Baby im Elternbett – Geborgenheit oder Gefahr? Bedsharing

Transcription

Baby im Elternbett – Geborgenheit oder Gefahr? Bedsharing
Baby im Elternbett – Geborgenheit
oder Gefahr?
Berlin Charité, 29.4.2006, Dr. Franz Paky, Vöcklabruck
Bedsharing/Cosleeping
• Über Jahrtausende die bevorzugte Schlafsituation
(McKenna 1993).
• Global nach wie vor häufigste Schlafform.
• Erst seit weniger als 200 Jahren wird in
Industrieländern das getrennte Schlafen von Eltern
und Kind praktiziert (Montagu 1992).
• Wegen eines vermeintlich erhöhten SIDS-Risikos
wird neuerdings vom BS wieder abgeraten.
Bedsharing/Cosleeping
• Gemeinsames Schlafen als Sicherheit vor
äußeren Gefahren.
• Sicherheit auch heute notwendig?
• Wo lauern die heutigen Gefahren??
• Eltern als Lebensgefahr?
• Eltern als Gefahr der sexuellen Entwicklung?
• Eltern als Gefahr der Behinderung der Autonomie-Entwicklung?
1
Terminologie
• Gemeinsames Schlafen von Eltern und Kind
in einem Bett = Bedsharing (BS)
• Gemeinsames Schlafen von Eltern und Kind
in Armlängendistanz = Co-sleeping (CS)
Bedsharing (BS) - Typen
• Absicht
– Elektiv / absichtlich / geplant oder
– Nicht-elektiv / reaktiv / anlassbezogen,
• Dauer
– Immer, fast immer, manchmal, selten
• Wer?
– Eltern/Geschwister/Babysitter
• Wo, wie?
– Bett (Rahmen, Matratze, Federbett, Kissen), Sofa, Bodenmatte
BS und kulturelle Erziehungsziele
• Osten
Das zunächst als getrennt gedachte Kind soll in
die Gemeinschaft eingegliedert werden. BS ja
• Westen
Das zunächst als abhängig gedachte Kind soll zu
einem von der Gemeinschaft unabhängigen,
selbständigen Wesen gemacht werden. BS nein
2
Kultur der Trennung
•Kirche zwischen Mittelalter und Neuzeit
•Buch der Könige
•Ammenwesen
•Erdrücken
•Industrialisierung
•Geburtshilfe in Krankenhäusern – Wochenfluss tödlich!!
•Separation von Kindern
•„Stillempfehlungen“
•Psychoanalyse, Psychohistory
•Missbrauch -> kindliche Phantasie (Ödipuskomplex)
•Gefahr des Anblicks der „Urszene“ und des Inzest
•Triebverzicht als Kulturantrieb (Leistungsideologie!)
•Nationalsozialismus
Trennung soll …
selbständig machen
selbstgenügsam (geringe Ansprüche)
selbständig, unabhängig
von elterlicher Sexualität fernhalten
frühe Sexualisierung verhindern
Schlaf von Eltern und Kind gewährleisten
Häufigkeit
BS
USA
UK
Austr.
19932000
1998
1998
Japan 1998
1.Monat
3.-4.Monat
immer
11,8
9,8
mehrheitlich
20,3
16,3
überhaupt
58,4
50,7
immer
14,0
8,0
mehrheitlich
35,0
23,0
überhaupt
47,0
30,0
40,0
36,5
Rigda (2000) JPCH 36:117
67,0
Fukai (Aukland 2000)
Willinger (2003) APAChH 157:43
Blair, Ball (2004) ADCh 89:1106
3
Häufigkeit
• BS ist häufig
30-75%
• BS nimmt stark zu
USA 1993-2000: 20-45%
(Willinger, APACH 157:43,2003)
• BS ist stark altersabhängig
bei Neugeborenen 1,2-1,75-fach
• BS ist bei Stillen 1,5-3x so häufig wie
bei Flaschenernährung
Wie wurde BS so populär?
• 1950er und 1960er Jahre
• Triumph der künstlichen Babynahrung
• Separation von Mutter und Kind
• 1970er und 1980er Jahre
• Stillpropaganda
• Rooming-in
• Hautkontakt
• Eltern-Kind-Bindung
• Neue Elternschaft (körperlich, psychisch, sozial)
• Kultur der Nähe
Implikationen
Stillen
Atmung
Schreien
Schlaf
SIDS
Sex.
Bedsharing
Psych.
Entw.
Obsorge
4
Persönlichkeitsentwicklung
• Lernen von Geburt an
• Berührungen, Hautkontakt, Körperbewusstsein
• Geborgenheit, Sicherheit, Zugehörigkeit
• BS fördert Bonding
- Mosko (1997) Pediatrics 100:841
- McKenna (1997) Pediatrics 100:214
• BS fördert Selbstwertgefühl, Zufriedenheit,
Kontaktfreudigkeit bei Jugendlichen
• BS verringert Schlafstörungen, Ängste von
Jugendlichen, psychische Störungen
- McKenna (2005) Ped Resp Rev 6:134
Sexualität
• Gefahr des Inzest
• Tabu oder evolutionäre Tatsache
• Gefahr des Anblicks der „Urszene“
• Wirklich eine Gefahr?
• Gefahr des Missbrauchs
• Schutz durch Distanz???
• Beeinträchtigung des ehelichen Sexuallebens
• Alternativen können dieses bereichern!
Aufmerksamkeit, Obsorge
• Instinktive
Schutzposition
• Modifikation der
Distanz nach
Temperatur:
weniger
Wärmeverlust,
keine
Überhitzung
•Zahlreiche Berührungen
(Checks)
Wailoo (2004) Arch Dis Child
89:1082
•Erhöhte Aufmerksamkeit der
Mütter (Young (1999) PhD thesis, Bristol)
5
Schlaf
• Die Paradoxie der modernen Schlaferziehung
zur „Selbständigkeit“
• Frühes problemloses Einschlafen
• Durchschlafen (ohne Nahrung und
Körperkontakt!)
• Alleinschlafen
• 25-30% der Babys schlafgestört
• Trennungsfolgen werden mit Härte behandelt!
• Kinder müssen lernen, sich selbst zu beruhigen
• Eltern müssen lernen, das Schreien zu ertragen
• Resignation bringt möglicherweise Scheinerfolg
Schlaf
• Längerer und erholsamerer Schlaf von Mutter
und Kind (in ersten Monaten)
- Mosko (1997) Sleep 20:142.
• Synchronizität der Schlafstadien von Mutter und
Kind
- Wailoo (2004) Arch Dis Child 89:1082
• Leichterer Schlaf von Mutter und Kind
• Erhöhte Aufmerksamkeit der Mütter (SIDS-Präv.!)
• Deutlichere Signale des Babys (SIDS-Präv.!)
- Mosko (1997) Sleep 20:142.
Schlaf
Elias MF, NA Nicolson, C Bora and J Johnston (1986) Sleep/wake
patterns of breast-fed infants in the first 2 years of life. Pediatrics 77:322.
32 Babys gestillt und BS (LLL), Vergleich mit Flaschenkindern (FK)
Angaben in Stunden
Längste Schlafphase (FK)
Längste Schlafphase (LLL)
Totale Schlafdauer/24 H (FK)
Totale Schlafdauer/24 H (LLL)
2 Monate
6,5
5
4 Monate
8
5
2.Jahr
>8
>5
13-14
15
13-14
12,5
13-14
>11
6
Atmung
•
Mütterliche Nähe/Atmung reduziert Apnoen
•
Synchronisation von kindlicher und
mütterlicher Atmung
•
Mehr REM-Schlaf – mehr oberflächliche
Atmung
Stillen
• Höhere Stillfrequenz – mehr Stimulation der Brust,
größere Milchmenge
- Ball (2003) Birth 30:181
- Young, Fleming (1998) Paediatrics Today 6:41
- Intervall zw. Stillen bei BS 50% kürzer
- McKenna (2005) Ped Resp Rev 6:134
• Stillen ohne volles Aufwachen
• Längere Stilldauer (4 Mon: 46% BS vs. 23% ohne BS)
- Taylor BJ (2002) Mothering, issue 114
- McKenna J (1997) Pediatrics 100:214
- Mosko (1997) Pediatrics 100:841
• Bessere Gewichtszunahme
• Langfristige Vorteile des Stillens
Stillen und SIDS
• Eine der Hauptsäulen der SIDS-Prävention Mitchell et al
(1995) BMJ 311:122
-
McKenna et al (1997) Pediatrics 100:214
Gilbert et al (1995) BMJ 310:88
Hauck et al (1998) Pediatrics 102:662
l´Hoir et al (1998) Arch Dis Child 79:386
• Fredrickson et al (1993) SIDS-Risiko steigt pro Monat
Nicht-Stillen um das 2,3-fache; Am J Dis Child 147:460
•
•
•
•
Chen (2004) PNM bei Stillen OR=0,7; Pediatrics 113:e435
AAP (2005) Breastf. Policy Statm; 6 Zitate; P 115:496
Bajanovski, Poets (2004) Dt. Ärzteblatt
Vennemann (2005) aOR (Nicht-Stillen) 1,71; AP 94:655
7
SIDS
•
Mortalität in S-Afrika bei BS geringer als ohne BS
•
BS und Stillen verringern SIDS in Canada
•
Japan: SIDS 0,3/1000, BS 67%
•
Cot death in Hong Kong – a rare problem?
•
Niedrige SIDS-Rate in Fernost (China, Vietnam,
Kambodscha, Thailand), BS = die Regel
Niedrige SIDS-Rate bei Asiaten in USA
– Kibel (Aukland 2000)
– Sankaran (Aukland 2000)
– Fukai (Aukland 2000)
– Davies (Lancet 1985)
•
– Grether (1990) Pediatrics 116:525
SIDS
McKenna (2005) Researching the Sudden Infant Death Syndrome: The Role of Ideology in Biomedical Science.
Monograph Series of the New Liberal Arts Program. (www.math.dartmouth.edu)
BS als SIDS-Risiko
Wie entstand der Verdacht?
•
•
•
•
•
Historische (biblische) Bedenken
Hohe SIDS-Raten in NZ (Maoris)
Fallberichte (Case series)
Zunahme des BS, zunehmend SIDS???
Fall-Kontroll-Studien
- Wie häufig ist BS normal? z.B. 15%
- Wie häufig ist BS bei SIDS? z.B. 30%
- Relatives Risiko? Multivarianzanalysen
8
BS und SIDS-Risiko
BS
BS
(SIDS) (Ko)
Kind
SIDS-Risiko
allein in Erhöht bei
Zimmer
Bemerkungen
CESDI 1999 25,5%
14,5% 35,5%
BS+R<4M,
nicht b NR
ECAS
8,1%
BS+R,
< 8W auch
bei NR
Keine Info über
MM; Laut Blair
und Fleming zu
wenig für
Abraten
BS nur<11W,
auch bei NR,
auch bei MM
Keine Info über
Alkohol
2004 16,0%
Tappin 2005 52,0%
53%
20,0% 12,0%
OR(R)
12,2
M=Monat, W=Wochen, BS=Bedsharing, R=Rauchen, NR=Nichtrauchen; MM=Stillen
BS und SIDS-Risiko
Probleme der Studien
• Fall-Kontroll-Studie ist keine hohe Evidenz
• BS ist ein Sammeltopf
• Berechnungen fragwürdig
•Extrem niedrige BS-Prävalenz in Studien
•Prävalenz von Fragetechnik abhängig (Ball und Hooker 2004)
• Statistisch signifikant heißt nicht:
•kausal
•(klinisch) relevant
•biologische plausibel
BS und SIDS-Risiko
Probleme der Studien
• Grossteil der SIDS-Fälle ereignet sich im
Kinderbett („Krippen-Tod“!!!)
• Säuglingstodesfälle durch Erdrücken sind
nicht SIDS (65 vs. 2500 pro Jahr in Kd.bett)
• Irrwege des SIDS-Forschung
•Status thymicolymphaticus
•Schlaf-Apnoe-Hypothese
•Polysomnographie als Screening
9
BS und SIDS-Risiko
Trotz kontroversieller Beurteilung durch
Experten innerhalb und außerhalb der
AAP Empfehlung vom 10.Oktober 2005:
• Babys sicherster Platz ist das Babybett
• Schnuller schützt vor SIDS
• Rauchen und BS keinesfalls ratsam
• Sofas sehr gefährlich
• Schlafen in eigenem Zimmer gefährlich
Empfehlungen der AAP
Mögliche Folgen
•
•
•
•
Trennung und Schnuller hemmen Stillen.
Vorteile des Stillens werden reduziert.
SIDS-Risiko könnte steigen.
Diskriminierung von Eltern/Kulturen, die BS
pflegen.
• Schuldgefühle bei tatsächlichem SIDS.
• Differenzierte Analyse des BS wird unmöglich.
BS – was tut Not?
• BS soll nicht verboten, sondern sicher
gemacht werden!
• BS soll nicht als einheitlicher RF nach ja
oder nein analysiert werden, sondern als
Kontinuum von einem möglichen
Schutzfaktor (wenn: gewollt, stillend,
nicht-rauchend) bis zu einem möglichen
Risikofaktor (wenn: notgedrungen, nichtstillend, rauchend)
10
Problematisches BS
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Alkohol, Nikotin, Drogen,
Medikamente
Übermüdung
Geschwister, Babysitter
Überflüssiges Bettzeug (Kissen, Decken,
Stofftiere)
Bauchlage
Weiche Unterlage, unadäquater Bettrahmen
Schlafen in Kissen
Sofa (!)
Schlussfolgerung
• Gemeinsames Schlafen von Eltern und
Babys als historisch und global häufigste
Schlafform respektieren und differenziert
betrachten.
• Vorteile des BS nutzen.
• Problematisches BS vermeiden.
• Niemanden zu BS zwingen.
Danke für Ihre
Aufmerksamkeit!
11
Das Leiden der Eltern
die Hilflosigkeit der Eltern beim
nichtschlafenden, schreienden Kind
Referent: dipl. psych. Markus Wilken
IPPSKA (GbR)
Datum: 28.04.2006
Ort: Charite Berlin
…Gibt es etwas schönes
† Eltern werden ist
„
„
„
„
…einfach
…befriedigend
…gut für das Rentensystem
…das Natürlichste von der Welt
† Elter sein dagegen… (Wilken, 2002)
Probleme
†
†
†
†
†
†
Was für Probleme?
Das wächst sich aus!
