`Bili HauptSchule` – Wissenschaftliche Begleitung des Projekts

Transcription

`Bili HauptSchule` – Wissenschaftliche Begleitung des Projekts
'Bili HauptSchule' – Wissenschaftliche
Begleitung des Projekts Bilingualer
Sachfachunterricht an der Hermann-Butzer
Schule Schwieberdingen
Abschlussbericht
Juni 2012
Leitung:
Dr. Götz Schwab, Prof. Dr. Jörg-U. Keßler, Prof. Dr. Jan Hollm
(alle PH Ludwigsburg)
Laufzeit:
Schuljahre 2009/2010 + 2010/2011
Förderung:
Forschungsförderungsstelle der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg
Gliederung
1
Einführung
3
2
Bilingualer Sachfachunterricht an Hauptschulen
3
3
Anlage der Studie
4
4
Ziele und Fragen der Studie
6
5
Untersuchungsdesign
6
6
Ergebnisse
7
6. 1
Unterrichtsanalysen
7
6. 2
Sprachstanderhebungen
10
6. 3
Befragungen
14
6. 4
Weitere Ergebnisse
18
6. 5
Zusammenfassung der Ergebnisse
20
7 Empfehlungen
22
8
23
Studentische Abschlussarbeiten und Veröffentlichungen
9 Publikationen zum Projekt
23
10 Präsentationen
23
11 Fortbildungsmaßnahmen
24
12 Verwendete Literatur
24
2
1
Einleitung
Seit dem Schuljahr 2009/2010 wird an der Hermann-Butzer-Schule ein bilinguales
Unterrichtsmodell für die Hauptschule erprobt. Dieses Vorhaben stellt bundesweit ein Novum
dar und ist in seiner Konzeption einzigartig. Aus diesem Grund wurde es von Anfang an
wissenschaftlich begleitet und ausgewertet. Die Ergebnisse der Studie werden im Folgenden
dargestellt und erklärt. Die wissenschaftliche Begleitung umfasste zwei Schuljahre,
wenngleich der bilinguale Sachfachunterricht auch darüber hinaus weiterhin an der Schule
erteilt wird. Der vorliegende Abschlussbericht soll dazu beitragen, das bisher Erreichte besser
zu verstehen und konkrete Hinweise für eine Fortführung zu geben.
Die wissenschaftliche Begleitung wurde geleitet von Dr. Götz Schwab, unterstützt von Prof.
Dr. Jörg-U. Keßler und Prof. Dr. Jan Hollm (beide PH Ludwigsburg, Abteilung Englisch).
Die Untersuchung wurde durch die PH Ludwigsburg finanziell gefördert. Zudem erhielt die
Schule Unterstützung vom Cornelsen Verlag Berlin und dem Staatlichen Seminar für
Didaktik und Lehrerbildung (GWRHS) Sindelfingen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Vorhaben der Hermann-Butzer-Schule als großer
Erfolg angesehen werden kann. Die Lehrkräfte und Schüler haben gezeigt, wie Bilingualer
Sachfachunterricht auch dort möglich ist, wo es vorher kaum jemand für möglich gehalten
hat. Zudem wurden Impulse gegeben, die gerade im Bereich einer schwachen Schülerschaft
dringend nötig sind. Damit hat die Hermann-Butzer-Schule pädagogische Wege skizziert, die
auch für andere Schulen begehbar sind.
Im Folgenden werden die theoretischen und praktischen Aspekte der Untersuchung sowie die
Ergebnisse im Einzelnen dargestellt. Der Bericht schließt mit einer Empfehlung für den
weiteren Verlauf des Projekts an der Schule und darüber hinaus.
2
Bilingualer Sachfachunterricht an Hauptschulen
Mit Bilingualem Sachfachunterricht – kurz BSU – respektive CLIL (Content and Language
Integrated Learning) verbinden sich neben inhaltlichen Aspekten auch gemeinhin
gesellschaftspolitische Überlegungen. Dem zugrunde liegt vor allem die Forderung des
Europarats nach Beherrschung mindestens zweier Fremdsprachen neben der Muttersprache
(Europarat 2001). Damit verbunden ist eine deutliche Verbesserung des schulischen
Fremdsprachenunterrichts wie er gemeinhin an europäischen Schulen zu finden ist. Genau
hier kann BSU Abhilfe leisten. Zudem ist bilinguales Unterrichten auch und gerade als
Beitrag zu einer Stärkung der Mehrsprachigkeit zu verstehen.
Traditional wird BSU im gymnasialen Bereich angesiedelt, oftmals mit Vorbereitungskursen
und in der Regel als ein besonderes Angebot für bestimmte Schülerinnen und Schüler. Dieses
Modell kommt nunmehr auch in Realschulen mehr und mehr zum Einsatz, wie z. B. die
Entwicklung in Baden-Württemberg zeigt, wo peu à peu bis zu 20% aller Realschulen des
Landes ein bilinguales Angebot ausbringen sollen (vgl. Hollm et al. 2010).
Was Hauptschulen und deren Äquivalente anbelangt, so sieht das ganz anders aus. Die bisher
getätigten Versuche sind punktuell und in ihrer Konzeption auch äußerst divergent. Bereits
Mitte der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts gab es in Rheinland-Pfalz einen Modellversuch, der
3
auch Hauptschulen mit einbezog (Pädagogisches Zentrum Rheinland-Pfalz 1997). Allerdings
beschränkte sich damals der bilinguale Unterricht auf ein einziges Fach, Arbeitslehre. Die
Ergebnisse waren dementsprechend ernüchternd. Weitere Versuche in diesem Bereich sind
überwiegend auf Einzelinitiativen engagierter Lehrkräfte beschränkt. So gibt es z. B. an der
Burgschule in Esslingen schon seit über zehn Jahren für Schülerinnen und Schüler der 10.
Klasse bilinguale Angebote. Auch die Wilhelm-Löhe Gesamtschule in Nürnberg bringt seit
geraumer Zeit ein bilinguales Angebot für ihren Hauptschulzweig aus. Die Hanna-HeiberSchule in Kranenburg, NRW, dagegen versucht mit niederländischem Angebot die
Schülerinnen und Schüler der Grund- und Hauptschule zu fördern. All das sind jedoch
vereinzelte Beispiele in der Bildungstopographie der Bundesrepublik. BSU ist in diesem
Bereich noch lange nicht dort angekommen, wo an anderen Schularten schon längst im
großen Stil operiert wird.
Sicherlich nicht zu Unrecht stellt sich dabei die Frage, ob ein solches Angebot überhaupt für
eine Schülerschaft sinnvoll ist, die gerade im sprachlichen Bereich, insbesondere in Deutsch,
deutliche Defizite hat, wie nicht nur von Lehrerseite immer wieder bekräftigt wird, sondern
auch in den großen Schulstudien der letzten Jahre wie PISA oder DESI1 deutlich zum
Ausdruck kam.
Zudem vermischt sich diese Debatte auch mit der Diskussion um Schülerinnen und Schüler
mit Migrationshintergrund, bei denen sprachliches Lernen leider immer noch auf den Erwerb
der deutschen Sprache reduziert wird, wenngleich die DESI Studie gezeigt hat, dass gerade
diese Schülerschaft im fremdsprachlichen Lernen Vorteile hat (DESI-Konsortium 2008).
Während Schwierigkeiten im schulischen Fremdsprachenunterricht bereits seit längerem
intensiv beforscht werden, insbesondere im angelsächsischen Raum (vgl. Ganschow / Sparks
2001), wissen wir über CLIL und schwächere Schülergruppen eigentlich nur aus diversen
Untersuchungen im Kontext der Immersionsforschung (Wode 1995). Hier allerdings zeigt
sich, dass bei diesen Schülerinnen und Schülern in der Regel keine negativen Entwicklungen
zu erkennen sind, sondern dass sie z. T. deutlich von einem bilingualen Angebot profitieren.
Inwieweit diese Erkenntnisse auf den BSU in Schulen mit Hauptschulgängen übertragbar
sind, muss sich noch weisen. Wenngleich die Idee nicht neu ist (vgl. Dahnken 2005, Schwab
2009), so ist das vorliegende Forschungsprojekt einer der wenigen konkreten Versuche, hier
Abhilfe zu schaffen.
3
Anlage der Studie
An der HBS wird seit dem Schuljahr 2009/2010 ab der Klassenstufe 5 mit einem veränderten
Schulcurriculum unterrichtet. Dieses sieht vor, dass bilinguale Unterrichtsformen in möglichst
vielen Fächern berücksichtigt werden. Hierbei wurden von den Lehrkräften entwickelte
Module erprobt und in insgesamt sieben Sachfächern 2 in der Zielsprache Englisch über
jeweils mehrere Wochen vermittelt (vgl. Abb. 1 und 2). Da es sich um eine einzügige
1
Deutsch Englisch Schülerleistung International (DESI-Konsortium 2008), ein bundesweiter Vergleichstest
2003/2004 von etwa 11.000 Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe 1 (Klasse 9) in Englisch und
Deutsch.
