der hat uns noch gefehlt! - henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag

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der hat uns noch gefehlt! - henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag
Lope de Vega
DER HAT UNS NOCH GEFEHLT!
(Originaltitel: De cuándo acá nos vino)
Aus dem Spanischen von Klaus Laabs
Fassung des Deutschen Theaters Berlin
von Katja Paryla und Hans Nadolny
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© henschel
SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 1995
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Marienburger Straße 28
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F1
PERSONEN
Fähnrich Leonardo
Beltran, sein Kamerad
Hauptmann Fajardo
Alfaro, Sergeant
Doña Barbara
Angela, ihre Tochter
Don Kerze
Alonso, dessen älterer Freund
Don Las Vegas, ein reicher Amerikaner
Toledo, dessen Diener
Lope, Diener Barbaras
Lucia, Dienerin Barbaras
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1. Bild
Casino der Garnison in der spanischen Provinz Flandern
Hauptmann
Meine guten Wünsche begleiten Euch.
Fähnrich
Ich bin von Herzen dankbar.
Alfaro
So wollt Ihr wirklich reisen?
Uns in der Ödnis lassen?
Hauptmann
Heute geht es also los?
Fähnrich
Ja, ja!
Beltran
Heut gehts los!
Fähnrich
Heute brech ich auf nach Spanien,
seine Hoheit, der Feldmarschall, gab mir Urlaub . . .
Alfaro
Der Feldmarschall!
Fähnrich
. . . und Briefe für Madrid das ganze Lager.
Hauptmann
Oh, Madrid, Madrid . . .
Stadt der Ämter und Gnaden,
Hofschranzen, Stellenjäger, Nichtstuer!
Alfaro
Pfaffen! Pfaffen, überall Pfaffen!
Ratten! Wanzen fressen einen auf. Oh Hauptstadt!
Beltran
Huren! Filzläuse! Aber Leben!
Hauptmann
Ich weiß nicht, Fähnrich, wie schwer
mir Ihre Abwesenheit wird.
Fähnrich
Und ich nicht, Herr Hauptmann, wie ich die Eure bedauern
werde!
Alfaro
Wie ihr uns fehlen werdet!
Hauptmann
Wie einen Sohn habe ich Sie geliebt.
Fähnrich
Und ich Euch, Herr, wie einen Vater.
Beltran
Ich wie ein Onkel!
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Fähnrich
Und jetzt bitte ich Sie um Verzeihung
für die Verfehlungen, die ich Ihnen antat.
Hauptmann
Macht mir die Brust nicht weich!
Ihr habt so gut gedient seiner Majestät in Flandern . . .
Beltran
. . . in Indien, Amerika, Madagaskar!
Hauptmann
. . . daß Ihr Schriftstücke mitnehmt
so leuchtend von diesen Wahrheiten,
daß sie für Eure Bewerbungen um ein Amt am Hof
leicht Eingang finden werden
durch die Schwierigkeiten der dicksten Doppeltüren.
Beltran
Da warten schon die andern –
abgewichste Soldaten, Adlige ohne Geld.
Arme Schlucker.
Alfaro
Und Pfaffen! Pfaffen!
Hauptmann
Die Hauptstadt ist ein Krankenhaus!
Sünden wuchern dort wie Eiterbeulen.
Alfaro
Madrid! Sodom und Gomorra!
Hauptmann
Ich selber kann, so gern ich möchte,
Euch nicht die Wege ebnen,
ich kenne keinen einflußreichen Mann.
Einen Brief kann ich Euch geben.
Fähnrich
Für wen?
Alfaro
Madrid! Ein spanisches Babylon.
Hauptmann
Hört mir zu.
Meine Geburt
war in Madrid, dem spanischen Hof.
Ich ging nach Flandern
sehr jung, und es ist seltsam,
nie wieder setzte ich seitdem
auf spanischen Boden den Fuß.
Ich habe eine Schwester in Madrid,
die die Abwesenheit nicht
aus meinem Gedächtnis fortwischen konnte;
und die mir, gebt acht, vergilt
solcherart diese Liebe,
daß es nichts gibt, was ich ihr schreibe,
was sie nicht tut und befolgt.
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Sie ist reich, Leonardo, und kann,
wenn sich Gelegenheit bietet,
in Madrid meinen Teil für Euch tun.
Fähnrich
Tausend Jahre schütze Euch Gott
und diese Herrin auch,
die kennenzulernen mich beglücken wird.
