1 Prof. Dr. Norbert Schneider Direktor der Landesanstalt für

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1 Prof. Dr. Norbert Schneider Direktor der Landesanstalt für
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Prof. Dr. Norbert Schneider
Direktor der Landesanstalt für Medien NRW (LfM) Düsseldorf; www.lfm-nrw.de
Zu hoch für die Aufsicht?
Zur Verletzung der Menschenwürde in Rundfunkprogrammen
(Statement zur Eröffnung des Dialogs mit Ernst-Gottfried Mahrenholz)
Klausurtagung der Medienkommission der LfM am 29./30. Januar 2010 in Köln
Gespräch am 30. Januar 2010
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1.
Zu den Gründen, die eine Programmbeschwerde auslösen können, gehört die Verletzung der Menschenwürde. Dieser Tatbestand wird in den einschlägigen Gesetzen
jeweils prominent platziert.
So heißt im Rundfunkstaatsvertrag in § 2a Allgemeine Programmgrundsätze der erste Satz:
...alle Veranstalter bundesweit verbreiteter Fernsehprogramme haben in ihren Sendungen die Würde des Menschen zu achten und zu schützen.
§ 3 zählt unzulässige Sendungen auf. Genannt werden u. a. Sendungen, die den
Krieg verherrlichen, und solche, die Menschen, die sterben oder schweren körperlichen oder seelischen Leiden ausgesetzt sind oder waren, in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellen. Und damit nichts offen bleibt, schließt die Ziffer 1
mit Satz 5 so ab, dass auch alle solche Sendungen dazu zu rechnen sind, die in
sonstiger Weise die Menschenwürde verletzen.
Doch wer daraus den Schluss ziehen würde, solche Fälle von Menschenwürdeverletzung seien wohl besonders häufig anzutreffen, und sie müssten deshalb so sichtbar ausgestellt werden, würde enttäuscht. Stattdessen: Fehlanzeige! Mir ist in meiner
Praxis von nun bald 17 Jahren Rundfunkaufsicht nicht ein einziger Fall in Erinnerung,
bei dem die Würde eines Menschen auf eine Weise verletzt worden wäre, die dann
eine Programmbeschwerde nach sich gezogen hätte.
Was im Unterschied zu dieser Fehlanzeige jedoch zwar nicht häufig, aber doch immer wieder zu konstatieren ist, sind solche Fälle, in denen gewissermaßen fast eine
solche Verletzung zu beobachten war. Dafür sind zuletzt Beispiele im Kontext von
Real Doku Shows zu finden, in denen wirkliche Menschen in tatsächlichen Situationen zu sehen waren. Im Anschluss an einzelne Bilder und Szenen ist immer wieder
eine Diskussion aufgeflammt, ob nicht doch...- und ist dann auch immer wieder bald
erloschen.
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An zwei Fälle möchte ich erinnern: An das öffentliche Sterben von Jade Goody, einer jungen Frau aus England und Teilnehmerin an „Celebrity Big Brother“. Sie starb
im Frühjahr 2009 „in aller Öffentlichkeit“. Oder denken Sie an den sog. „OklahomaAttentäter“. Er wollte seine Hinrichtung 2001 live im Fernsehen übertragen wissen,
wozu es aber nicht gekommen ist.
Bei den Fällen aus der Grauzone, wie ich sie einmal kategorial nennen möchte - sie
reichen von der ersten Staffel von „Big Brother“ bis zu „Frauentausch“ - ist von Seiten
der Aufsicht nach jeweils langen Debatten keine höchstrichterliche Überprüfung angestrebt worden. Die Aufsicht ist vielmehr, in der begründeten oder auch nur eingebildeten Sorge, sie könnte den Prozess verlieren und dadurch eine wirkliche Verletzung noch in weitere Ferne rücken, und in der finalen Unentschiedenheit diverser
juristischer Bewertungen mit föderaler Grundierung, einer Nagelprobe aus dem Weg
gegangen. Auch die Ermunterung durch Ernst Gottfried Mahrenholz, sich etwas mutiger zu zeigen und ein Prozessrisiko einzugehen, hat hier nichts bewirkt. Auch eine
Feststellung wie die von Udo di Fabio am 18.März 2003 in der Politischen Akademie
in Tutzing - er war damals noch kein Bundesverfassungsrichter - die Dschungelshow
von RTL hätte Beispiele einer Verletzung der Menschenwürde enthalten – er nannte
die Szene, in der eine Akteurin mit dem Tierfutter auf der Haut, die in den Straußenkäfig gehen muss – ist nicht weiter verfolgt worden.
Doch auch ohne den unmittelbaren Bezug zu einer Programmbeschwerde ist das
Thema Verletzung der Menschenwürde nur selten grundsätzlich aufgegriffen worden.