So viel Schlaf ist eh nicht gesund!
Kinder schreien halt!
So ist das halt mit den Kleinen!
Du hast auch nicht immer geschlafen!
Alles halb so wild, sind wir verwöhnt?
1
Hilflosigkeit
† Isolation
„ Regulationsprobleme sind nicht sichtbar
„ Ich stehe allein dar
† Hilflosigkeit
„ Teufelskreis: Ich komme da nicht raus
„ Die Angst vor dem Kind
† Es ist doch so einfach und sollte so
schön sein
Elterliche Hilflosigkeit
† Aber ich hab alles richtig gemacht
† Mein Kind schläft nicht und schreit
immer,…
† …hat das was mit mir zu tun?
† Was hat das mit mir zu tun?
…was kann ich tun?
„Wenn ein Kind immer schlafen muss!“
† Das Kind muss wissen wo es lang geht
„ Das Kind als Aggressor
„ Bevor alles zu viel wird
† Risikokonstellation
„ Vermeidende Bindung
„ Ungewollte Schwangerschaft
„ Adoleszente Elternschaft
† Therapieansatz: Angst vor und Leben in der
Intimität
2
„Wenn ein Kind nicht schlafen darf!“
† Die Angst das Kind zu verlieren
† Der Blick in die Wiege (Fraiberg et al. 1975)
† Risikokonstellationen:
„ Vulnerable Säuglinge (z. b. Frühgeborene)
„ Verlust eines Kindes (z. B. durch SIDS)
„ Fertilisationsbehandlung
† Therapieansatz:
„ Geschichte von Schwangerschaft und Geburt
„ Leben und Sterben
(Nicht-) Schlafen & Schreien
† Wie lange schläft ein Kind
† Wann schläft ein Kind durch
„ Die Dynamik von müssen - sollen - dürfen
† Wie lange im Elternbett
„ Co-Sleeping ja/nein/vielleicht
„ kulturelle - familiäre - soziale Vorstellungen
† Was und wer ist therapiebedürftig
† Warum ist es doch nicht so leicht? (Largo 1993,
Anders, et al. 1992)
Eltern in der Krise:
Krisenintervenion
† Schlafentzug ist Folter (Sadeh, 1996)
„ Aggressionspotential und
„ Dekompensationsgefahr erfassen
† Gefahren erkennen
„ Psychosozial
„ Medizinisch
† Interventionsbedarf einschätzen (Dunitz-Scheer et al.
1998)
† Das Problem anerkennen
3
Therapie:
Hilfe zur Selbsthilfe
† Schlafprotokoll
† Erholung: Schlafphasen für die Eltern
† Interaktionzentrierung: Was passiert
zwischen den Schlafphasen?
† Working Modell of the Child (Zeanah et al.; 1987, Benoit et
al.; 1997)
† Interaktionszentrierung & Psychodynamik
† Botschaft: „Sie sind kompetent!“
Kontakt
Institut für Psychologie & Psychosomatik des Säuglings- und Kindesalters
IPPSKA (GbR)
Markus Wilken
Bambergstr. 2
D-53721 Siegburg
0049 (0)2241 - 2519072
[email protected]
www.markus-wilken.de
Dr. Martina Jotzo
Galgenbergstr. 32
D-72072 Tübingen
Tel/Fax 0 70 71 – 53 84 56
[email protected]
Anlaufstellen bei frühkindlichen
Schlafstörungen unter www.gaimh.de
Literatur
†
†
†
†
†
†
†
†
†
Anders TF, Halpern LF, Hua J (1992) Sleeping though the night: A developmental perspective.
Pediatrics. 90: 554 560
Benoit D, Zeanah CH, Parker KCH, Nicholson, E, Coolbear J (1997). “Working Modell of the
Child Interview”: Infant clinical status related to maternal perceptions. Infant Ment Health J 18:
107-121
Dunitz-Scheer M, Scheer PJ, Wilken M (1998) Interaktionelle Aspekte bei Schlafstörungen im
frühen Kindesalter. Päd: Praktische Pädiatrie 4: 158 163
Fraiberg S, Adelson E, Shapiro V.(1975). Ghosts in nurserey: A psychoanalytic approach to the
problem of impaired infant-mother relationships. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry 14: 387
422
Largo RH (1993) Babyjahre: Die frühkindliche Entwicklung aus biologischer Sicht. Piper,
München
Robert-Tissot C, Cramer B, Stern DN, Rusconi Serpa S, Bachmann JP, Palocio-Espasa F etal.
(1996). Outcome Evaluation in Brief Mother-Infant Psychotherapies: Report on 75 Cases. Infant
Ment Health J 17: 97-11
Sadeh (1996) Stress, Trauma, and sleep in children. Child Adolescent Psychiatr Clin N Am 5:
685-700
Wilken M (2002) "...Eltern sein dagegen sehr!" Wenn aus Paaren Eltern werden. Die
Kinderkrankenschwester 21: 387-391
Zeanah CH, Benoit D, Barton M (1987). Working Model of the Child Interview. Unpublished
Manuscript, Brown University Boston
4
Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern
Dr. Alfred Wiater
Kinderklinik Köln-Porz
Schlafmedizinisches Zentrum
Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern
Schlafdauer, -verteilung und –zusammensetzung
ändern sich mit dem Lebensalter.
Die Gesamtschlafdauer im Säuglings- und
Kindesalter ist länger als bei Erwachsenen, der Schlaf ist
bei Säuglingen zunächst polyphasisch über den Tag verteilt
und der REM-Schlafanteil ist bei Säuglingen
und Kindern besonders hoch. Im REM-Schlaf
träumen wir und und speichern tagsüber gelernte
Prozesse im Langzeitgedächtnis ab.
Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern
Veränderung des Schlafes mit dem Lebensalter
Borbely,
1984
1
Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern
Anzahl der Schlafphasen im Laufe der Entwicklung
Borbely, 1984
Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern
Schlafprofil Erwachsene
Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern
Schlafprofil Säugling
2
Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern
Auch im Tagesverlauf gibt es Phasen, in denen wir eher müde
und Phasen, in denen wir mehr wach sind.
Die genauen Zeiträume sind jedoch individuell
unterschiedlich. Um die Schlaf- und Wachzeiten eines Kindes
herauszufinden ist eine aufmerksame Verhaltensbeobachtung
empfehlenswert.
Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern
Rhythmus der Tagesschläfrigkeit
Müller & Paterok, 1999
Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern
Durchschnittliche Schlafzeiten von Kindern
in verschiedenen Altersstufen
18
17
16
15
14
13
12
11
10
9
8
7
6
5
4
3
2
1
0
Geb
ur t
1J
ahr
2J
ahr
e
4J
ahr
e
10
J ah
re
mit
tl er
eA
dole
s
ze n
z
Stores & Wiggs, 2001
3
Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern
Circadianer Rhythmus bei „Eulen und Lerchen“
Nicht alle Menschen haben den gleichen „Rhythmus“. Es gibt
Morgenmenschen (Lerchen) und Abendmenschen (Eulen)
Bei „Lerchen“ ist der
Rhythmus etwas nach vorne
verschoben, d.h. sie kommen
morgens gut aus dem Bett und
können besonders gut am
Vormittag arbeiten. Dafür
sind sie am Abend schnell
müde und gehen gerne früh ins
Bett.
Bei „Eulen“ ist der Rhythmus
etwas nach hinten verschoben,
d.h. sie kommen morgens nicht
gut aus dem Bett. Sie haben
ihr „Hoch“ am Nachmittag und
Abend. Abends gehen sie
gerne später ins Bett.
Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern
Regulationsstörungen in der frühen Kindheit
Symptome: unstillbares Schreien, chronische
Unruhe, Schlaf- und Fütterstörungen,
exzessives Trotzen
Prävalenz: 25% der Kinder von 0-3 Jahren
Cofaktoren: Depressionssymptomatik bei
18% der Mütter, signifikanter
Zusammenhang mit der Abwesenheit des
Partners
In 23% der Fälle Multiproblemfamilien mit
schwerer psychosozialer Belastung
Hiermann et al. 2005
Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern
Häufigkeit von
Ein- und Durchschlafstörungen
Säuglinge und Kleinkinder:
bis zu 40%
Grundschulkinder:
Einschlafprobleme
10 %
Durchschlafprobleme
8%
Jungen und Mädchen haben gleich
häufig Ein- bzw. Durchschlafprobleme
4
Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern
Schlafbezogene
Atmungsstörungen
Zentrale
Hypersomnien
Insomnien
Schlafstörungen
Circadiane
Rhythmusstörungen
Isolierte Symptome
Normvarianten
Ungelöste Störungen
Parasomnien
Schlafbezogene
Bewegungsstörungen
Appendix A
SDAWCCE
Andere
Schlafstörungen
Appendix B
OPBDFEDDSD
International Classification of Sleep Disorders (ICSD) 2005
Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern
Anamnese
Analyse
• Schlaffragebogen
Intern-klinische und neurolog.
Untersuchung
• Schlaftagebuch
• Indikationsbezogene
Funktionsdiagnostik
(EEG,EKG,Röntgen,Lufu,Labor,
cardiorespiratorische Polygraphie, ...)
Psycholog. Diagnostik
Kinderpsychiatr.
Diagnostik
• Indikationsbezogene
Konsiliaruntersuchung
(z.B. HNO)
Cardiorespirator.
Polysomnographie
Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern
Ausschnitte aus Schlaflaborableitungen zeigen die
unterschiedlichen Kurvenverläufe im Non-REM und REM-Schlaf.
Der CO2-Antworttest ermöglicht eine Aussage über die zentrale
Chemosensibilität. Er zeigt eine Atmungssteigerung bei CO2- Anstieg.
5
Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern
Polysomnographie
NREM-Schlaf
Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern
Polysomnographie
NREM-Schlaf
Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern
Polysomnographie
REM-Schlaf
6
Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern
Polysomnographie/CO2-Antworttest
Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern
Die Schlaflaboruntersuchungsübersicht zeigt deutliche
Schwankungen der Sauerstoffsättigungswerte.
Ein Untersuchungsausschnitt ergibt periodische zentrale Apnoen mit
damit einhergehenden Sauerstoffsättigungsabfällen – ein medikamentös
behandlungsbedürftiger Befund.
Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern
A.S. 5 Wo.
7
Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern
PERIODISCHE ATMUNG
.
A.S. / 5 Wochen
Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern
Periodische Atmung ohne ausgeprägte Sauerstoffsättigungsabfälle gilt als physiologischer Normalbefund,
insbesondere bei Frühgeborenen.
Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern
PERIODISCHE ATMUNG
E.S. 2 Wochen
8
Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern
Die Schlaflaboruntersuchungsübersicht zeigt deutliche
Schwankungen der Sauerstoffsättigungswerte.
Ein Untersuchungsausschnitt ergibt obstruktive Apnoen mit
damit einhergehenden Sauerstoffsättigungsabfällen – ein mit CPAP
behandlungsbedürftiger Befund.
Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern
L.S./ 4 Mo.
Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern
33 sec
L.S./ 4 Mo.
9
Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern
Die Schlaflaboruntersuchungsübersicht zeigt deutliche
Schwankungen der Sauerstoffsättigungswerte.
Ein Untersuchungsausschnitt ergibt obstruktive Apnoen mit
damit einhergehenden Sauerstoffsättigungsabfällen.
Ursächlich dafür waren vergrößerte Rachen- und Gaumenmandeln,
Nach OP Befundnormalisierung.
Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern
S.D. / 3 J.
Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern
30 sec
S.D. / 3 J.
10
Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern
vor AT / TE
nach AT / TE
S.D./ 3 J.
Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern
Der Schlaflaboruntersuchungsausschnitt zeigt deutliche
Schwankungen der Sauerstoffsättigungswerte bei insgesamt
sehr unruhiger artefaktgestörter Ableitung.
Unter Einbeziehung von Video- und Tondokumentation ist eine
schwere Atmungsstörung mit zentralen, insbesondere aber
obstruktiven Apnoen erkennbar, die der CPAP-Therapie bedarf.
Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern
Apnoe
Unruhe
Start Video
Alarm!
Geräusche,
dann Stille,
„Kämpfen“
Ende der
Obstruktion
Stop Video
F.S. m / 6 Wo
11
Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern
Vielen Dank
für Ihre Aufmerksamkeit!
12
Die Feinzeichen des Befindens beim Baby in
kleineren und größeren Belastungssituationen
• Feinzeichen des Befindens
• Verhaltensbeobachtungen
• Hilfen durch genaues Beobachten des Kindes
Dr. Mauri Fries/ Berlin am 28.4.2006
Verhaltenssysteme des Neugeborenen (nach Als, 1984)
Interaktives System
System der Schlafund Wachzustände
Motorisches System
Autonomes System
Dr. Mauri Fries/ Berlin am 28.4.2006
Feinzeichen des Befindens (nach Als/Brazelton)
offen
Interaktives
System
Offen, aktiv, interessiert
Schlaf-/WachSystem
Kind fängt
Veränderungen oder
Belastungen gut ab
Motorisches
System
Weiche, gut modulierte
Bewegungsabläufe
guter Muskeltonus
Autonomes
System
Rosige Haut,
gleichmäßige Atmung
belastet
Unzugänglich, nicht
ansprechbar
häufiger Wechsel der
Verhaltenszustände:
Quengeln, Schreien
Starke Schlaffheit / starke
Anspannung, unkoordinierte, fahrige Bewegungen
Wechsel der Hautfarbe,
unregelmäßige Atmung,
Grimassieren, Zittern,
Würgen, Spucken
Dr. Mauri Fries/ Berlin am 28.4.2006
1
Feinzeichen des Befindens (nach Als/Brazelton)
Offenes und zugewandtes
Befinden:
- neugieriges Betrachten
des Spielzeugs
- entspannte Fäuste
- gleichmäßige Hautfarbe
Dr. Mauri Fries/ Berlin am 28.4.2006
Feinzeichen des Befindens (nach Als/Brazelton)
Möglichkeiten der Selbstregulation
Ö
Belastungen gehören zum Alltag des Kindes.
Ö
Belastungen erlebt das Kind von Innen (z.B. der
„Hungersturm“) und von Außen (z.B. beim Anund Ausziehen).
Ö
Die Bewältigung von Belastungen erlernt das
Kind in den ersten Lebenswochen.
Ö
Dazu verfügt es, individuell sehr unterschiedlich,
über Fähigkeiten der Selbstregulation.
Ö
Dazu benötigt es auch Hilfe von außen.
