranstaltungen gibt es für die Patienten
außerhalb der Freizeit lediglich bei der wechselseitig möglichen Nutzung einiger Indikativer Gruppen
und für die Mitarbeiter in der internen Fortbildung.
Die Suchtklinik besteht aus vier Teams. Jedes Team setzt sich aus drei Patientengruppen mit drei
Vollzeitstellen für Bezugstherapeuten und einem Arzt zusammen (Organigramm 2).
Organigramm 2: Suchtklinik
Leitender Arzt:
Stellvertr. Ltd. Ärztin:
OA Innere Med.:
Ltd. Psychologe:
M. Abu Khatir
I. Frege
Dr. Primke
N. N.
Fachambulanz
Medizinische Station
(in Planung)
Team 1
Team 2
3 Gruppen
u. a. sozialtherapeutische Patienten
3 Gruppen
u. a. Langzeitbehandlung
Team 4
Team 3
3 Gruppen
u. a. Festig.-/Auffangbehandlung/ISAR
3 Gruppen
ISAR / Kurzzeit
Team 5
3 Gruppen
u. a. Polyvalente Abhängigkeit
Team 6
4 Gruppen
Arbeitslosigkeit
Adaption
Die in Organigramm 2 erwähnten inhaltlichen Differenzierungen der Gruppen werden im weiteren
Verlauf noch ausführlich erläutert. Die Aufgaben der Mitarbeiter und die Kommunikationsstrukturen
werden gleich im Anschluss an diesen Abschnitt geschildert.
Organigramm 3 fasst zusammen, welche Abteilungen
Funktionsbereichen und welche zur Verwaltung zählen.
und
Leistungsgruppen
zu
den
91
Organigramm 1 der salus klinik
A. Domma, GF
Dr. J. Domma- Reichart, Direktorin
Ärztliche Leitung
M. Abu Khatir ( Sucht)
K. Chatzirafailidis
I. Frege ( PS)
Dr. T. Primke
Ob e rarzt
Ob e rarzt
Sucht
(120)
Mediz inis che
Station
Psychosomatik
(54)
Verwaltung
Funktionsbe re iche
Organigramm 3:
Organigramm 4:
Organigramm der
Funktionsbereiche
Funktionsbereiche
Verwaltung
Sozialdienst
Aufnahmesekretariat
Information/Koordination
Vernetzung mit ambulanten u. betrieblichen Diensten
Berichtsversand und
Dokumentationsverwaltung
Ergotherapie
Rezeption / Zentrale
Sport- und Bewegungstherapie
Atemtherapie
Personalsachbearbeitung
Buchhaltung
(Patienten-/Personal-/Finanz-)
Physikalische Therapie/
Krankengymnastik
Einkauf
Musiktherapie
EDV
Dokumentation/
med. und psych. Diagnostik
Küche (externer Caterer)
Hauswirtschaft
Qualitätsmanagement
Haustechnik
Klinikseelsorge
Unter dem Dach der Verwaltung finden sich auch die Küche, die Haustechnik und die Hauswirtschaft,
die alle mit eigenem Personal betrieben werden. Die Klinik wird von einem externen
Gebäudereinigungsunternehmen gereinigt, welches durch die Mitarbeiterinnen unserer
Hauswirtschaft koordiniert wird. Die Patienten sind nur für das Sauberhalten ihres eigenen Zimmers
und die Ordnung in ihrem Gruppenraum gemeinschaftlich verantwortlich. Die Endreinigung bei der
Entlassung übernimmt die Gebäudereinigung.
92
Unsere Verwaltung besteht zwar aus vielen Abteilungen, ist personell aber sehr schlank. Die Küche
wird von einem Catering-Unternehmen gemanagt. Die Köche sind diätgeschult und arbeiten eng mit
den für die Ernährungsmedizin zuständigen Ärzten zusammen. In der Haustechnik sind weitere 3
Vollzeitkräfte tätig und in allen anderen Bereichen zusammen 10 Verwaltungsfachkräfte, darunter
Aufnahmesekretärinnen, EDV-Fachleute, QM-Beauftragte, Buchhalter und Sekretärinnen.
93
14 Evaluation und Qualitätssicherung
Die Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität der Klinik wird durch folgende Maßnahmen gesichert:
Zertifizierung
Die Klinik strebt die Zertifizierung nach DIN EN ISO 2008 nach DEGMED sowie des Fachverbands
Sucht an. Das QM-System wird derzeit von zwei Qualitätsbeauftragten aufgebaut. Mit Hilfe von
unterschiedlichen Qualitätszirkeln (s. u.) werden alle Prozesse für das QM-Handbuch festgelegt. Die
offizielle Zertifizierung wird für Ende 2010 angestrebt.
Qualitätszirkel
Über das Verbesserungswesen und Beschwerdemanagement werden entsprechende Anregungen
ausgewertet und in Maßnahmen umgesetzt. Wenn die Maßnahmen die Einbeziehung mehrerer
Teams, Berufsgruppen oder Abteilungen erforderlich machen, werden bei Bedarf interne
Qualitätszirkel mit einer Teilnahme auf freiwilliger Basis eingerichtet, um systematisch an der
organisatorischen und konzeptionellen Weiterentwicklung der Klinik zu arbeiten.
Patientenbefragung
Die Patienten werden wöchentlich mit einem Kurzfragebogen von den Bezugstherapeuten, in einer
Zwischenbilanz vom Supervisor und am Ende der Behandlung persönlich von der Klinikleitung und
durch den Abschlussfragebogen nach ihrer Bewertung des Behandlungsverlaufes und ihrer
Zufriedenheit mit der Klinik befragt. Die Vorstellung und Diskussion der Ergebnisse, die von
allgemeinem Interesse sind, ist Bestandteil der einmal monatlich stattfindenden Klinischen
Vollversammlung.
Kooperationspartnerbefragung
Alle Zuweiser, Selbsthilfegruppen und andere Kooperationspartner (z. B. psychosoziale
Beratungsstellen, niedergelassene Ärzte, Entgiftungsstationen) werden kontinuierlich bei Entlassung
ihrer Patienten aus der Klinik und alle zwei Jahre in einer Gesamterhebung über ihre Zufriedenheit
hinsichtlich der Zusammenarbeit mit der salus klinik befragt und um Verbesserungsvorschläge
gebeten.
Supervision
Die Behandlung in der salus klinik wird kontinuierlich durch den Leitenden Arzt und die Leitenden
Psychologen supervidiert.
Die in Ausbildung befindlichen Psychotherapeuten werden zusätzlich durch externe Supervisoren
betreut. Externe klinische Supervision erhalten alle Therapeuten darüber hinaus bei Bedarf und
zeitlich befristet für definierte Problemstellungen. Dasselbe gilt für Organisationssupervision und
Leitungs-Coaching.
Dokumentation
Für die Patientendaten existiert eine gemeinsame Datenbank, die allen medizinisch-therapeutischen
Mitarbeitern über ein PC-Netzwerk zugänglich ist. Jedes Dokumentationsdatum muss also nur einmal
eingegeben werden und zwar unmittelbar zum Zeitpunkt der Erfassung durch denjenigen, der die
Daten erhebt. Sie stehen automatisch den verschiedenen Abteilungen zur Planung und Optimierung
ihrer therapeutischen Angebote zur Verfügung. Der Patientendokumentation kommt dadurch nicht
94
nur eine archivierende und das Berichtswesen vorstrukturierende Funktion zu, sondern auch eine
aktuell die Therapie steuernde Funktion.
Kontinuierliche Evaluation
Im therapeutisch-medizinischen Bereich wird eine kontinuierliche Evaluation des Gesamtkonzepts
sowie einzelner Behandlungsbausteine durch die regelmäßige Erstellung der Basisdokumentation aus
dem Dokumentationssystem PaDo und die Erhebung von prospektiven Katamnesen ein Jahr nach
Behandlungsende gemäß den Standards der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung
vorgenommen. Außerdem wird drei Monate nach Behandlungsende eine kurze Katamnese erhoben
zum Gebrauch psychotroper Substanzen, zur beruflichen Situation und zu Krankheitstagen. Die
Ergebnisse dieser Untersuchungen werden den Mitarbeitern bzw. den damit befassten
Qualitätszirkeln rückgemeldet.
Die salus klinik Hürth stellt dem Fachverband Sucht und der Nationalen Statistik alle Daten aus
Basisdokumentation und Katamnese anonymisiert zur Verfügung, um die Transparenz der
Suchtrehabilitation zu gewährleisten und eventuelle bundesweite Trends erkennbar werden zu
lassen.
95
Anhang
I.
Wochenpläne
I
II.
Therapievertrag
V
III.
Hausordnung
VIII
IV.
Selbstverständlichkeiten
X
V.
Prinzipien der Behandlung aus wissenschaftlicher Sicht
XI
VI.
Testpsychologie
XX
96
I.
