Die Sammlung nationalsozialistischer und militaristischer Kinder

Transcription

Die Sammlung nationalsozialistischer und militaristischer Kinder
Aus der Sammlung
Die Sammlung nationalsozialistischer und militaristischer
Kinder- und Jugendbücher der Internationalen Jugendbibliothek
von Jutta Reusch
Zu den wertvollen historischen Buchbeständen der
Internationalen Jugendbibliothek gehört
eine bemerkenswerte Sammlung nationalsozialistischer und militaristischer Kinder- und Jugendbücher. Diese Sammlung speist sich aus zwei Quellen:
Im Jahr 1987 trennte sich die Kinderbuchsammlerin Dr. Barbara Murken von ihrem Spezialbestand
Nationalsozialismus, um sich zukünftig auf das
Bilderbuch zu konzentrieren, und übereignete ihn
als großzügige Schenkung der Internationalen
Jugendbibliothek. Diese jetzt unter dem Namen
„Sammlung Barbara Murken“ firmierende Spezial­
sammlung konnte 1991 durch ein Angebot des
Antiquars W. Geisenheyner (Münster) um nationalsozialistische und militaristische Jugendliteratur erweitert werden, die nach 1945 auf Anweisung
der amerikanischen Militärregierung ausgesondert
und separiert worden war. Die Bücher stammen
aus Bad Godes­berger Bibliotheken, und zwar von
der NSDAP Hitlerjugend Bad Godesberg (Fliegergefolgschaft 2/160), aus der Städtischen Volksbücherei Bad Godesberg, der Schulbibliothek Godesberg,
der Städtischen Oberschule für Jungen und anderen Schulbibliotheken.
Insgesamt umfasst die Sammlung rund 415
­Bü­cher: 375 nationalsozialistisch indoktrinierte
Jugendbücher (davon 135 aus der Sammlung
­Barbara Murken) sowie rund 40 militaristische
und nationalistische Kinder- und Jugendbücher
aus der Zeit des Ersten Weltkriegs und davor.
Dazu kommen ca. 35 Buchbinderbände der Heft­
serien „Kriegsbücherei der deutschen Jugend“,
„Erlebnis-Bücherei“, „Kolonial-Bücherei“ und
„Spannende Geschichten“ aus dem Zweiten
Weltkrieg.
Im Jahr 2009 wurde diese Sammlung nationalsozialistischer und militaristischer Kinder- und
Internationale Jugendbibliothek
Jugendbücher in der Internationalen Jugendbibliothek katalogisiert. Die Erschließung konnte
dank einer großzügigen Spende von Laszlo von
Hoffmann über den Verein Freunde und Förderer
der Internationalen Jugendbibliothek e.V. finanziert werden.
Nach der formalen und inhaltlichen Erschließung
sind die Titel nun weltweit im OPAC (OnlineKatalog) der Internationalen Jugendbibliothek
recherchierbar, sowohl nach formalen Kriterien
wie Autor (Suchfeld „Person“) und Titel als auch
nach thematischen Schlagwörtern wie „HitlerJugend“ (Suchfeld „Schlagwort“). Die beiden
zugrundeliegenden Sammlungen können – nach
ihren Provenienzen – mit der Suche nach der
Signatur „H/MU*“ (Sammlung Barbara Murken)
bzw. „H/NS*“ (NS- und Militarismus-Sammlung
der Internationalen Jugendbibliothek) virtuell
rekonstruiert werden.