Dr. Mauri Fries/ Berlin am 28.4.2006
Feinzeichen des Befindens (nach Als/Brazelton)
Möglichkeiten der Selbstregulation bei Belastungen
Interaktives
System
kurzes Blickabwenden, kurzzeitiges Starren/mit dem Blick
festsaugen, von selbst wieder Blickkontakt aufnehmen
Schlaf-/WachSystem
kurze Unmutsäußerung, ruhiger werden
Motorisches
System
Finger, Hand an/ in den Mund führen, kurzes Saugen,
Hände, Füße mittig aneinander führen,
Kontakt mit den Füßen beim Gegenüber,
Ergreifen eines Gegenstandes
Autonomes
System
kaum Möglichkeiten der Selbstregulation;
Hilfe von außen nötig: Wärme, Ruhe, Halt geben
Dr. Mauri Fries/ Berlin am 28.4.2006
2
Feinzeichen des Befindens (nach Als/Brazelton)
Selbstregulation durch
Daumen im Mund
Hilfe von außen durch
Haltgeben
Dr. Mauri Fries/ Berlin am 28.4.2006
Feinzeichen des Befindens (nach Als/Brazelton)
Möglichkeiten der Selbstregulation
Allgemein gilt:
Je mehr Feinzeichen im motorischen und autonomen
System beobachtbar sind,
Ö
desto größer ist die erlebte Belastung,
Ö
desto weniger Möglichkeiten der Selbstregulation
hat das Baby,
Ö
desto mehr Hilfe braucht es von außen.
Dr. Mauri Fries/ Berlin am 28.4.2006
Anwendungsmöglichkeiten (ca. 0-6 Mo)
Ö
Ö
Ö
Lesenlernen der Fähigkeiten zur
Selbstregulation und der Feinzeichen für
Belastung (z.B. kurzes Blickabwenden als
Signal für das Bedürfnis nach einer Pause
erkennen)
Unterstützung der Selbstregulation (z. B.
Händchen Richtung Mund führen)
Abgestuftes Beruhigen bei beginnender
Unruhe
Dr. Mauri Fries/ Berlin am 28.4.2006
3
Anwendungsmöglichkeiten bei größeren
Belastungssituationen (Kind)
Ö
Gesundheitszustand des Kindes:
Einschränkung der Selbstregulation
Ö durch Frühgeburt
Ö bei Regulationsstörungen
Ö bei Behinderungen
Beobachtung der spezifischen Belastungszeichen
und der Fähigkeiten zur Selbstregulation: Wie geht es
dem Kind und welche Hilfen benötigt es?
Dr. Mauri Fries/ Berlin am 28.4.2006
Anwendungsmöglichkeiten (ca. 0-6 Monate)
Ö
Ö
Lesenlernen der Fähigkeiten zur
Selbstregulation und der Feinzeichen für
Belastung (z.B. kurzes Blickabwenden,
motorische Anspannung oder teilweise
Bewegungsstereotypien bei schnell
eintretenden Überforderungen in der
Interaktion)
Unterstützung der Selbstregulation (z. B.
Händchen Richtung Mund führen)
Dr. Mauri Fries/ Berlin am 28.4.2006
Anwendungsmöglichkeiten bei größeren
Belastungssituationen (Eltern)
Ö
Verhalten der Eltern:
Ö kontrollierendes und bedrohliches Verhalten
(tendenziell emotional misshandelndes
Verhalten)
Ö nicht verfügbares Verhalten
(tendenziell emotional vernachlässigendes
Verhalten)
Dr. Mauri Fries/ Berlin am 28.4.2006
4
Anwendungsmöglichkeiten bei größeren
Belastungssituationen (Eltern)
Folgen für das Kind:
Ö äußere Hilfen stehen nicht ausreichend zur
Verfügung
Ö das Kind muss auf seine eigenen Fähigkeiten
zur Selbstregulation zurückgreifen
Ö Risiko früher Überforderung
Dr. Mauri Fries/ Berlin am 28.4.2006
Anwendungsmöglichkeiten bei größeren
Belastungssituationen (Eltern)
Beobachtung seiner Belastungen, insbesondere
im motorischen und autonomen System
Säuglinge mit Misshandlungserfahrungen lernen
negative Affekte zu unterdrücken, zeigen kaum
sichtbare Belastungszeichen im System des
Schlaf-, Wachsystems; z.B. „trauen sie sich
nicht“, bei unangenehmem Verhalten der Eltern
zu quengeln und sich zu beschweren.
Dr. Mauri Fries/ Berlin am 28.4.2006
Feinzeichen des Befindens (nach Als/Brazelton)
Zusammenfassung
Genaues Beobachten fokussiert die individuelle
Perspektive des Kindes durch
Ö
konkrete Verhaltensbeschreibungen
Ö
Einschätzung der Fähigkeiten zur Selbstregulation
Ö
Einschätzung von Belastungen in besonderen
Situationen
Die Beschreibung des kindlichen Verhaltens entlastet
verunsicherte Eltern und erleichtert auch die
Zusammenarbeit mit misstrauischen Eltern!!
Dr. Mauri Fries/ Berlin am 28.4.2006
5
Vielen Dank!!
Weitere Informationen und Anfragen:
www.mauri-fries.de
Büro:
Althener Strasse 5, 04451 Borsdorf/ Leipzig
Telefon:
034291 – 22986
@ Email:
[email protected]
Dr. Mauri Fries/ Berlin am 28.4.2006
6
„Du machst mich wahnsinnig, Kind!“ „Du mich auch!“
Kommunikationsprobleme zwischen Kindern und ihren Bezugspersonen
Martina Jotzo
Unruhe, Nicht-schlafen, Schreien können - wenn das Kind gesund ist - auch aufgrund
von Regulationsproblemen des Säuglings/Kleinkinds, von Abstimmungsproblemen
zwischen Eltern und Kind und am häufigsten aufgrund der Kombination von beidem
auftreten. In Kombination insbesondere deshalb, weil sowohl das Kind als auch seine
Eltern Lernende sind: Das Kind lernt sich selbst zu regulieren, Umweltreize zu
verarbeiten und Signale zu setzen; die Eltern lernen ihr Kind zu verstehen und adäquat
auf es zu reagieren.
Modell zwischenmenschlicher Kommunikation [1,2]
Zu jedem Kommunikationsprozess gehört ein Sender, eine Nachricht und ein
Empfänger:
Der
Sender
schickt
eine
codierte
Nachricht
über
einen
Kommunikationskanal/ein Kommunikationsmittel an den Empfänger. Dieser decodiert
die Nachricht (interpretiert sie, gibt ihr Bedeutung, versieht sie mit Gefühlen) und schickt
die Antwort (Rückmeldung) an den Sender, der diese wieder decodiert. Beim Codieren,
Decodieren und in den Kommunikationsmitteln können Störungen auftreten.
Jede Nachricht enthält neben der Sachaussage (offen oder versteckt) weitere
Informationen, oft in Form nonverbaler Signale (Mimik, Gestik, Tonfall, Körperhaltung
etc.).
Diese
beeinflussen
Gesprächsverlauf,
zeigen
die
Kommunikation
Gefühle
der
meist
stark,
Gesprächspartner
und
sie
steuern
ihre
den
Beziehung
zueinander und vermitteln Feedback. Jede kommunikative Handlung ist mit Gefühlen
verknüpft, wie stark die Verknüpfung mit Gefühlen ist, ist abhängig von dem
bedeutsamsten Kommunikationsaspekt.
Die vier Seiten einer Nachricht [1,2]
Jotzo 2006 – Vortrag auf dem interdisziplinären Symposium „Schreien, Schlafen, Wachen“,
28./29. April 2006 in Berlin
1
Jede Nachricht hat 4 Seiten: Sach-, Ich-, Du- und Appell-Seite. Die Sachseite enthält
Informationen, sachliche Mitteilungen, Inhalte, Fakten, Zahlen, Daten etc.. Die Ich-Seite
dient der bewussten oder unbewussten Selbstenthüllung. Die Du-Seite enthält den
Beziehungsaspekt (was der Sender vom Empfänger hält, wie er die Beziehung sieht),
sie beinhaltet eine Du-Botschaft („So bist du“) und eine Wir-Botschaft („So sehe ich
unsere Beziehung“). Auf der Appell-Seite will der Sender den Empfänger offen oder
verdeckt (= Manipulation) beeinflussen. Ein Beispiel(modifiziert nach Bischoff-Wanner et
al., 1997, S. 14): Sagt eine Kinderkrankenschwester zu einer fordernd auftretenden
Mutter auf der Station: „Wir sind hier doch kein Hotel!“ kann dies auf den vier Seiten
einer Nachricht folgendes beinhalten:
•
Sachseite: „Hier ist kein Hotel, sondern eine Klinik.“
•
Ich-Seite: „Ich ärgere mich über Ihr forderndes Verhalten.“
•
Du-Seite: „Sie sind sehr fordernd.“ „Ihr Verhalten passt nicht zu unserer
Beziehung.“
•
Appell-Seite: „Nehmen Sie sich bitte zurück.“
Die vier „Ohren“ eines Empfängers [1,2]
Jeder Empfänger hat aber auch vier „Ohren“: das Sach-, das Ich-, das Du- und das
Appell-Ohr. Das bedeutet, dass die meisten von uns aufgrund ihrer persönlichen
Geschichte einen Aspekt aufgenommener Nachrichten besonders leicht „heraushören“.
Im obigen Beispiel kann die angesprochene Mutter auf den verschiedenen „Ohren“
folgendes „hören“:
•
Sach-Ohr: „Hier ist kein Hotel.“
•
Ich-Ohr: „Die Schwester scheint verärgert zu sein.“
•
Du-Ohr: „Sie meint, dass ich zu nervig bin, sie hält mich für blöd.“
•
Appell-Ohr: „Ich soll bescheidener sein.“
Botschaften auseinander zuhalten und zu erkennen, welchen Aspekt der Sender betont,
ist wichtig für gelungene Kommunikation. Was wir vorwiegend heraushören, liegt an
Jotzo 2006 – Vortrag auf dem interdisziplinären Symposium „Schreien, Schlafen, Wachen“,
28./29. April 2006 in Berlin
2
unseren Hörgewohnheiten. Die ankommende Nachricht ist immer auch ein Produkt des
Hörers. Viele Menschen sind „ohrlastig“, hören verstärkt einen bestimmten Aspekt
heraus,
d.h.
eigene
Hörgewohnheiten
zu
kennen,
ist
wichtig,
um
Kommunikationsstörungen zu vermeiden.
Kommunikation zwischen Baby und Eltern
Wendet man das obige Kommunikationsmodell auf die Beziehung zwischen einem Baby
und seinen Eltern an, ergibt sich folgendes: Schreit ein Baby ist das Schreien das
Kommunikationsmittel. Die vier Seiten der Nachricht lassen sich z.B. interpretieren:
•
Sachseite: „Ich habe Hunger.“
•
Ich-Seite: „Mir geht es nicht gut.“
•
Du-Seite: „Du bist für mich zuständig.“
•
Appell-Seite: „Hilf mir.“
Die Eltern des Babys können nun – je nach ihrer „Ohrlastigkeit“ folgendes
„heraushören“:
•
Hören auf dem Sach-Ohr bedeutet Verhalten in erster Linie als reine
Sachaussage zu verstehen: Während das Baby ausdrückt: „Ich brauche Nähe.“,
interpretieren die Eltern: „Es ist satt und trocken. Es fehlt ihm an nichts. - Babys
schreien eben.“ Damit wird die Beziehungsebene ausgeklammert, das elterliche
Verhalten wirkt kühl und distanziert.
•
Hören die Eltern vor allem auf dem Beziehungs-Ohr, wird das Verhalten des
Kindes oft als Ausdruck der Beziehung interpretiert, wenn es um diese gar nicht
geht: Während das Baby ausdrückt: „Mir geht es nicht gut.“, hören die Eltern:„Ich
mag dich nicht!“ „Du machst alles falsch!“ Dieses Hörmuster beinhaltet ein
Interpretationsmuster, in dem
Menschen alles auf sich beziehen, persönlich
nehmen und sich angegriffen, beschuldigt, abgelehnt fühlen.
•
Steht das Selbstoffenbarungs-Ohr im Vordergrund, wird das Verhalten des
Senders als dessen Eigenart betrachtet. Aus der Äußerung des Babys: „Mir geht
Jotzo 2006 – Vortrag auf dem interdisziplinären Symposium „Schreien, Schlafen, Wachen“,
28./29. April 2006 in Berlin
3
es nicht gut!“ wird bei den Eltern: „Unser Baby ist ein schwieriges Kind.“
„Unserem Baby kann man nie etwas recht machen.“ Die Eltern pathologisieren
das kindliche Verhalten.
•
Hört das elterliche Appell-Ohr besonders gut, wird das Verhalten in erster Linie
als Aufforderung zum Handeln interpretiert. Quakst z.B. das Baby zufrieden vor
sich hin, hören die Eltern: „Tu was: nimm mich hoch, gib mir zu essen, wickle
mich ….“, d.h. kleinste Signale werden als Aufforderung zum Handeln
missverstanden.
Kommunikationsstörungen
Einige mögliche Faktoren der Entstehung von Kommunikationsstörungen können sein:
Geschichte
der
Eltern,
Bindungsgeschichte
und
–muster
der
Eltern:
Eigene
Bindungserfahrungen der Eltern bestimmen den Umgang mit ihrem Kind, negative
Bindungserfahrungen können damit in die Beziehung zum Kind negativ hineinwirken.
Psychische Beeinträchtigung/Psychopathologie der Eltern am Beispiel Traumatisierung:
59–77 % Mütter von Frühgeborenen zeigen bei der Entlassung ihres Kindes Symptome
eines klinischen Traumas in Bezug auf die Frühgeburt [3]. Mögliche Folgen einer
Traumatisierung sind immer wiederkehrende Gedanken/Erinnerungen an die erste Zeit
nach der Geburt, starke negative Gefühle bei Erinnerungen (sich-zurück-versetzt
fühlen), schlechtes Befinden und Erschöpfungszustände, Zusammenbruch nach langem
Durchhalten,
postnatale
Depression
sowie
Meiden
von
Schwangeren
und
Neugeborenen
Soziale Belastungen: Hier spielen z.B. Probleme in der Paarbeziehung, geringe soziale
Einbindung (z.B. auch nach Umzug), schnelle Geburtenreihenfolge, sehr junges Alter
der
Mutter
bzw.