Wochenpläne
Wochenplan 1. Therapiewoche
Montag
Dienstag
08:45 - 10:00
08:45 - 10:00
Bezugsgruppen: 1, 3, 5, 8,
10, 12
Bezugsgruppen: 1, 3, 5,
8, 10, 12
11:00 - 12:00
Medizin-Info 1
11:00 - 12:00
Medizin-Info 2
12:00 - 13:30
Mittwoch
08:30 Ernährungsvortrag
09:30 - 12:00
Arbeitstherapie-Diagnostik
Sport-Diagnostik
Donnerstag
Freitag
08:45 - 10:00
08:45 - 10:00
Bezugsgruppen: 1, 3, 5,
8, 10, 12
Bezugsgruppen: 1, 3, 5, 8,
10, 12
11:00 - 12:00
Therapie Info
11:00 - 12:00
Medizin-Info 3
Mittagspause
13:45 - 15:00
13:45 - 15:00
13:30 - 15:00
13:45 - 15:00
13:45 - 15:00
Bezugsgruppen: 2, 4, 6, 7, 9,
11
Bezugsgruppen: 2, 4, 6,
7, 9, 11
Sozialdienst-Gruppe für
Neue
Bezugsgruppen: 2, 4, 6,
7, 9, 11
Bezugsgruppen: 2, 4, 6, 7,
9, 11
15:30
Einführung Fitness
15:30
Kunst-Diagnostik
15:30
Hausinfo für Neue
Tab. 1: Therapieplan der Patienten in der ersten Therapiewoche
I
Wochenplan Psychotherapeutische Leistungen mit Beispielen für Indikative Gruppen
Montag
08:30 - 08:45
Montagsgruppe
08:45 - 10:00
Bezugsgruppe
1, 3, 5, 8, 10, 12
08:30 - 10:00
10:30 - 12:00
Indikative Gruppen: A
Soziales Kompetenz Training
Partnerschaft
Schlafstörung
Dienstag
Mittwoch
Bezugsgruppe
1, 3, 5, 8, 10, 12
Indikative Gruppen: C
Pos. Denken B
09:30 - 11:00
Rückfallprävention
Gruppe
Mehrfachabhängigkeit
Donnerstag
Freitag
Bezugsgruppe
1, 3, 5, 8, 10, 12
Bezugsgruppe
1, 3, 5, 7, 11, 12
Indikative Gruppen: A
Soziales Kompetenz Training
Partnerschaft
Schlafstörung
Indikative Gruppen: C
Pos. Denken B
Gruppe Mehrfachabhängigkeit
12:00 - 13:30
Mittagspause
13:45 - 15:00
13:30 - 15:00
Bezugsgruppe
2, 4, 6, 7, 9, 11
15:30 - 17:00
Indikative Gruppen: B
Soziales Kompetenz Training
Pos. Denken A
Angst
Gruppe Wiederholer
Bezugsgruppe
2, 4, 6, 7, 9, 11
Bezugsgruppe
2, 4, 6, 7, 9, 11
Bezugsgruppe
2, 4, 6, 8, 9, 10
Indikative Gruppen: D
Nichtraucher
Indikative Gruppen: B
Soziales Kompetenz Training
Pos. Denken A
Angst
Indikative Gruppen: D
Nichtraucher
Gruppe Wiederholer
Tab. 2: Psychotherapeutische Leistungen. Verteilung der Bezugsgruppen 1 – 12 und Indikatives Gruppenangebot getrennt für die Zeitschienen A - D
II
Wochenplan Ergo- und Arbeitstherapeutische Leistungen
08:45 - 10:00
08:30 - 10:00
Montag
Dienstag
EDV / Büro A
Gedächtnistraining A 2x
Offenes Atelier A
Handwerk A
Offenes Atelier C
Handwerk A
Bewerbungen
EDV / Büro A
schreiben A/B
10:30 - 12:00
Handwerk A
Mittwoch
09:30 - 11:00
Bild & Gespräch B
Arbeitstherapie-Diagnostik für alle
neue Patienten über den
gesamten Tag
09:30 - 11:00
Offenes Atelier E
Donnerstag
Freitag
EDV / Büro A
Gedächtnistraining AB
Bild & Gespräch B
Offenes Atelier C
Offenes Atelier A
11:00- 11:45
Gruppe Nachsorge „in Arbeit“
Handwerk A
11:45- 12:30
Gruppe Nachsorge „ohne
Arbeit“
EDV / Büro A
Handwerk A
EDV-Schulung A/B
Handwerk A
12:00 - 13:30
Mittagspause
EDV / Büro B
Gedächtnistraining CD
13:30 - 14:30
SD Gruppe für Neue
13:30 – 14:15
Ernährung A
EDV / Büro B
Gedächtnistraining CD
Offenes Atelier B
Bild & Gespräch A
EDV-Schulung A/B
14:15 - 15:00
Ernährung B
Bild & Gespräch A
Offenes Atelier D
Handwerk B
Offenes Atelier D
Leben, um davon…
13:30 - 14:30
Hauswirtschaftskurs A
Offenes Atelier B
Handwerk B
14:30 - 15:30 Hauswirtschaftskurs
B
Handwerk B
EDV / Büro B
Bewerbungstraining
15:30 - 19:00
Einkaufen & Kochen
EDV / Büro B
Handwerk B
Handwerk B
13:30 - 15:00
15:30 - 17:00
Internetrecherche A / B
Handwerk B
Tab. 3: Angebot der Ergo- und Arbeitstherapie, getrennt für die Zeitschienen A – D. Zusätzlich findet statt: Dienstag 19:00 – 20:30 Aufmerksamer Alltag; Mittwoch 19:00 – 22:00 Film-AG
III
Wochenplan Sport- und Bewegungstherapeutische Leistungen
Montag
Dienstag
Rückenschule A
08:45 - 10:00
08:30 - 10:00
Ballsport A
Tischtennis A
Mittwoch
Donnerstag
Koordinationstraining
Rückenschule A
Diagnostik
Fitness 2
Medizinische Trainingstherapie
(Kraft)
10:30 - 12:00
Medizinische
Trainingstherapie
(Ergometer)
Pilates
Koordinationstraining
Frauensport
Badminton A
Badminton B
Diagnostik
Fitness 2
Medizinische Trainingstherapie
Fit durch Bewegung
Medizinische Trainingstherapie
Laufschule A/B
Medizinische Trainingstherapie
(Ergometer)
Entspannung C/D
Rückenschule B
Medizinische
Trainingstherapie (Kraft)
Mittagspause
Medizinische Trainingstherapie
(Ergometer)
13:30 - 15:00
15:30 - 17:00
Medizinische Trainingstherapie
Pilates
12:00 – 13:30
Freitag
Entspannung C/D
Erlebnissport
Tischtennis B
Ballsport B
Rückenschule B
Medizinische Trainingstherapie
(Kraft)
Entspannung A / B
Walking
Ü-50-Sport
Volleyball A
Fitness 1
Einführung Medizinische
Trainingstherapie
Medizinische Trainingstherapie
(Ergometer)
Medizinische Trainingstherapie
(Ergometer)
Erlebnissport
Entspannung A / B
Tab. 4: Sport- und bewegungstherapeutische Leistungen, getrennt für die Zeitschienen A – D. Zusätzlich gibt es folgende Angebote: Täglicher Frühsport 06:Ö30 – 07:30 mit
wechselndem Programm; Dienstag 19:00 – 20:30 Badminton/Tischtennis; Donnerstag 19:00 – 20:30 Volleyball
IV
II.
Therapievertrag
Herr / Frau schließt mit der salus klinik folgenden Therapievertrag:
1.
Ich habe mich entschieden, etwas für mich und meine Gesundheit zu tun. Die Unabhängigkeit von
psychoaktiven Stoffen als auch vom Glücksspiel (bzw. Spielen um Geld) ist dafür eine wichtige
Voraussetzung. Deshalb werde ich Alkohol, Medikamente und Drogen jeglicher Art weder besitzen noch
gebrauchen, auch nicht außerhalb der Klinik. Dazu gehören ebenfalls so genannte Naturheilmittel,
Abführmittel und alle alkoholhaltigen Speisen, Pralinen oder Mundpflegemittel, wenn sie nicht ärztlich
verordnet sind. Ich werde auch kein alkoholfreies Bier, Wein oder Sekt zu mir nehmen. Ich willige
unwiderruflich ein, dass solche Stoffe seitens der Klinik jederzeit regressfrei eigezogen und unverzüglich
vernichtet werden dürfen.
Glücksspiele, Spiele um Geld, übermäßiges Spielen (stundenlanges Spielen) und Wetten sind während der
Therapie in und außerhalb der Klinik nicht erlaubt. Gleiches gilt auch für den Besuch von Spielhallen.
Sofern ich auf Nikotin und Koffein nicht verzichten will, gehe ich damit maßvoll unter Wahrung der von
Arzt, Therapeut und Hausordnung genannten Regeln um.
Die Klinik ist ein Schutzraum zur Verwirklichung dieser Ziele. Wir erwarten, dass Sie ihn nutzen und in den
ersten acht Tagen des Aufenthaltes die Klinik nur gemeinsam mit ihrem Paten, die aus der eigenen
Therapiegruppe oder vom Therapeuten benannt sind, für Spaziergänge oder Ausflüge in die nähere
Umgebung verlassen (max. 2 Stunden).
Wenn Sie die Klinik zum Ausgang verlassen, tragen Sie sich bitte in das dafür vorgesehene Ausgangsbuch
an der Zentrale ein (Versicherungsschutz!) und bestätigen die Rückkehr mit der eigenen Unterschrift.
2.
Mein erster Ansprechpartner ist mein Bezugstherapeut. Sollte dieser nicht erreichbar sein, wende ich mich
an seinen Stellvertreter oder an das Personal der Medizinischen Station. Bei körperlichen Beschwerden
wende ich mich stets an die Klinikärzte oder an das Personal der Medizinischen Station, die alle weiteren
Maßnahmen veranlassen. Untersuchungen oder Behandlungen bei Ärzten außerhalb der Klinik müssen
vom Klinikarzt veranlasst sein. Rezepte, die ich mitbekomme, zeige ich meinem Klinikarzt und bespreche
mit ihm das weitere Vorgehen. Es ist mir bekannt, dass ich ohne Wissen meines Klinikarztes keine
Medikamente einnehmen darf.
Die Medizinische Station ist rund um die Uhr besetzt. Ein Dienst habender Arzt ist ebenfalls rund um die Uhr erreichbar. Wir sind
bestrebt, körperliche Beschwerden rasch abzuklären und zu lindern. Dabei vertreten wir eine ganzheitliche Sichtweise des Menschen,
nach der körperliche und seelische Prozesse ineinander greifen und nicht getrennt voneinander behandelt werden können. Wir bieten
vorwiegend gesundheitsförderliche Maßnahmen an, die die Patienten anleiten, "Gesundheit selber zu machen". Bezüglich der
Verordnung von Medikamenten vertreten wir das Motto: „So viel wie nötig, so wenig wie möglich.“ Wir sind dementsprechend
bestrebt, auf medikamentöse Lösungen zu verzichten, wenn gleichwertige andere Behandlungsformen existieren.
3.
Ich gehe momentan von einer Behandlungsdauer von ____ Wochen aus. Mein Therapeut trifft mit mir
Vereinbarungen darüber, welche Maßnahmen indiziert sind. Ich erhalte jede Woche einen neuen
„Wochenplan“, in den ich alle aktuellen Veränderungen eintrage. Diesen Therapieplan führe ich stets bei
mir. Ich verpflichte mich, an allen vereinbarten Maßnahmen aktiv teilzunehmen und die zusätzlich
verfügbaren Aktivitäten, an denen ich teilnehme, im Wochenplan handschriftlich einzutragen.
Die Klinik bietet zahlreiche therapeutische Maßnahmen an. In erster Linie sind dies:
1.
2.
3.
4.
5.
Einzeltherapie,
Gruppentherapie / Indikativgruppen
Ergotherapie
Sport- und Bewegungstherapie
Angehörigen-, Partner- bzw. Familiengespräche
oder -seminare
6.
7.
8.
Sozialberatung,
Betriebsseminare,
Kennenlernen von Selbsthilfegruppen
und Nachsorgevorbereitung,
9. Realitätserprobung.
V
4.
Auf Gewaltanwendung werde ich verzichten. Schon die Androhung von Gewalt ist problematisch, da sie
ein Klima der Angst erzeugt, das Offenheit und Vertrauen zerstört.
Das Therapeuten-Team wird mir gegebenenfalls Wege aufzeigen, mit Konflikten und Aggressionen
angemessen umzugehen. Wenn jemand sich durch das Verhalten von Mitpatienten erheblich beeinträchtigt
oder in der Therapie gestört fühlt (z. B. durch nicht offen gelegte Rückfälligkeit, durch Nichteinhaltung der
Hausordnung, Ankündigung von Gewalt gegen sich oder andere), stehen auch die Dienst habenden Ärzte
und das Stationspersonal jederzeit für ein vertrauensvolles Gespräch bereit, in dem gemeinsam nach einer
angemessenen Lösung für die Situation gesucht wird.
5.
Ich werde den Anordnungen des Personals, z. B. bei Alkohol-, Medikamenten- und Drogenkontrollen, Folge
leisten und die Hausordnung einhalten. Angeordneten Urin- bzw. Drogenkontrollen werde ich sofort Folge
leisten, eine Nichtbeachtung führt zu einem Krisengespräch und i.d.R. zu einer Beendigung der
Behandlung.
Falls ein Patient sich unangemessen behandelt fühlt, steht ihm das Recht auf Anhörung seiner Beschwerde
bei dem betreffenden Mitarbeiter, dessen Vorgesetzten und – falls beides unbefriedigend verläuft - der
Klinikleitung zu.