Exemplarische Beschreibung der Sammlung
Die militaristische und nationalistische Kinderund Jugendliteratur aus dem 19. Jahrhundert,
beispielsweise „Die Heimatlosen“ (1880) von
Otto Glaubrecht (über die „Befreiungskriege“
gegen Napoleon 1813-1815) oder „Im heiligen
Kampfe“ (1895) von Alphons Steinberger, sowie
die kriegsverherrlichenden „Erlebnisberichte“,
Romane und Geschichten aus der Zeit des Ersten
Weltkriegs lassen bereits eine literarische Tradition
und Entwicklung erkennen, an die die NS-Literatur
wenige Jahrzehnte später anknüpfte, um sie für
ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Um nur einige
Beispiele zu nennen: Mit den Kurzgeschichten
„Du junge Wacht am Rhein!“ (ca. 1915) wollte
die Autorin Thea von Harbou, berühmt geworden
als Drehbuchautorin des Filmes „Metropolis“, zur
Erweckung der „heißen Vaterlandsliebe“ in den
Das Bücherschloss 2009
97
Aus der Sammlung
„jungen Herzen“1 beitragen. Der Roman „Treu bis
zum Tod“ (1915) von Hermann Giersiepen idealisiert den Opfertod im Ersten Weltkrieg. Mit der
Technikbegeisterung Jugendlicher spielt das Buch
„Ran an den Feind“ (1915) von Hugo von Waldeyer-Hartz. Weitere Titel aus diesen Jahren sprechen
für sich: „Feldgrau“ (1914) von Martin Lang,
„Vom Weltkrieg“ (1915) von Gottlob Egelhaaf,
„Nordsee“ (1918) von Gorch Fock, „Unsere braven
Landstürmer“ (1918) von Adolf Ott, „Hindenburg, der Befreier des deutschen Ostens“ von Fritz
Skowronnek (1916), „Deutsche Sklaven im Dienste
der Fremdenlegion“ (1913) von Georg Mentler,
„Schwert Siegfrieds wider
Albions Gold!“ (1915) von
Heinrich Vollrat Schumacher
sowie die Anthologie „Das
Jugendgeleitbuch“ (1914) und
das Jugendsachbuch „Der Kaiser war bei uns!“ (1918). Die
Bilderbücher „Das deutsche
Heer“ (ca. 1905) und „Der
Sieger. Ein lustiges Bilderbuch
für unsere Jugend aus grosser Zeit“ (1914) sollten mit
verharmlosenden Soldatenspielen sowie mit Bildern und
Gedichten über den Krieg die
Kinder des Kaiserreiches auf
den Krieg einstimmen.
In der Sammlung nationalsozialistisch indoktrinierter
Literatur sind die Genres der
NS-Jugendliteratur vertreten,
die im Zentrum der nationalsozialistischen Diskussion über Kinder- und Jugendliteratur standen,
insbesondere die Gattungen Kriegs- und Soldatenbücher, Abenteuerbücher, Märchen, Sagen,
historische Romane, Bücher über Hitler und für
die Hitler-Jugend, Mädchenbücher, Sportbücher,
didaktische und Schulbücher sowie Bilderbücher.
Für die ideologische Bewertung, Auswahl und Zensur der Kinder- und Jugendliteratur im NS-Staat wa-
98
Das Bücherschloss 2009
ren auf parteiamtlicher Ebene vor allem die Reichsjugendführung (RJF) (mit Baldur von Schirach als
Reichsjugendführer) und der Nationalsozialistische
Lehrerbund (NSLB) (unter der Führung von Eduard
Rothemund) zuständig, die teils kooperierten, teils
konkurrierten, keine fest definierten Kompetenzen
hatten und denen es nicht gelang, ein einheitliches theoretisches Konzept zu erarbeiten.2 Die
verschiedenen Institutionen versuchten, Kriterien
zur Beurteilung von Kinder- und Jugendliteratur zu
finden und gaben eine Fülle teils widersprüchlicher
Empfehlungs- und Verbotslisten heraus. Ein weiterer wichtiger Indikator für die Auswahlkriterien,
die zur Bewertung der Titel
angewandt wurden, war
der Karteiteil der Zeitschrift
„Jugendschriften-Warte“
(JSW)3, die sich ab 1933 in
den Dienst der nationalsozialistischen Ideologie gestellt
hatte.4
Ab 1936 schrieb die Reichswaltung des NSLB jährlich
den Hilf-mit-Preis und den
Hans-Schemm-Preis aus,
„um den Schriftstellern
‚einen Anreiz zu geben’
und um der Jugend endlich
‚wirklich wertvolle Bücher
zu schenken’“5. In der
Sammlung der Internationalen Jugendbibliothek
sind etliche Bücher vertreten, die mit dem HansSchemm-Preis ausgezeichnet wurden, darunter
Alfred Weidenmanns „Kanonier Brakke Nr. 2“ (3.
Preis 1937/38), Erika Müller-Hennigs „Die Wolgakinder im Baltenland“ (1940/41) oder Ludwig
Cramers „Die Kinderfarm“ (1. Preis 1941/42).
Trotz aller Bemühungen des NS-Regimes, auch
die Produktion der Kinder- und Jugendliteratur
politisch gleichzuschalten und ideologisch zu
instrumentalisieren, beklagten die für die In-
Internationale Jugendbibliothek
Aus der Sammlung
doktrination der Jugend zuständigen Instanzen
den Mangel an „guter“ nationalsozialistischer
Literatur. Ihre Empfehlungen verdeutlichen, dass
sie sich sogar zu Konzessionen an den Lesergeschmack und die faktische Macht des – nicht
verstaatlichten – Buchmarkts gezwungen sahen.