Eltern,
schwierige
soziale/finanzielle
Situation
und
Drogen-
/Alkoholproblematik eine Rolle.
Früh-/Risikogeburt des Kindes: Bei dieser Konstellation ist der Beginn der Eltern-KindBeziehung belastet durch den Gesundheitszustand des Kindes, die emotionale
Belastung der Eltern und das Setting Neugeborenenintensivstation. Die emotionalen
Jotzo 2006 – Vortrag auf dem interdisziplinären Symposium „Schreien, Schlafen, Wachen“,
28./29. April 2006 in Berlin
4
Probleme der Eltern können zu einer lang anhaltenden Befindensbeeinträchtigung,
fortgesetzten Ängsten nach der Gesundung des Kindes und einem geringeren
elterlichem Kompetenzerleben als bei Eltern gesunder Reifgeborener führen.
Zudem weisen Früh- und Risikogeborene & andere „schwierige“ Kinder kindliche
Anpassungsprobleme auf. Dazu gehören Rückzug bei neuen Reizen (wenig
Reaktionsbereitschaft, Wachheit, Orientierungsreaktionen), wenig oder sehr langsame
Anpassung (geringere Regulationsmöglichkeit von Erregungszuständen), intensive, oft
negative Stimmungslagen, die Unregelmäßigkeit biologischer Funktionen (erhöhte
Infektionsanfälligkeit,
Ernährungsprobleme
etc.),
wenig
soziale
Responsivität
(Vermeiden von Blickkontakt, verspätetes soziales Lächeln, schwieriger sozialer
Kontakt) sowie weniger Beeinflussbarkeit (weniger vorhersagbares Verhalten, schwerer
verständliche Verhaltenshinweise).
Dies kann zu einem (auch) kommunikativen Teufelskreis führen: Das Kind ist schwierig
(oder wird von seinen Eltern so wahrgenommen), gleichzeitig erhalten die Eltern wenig
positive Resonanz von ihrem Kind (oder nehmen dies so wahr), dies verstärkt ihre
Belastung und verringert ihre Fähigkeit, auf ihr Kind adäquat einzugehen.
Wenn es Probleme gibt - Was hilft?
Bei Regulationsproblemen des Säuglings/Kleinkinds ist folgendes zentral:
•
Elterliche Sorgen und Belastungen ernst nehmen
•
Genaue Diagnostik vornehmen, am besten in Form einer Videodokumentation
•
Was genau hilft diesem Kind wann? Beobachtung des Kindes und der ElternKind-Interaktion und daraus resultierende Handlungsableitungen statt „Rezepte“,
Eltern als Experten anerkennen und sie beim Finden ihres gemeinsamen Weges
mit dem Kind begleiten
•
Unterstützung
durch
kindbezogene
Interventionen:
Beruhigung,
Füttern,
Handling, Rhythmus, Stimulation
Bei Abstimmungsproblemen zwischen Eltern und Kind sollte insbesondere im Fokus
Jotzo 2006 – Vortrag auf dem interdisziplinären Symposium „Schreien, Schlafen, Wachen“,
28./29. April 2006 in Berlin
5
stehen, was hinter dem Problem liegt und möglicherweise den Eltern den Blick auf ihr
Kind verstellt:
•
Soziale Belastungen und Unterstützung bei konkreter Entlastung
•
Eltern-Kind-Beziehungsgeschichte: Schwangerschaft, Geburt, erste Lebenszeit
•
Bild der Eltern von sich als Eltern: Kompetenzerleben, Gebote und Verbote
•
Elterliche (Bindungs-)Geschichte
Dr. Martina Jotzo
IPPSKA - Institut für Psychologie und Psychosomatik des Säuglings- und Kindesalters
(GbR)
[email protected]
1 Schulz von Thun, F. (1994). Miteinander reden – Störungen und Klärungen. Hamburg,
Reinbek.
2 Bischoff-Wanner, C., Dielmann, G., Ertl-Schmuck, R. & Kollack, I. (1997). Pflegedidaktik:
Kommunikation mit Patienten. Stuttgart, Georg Thieme (S. 3).
3 Jotzo, M. & Poets, C.F. (2005). Helping Parents Cope With the Trauma of Premature Birth: An
Evaluation of a Trauma-Preventive Psychological Intervention. Pediatrics, 115; 915-919.
Jotzo 2006 – Vortrag auf dem interdisziplinären Symposium „Schreien, Schlafen, Wachen“,
28./29. April 2006 in Berlin
6
ZePP – Zentrum für Primäre Prävention
Emotionelle Erste Hilfe
Krisenintervention und Bindungsförderung für Eltern,
Säuglinge und Kleinkinder von 0 – 3 Jahren
Thomas Harms - Dipl. Psychologe – www.zepp-bremen.de /
Jule Dräger- Dipl. Psychologin- www.jule-draeger.de
ZePP – Zentrum für Primäre Prävention
Kennzeichen der postnatalen
Krisendynamik
•
•
•
•
•
Energie: Hypererregung
Affekt: Hilflosigkeit/ Ohnmacht
Physiologie: Muskelkontraktion
Kognition: Orientierungslosigkeit
Bindung: Unverbundenheit
Thomas Harms - Dipl. Psychologe – www.zepp-bremen.de
Jule Dräger - Dipl. Psychologin - www.jule-draeger.de
ZePP – Zentrum für Primäre Prävention
Grundfunktionen des autonomen
Nervensystems
Thomas Harms - Dipl. Psychologe – www.zepp-bremen.de
Jule Dräger - Dipl. Psychologin - www.jule-draeger.de
1
ZePP – Zentrum für Primäre Prävention
Regulationen des Autonomen
Nervensystems
Thomas Harms - Dipl. Psychologe – www.zepp-bremen.de
Jule Dräger - Dipl. Psychologin - www.jule-draeger.de
ZePP – Zentrum für Primäre Prävention
Selbstregulation und
Autonomes Nervensystem
Thomas Harms - Dipl. Psychologe – www.zepp-bremen.de
Jule Dräger - Dipl. Psychologin - www.jule-draeger.de
ZePP – Zentrum für Primäre Prävention
Bindungsregulation und Autonomes Nervensystem
Parasympathikus
Sympathikus
Parasympathikus
Sympathikus
Abstimmung
Attunement
vegetative Resonanz
Autonomes Nervensystem
Thomas Harms - Dipl. Psychologe – www.zepp-bremen.de
Autonomes Nervensystem
Jule Dräger - Dipl. Psychologin - www.jule-draeger.de
2
ZePP – Zentrum für Primäre Prävention
Sympathikus-Hypertonie und emotionaler Bindungsverlust
Parasympathikus
Sympathikus
Hypertonie
Autonomes Nervensystem
Thomas Harms - Dipl. Psychologe – www.zepp-bremen.de
Parasympathikus
Sympathikus
Hypertonie
Autonomes Nervensystem
Jule Dräger - Dipl. Psychologin - www.jule-draeger.de
ZePP – Zentrum für Primäre Prävention
Funktionen der Sympathikus Hypertonie
Thomas Harms - Dipl. Psychologe – www.zepp-bremen.de
Jule Dräger - Dipl. Psychologin - www.jule-draeger.de
ZePP – Zentrum für Primäre Prävention
Risikofaktoren für
Regulationsstörungen im frühen
Kindesalter
•
•
•
•
•
Paarprobleme
Prä- und perinatale Stressfaktoren
Sozioökonomische Belastungen
Biografischer Hintergrund der Eltern
Temperament des Säuglings
Thomas Harms - Dipl. Psychologe – www.zepp-bremen.de
Jule Dräger - Dipl. Psychologin - www.jule-draeger.de
3
ZePP – Zentrum für Primäre Prävention
Vorgehen der Emotionellen Ersten Hilfe
1. Erkundung der Stressverhaltens bei Mutter
und Säugling – WAS?
2. Erforschung der affektiven Situation –
WIE?
3. Erkundung der Somatisierung des
Stressgeschehens – WO?
Thomas Harms - Dipl. Psychologe – www.zepp-bremen.de
Jule Dräger - Dipl. Psychologin - www.jule-draeger.de
ZePP – Zentrum für Primäre Prävention
Prozess der Selbstanbindung
Unterstützung der elterlichen
Bindungsbereitschaft:
•
•
•
•
•
durch Selbstwahrnehmung
durch Bauchatmung
durch Körperberührung
durch Visualisierungen
durch Verlangsamung
Thomas Harms - Dipl. Psychologe – www.zepp-bremen.de
Jule Dräger - Dipl. Psychologin - www.jule-draeger.de
ZePP – Zentrum für Primäre Prävention
Selbstregulation und
Schreiverhalten des Säuglings
Thomas Harms - Dipl. Psychologe – www.zepp-bremen.de
Jule Dräger - Dipl. Psychologin - www.jule-draeger.de
4
ZePP – Zentrum für Primäre Prävention
Voraussetzung für die Bindungsund Interaktionsbereitschaft:
• Anerkennung der eigenen Gefühle und
Prozesse
• Gute Verbindung zu sich selbst
• Körperliche Entspannung
Thomas Harms - Dipl. Psychologe – www.zepp-bremen.de
Jule Dräger - Dipl. Psychologin - www.jule-draeger.de
ZePP – Zentrum für Primäre Prävention
Vorteile des
körperpsychotherapeutischen
Zugangs:
• Direkter Einfluss auf die
Bindungsbereitschaft
• Einfach umsetzbare Interventionen
• Biofeedback für Bindungsbereitschaft
Thomas Harms - Dipl. Psychologe – www.zepp-bremen.de
Jule Dräger - Dipl. Psychologin - www.jule-draeger.de
ZePP – Zentrum für Primäre Prävention
Eltern - Baby - Therapie
Jule Dräger
Dipl. Psychologin, Körperpsychotherapie,
Erziehungsberatung
www.jule-draeger.de, Tel.: 0179-509 7626
Praxis „Die Wohlfühler“
Kollwitzstr.75, 10435 Berlin- Prenzlauer Berg
Thomas Harms - Dipl. Psychologe – www.zepp-bremen.de
Jule Dräger - Dipl. Psychologin - www.jule-draeger.de
5
Margarita Klein
Diplom-Pädagogin, Hebamme, Systemische Beratung/Familientherapie und
Hypnose im KREISEL E.V., Hamburg, www.kreiselhh.de
Kommunikation von Hand zu Haut
Körperorientierung und Babymassage in der systemischen
Familientherapie
In diesem Vortrag möchte ich darlegen, wie eine ursprünglich an
Erwachsenen mit ihren sprachlichen Möglichkeiten ausgerichtete
Therapieform, die systemische Therapie, für die Arbeit mit Familien mit
Säuglingen modifiziert werden kann.
Dabei bekommt die Sprache des Körpers, die Berührung, als elementare
und den Bedürfnissen des Babys entsprechende Kommunikationsform einen
neuen Stellenwert.
1. Zunächst einige Gedanken zur systemischen Therapie:
Unter dem Begriff „systemisch“ begegnet uns heute ein schillerndes
Spektrum unterschiedlichester Ansätze, von dem diffusen Bezug auf
Ganzheiten und gegenseitige Abhängigkeiten bis zu einem hochkomplexen
wissenschaftlich Programm, das Erkenntnisse der Kybernetik, der
Philosophie und nun auch der Neurowissenschaften umfasst.
Insoweit als ein Baby und sein Verhalten nicht ohne seine Umwelt zu
denken ist und sein Verhalten und das seiner Mitmenschen als zirkulär
aufeinander bezogen verstanden wird, können viele Varianten der Arbeit mit
Eltern und Säuglingen systemisch verstanden werden.
There is no such thing as a baby, there is always a baby and someone,
sagt der z. B. Psychoanalytiker Winnicott.
Ein Leitsatz systemischen Denkens lautet analog dazu:
Jedes Verhalten von Menschen ist abhängig von dem Kontext, in dem
es zu beobachten ist.
Einige weitere Grundannahmen systemischen Denkens:
Menschen und ihre Systeme sind nicht instruierbar.
Ein Heizungssystem kann ich steuern, und wenn es meinen Impulsen nicht
folgt, hole ich den Techniker, der es repariert. Menschen dagegen haben
Wahlmöglichkeiten und ihre Reaktion ist nicht von jemand anderem sicher
auszulösen. In der systemischen Theorie spricht man von „Autopoiesis“ aus
dem Griechischen: auto = selbst, poieon – machen.
Beim Thema Babyschlaf wird das so besonders deutlich: Niemand kann ein
Baby „einschlafen machen“, es tut es letztendlich selbst.
Für Erziehung, Beratung und Therapie heißt das: die Eltern können ihren
Kindern, die Fachleute ihren KlientInnen Angebote machen, den Kontext
gestalten. Ob und auf welche Weise das Gegenüber diese Impulse
aufnimmt und darauf antwortet, entscheidet es selbst.
Ein weiterer Leitgedanke der systemischen Therapie wurzelt im
Konstruktivismus, Paul Watzlawick ist ein bekannter Vertreter dieses
Denkansatzes. Heute werden diese Annahmen durch die Erkenntnisse der
Neurowissenschaften unterstützt.
Jeder Mensch hat seine eigene Wirklichkeit und hält sie für wahr.
Der Prozess der Wahrnehmung geschieht
Prozess, keine bloße Widerspiegelung der
nennen, geschieht im Nervensystem, nicht
nehmung ist das, was ich aufgrund der
Nervensystems für wahr nehme.
im Menschen, ist ein aktiver
Dinge. Das, was wir „Sehen“
mit dem Auge. Meine Wahrbesonderen Struktur meines
Mein Nervensystem formt sich durch meine ganz individuellen Erfahrungen
vom Beginn des intrauterinen Lebens an. Es unterscheidet sich von dem
jedes anderen Menschen, niemand kann mit meinem Gehirn fühlen und
denken.
Das, was ich für wahr nehme, ist meine Wirklichkeit. An dieser Wirklichkeit
richte ich mein Handeln aus, Wirklichkeit ist das, was wirkt.
Wenn Eltern sagen: „Unser Kind schreit immer!“, ist es subjektiv ihre
Wirklichkeit. Selbst wenn es gerade schläft, bleiben sie im Alarmzustand, sie
hören es „wirklich“ schreien. Jedes tatsächliche Schreien erhärtet ihre
Ansicht: Es schreit immer.
Es gibt Wirklichkeitskonstruktionen, die nützlich sind in dem Sinne, dass sie
den Menschen Handlungsspielraum geben und in der Begegnung mit
anderen Menschen zu angenehmen Erfahrungen führen.