2
Die Fächer sind in so genannten Fächerverbünden zusammengefasst. Sie lauten WZG (Welt – Zeit –
Gesellschaft), MNT (Mensch – Natur – Technik), WAG (Wirtschaft – Arbeit – Gesundheit) und MSG (Musik –
Sport – Gestalten).
4
Hauptschule handelt, gibt es keine Wahlmöglichkeit für die Schülerinnen und Schüler. Es ist
Teil des Schulprofils und damit ein verpflichtendes Element.
Die einzelnen Module und deren (geplante) Verteilung über die beiden Schuljahre hinweg
sind in Abbildung 1 und 2 dargestellt. Z. T. kam es zu Abweichungen des ursprünglichen
Programms. Darauf wird später eingegangen.
Abb. 1: BSU Klasse 5
Abb. 2: BSU Klasse 6
Das bilinguale Unterrichtsprofil der Schule erstreckt sich mittlerweile über drei Jahrgänge. In
diesem Bericht werden nur die ersten beiden Durchgänge berücksichtigt, wobei vor allem die
erste Bili-Klasse (Bili HSI) intensiv beforscht wurde. Die nachfolgende Klasse (Bili HSII)
folgt jedoch weitestgehend der oben aufgezeigten Progression.
Die Klasse Bili HSI setzte sich Anfang des fünften Schuljahres aus 13 Schülerinnen und
Schülern zusammen. Nach Um- und Zuzügen oder dem Wechsel an und von einer Realschule
waren es Ende des sechsten Schuljahres 16 Lernende. Der Großteil der Schülerschaft besuchte
zuvor die zur Schule gehörende Grundschule. Die Klassenlehrerin ist gleichzeitig
Englischlehrerin und übernahm in Klasse 5 vier und in Klasse 6 sechs der bilingualen
Module. Insgesamt lag der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund
zwischen 50% und 60%. Ein polnischer Schüler, der im Laufe des fünften Schuljahrs kam,
konnte zu Beginn kein Deutsch; so auch ein brasilianischer Schüler, der erst seit kurzem am
Unterricht teilnimmt. Englischkenntnisse waren gar nicht (Pole) bzw. nur sehr rudimentär
(Brasilianer) vorhanden. Ein Schüler leidet unter Autismus und erhält eine permanente
Unterstützung durch eine Integrationshelferin.
Im zweiten Schuljahr des Untersuchungszeitraums (2010/2011) wurden auch Daten in der neu
hinzugekommenen fünften Klasse mit 19 Schülern (Bili HSII) gesammelt. Hier konnten drei
Unterrichtsmitschnitte gemacht sowie Hörverstehenstests und Sprachstanderhebungen
durchgeführt werden. Die Unterrichtsmitschnitte wurden bei den Unterrichtsanalysen nur am
Rande berücksichtigt. Das Hauptaugenmerk lag auf der Klasse Bili HSI. Der Grund liegt in
erster Linie an der zeitlichen Begrenzung und den unterrichtenden Lehrpersonen. Während in
Bili HSII eine Referendarin Verantwortung zeichnete, war in Bili HSI eine erfahrene Lehrerin
5
federführend, welche zudem auch die Planung und Erstellung der Unterrichtsmaterialien in
Händen hatte.
4
Ziele und Fragen der Studie
Der Fokus der Erhebung lag auf der Eruierung der Möglichkeiten und Grenzen der
Implementierung von bilingualen Modulen im Unterricht mit Schülerinnen und Schülern in
Haupt- respektive Werkrealschulen. Hierfür wurden zielsprachliche Entwicklungen und
sachfachliche Inhalte überprüft, die unterrichtliche Umsetzung analysiert und die strukturellorganisatorische Implementierung dokumentiert.
Die zentrale Fragestellung lautete: ‚Wie lässt sich Bilingualer Sachfachunterricht an Hauptrespektive Werkrealschulen inhaltlich und strukturell-organisatorisch umsetzen, sodass der
Mehrwert für Schülerinnen und Schüler als auch Lehrkräfte deutlich wird?’
Hierbei sollten vor allem folgende Teilfragen berücksichtigt werden:
a)
b)
c)
d)
e)
f)
g)
5
Kommt es bei den Schülerinnen und Schülern zu einer zielsprachlichen Überforderung?
Ist die modulare Vorgehensweise für diese Schülerschaft adäquat?
Was ist bei der Auswahl und Planung der Module zu beachten?
In welcher Form kann die Leistung gemessen werden?
Inwiefern spielt der Migrationshintergrund der Lerner eine Rolle?
Wie sieht die Akzeptanz seitens der Schüler- und Elternschaft aus?
Auf welche organisatorischen Hürden und Schwierigkeiten stoßen
Lehrerschaft und Schulleitung?
Untersuchungsdesign
Um die Fragen zu beantworten wurde eine Longitudinalstudie konzipiert, welche einen
Zeitraum von zwei Schuljahren umfasste (2009/2010 und 2010/2011). Die gewählten
Erhebungsinstrumente lassen sich in drei Ebenen einteilen. Sie sind bewusst als Mischung
zwischen unterschiedlichen Methoden ausgewählt worden (method mix):
1) An erster Stelle standen regelmäßige Unterrichtsmitschnitte. Von nahezu allen Modulen
wurde jeweils eine Stunde videografiert, transkribiert und analysiert. Das Hauptaugenmerk
lag dabei auf der Interaktion zwischen Lehrkraft und Schülern sowie den (ziel-)sprachlichen
Beiträgen der Lerner.
2) Auf einer zweiten Ebene fanden Sprachstandserhebungen statt, die zu drei
Messzeitpunkten (t1-t3: Anfang, Mitte, Ende der Untersuchung) durchgeführt wurden. Auch
hier ging es unter anderem um mündliche Schüleräußerungen, die z. T. im Rahmen einer
linguistischen Profilanalyse (vgl. Keßler 2006, Keßler & Liebner 2011) in Einzelinterviews
außerhalb des Klassenzimmers elizitiert und aufgenommen wurden. Die gewonnenen Daten
dienen der Einstufung in verschiedene Lernniveaus. Diese Daten wurden in einem weiteren
Schritt mit Schüleräußerungen aus dem Unterricht verglichen. Zusätzlich wurden
Hörverstehenstests an drei weiteren Messzeitpunkten durchgeführt.
3) Als drittes Standbein der Untersuchung diente eine Befragung der verschiedenen
Beteiligten. Hierzu wurden zu unterschiedlichen Zeitpunkten Gruppen- oder Einzelinterviews
6
mit den Schülerinnen und Schülern, den beteiligten Lehrkräften und der Schulleitung
durchgeführt. Die Befragung der Elternschaft erfolgte über einen Fragebogen.
Zusätzlich wurden die von den Schülerinnen und Schülern erstellten Portfolios gesichtet und
ausgewertet. Die Lehrkräfte wurden überdies angehalten, zu jedem Modul eine kurze
Bewertung hinsichtlich der Durchführung und entstandenen Schwierigkeiten sowie auf
Möglichkeiten der Verbesserung einzugehen.
6
Ergebnisse
Die Ergebnisse der Untersuchung werden hier komprimiert vorgestellt. Für eine
ausführlichere Darstellung verweisen wir auf die Liste der Publikationen am Ende des
Berichts.
6.1 Unterrichtsanalysen
6.1.1 Die kommunikative Ordnung
Der Unterricht ist gekennzeichnet durch eine klare Struktur im Stundenaufbau. Zu den
einzelnen Phasen gehören die Begrüßung, eine warming-up respektive Motivationsphase,
gefolgt von Gruppen-, Partner- oder Einzelarbeiten. Zusätzlich wurden auch Lernzirkel und
projektorientierte Arbeitsformen eingesetzt. Die Stunden schlossen grundsätzlich mit einer
Zusammenfassung. Diese wurde häufig auch auf Deutsch durchgeführt, was den
Empfehlungen des BSU aus der Literatur entspricht (z. B. Lenz 2011).
Der BSU in den Klassen 5 und 6 ist, trotz regelmäßigem Wechsel der Sozial- und
Arbeitsformen, stark lehrerzentriert. Wie andere Untersuchungen gezeigt haben, ist dies vor
allem auch altersbedingt (Dalton-Puffer / Nikula 2006). Dabei wird die Nähe zum
Grundschulunterricht deutlich, wo der Lehrperson eine noch wichtigere Rolle zukommt als
dies in der Sekundarstufe der Fall ist. Die unterrichtlichen Interaktionen werden nahezu
vollständig von Lehrerseite initiiert. So ist auch die dreischrittige Struktur der
Kommunikation das vorherrschende Schema, welches der Lehrkraft nicht nur den Beginn (1:
initiation) zuschreibt, sondern auch die abschließende Bewertung (3: feedback) (vgl. BeckerMrotzek / Vogt 2001). Hierzu ein kurzes Beispiel aus Klasse 6:
1 Lehrer:
2 Schüler:
3 Lehrer:
Can you show them?
