Eltern investieren zunehmend in private

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Eltern investieren zunehmend in private
CHRISTIAN LUTZ
Bildung
NZZ am Sonntag 22. März 2015
Ist Schulerfolg eine
Frage des Geldes?
Eltern investieren zunehmend in private Schulung – schliesslich soll das
Projekt Kind gelingen. Doch die Rechnung geht nicht immer auf.
Bildung
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NZZ am Sonntag 22. März 2015
FOTOS: CHRISTIAN LUTZ
Global Citizens,
Swiss made
Erinnerungen an
die Privatschulzeit
Filippo
Leutenegger
Katholische Internate Disentis und
Altdorf,
1965 bis 1972
«120 junge Menschen, ein Studiensaal, ein
Waschsaal. An solchen Orten zeigte sich
die Dynamik einer Gruppe unterschiedlichster Individuen mit gemeinsamen
Regeln. Dort übte ich, ein System und
Autoritäten gleichzeitig zu hinterfragen
und zu respektieren. Die permanente
Interaktion lehrte mich, zu unterscheiden:
Wie Menschen ihr Tun begründen, ist das
eine, ihre wirkliche Motivation etwas
anderes. Das war Lebensschule abseits
des Schulstoffs. Zudem trieben wir so viel
Sport, dass ich mich noch heute fit fühle.»
Exzellente Bildung ist das Eintrittsticket in die globalisierte
Wirtschaft. Sie wird deshalb auch in der Schweiz zunehmend
zur Investition – und lockt globale Bildungskonzerne an. Von Joel Bedetti Filippo Leutenegger, ehemaliger «Arena»-Moderator, alt Nationalrat, heute Zürcher Stadtrat (fdp.).
S
Musikunterricht an der «Gems World Academy» am Genfersee. (Etoy, 2. März 2015)
icherheit wird auf dem Gelände der «Gems World Academy» gross geschrieben. Ein
Zaun umgibt die Turnhalle,
das Fussballfeld und das
­nagelneue Schulgebäude mit
den glitzernden Fensterfassaden. Ein Security-Mann am Eingang zieht die Pässe
ein und händigt die Besucher-Bagdes
aus. «Es ist alles zum Schutz unserer
Schüler», erklärt Béatrice Hirt, Business
Relations Manager der Schule. In der
«Gems World Academy» in Etoy, am Gen-
ferseeufer zwischen Lausanne in Genf,
sollen die Schüler gemäss dem Schulleitbild mit einer exzellenten Bildung auf ihr
Leben als Global Citizens vorbereitet
werden.
Béatrice Hirt führt durch das Schulhaus, das 2013 eröffnet wurde. Es ist der
erste Schultag nach den Sportferien, die
Kinder in blauen Schuluniformen erzählen einander von ihren Erlebnissen, auf
einem Flachbildschirm läuft ein Film von
den Skiferien, den ein Schüler mit einer
Go-Pro-Kamera gefilmt und geschnitten
hat. Rund 160 Schüler gehen derzeit hier
in den Unterricht, doch das Gebäude bietet Platz für fast 1000. Gemäss der Schuldirektorin Audrey Peverelli sollen es in
sieben bis zehn Jahren 850 bis 900 Schüler sein.
Maximal 12 Schüler pro Lehrer
In der «Science»-Klasse sitzen zwei Zweierteams an einem Projekt zum Thema
Nahrungsmittelknappheit. Sie informieren sich auf ihren Mac-Airs über das Thema und werden in den nächsten Wochen
Weiterbildung
@ its finest
eine Präsentation vorbereiten. «Wir wollen, dass die Kinder auf eine kreative Art
lernen», sagt Business Relations Manager
Hirt. In der Mathe-Klasse machen die
Kinder Zahlenspiele auf einem riesigen
Touch-Screen, ein kleines Mädchen programmiert auf einem Tablet geometrische Formen. «In der Primarstufe haben
wir pro Lehrer maximal 12 Schüler», sagt
Béatrice Hirt, «so bekommen diese die
Aufmerksamkeit, die sie brauchen.»