Was war nach nationalsozialistischer Ideologie
ein gutes Kinder- und Jugendbuch? Die „‚Erziehung zum Buch’ und ‚durch das Buch’“ sollte
„ganz in den Dienst der ‚Volkwerdung’“6 gestellt
werden; „individualistische Tendenzen“ sollten
der Unterordnung des Individuums unter die
„Gemeinschaft“ in der „Bewegung“ weichen. Die
junge Generation sollte zur Bereitschaft erzogen
werden, ihr Leben für die „Idee des Nationalsozialismus“ zu opfern. „Jugendlichkeit“ und „Lebensbejahung“, „Kampfesmut“ und „Heldentum“
waren dabei inflationär verwendete Schlagworte.7
Schon in diesen allgemeinen Grundsätzen natio­
nalsozialistischer Literaturpädagogik zeigt sich
die ideologisch überfrachtete Vagheit der undefinierten Begriffe. Ähnlich unscharf wurden die
einzelnen Gattungen der Kinder- und Jugendliteratur beschrieben. Diskussionen über konkretere
Vorgaben für jede einzelne Gattung blieben ohne
einheitliches Ergebnis.
Im Folgenden werden jeder der von den NSIdeologen diskutierten Gattungen exemplarische
Titel aus der NS-Sammlung der Internationalen
Jugendbibliothek zugeordnet. Dabei zeigt sich,
dass die Sammlung eine repräsentative Auswahl
für den empfohlenen Kanon der NS-Instanzen
darstellt.
Kriegs- und Soldatenbücher
Die Kriegs- und Soldatenbücher stellen eine
Hauptgruppe der Sammlung dar. Sie wurden in
der nationalsozialistischen Erziehung als Kriegspropaganda eingesetzt, doch entzündete sich
gerade an dieser Gattung, wie an der Gattung
„Abenteuerliteratur“, eine Debatte über billige
„Schundreihen“ und das sogenannte „Konjunkturschrifttum“, d. h. an einer unglaubwürdig
Internationale Jugendbibliothek
übertriebenen, anbiedernden, „unechten“ Umsetzung der NS-Ideologie. Mit Kriegsbeginn verloren
jedoch die „Schund“-Debatte wie auch literaturpädagogische und ästhetische Argumente zunehmend an Bedeutung. Zahlreiche billige Romane
und Heftreihen wurden trotz offizieller Ablehnung nicht auf den Index gesetzt, die Reichsjugendführung gab sogar selbst seit Ende 1939 u.
a. in Verbindung mit dem Oberkommando der
Wehrmacht die Heftchenreihe „Kriegsbücherei
der deutschen Jugend“ heraus, und die Reihe
„Kolonial-Bücherei“ wurde unter Mitwirkung der
Auslandsorganisation der NSDAP, des Oberkom-
Ill. aus „
mandos der Wehrmacht und des Reichsbundes
deutscher Seegeltung herausgegeben (beide in
mehreren Bänden in der Internationalen Jugendbibliothek vorhanden, z. B. Heft 1-88 der
„Kolonial-Bücherei“ und elf Bände der „Kriegsbücherei“). Diese Reihen sollten die Jugendlichen
für den Krieg begeistern und über das Kriegsgeschehen „informieren“.8
Bücher, die den Ersten Weltkrieg und den Luft-,
See- und U-Boot-Krieg idealisierten, sollten die
Das Bücherschloss 2009
99
Aus der Sammlung
wurde zusammengestellt
von „Der Reichsführer-SS,
SS-Hauptamt, Berlin“.
Jugend „geistig und gesin­
nungs­­mäßig wehrhaft“9
erziehen. Exemplarisch seien
einige Titel aus der Sammlung aufgezählt: Werner
Chomton „Soldat in den
Wolken“ (1933), Werner
von Langsdorff „Flieger am
Feind“ (1934), Paul von
Lettow-­Vorbeck: Heia Safari!
(1939) (über den Ersten
Welt­krieg in Ostafrika), Korv.
Kapitän d. Res. Fritz Otto
Busch: „Zwei Jungens unter
der Kriegsflagge“ (1937).
Die von Technik faszinierten Jugendlichen wurden
durch Werke über moderne
Kriegstechnik geködert,
­z. B. die Jugendsachbücher
„Waffen“ (1942) von Fritz Pachtner, „Was jeder
vom d
­ eutschen ­U-Boot wissen muß“ (1941) von
„Korvettenkapitän Max Bartsch“, „Das Autobuch
für den Pimpfen“ (1943) von Rolf Schur oder die
Kriegs­geschichte „Sturz in den Sieg: das Wunder
der ­­Ju 88“ (1943) von Leonhard Adelt.
