Gedächtnistraining für Menschen mit demenziellen Erkrankungen

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Gedächtnistraining für Menschen mit demenziellen Erkrankungen
Gedächtnistraining für Menschen mit demenziellen Erkrankungen
Häufig werden wir am Alzheimer-Telefon nach Möglichkeiten des Gedächtnistrainings befragt. Genauer
gesagt, welche Form des Gedächtnistrainings die richtige sei, um die Leistungsfähigkeit Demenzkranker
möglichst lange zu erhalten. Einige Angehörige fragen, ob es hilfreich sei, z. B. aus einer Zeitung
vorzulesen und anschließend nach den Inhalten aus dem Bereich der Politik, Weltgeschehen usw. zu fragen.
Oder ob das Medium Fernsehen zum Gedächtnistraining genutzt werden könne. Diese Formen des
Gedächtnistrainings sind aber für Demenzkranke leider nicht gut geeignet. Denn die Möglichkeit sich etwas
zu merken, also Gedächtnis aufzubauen und es zu verbessern, ist durch die Krankheit zu stark eingeschränkt
bzw. weitgehend verloren gegangen.
Unsere Tipps dazu:
Je nach Fortschreiten der Erkrankung kann das Kurzzeitgedächtnis bereits so stark beeinträchtigt sein, dass
sich Ihr Angehöriger die aktuellen Geschehnisse nicht mehr einprägen kann. Das Fragen kann dann Druck
bedeuten und die Fragen nicht beantworten zu können, führt leicht zu Enttäuschung und Frustration.
Grundsätzlich ist es wichtig, dass die Übungen den Betroffenen Spaß machen und dass sie Erfolgserlebnisse
haben. Deshalb ist es unterstützender, wenn die Erinnerungen aktivieren werden, die im Langzeitgedächtnis
abgelegt sind - außerdem stärkt es das Selbstwertgefühl des Angehörigen.

Wie wir heute wissen, sind Erinnerungen im Gehirn stark mit Sinneswahrnehmungen verknüpft. Z.
B. kann ein bestimmter Geruch ganz spontan die Erinnerung an eine Begebenheit aus der Kindheit
wachrufen, die schon lange verschüttet war. Sprechen Sie deshalb bei der Beschäftigung mit dem/der
Kranken die verschiedenen Sinneskanäle an, das Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten und
Fühlen. Auf diese Weise können viele Anreize gegeben werden, die Erlebnisse aus dem
Langzeitgedächtnis wieder hervorrufen.

Das Fotoalbum Ihrer Familie bietet sich an, mit Ihrem Angehörigen gemeinsam über Vergangenes zu
sprechen und viele Ereignisse nachzuempfinden. Gestalten Sie das Album um, indem Sie unter die
Fotos erklärende Texte schreiben, die Sie Ihrem Angehörigen vorlesen. So sieht er zum einem das
Bild, hört eine Erläuterung und kann mit eigenen Erinnerungen das Geschehnis ergänzen. Ihr
Angehöriger wird sich die Unterhaltung wahrscheinlich nicht mehr einprägen können, so dass Sie
mit ihm gemeinsam das Fotoalbum immer wieder ansehen können.

Sprichwörter und Redewendungen wie z. B. Morgenstund' hat ..., auf Biegen und ..., Müßiggang ist
aller ..., früh übt sich, ...... usw. sind seit der Kindheit bekannt und im Langzeitgedächtnis
abgespeichert. Bitten Sie Ihren Angehörigen, die fehlenden Worte zu ergänzen. Durch die
Sprichwörter können Erinnerungen an bestimmte Episoden wach gerufen werden (z. B. die Mutter,
die immer schon vor dem Hahn aufgestanden ist...). Oder bei "Dick und Doof" erinnert sich Ihr
Angehöriger vielleicht an die Filme aus den vierziger Jahren.
Auch Gedichte und Liedertexte, die in der Schule auswendig gelernt wurden, sind oft noch erstaunlich gut
im Gedächtnis gespeichert. Nicht selten sind Demenzkranke hier ihren Kindern und Enkeln sogar weit
voraus. Wenn Sie mit Ihrem Angehörigen Gedächtnisübungen durchführen wollen, sollten Sie folgende
Regeln beachten, die auch allgemein für die Kommunikation mit Demenzkranken gelten:
1. Nehmen Sie Blickkontakt auf.
2. Sprechen Sie laut und deutlich. Benutzen Sie einfache und kurze Sätze.
3. Achten Sie auf die Reaktionen Ihres Angehörigen. Am Gesichtsausdruck können Sie vielleicht
erkennen, ob Sie verstanden wurden.
4. Vermeiden Sie Fragen, die mit "warum" oder "weshalb" beginnen, stellen Sie Fragen mit "was",
"wo" oder "wie".
5. Warten Sie mit Geduld auf eine Reaktion, haken Sie nicht gleich nach.
6. Geben Sie den aufkommenden Erinnerungen und Themen Raum. Es geht nicht um das Abarbeiten
eines Programms ("heute fünf Sprichwörter"), sondern um das Aktivieren des Gehirns und des
Gedächtnisses.
7. Vorhandenes Wissen und Fähigkeiten sollten im Vordergrund stehen. Damit stärken Sie das
Selbstwertgefühl Ihres Angehörigen und schaffen Erfolgserlebnisse.
8. Konfrontieren Sie Ihren Angehörigen nicht mit seinen Defiziten. Das ist für ihn in der Regel
schmerzlich und kränkend.
9. Körperkontakt, über die Hand streicheln oder in den Arm nehmen, kann sehr hilfreich sein, wenn Ihr
Angehöriger unsicher oder traurig ist.
Heike Müller-Schulz, Berlin
Literaturtipps:

Joppig, Wolfgang: Praxisreihe Altenpflege, Gedächtnistraining mit dementen Menschen.
Bildungsverlag EINS 2004, ISBN 3-427-66100-8, 7,90 €

Powell, Jennie: Hilfen zur Kommunikation bei Demenz. Kuratorium Deutsche Altershilfe, KDA
2002, 100 S., 9,80 ?
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Schmidt-Hackenberg, Ute: Anschauen und Erzählen. Vincentz-Verlag 2004, 48,00 €, 36
Bildkarten mit Erläuterungen und Begleitheft, Gedankenspaziergänge mit demenziell erkrankten
Menschen. Das Bildmaterial und die Texte bieten eine gute Möglichkeit jahreszeitlich einen
Spaziergang in die Vergangenheit anzutreten.

Schmidt-Hackenberg, Ute: Zuhören und Verstehen. Warum man im Januar Brezel aß und im Juli
nicht zur Ruhe kam?. Vincentz-Verlag 2003, 210 S., 24,80 €. Hier findet man eine Sammlung von
Lebenserfahrungen und -erinnerungen alter Menschen, die sie selber erlebt haben, zum Beispiel die
Bedeutung der verschiedenen Fest- und Feiertage. Die Buchinhalte ermöglichen das Einfühlen in die
Lebensumstände alter Menschen. Es bietet viele Anregungen zur Biographie-, Gedächtnis- und
Erinnerungsarbeit.

Bundesverband für Gedächtnistraining: Ganzheitliches Gedächtnistraining, Anregungen für die
geistige Aktivierung von Gruppen mit demenziell veränderten Menschen, Band 1. Verlag Susanne
Gassen Reiskirchen 2002, 58 S., 18,00 ? www.bv-gedaechtnistraining.de
Spieletipps:
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Damals, ein Memory mit großen Karten aus festem Karton und mit Motiven von 1900 bis 1950 zum
Anregen von Erinnerung und Kommunikation. Wehrfritz GmbH, August-Grosch-Straße 28-38,
96476 Bad Rodach, ca. 30,00 ? www.wehrfritz.de

Fotokiste zur Biografiearbeit mit dementen Menschen. Vincentz-Verlag, ISBN 3-87870-925-0,
54,00 ? Das biografische Arbeitsmaterial der Fotokiste spricht Menschen mit Demenz über
Schlüsselreize und Schlüsselbilder auf der Gefühlebene an. 30 Fotos mit aktuellen Alltagsmotiven
dienen als optische Impulsgeber. Das umfassende Begleitbuch ?Leitfaden zur Biografiearbeit mit
dementen Menschen? stellt Konzept, Anleitung und Erfahrungsberichte rund um die Fotos vor.

Sprichwortbox (Stefan Gutensohn): Gedächtnis- und Ratespiel. Vincentz-Verlag, ISBN 3-87870926, 42,00 ? Ältere Menschen können oft mühelos einen Satzanfang zu einer kompletten
Volksweisheit ergänzen. Die Sprichwortbox beinhaltet 400 Sprichwortkarten zum Spielen und
Raten. Das Spiel fördert nicht nur die Kommunikation, sondern auch das Wohlbefinden der
Mitspieler und Mitspielerinnen.