Here
All right, over there. Yes very good.
1
And M., anything else? (neue Interaktion)
…
Dennoch fallen einige Aspekte auf, die im regulären Fremdsprachenunterricht so weniger zu
beobachten sind und die Besonderheit des BSU verdeutlichen.
7
6.1.2 Lehrer-Schüler-Interaktion
6.1.2.1 Aufgabenstellung und Lehrerfragen
Mehrfach wurde von Lehrer- und Schülerseite geäußert, dass die englische Sprache kaum
Verständnisprobleme mit sich bringt. Diese, zunächst verwunderliche Aussage hängt stark mit
der Art und Weise der von Lehrerseite gestellten Aufgaben und Formulierungen zusammen.
Wie in verschiedenen Untersuchungen aus der BSU-Interaktionsforschung deutlich wird,
zeichnen sich Instruktionen der Lehrkräfte durch eine Vereinfachung der Sprache und des
Inhalts aus (vgl. Dalton-Puffer / Nikula 2006). Das ist auch hier der Fall. Hinzu kommt in der
Untersuchung Bili HauptSchule eine Vereinfachung der Frage- und Aufgabenstruktur.
Während Lehrer im regulären Unterricht dazu neigen, ihre Fragen mehrfach zu reformulieren
und zunehmend zu fokussieren, ist dies hier deutlich weniger der Fall. Die Lehrerin kommt
schneller auf den Punkt. Hierzu ein kurzes Beispiel aus dem Kunstunterricht Klasse 5:
Lehrer:
Okay so last time we talked about different colours
we talked about ehm primary colours
and we talked about mixed colours.
Do you remember what were the mixed colours?
Des Weiteren fällt die offene Struktur bei Instruktionen und Fragen (open-ended questions)
auf. Dies schafft den Schülerinnen und Schülern mehr Freiräume zu eigenständigen
Beiträgen, was insbesondere im BSU wichtig ist.
Lehrer:
What can you tell me about Teddy?
(zeigt Bär von Teddybär vor Steckdose)
What do you think (kurze Pause) ehm J.?
Diese offene Form an Aufgabenstellung wurde von Schülerseite gut angenommen und
manifestierte sich deutlich in der unterrichtlichen Beteiligungsstruktur. Wie man im nächsten
Kapitel sehen kann, kam es nicht allein zu mehr Schülerbeitragen als bei geschlossenen
Fragen, sondern auch zu längeren Sequenzen auf Schülerseite (vgl. Brock 1986).
6.1.2.2 Schülerbeiträge und Sprachwahl
Trotz der zu erwartenden Schwierigkeiten im Umgang mit der Zielsprache Englisch war die
Beteiligung der Schülerinnen und Schüler nicht nur hoch, sondern auch quantitativ recht
umfangreich. So waren die einzelnen Beiträge der Lerner länger, als dies normalerweise im
Englischunterricht an Hauptschule der Fall ist (vgl. Schwab 2009). Hierzu zwei kurze
Beispiele:
Lehrer:
S:
Okay, so this is what you have to do here.
Now what about green?
We do green and and green,
and then and we mix green with black, white and grey.
8
Lehrer:
C:
Lehrer:
S:
[…] and C?,
I can see the river Nile
The river Nile yeah, we had that before okay.
Now ehm
what do you know about the river Nile
The river Nile is very long.
Auch hier werden die Äußerungen durch offene Fragen elizitiert. In den ausgewählten
Beispielen antworten die Schüler jeweils mit vollständigen Sätzen. Allerdings geschieht dies
ohne Aufforderung der Lehrerin. Da sprachliche Korrektheit im BSU zunächst zweitrangig ist
- der Fokus liegt auf dem fachlichen Inhalt - mag das für Hauptschülerinnen und Hauptschüler
noch mehr verwundern. Offensichtlich versuchen sie ihre sprachlichen Mittel so gut wie
möglich einzusetzen. BSU stellt so gesehen eine angemessene sprachliche Herausforderung
dar, die in dieser Form im traditionellen Fremdsprachenunterricht selten anzutreffen ist. Selbst
bei sprachlichen Schwierigkeiten versuchen sie im Englischen zu bleiben, auch wenn
lexikalische Lücken auftreten:
Lehrer:
S:
Lehrer:
Okay, anything else?
I can see, ehm: (kurze Pause) Schüssel?
(‚formt‘ mit den Händen eine Schüssel)
A yeah, a bowl
Die Grenzen des bewussten Gebrauchs des Englischen waren bei Partner- und
Gruppenarbeiten zu sehen. Hier wechselten die Schülerinnen und Schüler in nahezu allen
Fällen umgehend ins Deutsche - allerdings ein typisches Verhalten, nicht allein für
schwächere Lerner (vgl. Appel 2004).
Wie am letzten Beispiel auch zu sehen war, wurde vonseiten der Lehrkraft konsequent die
Zielsprache Englisch benutzt; es sei denn, es ging um eine abschließende Rekapitulation und
Würdigung des erarbeiteten Lernstoffs. Wie dies auch in der einschlägigen Literatur
hervorgehoben wird (z. B. Lenz 2011), müssen Lerner die Möglichkeit haben,
Begrifflichkeiten und Zusammenhänge auf Deutsch benennen zu können. Dies geschieht in
der Regel am Ende der Stunde oder Unterrichtseinheit:
Lehrerin:
What did you learn about the river Nile today?
Was habt - ihr dürft auf Deutsch antworten was habt ihr heute über den Nil erfahren,
wie die Ägypter ihn benutzt haben?
Eine solche Phase ist gerade im BSU sehr wichtig und stellt eine zusätzliche Hilfe, nicht nur
für schwächere Lerner, dar. Hier wird das Gelernte nochmals gefestigt und kognitiv
verarbeitet. Damit erhält der Begriff bilingual seine Berechtigung, denn es geht letztendlich
um zwei Sprachen, die akademische Erstsprache Deutsch und die Fremdsprache.
9
6.1.2.3 Fehlerkorrektur
Wie bereits erwähnt, wird im BSU ein klarer Fokus auf den Inhalt des Sachfachs gelegt.
Korrekturen orientieren sich also – wie im regulären Unterricht – allein am Inhalt. Dennoch
bleibt die Frage, wie mit den sprachlichen Defiziten der Schüler umgegangen wird. In der
Regel werden die Äußerungen von der Lehrerkraft in einem Feedback aufgegriffen und
korrigiert wiedergegeben. Solch ein corrective feedback oder recast ist fester Bestandteil der
Grundschuldidaktik und kann als indirekte Korrektur gesehen werden, welche allerdings en
passant verläuft und rein als Sprachmodell dient. Auch hierbei bleibt der Fokus auf dem
Inhalt:
Lehrer.
S.:
Lehrer:
What do you think. S.?
ehm, eating
You think they are eating?
Vereinzelt wurde jedoch eine direkte sprachliche Korrektur von Schülern durchgeführt.
Lehrer:
C.:
Lehrer:
Lu.:
L.:
What can you see in the picture?
ehm C.;
I can see a children
Okay (kurze Pause)
anything else? L.?
I can see THE (betont) children.
Okay. Well done.
Hierbei wird (nochmals) deutlich, welchen Stellenwert die Zielsprache innerhalb des BSUs
für Schülerinnen und Schüler hat. Es ist nicht allein Sachfachunterricht mit anderen
Vorzeichen, sondern eben auch Englischunterricht mit anderen Inhalten. Aus
fremdsprachendidaktischer Perspektive wird das sicherlich nicht ungern gesehen. Immerhin
erhofft man sich von so einem Unterricht deutlich größere Erfolge beim
Fremdsprachenerwerb. Wie sich das tatsächlich verhält, wird im folgenden Kapitel
dargestellt. Dennoch muss deutlich gemacht werden, dass BSU beide Bereiche – Zielsprache
und Sachfach – gleichwertig zu gewichten hat. Dies muss gerade auch in einem Unterricht mit
schwächeren Lernern betont werden, wo Sachfächern ohnehin eine geringere Bedeutung
zukommt (vgl. Schneider et al. 2009).
6.2 Sprachstanderhebungen
Um die sprachliche Entwicklung der Lerner über die zwei untersuchten Jahre zu beschreiben,
wurden zwei Instrumente ausgewählt und zu jeweils verschiedenen Messzeitpunkten
eingesetzt. Da das Hörverstehen sich in verschiedenen Studien (z. B. DESI-Konsortium 2008,
Elsner 2007) als robuster Indikator für den Spracherwerb erwiesen hat, wurden auch in dieser
Studie listening-tests durchgeführt. Des Weiteren wurden Sprachstandserhebungen außerhalb
10
des Unterrichts vorgenommen und zusätzlich die sprachliche Qualität von Schüleräußerungen
während des Unterrichts analysiert.