In den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs wurden von höchsten staatlichen Stellen Kriegsweihnachtsbücher herausgegeben, die fingierte Frontbriefe sowie sentimentale Durchhalte-Gedichte
und -Geschichten systemkonformer bzw. vereinnahmter Autoren wie Hans Friedrich Blunck,
Hermann Claudius, Kurt Eggers, Walter Flex,
Hermann Löns, Heinz Steguweit u. a. versammelten. Unter dem zynischen Motto „Ohne den
Krieg würde die Welt im Materialismus versumpfen“ steht der Band „Deutsche Kriegsweihnacht“
(1944), herausgegeben vom Hauptkulturamt
der NSDAP in der Reichspropagandaleitung. Ein
Geleitwort von Baldur von Schirach an „Liebe
Pimpfe und Jungmädel“ geht dem Buch „Es weihnachtet sehr. Kriegsweihnacht 1943“ voraus. Die
Anthologie „Deutsches Weihnachtsbuch“ (1943)
100
Das Bücherschloss 2009
Abenteuerbücher
Als Abenteuerbücher wurden neben den als Abenteuerbücher inszenierten
Kriegsbüchern Entdecker-,
Seefahrer- und Indianergeschichten empfohlen,
die in fremden Ländern
spielen. „Maßgebliche Kriterien für eine positive Bewertung aller im Karteiteil
[der Jugendschriftenwarte]
rezensierten Abenteuerbücher waren ‚Echtheit’,
‚Wahrheit’, ‚Lebensnähe’“
sowie die Vermittlung
heldischer Tugenden
wie „‚Tapferkeit’, ‚Treue’, ‚Mut’, ‚Kühnheit’,
‚Entschlossenheit’ und ‚Opferbereitschaft’ […].
Ein deutscher Junge sollte früh lernen, daß das
Leben voller Mühen und Gefahren stecke, daß das
Meistern des persönlichen Schicksals Selbstüberwindung koste und am ehesten in Kameradschaft
mit anderen möglich sei.“10 In der Sammlung
der Internationalen Jugendbiblio­thek finden sich
Abenteuerbücher wie
Paul O. Erttmanns
„Unter BlasrohrIndianern“ (ca. 1941),
J. B. Carolus’ „In
der Tempelstadt der
Mayas“ (ca. 1941)
und Brigitte Gerlands
„In der grünen Hölle
Brasiliens“ (1941).
Mädchenbücher
Auch im Bereich
der Mädchen­
bücher lehnte die
NS-Ideologie das
Internationale Jugendbibliothek
Abb. aus „Das Autobuch für den Pimpfen“
Aus der Sammlung
„Konjunkturschrifttum“ zugunsten der „echten“,
„wirklichkeitsnahen“ Mädchenliteratur ab. Der
„süßlich, sentimentale und kitschig-verlogene
Zauber“11, der von Backfischbüchern, wie der
„Nesthäkchen“-Reihe von Else Ury,
Emmy von Rhodens „Trotzkopf“Reihe oder den „Goldköpfchen“Bänden von Magda Trott ausgehe,
wurde missbilligt. Die „neue“
Mädchenliteratur sollte die Bestimmung der Frau noch mehr in ihrem
selbstlosen, hilfs- und opferbereiten Einsatz für Familie, Schul- und
Arbeitsgemeinschaft, der Gemeinschaft mit dem „Lebenskameraden“ und der „Volksgemeinschaft“
darstellen12. Wie in den anderen
Bereichen war auch in diesem
Genre die theoretische Diskussion
wenig ausgereift und uneinheitlich,
und die empfehlenden Instanzen
fanden wenige Bücher, die ihren
ideologischen Vorgaben wirklich
entsprachen. Auch hier lässt sich
der Widerspruch zwischen Empfehlungen und tatsächlichem, von
Weltflucht geprägtem Leseverhalten
feststellen: Die typischen Jungmädchenbücher wurden trotz ideologischer Ablehnung weiter gelesen.
In den Kriegsjahren verlagerte sich
auch in dieser Gattung der Schwerpunkt auf Bücher, die den Kriegseinsatz – in einer Familie ohne
Vater – idealisieren.13 So schreibt
beispielsweise Heinrich Maria
Tiede in „Ingeborg. Ein deutsches
Mädchen im großen Kriege“ (ca. 1943): „Auch
deutsche Mädchen und Frauen haben ihren Teil
zu den Opfern beigetragen, die für unser Land als
Selbstverständlichkeit von jedem einzelnen Menschen deutschen Blutes gegeben worden sind.