6.
Ich werde mich um Offenheit und Klarheit meinen Mitpatienten und Therapeuten gegenüber bemühen.
Die Offenheit betrifft nicht nur vergangene Lebensereignisse, sondern auch aktuelle, wie z. B. Alkoholbzw. Drogenverlangen, Beziehungen zu Mitpatienten, Rückfälle usw.
Die Therapeuten sind bei der Klärung der psychischen und sozialen Situation und bei einer eventuell
notwendig werdenden Neuorientierung behilflich. Sie führen mit den Patienten und deren Partner oder
Angehörigen Gespräche und bereiten den Übergang in den Alltag vor.
7.
Persönliche Informationen über Mitpatienten, die mir im Rahmen der Behandlung zur Kenntnis gelangen,
werde ich - auch nach der Entlassung aus der Klinik - vertraulich behandeln und nicht an Dritte
weitergeben.
Die Mitarbeiter der Klinik sind an ihre berufliche Schweigepflicht gebunden. Sie dürfen und wollen
Informationen an Dritte außerhalb der Klinik nur mit schriftlicher Genehmigung des Patienten weitergeben.
Davon ausgenommen sind nur Auskünfte, die die Klinik im Rahmen der bestehenden Gesetze geben muss.
Innerhalb des Behandlungsteams jedoch herrscht gegenseitige Informationsoffenheit, ohne die eine
ganzheitliche Therapie nicht möglich wäre.
8.
Sollte ich die Behandlung vorzeitig beenden wollen, so verpflichte ich mich, diese Absicht möglichst
frühzeitig anzusprechen.
Die Mitarbeiter der Klinik sprechen es so bald und so klar wie möglich an, wenn ein Patient ihrem Eindruck
nach den Sinn und Zweck seines Aufenthaltes in der Klinik aus den Augen zu verlieren scheint oder ein
spezielles Verhalten einer erfolgreichen Absolvierung der Therapie nicht dienlich ist.
9.
Ich verpflichte mich, die Hausordnung im Geiste der therapeutischen Ziele zu beachten und entsprechende
therapeutische Vereinbarungen genau zu befolgen.
Die Klinik gewährt in der Hausordnung größtmögliche Freizügigkeit, beispielsweise in der Verwendung von
Computern, geht aber davon aus, dass von diesen Freiheiten verantwortlich Gebrauch gemacht wird.
10. Ich bin darüber informiert, dass ich während der Rehabilitation in der salus klinik kein Kfz führen darf.
Verstöße gegen diesen Therapievertrag führen zu Krisengesprächen. Kann daraufhin keine positive
Erfolgsprognose für die Fortsetzung der Behandlung gestellt werden, wird die Behandlung beendet. Ein ganz
entscheidendes Kriterium für eine Weiterbehandlung nach einem Verstoß gegen die Abstinenzregel ist, dass
VI
der Patient den Substanzkonsum selbst oder über Mitpatienten zeitnah mitteilt. Die Medizinische Station steht
dafür rund um die Uhr bereit.
In der Hausordnung ist geregelt, dass ein Rauchen in den Gebäuden unmittelbar zur Beendigung der
Behandlung und zur Entlassung führt.
Hürth, 22.07.2010
____________________________
Therapeut
_______________________________
Patient
VII
III.
Hausordnung
Notfälle
Rufen Sie bei allen Notfällen und bei Feuer sofort die Telefonnummer 825 an. Die Fluchtwege sind
durch Schilder in den Fluren gekennzeichnet, dort hängen auch Fluchtpläne aus.
Suchtmittelfreier Raum
Die vollständige Enthaltsamkeit von Alkohol, nicht verordneten Medikamenten, allen anderen
Drogen und vom Glücksspiel (bzw. Spielen um Geld) sehen wir bei allen Patienten als Grundlage der
Behandlung an. In allen Gebäuden und auch auf dem Außengelände der salus Klinik besteht ein
Rauchverbot. Für diejenigen, die das Rauchen während ihrer Zeit in der Klinik nicht einstellen können
oder wollen, gibt es ausgewiesene Raucherzonen (Raucherpavillons). Ausschließlich dort ist das
Rauchen erlaubt.
Nachtruhe
Alle Patienten müssen bis 22:15 Uhr in die Klinik zurückkehren und bis spätestens 23:00 Uhr (Fr. und
Sa. bis spätestens 00:30 Uhr) in ihren Zimmern sein. Nachtruhe gilt an allen Tagen von 23:00 Uhr bis
07:00 Uhr. Achten Sie bitte darauf, Mitpatienten nicht durch Ihr Verhalten zu stören, indem Sie
beispielsweise nach Eintritt der Nachtruhe duschen oder am Morgen lautstark zum Frühsport
aufbrechen.
Essenszeiten
Montag - Freitag
Samstag
Sonntag
Frühstück
07:00 - 08:30
08:00 - 09:15
08:00- 09:15
Mittagessen
12:00 - 13:30
12:00 - 13:30
12:00 - 13:30
Abendessen
18:00 - 19:00
18:00 - 19:00
18:00 - 19:00
Sie sollten regelmäßig an allen Mahlzeiten teilnehmen. Falls dies einmal nicht möglich sein sollte,
melden sie sich bitte vor dem Essen ab.
Besuch
Ab dem 8. Behandlungstag, können sie am Wochenende freitags zwischen 19:00 und 22:00 Uhr
sowie samstags, sonntags und an Feiertagen zwischen 09:00 und 22:00 Uhr Besuch empfangen,
außerhalb dieser Zeiten ist dies nur nach Absprache und mit Einverständnis des Bezugstherapeuten
möglich.
Zimmer
Wir gehen von Ihrer Mitverantwortung für Sauberkeit, Ordnung, Zimmerlüften, morgendliches
Bettenmachen etc. in Ihrem Wohnbereich sowie von der pfleglichen Behandlung der Einrichtung aus:



Schlagen Sie keine Nägel in die Wände, befestigen Sie Ihre Bilder nicht mit Klebstoff oder
Haftstreifen und bringen Sie nirgends Aufkleber an.
Werkzeuge und geruchsbelästigende oder feuergefährliche Mittel, wozu beispielsweise
Kerzen und Räucherstäbchen gehören, dürfen nicht im Zimmer aufbewahrt oder genutzt
werden.
Hauseigenes Geschirr und Besteck dürfen nicht mit ins Zimmer genommen werden.
VIII




In den Zimmern und Kühlschränken dürfen keine offenen Lebensmittel gelagert werden.
Es dürfen keine Fernsehgeräte, Video- und Stereoanlagen, Tauchsieder, Bügeleisen,
Kaffeemaschinen und ähnliche elektrische Geräte (mit Ausnahme von Handy, Laptop, Fön,
elektrischer Zahnbürste, Rasierapparat, Epiliergeräte) auf dem Zimmer sein.
Malerei und Handwerksarbeiten jeglicher Art sind nur in den Räumen der Ergotherapie
durchzuführen.
Schäden melden Sie bitte an der Rezeption und füllen dort eine Schadensmeldung aus.
Zimmerbegehung
Die Klinikorganisation macht es erforderlich, dass die Zimmer (inkl. Bad, Heizung, Gardinen,
Fußboden, Mobiliar) ggf. auch in Ihrer Abwesenheit überprüft werden.
Zimmerkarten / Schlüssel
Vor jeder Übernachtung außerhalb der Klinik, die grundsätzlich von Ihrem Bezugstherapeuten
genehmigt sein muss, sind die Zimmerkarte und der Briefkastenschlüssel auf der Medizinischen
Station abzugeben.
Wertgegenstände
Für Ihre persönlichen Unterlagen und kleineren Wertgegenstände finden Sie einen Safe in Ihrem
Schrank. Ihre Zimmertür sollten Sie bei jedem Verlassen des Raumes abschließen, da die Klinik für die
dort aufbewahrten Gegenstände keine Haftung übernimmt. Sie können jedoch auch
Wertgegenstände oder größere Geldbeträge bei der Verwaltung zur Aufbewahrung abgeben.
Fernsehzeiten
Fernsehzeiten sind ausschließlich außerhalb der Therapiezeiten. Hierfür stehen ihnen mehrere
Gruppen- und Freizeiträume zur Verfügung:
Montag - Donnerstag
17:00 - 22:30
Freitag
17:00 - 00:30
Samstag
14:00 - 00:30
Sonntag
14:00 - 22:30
Telefon
Sie haben die Möglichkeit, mit dem Telefonapparat in Ihrem Zimmer hausinterne Gespräche zu
führen, und Sie können von außerhalb direkt angewählt werden. Wenn Sie ein Orts- oder
Ferngespräch führen möchten, können Sie dies mit einer Chipkarte tun, die Sie an der Rezeption
erhalten. Während der Nachtruhe darf nicht telefoniert werden. Das Mitführen und Nutzen von
Handys während der Therapiezeiten ist nicht erlaubt.
IX
IV.
Selbstverständliche Hausordnungspunkte
Als Grundlage für eine förderliche Therapieatmosphäre, sollte jeder seinem Gegenüber mit
Respekt und Toleranz entgegentreten und ihn so behandeln, wie er selbst gerne behandelt
werden möchte.
Wir legen Wert auf eine angemessene Kleidung!
Bademäntel, Badeschlappen, Trainingsanzüge, Mützen, Unterhemden o. ä. sind nicht
erwünscht. Sport- oder Arbeitsbekleidung sollten sie nur in den entsprechenden
Therapieeinheiten tragen. Aber auch hier ist oberkörperfreies Arbeiten/Trainieren nicht
gestattet.
Hygiene: Nicht nur die Kleidung, sondern auch die Person darunter sollte in
gepflegtem Zustand sein. Gerade zum Frühstück und zu den Mahlzeiten nach dem
Sport sollte niemand ungewaschen erscheinen.
Bitte nehmen Sie keine Speisen und Getränke aus dem
Speisesaal mit. Auch Geschirr, Bestecke und Gläser sind
ausschließlich zum Gebrauch im Speisesaal bestimmt.
Aus den Wasserspendern kann stilles und sprudelndes
Wasser zu den Mahlzeiten in die bereitstehenden Gläser bzw.
Becher gezapft werden.
Da es im Speisesaal keine Garderobe gibt, bringen Sie bitte bei kühlem und
nassem Wetter Ihre Jacken oder Regenschirme vor der Mahlzeit in Ihr
Zimmer.
Auch wenn Sie Ihre Bettwäsche und Handtücher tauschen oder
Putzmittel und Toilettenpapier holen, bringen Sie diese Dinge bitte direkt
in Ihr Zimmer und legen sie nicht während der Mahlzeiten im Speisesaal ab.
An Therapietagen verbleiben Handys ohnehin während der Zeit zwischen Frühstück und
Abendessen auf dem Zimmer. Aber auch am Wochenende wird im Speisesaal nicht
telefoniert.
Wir halten es für völlig unpassend, in den öffentlichen Räumen einer
psychotherapeutischen Klinik mit Stöpseln im Ohr herumzulaufen oder laut Musik
abzuspielen (MP3-Player, Discman usw.). Dies gilt insbesondere für Therapie-einheiten
und Termine im medizinischen Bereich.
X
V.