Aufgrund der zeitlichen und finanziellen Begrenzung der Studie konnten diese Daten nicht
einer Vergleichsgruppe gegenübergestellt werden. Die Daten zeigen daher vor allem den
sprachlichen Fortschritt innerhalb der untersuchten Gruppe auf.
6.2.1 Listening-Tests (Hörverstehens-Tests)
Im Folgenden werden die Ergebnisse des dritten Tests in der sechsten Klasse mit den
Ergebnissen aus den ersten beiden Tests in derselben Klasse (Klassenstufe 5, Schuljahr
2009/2010) verglichen.
Abb. 3: Durchschnittlich erreichte Punktzahl in Prozent, Durchgang 1 - 3
Die Ergebnisse aus den drei Hörverstehenstest in Bili HSI zeigen ein stetiges Anwachsen der
Leistungen. Insbesondere im ersten Jahr war der Anstieg sehr deutlich. Mit nahezu 85% der
zu erreichenden Punktzahl zeigt die Gruppe gerade aber auch am Ende des
Untersuchungszeitraums ein hohes Niveau an Hörverstehenskompetenz.
Zusätzlich wurden die Ergebnisse der ersten zwei Hörverstehenstests (t1 und t2) aus Klasse 5
in den Klassen Bili HSII (blau) und Bili HSI (rot) gegenübergestellt (Abb. 8). Auch hier ist in
beiden Klassen eine linear-positive Entwicklung erkennbar, mit ähnlichen Werten im zweiten
Test. Die Unterschiede im Hörverstehen sind nicht signifikant, wenngleich die zweite Gruppe
(Bili HSII) eine etwas bessere Leistung zeigte (vgl. Hardenberg 2010).
11
Vergleich der Tests t1 und t2 in beiden Klassen
50,93 (=64,6%)
56,40 (=81,7%)
44,41 (=69,4%)
55,71 (=81,2%)
t1
t2
t1
t2
Bili HSII
Bili HSII
Bili HSI
Bili HSI
60,00
Punkte
50,00
40,00
30,00
20,00
10,00
0,00
Test und Klasse
Abb. 4: Durchschnittlich erreichte Punktzahl in Prozent, Vergleich Bili HSII und Bili HSI
6.2.2 Rapid Profile
Um die sprachliche Entwicklung der Schülerinnen und Schüler nachzuzeichnen wurde auf
eine auf Pienemanns (1998, 2005) psycholinguistische Theorie des Zweitsprachenerwerbs
(Processability Theory) basierende Diagnosesoftware zurückgegriffen. Rapid Profile ist eine
Software, mit deren Hilfe linguistische Profilanalysen erstellt werden können. Das in der
Psycholinguistik entwickelte und von Keßler (2006) kalibrierte Diagnosewerkzeug nutzt
hierfür spontan produzierte Lernersprache - meist in Form von Audiodaten. Diese
Spontansprachdaten werden in Bezug gesetzt zu der innerhalb der Processability Theory
entwickelten Hierarchie der Sprachverarbeitung (Pienemann 1998). Auf diese Weise kann der
Lerner den sechs verschiedenen Erwerbsstadien entsprechend eingestuft werden und dessen
sprachliche Entwicklung über längere Zeiträume aufgezeigt werden (vgl. Keßler 2006, Keßler
& Keatinge 2008, Keßler & Liebner 2011). Die Erhebung der Daten fand auf Grundlage von
so genannten kommunikativen Tasks statt (Keßler & Keatinge 2008). Dabei wurden den
Lernern im Rahmen von Einzelinterviews mündliche Aufgaben gegeben, die eine sprachliche
Produktion hervorrufen sollten. Bei dieser Art der Sprachdatenerhebung werden gezielte
Aufgabenformate (tasks) ausgewählt, die einen obligatorischen Kontext für bestimmte zur
Diagnose notwendige Sprachstrukturen bieten (z. B. für das Stellen von Fragen,
Verneinungen oder auch das 3. Person Singular -s). Aus der Verwendung und auch der
Nichtproduktion dieser Strukturen durch die Lerner kann innerhalb von maximal 15 Minuten
ein reliables linguistisches Profil für individuelle Lerner erstellt werden, das die Grundlage zu
einer validen Diagnose des aktuellen Sprachentwicklungsstandes in der Zielsprache Englisch
ermöglicht (Keßler 2006). Diese Schüleräußerungen wurden aufgenommen, transkribiert und
mithilfe der Software analysiert. Eine Gesamtübersicht aller Daten ist in folgender Grafik zu
sehen (Bili HSI):
12
Abb. 5: Sprachstandstest Bili HSI, Klasse 5 und 6
Wenngleich nicht alle Schülerinnen und Schüler an den drei Erhebungen teilnehmen konnten,
zeigt die Grafik doch deutlich, wie sich die meisten Lerner sprachlich entwickelt haben (t1t3). Die Einteilung in 6 Stufen ist nicht linear und zeigt daher nicht alle Veränderungen und
Zuwächse in der Lernersprache. So sind einige Schüler zwar z. T. gleichbleibend auf
derselben Stufen (z. B. S2 oder S6), die detaillierte Analyse ihrer jeweiligen Lernersprache
anhand der Transkripte zeigt jedoch einen sprachlichen Zuwachs, z. B. im Bereich der Anzahl
der verwendeten Verben, Nomen und Adjektive.
Im Vergleich mit der Analyse der Schüleräußerungen während des Unterrichts zeichnete sich
jedoch ein erstaunliches Bild ab:
Abb. 6: Sprachstandstest Bili HSI, Klasse 5 und 6 + Unterrichtserhebung
13
Beim Vergleich der kumulativen Ergebnisse der Unterrichtssequenzen (‚Unterricht‘) mit
denen der Interviews (t1 – t3) fällt zunächst auf, dass nicht für jeden Schüler eine
Erwerbsstufe anhand der Unterrichtstranskripte diagnostiziert werden konnte (z. B. S4, S8,
S13). Der Grund hierfür ist darin zu sehen, dass manche Schüler zu wenig Strukturen im
Unterricht produzieren, um daraus eine valide Profilanalyse zu erstellen.
Insgesamt kann man festzustellen, dass kein einziger Proband – auch nicht in
Unterrichtssequenzen, die Ende der sechsten Klasse aufgenommen wurden – genügend
Strukturen produzierte, die einer höheren Stufe als Stufe 2 zuzuordnen wären. Daher sind
selbst Schüler, die in den Interviews Stufe 3, Stufe 4 oder Stufe 5 erreichen, in den
kumulativen Unterrichtsergebnissen entweder gar nicht vertreten (S7, S9, S15) oder erreichen
lediglich Stufe 2 (z. B. S2, S3) (vgl. Krivec 2012).
Das kann verschiedene Gründe haben. Trotz des relativ hohen Engagements der Schülerinnen
und Schüler im BSU bieten sich dem einzelnen Lerner in lehrerzentrierten Interaktionen 3
weitaus weniger Äußerungsmöglichkeiten, als dies in Einzelinterviews der Fall ist. Zudem bot
der untersuchte Unterricht kaum Gelegenheiten für Schülerfragen oder Negationen, welche
gerade für die Analyse mit Rapid Profile grundlegend sind. Insbesondere Schülerfragen
setzen ein hohes Maß an Eigeninitiative der Lerner voraus, was in diesem Alter nicht zu
erwarten ist. Interessant wäre hier der zukünftige Vergleich mit anderen BSU-Klassen, wo
sich das Frageverhalten der Schüler in höheren Klassen z. T. deutlich verändert (DaltonPuffer / Nikula 2006).
6.3 Befragungen
Neben einer Elternbefragung zum Ende der Erhebung wurden zwei Schüler- sowie zwei
Lehrerbefragungen, ein Einzelinterview mit der Klassenlehrerin (Bili HSI, LkI) und ein
Gruppeninterview (GI) mit mehreren beteiligten Lehrerinnen und der Schulleitung,
durchgeführt.
6.3.1 Schülerbefragung
Die Schüler der Klasse Bili HSI wurden im Verlauf der Untersuchung zweimal befragt. Zum
einen fand eine Befragung in der Gesamtklasse (GK) statt (Ende Klasse 5), zum anderen
wurde Kleingruppeninterviews (KG1-4) zu viert (Interviewer + 3 Schüler) geführt (2.
Halbjahr Klasse 6). Letzteres wurde aufgenommen und transkribiert. Während des
Klasseninterviews (GK) wurden Notizen gemacht, jedoch keine Aufnahmen.
