„Bad Düben“ wirklich ist

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„Bad Düben“ wirklich ist
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Reportage Küstenwache
Tognum Einblick | 3-20 13
Küstenwache Reportage
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Auf TV-Streife
Das Einsatzschiff BP23 führt ein Doppelleben. An 230
Wie der Alltag der Küstenwache an Bord des
Kapitän, sondern der Regisseur. Dann wird für die Vor-
Fernsehschiffs „Bad Düben“ wirklich ist
abend-Serie „Küstenwache“ gedreht. Eines haben beide
Tagen im Jahr fährt es für die Bundespolizei See Streife
auf der Ostsee. 30 weitere Tage ist es im Dienst des
Zweiten Deutschen Fernsehens unterwegs. Die Mannschaft wird scheinbar ausgetauscht gegen Schauspieler
und Kameraleute. Das Kommando hat nicht mehr der
Dienstherren gemeinsam: Sie setzen auf die Zuverlässigkeit der MTU-Motoren. Wir durften die echte Mannschaft auf Streife begleiten.
Am Set: das Einsatzschiff „Bad Düben“
der Bundespolizei See bei Dreharbeiten für
die deutsche TV-Serie „Küstenwache“.
Das wechselhafte Wetter an der Ostsee
wirft manchmal das Drehbuch komplett
durcheinander.
Klappe auf im Maschinenraum: Hin und wieder sind
auch die MTU-Motoren im
Film zu sehen. Hier in der
Folge „Im Auge des
Sturms“ mit Schauspielerin Annekathrin Bach.
N
eustadt. „Romeo, Romeo, Romeo, Mayday. Hier Küstenwache Ehlers, was ist passiert?“ – Kapitän Ehlers steht am
Funkgerät in der Kommandozentrale der Küstenwache in
Neustadt an der Ostsee. Kurze Zeit später rennen er und seine
Mannschaft in den Hafen. In rasantem Tempo, mit stäubender
Gischt und hohem Schwell fährt das Einsatzschiff „Albatros II“
auf die offene See hinaus. Mit besorgtem Blick betrachtet Ehlers
den Radarbildschirm auf der Brücke des Schiffes und ruft: „Verdammt, wo sind die?“ Der grauhaarige Kommissar und seine
Kolleginnen und Kollegen sind auf der Suche nach einer über
Bord gegangenen Person, die über Notruf gemeldet wurde. Statt
eines verunglückten Seglers findet die Crew eine erschossene
Frau im Wasser. Kurz darauf wird das Kontrollboot zu Wasser
gelassen und die Jagd auf den bewaffneten Verdächtigen beginnt.
Szenenwechsel von einem spannenden Fernsehabend mit der
Serie „Küstenwache“ zur „echten“ Küstenwache. Der Schauplatz:
Neustadt in Holstein an einem Donnerstag im September um 10
Uhr. „Achtern alles los und ein“ – Wachoffizier Joachim Egerland
steht draußen in der Nock und gibt der Besatzung das Kommando zum Ablegen. Die Leinen werden losgeworfen und das Einsatzschiff der Bundespolizei See, das jetzt „Bad Düben“ heißt, schiebt
sich allmählich aus dem Hafen. Hier ist das Wasser noch ganz
ruhig. Ich höre die beiden 12V 595er-Motoren von MTU ruhig
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reportage Küstenwache
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Küstenwache reportage
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Hintergrund
Die Ostsee im Blick: Wachoffizier Joachim Egerland beobachtet auf
dem Radarbildschirm den Schiffsverkehr und gibt der Mannschaft die
Kurse an. Alle Geräte auf der Brücke sind redundant ausgelegt.
Bewegte Geschichte
Am 6. September 1988 wird die „Bad Düben“ in der Peenewerft
in Wolgast in der ehemaligen DDR auf Kiel gelegt. Das „Kleine Raketenschiff“ ist Teil eines deutsch-sowjetischen Projekts, in dem der
Bau von insgesamt 15 Schiffen für die Volksmarine vorgesehen ist.
Unter dem Namen „Ostseebad Binz“ soll das Schiff Patrouille auf
der Ostsee fahren. Der Schiffskörper ist aus Stahl, die Aufbauten
aus Aluminium. Als Antriebsanlage dienen drei sowjetische 56-Zylinder-Sternmotoren. Die Volksmarine nimmt etwas später ein weiteres baugleiches Schwesterschiff entgegen, allerdings bereits
ohne Raketenstarter – die politische Entwicklung in Europa zeigt
Wirkung. So kommt es auch, dass beide Schiffe nicht mehr ihren
ursprünglich vorgesehenen Dienst antreten.