Wenn Eltern davon ausgehen, dass ihr Kind eine autonome, kompetente
Person ist, die jetzt, wo es klein ist, ihre Hilfe braucht, um für sich selbst zu
entdecken, wie es sein Schlafbedürfnis regulieren kann, hat das andere
Konsequenzen für ihr Handeln als wenn sie denken, es sei ihre Aufgabe,
das Kind zum Einschlafen zu bringen.
Belastende Wirklichkeitskonstruktionen äußern sich in Sätzen wie: „Ich kann
nie, ich muss immer“ - entweder/oder. So empfindet der Mensch sich unter
Zwang, eingeengt, er leidet.
Systemische Beratung und Therapie hat zum Ziel,
Handlungsspielraum des Klienten/der Klientin zu erweitern.
den
Dann entstehen Sätze wie: „Vielleicht ist es mir möglich ...“, „Ich könnte
einmal versuchen ...“
Worte waren ursprünglich Zauber (Siegmund Freud)
Das Nervensystem eines Menschen unterscheidet nicht zwischen internen
und externen Auslösern: Die bildgebenden Verfahren zeigen, dass sich im
Gehirn dasselbe abspielt, unabhängig davon, ob ein Reiz real existiert oder
nur vorgestellt wird.
Um das nachzuprüfen, brauchen wir keine komplizierten Geräte. Stellen Sie
sich einmal vor. Vor Ihnen steht eine Schale mit Zitronen. Sie nehmen ein
Messer, schneiden eine Frucht auf, spüren, wie der Saft auf ihre Haut
spritzt, riechen den Duft der Zitrone...
Nur mit dem Gebrauch von Worten ist es mir vermutlich gelungen, ihren
Speichelfluss anzuregen, eine schluckbewegung auszulösen.
Im Gespräch, in der Beratung oder in der Therapie laden wir den Klienten
nicht dazu ein, sich Zitronen vorzustellen, sondern mit Hilfe des Zaubers der
Worte problemauslösende Wirklichkeitskonstruktionen durch solche zu
ersetzen, die angenehmere Gefühle hervorrufen und neue Verhaltensweisen
möglich machen.
Der lösungsorientiert-systemische Ansatz mit seinen herausragenden
VertreterInnen Insoo Kim Berg und Steve de Shazer ist in dieser Hinsicht
besonders konsequent.
Eine Grundannahme dieses Ansatzes heißt: Das Gespräch über Lösungen
lässt Lösungen entstehen mit all den damit verbundenen Gefühlen, das
Gespräch über Probleme dagegen macht Probleme und Schwächen
präsent.
Die Idee ist, im Gespräch mit KlientInnen mehr Zeit und Raum darauf zu
verwenden, über mögliche Lösungen und ihre Folgen, über ihre Stärken zu
sprechen und sich einmal vorzustellen, das Problem sei schon jetzt gelöst.
„Was ist Ihnen dann neu möglich?“, ist eine zentrale Frage, deren
Beantwortung KlientInnen mit ihren inneren Ressourcen verknüpft.
Lösungen und Ideen für neue Möglichkeiten entstehen dann, wenn ein
Mensch mit seinen Stärken und Fähigkeiten im Kontakt ist, nicht dann, wenn
er mit seinem Gefühl von Leid und Ohnmacht verbunden ist.
Im Gespräch nehmen Lösungen Gestalt an, der Mensch kann schon einmal
fühlen, wie es dann ist, wenn Angst und Unsicherheit neuer Kreativität Platz
machen. Je länger wir im Gespräch bei diesen neuen Möglichkeiten und den
damit verbundenen guten Gefühlen verweilen, desto mehr bekommen sie
Wirklichkeitscharakter.
Wenn du es eilig hast, gehe langsam: Der nächste kleine, mögliche und
realistische Schritt in Richtung auf diese Lösung steht in der Regel am Ende
eines solchen Gesprächs. Die Konstruktion der Lösung ist immer eine
Eigenkonstruktion der Klientin, nicht eine der Beraterin.
Die Beraterin fügt lediglich Wissen hinzu, wo es der Klientin daran mangelt.
Was geschieht nach dem Gespräch? Die Klientin richtet aufgrund der im
Gespräch gemachten für ihre Wahrnehmung realen Erfahrung ihre
Aufmerksamkeit mehr auf Momente, die ihr gut gelingen. Dadurch macht sie
im realen Leben neue Erfahrungen, und wie durch ein Wunder haben diese
neuen Erfahrungen Auswirkungen auf anderen Lebensbereiche und auch
auf andere Menschen.
Schon bei der Anmeldung am Telefon ist eine erste kleine lösungsorientierte
Intervention wirkungsvoll: Ich bitte die Klientin, den Klienten
Bitte beobachten Sie bis zu unserem Termin und notieren Sie sich,
wann ihr Baby tatsächlich schläft
und was es tut, wenn es weder schreit noch schläft,
und was Sie allein oder mit ihm tun, wenn es nicht schreit.
Beobachten Sie bitte, wann Sie gute Momente erleben.
Und wie durch ein Wunder verändert sich das Problem – die Sichtweise auf
das Verhalten des Kindes - oft schon vor der eigentlichen Beratung.
Einige weitere
Denkens:
Grundannahmen
lösungsorientiert-
systemischen
-
die klare Orientierung an den Wünschen und Zielen der Klientin/des
Klienten;
-
die Annahme, dass er/sie kompetent für ihr eigenes Leben ist;
-
die Annahme, dass es im Unbewussten des Menschen eine Instanz
gibt, die die Lösung kennt;
-
die Annahme, dass ein Problem eine nicht hilfreiche Konstruktion ist,
die im Gespräch durch eine nützlichere ersetzt werden kann;
-
die Annahme, dass aus dem das Erleben einer Lösung im Gespräch
– als ob es gelöst wäre – entscheidende Ideen zur Veränderung
kommen;
-
die Annahme, dass das Verhalten von Menschen zirkulär aufeinander
bezogen ist: Ändert sich ein Teil eines Systems, so hat das
Auswirkungen auf alle anderen Teile und führt zu Veränderungen.
Diese Veränderungen sind allerdings nicht genau planbar –
Menschen und ihre Systeme sind eben nicht instruierbar! Jeder
Mensch kann nur sein eigenes Herz und Verhalten ändern. So kann
es sein, dass das Kind weiterhin wenig schläft, die Mutter/der Vater
das akzeptiert und für sich Lösungen findet, um zur Ruhe zu
kommen. Und es kann auch sein, dass das Kind durch die
neugewonnene Ruhe der Erwachsenen ruhiger wird.
Menschen lernen durch Erfahrung
Auch im Rahmen einer lösungsorientert – systemischen Beratung findet die
Arbeit
mit
Videoaufnahmen
ihren
Platz.
Die
problematische
Wirklichkeitskonstruktion von Menschen verändert sich leichter, wenn wir
ihnen nicht ausschließlich mit Worten, sondern zusätzlich visuell neue
Erfahrungen ermöglichen.
Die videogestützte Arbeit ermöglicht neue Sinneserfahrungen und das damit
verbundene Gespräch eine neue Form der Bewertung.
In einen systemischen Kontext eingebettet, geht der Arbeit mit dem Video
voraus ein Gespräch darüber,
-
was für die Klientin das Ziel der Beratung ist,
-
was für sie/ihn eine gute Lösung wäre, wie es sich wohl anfühlt, sich
einmal vorzustellen, wie es ist, die Lösung schon erreicht zu haben
-
und welche Kräfte, Kenntnisse und Fähigkeiten ihr/ihm dazu schon
jetzt zur Verfügung stehen.
Ein Beispiel: Frau M. leidet darunter, dass sie aus ihrer Sicht immer so ernst
mit ihrem Baby ist. Sie entwicklelt als Lösungsidee: „Ich bin eine gute Mutter
sein und ich bin fröhlich mit meinem Baby. Wir zeigen ihr ausgewählte
Videosequenzen in denen genau die von ihr gewünschte Qualität zu sehen
ist: Ihr Baby und sie scherzen miteinander, beide lachen. So kann eine neue
Wahrnehmung von sich selbst und und von ihrem Miteinander entstehen.
Die bisherige problematische Konstruktion: „Ich bin immer so ernst und bin
nicht sicher, ob mein Baby mich mag“, können durch die Bilder, die
offensichtlich fröhliche Momente zeigen, neuen Vorstellungen von sich
selbst Platz machen.
Zirkulär fragen, das Baby miteinbeziehen
Das bisher beschriebene Vorgehen im Gespräch und mit der Videokamera
sind Vorgehensweisen, die zwar das Miteinander von Baby und Eltern zum
Thema haben, das Baby selbst aktuell aber nicht einbeziehen. Eine weitere
Methode systemischer Beratung sind zirkuläre Fragen:
Wenn wir Ihr Baby fragen könnten, was würde es sich wünschen?
Auf diese Weise laden wir die Eltern dazu ein, einen Perspektivwechsel
vorzunehmen, die Welt aus der Sicht des Kindes wahrzunehmen und dem
Erleben des Kindes eine Stimme zu geben.
Die Antwort darauf ist jedoch wieder eine Wirklichkeitskonstruktion der
Eltern selbst oder auch der BeraterInnen.
2. Die Sprache eines Babys ist die Sprache des Körpers.
Das Baby selbst kann auf die bisher beschriebene Weise nicht am Gespräch
teilnehmen. Worte allein sind noch nicht die passende Kommunikationsform
für ein Baby. Seine Sprache ist eine unmittelbar körperliche.
In der Beratung können wir können Eltern lehren, die Sprache ihres Kindes,
die Sprache des Körpers zu sprechen und zu verstehen, wir können den
Dialog von Hand zu Haut anregen und Eltern und Kind damit neue sinnliche
Erfahrungen ermöglichen. Durch das begleitende Gespräch wird eine neue
Wirklichkeitskonstruktion möglich. Die Fachperson ist dann so etwas wie
eine Dolmetscherin zwischen Eltern und Kind. Massage ist eine Sprache, in
der Eltern und Kinder miteinander kommunizieren können.
Wir machen nun einen kurzen Exkurs in das weite Thema Massage, um zu
erläutern, warum gerade Massage für die Interaktion zwischen Eltern und
Kind eine besondere Bedeutung hat.
Hautnah
Die Haut ist neben dem Gehirn das wichtigste Körperorgan des Menschen.
Kein Mensch kann ohne Haut geboren werden oder überleben, wenn große
Teile der Haut verletzt sind. Sie bedeckt 1,5 bis 2 Quadratmeter
Körperoberfläche und ist an keiner Stelle des Körpers dicker als vier
Millimeter.
Die Haut ist ein wichtiges Atmungsorgan, sie scheidet Stoffwechselprodukte
aus und kann Stoffe aufnehmen. Sie trägt wesentlich zur
Temperaturregulation des Körpers bei und schützt uns vor
Krankheitserregern und Verletzungen. Die Haut zeigt unsere Befindlichkeit
an, gibt Auskunft über Lebensgewohnheiten, z.B. ob wir rauchen, wieviel wir
schlafen, und über unser Alter.
Die Haut ist das wichtigste Sinnesorgan, kein Mensch wird ohne Tastsinn
geboren. Schon sechs Wochen nach der Befruchtung des Eis reagiert der
Embryo auf Berührung. Millionen von Sensoren informieren uns unablässig
darüber, was an den Außengrenzen unserers Körpers vor sich geht. Der
Tastsinn ist nicht abzuschalten: wir können die Augen schließen, den Ohren,
der Nase, der Zunge Reize vorenthalten, aber die Haut erspürt ohne Pause
die Grenzen unseres Körpers, die Bewegung des Atems, den Kontakt zur
Kleidung oder den Lufthauch auf der nackten Haut.
Die Haut ist ein soziales Organ, sie ist der Ort, an dem wir Kontakt mit der
umgebenden Welt erfahren, mit Gegenständen ebenso wie mit anderen
Menschen.
Für alle Säugetiere - damit auch für den Menschen - ist es für ihr Überleben
unerlässlich, ein ausreichendes Maß an Berührung durch ein anderes
lebendes Wesen, vorzugsweise der eigenen Art zu bekommen. Erleiden z.
B. Rattenbabys einen Mangel an Berührung, stellen sie auch bei
ausreichendem Nahrungsangebot das Wachsen ein, manche gehen sogar
zugrunde. Ashley Montagu hat 1974 in seinem Buch „Körperkontakt“ eine
große Anzahl von Untersuchungen zusammengetragen, die die
Abhängigkeit von liebevoller Berührung für die gesunde geistige, emotionale
und körperliche Entwicklung aufzeigen. Neueste Forschungen in vielen
Ländern bestätigen diese Ergebnisse immer wieder. Dennoch:
Frühgeborene verbringen weiterhin viel Zeit am „einsamsten Ort der Welt“,
im Inkubator (Geo, Juni 2004), obwohl regelmäßig massierte Kinder sich
deutlich besser entwicklen, so dass sie im Schnitt sechs Tage eher nach
Hause entlassen werden können, wie die Psychologin Tiffany Field an ihrem
„Touch Ressearch Institut“ in Florida zeigen konnte. Berührungen reduzieren
die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol, sie tragen dazu bei, die
vegetativen Funktionen zu regulieren, den Herzschlag, die Atmung und den
Blutdruck, Hormone werden freigesetzt, wie z. B. Insulin, so dass die
Nahrung besser aufgeschlossen wird. Die Reifungsprozesse in der Lunge
werden angeregt, Berührung stärkt das Immunsystem.
Es gibt heute genügend gesicherte Erkenntnisse, die uns deutlich machen,
dass wir Eltern dazu anregen und anleiten sollten, ihren Kindern mit
derselben Aufmerksamkeit Hautreize zukommen zu lassen, wie sie ihnen
Nahrung zubereiten.
Ich fühle, also bin ich
Die Haut gibt uns beständig darüber Informationen, wie und wo sich der
Körper gerade befindet und womit oder mit wem er gerade im Kontakt ist.