Auch wenn ich fürchte,
die Geschäfte werden wenig
Raum mir geben, ihr zu dienen.
Beltran
Es ist etwas Wunderbares!
Sie seiner Obhut anvertraut zu wissen.
Hauptmann
Nun, in so offner Freundschaft
gibt es keine Furcht, die mich zurückhielte:
nehmt diese goldne Tabatière.
Fähnrich
So etwas sollt Ihr nicht tun . . .
Beltran
Morgenstund hat Gold im Mund –
Alfaro
Dem Gold ist jeder hold –
Hauptmann
Gold macht dem Lahmen Füße –
Beltran
Faulheit stärkt die Glieder –
Alfaro
Gold öffnet alle Türen –
Beltran
Ein Goldscheißer sitzt nirgends im Weg.
Hauptmann
Gesundheit geht vor Gold und Silber –
Fähnrich
Reich an Gold, reich an Sorgen –
Hauptmann
Dem Kranken hilft kein goldnes Bett –
Alfaro
Wenn Donnerstags die Sonne an bedecktem Himmel untergeht,
regnets an drei Tagen –
Fähnrich
Aber nur dann, wenn es Gott gefällt.
Hauptmann
Seht, das und vieles anderes
ist nötig in Madrid;
die Dinge brauchen ihre Zeit,
und man gibt dort viel aus!
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Fähnrich
Ich nehme schon Gelder mit
für dringende Fälle.
Wir werden uns zu helfen wissen.
Hauptmann
Wenn Ihr Euch bloß nicht täuscht.
Erwidert nichts, und hört,
was ein Mann sagt, der Madrids
Herzlosigkeiten kennt
bei beschwerlichen Bewerbungen.
Es ist wie bei den Wirtshausschildern,
da heißt es meist: Zimmer frei,
und fragt man nach, ist alles voll besetzt!
Auf den Schildern aller Staatskanzleien sollte stehn:
„Bedenkt, Bewerber! Vor diesen Türen
steht ihr auf Gräbern jener Narren,
die täglich sich bewarben
und daran starben.“
Fähnrich
Aus inniger Liebe zu Eurer Hand
wage ich nicht zu widersprechen.
Alfaro
Kein Amt zu klein, es trägt was ein. –
Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand. –
Beltran
Ein Gott, ein Topf und ein Madrid!
Alfaro
Hier geben sich zärtlich die Arme
Fähnrich und der Hauptmann.
Fähnrich
Sicher ist, daß ich jeden Soldaten tragen werde
eingegraben in der Seele.
Hauptmann und Alfaro Glück auf den Weg, und grüßt Madrid!
Beltran
Ein Gott, ein Topf und ein Madrid!
Alfaro
Frühstücken werden sie in Madrid und trinken vom
Wasser des Vergessens.
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2. Bild
Madrid, im Park am Manzanares–Ufer
Kirchenglocken verstummen
Don Kerze
Segne Gott mir diesen Auftritt,
und ein Engel führ in Rosa
fern der Bahn mich schnöder Prosa.
Eine Schnecke bin ich nicht
vielmehr der Poeten Licht.
Alonso
Nun werden sie gleich kommen.
Sie läuten schon das Vaterunser ein
Don Kerze
Händ’ ihr, die mit vollen Händen,
allerseits Geschenke spenden –
warum müßt ihr mir vor allem
nur als Seufzergrund gefallen,
seid ihr gut, warum so grausam?
Seid ihr schlimm, so hold anschausam?
Alonso
Welcher Scharfsinn, welche Anmut!
Welche liebenswürdige Auslegung!
Don Kerze
Dies ist mein Denken, gesagt in summa,
wenn man das Denken summieren kann.
Alonso
Wie lange ists her,
daß Ihr aufwartet
der schönen Doña Angela Fajardo?
Don Kerze
Seit ich aus Aragon gekommen bin,
warte ich ihr auf;
zwar nur mit lauem Eifer anfangs, doch nach und nach,
als sich die Seele zu verpfänden begann
beim Weiterverfolgen der Absicht,
verwandte größere Aufmerksamkeit
ich auf die Eroberung
als sich erklären mit den Augen:
Hände mit den scharfen Nägeln,
Eurer List kann nichts entsegeln . . .
Alonso
Sehr gut!
Don Kerze
Doch die Furcht vor ihrer stattlichen Mutter;
die, wie Ihr wißt, ledig und geschäftig ist,
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