Nach der deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 übernimmt das Bundesministerium der Verteidigung Teile der aufgelösten nationalen Volksarmee und -marine. Dazu gehören auch die
beiden Patrouillenboote, die beim Bundesgrenzschutz See anheuern. Sie werden noch einmal in der Peenewerft Wolgast auf Helling
gezogen und komplett für den polizeilichen Einsatz umgerüstet. Zu
diesem Zeitpunkt kommt auch die MTU ins Spiel. Die beiden Schiffe
erhalten die ersten Serienmotoren der Baureihe 595. 1993 startet
die „Neustrelitz“ und drei Jahre später die „Bad Düben“ ihren Dienst
beim Bundesgrenzschutz See (heutige Bundespolizei) – jetzt mit
blau-weißem statt grauem Anstrich. Nach 17 Jahren erfolgreichem
Einsatz für eine friedliche und sichere Seefahrt auf der Ostsee feiert
die Bundespolizei am 6. September 2013 den 25. Geburtstag der
„Bad Düben“ in ihrem Heimathafen in Neustadt in Holstein.
schnurren. Kaum sind wir aus dem Hafen, kommt das neue
Kommando: „Alles auf die Brücke, beide voraus 1.“ Maschinist,
Kapitän, Rudergänger und Kommandant des Einsatzschiffes
BP 23 sind jetzt im Ruderhaus. Ganz langsam, mit etwa sechs
Knoten fahren wir auf die Ostsee hinaus. Wasser und Himmel
sind grau. Bisher wurden keine Leichen gemeldet und das wird
auch hoffentlich so bleiben. Die „echte“ Küstenwache wartet nicht
in einer Kommandozentrale an Land auf ihren Einsatz. Sie fährt
fünf Tage lang ohne Unterbrechung Streife. Mit vier bis fünf
Beaufort weht ein stetiger Nord-Ost-Wind, die „Bad Düben“ fängt
an zu schaukeln. „Ab sieben Windstärken wird es ungemütlich“,
sagt André Seidel (50), der Kommandant. Er ist hier der Kapitän
Ehlers und Chef der 14-köpfigen Mannschaft und fährt schon seit
27 Jahren zur See. Erst bei acht bis neun Windstärken muss das
Schiff an eine ruhige Stelle unter Landschutz gefahren werden,
um abzuwettern. „Beide Stopp. Beide voraus 1“, heißen die näch-
»Hier muss man aus
besonderem Holz
geschnitzt und extrem
teamfähig sein.
André Seidel,
Kommandant
«
Schwester in Sicht: Unterwegs begegnen wir Schwesterschiff „Neustrelitz“. Zusammen fahren beide Schiffe jährlich 11.000 Stunden
Patrouille.
Rechts: In nur zwei Minuten ist das Kontrollboot im Wasser.
sten Kommandos, die ankündigen, dass jetzt der kraftstoffsparende dieselelektrische Antrieb, der von zwei 8V 2000er Motoren
von MTU gespeist wird, die großen Hauptmotoren ablöst. Bei
Manövern und zum An- und Ablegen wird die Kraft der 595er
Motoren genutzt, für Schleich- und Patrouillenfahrten der Generator. Er erzeugt auch den Bordstrom. Von weitem sieht man, wie
sich das zweite Einsatzschiff nähert. Man winkt sich zu, der Kommandant wünscht den Kollegen über Funk einen schönen Feierabend. Nachdem die Mannschaft der „Neustrelitz“ fünf Tage und
Nächte ohne einmal anzulegen auf See war, hat sie nicht nur Feierabend, sondern sechs Tage frei.