Dies war etwa dann der Fall, wenn die professionelle Apologetik von Sendern, die
mit Blick auf das Laienpersonal, das die Real Doku Shows bevölkert, reflexhaft darauf abgehoben hat, der oder die hätten dies oder jenes völlig freiwillig getan. Diese
Apologetik provozierte die Frage, ob jemand, der sich bereit erklärt, dies oder jenes
zu tun, sich so oder so zu zeigen, in bestimmten Zusammenhängen auf bestimmte
Weise zu erscheinen – ob dessen Würde überhaupt verletzt werden kann, wenn er
sich doch alledem freiwillig aussetzt und dies womöglich auch noch in einem Schriftstück bestätigt hat? Ist nicht jeder für das, was er mit sich machen lässt, selbst verantwortlich und bedarf keiner weiteren Fürsorge durch unzuständig Unberufene?
Gibt es wirklich so etwas wie Schutzhaft für die Menschenwürde?
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Ich will dazu nur dies bemerken: Dieses Pochen auf eine durch populistische Neigungen vergiftete Lehre vom freien Willen bedeutet konsequent zu Ende gedacht,
dass die Menschenwürde als etwas, was man interpersonal zu definieren hat, keine
Rolle mehr spielt. Wenn Menschenwürde in die Selbstbestimmung des Menschen
fällt, ist sie als eine das Grundgesetz begründende, weiter nicht mehr begründbare
Größe aus dem Spiel. Sie hat sich überflüssig gemacht.
Doch diese Zurückweisung eines Arguments in einzelnen Fällen, das Insistieren auf
dem interpersonalen Kern der Menschenwürde, hat nicht dazu geführt, dass die kritischen Passagen eines Programms anschließend in ein Beschwerdeverfahren genommen worden wären. Diese Diskussion hat nur den Hintergrund des Themas in
Erinnerung gerufen und vor einer durch logische Schwäche geprägten Argumentation in Sicherheit gebracht.
2.
Diese Fall- und Diskursgeschichte könnte Grund genug sein, das Kapitel Menschenwürde im Rundfunkrecht abzuhaken und sich als Regulierer entschlossen neuen,
ertragreicheren Sachverhalten zuzuwenden. Warum ein Phantom bewachen, warum
Gerüchte über ein verfassungsrechtliches UFO verfolgen, wenn ringsumher Bürger
bei Gewinnspielen abgezockt oder durch eine Minute zuviel Werbung belästigt werden? Ist nicht, um es ein wenig größer zu machen, die Sicherung der Vielfalt weit
wichtiger und ein neues Medienkonzentrationsrecht das eigentliche Objekt für den
Schweiß der Edlen? Macht es wirklich Sinn, auf Fälle zu lauern, die es dann eben
doch nie geben wird? Nur weil es so im Gesetz steht? Ist die Sache mit der Menschenwürde am Ende vielleicht nur deshalb als Schutzzweck stehen geblieben, weil
dies eine Referenz vor der Verfassung ist, die es nun mal keine Nummer kleiner hat?
Bevor man dem zustimmt, sollte man einen Augenblick genau dieses Wort „Referenz“ näher betrachten. Es spricht in meinen Augen einiges dafür, dass die Menschenwürde, die unantastbar ist, tatsächlich eine solche Referenzgröße ist, an der
sich alles weitere, etwa Antirassismus oder Antisemitismus, messen lassen müssen.
Der Mensch mit einer unverletzten, einer unantastbaren Würde ist diejenige Größe,
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unter die die Verfassung alles weitere rückt. Vergleichbar einer Lichtquelle, die allein
bestimmt, was hell und was dunkel ist.
Die Vorstellung vom Menschen mit der unverletzten Würde ist die Vorstellung, die
die Anthropologie, die das Menschenbild der Verfassung bestimmt. Es gibt keine
weitere hinter oder neben oder über ihr. Die Verfassung legt sich hier fest. Sie setzt
so etwas wie ein Tabu. Denn ein Tabu ist bekanntlich durch zwei wesentliche Momente bestimmt: Man darf es nicht berühren, und es wird nicht weiter begründet.
Alles muss sich an der unverletzten Menschenwürde messen lassen – das bedeutet
gerade nicht, dass die Menschenwürde für die Praxis zu groß, zu erhaben, zu entrückt wäre, als dass man etwas mit ihr anfangen könnte. Ganz im Gegenteil ist die
Vorstellung eines Menschen, dessen Würde unantastbar ist, in jedem Fall, der seine
Würde irgendwie berührt, in Frage stellt, ignoriert – leitend, prägend, ein- und ausschließend.
Das genau aber ist die Funktion einer Referenzgröße: immer gegenwärtig zu sein als
ein jederzeit an- und abrufbares Maß. Sie gibt die Kriterien vor, so dass es nicht so
sehr darauf ankommt, ob sie komplett, unverkürzt, vollkommen gewahrt wird, sondern ob sie als Maß aller Dinge wirkt.
3.
So gesehen inkorporiert sich die Vorstellung der Menschenwürde, die die Verfassung
in Art. 1 vor die Klammer setzt, in allem was dann kommt. Etwa in sozial elementaren
Haltungen wie Respekt, Toleranz, Mitleid, Solidarität. In diesen Haltungen, die man
ebenso pflegen wie beschädigen oder ignorieren kann, ist immer Menschenwürde im
Spiel.