Prinzipien der Behandlung aus wissenschaftlicher Sicht
Wir haben zehn Behandlungsprinzipien definiert, die uns besonders wichtig sind und an denen wir
uns in unserem Angebot zur stationären medizinischen Rehabilitation Abhängigkeitskranker
orientieren.
i. Abstinenz und Erwerbsfähigkeit im Mittelpunkt der Behandlung
Abstinenz und Erwerbsfähigkeit im Mittelpunkt der Behandlung ist kein als selbstverständlich
akzeptiertes Prinzip und dürfte ein Grund sein, dass es Therapeuten ohne Erfahrungen im
Suchtbereich (z. B. niedergelassene ärztliche und psychologische Psychotherapeuten) so schwer fällt
mit Abhängigen zu arbeiten. Die Sucht hat das Leben der Patienten vollkommen kontrolliert und
deren Arbeitsverhalten und die Beziehungen zu Bezugspersonen in negativer Weise teils sogar
dramatisch beeinflusst. Zu den störungsspezifischen Auswirkungen der Sucht gehört, dass die
Erkrankung häufig geleugnet oder bagatellisiert wird und dass Ursachen für ihr Zustandekommen
gesucht werden, nach deren Behebung „das Problem mit dem Trinken“ behoben sein sollte. Das
permanente Zusammensein mit anderen abhängigen Patienten kann diese Verleugnungs- und
Bagatellisierungstendenzen fördern. Um dem Entgegenzuwirken muss die Suchterkrankung im
Mittelpunkt der Behandlung stehen, sowohl in den Bezugsgruppen als auch in der Einzeltherapie so
dass die zerstörerischen Folgen der Sucht und die positiven Folgen der Abstinenz auch in den
informellen Kontakten der Patienten nachhaltig in deren Bewusstsein bleiben.
Neben dem Auftrag durch den Leistungsträger, der Wiederherstellung oder Aufrechterhaltung der
Erwerbsfähigkeit, spricht der hohe Zusammenhang zwischen Rückfall und Arbeitslosigkeit und der
hohe Stellenwert der Arbeitswelt in unserer Kultur für eine besondere Berücksichtigung dieses
Therapieziels, dass in Einzel- und Gruppentherapien und in den fachgebietsübergreifenden Bereichen
über den gesamten Behandlungszeitraum zu verfolgen ist.
ii. Minimalinterventionen
Im Vergleich zu vor dreißig Jahren hat sich das diagnostische Instrumentarium in der somatischen
Medizin, der Psychiatrie und der klinischen Psychologie sehr stark verbessert, so dass auch die
Diagnosen differenzierter wurden und inzwischen Erkrankungen erkannt werden, die damals
übersehen wurden oder unbekannt waren. Typische Beispiele sind die Persönlichkeitsstörungen und
ADHS. Gleichzeitig ist in der Verhaltenstherapie, ebenso wie in anderen Therapieformen, das
Spektrum der Intervention erheblich angestiegen. EMDR zur Behandlung Posttraumatischer
Belastungsstörungen oder Achtsamkeitsübungen waren damals vollkommen unbekannt. Je besser
die Diagnostik und je mehr Interventionen zur Verfügung stehen, umso höher ist die
Wahrscheinlichkeit, dass engagierte Therapeuten, die möchten, dass es ihren Patienten gut geht,
auch alles anwenden. In der somatischen Medizin wurde dieses Problem erkannt und es wird nicht
mehr alles diagnostiziert und behandelt, was es irgendwie zu entdecken gibt. In der Psychiatrie gibt
es gelegentlich Versuche eine neue psychische Störung zu kreieren, wie zum Beispiel das
„Verbitterungssyndrom“ oder das „chronische Erschöpfungssyndrom“. Diesbezüglich besteht in der
salus klinik Hürth keine Gefahr, dass man sich solchen modischen Entwicklungen anschließt.
Schwierig hingegen ist eine Beschränkung bei der Auswahl aus der Menge der bewährten
XI
verhaltenstherapeutischen Interventionen. Diagnostisch werden die Patienten allumfassend
gescreent. Wurden vor 20 Jahren bei den Patienten in der Regel nicht mehr als zwei bis drei
Zusatzdiagnosen gestellt, so gibt es heute bei Patienten häufig fünf komorbide Störungen, in
extremeren Fällen sogar acht oder neun. Letzteres war vor 20 Jahren noch unvorstellbar. Bei der
Menge der Diagnosen ist die Beschränkung auf die wichtigsten Therapieziele, die für
Erwerbsfähigkeit und Abstinenz notwendig sind, eine Herausforderung, gefolgt von der nicht leichten
Auswahl der richtigen Interventionen. Wir sind der Meinung einiger Fachleute, dass zu viele
Therapieziele und Interventionen für einen Patienten schädlich sein können. Ferner glauben wir,
dass die Kunst der Therapie weniger in der Durchführung von Interventionen besteht, sondern die
richtigen, wenigen Interventionen zum richtigen Zeitpunkt individuell auf den Patienten
maßgeschneidert durchzuführen. Wenn das gelingt erreicht man für einen Patienten eine ideale
Behandlungszeit und Therapieintensität. So kann zum Beispiel ein Langzeitpatient wöchentlich eine
Einzeltherapiesitzung erhalten, ein anderer viermal wöchentlich und wiederum ein anderer nur alle
zwei Wochen. Unabhängig von der Therapieintensität können die Behandlungsdauern zwischen 8
Wochen und 13 Wochen variieren und bei schwerer Mehrfachabhängigkeit sogar zwischen 13 und 26
Wochen. Objektive Kriterien gibt es für diese Entscheidungen leider nicht, Korrelationsstudien, wie
die von Küfner & Feuerlein (1989) gestatten keine Schlussfolgerungen über die ideale Therapiezeit
für bestimmte Gruppen. Diese Studien sind höchstens Anregungen für die Fallkonferenzen, in denen
die Therapiepläne besprochen werden, um unter anderem für jeden Patienten die optimale
Therapieintensität und –dauer festzulegen. Minimalinterventionen bedeutet nicht nur
Therapieverkürzung, sondern kann auch bedeuten aus einer Kurzzeittherapie eine
Langzeitbehandlung zu machen, wobei der umgekehrte Fall eher das Wahrscheinlichere ist.
iii. Therapie nach Indikation
Aus dem Prinzip der Minimalinterventionen ergibt sich die Notwendigkeit einer Behandlung nach
sehr genauer Indikation. Daher wird auch die Diagnostik von mehreren Therapeuten durchgeführt
und erstreckt sich in der Regel über eine Woche, abgesehen von der Verhaltensanalyse, die den den
gesamten Behandlungszeitraum in Anspruch nimmt, da sie gleichzeitig eine therapeutische Funktion
hat. Zur Erreichung der beiden Rehabilitationsziele Abstinenz und Erwerbsfähigkeit wird die
Behandlung der individuellen Problematik der Patienten, ihrer Gedankenwelt, ihren sozialen
Umweltbedingungen und Beziehungsstrukturen sowie ihren Lebenszielen und Werthaltungen
angepasst. Entsprechend werden in der salus klinik Hürth keine Standardprogramme mit einem
Schwerpunkt auf störungsübergreifender Gruppentherapie durchgeführt. Grundlage für die Planung
der Therapie jedes einzelnen Patienten sind die Ergebnisse der ca. einwöchigen Diagnostikphase.
Der Schwerpunkt der Behandlung liegt auf einer störungsspezifischen Einzel- bzw.
Kleingruppentherapie.
Angestrebt
wird
ein
möglichst
einfacher
und
gradliniger
Gesamtbehandlungsplan nach dem Prinzip der minimalen Intervention. So nehmen Patienten auch
nur an den indikativen Gruppen teil, die für sie indiziert sind. Gleichzeitig wird eine Verpflichtung für
indizierte Interventionen angestrebt, die manchmal motivierende Maßnahmen erfordert. So wird
verhindert, dass zu komplexe, aus vielen Komponenten bestehende Therapieprogramme sich negativ
auf die Handlungs-Ergebnis-Erwartung der Patienten und den Therapieerfolg auswirken.
XII
iv. Case-Management
Suchterkrankungen und ihre assoziierten Störungen sind aufgrund ihrer Komplexität in der Regel im
interdisziplinären Team am besten behandelbar. Dabei besteht die Gefahr, dass die Vielfalt der
nebeneinander bestehenden therapeutischen Beziehungen viele Patienten überfordert bzw.
verwirrt. Ein Durchlaufen mehrerer Abteilungen im Rahmen einer Behandlung mit immer neuen
Ansprechpartnern und erneuter Befragung ist aufgrund des dadurch entstehenden enormen Bedarfs
an Informationsaustausch nicht ökonomisch. Deshalb erfolgt die interdisziplinäre Behandlung in der
salus klinik nach dem Case-Management-Prinzip unter der Gesamtverantwortung des Leitenden
Arztes. Eine Aufgabe von Case-Management ist es, „soziale Probleme durch optimale Allokation,
Einbeziehung und Koordination von Umweltressourcen zu lösen“ (Klug, 2003). Statt eines defizitären
Blickwinkels auf Probleme und Mängel geht es um die Ausrichtung auf Potentiale und Ressourcen
der Betroffenen. Damit ergeben sich inhaltlich enge Verbindungen zur Selbstmanagementtherapie
und anderen lösungsorientierten Therapiekonzepten, aber Case-Management versteht sich explizit
nicht als therapeutischer Ansatz, sondern als Konzept zur praktischen zielorientierten Unterstützung
und Koordination von Unterstützungsleistungen. Dieses Handlungsschema für einen geregelten
Hilfeprozess besteht aus folgenden Elementen: Vereinbarung über die Zusammenarbeit, Assessment,
Zielvereinbarung, Planung, Implementierung, Organisation und Koordination von Hilfen, Sicherung
von Transparenz, laufendes Monitoring, regelmäßiges Re-Assessment und abschließende Evaluation.
In der stationären Suchthilfe hat dieses psychosoziale Verständnis von effizienter Hilfe eine lange
Tradition. Beispiele wie das Case Management in der salus klinik Hürth verstanden wird sind unter
Punkt 8.2.1 und 12.2 dargestellt.
v. Hoher Anteil Fachtherapie
Die sehr positiven Erfahrungen in der salus klinik Arnsberg mit der Fachtherapie sprechen für eine
Beibehaltung dieses Ansatzes (Domma-Reichart, 2009). Unter Fachtherapie verstehen wir alle
Leistungen, die zusätzlich zu der psychotherapeutischen und somatischen Behandlung und der
klinischen Sozialarbeit und dem Sozialdienst einen wichtigen Beitrag zur Teilhabe am Leben in der
Gemeinschaft darstellen. Dazu gehören die Ergotherapie mit der Arbeitstherapie, mit
produktorientiertem Arbeiten und mit Arbeitsplatz-, Gedächtnis-, Haushalts-, und Freizeittraining.
Außerdem gehören zur Fachtherapie die gestalterische Ergotherapie, die Kreativtherapie und die
Freizeitgestaltung (z. B. Freizeitplanung, Kunst und Gestaltung und die Musiktherapie). Ein weiterer
Bereich der Fachtherapie sind Maßnahmen der Sport- und Bewegungstherapie,
Entspannungsverfahren und Ernährungsschulung.