Insgesamt fällt die durchweg positive Beurteilung des BSU seitens der Schülerschaft auf. Dies
war gleichermaßen im Klasseninterview wie auch in den Kleingruppeninterviews
festzustellen. Folgende Punkte sollen hier besonders herausgearbeitet werden und z. T. durch
Beispieläußerungen belegt werden: (1) Positive Aspekte, (2) Schwierigkeiten, (3) Vergleich
3
In Gruppen- und Partnerarbeiten wurde meistens auf Deutsch kommuniziert, sodass die Daten für eine Analyse
der zielsprachlichen Kompetenz nicht verwertet werden konnten.
14
mit dem regulären Englisch- und Sachfachunterricht, (4) Thematische Präferenzen, (5)
Benotung und (6) Hinweise und Tipps der Schüler.
(1) Ein besonders positiver Aspekt ist für einige Schüler mit der Sprache verbunden. So wird
von Einzelnen des Öfteren betont, in welcher Weise ihnen BSU hilft, mehr und besser
Englisch zu lernen. Ein Junge antwortet auf die Frage, was ihm besonders gefällt: „Ich
finde es auch so, dass man da neue Wörter kennenlernt, die (man) nicht gekannt hat“
(KG2_22/23 4). Dies bestätigt so auch sein Mitschüler: „dass ich dann ein bisschen mehr
Englisch lerne“ (KG3_42). Andere Schüler betonen die methodische Abwechslung im
Unterricht und die Art und Weise, wie die Lehrerin Dinge erklärt. Insgesamt wird immer
wieder geäußert, dass BSU auch emotional positiv besetzt ist („macht viel Spaß“).
(2) Ein wichtiges Ergebnis der Unterrichtsanalysen ist in dem hohen Maß an
Verstehenskompetenz aufseiten der Schülerinnen und Schüler zu sehen, welches ja auch
in den Ergebnissen der Hörverstehenstests unterstrichen wurde. Selten kommt es zu
Kommunikationsabbrüchen in der direkten Lehr-Schüler-Interaktion. Dennoch wird von
einigen Schülern darauf hingewiesen, dass ihnen der Unterricht auf Englisch schwer fällt.
Einzelne Schüler bevorzugen auch den regulären Sachfachunterricht, da ihnen das
Englische Mühe macht. Auf die Frage, ob sie gern mehr BSU hätten, meinte der größere
Teil, dass dieses Maß an bilingualem Sachfachunterricht ausreiche.
(3) Auf die Frage, welcher Unterricht ihnen besser gefällt, wurde von den meisten
Schülerinnen und Schülern der BSU erwähnt. Das liegt sicherlich an den positiven
Aspekten, wie sie unter (1) erwähnt wurden. Hier ist es insbesondere das Mehr an
gelernter Zielsprache, das für einige Schüler von besonderer Bedeutung ist: „Ich lerne ja
viel mehr als andere, die normalen Englischunterricht haben“ (KG4_54/55).
(4) Eine klare thematische Präferenz war nicht zu erkennen, wenngleich das Thema Steinzeit
(stone age) am häufigsten genannt wurde. Das mag allerdings auch daran liegen, dass es
ziemlich am Anfang der Klasse 5 behandelt wurde und hier der Effekt des Neuen und
Unbekannten noch ziemlich groß war.
(5) Interessanterweise sprechen sich einige Schüler für eine Benotung aus. „Die Frau XY
könnte schon manchmal ein paar Tests mit uns machen, aber halt nicht so viel“
(KG1_74/75). Der Großteil allerdings hält sich diesbezüglich mehr zurück und findet es
gut, nicht benotet zu werden.
(6) Auf die Frage, was sie anderen Bili-Lehrkräften auf den Weg geben würden, erwähnten
Schülerinnen und Schüler wiederum die besondere Rolle der Zielsprache, betonten aber
auch die Notwendigkeit, Sprachwechsel (code-switching) zuzulassen. Eine Schülerin
brachte es folgendermaßen auf den Punkt: Es wäre wichtig, „dass sich Lehrer, […] ein
Beispiel nehmen [am hier untersuchten Unterricht, G. S.] und dass es Spaß macht“
(KG3_89/90).
4
Die Zahlen beziehen sich auf die Zeilen im transkribierten Interviewtext.
15
6.3.2 Lehrer- und Schulleiterbefragung
Auch unter den beteiligten Lehrkräften war die Zufriedenheit mit dem Versuch sehr hoch.
Trotz der erheblichen Zusatzbelastung wurde die Arbeit durchweg positiv beurteilt, nicht
zuletzt, weil auch so manche Befürchtung widerlegt wurde: „Ich bin ganz positiv überrascht,
wie die Schüler darauf einsteigen […], dass die sich wirklich sehr anstrengen, um […] Sachen
auf Englisch zu verstehen und auch selber zu sagen“ (LkI_06/09). Der zielsprachliche
Fortschritt wird auch von anderen Lehrkräften durchweg hervorgehoben („was ich halt als
Positives mitnehme ist, dass sie wahnsinnig gut sprechen“ (GI_89/90).
Aus Sicht der Lehrkräfte gibt es einige wichtige Punkte, die für den Erfolg des BSUs
notwendig sind. Hierzu zählt zunächst die zielsprachliche Grundlage, die im
Fremdsprachenunterricht der Grundschule gelegt wird und vor allem gute Kompetenzen im
Hörverstehen miteinschließt. Schülerinnen und Schüler müssen zudem genügend Erfahrung
mitbringen, wie Englisch als Unterrichtssprache verwendet wird und als Kommunikationsmedium bei der Behandlung von Sachthemen möglich ist. Gerade bei schwächeren Schülern
ist es weiter wichtig, deren Fähigkeiten im Blick zu haben und differenziert vorzugehen:
„Also es gibt Schüler, da freue ich mich, wenn die drei Wörter sagen und bei anderen fordere
ich [...] ein, dass sie ganze Sätze sagen, weil die einfach vom Lernstand her unterschiedlich
sind“ (LkI_81/84). Unabhängig davon scheint jedoch die Klassenstufe 5 als Beginn für den
BSU geeignet zu sein, da gerade hier die Motivation noch sehr hoch ist, was nicht zuletzt
auch das Unterrichten für die Lehrenden erleichtert. Motivation, so wurde deutlich, ist aber
auch für die Lehrkräfte sehr wichtig, da es - trotz einer wachsenden Zahl an Bili-Materialien
für die Sekundarstufe I und II und der Unterstützung des Cornelsen Verlags - bisher kaum
geeignetes Lehrmaterial für Hauptschüler gibt und die Lehrer daher ihre Materialien (z. B. aus
dem Internet) größtenteils selbst konzipieren und herstellen (vgl. Hollm et al. 2010). Angeregt
wurden daher Themenhefte, wo einzelne Module zusammengefasst und sprachlich an das
Niveau der Haupt-/Werkrealschüler angepasst sind.
Für den Unterricht wurde betont, dass die Prinzipien Anschaulichkeit, (sprachliche)
Reduktion 5 und Kleinschrittigkeit zentral sind. Dadurch, so die Einschätzung der Lehrerinnen,
kann den Schülern teilweise sogar ein besserer Zugang zum Unterrichtsstoff ermöglicht
werden als im regulären Unterricht, wo es häufig zur sprachlichen Überforderung aufgrund
der deutschen Sprache kommt – für Migranten, aber auch alle anderen Schüler! Diese
Einschätzung deckt sich mit den Beobachtungen aus dem Unterricht (vgl. 6.1). Sicherlich
lohnt es sich, an diesem Punkt weiterzuarbeiten und eine sprachliche Gesamtkonzeption zu
entwickeln, welche Sprache per se zum Thema macht und nicht grundsätzlich von einer
(akademischen) Erst- und einer zu lernenden Zweit- oder Drittsprache ausgeht.
Insgesamt waren am BSU sechs Lehrkräfte beteiligt. Hierbei wurden auch Lehrkräfte
einbezogen, die nicht Englisch studiert hatten, sich aber am Projekt beteiligen wollten. Dies
ist sicherlich nur eine Kompromisslösung und es wird seitens der Schulleitung betont, dass
man sehr darauf achtet, gut ausgebildete Lehrkräfte, in der Regel aus dem Europalehramt 6, an
5
Sprachliche Reduktion ist nicht mit Simplifizierung gleichzusetzen. Auch ein sprachlich reduziertes Angebot
bleibt für die Schüler anspruchsvoll und darf auf keinen Fall als Trivialisierung verstanden werden.