Man könnte vermuten, dass die unantastbare Menschenwürde aus ihrer Funktion,
die Präambel der Verfassung zu bilden und zu bestimmen, sich im Medienrecht in
eine beschwerdefähige Rolle verwandelt hat. Man könnte vermuten, dass sie sich
dabei verkleinert hat und gewissermaßen deklassiert worden ist. Das wäre deshalb
misslich, weil sie damit ihre Funktion, im Sonnensystem die Sonne zu sein, verlassen
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hat, und nun in die Rolle von Mond und Sternen gerückt ist. Für die eine Absicht ist
sie zu klein, für die andere zu groß.
Was ich damit sagen will, hat den Rang einer Hypothese: Die Menschenwürde im
Medienrecht verdankt sich womöglich der Verbindung einer guten Absicht mit einem
Denkfehler. Man wollte mit einem Normenbezug wie in § 2a RStV auch den Rundfunk ganz hoch besteuern. Und das hat man so gemacht, dass man das Zeichen vor
der Klammer, weil man es für so wichtig hielt, einfach in die Klammer selbst gezogen
hat.
Die Logik dieses Verfahrens liegt auf der Hand: Nun hat man es gleich zwei Mal –
und damit am Ende gar nicht.
4.
Wenn ich mich frage, weshalb wir uns in Sachen Menschenwürde in der Aufsicht so
schwer tun, dann hat das gewiss verschiedene Gründe. Es ist sicher eine Art von
Respekt im Spiel. Auch die Besorgnis, man könnte sich blamieren: Mutlosigkeit.
Skrupulanz. Das Zurückschrecken vor dem ganz Großen. Selbstunterschätzung, eine ganz besondere Untugend der deutschen Regulierung.
Doch auch wenn alle diese verständlichen Untugenden nicht wären, wenn wir mutig,
zupackend, furchtlos und verfassungsselig wären, bliebe aus meiner Sicht immer
noch das Problem, ob die Menschenwürdeverletzung nicht aus Versehen und in der
besten Absicht ins Gesetz gekommen ist. Aber warum das? Auch hierzu habe ich
eine Vermutung, die nicht belegbar ist: Es könnte sein, dass der Gesetzgeber sich
diese allergrößte aller Münzen auch deshalb genommen hat, weil er sich gescheut
hat, weil er und nicht die Aufsicht zu timide, zu vorsichtig war, die eher alltäglichen,
aber eben nicht annähernd so elementaren Programmverletzungen so zu benennen,
dass ihre Ahndung auch vor Gericht Bestand gehabt haben würde. Denn es fällt auf,
dass es solche Programmbeschwerden, die wir dann in der berühmten grauen Zone
ansiedeln, dem Rückzugsgebiet für das, was man leichthin schlechten Geschmack
nennt – es könnte sein, dass der Gesetzgeber sich hier nicht getraut hat und all das
an schwer bestimmbaren, aber gleichwohl wirkmächtigen Kleinigkeiten dadurch als
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schließlich hinnehmbar angesehen hat, dass er ja die Menschenwürdeverletzung als
das denkbar Größte ganz prominent nennt.
Ich will jedenfalls nach vielen Programmdiskussionen, die man dann als gesellschaftliche Debatte zu führen hatte, nicht verhehlen, dass es mir lieber wäre, der Regulierer hätte ein paar mehr Möglichkeiten, gegen den wenn auch kleinen, so doch steten
Tropfen der Würdeerosion vorzugehen, als ein ebenso großes wie am Ende stumpfes Instrument in der Hand zu haben, für das nahezu jeder Fall zu klein ist.
5.
Der mögliche Einfluss des Fernsehens auf die Werte einer Gesellschaft wird nicht
durch einige wenige spektakuläre, skandalöse Fälle zum Problem, durch irgendwelche Tabubrüche, die wenig mit Tabu und viel mit schlechtem Benehmen zu haben,
die sich im Dreieck von Sexualität, Gewalt und religiösen Gefühlen abspielen und die
einmal in einer Dekade durch eine Verletzung der Menschenwürde noch überboten
werden. Das Problem entsteht aus den alltäglichen grenzwertigen Kleinigkeiten, die
sich einer juristischen Betrachtung von vornherein entziehen, und für in unserer Gesellschaft – ich denke: auch in Folge einer missverstandenen Freiheit - eine andere
folgenreiche Betrachtung, nicht vorgesehen hat. Vielmehr ist es an denen, die Anstoß nehmen, zu begründen, warum sie dies tun – eine denkbar unglückliche Ausgangslage, wenn es darum geht, das Selbstverständliche zum Fliegen zu bringen.
Eine groteske Umkehr der Beweislast.
Das alles geht mir durch den Sinn, wenn ich auf das Stichwort Menschenwürde im
Kontext der Rundfunkregulierung stoße oder gestoßen werde. Sollte ich recht haben,
müsste etwas geschehen. Sollte ich nicht recht haben, wüsste ich wenigstens, warum nicht.