Um den Aufforderungscharakter dieser Angebote für die Patienten zu erhöhen und die Angebote
attraktiver zu machen, haben wir die einzelnen Leistungen drei Bereichen zugeordnet, die auch nach
der Behandlung für die Patienten wünschenswert erscheinen. Die drei Bereiche sind: a) Beruf &
Arbeit, b) Freizeit, Kunst & Genuss und c) Gesundheit & Wellness. Wir haben bewusst diese
Aufteilung vorgenommen anstatt die Überschriften der Therapiestandards des DRV zu verwenden,
an denen wir uns aber orientieren. So wird zum Beispiel die „gestalterische Ergotherapie,
Kreativtherapie und Freizeitgestaltung“ (ETM 8) bei mehr als 70 % unserer Patienten angewendet
werden. Wir vermuten, dass sich die Patienten nach der Behandlung eher dafür entscheiden in
Selbstregulation alleine und durch den Besuch von Veranstaltungen etwas für ihre Gesundheit und
Wellness zu unternehmen, als – um nur ein Beispiel zu nennen – ein Fördertraining durchzuführen,
ein Maßnahme, die während der Behandlung sehr hilfreich ist, aber für nach der Behandlung nur
XIII
einen geringen Aufforderungscharakter haben wird. Ferner sind die Patienten durch diesen
Sprachgebrauch nicht auf einzelne Leistungen der Klinik festgelegt, sondern entdecken eventuell
ganz neue Bereiche, die ihrer Gesundheit und Wellness dienen. Neben einer Orientierung an den
Therapiestandards des DRV beachten wir, dass bei unseren Patienten die für eine Gesundheit und
damit zusammenhängenden Komponenten von Wohlbefinden entsprechend des ICF erfüllt werden.
Dazu leisten auch die Maßnahmen der Fachtherapie einen wesentlichen Beitrag. Um einige
praktische Beispiele zu nennen wird durch die Angebote der Fachtherapie, die mit der Medizin,
Psychotherapie und dem Sozialdienst eng vernetzt ist, gewährleistet, dass die Patienten nach der
Behandlung unter anderem in der Lage sind




auf ihre Gesundheit zu achten (z. B. ausgewogene Ernährung, angemessenes Niveau
körperlicher Arbeit),
Waren und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs zu beschaffen (z. B. Getränke,
Reinigungsmaterial, Haushaltsartikel auswählen; Qualität und Preise von Lebensmitteln
vergleichen)
Hausarbeiten zu erledigen (z. B. Reinigen der Wohnung, Kleidung waschen, bügeln, Knöpfe
annähen) und
Ihre Freizeit zu gestalten und sich zu erholen (z. B. sich an sportlichen Spielen beteiligen,
Hobbys nachzugehen, kulturelle Ereignisse aufsuchen).
Mit vielen dieser Tätigkeiten sind die meisten Abhängigen nicht mehr vertraut und bei einem sehr
frühen Beginn der Abhängigkeit sind diese Tätigkeiten vollkommen neu. Wir messen daher diesen
Bereichen besondere Bedeutung zu, da durch sie verborgene Ressourcen bei den Patienten gefördert
werden und ein wesentlicher Beitrag zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft geleistet wird.
Dementsprechend umfangreich und vielfältig ist die Fachtherapie im Behandlungsprogramm der
salus klinik Hürth vertreten unter den Abschnitten Ergotherapie und Gesundheit & Wellness. Für die
Patienten finden werktäglich Veranstaltungen aus allen drei Bereichen statt und an Wochenenden
besteht die Möglichkeit in der Freizeit einzelne Angebote in Anspruch zu nehmen, die keine
fachtherapeutische Betreuung erfordern. Eine Begründung für den hohen Anteil dieser beiden
Bereiche ergibt sich auch aus dem theoretischen Teil zur Erwerbsfähigkeit, so dass hier nicht
ausführlicher darauf eingegangen wird.
vi. Selbstmanagement Ansatz
Der Selbstmanagement-Ansatz ist keine Therapieform, obwohl in der Regel als Therapie bezeichnet
(Kanfer & Schefft, 1988, Kanfer, Reinecker & Schmelzer, 1996) und auch keine Theorie, sondern eine
therapeutische Grundhaltung mit dem Ziel, Patienten in die Lage zu versetzen, ihr Leben wieder ohne
therapeutische Hilfe zu gestalten. Soweit ein Patient dazu in der Lage ist, werden in der
Rehabilitationsbehandlung Autonomie und Selbstregulation angestrebt. Der Patient hat in der
Gestaltung der Behandlung und in der Anwendung der Behandlungsmaßnahmen eine aktive Rolle,
erlernt Fertigkeiten der Selbstregulation bestehend aus Selbstbeobachtung, Selbstbewertung und
Selbstkonsequenz, so dass er sein Verhalten selbst korrigieren kann oder präventiv unangemessene,
schädliche Verhaltensweisen verhindern kann. Die Grundhaltung dieses Ansatzes ist, dass
Selbstbestimmung, Eigenverantwortung, Selbstregulation und Selbständigkeit legitime und wertvolle
Ziele menschlichen Strebens sind (Kanfer, Reinecker & Schmelzer, 1996). Wir versprechen und
XIV
außerdem von diesem Ansatz, dass Patienten, denen nicht ein abstinentes Leben auf Anhieb gelingt
in die Lage versetzt werden ohne formelle Hilfe wieder zur Abstinenz und Erwerbsfähigkeit
zurückzukehren. Unsere Ein-Jahreskatamnesen bestätigen, dass wir bei einem Teil der
vorübergehend rückfälligen Patienten dieses Ziel erreichen konnten. Sie lebten zur EinJahreskatamnese wieder seit wenigstens einem Monat ganz abstinent.
vii. Ressourcenorientierte Therapie
Ein zentraler Wirkfaktor einer Psychotherapie, unabhängig von deren Orientierung, ist die
Aktivierung von Ressourcen des Patienten (Grawe 1998). Es handelt sich dabei nicht um eine
spezielle Therapieform, sondern um ein Prinzip, dass während der gesamten Behandlung beachtet
wird. Es wird von der Annahme ausgegangen, dass selbst Patienten mit schweren psychischen
Störungen Ressourcen besitzen, die sie nicht ausreichend für ihr Wohlbefinden und ihre Gesundheit
nutzen. Die Ressourcen lassen sich unterteilen in externe (z. B. alte Freunde), interpersonelle (z. B.
Verlässlichkeit) und intrapersonelle (z.B. Flexibilität). Außerdem ist zu unterscheiden zwischen
objektiven und subjektiven Ressourcen. Die objektiven werden allgemein als positiv beurteilt, die
subjektiven nur vom betreffenden Patienten (Willutzki 2003). Die ressourcenorientierte Diagnostik
wird parallel zur Störungsdiagnostik durchgeführt und mit der Aktivierung der Ressourcen wird so
früh wie möglich begonnen, um sie über die gesamte Behandlungszeit beizubehalten, insbesondere
auch zu Ende der Therapie. Durch ressourcenaktivierende Interventionen kommt es zu positiven
Rückkoppelungsprozessen, die sich ausdrücken in positiveren Gefühlen, einem verbesserten
Selbstwertgefühl, einem verbesserten Wohlbefinden und schließlich auch in einem höheren
Engagement in der Therapie (Grawe 1998).
viii. Community Reinforcement Approach (CRA)
Die häufig verwendete deutsche Übersetzung „Gemeinde-Verstärkungs-Ansatz“ führt zu falschen
Vorstellungen über diesen im Jahr 1973 erstmals von Hunt & Azrin publizierten und an
Alkoholabhängigen erfolgreich erprobten Ansatz. Wir verwenden im Folgenden die Abkürzung CRA
für dieses vorwiegend im ambulanten Setting bewährte Vorgehen. Am Beispiel der Behandlung
Drogenabhängiger konnte in einer ersten Pilotstudie gezeigt werden, das der CRA ohne Probleme in
die stationäre Behandlung übertragbar ist (Vollmer 2004). Im ambulanten Bereich ist die
Wirksamkeit des CRA durch wenigstens 17 Studien mit Alkohol- und Drogenabhängigen belegt mit
der Einschränkung, das sowohl im ambulanten Bereich als auch in der stationären Studie, die
Nachhaltigkeit der positiven Ergebnisse nicht ausreichend nachgewiesen ist (Lange et al., 2008). Die
Katamnesezeiträume betragen in der Regel höchstens 6 Monate und bei den wenigen Studien mit
Ein- oder Zweijahres-Katamnesen sind die Effekte sehr schwach oder auch nicht mehr vorhanden.
Trotzdem erscheint uns der CRA im Rahmen eines komplexeren stationären Behandlungsprogramms
ein erfolgsversprechendes Element, das sich sehr gut in die Philosophie der Rehabilitation integrieren
lässt. In Anlehnung an Azrin (1976) definieren wir CRA als einen Ansatz der kognitiven und übenden
Verhaltenstherapie zur Erhöhung positiver (Selbst-)Verstärkungen für Abstinenz und für
abstinenzfördernde Handlungen unter Einbeziehung sozialer Systeme (Familie, Beruf, alltägliche
Kontakte) und persönlicher Kompetenzen in den Bereichen des alltäglichen Lebens (Sport, Beruf,
Freizeit, Haushalt, etc.), so dass ein abstinentes Leben belohnender wird als der Gebrauch
psychotroper Substanzen. Diese Grundhaltung ist für uns der entscheidende Punkt dieses Ansatzes,
XV
denn die zur Anwendung empfohlenen Methoden gehören bis auf eine Ausnahme zu den
altbewährten klassischen verhaltenstherapeutischen Interventionen, die da sind: Verhaltensanalyse,
Ablehnungs-Training, Problemlöse-Training, Kommunikations-Training, Kompetenz-Training,
Bewerbungs-Training, Partnertherapie und Freizeitberatung (Meyers & Miller 2001, Lange et al.,
2008). Die Ausnahme ist der Einsatz von Disulfiram, dem ein hoher Stellenwert in der Behandlung
nach dem CRA zukommt. Die Verabreichung von Disulfiram widerspricht anderen Prinzipien unseres
Konzeptes (z. B. dem Selbstmanagement Ansatz). Außerdem stehen für den stationären Bereich
effektivere psychotherapeutische und pharmakologische Behandlungsmaßnahmen zur Behandlung
rückfallgefährdeter Patienten zur Verfügung.
ix. Ganzheitlicher Ansatz
Als entscheidend für den Therapieerfolg halten wir eine konzentrierte und unmittelbare
Überwindung der chronifizierenden Bedingungen der Abhängigkeit mittels eines ganzheitlichen
Therapieansatzes. Entsprechend erfolgt in der salus klinik Hürth eine Integration moderner
medizinisch-pharmakologischer, psychiatrischer, psychologischer, sozialtherapeutischer und
ergotherapeutischer Behandlungsansätze in einem interdisziplinären Team. Gerade für Patienten mit
Persönlichkeitsstörungen oder Patienten, die in ihrer Entwicklung keine Grenzen und Regeln erfahren
haben, ist ein solcher interdisziplinärer Ansatz unter der Bedingung einer guten Vernetzung der
Bereiche sehr hilfreich.