6
Studiengang für das Primar- und Sekundarlehramt in Baden-Württemberg, bei dem Studierende für den BSU
ausgebildet werden. Das Studium umfasst neben Englisch (oder Französisch) zwei Sachfächer und ein
16
die Schule zu holen. Den größten Teil des BSU übernahm die Klassenlehrerin (Bili HSI), die
zugleich auch (ausgebildete) Englischlehrerin der Klasse ist. Die Kooperation zwischen den
Lehrkräften – gemeinsame Vorbereitung und Planung, gelegentliches Teamteaching oder
formelle und informelle Absprachen – sind wichtig für eine reibungslose Durchführung. Die
‚gemeinsame Linie‘ (vgl. GI_206) ist gerade auch da wichtig, wo es um die konkrete
Umsetzung im Unterricht geht, da insbesondere die modulare Struktur eine vergleichbare
Didaktik und Methodik voraussetzt.
Wenngleich es sich bei Bili HauptSchule um eine Initiative der Schule handelt, ist es doch
wichtig, wie die Unterstützung der Schulverwaltung aussieht. So erhielt die Schule zu Beginn
des Projekts - trotz gewisser Bedenken der Schulaufsicht - eine Anschubfinanzierung in Form
von Lehrerstunden. Dadurch konnten anfangs in den ersten Modulen zwei Lehrkräfte im
Team unterrichten. Dies erleichterte die Arbeit, musste aber später aufgrund fehlender
Stunden aufgegeben werden. Um BSU auch an Haupt-/Werkrealschulen voranzubringen,
initiierte das Kultusministerium eine dreitägige Fortbildungsveranstaltung, die im Mai 2011
an der Landesakademie für Fortbildung und Weiterentwicklung an Schulen, Comburg, durch
Ilse Riedl, Marina Wöhr und Götz Schwab angeboten wurde („Bilinguale Unterrichtsangebote
in der Werkreal-/Hauptschule. Von der Konzeption zum konkreten Vorhaben”). Das große
Echo und die durchgängig positive Evaluation vonseiten der Teilnehmer zeigt die
Notwendigkeit, hier mehr anzubieten und die Gesamtkonzeption Bilingualer Sachfachunterricht in Baden-Württemberg auch an dieser Stelle verstärkt voranzutreiben.
6.3.3 Elternbefragung
Auch wenn Schüler und Lehrkräfte die Hauptakteure des Unterrichts darstellen, war es
wichtig, die Elternseite einzubinden, um zu sehen, inwieweit ein solches Schulkonzept von
ihnen mitgetragen. Am Ende des 6. Schuljahrs wurde ein vierseitiger multiple-choice
Fragebogen mit 18 Fragen (‚Items‘) ausgeteilt und ausgewertet. Insgesamt wurden 13
Fragebögen ausgefüllt zurückgesendet, wobei die Klassenstärke zu diesem Zeitpunkt 16
Schüler betrug.
Insgesamt sind auch die Eltern mit dem BSU zufrieden und unterstützen das Vorhaben, was
sich nicht nur darin zeigt, dass ein Großteil der Eltern für mehr Bili-Unterricht plädiert,
sondern auch ca. ¾ der Elternschaft für eine Fortführung des Projekts in den höheren Klassen
stimmte. Sie sehen in BSU Vorteile für die Zukunft ihrer Kinder, fordern aber auch mehr
sachfachliche Inhalte im Unterricht. Nach Meinung der Eltern gehen die Kinder in der Regel
gerne in die Schule, wenngleich die Einschätzungen hier stärker divergieren als bei den
meisten anderen Fragen. Ähnlich ist es auch bei der Benotung, welche von der Hälfte der
Eltern völlig abgelehnt wird, jedoch von der anderen Hälfte ganz oder größtenteils
befürwortet wird. Die einzige klar erkennbare Kritik liegt bei der Information der Eltern durch
die Schule. Hier gaben wiederum ca. ¾ der Eltern an, dass sie sich mehr Informationen zum
Thema BSU durch die Schule wünschten.
Insgesamt zeigt die Befragung einen sehr positiven Blick der Eltern auf den angebotenen
BSU. Das deckt sich zum einen mit informellen Rückmeldungen an die Schulleitung (vgl. GI
verpflichtendes Auslandssemester. BSU ist sowohl in der Fremdsprache als auch in den Sachfächern Teil der
Ausbildung.
17
117ff), zum anderen aber auch mit Erhebungen in der Realschule, wo „der bilinguale
Unterricht grundsätzlich Anerkennung findet und von der Elternschaft unterstützt wird“
(Dallinger 2013). Damit verdeutlicht es die Notwendigkeit von ‚Bili für alle‘ - auch aus
Elternperspektive.
6.4 Weitere Ergebnisse
6.4.1 Portfolioauswertung
Die beteiligten Lehrkräfte hatten sich zu Beginn des Projekts gegen eine formale
Leistungsmessung der Module ausgesprochen. Um hier einen gewissen Ausgleich zu schaffen
wurden Portfolios eingesetzt und intensiv genutzt. Dabei handelt es sich um
‚Sammelmappen‘, die aus mehreren Teilen bestehen (vgl. z. B. Kolb 2007). Zunächst stellt
sich der Schüler in seiner ‚That’s me‘ Seite vor. Darauf folgt der größte Bereich, welcher die
Arbeitsergebnisse des Unterrichts beinhaltet. Hier wurden alle Arbeitsblätter eingeheftet, die
im BSU bearbeitet wurden. Der nächste Teil betrifft die so genannten Reflexions- oder
Beobachtungsbögen, mit deren Hilfe die Lerner ihre Fortschritte und ihr Lernniveau anhand
eines Kriterienrasters selbst einschätzen können. Dem gegenüber steht eine Einschätzung der
geleisteten Arbeit durch einen Mitschüler (‚Fremdbeurteilung‘) sowie die der Lehrkraft
(‚Lehrerbeurteilung‘). Die von der Lehrerin ausgewählten Kriterien bezogen sich auf
Vollständigkeit, Darstellung (‚Schrift‘), Gestaltung und Gliederung (‚Überschrift‘). Die aus
den verschiedenen Einschätzungen resultierende Endnote floss als Heftnote ins Zeugnis. Die
Schüler fügten zudem eine Vokabelliste zu jedem Modul bei. Der Großteil der Materialien
war auf Englisch verfasst, wenngleich immer wieder deutsche Arbeitsblätter verwendet
wurden bzw. einige zweisprachig verfasst waren, wie in der folgenden Abbildung 7 gut zu
sehen ist:
Abb. 7: Portfolio – Beispieltext: eigenständige Zusammenfassung (Thema Steinzeit, Klasse 5)
18
Bei der Auswertung der Portfolios fiel auf, dass sich die Schülerinnen und Schüler gut selbst
einschätzen können, d. h. die Diskrepanz zwischen Selbst-, Fremd- und Lehrerbenotung
gering ausfiel und kaum mehr als eine halbe Note nach oben oder unten betrug (vgl. Abb. 8).
Selbstbeurteilung
Fremdbeurteilung
Lehrerbeurteilung
2
2-3
2+
1–2
1-2
1-2
3
3-4
3
2-3
2
2-3
3
3-4
3-4
Abb. 8: Portfolio – Einschätzung (ausgewählte Schüler)
Bei der Gestaltung spiegelt sich das große Engagement der Lerner, wie es schon im Unterricht
zu beobachten war, wider. Insgesamt waren die Arbeiten vollständig, wenn auch kleinere
Teilaufgaben hier und da fehlten. Schülerfehler wurden von der Lehrkraft generell nicht
korrigiert. Gelegentlich strichen die Schüler jedoch falsch geschriebene Wörter selbst durch
und notierten das richtige Wort daneben, wenn sie den (orthografischen) Fehler bemerkten.
Diese Form der Selbstkorrektur verdeutlicht, wie die Arbeit von den Lernern ernst genommen
und als wichtiger Teil des BSUs gewertet wurde (vgl. Eren 2011).
6.4.2 Lehrerrückmeldungen
Insgesamt wurde von Lehrerseite wenig Gebrauch des Rückmeldebogens gemacht und auch
nur auf Anfrage. Das Instrument, basierend auf dem Projekt BiliReal 2013 (Hollm et al.
2010), scheint für die vorliegende Untersuchung weniger geeignet zu sein, da der zeitliche
Aufwand zu groß ist und die Aussagen den Erkenntnissen aus den Interviews ähnlich sind.
Hier wäre bei weiteren Studien eine Vereinfachung und Anpassung des Instruments hilfreich.
Im Gegensatz dazu war die Rückmeldung zu den einzelnen Modulen (‚Reflexion‘) deutlich
umfangreicher. Die Einschätzung der einzelnen Module zeigt insgesamt, dass der Wege über
die modularisierte Form des BSUs richtig und sinnvoll ist. Besonders die Themen wurden als
besonders gelungen erachtet, bei denen es viele Möglichkeiten für selbstständiges
Schülerhandeln gab. Hierzu zählten vor allem die historischen und geografischen Themen
sowie ‚Electricity‘. Aber auch die anderen Themen wurden positiv beurteilt und die
getroffene Auswahl als gut und richtig bewertet. Die Schwierigkeiten bezogen sich auf
strukturelle
Details
(Materialauswahl,
Aufgabenstellung,
zeitliche
Planung,
Versuchsanordnung), welche aber ohne größere Schwierigkeiten behoben werden können.