Diese Empfindungen sind die Basis der Eigenwahrnehmung, des SelbstBewusstseins. Ein klares Bewusstsein der eigenen Körpergrenzen bewahrt
den Menschen vor schmerzhaftem Kontakt mit Tischkanten und heißen
Herdplatten. Der Tastsinn ermöglicht es uns, mit genau der richtigen Kraft
zuzugreifen, wenn wir etwas aufheben wollen. Dabei arbeitet der Tastsinn
feiner als die Augen, wir können feinere Unterschiede in der Beschaffenheit
von Oberflächen, z.B. ob sie rauh oder glatt sind, erfühlen als sehen. Sich
seiner selbst bewusst zu sein, ermöglicht es einem Menschen, sich sicher
zu fühlen und im Kontakt mit anderen passend zu reagieren: Er spürt die
Nähe eines anderen Menschen und er weiß, wann er jemandem zu nah
kommt. Manche Kinder fallen heute im Kindergartenalter dadurch auf, dass
sie sich im Kontakt mit Gleichaltrigen ungeschickt verhalten, dass sie
schlagen und schubsen, wenn sie Kontakt suchen. Als ein Grund dafür kann
bei einigen Kindern eine ungenügende Entwicklung der Wahrnehmung von
sich selbst und ihrer Umwelt vermutet werden. Wahrnehmung entwickelt
sich dann optimal, wenn ein Kind genügend passende Reize angeboten
bekommt. Berührung ist also nicht nur existentiell wichtig für unser
physisches Überleben, sondern auch für die Entwicklung von
Selbstsicherheit und von Feinfühligkeit im sozialen Kontext.
Das Alphabet der Gefühle
Der früheste Dialog zwischen Mutter und Kind findet intrauterin in der
Sprache der Haut statt. Es spürt den Herzschlag seiner Mutter, ihren Atem,
den Rhythmus ihrer Bewegungen. Lange bevor es Worte hören kann,
erspürt es die Stimme seiner Mutter als Druckveränderungen auf der Haut.
Sein Tastsinn, sein Sinn für Bewegung und sein Gleichgewichtssinn teilen
dem Baby mit, wie sie sich fühlt. Diese Erfahrungen bilden den Hintergrund
aller weiteren Empfindungen und Stimmungen, die es in seinem weiteren
Leben machen wird. Nach seiner Geburt sind es vor allem zunächst die
Hände der Mutter, die ihm mitteilen, ob es angenommen und gehalten wird.
Ein Baby lernt auch durch Berührung, dass Menschen verschieden sind:
Mamas Hände fühlen sich ganz anders an als die von Papa.
Unterschiedliche Stimmungen drücken sich über die Hände aus, machen sie
um Nuancen weicher oder unsensibler. Die mehr oder weniger große
Feinfühligkeit, mit der Eltern auf die Bedürfnisse des Kindes prompt und
passend reagieren, ist durchaus auch wörtlich zu verstehen (siehe auch:
Lohmann, 2004). Wenn wir Eltern und Kinder in ihren ersten gemeinsamen
Zeit begleiten, haben wir die Möglichkeit, die Hände der Eltern für den
Körper ihres Kindes zu sensibilisieren und ihnen zu zeigen, wie sie achtsam
mit ihm umgehen können, seine Reaktionen erspüren und passend darauf
reagieren.
Entwicklung im Kontakt
Von Beginn seiner Entwicklung an erlebt sich der Fötus im Dialog mit seiner
Umwelt. Es gibt Bewegungen, die von ihm ausgehen, und solche, die von
außen kommen. Wenn er sich bewegt, spürt er den Kontakt zur Uteruswand,
zur Plazenta, zu seinen eigenen Gliedmaßen. Die Nabelschnur ist sein
erstes Spielzeug, er be-greift sie und macht die Erfahrung, dass sie pulsiert
und sich bewegt. Wenn seine Mutter in Bewegung ist, wird er geschaukelt.
Die Kontraktionen der Gebärmutter wirken vielleicht wie eine herzliche
Umarmung. Das Leben bis zu seiner Geburt wird aus einer Fülle
angenehmer Hautreize bestehen. Ein Mangel an Bewegungs- und
Hautreizen, z. B. wenn die Mutter beruflich überwiegend sitzt oder wegen
vorzeitiger Wehen viel liegen soll, kann dazu führen, dass ein Kind nach der
Geburt erschrocken auf die Intensität dieser Reize außerhalb der
Gebärmutter reagiert und viel weint. Sein Wahrnehmungssystem ist noch
ungeschult und erwirbt die notwendige Reife erst im Lauf der nächsten
Wochen, in denen es viel getragen und berührt werden möchte.
Während der Geburt ist der Hautkontakt zwischen Mutter und Kind so eng
wie nie zuvor. Mutter und Kind sind im Geburtsprozess fein aufeinander
abgestimmt, das Kind spürt, wie es seinen Kopf am besten dreht und
wendet, um seinen Weg zu finden. Die Passage durch den Geburtskanal ist
eine äußerst intensive Hautstimulation, in deren Folge das Kind hellwach ist,
wenn es zur Welt kommt. Die plötzliche Abwesenheit eines Hautkontakts ist
eine völlig neue Erfahrung für das Kind und trägt neben dem Erleben von
Kälte und der Schwerkraft zu seiner Irritation bei. Es sollten immer
wärmende, haltende Hände bereit sein, um einem Kind nach der Geburt
einen freundlichen Empfang zu bereiten. Wenn die Mutter dazu
möglicherweise nicht sofort bereit ist, kann vielleicht der Vater seine Hand
auf den Rücken des Babys legen oder auch eine dritte Person. Das
reduziert die Stressreaktionen des Babys sichtbar, es kann leichter atmen,
seine Haut wird rosig.
Die Geburt ist eine Trennung. Das selbstverständliche Beeinandersein, die
Sicherheit, sich immer gegenseitig zu spüren, ist verschwunden.
Stattdessen gilt es nun, über einen kleinen Zwischenraum den Kontakt zu
suchen und zu finden. Das kann verunsichern und manche Mutter braucht
fürsorgliche Anleitung, um sich in ihrem Tempo vorsichtig an ihr Baby
heranzutasten. In den nächsten Tagen und Wochen wird es wichtig sein,
dass sie ausreichend Gelegenheit hat, den Körper ihres Babys zu erkunden.
Jede Pflegehandlung kann eine solche Gegenheit sein, wenn sie nicht von
allzu effizient arbeitenden Fachleuten (Hebammen, Kinderschwestern)
ausschließlich zur Vermittlung der „richtigen“ Technik genutzt wird, sondern
als Dialog zwischen Mutter und Kind begriffen wird. Das einhüllende
Streichen über den ganzen Körper mit weichen, spürenden Händen - ein
Element der Schmetterlingsmassage - erinnert das Kind an die Art der
Hautempfindung, wie es sie aus dem Uterus gewohnt war und verbessert
die Feinfühligkeit der Mutter und ihre Sicherheit im Umgang mit dem Kind.
Heilung der Gefühle
Berührung kann körperliche und seelische Verletzungen heilen oder die
Heilung unterstützen und das Auflegen der Hände ist wohl die älteste
Heilmethode der Welt.
Die Trennung bei der Geburt ist auch mit Trauer verbunden. Das gilt
besonders, wenn Mutter und Kind danach nicht ausreichend Zeit hatten, um
sich nach der Lösung voneinander wieder zu begegnen oder wenn die
Trennung besonders schmerzhaft verlaufen ist.
Wenn die Mutter in der Lage ist, ihr Baby nach einer Geburt selbst sanft zu
massieren, kann das zur Heilung ihrer Verstörung und der Erschrockenheit
des Kindes gleichermaßen beitragen. Besonders nach einer schwierigen
Geburt kann es jedoch sinnvoll sein, dass andere Personen (der Vater, die
Hebamme, Freundinnen) der Mutter und dem Kind unabhängig voneinander
für einige Zeit regelmäßig Massagen geben. Dem Kind wird so signalisiert:
Die Welt fühlt sich gut an, du bist willkommen! und die Mutter gewinnt nach
dem Erleben von Entgrenzung bei der Geburt neue Selbstsicherheit durch
die Wahrnehmung ihrer Körperhülle in der Berührung.
Die liebevolle Stimulation der Haut fördert die Ausschüttung des Hormons
Oxitocin. Oxitocin gilt als das Hormon der Liebe, es ist immer beteiligt, wenn
Menschen einander sehr nah sind. Während der Schwangerschaft, der
Geburt und beim Stillen hat es wichtige Funktionen, die allen Hebammen
bekannt sind.
Berührung ist auch in anderen Krisensituationen ein wichtiges Heilmittel in
der familiären Hausapotheke. Krankheiten, Verletzungen, die Geburt eines
Geschwisterkindes oder auch nur ein Wachstumsschub: In jedem Alter sind
Massagen eine wirkungsvolle Unterstützung zur gemeinsamen Bewältigung
des Problems.
Berührung ist schon für die Mutter während der Schwangerschaft, eine
Unterstützung ihrer Selbstwahrnehmung, ihres Selbstbewusstseins, für das
Paar ist sie nach einer Geburt eine Möglichkeit, sich einander auszudrücken,
wenn Worte das Unsagbare des Erlebens nicht fassen können.
3. Massage als ein Element in der Eltern- Kind Beratung
Die Beratung von Eltern mit Säuglingen und kleinen Kindern erfordert viele
unterschiedliche Qualitäten der Hilfe.
Der Systemiker Kurt Ludewig beschreibt vier Grundarten professioneller
Hilfe. Er unterscheidet: Anleitung, Beratung, Begleitung und Therapie in
a) der Art der Bedürftigkeit,
b) der Art der professionellen Maßnahme.
Anleitung: “Hilf uns, unsere Möglichkeiten zu erweitern!“
a) Fehlen oder Mangel an Wissen/Fertigkeiten
b) Wissen zur Verfügung stellen, das Handwerk lehren
Beratung: „Hilf uns, unsere Möglichkeiten zu erkennen und zu nutzen!“
a) interne Blockierung, inaktive Ressourcen
b) Förderung vorhandener innerer und äußerer Strukturen
Begleitung: „Hilf uns, unsere Lage zu ertragen!“
a) unabänderliche Problemlage
b) Stabilisierung durch fremde Struktur
Therapie: „Hilf uns unsere Lage rasch zu ändern!“
a) veränderliche Problemlage
b) Beitrag zur Auflösung des Problems
In der Arbeit mit Familien mit Säuglingen können alle vier Formen der Hilfe
zum Erfolg führen.
Nicht zu unterschätzen ist die Wirksamkeit von Anleitung, wenn sie in einen
an den Wünschen und Bedürfnissen der KlientInnen orientierten Rahmen
eingebettet ist (anliegen- und auftragsorientiert) Das Angebot, Anleitung zur
Massage zu geben kann eine passende Antwort sein auf den Wunsch: „Ich
möchte meinem Kind Halt geben, aber ich weiß nicht wie.“ Halt geben hat
für ein kleines Kind unbedingt die konkrete körperliche Komponente, sicher
angefasst zu werden.
Die Massage im Rahmen der Beratung bei einer belasteten Eltern-Kind –
Beziehung unterstützt die Eltern auf dem Weg dahin, die Eltern zu werden,
die sie gern sein möchten. Erforderlich ist eine Qualität der Anleitung, die
den Eltern den Rücken stärkt, die nicht das Erlernen einer Technik in den
Vordergrund stellt, sondern den Eltern ermöglicht, ihr Kind in einem
geschützen Rahmen zu berühren und seine Reaktionen zu beobachten. Die
Beziehung zur Beraterin ist die sichere Basis, auf der es in dem es der
Mutter, dem Vater möglich ist, sich auf das aufregende Abenteuer
einzulassen, das Baby mit offenen Händen und zugewandtem Herzen zu
berühren. Das Augenmerk liegt immer auf dem dialogischen Charakter der
Massage Die „richtige“ Technik der Massage ist dabei nebensächlich. Bei
der täglichen Pflege des Kindes steht immer der Zweck im Vordergrund: Das
Kind hochnehmen, um es anzuziehen, es drehen, um es anzulegen ...
Massage dagegen ist zweckfrei und dabei überaus sinnvoll.
Die Schmetterlingsmassage nach Eva Reich eignet sich in diesem Kontext
besonders, weil die Technik einfach ist und schon das einhüllende Streichen
über den ganzen Körper bei dem Baby Wohlbehagen auslöst.
Diese Massage ist geeignet für neugeborene und sogar für frühgeborene
Babys und darüber hinaus für Menschen jeden Alters. Sie hilft Eltern und
Kind bei der Bewältigung von Wachstumskrisen und Krankheiten, sie ist
angenehm für Schwangere, sie tut auch alten Menschen gut .
Drei kurze Fallgeschichten:
1. Frau A. kommt auf Empfehlung des Kinderarztes mit ihrer Tochter Eva.
Sie hatten einen schweren Anfang, eine Fütterstörung bessert sich gerade,
sie sagt, ihr Kind sei hässlich, ich beobachte, dass Mutter und Kind nicht gut
miteinander im Kontakt sind. Die Mutter hat kein Beratungsanliegen,
wünscht sich aber Massage zu lernen. Im Lauf von drei Treffen bei denen
sie vorsichtig den Körper ihres Kindes erkundet, gelingt es ihr, sich
emotional ihrem Baby zuzuwenden. Eva nimmt diesen Kontakt offensichtlich
gern an. Gleichzeitig weicht die innere Erstarrung der Mutter auf, sie möchte
danach gern mit mir über ihre Geburtserfahrung sprechen, es folgen einige
Termine ohne das Baby.
Ihr Weg ging über die Hände ans Herz.
2.Frau B. kommt zur Beratung, sie leidet darunter, ihr Kind nicht annehmen
zu können (es ist ein Junge, sie wünschte sich ein Mädchen.)
Nach einigen Stunden lösungsorientiert- systemischer Beratung und
Hypnose schloss sie Frieden Frieden mit sich und dem Kind. Dennoch fühlte
sie sich immer noch ungeschickt mit ihrem Kind. Ihre Hände schienen nicht
so schnell ihr die neue Beziehungsqualität übernehmen zu können. Über die
zweckfreie Berührung der Massage wurden ihre Hände weicher, feinfühliger.
Ihr Weg ging aus dem Kopf in die Hände.
3. Herr und Frau C.kamen zu mir, weil sie „irgenwie nicht wissen, was wir mit
Ole tun sollen“. Die Eltern hatten den guten Willen, mit ihrem Kind in Kontakt
zu treten, aber keine konkrete Idee zur Umsetzung. Sie sprachen mit ihm
wie mit einem „Kumpel“, er war mit Jeans und Weste gekleidet wie sein
Vater. Sie spürten, dass etwas nicht stimmte, das Kind war unruhig. Sie
erlernten mit der Massage die Sprache des Körpers, lernten, sich auf das
Tempo des Kindes einzustellen. Außerdem entdeckten sie, dass die
Massage
auch
für
sie
als
Paar
eine
Bereicherung
der
Kommunikationsmöglichkeiten war.