Obwohl in der Verhaltensanalyse S-R-C Verknüpfungen aufgespürt werden, um bei den einzelnen
Verknüpfungen Veränderungen vorzunehmen, in anderen Worten, um einzelne Gewohnheiten zu
verändern, betrachten wir den Patienten ganzheitlich. Dieses kommt einerseits zum Ausdruck durch
die Zusammenarbeit der verschiedenen Fachbereiche und andererseits durch die Verknüpfung der
Lebensbereiche einer Person, die wir gegliedert haben nach: Beruf, Arbeit – Freizeit, Kunst & Genuss
– Gesundheit & Wellness. Es wird nicht möglich sein, einem Patienten das Trinken abzugewöhnen,
d.h. die den Alkoholkonsum aufrechterhaltenden S-R-C Verknüpfungen zu beseitigen und andere
Lebensbereiche wie Arbeit und Beruf auszuklammern. Ebenso ist es nicht möglich Erwerbsfähigkeit
langfristig zu sichern, ohne das Freizeitverhalten zu beachten. Die Veränderung eines Merkmals führt
zu Veränderungen anderer Merkmale, aber nicht immer in die gewünschte therapeutische Richtung.
Und erst die Gesamtheit der Merkmale einer Person ergibt einen Sinn, ergibt für den Patienten eine
gute Gestalt im Sinne Wertheimers. Den gleichen Anspruch haben wir für den Therapieplan, wie er
zusammen mit dem Patienten in die Tat umgesetzt wird, einschließlich der Therapiedauer. Denn das
Gesetz der guten Gestalt gilt ebenso für die Einheit der zeitlichen Fortdauer (Metzger 1934).
x. Wissenschaftlichkeit
Eine Behandlung sollte so sein, dass die Therapeuten sie guten Gewissens auch ihren besten
Freunden und ihrem Partner empfehlen würden, wenn damit nicht interaktionelle Probleme
verbunden wären, die eine Behandlung von nahestehenden Personen in der Klinik des Therapeuten
kontraindiziert
erscheinen
lassen.
Das
zentrale
Entscheidungskriterium
ist
die
Erfolgswahrscheinlichkeit
nach
abgeschlossener
Behandlung,
neben
den
üblichen
Strukturmerkmalen der Qualität, die für die meisten Kliniken inzwischen eine Selbstverständlichkeit
sind, obwohl auch hier von der salus klinik Hürth, so hoffen wir, neue Maßstäbe gesetzt werden. Eine
medizinische Rehabilitation ist ohne eine Orientierung an einem evidenzbasiertem Vorgehen in
XVI
unserer Zeit nicht mehr vertretbar, obwohl mit der Entscheidung für wissenschaftlich geprüfte
diagnostische und therapeutische Maßnahmen erhebliche Probleme verbunden sind. Es gibt fast
keine Forschung zur Rehabilitationsbehandlung Abhängiger in Deutschland und die wenigen
vorliegenden Studien sind von unzureichender methodischer Qualität, dass sie keine
Schlussfolgerungen gestatten, sondern nur als Anregungen zu sehen sind. Eine klinisch kontrollierte
Katamnesestudie die wissenschaftlichen Kriterien genügt ist uns nicht bekannt. Die amerikanischen
Studien zur Abhängigkeitsbehandlung sind auf deutsche Verhältnisse nicht übertragbar, begründet
durch die Einmaligkeit der medizinischen Rehabilitation in ihrer Gesamtphilosophie und ihren
ausgezeichneten Ergebnissen, die für internationale Experten nicht glaubhaft erscheinen (s. Kreh,
2004). So dienen auch die amerikanischen Studien mit ihren Ergebnissen, dass nach einer
Intervention x die Patienten signifikant weniger Alkohol trinken, nur als Anregung für die Auswahl
von Behandlungsmaßnahmen für die medizinische Rehabilitation. Hinzu kommt, dass für viele aus
der Erfahrung als wichtig eingeschätzte Bausteine (z. B. Sport, Kreativtherapie, Arbeitstherapie) auch
international keine empirischen Studien vorliegen. Und in der rein medizinischen Versorgung besteht
das inzwischen zwar erkannte aber noch nicht ganz gelöste Problem, dass vorwiegend Studien mit
erwünschten Ergebnissen veröffentlicht werden. Im Bewusstsein dieser gesamten Probleme sind die
AWMF Leitlinien in der Regel vorsichtig formuliert und es sind eben auch nur Leitlinien und keine
Richtlinien. So ist unvermeidlich, dass neben der Aufnahme und kritischen Reflexion der Erkenntnisse
der nationalen und internationalen Forschung, eine Fachklinik zur Rehabilitation
Abhängigkeitskranker ein hohes Niveau an internem Qualitätsmanagement anstrebt. Durch das
interne Qualitätsmanagement ist eine Suche nach verbesserten Methoden möglich, insbesondere für
sogenannte Problemgruppen, wie zum Beispiel Wiederholungsbehandlungen, Arbeitslose und
Mehrfachabhängige. Die für den Fachverband Sucht durchgeführten und jedes Jahr veröffentlichten
Katamnesen sind dabei sehr hilfreich. Wissenschaftliche Orientierung bedeutet für die salus klinik
Hürth nicht, Wissenschaft zu machen sondern wissenschaftlich zu denken und im Rahmen des
Qualitätsmanagements die Behandlung zu verbessern. Zusätzlich erfolgt in Kooperation mit der
Fachhochschule Köln eine Begleitforschung zu dem Themenbereich Sucht und Familie (s. Klein,
2005). Die kontinuierliche Weiterentwicklung des Behandlungskonzepts orientiert sich an den
Ergebnissen dieser Untersuchungen und des internen Qualitätsmanagements. Die Mitarbeiter der
Klinik werden im Rahmen von „Qualitätszirkeln“ zur Mitwirkung an der Optimierung und
Weiterentwicklung des Behandlungsangebots ermutigt und unterstützt. Außerdem gestattet die
wissenschaftliche Orientierung der Klinik unter Verwendung des Dokumentationssystem PaDo sich
auf Veränderungen in der Gesellschaft und bei den Patienten möglichst zeitnah einzustellen und
Behandlungsmaßnahmen zu modifizieren.
Als Beispiele seien genannt der zunehmende Gebrauch illegaler Drogen durch Patienten mit einer
Erstdiagnose Alkoholabhängigkeit und die in den letzten Jahren erhöhte Arbeitslosigkeit.
XVII
VI.
Testpsychologie
a. Suchtspezifische Diagnostik
MALT: Münchener Alkoholismus Test (Feuerlein, W., Ringer, Ch., Küfner, H. & Antons, K., 1977)
Einsatzbereich: Verdacht auf Alkoholmissbrauch oder –abhängigkeit
Testaufbau: Der MALT besteht aus zwei Teilen, einem Fremdbeurteilungsteil (MALT-F), der vom Arzt
ausgefüllt wird, und einem Selbstbeurteilungsteil (MALT-S).
Der MALT-F besteht aus sieben Items, die vom Arzt aufgrund von anamnestischen
Untersuchungsergebnissen als zutreffend bzw. nicht zutreffend eingeschätzt werden. Drei dieser
Items beziehen sich auf objektivierbare Alkoholfolgekrankheiten, zwei Items auf den Alkoholkonsum
(Trinkmenge), ein Item auf den Blutalkoholspiegel (Alkoholfahne); dazu kommt ein
fremdanamnestisches Item.
Der MALT-S enthält 24 Items, die sich in drei Aspekten unterteilen lassen: Trinkverhalten bzw.
Einstellung zum Trinken, alkoholbedingte psychische bzw. soziale Beeinträchtigung und somatische
Störungen.
Zuverlässigkeit: gut
Gültigkeit: r = .85 mit einem Außenkriterium in Form einer Diagnose durch einen Experten
Normen: Summenwert > 10 führt zur Verdachtsdiagnose Alkoholabhängigkeit
Bearbeitungsdauer: ca. 10 Minuten
KMM: Kurzfragebogen zum Medikamentenmissbrauch (Watzl, Rist, Höcker & Miehle, 1990)
Einsatzbereich: Verdacht auf Medikamentenmissbrauch
Testaufbau: Die Skala besteht aus 12 Items mit den Antwortkategorien trifft zu/trifft nicht zu
Zuverlässigkeit: gut
Gültigkeit: 13 % der Personen mit schädlichem oder abhängigen Gebrauch von Medikamenten
werden nicht erfasst und 7 % der Alkoholabhängigen werden fälschlicherweise als
Medikamentenmissbraucher eingestuft
Normen: Summenwert > 3 führt zu der Zuordnung: schädlicher Gebrauch von Medikamenten. Der
Fragebogen gestattet keine Beurteilung des Schweregrades.
Bearbeitungsdauer: 5 Minuten
Fagerström: Fragebogen zur Abklärung von Nikotinabhängigkeit (Bleich, Havemann-Reinecke &
Kornhuber)
XVIII
Einsatzbereich: Jugendliche und Erwachsene Tabakkonsumenten
Testaufbau: Der Fragebogen zur Selbstbeurteilung besteht aus sechs Items mit multiple choice
Antworten, die unterschiedlich gewichtet werden.
Zuverlässigkeit: Die Retest-Reliabilität liegt bei r=.88
Gültigkeit: eine Messung der Schweregrads der Abhängigkeit und eine Unterscheidung zwischen
Missbrauch und Abhängigkeit wird als fraglich gesehen
Normen: je nach Summenwert der multiple choice Antworten findet eine Zuteilung nach sehr geringe
bis sehr starke Abhängigkeit statt.
Bearbeitungsdauer: ca. 5 Minuten
IDTSA Inventory of Drug Taking Situations für Alkoholabhängige (Lindenmeyer & Florin, 1998)
Einsatzbereich: Jugendliche und Erwachsene mit der ICD-10 Diagnose F10.x
Testaufbau: Der Fragebogen besteht aus 50 Items mit den Antwortkategorien: nie, selten, oft, fast
immer Alkohol in der Situation im letzen Jahr getrunken. Die Skalen des Fragebogens sind: negative
Gefühle, körperliche Probleme, positive Gefühle, kontrolliertes Trinken, Verlangen, Konflikte, soziale
Verführung und Geselligkeit.
Zuverlässigkeit: die interne Konsistenz (Cronbachs Alpha) liegt bei den Einzelskalen zwischen .73 und
.90
Gültigkeit: die faktorielle Validität wird als gut eingeschätzt
Normen: entfällt
Bearbeitungsdauer: ca. 15 Minuten
DTCQA: Drug Taking Confidence Questionnaire (Lindenmeyer et al., 2003)
Einsatzbereich: Jugendliche und Erwachsene mit der ICD-10 Diagnose F10.x
Testaufbau: Der Fragebogen besteht aus 50 Items (identisch mit den Themen der Items des IDTSA)
mit den Antwortkategorien: 0 %, 20 %, 40 %, 60 %, 80 %, 100% Abstinenzzuversicht. Die Skalen des
Fragebogens sind: negative Gefühle, körperliche Probleme, positive Gefühle, kontrolliertes Trinken,
Verlangen, Konflikte, soziale Verführung und Geselligkeit.
Zuverlässigkeit: die interne Konsistenz (Cronbachs Alpha) ist bei den Einzelskalen > .79
Gültigkeit: die faktorielle Validität wird als gut eingeschätzt
Normen: entfällt
Bearbeitungsdauer: ca. 15 Minuten
XIX
b. Aktuelle psychische Verfassung
BSI: Brief Symptom Inventory (Kurzform der SCL-90-R) (Franke, 2000)
Einsatzbereich: Jugendliche ab 13 Jahren und Erwachsene. Das Instrument kann im psychologischen,
medizinpsychologischen, psychosozialen, psychotherapeutischen, psychiatrischen und medizinischen
Kontext eingesetzt werden.