Das Leben an Bord der „Bad Düben“ beginnt. Alle Seeleute,
Techniker und der Koch sind an ihren Stationen. Jeder hat eine
feste Funktion. Der Betrieb des 49-Meter-Schiffes geschieht
nicht von Geisterhand. Das Schiff will gesteuert, navigiert und
die Maschinen überwacht werden. Allein von MTU sind vier
Motoren für Hauptantrieb und Generator und ein SechszylinderMotor der Baureihe 183 als Notdiesel an Bord, falls es zu einem
Stromausfall kommt. Kommandant Seidel und seine Crew sind
dafür zuständig, die Seegrenzen zu überwachen, für Umweltschutz und einen sicheren Schiffsverkehr zu sorgen. Die Bundespolizei ist außerdem aufgrund der ständigen Präsenz auf See bei
jeder Art von Unfällen schnell zur Stelle. Ihr Einsatzgebiet ist
groß: Es reicht von Flensburg nahe der dänischen Grenze bis
Wismar. Sechs Kollegen beginnen ihren Dienst gleich mit Freizeit. Wie das? „Wir haben an Bord Schichtdienst – sechs Stunden
arbeiten, sechs Stunden frei“, klärt mich André Seidel auf. Bei
größeren Einsätzen müssen alle mit ran. Was man in seiner freien Zeit an Bord machen kann, sehe ich mir bei einem Rundgang
durch das Schiff an. In den Kammern beziehen die Seemänner
ihre Betten und werden sich bald ein wenig ausruhen, um fit für
ihren Dienst zu sein. Auf einem Ergometer strampelt ein Mannschaftsmitglied, manche lesen oder schauen sich im Gemeinschaftsraum, der hier Messe genannt wird, einen Film an. Ein
leckerer Duft nach gebratenen Zwiebeln und Kräutern zieht aus
der Bordküche. „Gutes Essen ist sehr wichtig für die Mannschaft,
da legen wir großen Wert drauf“, sagt der Kommandant.
Die Fahrt geht immer weiter raus, die Küste verschwindet. Die
Ostsee ist eine Schengen-Außengrenze. Das heißt, alle Schiffe
können innerhalb der Wirtschaftszone Ostsee von der Küstenwache kontrolliert werden. Ich frage mich, wie die Route des Schiffs
festgelegt wird. André Seidel erklärt mir, dass es keine Vorschrift
dazu gebe. Die Seeleute werten den Lagebericht der Zentrale der
Bundespolizei See aus. Ausschlaggebend ist zum Beispiel, wenn
besonders große Schiffe das Gebiet durchqueren oder eine große
Regatta stattfindet. Der Kapitän entscheidet, wohin die Reise geht.
Bei Frachtern werden zum Beispiel die Beladung und die Besat-
D ä n e m a r k
Das Einsatzgebiet der „Bad Düben“:
es reicht von der dänischen Grenze bis
nach Wismar.
Ausschließliche Wirtschaftszone
Neustadt
Küstenmeer
12 sm
Cuxhaven
Küstenmeer
12 sm
Küstenmeer
Warnemünde
Schengen-Außengrenze
AR
eiseerleichterung für Sportschifffahrt zwischen den Schengenstaaten
Wismar
D eutschland
PL
B Kontrollpflicht bei SchengenAußenverkehr
K
Maschinenprofis: MTU-Kundendienstmonteur Hubert Schön und
Maschinist Bernd Schikorr. Die Ostsee ist Heimat für Schön. Meist
fliegt er seinen Schiffspatienten hinterher – von Marokko bis Somalia.
leines maritimes Glossar
K
K
Abwettern · Einen Sturm auf See durch geeignete Manöver überstehen
Havarie · Betriebsstörung an einem Schiff, im schlimmsten Fall eine
Kollision oder ein Auf-Grund-Laufen
Helling · Platz in der Werft, auf dem ein Schiff gebaut wird
iellegung · Offizieller Beginn der Montage eines Schiffes
üstenwache · Die deutsche Küstenwache ist ein Koordinierungsverband aller zur See fahrenden Bundesbehörden: Bundespolizei See,
Zoll, Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes, Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung
Nock · Offener Teil der Kommandobrücke auf jeder Seite des Ruderhauses, von dem aus das Schiff navigiert und bedient werden kann
Schwell · Auslaufende Bug- und Heckwellen eines Schiffes
Ausbildung an
MTU-Motoren:
Im Maritimen Technik-Centrum auf dem
Gelände der Bundespolizei in Neustadt
erhalten die jungen
Kollegen eine technische Ausbildung,
um für ihren späteren
Einsatz auf den
Küstenwachschiffen
gewappnet zu sein.
Wenn es zu einem Einsatz kommt, dann ist die Tagesroutine
an Bord aufgehoben, dann ist alles anders. „Manchmal kommt
das nur ein bis zweimal die Woche vor, manchmal ist die Hölle
los“, erzählt André Seidel. Im Sommer ist Hochsaison, wenn die
Sportboote unterwegs sind. Gab es auch schon spektakuläre Einsätze wie beim ZDF? Es gab Havarien und beim Brand der Ostsee-Fähre „Lisco Gloria“ 2010 nahm ein Einsatzschiff der Bundespolizei alle 236 Schiffbrüchigen auf. Aber Verfolgungen wie bei
der Albatros gibt es hier nicht. „Wer vom Fach ist, lächelt darüber.