19
6.5 Zusammenfassung der Ergebnisse
Die zentrale Fragestellung der Untersuchung lautete: ‚Wie lässt sich Bilingualer
Sachfachunterricht an Haupt- respektive Werkrealschulen inhaltlich und strukturellorganisatorisch umsetzen, sodass der Mehrwert für Schülerinnen und Schüler als auch
Lehrkräfte deutlich wird (vgl. Kap. 4)?’
Diese Frage lässt sich dahin gehend beantworten, dass die Umsetzung dem folgen kann, was
hier als ‚Schwieberdinger Modell‘ erprobt und evaluiert wurde. Das Vorhaben zeigt deutlich,
wie bilingualer Unterricht auch für leistungsschwächere Schüler umsetzbar ist. Strukturell
erweist sich insbesondere die Modularisierung als der richtige Weg. Folgende Kriterien
wurden von uns als entscheidend identifiziert: (1) Engagement der Lehrkräfte, (2)
Kooperation unter den Kollegen und Unterstützung durch die Schulleitung, (3) methodische
und zielsprachliche Kompetenz der Lehrkräfte, (4) klare Strukturierung des Unterrichts, (5)
offene Interaktionsformen (z. B. bei Aufgabenstellungen) sowie (6) schülergerechte
Aufbereitung der Module. Der letzte Punkt schließt methodische Aspekte wie Reduktion,
Handlungsorientierung oder Anschaulichkeit ein.
Die von uns formulierten Teilfragen lassen sich folgendermaßen beantworten:
a) Kommt es bei den Schülerinnen und Schülern zu einer zielsprachlichen Überforderung?
Die Schüler vermögen durchweg dem Unterrichtsgeschehen zu folgen. Auch die von den
Lehrkräften erstellten und eingesetzten Materialien sind adäquat und dem Lernniveau
angepasst (vgl. auch Portfolioauswertung). Bei der sprachlichen Produktion kommen die
Schüler schnell an ihre Grenzen. Das war zu erwarten und wird von der Lehrkraft gut
abgefangen. Dennoch zeigte sich ein deutlicher Fortschritt innerhalb der zwei untersuchten
Schuljahre, auch was die Sprachproduktion anbelangt. Die unterrichtliche Analyse als auch
die Hörverstehenstests und Sprachstanderhebungen zeigen deutlich das Potenzial, über das die
Schülerinnen und Schüler verfügen, um auch in Zukunft deutliche Lernfortschritte in der
Zielsprache zu machen.
b) Ist die modulare Vorgehensweise für diese Schülerschaft adäquat?
Diese Form des bilingualen Sachfachunterrichts wurde von allen Seiten positiv bewertet.
Bilinguale Module können als adäquate Unterrichtsstruktur für diese Schülerschaft erachtet
werden, vorausgesetzt sie werden entsprechend konzipiert oder aufbereitet. Das bisher auf
dem Markt zur Verfügung stehende Unterrichtsmaterial ist nicht angemessen, sondern
durchweg zu schwierig. Es wird angestrebt, vom Cornelsen Verlag entsprechende
Unterstützung bei der Erstellung von Lernmaterialien (z. B. als Sammlung in einem Ordner)
zu erhalten und gemeinsam solche Materialien zu entwickeln.
c) Was ist bei der Auswahl und Planung der Module zu beachten?
Neben der Auswahl der Themen (‚was kann man machen, was ist wichtig?‘) betrifft das vor
allem die adäquate Aufbereitung der Module. Das berührt zugleich sprachliche wie inhaltliche
Aspekte, insbesondere die Reduktion auf das Wesentliche und Essenzielle eines Themas. Hier
20
bedarf es sicherlich noch weiterer Erfahrungswerte und der Erprobung durch andere
Lehrkräfte, insbesondere an anderen Schulen. Wichtig ist generell die Präferenz für Themen,
die viel Raum für selbstständiges Tun und Handeln lassen. Hier finden auch schwächere
Schülerinnen und Schüler Zugang zu BSU. Dies wurde immer wieder von den beteiligten
Lehrkräften betont und ist ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg von BSU, gerade mit dieser
Schülerschaft.
d) In welcher Form kann die Leistung gemessen werden?
In den untersuchten Klassen wurden Portfolios eingesetzt, in welchen Schülerinnen und
Schüler ihre erstellten und bearbeiteten Materialien sammelten und diese Arbeit auch
bewerteten. Dies wurde z. T. mit großer Hingabe getan, was die überraschend gute Qualität
der Portfolios zu einem großen Teil erklären lässt. Weitere Formen der Leistungsmessung
wurden bewusst nicht gewählt, um die Schüler nicht noch zusätzlich zu belasten. Eine
sachfachliche Leistungsmessung (z. T. auf Deutsch) wäre für die Zukunft wünschenswert und
aus unserer Sicht auch ohne Probleme durchführbar (vgl. auch Müller 2008). Dass dies
Auswirkungen auf die Motivation haben kann, sollte jedoch bei der Planung von
Bewertungsinstrumenten berücksichtigt werden.
e) Inwiefern spielt der Migrationshintergrund der Lerner eine Rolle?
Die Untersuchung konnte kein einheitliches Bild zeigen. Wir vermochten für monolingual
deutschsprachige Kinder wie auch für Lerner mit Migrationshintergrund gleichermaßen gute
und schlechte Leistungen bei den Tests und den unterrichtlichen Mitschnitten feststellen. Für
genauere Aussagen müsste eine deutliche höhere Stichprobe genommen werden. Deutlich
wurde jedoch, dass eine nicht-deutsche Erstsprache kein genereller Hinderungsgrund für
bilingualen Unterricht darstellt. Tendenziell scheint das Englische als Unterrichtssprache eine
motivierende Rolle zu spielen. Dies wird so auch von Schülerinnen und Schülern mit
Migrationshintergrund bewertet.
f) Wie sieht die Akzeptanz seitens der Schüler- und Elternschaft aus?
Insbesondere unter den befragten Schülerinnen und Schüler kam es durchweg zu einer
gleichbleibend positiven Einschätzung des Unterrichts. Diese Einstellung zeigte sich nicht nur
in den direkten Befragungen, sondern auch im unterrichtlichen Engagement und bei der
Bearbeitung der Aufgaben für die Portfolios. Eine abschließende Beurteilung lässt sich
allerdings erst nach Beendigung der Schulzeit Ende Klasse 9/10 machen.
Auch vonseiten der Eltern kamen mehrheitlich positive Rückmeldungen. Sie fordern eindeutig
eine Fortführung des Projekts in den höheren Klassen, nicht zuletzt auch deshalb, weil sie sich
Vorteile für die Zukunft ihrer Kinder erhoffen. Allerdings sollten sie noch besser über die
Inhalte und Strukturen von BSU informiert werden.
21
g) Auf welche organisatorischen Hürden und Schwierigkeiten stoßen
Lehrerschaft und Schulleitung?
Sicherlich ist eine grundsätzliche Unterstützung des Vorhabens durch die Schulverwaltung
(alle Ebenen) wichtig. Die Projektleitung strebt deshalb an, dieses Modell auch an anderen
Standorten zu etablieren und somit eine breitere Akzeptanz zu ermöglichen. Erste Schritte wie
z. B. die Einrichtung eines Arbeitskreises zum BSU an Werkreal-/Hauptschulen oder eine
landesweite Fortbildungsmaßnahme (s. u.) sind vonseiten des Kultusministeriums bereits
gemacht worden, was ausdrücklich begrüßt wird.
7
Empfehlungen
Basierend auf den Ergebnissen der zweijährigen Untersuchung empfehlen wird folgende
Maßnahmen:
(1) Der Bilinguale Sachfachunterricht an der HBS soll bis in das 9., wenn möglich sogar das
10. Schuljahr fortgeführt werden.
(2) Vorausgesetzt, die Schule verfügt über genügend ausgebildete und motivierte Lehrkräfte,
soll auch weiterhin in Klasse 5 mit der Durchführung der bilingualen Module begonnen
werden.
(3) Das ‚Schwieberdinger Modell‘ soll an verschiedenen Schulen des Landes erprobt und
weiterentwickelt werden. Eine Begrenzung auf den Standort Schwieberdingen wäre nicht
wünschenswert.
(4) Auf Seiten der Schulverwaltung sollten dergleichen Initiativen unterstützt und begleitet
werden. Dies bezieht sich auf die Verteilung von Debutatsstunden, aber auch die
Unterstützung mit Unterrichtsmaterialien.