Ihr Weg: Eine neue Sprache lernen, um mit dem Kind adäquat
„sprechen“ zu können.
Literatur:
Schmetterling und Katzenpfoten, Massagen für Babays und Kinder
Klein, Margarita, Ökotopia Verlag, 5. Auflage 2005
Lösungen (er-)finden, Insoo Kim Berg und Peter de Jong, verlag modernes
lernen, Dortmund, 2004
Die erfundene Wirklichkeit, Watzlawick, Paul, Piper, 9. Auflage 1997
Körperkontakt, Montagu, Ashley,
Lebensenergie durch sanfte Bioenergetik,
Reich, Eva/ Zornansky, Eszter, Kösel, München 1997
Das Neugeborene in der Hebammenpraxis
mit Beiträgen von Margarita Klein: Das vorgeburtliche Erleben des Kindes,
Die geburt aus der Sicht des Kindes, Babymassage, Die Geburt einer
Familie
darin auch: Susanne Lohmann,: B Die körperliche und seelische
Entwicklung des Kindes im ersten Lebensjahr DH, Hippokrates Verlag, ISBN
3-8304-5294-2
Körperkontakt, Ashley Montague, Klett - Cotta
Bausteine der kindlichen Entwicklung, Jean Ayres, Springer - Verlag
Babyjahre, Remo Largo, Piper, Hamburg 1993
Miteinander vertraut werden,Emmi Pikler,/Anna Tardos,
Herder, Freiburg 1997
AIch bin ein Doktor auf Expedition@
Ein Film über das Leben von Eva Reich
HeidrunMössner Filproduktion, Lustiger Strump 9, 27299 Langwedel,
www.moessner-filmproduktion.de
Prophylaxe von Regulationsstörungen
bei Frühgeborenen:
Entwicklungsfördernde Pflege und
familienorientierte Nachsorge
Friedrich Porz
2. Kinderklinik Klinikum Augsburg und
beta Institut für sozialmedizinische Forschung und
Entwicklung Augsburg
Was will ich Ihnen vorstellen?
Individuelle Betreuung von Frühgeborenen:
• Das Konzept der sanften Pflege von M. Marcovic
• Das NIDCAP-Konzept von H. Als
Familienorientierte Nachsorge:
• Das Konzept des Bunten Kreises Augsburg
• Wissenschaftliche Begleitung (PRIMA-Studie)
Implikationen für die Praxis
Individuelle Pflege
Marina Marcovich 1992
• Zurückhaltender Einsatz der
intensivmedizinischen
Techniken
• Schonende Rücksichtnahme
• Patientenbezogener Umgang
mit den sehr kleinen
Frühgeborenen
• Hohes Maß an menschlicher Zuwendung
• Psychosoziale Betreuung gleichrangig mit
medizinischer Behandlung
1
Individualisierte entwicklungsfördernde
Pflege nach H. Als (NIDCAP)
Optimierung der
Umgebungsbedingungen:
• Geräusch- und Lichtreduktion
• Lagerung, „Nesting“
Zudecken
• Hilfen zur Selbstregulation,
Stressreduktion
• Frühes Einbeziehen der
Eltern, „Känguruhen“
Individualisierte entwicklungsfördernde
Pflege nach H. Als (NIDCAP)
Optimierung der Pflege:
• Auf die Bedürfnisse und
den Verhaltenszustand des
Kindes eingehend,
Vermeidung von Routinemaßnahmen
• Schmerzreduktion
• Pflegemaßnahmen mit liebevoller Zuwendung,
Nutzung der Pflegemaßnahmen zur
Körperwahrnehmung, Stimulation und Interaktion
• Schlaforganisation, Ruhephasen, keine
Überstimulation
Individualisierte entwicklungsfördernde
Pflege nach H. Als (NIDCAP)
Kurzzeiteffekte:
• Kürzere Beatmungsdauer bzw. Sauerstofftherapie
• Frühere volle enterale Ernährung
• Geringere Rate an Hirnblutungen und anderen
medizinischen Komplikationen wie BPD
• Bessere Verhaltensregulation bei Entlassung
• Kürzerer Krankenhausaufenthalt
Langzeiteffekte:
• Bessere motorische und kognitive Entwicklung
• Verbessertes Langzeitverhalten
2
Individualisierte entwicklungsfördernde
Pflege nach H. Als (NIDCAP)
Auswirkungen auf die
Hirnreifung:
Fig 3. MRI DTI: comparison of
control and experimental group
infants at 2 weeks’ corrected age.
Shown are examples of diffusion
tensor maps from identical axial
slices through the frontal lobes of a
representative control group (A)
and an experimental group (B)
infant obtained at 2 weeks’
corrected age.
Als et al Pediatrics 2004,113:846-857
Familienorientierte Nachsorge
Was ist Case Management?
Definition „Bunter Kreis“
Eine am Bedarf und an den Bedürfnissen der
Familie orientierte
Begleitung, Unterstützung und Vernetzung,
die hilft mit der Erkrankung des Kindes und den
veränderten Lebensbedingungen der Familie
zurecht zu kommen.
Vom
Bedarf zum
Bedürfnis
3
Das Frühgeborenen-Team
Klinik
Bunter Kreis
Kinderkrankenschwestern
Sozialpädagogen
Psychologen
Kinderarzt
Familienstation
Neonatol. Stationen
Psychosoz. Dienst
Spezialambulanzen
Case Management in der
Begleitung von Eltern von FG
•
•
•
•
•
Informationsvermittlung
Anleitung
Interaktionsförderung
Stärkung des Vertrauens in die eigene Kompetenz
Evaluation der Ressourcen und des Hilfebedarfs
der Familie
• Psychosoziale Beratung
• Vernetzung
• Hausbesuche
PRIMA-Studie
F. Porz, M. Diedrich, P. Bartmann 2006
Uni-Kinderklinik Bonn
Randomisierte Studie
Klinikum Augsburg
Implementierungsstudie
Familien
ohne
Nachsorge
(Kontrollgruppe)
Familien
mit
Nachsorge
(Intervention)
Familien
mit
Nachsorge
n = 51
n = 53
N = 91
3 MesszeitPunkte: vor
Entlassung,
6 & 18 Monate
3 MesszeitPunkte: vor
Entlassung,
6 & 18 Monate
3 MesszeitPunkte: vor
Entlassung,
6 & 18 Monate
4
PRIMA-Studie: Fragestellung
Krankheitsbedingte
Belastungen
Hilfreiche
Psychosoziale
Ressourcen
Psychosoziale
Belastungen
Unterstützung
durch
Case-Management
Patientenfamilie
Hypothese der PRIMA-Studie:
Verbesserung der Mutter-Kind-Interaktion
Reduktion der Belastungen
Besseres Gesundheitsverhalten
PRIMA-Studie: Instrumente
Interaktion und mütterliche Sensibilität:
• BCHAPS: Boston City Assessment of Parental Sensitivity
(Zahr & Cole)
Vor Entlassung
• Video-Interaktions-Beobachtungen : MISPA
(Mother-Infant Structured Play Assessment, Wolke)
Mit korrigiert 6 Monaten
Psychosoziale Belastungen:
• Elterninterviews zur psychosozialen Belastung (FAI, PSI)
• Trierer Persönlichkeitsfragebogen (TPF)
• Partnerschaftsfragebogen (Dyadic Adjustment Scale)
Jeweils vor Entlassung und mit korrigiert 6 und 18 Monaten
sowie zwei Telefoninterviews 6 Monate bzw. 12 Monate nach
Entlassung
BCHAPS
Boston City Hospital Assessment of Parental Sensitivity
% 100
80
60
40
20
0
Reaktion
Sprechen
Berühren
Intervention
Bezogen
Freut sich
Kontrolle
Anteil der Mütter mit maximaler Punktzahl von 5 je Item
Mittelwerte Gesamtskalen Intervention 60,07
Mittelwerte Gesamtskalen Kontrolle 50,24 p 0,002
5
MISPA: Episoden
Videoaufnahmen der Mutter-KindInteraktion in fünf Spielsequenzen:
•
•
•
•
•
Strukturiertes Spiel
Freies Spiel
Aufmerksamkeitsweckung
Still Face
Reunion (freies Spiel)
2.5 Minuten
2.5 Minuten
1 Minute
1.5 Minuten
1.5 Minuten
MISPA: Kind Skalen
Emotionale Regulation des Kindes
3,5
3,4
3,3
##
3,2
3,1
#
##
#
3
2,9
2,8
2,7
2,6
2,5
E1
E2
E3
Intervention
# = p < 0.05
E4
E5
Kontrollgruppe
## = p < 0.01
MISPA: Mutter Skalen
Mütterliche Sensibilität
4,5
4,4
4,3
4,2
4,1
#
4
#
3,9
3,8
3,7
3,6
3,5
E1
E2
Intervention
E3
E5
Kontrollgruppe
# = p < 0.05
6
MISPA: Dyadische Skalen
Interaktion
4
3,9
3,8
3,7
#
3,6
3,5
3,4
3,3
3,2
3,1
3
E1
E2
E3
Intervention
E5
Kontrollgruppe
# = p < 0.05
MISPA: Mutter Skalen
Mütterliche Sensibilität
Gesundheitszustand des Kindes bei Entlassung
1
0,8
0,6
#
#
#
0,4
Differenz
Intervention –
Kontrolle
0,2
0
E1
E2
E3
E5
-0,2
gut
eher schlecht
MISPA: Mutter Skalen
Mütterliche Sensibilität
Sorgen, den Ansprüchen gerecht zu werden bei Entl.
1
0,8
0,6
#
#
#
0,4
Differenz
Intervention –
Kontrolle
0,2
0
E1
E2
E3
E5
-0,2
Keine Sorgen
Sorgen
7
Elterliche Übereinstimmung
Dyadic Adjustment Scale:
Differenz Score T1 -T2 bzw. T1-T3:
1
0,95
0,9
#
0,85
0,8
0,75
0,7
0,65
0,6
0,55
0,5
T1
T2
Intervention
T3
Kontrollgruppe
# = p < 0,05
Psychosoziale Belastung
PSI: Psychosozialer Stressindex
2,5
2,3
2,1
1,9
1,7
1,5
1,3
1,1
0,9
0,7
0,5
T1
T2
Intervention
T3
Kontrollgruppe
Was heißt das für die Praxis?
• Konzepte der individuellen Betreuung von
Frühgeborenen fördern die Hirnentwicklung in
einer besonders wichtigen Phase und
verbessern so das neurologische Outcome und
die Verhaltensentwicklung.
• Eine frühe interaktionsfördernde Begleitung der
Eltern verbessert die Beziehungsaufnahme
zum Frühgeborenen und kann so
möglicherweise spätere Regulationsstörungen
vermeiden helfen.
8
Unterstützung der Entwicklungsfördernden
Betreuung durch den Bundesverband
„Das frühgeborene Kind“
Leitsätze zur
entwicklungsfördernden Betreuung
in der
Neonatologie
www.fruehgeborene.de
Fortbildungsangebot des AZLS
Modulare Fortbildung:
• 5 Module innerhalb
von 1½ Jahren
• Zusätzliche Aufbaumodule
Wo kämen wir hin,
wenn niemand ginge
um zu schauen
wohin man käme
wenn man ginge
Danke
und
tschüss
Kurt Marti
9
Weitere Infos
•
•
•
•
www.stillen.de
www.fruehgeborene.de
www.bunter-kreis.de
www.beta-institut.de
Literatur
• Als H, Duffy F, McAnulty G (1996). Effectiveness of
individualized neurodevelopmental care in the newborn
intensive care unit. Acta Paediatr Suppl 416:21
• Als H, Gilkerson L, Duffy FH, McAnulty GB, Buehler DM,
Vandenberg K, Sweet N, Sell E, Parad RB, Ringer SA, Butler
SC, Blickman JG, Jones KJ (2003). A three-center,
randomized, controlled trial of individualized developmentally
supportive care for very low birth weight preterm infants:
medical, neurodevelopmental, parenting and caregivuing
effects. J Dev Behav Pediatr 24:399-408
• Als H, Duffy FH, McAnulty GB, Rivkin MJ, Vajapeyman S,
Mulkern RV, Warfield SK, Huppi P, Butler S, Conneman N,
Fischer C, Eichenwald EC (2004). Early Experience alters brain
function and structure. Pediatrics 113:846-857
• Buehler DM, Als H, Dzffy FH, McAnulty GB, Liederman J
(1995). Effectiveness of individualized developmental care for
low-risk preterm infants: behavioral and electrophysiologic
evidence. Pediatrics 96:923-932
Literatur
• Charpak N, Ruiz JG, Zupan J, Cattenaeo A, Figueroa Z, Tessier
R, Cristo M, Anderson G, Ludington S, Mendoza S,
Mokhachane M, Worku B (2005). Kangoroo mother Care: 25
years after. Acta Paediatrica 94:514-522
• Fischer CB, Als H (2003). Was willst Du mir sagen? Individuelle
entwicklungsförderne Pflege auf der
Neugeborenenintensivstation zur Förderung der Entwicklung
des frühgeborenen Kindes. In: Nöcker-Ribaupierre M (Hrsg.):
Hören – Brücke ins Leben. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
17-43
• Gutbrod T, Wolke D (2003). Bindungsaufbau bei sehr
frühgeborenen Kindern. In: Nöcker-Ribaupierre M (Hrsg.):
Hören – Brücke ins Leben. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
61-84
• Jotzo M (2004). Trauma Frühgeburt? Ein Programm zur
Krisenintervention bei Eltern. Frankfurt: Peter Lang
• Jotzo M, Poets CF (2005). Helping parents cope with the trauma
of premature birth: An Evaluation of trauma-preventive
pschycological intervention. Pediatrics 115:915-919
10
Literatur
• Linderkamp O, Beedgen B, Sontheimer D (1995). Das Konzept
der sanften Behandlung Frühgeborener von Marina Marcovic.