Die Serie ist trotzdem gut gemacht“, verrät mir der erfahrene Seemann Seidel, als ich wissen möchte, ob er die „Küstenwache“ im
ZDF auch anschaut. Die meisten Kollegen haben schon als Statisten mitgespielt. Wer sollte auch sonst das Schiff steuern? Als
Polizeibeamter bei der Küstenwache zu arbeiten, ist eine besondere Herausforderung. Man muss immer zu allem bereit und auf
alles gefasst sein. Nur so können die Seemänner und -frauen
brenzlige Situationen bewältigen, bei denen es auf Sekunden ankommt. „Man lernt sich sehr gut kennen, wenn man fünf Tage
und Nächte zusammen auf dem Schiff verbringt, ohne einmal an
Land zu gehen. Da muss man aus besonderem Holz geschnitzt
und extrem teamfähig sein“, stellt der Kommandant fest. „Ohne
eine besondere Liebe zur Seefahrt geht das nicht.“
Wir müssen jetzt leider wieder an Land, Hubert Schön und
ich. In rasender Fahrt mit 27 Knoten werden wir von zwei Seeleuten im Kontrollboot zurück nach Neustadt gebracht. Dort
empfängt uns Pressesprecher Carsten Thielhorn. Er führt uns
über das Gelände der Bundespolizei. Am 9. und 10. August 2014
steht das 50-jährige Jubiläum der Bundespolizei See an. Bei
einem Tag der offenen Tür freut sich auch die „Bad Düben“ über
viele Besucher!
Plötzlich kommt Unruhe auf der Brücke auf. Der leitende
Maschinist Bernd Schikorr ruft: „Die Maschine geht nicht aus.“
Sofort ist Kommandant André Seidel bei ihm und fragt: „Kannst
Du den Not-Stopp betätigen? Sonst stell den Kraftstoff ab.“ André
Seidel bringt nichts aus der Ruhe. Wir drehen eine Schleife. Mit
an Bord ist mein Kollege Hubert Schön. Er ist MTU-Kundendienstmonteur und betreut die Bundespolizei schon seit vielen
Jahren. Er kennt das Schiff wie seine Westentasche. Schnell hat
er das Problem gelöst. Es war eine elektronische Störung. Wir
fahren wieder weiter auf dem ursprünglichen Kurs. Natürlich
möchte ich wissen, wie oft so etwas vorkommt. „Das ist schon
lange her. Natürlich sind die Maschinen nicht störungsfrei, aber
sie sind sehr zuverlässig“, kommt die beruhigende Antwort vom
Kommandanten. Und wenn Hubert Schön nicht dabei gewesen
wäre? Ich erfahre, dass die leitenden Maschinisten bei MTU in
Friedrichshafen geschult wurden und darum in den meisten
Fällen mit kleineren Störungen klar kommen. „Und wenn es mal
nicht klappt, fahren wir mit dem anderen Motor in den Hafen
und rufen den Kundendienst an“, so Seidel. Hubert Schön (58)
arbeitet schon seit 32 Jahren als Kundendienstmonteur bei MTU.
Er ist viel in Norddeutschland unterwegs, aber auch in Skandinavien – überall da, wo sein Knowhow gebraucht wird. Vor Kurzem
war er mit im Team, das die zweitgrößte Motoryacht der Welt in
Betrieb genommen hat.
zung an Bord überprüft. Dazu wird das Kontrollboot zu Wasser
gelassen und mehrere Mannschaftsmitglieder fahren direkt an
das große Schiff heran. Ein Beamter vom Zoll ist immer mit an
Bord, sodass zugleich zollrechtlich kontrolliert werden kann.
Wenn es zu Fahrfehlern kommt, klären die Polizisten der „Bad
Düben“ die Schiffsführer darüber auf. Im Moment liegt nichts
Besonderes vor. Seidel ordnet an, dass wir um Fehmarn herum
und über Puttgarden in die Kieler Bucht fahren.
Mit dem Kontrollboot fahren die Bundespolizisten (hier Gerd Leier)
direkt zu den Schiffen, die überprüft werden sollen. Bei großen Frachtern geht es dabei um Pass- und Frachtkontrollen.
Text: Silke Rockenstein
Fotos: Thomas Nyfeler, Anica Rohde
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