Die «Gems World Academy» in Etoy ist
eine von von über 130 Schulen des
gleichnamigen Bildungskonzerns aus
Dubai. Obwohl der Konzern auch caritativ tätig ist und in Asien und Afrika Schulen baut, sind die Gems-Akademien auf
Profit ausgerichtet; das jährliche Schulgeld in Etoy kostet zwischen 23 000 und
33 000 Franken. Der Standort am Lac Léman ist der erste der Gems-Gruppe in
Kontinentaleuropa; bald soll ein zweiter
in Frankreich folgen, wo der Konzern ein
100-jähriges Internat gekauft hat.
Der Markt für Privatschulen ist in den
vergangenen Jahren in Bewegung gera-
Wir bereiten Kinder auf die komplexen
Herausforderungen der Zukunft vor.
OBS
OberseeBilingualSchool
Die Obersee Bilingual School (OBS) ist eine dynamische
und private bilinguale Tagesschule in Pfäffikon SZ, die von der
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Preparing children to face the complex
challenges of the future.
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Individuell
Innovativ
Inspirierend
International
Die Menus werden von einem ehemaligen Professor der Hotelfachschule Lausanne zubereitet: Die Kantine der Privatschule. ten. Traditionell ist er von kleinen Instituten geprägt, die in Familienhand waren. Zudem entstanden kaum Privatschulen aus der Idee heraus, Geld zu machen. Die meisten bieten eine ideologische Alternative zu den Staatsschulen:
Sie lehren etwa nach den Vorstellungen
von Rudolf Steiner, Montessori oder dem
Christentum.
Doch mit der Einwanderung hochqualifizierter Ausländer seit der Jahrtausendwende hat sich in der Schweiz eine
neue Kundschaft etabliert, die ihre Kinder lieber privat als öffentlich bildet: die
globalen Nomaden. Weil diese alle paar
Jahre weiterziehen, schicken sie ihren
Nachwuchs auf internationale Schulen.
Diese haben mit dem «International Baccalaureate» ein System etabliert, das
­dafür sorgt, dass ein Kind rund um den
Globus nahtlos von einer Schule in die
nächste wechseln kann.
Private Internate aufgekauft
Für die Bildung dieser Weltbürger hat
sich eine Sparte von global agierenden
Bil­dungs­kon­zer­nen entwickelt. Neben
der «Gems World Academy»-Gruppe ist
das zum Beispiel die «Nord Anglia»Gruppe, ein börsenkotierter Verbund von
35 International Schools in 14 Ländern,
davon vier in der Schweiz, alle in der Romandie. Diese vier Schulen waren vorher
traditionelle Internate, die der Konzern
den Betreibern abkaufte. In einem Artikel von 2011 in der Gewerbezeitung Aargau prophezeite Gerhard Pfister, CVP-Nationalrat und Vorstandsmitglied des Verbands Schweizerischer Privatschulen
(VSP): «Bildung wird immer stärker zum
interessanten Investitionsfeld, private
Investoren werden mehr Kapital einsetzen können als der Staat und damit auch
bessere Bedingungen für eine Elite liefern können.»
VSP-Geschäftsführer Markus Fischer
stellt fest: «Es gibt im Privatschulbereich
einen Konzentrationsprozess.» Die Zahl
der Internate habe in den letzten Jahren
beispielsweise leicht abgenommen. Fischer vermutet, dass den inlandorientierten Internaten die Kundschaft fernbleibe, weil sich die Gym­na­sial­quo­ten erhöht hätten. «Grenzfälle schaffen heute
eher den Sprung ins Gymnasium; früher
hätte man sie ins Internat geschickt.»
Das Auftreten globaler Bil­dungs­kon­
zer­ne mit Gewinnabsicht hinterlässt bei
Markus Fischer ein mulmiges Gefühl.
«Private Internatsschulen sind keine
Geldmaschinen, Bildung ist eine Branche
mit geringer Marge.» Reza Maleki, Projektleiter der «Gems World Academy» in
Etoy, kennt dieses Argument. «Die traditionellen Privatschulen waren vor unserer Ankunft besorgt», sagt er, «aber ich
sehe keinen Grund, wieso eine profitorientierte Firma keine exzellente Erziehung anbieten könnte.»