[…] Deutschland ist wieder groß, Deutschland ist
wieder stark, und die unsterbliche Hoffnung der
Frontgeneration lebt in der deutschen Jugend
Internationale Jugendbibliothek
weiter.“ Oder Maria Kramarz in „Dies Mädel ist
Hanne“ (1937): „Eine auf die männliche Jugend
beschränkte Arbeitsdienstpflicht ist ebenso ungenügend wie eine auf die Knaben beschränkte
Schulpflicht.“
Folgende Mädchenbücher aus der
Sammlung der Internationalen
Jugendbibliothek wurden explizit
von NS-Institutionen empfohlen:
Maria Kramarz „Dies Mädel ist
Hanne – später bist du es (1937),
Käthe Miethe „Friedel im Pflichtjahr“ (1949), Margarete Dargel
„Mädel im Kampf“ (1937), „Ich
war Arbeitsmaid im Kriege“, herausgegeben von Hilde Haas.
Weitere Beispiele für Mädchenund Jungmädelbücher der Sammlung sind Else Stemp: „Wiete will
nach Afrika. Ein JungmädchenBuch“ (1936), Helga Knöpke-Joest:
„Ulla, ein Hitlermädel“ (1933),
Inge Wessel: „Mütter von Morgen“
(1936), Ruth Krieger: „Deutsche
Mädel im Osten (1941) und Rotraut Hinderks-Kutscher: „Zöpfle
bei den Sommereltern“ (1940)
(über die Kinderlandverschickung
der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt).
Bücher für die Hitler-Jugend
Die Sammlung enthält auch
zahlreiche Bücher für die HitlerJugend. Der nach dem Zweiten
Weltkrieg als Drehbuchautor
sehr erfolgreiche Herbert Reinecker stellte dem
von ihm herausgegebenen Buch „Pimpfenwelt“
(1938) folgendes Motto voran: „‚Die Jugend,
die heute heranwächst, wird nicht mehr wie frü­
her zum Genuß, sondern zu Entbehrungen, zu
Opfern, vor allem aber zur Zucht eines gesunden,
widerstandsfähigen Körpers erzogen. Wir wollen
hier ein Geschlecht nicht nur für die Sonnen-,
Das Bücherschloss 2009
101
Aus der Sammlung
sondern vor allem für
die Sturmtage erziehen.’ Adolf Hitler“. So
handelt beispielsweise
auch der Bestseller und
Klassiker der HJ-Literatur, Karl Aloys Schenzingers „Der Hitlerjunge Quex“ (1932) von
dem Opfertod eines
vom Kommunisten
zum HJ-Mitglied „bekehrten“ Jungen. Wie
die Freizeit der Jugend,
Spiele, Sport und Landaufenthalt in „Dienst“
umgewandelt wurden, zeigen u. a. der
Ratgeber „Deutscher Jungendienst“ (1933) (mit
gedruckten Widmungen des Reichspräsidenten
Hindenburg und des Reichsjugendführers Baldur
von Schirach), das RJF-Handbuch „Für das Deutsche Jungvolk in der HJ“ unter dem Titel „Pimpf
im Dienst“ (1934 hrsg. v. d. Reichs­jugendführung),
der Ratgeber „Spiele und Feiern der Hitler-Jugend“
(1939) oder das Jugendbuch von Georg Erich
Griesbach „Packt zu, Kameraden! Wie Großstadtjungen das Land kennenlernen“ (1935).
Im Kontext der gemeinsamen Freizeitgestaltung
der HJ-Kinder und -Jugendlichen wurden Wander- und Fahrtengeschichten herausgegeben, die
mit atmosphärischen Fotos von Zeltlagern und
Aus­flügen illustriert waren. Beispiele für sind F. K.
Matth: „Vier tippeln durch die Mark“ (1934),
„Der versunkene Affe. Tolle Jungensgeschichten
von Fahrt und Lager“ (1940), „Fahrt! Erlebnis­
berichte deutscher Jungen und Mädel“ (1938),
Max Hugo Tonne: „Woto. Eine Jungvolkfahrt“
(1936) und „Schnappschuß Deutscher Jungen
auf U.S.A.“ (1936).
Volksmärchen
Der Ursprung der Volksmärchen wurde von den
NS-Instanzen in der mündlichen Tradition der
102
Das Bücherschloss 2009
„nordrassischen Bauernvölker“14 angesiedelt.