Das Verfahren: Das BSI, eine Kurzform der SCL-90-R, misst die subjektiv empfundene
Beeinträchtigung durch körperliche und psychische Symptome einer Person innerhalb eines
Zeitraumes von sieben Tagen.
Testaufbau: Die 53 Items der neun Skalen beschreiben die Bereiche „Somatisierung“,
„Zwanghaftigkeit“,
„Unsicherheit
im
Sozialkontakt“,
„Depressivität“,
„Ängstlichkeit“,
„Aggressivität/Feindseligkeit“, „Phobische Angst“, „Paranoides Denken“ und „Psychotizismus“. Drei
Globale Kennwerte geben Auskunft über das Antwortverhalten bei allen Items. Der GSI (global
severity index) misst die grundsätzliche psychische Belastung, der PSDI (positive symptom distress
index) misst die Intensität der Antworten und der PST (positive symptom total) gibt Auskunft über
die Anzahl der Symptome, bei denen eine Belastung vorliegt.
Zuverlässigkeit: Die Retest-Reliabilität nach einer Woche liegt in einer Gruppe von 50 Studierenden
zwischen rtt = .73 und rtt = .92. Der Test eignet sich gut zu prä-post Messungen.
Gültigkeit: Die Items zeigen „face validity“. Die kriterienbezogene Validität konnte für einzelne Skalen
nachgewiesen werden. Weiterhin trennt das BSI zwischen Kontrollpersonen und Patientengruppen
sowie innerhalb von Patientengruppen anhand relevanter Kriterien. Die Oberflächenvalidität ist nach
den Erfahrungen der salus kliniken Friedrichsdorf und Arnsberg zufriedenstellend
Normen: T-Werte liegen nach Geschlecht getrennt vor (N = 600 nach Geschlecht und Bildung
geschichtete Personen sowie N = 589 Studenten).
Bearbeitungsdauer: Ohne Zeitbegrenzung; durchschnittlich bei unseren Patienten 15 Minuten.
ADS-K: Allgemeine Depressionsskala (ADS, Radloff, 1977; deutsche Version: Hautzinger & Bailer,
1992)
Einsatzbereich: Ab 16 Jahren. Einsatz bei nicht-klinischen sowie klinischen Stichproben aus dem
psychiatrischen und psychosomatischen Bereich.
Das Verfahren: Die Allgemeine Depressionsskala (ADS) ist ein Selbstbeurteilungsinstrument, das das
Vorhandensein und die Dauer der Beeinträchtigung durch „depressive Affekte“, „körperliche
Beschwerden“, „motorische Hemmung“ und „negative Denkmuster“ erfragt. Die ADS liegt in einer
Kurzform (ADS-K) vor, die in der salus klinik verwendet wird. Die erfragten depressiven Merkmale
sind Verunsicherung, Erschöpfung, Hoffnungslosigkeit, Selbstabwertung, Niedergeschlagenheit,
Einsamkeit, Traurigkeit, Antriebslosigkeit, Weinen, Rückzug, Angst u. a. Der Bezugszeitraum ist die
letzte Woche.
XX
Testaufbau: die ADS-K aus insgesamt 15 Items. Zuverlässigkeit: Es besteht eine hohe Reliabilität
(interne Konsistenz) der ADS-Items.
Gültigkeit: Die Validität der ADS ist durch hohe Korrelationen mit anderen Verfahren (z. B. BeckDepressions-Inventar) belegt.
Bearbeitungsdauer: Die Bearbeitungsdauer beträgt ca. 5 Minuten.
c. Komorbide Störungen
SKID I: Strukturiertes klinisches Interview für DSM-IV (Wittchen, Zaudig & Fydrich et al., 1997) oder
IDCL: Internationale Diagnosen Checklisten für DSM-IV (Hiller, Zaudig,& Mombour, 1997)
Einsatzbereich: klinische Stichproben im psychiatrischen und psychosomatischen Bereich
Testaufbau: entfällt
Zuverlässigkeit: unbekannt
Gültigkeit: unbekannt
Bearbeitungsdauer: ca. 60 Minuten
Beide Checklisten wurden für die tägliche Routinediagnostik im Bereich der psychiatrischen und
psychosozialen Versorgung entwickelt. Die Listen dienen als Leitfaden, um in der Exploration
diagnostische Kriterien für die verschiedenen Störungen zu überprüfen.
SKID II Strukturiertes klinisches Interview für DSM-IV, Achse II Persönlichkeits-störungen (Wittchen,
Zaudig & Fydrich et al., 1997)
Einsatzbereich: klinische Stichproben ab einem Alter 18 Jahre, im psychiatrischen und
psychosomatischen Bereich
Testaufbau: Der Fragebogen hat 117 Items mit ja/nein Antworten und den
Faktoren:
selbstunsichere, dependente, zwanghafte, negativistische, depressive paranoide, schizotypische,
schizoide, histrionische, narzisstische, borderline und antisoziale Persönlichkeit.
Zuverlässigkeit: unbekannt
Gültigkeit: unbekannt, insgesamt sehr geringe Validität bei der Diagnostik von
Persönlichkeitsstörungen. Der Fragebogen sollte nur in Kombination mit SKID I verwendet werden
(siehe Punkt 9)
Normen: keine
Bearbeitungsdauer: Fragebogen ca. 30 Minuten, Interview je nach Fragebogenantworten zwischen 5
bis 60 Minuten
XXI
Die folgenden Tests werden je nach Indikation vorgegeben, entsprechend den Ergebnissen des SKID
oder des IDCL. Ein Patient erhält maximal zwei dieser Fragebogen zu den am stärksten
behandlungsbedürftigen Störungen:
Angststörungen
AKV: Fragebogen zu körperbezogenen Ängsten, Kognitionen und Vermeidung (Ehlers & Margraf, J.
2001; engl. Version: Chambless et al., 1984)
Einsatzbereich: Patienten mit Ängsten und nicht organisch begründeten körperlichen Symptomen
Das Verfahren: Mit dem AKV können interne Angstauslöser, die zentralen Befürchtungen des
Patienten und das Muster des Vermeidungsverhaltens differenziert diagnostiziert werden.
Testaufbau: Das Verfahren besteht aus drei Fragebögen – dem Fragebogen zur Angst vor
körperlichen Symptomen (17 Items), dem Fragebogen zu angstbezogenen Kognitionen (14 Items)
und dem Mobilitätsinventar (27 Items).
Zuverlässigkeit: Die Fragebögen weisen gute bis sehr gute Konsistenzen und Retest-Reliabilitäten auf.
Gültigkeit: Es existieren umfangreiche Untersuchungen zur Validität an ambulanten und stationären
Patienten sowie an Personen ohne psychische Störung vor.
Normen: Mittelwerte, Stanine- und Perzentilwerte für verschiedene klinische Gruppen
Bearbeitungsdauer: 10-20 Minuten (alle drei Fragebögen)
Soziale Phobien
SPS: Soziale Phobie- Skala (Stangier et al., 1999)
Einsatzbereich: Erfassung sozialer Phobien, die sich auf Angst vor Beobachtung und negativer
Bewertung eigener Handlungen durch andere beziehen.
Das Verfahren: Mit dem Fragebogen werden Kognitionen und Angstsymptome in sog. Performance(„Leistungs“-) Situationen erfasst, in denen Handlungen, wie eine Rede halten, Essen, Trinken oder
Schreiben einer kritischen Beobachtung unterzogen werden könnten. Befürchtet wird, dass
entweder die Ausführung der Handlungen oder begleitende Symptome von Angst als unangemessen
(„peinlich“) bewertet werden könnten.
Testaufbau: Die SPS besteht aus insgesamt 20 Items.
Zuverlässigkeit: Bezogen auf Personen mit Sozialer Phobie wurde eine Retestreliabilität über drei
Wochen von =.96 und eine innere Konsistenz von rtt=.94 festgestellt.
Gültigkeit: Die SPS diskriminiert Personen mit Sozialer Phobie von Kontrollpersonen mit einer
Trefferquote von 78 %, von Personen mit Angststörungen mit 68 % und von Personen mit
depressiven Störungen mit 63 %.
XXII
Normen: Es findet eine Summation der Item-Rohwerte statt. Der Cut-off-Wert für Soziophobiepatienten liegt bei  20.
Bearbeitungsdauer: 5-10 Minuten
Zwangsstörungen
HZI-K: Hamburger-Zwangsinventar Kurzform (Klepsch, Zaworka, Hand, Lünenschloß & Jauernig, 1993)
Einsatzbereich: Erfassung von Denk- und Handlungszwängen
Das Verfahren: Das HZI-K bietet die Möglichkeit zur differenzierten Quantifizierung von
Zwangsphänomenen, die auf der Handlungs- bzw. Verhaltensebene operationalisiert sind, ohne dass
persönlichkeitspsychologische oder neurosentheoretische Konstrukte mit einfließen.
Testaufbau: Der Fragebogen besteht aus 72 Items, die bezüglich des letzten Monats zu beurteilen
sind. Es werden insgesamt sechs Skalen unterschieden: A (Kontrollieren und Wiederholen), B
(Waschen, Reinigen), C (Ordnen), D (Zählen, Berühren, Sprechen), E (Gedankenzwänge), F
(zwanghafte Vorstellung, sich selbst oder anderen Leid zuzufügen).
Zuverlässigkeit: Die Reliabilität des HZI-K ist als gut zu bezeichnen.
Gültigkeit: In mehreren Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass das Ausmaß der Symptomatik
in verschiedenen Diagnosegruppen valide erfasst wird.
Normen: Stanine-Werte für Zwangskranke (N = 253) sowie Prozentrangwerte für Gesunde (N = 200).
Bearbeitungsdauer: 20-30 Minuten
Essstörungen
FEV: Fragebogen zum Essverhalten (Pudel & Westhöfer, 1989)
Einsatzbereich: Erfassung psychologischer Determinanten des Essverhaltens, besonders bei Bulimie,
Anorexie, Adipositas
Das Verfahren: Der FEV prüft auf drei Subskalen drei grundlegende psychologische Dimensionen des
Essverhaltens: (1) Kognitive Kontrolle des Essverhaltens / gezügeltes Essen, (2) Störbarkeit des
Essverhaltens und (3) erlebte Hungergefühle. Die kognitive Kontrolle des Essverhaltens bzw. das
gezügelte Essen hat sich in den letzten Jahren einerseits zunehmend als entscheidender
Bedingungsfaktor für die Entstehung und Aufrechterhaltung von Essstörungen (Bulimia nervosa,
Anorexia nervosa) herausgestellt und gilt andererseits als angestrebtes Ziel der Adipositastherapie.
Hohe Bedeutung kommt hierbei der Störbarkeit des Essverhaltens durch emotionale oder situative
Auslöser zu.
Testaufbau: Der FEV umfasst insgesamt 60 Fragen, wobei die ersten acht Fragen allgemeine
soziodemographische und anamnestische Merkmale erfassen. Anhand der folgenden 51 Items
XXIII
werden die Skalenwerte gebildet. Die letzte Frage (Item 60) betrifft die subjektiv wichtigsten
Schwierigkeiten im Essverhalten.