Es ist Mittag, die Schüler strömen in
die lichtdurchflutete Kantine und können beim Koch, einem ehemaligen Professor der Hotelfachschule Lausanne,
zwischen Vegi- und Fleischmenü auswählen. Viele traditionelle Institute, erzählt Maleki am Tisch des Schulkaders,
hätten sich auf den Lorbeeren ausgeruht
Moderner Mathematikunterricht: Zahlenspiele auf dem riesigen Touchscreen. Hier ist auch die
Persönlichkeitsbildung ein eigenes
Unterrichtsfach
namens «Wellbeing».
und hinkten nun der pädagogischen Entwicklung hinterher.
Wer eine öffentliche Schule besucht
hat, kann beim Rundgang durch die
«Gems World Academy» in Etoy nur staunen, mit welchem Aufwand hier unterrichtet wird. Neben den Schulzimmern
mit riesigen Touchscreens gibt es eine
Tonstudio, in dem die Schüler Podcasts
produzieren, ein Fernsehstudio mit
Scheinwerferbatterien und einem GreenScreen, vor dem die Schüler zum Beispiel
Kor­res­pon­den­ten­bei­träge über einen
Waldbrand nachspielen.
Doch die Privatschule hebt sich nicht
nur durch die technische Aufrüstung von
einer öffentlichen Schule ab. Hier ist
auch die Persönlichkeitsbildung ein eigenes Unterrichtsfach namens «Wellbeing».
Vor Toby Cann, einem witzigen Englän-
Boom nur punktuell
Wo die meisten Kinder Privatschulen besuchen
Privatschul-Quote für Primar- und Sekundarschüler nach Kantonen
0%
0,1–2%
2,1–4%
4,1–6%
über 6%
Durchschnitt
Schweiz: 3,8%
JU
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9,5
Quelle: Bundesamt für Statistik
AI
0
SG
2,9
SZ
4,8
der, sitzt rund ein Dutzend Schüler und
diskutiert darüber, dass man nicht auf
äusseren Druck hin ein sexuelles Verhältnis eingehen sollte. «Würdet ihr mit euren Freunden über solche Sachen reden?», fragt Toby Cann die Teenager. Wenige strecken auf. «Ich hoffe, dass ihr in
eurem Leben an einen Punkt kommen
werdet, an dem ihr das könnt», sagt
Cann. Wie viele Lehrer in Etoy arbeitete
er zuvor an einer öffentlichen Schule, im
wilden Londoner Osten. «Es war ziemlich lebendig dort», sagt Cann und lacht.
Hier könne er viel mehr auf die Schüler
eingehen. «Man kann sie fördern und
sieht, wie sie aufblühen.»
Reza Maleki, der Projektdirektor, sieht
deshalb in der Schweiz Potenzial für Privatschulen, die Global Citizens produzieren. «Der Markt hier wächst zwar nicht so
schnell wie derjenige in Asien oder im
Nahen Osten. Wenn wir dort eine neue
Schule eröffnen, ist sie gleich wieder
voll.» Doch in der Schweiz sei in einer
breiten Schicht die nötige Kaufkraft vorhanden. «Hier kann auch eine Person aus
dem Middle Management das Schuldgeld
bezahlen.» Auch andere Szenekenner beobachten an internationalen Standorten
wie Zug und Genf bei Schweizern eine
wachsende Bereitschaft, auf kostenlose
Staatsschulen zu verzichten und für eine
exzellente Ausbildung ihrer Kinder tief in
die Tasche zu greifen. Das sieht man auch
in der noch jungen Geschichte der «Gems
World Academy» in Etoy: 20 Prozent der
Schüler sind aus der Schweiz.