Volksmärchen wurden von den Meinungsführern
als die wertvollsten Texte zur nationalsozialis­ti­
schen Erziehung „für den vom Nationalsozialismus
propagierten ‚kämpferischen’, ‚heldischen’ und
‚lebensbejahenden’ Menschen“15 angesehen,
Kunstmärchen hingegen als verniedlichend, süßlich und herablassend. Jedoch gab es auch kontroverse Ansichten zur Eignung der Märchen für
Kin­der. In der Praxis wurden Kunstmärchen wohl
weiterhin gern gelesen und sogar empfohlen. Die
Favoriten der Volksmärchen waren Grimms Märchen und Sammlungen nordischer Märchen.
In der Sammlung der Internationalen Jugend­
bibliothek finden sich die beiden MärchenAntho­­logien „Menschen kämpfen. Märchen von
Tapfer­keit und Treue“ (1938) von Gerhard Krügel
und „Der hölzerne Säbel. Die schönsten Soldaten­
märchen“ (1943), herausgegeben von Carl H.
Erkelenz.
Sagen
Sagen sollten die „Überlieferungswelt“ der nationalsozialistischen Ideologie vermitteln. „Auf der
Suche nach der Geschichte des eigenen Volkes
greife schon das Kind im ‚Robinsonalter (9.-12.
Lebensjahr)’ zur
kindertümlich
gestalteten Volks­
sage und könne
von hier aus zur
Götter- und Heldensage geführt
werden, in der
dann der Jugend­
liche im Alter von
12 bis 15 Jahren
‚die heldische
Tat’ finde, die
‚jede(r) gesunde
junge Deutsche’
suche.“16. Die
Heldensagen, so
hieß es, weckten
Internationale Jugendbibliothek
Aus der Sammlung
„im Jugendlichen den Wunsch zur Nachahmung
des ‚heroischen Menschen nordischer Artung’
“17. Die beliebteste Sage war die Siegfriedsage.
Es entstanden auch zahlreiche Anthologien wie
Ernst Hollers ­Sagenanthologie „Sagen zur deutschen Geschichte der Frühzeit und des Mittelalters (1939) oder Sagen-Bearbeitungen wie das
Heldenepos „Die Urvätersaga“ von Hans Friedrich
Blunck und die Erzählungen „Widukind“ (ca.
1940) von Werner May, „Hermann der Cherusker“ (1937) von Freerk Haye Hamkens, „Gudrun“
(1939) von Leopold Weber oder „Der Kampf um
Torge“ (1943) von Else Hueck-Dehio.
hinter Pflug und Werkbank“ (1943) sowie
Jugend­sachbücher zur „Rassenkunde“, etwa
Fritz Mettenleiters „Alaf sig arna“ (1936).
Historische Romane
Historische Romane deuteten die Biographien
historischer Gestalten als germanische „Rassengeschichte“ oder Heldenverehrung um, so beispielsweise „Ursula, die Enkelin des Veit Stoß“ (1941)
von Franz Bauer oder „Horst Wessel“ (1936) von
Erwin Reitmann.
Anthologien
Neben Märchen- und Sagen- oder WeihnachtsSammlungen wurden zahlreiche Anthologien
herausgegeben, in denen literarische Texte nach
ideologischen Gesichtspunkten zusammengestellt wurden, beispielsweise „Lob der deutschen
Tapferkeit. Ein Hausbuch deutscher Dichtung“
(1939) oder das „Hausbuch der deutschen Ju­
gend“ unter Mitarbeit von Agnes Miegel, Josef
Weinheber und Bruno Brehm (1941), Karl Frie­d­
rich Oßwalds Kinderlyrik- und Kurzgeschichten­
anthologie „Heisa / juhei“ (ca. 1930), „Die
Jugend­burg. Erzählungen der Heimat“ (1943),
her­ausgegeben von Heinz Görz und „Ewiges Bauerntum“ (1935) herausgegeben von Georg Usadel.