Zuverlässigkeit: Die interne Konsistenz der drei Unterskalen liegt zwischen α = .74 und α = .87.
Gültigkeit: Die Skala 1 (kognitive Kontrolle) korreliert mit verringerter, die Skala 2 (Störbarkeit des
Essverhaltens) mit erhöhter Nahrungsaufnahme. Beide Skalen besitzen prognostische Validität im
Hinblick auf erfolgreiche Gewichtsreduktion.
Normen: Vorläufige Normen, vor allem für weibliche Probanden, Angabe der Perzentile
(Werteverteilungen) für verschiedene Validierungsstichproben (N = 91.491).
Bearbeitungsdauer: etwa 15 Minuten
Somatoforme Störungen
SOMS-2: Screening für somatoforme Störungen (Rief, Hiller & Heuser, 1997)
Einsatzbereich: Diagnostik von körperlichen Beschwerden innerhalb der letzten 2 Jahre, die nicht auf
eine organische Ursache zurückzuführen sind.
Das Verfahren: Berücksichtigt werden alle körperlichen Symptome, die für eine
Somatisierungsstörung nach DSM-IV, ICD-10 als auch für die somatoforme autonome
Funktionsstörung von Relevanz sind.
Testaufbau: Das SOMS-2 besteht aus insgesamt 68 Items, wobei die Items 1 bis 53 den
Somatisierungsteil darstellen. Ein- und Ausschlusskriterien werden mit den Items 54 bis 63 erfragt
(z.B. Panikstörung). Als „Grobscreening“ für weitere Untergruppen von somatoformen Störungen
(Hypochondrie, körperdysmorphe Störung und somatoforme Schmerzstörung) dienen die Items 64
bis 68, um ggf. weitere diagnostische Instrumente einzusetzen. Es lassen sich drei
Somatisierungsindizes bilden: a) Somatisierungsindex nach DSM-IV, b) Somatisierungsindex nach ICD10 und c) SAD-Index zur Abklärung einer somatoformen autonomen Funktionsstörung.
Zuverlässigkeit: Die interne Konsistenz für den Beschwerdenindex liegt bei α = .88 für den
Beschwerdenindex Somatisierung und zwischen α = .73 und α = .79 für die drei anderen Indizes. Die
Retest-Reliabilität (nach 72 Stunden) liegt zwischen rtt = .85 und rtt = .87 für SOMS-2
Gültigkeit: Die Korrelationen zwischen dem SOMS-2 und verschiedenen Skalen anderer Verfahren
(z.B. SCL-90, FPI) belegen eine zufriedenstellende Konstrukvalidität.
Normen: Es bestehen Normwerte für gesunde (N=101) und psychosomatische Patienten (N=484) für
jeden einzelnen Index, getrennt nach Geschlecht sowie für die jeweilige Gesamtstichprobe.
Bearbeitungsdauer: ca. 5 Minuten
XXIV
Weitere Fragebogen, die je nach Indikation vorgegeben werden, sind:
Posttraumatische Belastungsstörungen
PDS: Posttraumatic stress diagnostic scale (Ehlers, Steil, Winter & Foa (1996)
Pathologisches Glücksspiel
KFG: Kurzfragebogen zum Glücksspielverhalten (Petry & Baulig, 1995)
Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung
WURS-K: Wender Utah Rating Scale
ADHS-SB: Selbstbeurteilungsskala
ADHS-DC: Diagnosecheckliste
Borderline Persönlichkeitsstörung
BSL-95: Borderline-Symptom-Liste (Bohus et al., 2001)
Partnerschafts- und Familienprobleme
PFB: Partnerschaftsfragebogen (Hahlweg, 1996)
FB: Die Familienbögen (Cierpka & Frevert, 1994)
d. Arbeits- und berufsbezogene Diagnostik
AVEM: Arbeitsbezogene Verhaltens- und Erlebensmuster, Schaarschmidt, U.; Fischer, A. (2003)
Einsatzbereich: Mit dem Test werden individuelle Verhaltens- und Erlebensweisen gegenüber der
Arbeit erfasst und unter Gesundheitsaspekten beurteilt.
Das Verfahren: Selbstbeurteilung durch Fragebogen. Vier arbeitsbezogenen Verhaltens- und
Erlebensmustern werden durch den Test erfasst: a) gesundheitsförderliches Verhalten- und
Erlebensmuster, so dass keine therapeutischen Interventionen notwendig sind, b) auf Schonung
orientiertes Verhaltens- und Erlebensmuster, mit Hinweisen auf die Notwendigkeit motivierender
Interventionen, c) gesundheitsgefährdendes Verhalten- und Erlebensmuster in Richtung einer
Selbstüberforderung und d) gesundheitsgefährdendes Verhalten- und Erlebensmuster: in Richtung
von Resignation und Depression. Die beiden letzten Dimensionen mit Hinweisen auf die
Notwendigkeit therapeutischer Interventionen
Testaufbau: Der Test ist ein mehrdimensionales persönlichkeitsdiagnostisches Verfahren. Die
insgesamt 66 Items (6 pro Dimension) erfassen per Selbsteinschätzung 11 faktorenanalytisch
XXV
gewonnene Dimensionen: Subjektive Bedeutsamkeit der Arbeit, Beruflicher Ehrgeiz,
Verausgabungsbereitschaft, Perfektionsstreben, Distanzierungsfähigkeit, Resignationstendenz (bei
Misserfolg), Offensive Problembewältigung, Innere Ruhe / Ausgeglichenheit, Erfolgserleben im Beruf,
Lebenszufriedenheit, Erleben sozialer Unterstützung.
Zuverlässigkeit: Der AVEM weist in allen 11 Dimensionen ausreichende innere Konsistenz auf
(Cronbachs Alpha zwischen .78 und .87; Splithalf-Reliabilität zwischen .76 und .90.)
Gültigkeit: Es konnten faktorielle, Kriteriums- und Kontruktvalidität nach gewiesen werden.
Normen: Es liegen Normen für Berufsgruppen und für Studierende und Patienten vor.
Bearbeitungsdauer: ca. 15 Minuten.
MELBA: Merkmalprofile zur Eingliederung Leistungsgewandelter und Behinderter in Arbeit
(Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, 1999). Dieses strukturierte Interviewverfahren ist
ausführlicher unter Ergotherapie dargestellt (11.1)
e. Mentale Körperfunktionen
Im Rahmen der Analyse der mentalen Körperfunktionen werden sowohl globale mentale Funktionen
(z. B. Orientierung, Intelligenz, Energie und Antrieb; ICF: b110-139) als auch spezifische mentale
Funktionen (z. B. Aufmerksamkeit, Gedächtnis, kognitiv-sprachliche Funktionen; ICF: 140-189)
erfasst. Dazu werden folgende Tests je nach Indikation eingesetzt:
VLMT: Verbaler Lern- und Merkfähigkeitstest (Helmstädter, Lendt & Lux, 2001)
Einsatzbereich: Erfassung des verbalen deklarativen Gedächtnisses
Testaufbau: Das Testmaterial besteht aus zwei Wortlisten (A Lernliste) und (B Interferenzliste) mit
jeweils 15 semantisch unabhängigen Substantiven. Eine dritte Wiederkennensliste besteht aus 50
Wörtern (Listen A und B sowie semantisch und phonetisch ähnliche Distraktoren). Die Testung erfolgt
in mehreren Durchgängen: (1-5) Die Wörter der Liste A werden jeweils im Abstand von einer
Sekunde vorgelesen und sollen frei reproduziert werden. (I) Die Wörter der Interferenzliste werden
vorgegeben und abgefragt. (6) Ohne erneute Vorgabe ist Liste A zu reproduzieren. (7) Nach 30minütiger Pause wird die Wiedererkennensliste vorgegeben. Der Proband soll die Wörter der Liste A
wiedererkennen. Als Parameter werden u.a. ausgewertet: unmittelbare Gedächtnisspanne,
Gesamtlernleistung, Abrufleistung und Verlust nach zeitlicher Verzögerung, korrigierte
Wiedererkennensleistung.
Zuverlässigkeit: Die Retestreliabilität liegt bei einem Abstand von 8 - 12 Monaten je nach
erhobenem Gedächtnisparameter zwischen .68 und .87.
Gültigkeit: Es existieren umfangreiche Befunde insbesondere zur klinischen Validität des Verfahrens.
XXVI
Normen: Es werden Prozentränge und T-Werte angegeben.
Bearbeitungsdauer: Die effektive Testzeit beträgt 20 - 25 Minuten. Inklusive des 30-minütigen
Verzögerungsintervalls nimmt die Durchführung 50 - 55 Minuten in Anspruch.
CFT-20: Grundintelligenztest Skala 2 – Revision (Weiss, 2006)
Einsatzbereich: Sprachfreie Messung der allgemeinen geistigen Leistungsfähigkeit
Das Verfahren: Der CFT-20 dient zur Erfassung der „fluiden Intelligenz“, welche das
Intelligenzpotential repräsentiert und frei von soziokulturellen, erziehungsspezifischen und
ethnischen Hintergründen ist. Die fluide Intelligenz kann umschrieben werden mit der Fähigkeit,
figurale Beziehungen und formal-logische Denkprobleme mit unterschiedlichem Komplexitätsgrad zu
erkennen und innerhalb einer bestimmten Zeit zu verarbeiten.
Testaufbau: Der CFT 20-R umfasst zwei gleichartig aufgebaute Testteile, die jeweils vier Untertests
beinhalten (Reihenfortsetzen, Klassifikationen, Matrizen und topologische Schlussfolgerungen). Der
erste Teil umfasst 57 Items, der zweite Teil 45 Items. Für beide Testteile werden die
Rohpunktsummen ermittelt, durch anschließende Addition ergibt sich der Gesamtrohwert.
Zuverlässigkeit: Der Konsistenzkoeffizient für den Gesamttest beträgt .95. Für einen Abstand von drei
Monaten konnten Testwiederholungskoeffizienten von .80 bis .82 ermittelt werden.
Gültigkeit: Korrelationen mit anderen Intelligenztests liegen im Durchschnitt für bei .64 und reichen
von .57 bis .73.
Normen: Es liegen Altersnormen für Erwachsene (20 - 60 Jahre) nur für den ersten Testteil vor.
Bearbeitungsdauer: beide Testteile ca. 60 Minuten, Kurzform (erster Testteil) ca. 37 Minuten
-
-
Testbatterie zur Aufmerksamkeitsprüfung (TAP 1, 2, 5, 6, 9, 11 ) mit den Faktoren Alertness (
Aufgewecktheit), geteilte Aufmerksamkeit (mehrere Reize berücksichtigen), selektive
Aufmerksamkeit (Fähigkeit zur Unterdrückung einer nicht adäquaten Reaktion),
Arbeitsgedächtnis, kognitive Flexibilität und Vigilanz
d2 Aufmerksamkeits-Belastungstest
DCS Diagnostikum für Cerebralschädigungen
VLMT Verbaler Lern- und Merkfähigkeitstest
Wechsler Intelligenztest
MWT-B Mehrfachwahl-Wortschatz-Test
CFT-20 nichtsprachlicher Intelligenztest
Trail Making Test
DemTect zur Erfassung von Demenzstörungen
SIDAM zur Differentialdiagnose einer Demenzstörung
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