Markus Fischer vom VSP rät Schweizer
Eltern jedoch, gut zu überlegen, ob ihr
Kind eine Matura oder ein International
Baccalaureate (IB) erlangen soll. «Unsere
Matura ist eine der besten der Welt. Ich
kenne kein anderes Hoch­schul­zu­gangs­
zeug­nis in Europa, das zwei Fremdsprachen erfordert.» Man habe mit einem IB
zwar an ausländischen Unis einen Vorteil, nicht aber in der Schweiz: «Die ETH
versucht den Ansturm auf ihre Studiengänge zu bewältigen, indem sie von IBAbsolventen höhere Noten verlangt.»
GL
0,2
GR
4,3
An gewissen Orten wird zwar ein Boom
von Privatschulen registriert. Doch
insgesamt bleibt der Anteil Privatschüler in der Schweiz seit Jahren ziemlich
konstant bei knapp 4 Prozent (Primarund Sekundarschule), bei den Gymnasien ist er leicht rückläufig und beträgt
rund 10 Prozent. Traditionell stark
verankert sind Privatschulen in städtischen Regionen wie Zürich, Basel, Genf
sowie dort, wo öffentliche Schüler in
private Oberstufen gehen (GR). Steigende Zah­len weisen Zentren wie
Zürich und Basel auf. Zugelegt haben
auch Kantone wie Schwyz und Waadt,
die reiche Expats und internationale
Firmen anziehen. Ähnliche Tendenzen
gibt es innerhalb des Kantons Zürich.
Die reichen Seegemeinden weisen
teilweise Pri­vat­schü­ler­quo­ten von
über 20 Prozent auf. (rd.)
Kazu
Huggler
Freies Gymnasium
Zürich,
1983 bis 1989
«Als ich mit 11 Jahren von Tokio nach
Zürich umgezogen bin, war mein Deutsch
weit unter dem erforderlichen Niveau.
Aber das FGZ hat meine Noten in
den mathematischen Fächern, wo ich
den Schweizer Mitschülern weit voraus
war, stark berücksichtigt. Wegen des
Kulturschocks geriet ich aus der Balance
und bin oft negativ ausgefallen. Bald
entdeckte ich die Mode und begann,
mich dem Design und dem Nähen
zu widmen. Ein Jahr vor der Matura
organisierte ich meine eigene Modenschau. Obwohl ich wegen der Vorbereitungen die Schule vernachlässigte,
unterstützte mich der Rektor. Dieser
Toleranz und Offenheit verdanke ich
meinen heutigen Beruf.»
Kazu Huggler, Modemacherin und Unternehmerin
Thomas
Frutiger
Rudolf-SteinerSchule,
1974 bis 1978
«Meine ganze Familie inklusive den
Cousins besuchte seinerzeit die RudolfSteiner-Schule. Ich schätze noch heute
die vielseitige Ausbildung und den
ganzheitlichen Ansatz der Erziehung,
die ich dort genossen habe. Nach der
Grundschule besuchte ich die Feusi in
Bern bis zur Matura. Meine eigenen
Kinder gehen im Moment in die öffentliche Schule. Bis jetzt verlief alles optimal.
Ein Vorteil ist, dass die Kinder in der
Nachbarschaft und im Dorf vollkommen
integriert sind, was für mich damals
nicht so einfach war.»
Thomas Frutiger, Delegierter des Verwaltungsrates
der Frutiger-Gruppe in Thun
Thomas
E. Kern
Lyceum Alpinum
Zuoz, 1969 bis 1973
«Eine Privatschule zu besuchen, ist keine
Qualifikation – aber es kann eine grosse
Chance sein. In meinem Fall war es die
Chance, die Pubertät in einer zwar streng
geregelten, aber gleichzeitig internationalen und multikulturellen Umgebung zu
erleben, täglich intensiv Sport zu treiben,
auf der Schulbühne den öffentlichen
Auftritt zu proben und als House-Captain
erste Führungserfahrung zu sammeln.
Rückblickend wurde der Grundstein für
meine militärische und berufliche Karriere
im Internat gelegt.»
Thomas E. Kern, ehemaliger CEO der Flughafen
Zürich AG, heute Verwaltungsrat in diversen Firmen