Sachbücher
Neben Sachbüchern über (Kriegs-)Technik,
Geschichte, Sport u. a. beinhaltet die Sammlung
Sachbücher, die die „kriegswichtige“ ländliche
Arbeit und den Arbeitsdienst idealisierten, wie
Wolfgang Peters’ „Großdeutschlands Eisenbahner“
(1941) und das erzählende Sachbuch „Jugend
Internationale Jugendbibliothek
Biographien
Zahlreich vertreten sind auch für Kinder und
Jugendliche ideologisch aufbereitete Biographien
Adolf Hitlers, wie das Kinderbuch „Mutter, erzähl
von Adolf Hitler“ (1939) von Johanna Haarer,
dem folgendes Motto voransteht: „’Alles, was wir
tun, tun wir letzten Endes für das Kind.’ Adolf
Hitler“. Weitere Beispiele sind das Jugendbuch
„Kinder, was wisst ihr vom Führer?“ von Hermine
Morgenroth und Maria Schmidt, „Das Buch
vom Führer für die deutsche Jugend“ (1933) von
Erich Beier-Lindhardt mit einem Geleitwort des
Reichsjugendführers Baldur von Schirach oder
„Die Geschichte von Adolf Hitler“ (ca. 1938) von
Annemarie Stiehler.
Das Bücherschloss 2009
103
Aus der Sammlung
Bilder­bücher
Die Anforderungen der NS-Ideologen an Bilder­
bücher lauteten: „Das Bilderbuch hat das Kind
vom sprunghaften Dranherumnippen an den
Dingen dieser Welt zu einem schauenden
Erfassen der Welt, von verantwortungslosen
herumtändelnden Träumen zur Stärkung
­seiner Anschauungskraft
und zur Tatbereitschaft zu
führen.“18„Wir wünschen
eine herzliche und kräftige
Bildsprache im Sinne unserer
großen Bilderbuchmeister
Heinrich Hoffmann, Otto
Speckter, Ludwig Richter. […]
Wir lehnen ab alle Kritzeleien,
Wischereien, Schmierereien,
alle Form- und Zuchtlosigkeiten im Bilderbuch. Wir
wünschen im Bilderbuch
Klarheit und Deutlichkeit,
Reichtum der Gestaltung,
Sauberkeit der Zeichnung, der
die Farbe dient als klärendes
und verklärendes Element.“19
Der Nationalsozialistische
Lehrerbund konnte jedoch
auch für diese Gattung die
pro­klamierten Ideale nicht
durchsetzen und beklagte, dass die marktgängigen
Bilderbücher in der Tradition der „übertriebenen
Naturseligkeit“ stünden, die eine „heile Welt“
zeigten, anstatt weder den propagierten „Kampf
um das Dasein“ noch den „Dienst an der Gemeinschaft“ darzustellen.20
Eduard Rothemund gab das Sachbilderbuch
­„Deine deutsche Heimat“ (1936) mit Illustratio­
nen von Eugen Oßwald heraus, das mit idyllischen
Landschaftsbildern und nationalistisch gefärbten
Texten für Kinder ein idealisiertes Deutschlandbild vermittelt. Wie „Oh, welche Lust, Soldat zu
sein!“ (ca. 1934), ein Bilderbuch mit gereimten
Versen über die Infanterie, verharmlost auch
104
Das Bücherschloss 2009
das billig gedruckte Propaganda-Heftchen „Da
kam ein stolzer Reiter“ (ca. 1935) mit illustrierten Gedichten über die Kavallerie den Krieg als
Kinderspiel. Hermann Siegmanns „Deutschland
siegt!“ (1941), mit farbigen Illustrationen von
Herbert Rothgaengel, beschönigt das Leben der
Soldaten und Kriegseinsätze. Im großen Bildband
„Adolf Hitler. Bilder aus dem
Leben des Führers“ (1936),
herausgegeben vom Cigaretten-Bilderdienst HamburgBahrenfeld, ist folgende
Genehmigung abgedruckt:
„Gegen die Herausgabe
dieser Schrift werden seitens
der NSDAP keine Bedenken
erhoben. Der Vorsitzende
der parteiamtlichen Prüfungskommission zum
Schutze des NS-Schrifttums“.
Zahlreiche Bücher der
Sammlung weisen Evidenzen wie Widmungen, Lesespuren oder Annotationen
sowie exemplarspezifische
Zeugnisse ihrer Provenienz
und Geschichte auf. Um
nur einige zu nennen: Die
Anthologie „Der Blütenbaum“ trägt die Stempel
„Arbeijderbevoegelsens Bibliotek og Arkiv“
und „Sozialdemokratische Partei Deutschlands
Sektion Dänemark“ mit dem Zusatz „Zugelassen
als Beweismaterial in der demokratischen Bildungsarbeit“. „Woto. Eine Jungvolkfahrt“ (1936)
von Max Hugo Tonne ist gestempelt durch den
„Volksbund für das Deutschtum im Ausland.