(5) Das Konzept ‚Bilingualer Sachfachunterricht für alle‘ muss gleichermaßen
wissenschaftlich wie auch unterrichtspraktisch weiterentwickelt werden. Es sollte daher
auch insbesondere in den neu geschaffenen Gemeinschaftsschulen erprobt und etabliert
werden.
(6) Die Konzepte sollten auf dem ‚Schwieberdinger Modell‘ fußen und dessen modulare
Konzeption implementieren bzw. adaptieren.
Ludwigsburg, im Juli 2012
Dr. Götz Schwab
Prof. Dr. Jörg-U. Keßler
Prof. Dr. Jan Hollm
22
8 Studentische Abschlussarbeiten im Rahmen des Projekts
1.
Anna-Maria Krivec (2012): Zielsprachliche Entwicklung im bilingualen
Sachfachunterricht an einer Hauptschulklasse. (Magisterarbeit)
2.
Ina Hagenmaier (2011): Korrekturverhalten im bilingualen Sachfachunterricht einer
ausgewählten Hauptschule.
3.
Hatice Eren (2011): Portfolioarbeit im bilingualen Sachfachunterricht der Hauptschule.
Eine Untersuchung von ausgewählten Schülerarbeiten in der Sekundarstufe I.
4.
Stefan Rottweiler (2011): Bilingualer Sportunterricht in der Hauptschule.
5.
Valentina Hein (2011): Codeswitching im bilingualen Sachfachunterricht in der
Hauptschule Klasse 5.
6.
Susanne Hardenberg (2010): Bilingualer Sachfachunterricht in einer Hauptschulklasse –
Sprachstandserhebung und erste Ergebnisse.
9 Publikationen zum Projekt
1.
Schwab, Götz (erscheint). Bili für alle?! Ergebnisse und Perspektiven eines
Forschungsprojekts zur Einführung bilingualer Module in einer Hauptschule. In: Stephan
Breidbach / Britta Viebrock (eds.). CLIL: Research, Policy and Practice. Frankfurt et al.:
Peter Lang.
2.
Schwab, Götz (erscheint). Unterricht im Fach Englisch - bilingual. In: Rüdiger Vogt /
Elke Grundler (Hrsg.). Unterrichtskommunikation in unterschiedlichen Fächern.
Stuttgart: Stauffenburg.
3.
Schwab, Götz / Riedl, Ilse / Wöhr, Marina (in Vorbereitung). „Bilingualer
Sachfachunterricht in der Hauptschule“. In: Lehren & Lernen.
4.
Keßler, Jörg-U. / Schwab, Götz (in Vorbereitung). ’CA meets PT’. Second Language
Learning at the Crossroads. In: Jörg-U. Keßler / Mathias Liebner (eds.). Developing and
Assessing Second Language Grammars across Languages. Amsterdam: John Benjamins.
5.
Schwab, Götz (in Vorbereitung). Looking into a unique CLIL classroom in Germany. In:
Paul Seedhouse / Chris Jenks (eds). International Perspectives on the ELT Classroom.
New York: Palgrave MacMillan.
10 Präsentationen
1.
Bilingualer Sachfachunterricht statt Fremdsprachenunterricht? Auswirkungen und
Perspektiven bildungspolitischer Planungen, 18.02.2011, Universität Frankfurt:
"Bilingualer Sachfachunterricht an Hauptschulen"
2.
Unterrichtskommunikation in unterschiedlichen Fächern. 08.07.2011, PH Ludwigsburg.
„Unterricht im Fach Englisch“
23
3.
24. DGFF-Kongress, 01.10.2011, Universität Hamburg: "CLIL für alle?! Bili in der
Hauptschule!"
11 Fortbildungsmaßnahmen
Landesakademie für Fortbildung und Weiterentwicklung an Schulen, Comburg, 23.5 –
25.5.2011: „Bilinguale Unterrichtsangebote in der Werkreal-/Hauptschule. Von der
Konzeption zum konkreten Vorhaben.” Für Lehrer/innen an Werkrealschulen/Hauptschulen
(Klassen 5-10). Durchführung: Ilse Riedl, Marina Wöhr, Götz Schwab.
12 Verwendete Literatur
Appel, Joachim (2004). "Unterrichtssprache". In: Englisch. 1:1-5.
Becker-Mrotzek, Michael / Vogt, Rüdiger (2001). Unterrichtskommunikation. Linguistische
Analysemethoden und Forschungsergebnisse. Tübingen: Niemeyer.
Brock, Cynthia A. (1986). "The Effects of Referential Questions on ESL Classroom
Discourse". In: TESOL Quarterly. 20:1, 47-59.
Dahnken, Astrid (2005). Englisch in der Hauptschule: eine didaktische Rekonstruktion von
fremdsprachlichem und bilingualem Unterricht. Oldenburg: Didaktisches Zentrum.
Dallinger, Sara (erscheint 2013). Die Einstellung der Eltern zum bilingualen
Sachfachunterricht: Eine quantitative Studie an Realschulen in Baden-Württemberg. In:
Hollm, Jan / Hüttermann, Armin / Keßler, Jörg.-U. / Schlemminger, Gérald / Ade-Thurow,
Benjamin (Hrsg.). Bilinguales Lehren und Lernen in der Sekundarstufe I: Sprache, Sachfach
und Schulorganisation. Landau: VEP.
Dalton-Puffer, Christiane / Nikula, Tarja (2006). "Pragmatics of content-based instruction:
teacher and student directives in Finnish and Austrian classrooms". In: Applied Linguistics.
27:241-267.
DESI-Konsortium (Hrsg.) (2008). Unterricht und Kompetenzerwerb in Deutsch und
Englisch: Ergebnisse der DESI-Studie. Basel: Beltz.
Elsner, Daniela (2007). Hörverstehen im Englischunterricht der Grundschule. ein
Leistungsvergleich zwischen Kindern mit Deutsch als Muttersprache und Deutsch als
Zweitsprache. Frankfurt am Main: Lang.
Europarat (2001). Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren,
beurteilen. Berlin [u.a.]: Langenscheidt.
Ganschow, Leonore / Sparks, Richard (2001). Learning difficulties and foreign language
learning: A review of research and instruction. Language Teaching 34: 79-98.
24
Hollm, Jan / Hüttermann, Armin / Keßler, Jörg-U. / Schlemminger, Gérald (2010). BiliReal
2012: Bilinguale Züge für Englisch und Französisch in der Realschule. Beiträge zur
Fremdsprachenvermittlung 49: 153-187.
Keßler, Jörg.-U. (2006): Englischerwerb im Anfangsunterricht diagnostizieren.
Linguistische Profilanalysen am Übergang von der Primar- in die
Sekundarstufe I. Tübingen: Narr.
Keßler, Jörg-U. & D. Keatinge (eds.) (2009): Research in Second Language Acquisition:
Empirical Evidence Across Languages. Newcastle upon Tyne: Cambridge Scholars
Publishing.
Keßler, Jörg-U. / Liebner, Mathias (2011): Diagnosing L2 Development: Rapid Profile. In:
Pienemann, Manfred / Keßler, Jörg-U. (Hrsg.): Studying Processability Theory. An
Introductory Textbook. Amsterdam: John Benjamins: 133-147.
Kolb, Annika (2007). Portfolioarbeit. wie Grundschulkinder ihr Sprachenlernen reflektieren.
Tübingen: Narr.
Lenz, Thomas (2011). Didaktische Prinzipien und Methoden im bilingualen Unterricht. In:
Thomas Lenz / Horst Weible (Hrsg.). Bilinguale Module für die Sekundarstufe I.
Braunschweig: Westermann, 3-5.
Müller, Michael (2008). "Probleme der Leistungsmessung im bilingualen Unterricht". In:
PRAXIS Unterricht. 4:37-42.
Pädagogisches Zentrum Rheinland-Pfalz (1997). Bilingualer Unterricht an Hauptschulen und
Realschulen: überregionale Abschlußtagung am 11. Juni 1997; Tagungsbericht. Bad
Kreuznach: PZ.
Pienemann, Manfred (1998). Language processing and second language development.
Processability theory. Amsterdam [u.a.]: Benjamins.
Pienemann, Manfred (2005). An introduction to Processability Theory. In: ders. (Hrsg.).
Cross-linguistic aspects of Processablity Theory. Amsterdam / New York: John Benjamins,
1-60.
Schneider, Karl / Schwab, Götz / Weingardt, Martin (Hrsg.) (2009). Hauptschulforschung
konkret. Themen - Ergebnisse - Perspektiven. Baltmannsweiler: Schneider Verlag
Hohengehren.
Schwab, Götz (2009). Gesprächsanalyse und Fremdsprachenunterricht. Landau: Verlag
Empirische Pädagogik.
Wode, Henning (1995). Lernen in der Fremdsprache: Grundzüge von Immersion und
bilingualem Unterricht. Ismaning: Hueber.
25