Landesverband Schleswig-Holstein“, die Anthologie „Ewiges Bauerntum“ (1935) durch die
„Deutsche Volksschule Albershausen“. „Fritz will
zur Technik“ von Georg Grillmayer trägt den
Stempel „Zentralbücherei München (Öffentliche
volkstümliche Bücherei), Deutsche Arbeitsfront.
Bezirksleitung Bayern“.
Internationale Jugendbibliothek
Aus der Sammlung
Die NS- und Militarismus-Sammlung der Internationalen Jugendbibliothek mit der Sammlung
Barbara Murken ist also eine herausragende
Quelle für Forschungen zu literatur-, sprach- und
kulturhistorische, soziologische, pädagogische sowie buchgeschichtliche Aspekten der Kinder- und
Jugendliteratur. Die Bücher können unter Vorlage
des Personalausweises und bei schriftlichem
Nachweis eines wissenschaftlichen Forschungsvorhabens im Lesesaal der Internationalen
Jugendbibliothek eingesehen werden.
Jutta Reusch ist Leiterin der Abteilung Biblio­
thekarische Dienste der Internationalen Jugend­
bibliothek.
1 Harbou, Thea von: Du junge Wacht am Rhein! Stuttgart : Levy & Müller, ca. 1915, Vorwort „An die Eltern
der jungen Wacht am Rhein“
2 vgl. Josting in Wild, S. 276
3 vgl. ebd., S. 277
4 vgl. Karrenbrock in Wild, S. 259
5 Josting (1995), S. 234. Josting bezieht sich hier auf
Wächtler, F.: Hans-Schemm-Preis für das deutsche
Jugendschrifttum. – In: Jugendschriften-Warte (JSW)
41 (1936), S. 17
6 vgl. Josting (1995), S. 100. Josting bezieht sich hier
auf Schemm, H.: Hans Schemms Vermächtnis an das
deutsche Jugendschrifttum. – In: JSW 40 (1935),
S. 26-27
7 vgl. ebd., S. 61ff.
8 vgl. Josting (1995), S. 172
9 Thomas, W.: Einige Bücher für die Erziehung unserer
Jugend zum Soldatentum. – In: Die deutsche höhere
Schule 2 (1935), S. 892, zitiert nach Josting (1995),
S. 164
10 Josting (1995), S. 132
11 Dietz, U.: Zur Frage des Jungmädchenbuches. – In:
Der ostpreußische Erzieher (1935), S. 641, zitiert nach
Josting (1995), S. 146
12 vgl. Josting (1995), S. 147
13 vgl. Josting (1995), S. 150
14 Spieß, K. von: Was ist ein Volks märchen? – In: JSW 43
(1938), S. 37, zitiert nach Josting (1995), S. 116
15 Josting (1995), S. 117. Josting bezieht sich hier auf
­Rothemund, E.: Das Jugendbuch in der deutschen
Schule. – In: Das deutsche Jugendbuch. München,
1942, S. 45-87.
16 Josting (1995), S. 124. Josting bezieht sich dabei auf
„Die Schülerbücherei“, hrsg. von der Reichswaltung
des NSLB. - Leipzig 1939, S. 34 und S. 38
17 Josting (1995), S. 125. Josting bezieht sich hier auf
­Prestel, J.: Wandel des Heldenbildes. – In: JSW 40
(1935), S. 46
18 Wippler, H.: Die volkserzieherische Bedeutung des
deutschen Bilderbuches. – In: JSW 44 (1939), S. 116ff.,
zitiert nach Josting (1995), S. 109
19 Rothemund, E. (1942), s. Anm. 15, zitiert nach Josting
(1995), S. 109
20 vgl. Josting (1995) , S. 114
Verwendete Literatur:
Josting, Petra: Der Jugendschrifttums-Kampf des National­
sozialistischen Lehrerbundes. Hildesheim u. a.: OlmsWeidmann, 1995 (Germanistische Texte und Studien;
Bd. 50). Zugl.: Bielefeld, Univ., Diss., 1994
Josting, Petra: Faschismus. In: Wild, Reiner (Hrsg.):
­Geschichte der deutschen Kinder- und Jugendliteratur.
3., vollst. überarb. und erw. Aufl. Stuttgart u. a.: Metzler,
2008. S. 276-294
Karrenbrock, Helga: Weimarer Republik. In: Wild, Reiner
(Hrsg.): Geschichte der deutschen Kinder- und Jugend­
literatur. 3., vollst. überarb. und erw. Aufl. Stuttgart u. a.:
Metzler, 2008. S. 241-259
Internationale Jugendbibliothek
Das Bücherschloss 2009
105