Eine kritische Bewertung. Int J Prenat Perinat Psychol Med
7:73-84
• Linderkamp O, Gharavi B, Schott C (2004). Das Konzept der
sanften Pflege frühgeborener Kinder – Eine Übersicht.
kinderkrankenschwester 23:312-316
• Porz F, Vonderlin E, Freud WE (1998). Psychosoziale
Betreuung Frühgeborener und deren Eltern. Int J Prenatal and
Perinatal Psychology and Medicine 10:89-96
• Porz F (2003). Case-Management in der Nachsorge bei
Frühgeborenen und Risikoneugeborenen nach dem Augsburger
Modell. In: Porz F, Erhardt H. Hrsg. Case-Management in der
Kinder- und Jugendmedizin. Neue Wege in der Nachsorge.
Stuttgart: Thieme 31- 34.
• Sarimski K (2000). Frühgeburt als Herausforderung.
Psychologische Beratung als Bewältigungshilfe. Göttingen:
Hogrefe
11
Wie kann man integrative Eltern- /Säuglings- und
Kleinkindberatung in der Elternberatung anbieten?
Ingrid Kloster, IBCLC
Indikationen für die Eltern-/Säuglings-Kleinkindberatung
„Schreiproblematik bei jungen Säuglingen
„Schlafstörungen
„Ess- oder Fütterstörungen
„Bindungsstörungen
„Abgrenzungsproblematik
„Chronische Erschöpfungs-
zustände bei den Eltern
„Aggression oder Ablehnung gegenüber dem Baby
„Depression
Die integrative Eltern-/Säuglings-Kleinkindberatung sollte
„Grundsätzlich lösungs- und ressourcenorientiert sein
„Individuell auf jedes Kind und die jeweiligen Eltern abgestimmt sein
„Auf die jeweils unterschiedlichen Beziehungen zugeschnitten sein
„In Kürze zu positivem Erleben führen
Wichtigste Ressourcen in der Beratung
„Intuitive elterliche Kompetenzen
„Integrative Kompetenz des Babys auf Grund von positiven, geglückten
Interaktionserfahrungen
Was ist die Aufgabe des Beraters?
„Eltern eine sichere Basis vermitteln
„Eltern durch Unterstützung und Begleitung in ihren intuitiven Kompetenzen und Fähigkeiten
stärken
„Eltern sensibel machen für die kindlichen Signale
„Eltern in die kindliche Erlebniswelt eintauchen lassen
„Dem Kind eine sichere Basis vermitteln
„Das Kind als aktiven Partner gemeinsam mit seinen Eltern wahrzunehmen und die Bedürfnisse
des Babys angemessen zu beantworten
„Den Bezug zum Alltag herstellen (Integration in das familiäre Umfeld)
„Positive Interaktionsmuster umsetzen
Wie kann die Beratung im konkreten Fall aussehen?
„Fallbeispiel Mira:
Alter bei Erstvorstellung drei Wochen
Problematik: Stillprobleme, kindliche Gedeihstörung
Zweiter Kontakt
„Im Alter von sechs Wochen zunehmende Schreiproblematik
„Überlange Wachphasen tagsüber
„Häufiges Erwachen nachts
„Immer wieder heftige Schreiattacken
„Baby trinkt sehr unruhig
„Lässt sich von der Mutter nur schwer beruhigen
„Mutter zweifelt daran, eine „gute Mutter“ zu sein
„Fühlt sich ausgebrannt und erschöpft
„Es kommt immer häufiger zum Streit mit dem Partner
Praktische Vorgehensweise
Erste Beratungsstunde:
„Weitervermittlung zur pädiatrischen Untersuchung (Ausschluss körperlicher Ursachen wie
Schmerzen usw.)
„Evtl. interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Osteopathen und Physiotherapeuten bei Bedarf
„Erste Hilfe- Maßnahmen
Timeout für Eltern
„Ablegen des Kindes bei großer Anspannung, Aggression oder Erschöpfung
„Erst selbst entspannen, dann erneuter Versuch, das Baby zu beruhigen
Psychische und körperliche Entlastung der Eltern
aufgefangen werden
„Ressourcen der Entlastung innerhalb und außerhalb der Familie müssen besprochen und
nutzbar gemacht werden
Dokumentation durch die Eltern über….
„Schlaf- und Wachzeiten
„Schreiphasen
„Still- oder Fütterzeiten
„Befindlichkeit des Babys in den Wachphasen
„Befindlichkeit der Eltern
„Schöne Momente im Tagesablauf
In den weiteren Beratungsstunden
Entwicklungsberatung
„Die Eltern bekommen Information über die aktuellen Entwicklungsaufgaben ihres Babys
Entwicklungsaufgaben 0 – 3 Monate
„Das Kind ist noch in besonderem Maße von der regulatorischen Unterstützung seiner
Bezugsperson abhängig
„Intensive physiologische Anpassungsprozesse laufen ab
„Babys mit einer gut entwickelten Selbstregulation können schon früh einen ruhigaufmerksamen Wachzustand aufrechterhalten
„Sie können bei Ermüdung abschalten
„Sie können sich durch Saugen an den Händen beruhigen und in den Schlaf finden
„Die belasteten Eltern müssen ernst genommen und
Was tut dem Baby gut?
„Vertraute Personen
„Ruhiges und langsames Sprechen
„Sanfte Berührungen
„Körperkontakt
„Getragen werden
„Regelmäßigkeit
„Struktur im Tagesablauf
„Rituale
„Saugen
„Ruhe und genügend Schlaf
„Eine zufriedene und ruhige Mutter
„Schnelle stimmige Reaktion auf seine Signale
„Kommunikation mit der Mutter während der Aufmerksamkeitsphasen
„Einsamkeit
„Lärm
„Helligkeit (zu grelles Licht)
„Unregelmäßigkeiten
Was mag das Baby nicht gerne?
„Angespannte, nervöse Mütter
„Hektik
„Zu viele Kontakte und Unternehmungen
„Starkes Schütteln und Schaukeln
Was sind Überforderungs-, oder Rückzugssignale?
„Stirnrunzeln
„Gähnen
„Schluckauf
„Kind geht aus dem Blickkontakt
„Kind dreht sich weg
„Kind zieht Arm oder Bein weg
„Kind schreit, weint
Was sind Kommunikationssignale?
„Augen des Kindes sind weit geöffnet
„Das Kind hält Blickkontakt
„Das Kind verfolgt mit den Augen
„Es lächelt
„Sein Körper wirkt entspannt
„Die Arme werden ausgestreckt
Normales Schlafverhalten eines Säuglings
„Die Erwartung sehr oft gestillt zu werden ist Babys angeboren (Dr. Katherine Dettwyler PhD)
Was spricht dafür?
„Die Zusammensetzung der Muttermilch
„Die Tatsache, dass bei allen höheren Primaten die Mütter ihre Jungen viele Jahre lang am
Körper tragen
„Die Größe des Magens eines Säuglings
„Die Schnelligkeit, mit der Muttermilch verdaut wird
„Die Notwendigkeit einer häufigen Nahrungszufuhr für das Wachstum des menschlichen
Gehirns
Kinder kommen mit der angeborenen Erwartung zur Welt, dicht neben ihren Eltern zu
schlafen
(Katherine Dettwyler PhD)
Therapie
„Das Ziel einer jeden Therapie sollte sein, die Eltern in ihrem natürlichen, intuitiven und
fürsorglichen Verhalten zu stärken
„Viele unserer sozialen Gesellschaftsaspekte hemmen diese elterliche Fürsorge
Therapie
„Therapieziel erarbeiten:
Einschlafen im eigenen Bett oder im Bett der Eltern?
Einschlafhilfen welcher Art?
Beziehungsstärkendes Einschlafritual
„Immer in der gleichen Reihenfolge ablaufend (Kind kann Erwartungshaltung aufbauen)
„Geborgenheit und Zärtlichkeit vermitteln
„Ruhige Umgebung
„Möglichst außerhalb des Bettchens
„Dem Entwicklungsstand angemessen
Reizreduktion
„Überreizung durch intensive, ständig wechselnde Stimulation vermeiden
„Schaffen von gemeinsamen Ruhesituationen tagsüber
„Übermüdung vermeiden, regelmäßig nach 1 bis 1,5 Stunden Wachphase wieder zum Schlafen
bringen
„Geregelten Schlaf- Wach- Rhythmus anbahnen, einen zyklischen Wechsel von Aufwachen-
Stillen- Wachphase- Schlaf einüben
„Ausnutzen der Wachphasen für entspannte Kommunikation, Spiele unter Berücksichtigung von
Ermüdungs- und Überforderungssignalen
„Befreiung von Beschäftigungsprogrammen und Förderdruck
„Stressfreien Spielraum schaffen, zum Beispiel Stillgruppe
…auch für Väter eine gute Erfahrung
„Zeit lassen
„Begleiten
„Unterstützen
„Rahmen geben
Kommunikationsanleitung
„Spontane Kommunikationsmuster während des Gespräches werden aufgegriffen und
besprochen
„Feinfühligkeitstraining mit den Eltern
„Entspannte Situationen des Zwiegesprächs oder des gemeinsamen Spiels werden genutzt um
positive Gegenseitigkeit zu erfahren
Videodiagnostik
„Wenn möglich Videoaufzeichnung einer gelungenen Eltern- Kind- Interaktion
„Dadurch gelingt es häufig, die elterlichen guten Fähigkeiten oder die des Babys deutlicher zu
machen und zu besprechen
Betrachtung der psychodynamischen Zusammenhänge
„Biographie der Eltern ( in diesem Fall eigene traumatische Kindheitserfahrung der Mutter)
„Unbewusste Trennungsproblematik
„Baby als Repräsentant unbewussten Erlebens eines Elternteils?
Interdisziplinäre Zusammenarbeit
„Weitervermittlung zu verschiedenen Therapiemöglichkeiten:
Familientherapie
Psychotherapie
Paartherapie
Literaturhinweise
„Largo, R.H.: Babyjahre
„Fries M.: Unser Baby schreit Tag und Nacht
„Papousêk M., Schieche M., Wurmser H.: Regulationsstörungen der frühen Kindheit
„Gonzales C.: In Liebe wachsen
„Stern D. N.: Die Mutterschaftskonstellation
Regulationsstörungen Erklärungsansätze
Vortrag Symposium 28.04.2006
Dr. Andreas Wiefel
Kinderarzt, Kinder- und Jugendpsychiater, Familientherapeut
HANDOUT: WWW.CHARITE.DE
Augustenburger Platz 1a, 13353 Berlin, Fon: 030/450 666 043 e-mail: [email protected]
Die Baby und Kleinkindsprechstunde
im Mutter-Kind Zentrum der Charité :
Geburtsmedizin und
Otto-Heubner Centrum für Kinder- und Jugendmedizin
Kinderkliniken
Ambulanzen und Stationen
Interdisziplinäres SPZ:
Geburtsmedizin/Neonatologie/Interdisziplinär/Neurologie
Interaktionssprechstunde als Querschnittsangebot
Anmeldung: 450 566 229 Leitung: Oberarzt Dr. A. Wiefel [email protected]
Inhalt
Schreien an sich:
Was ist das für ein Phänomen?
Homöostase und komplexe Modelle
Kondensat: Beziehung
Interaktionsdiagnostik
Internaler Zustand: (aus Beziehungen entstehend?)
Krankheit?
Behandlung
Besondere Risiken
Don‘t cry for me…
Begriff:
anhaltendes, unerklärliches Schreien.
Wessels-Kriterien: >3 Std. an >3 Tagen
subjektives Empfinden
Schreimuster
Interkulturell
Alvarez London 1996
mittleres Schreien in Dänemark so wie in USA und Grossbritanien
Tirosh Haifa 2003
jüdische und arabische Kinder gleich
Ursachen
Bankole Nigeria 2004:
Falsche Vorstellung, Fieber Unruhe etc hängt mit Zahnen zusammen
v.a. bei erfahrenen Hebammen und Männern
Thiel-Bonney Heidelberg 2004:
Geburtsstress kann Dysregulation befördern
Lucas London 1998
Flaschennahrung legt den Zeitpunkt des Schreiens nur vor
System der basalen adaptive Verhaltensregulation:
Toleranzgrenzen von Aktivierung und Hemmung
Papousek
Funktionszentriertes Modell
Papousek
Kommunikationszentriertes Modell
PIR-GAS Hofacker Altersstruktur
v. Hofacker, 1996
DC 0-3R
Achse II: Beziehung zur primären Bezugsperson
10
Misshandelnd
60
Gestresst
20
Akut gefährdend
70
Unausgewogen
30
Schwer gestört
80
Etwas unausgewogen
40
Gestört
90
Adaptiert
50
Dysfunktional
100
Gut adaptiert
Interaktionsdiagnostik
Regulationsstörung in den ersten Monaten
Still-face
Exzessives Klammern/Unzufriedenheit
Spielprobleme im zweiten Halbjahr
Spiel mit kurzer
Trennung
Motorische Umtriebigkeit
Wickelsituation
Trotzverhalten im zweiten Lebensjahr
Regeln oder kleine
Verbote im Setting
Gedeihstörungen
Fütterinteraktion
„Familiendynamik“
Adaptation des
„Lausanner Spiels“
Internaler Zustand
Fuller Denver 1994
Schreien von Schreibabys ist stärker ausgeprägt als bei Kontrollen
und spricht für Statusdysregulation
Barth Hamburg 2000
Symptome sind Ausdruck des „internal state“ (internaler Zustand).
Kindliche Signale werden oft falsch verstanden und Antworten ist schwierig
Cole Peenysilvania 1994
Wird aus dem Status ein Aspekt der Persönlichkeit?
Internaler Zustand
Lehtonen Finnland 1994
Kinder mit Koliken haben gleiches Temperament und Schlafmuster wie
Kontrollen, aber Mütter sehen sie negativer
Blum Philadelphia 2002
Temperament mit 4 Wochen korreliert mit Schreien mit 2 Monaten
Krankheit?
Wake Melbourne 2006
Wenn an mindestens drei Messpunkten bis 24 Monate unstillbares Schreien
war, dann erhöhte Depression der KM und Verhaltensauffälligkeit beim Kind
ADHS?
Wolke ja, Laucht nein
Leitlinien Diagnostik
Tipps und Tricks oder soft skills?
Bücher
Leitlinien Therapie
Therapie - Evidenz
St James London 1995
Tragen, besser kümmern, nichts tun macht keinen Unterschied
Parkin Toronto 1996
Edukation, Auto fahren, nichts tun macht keinen Unterschied
Jordan Melbourne 2006
Behandlung mit Placebo vs Medis vs Gespräch reduziert Schreien gleich.
Weniger PT nötig in der PT Gruppe.
Dias New York 2005
Aufklärung und Alternativen senkt Schütteltrauma um 50%
Richtungen
Interaction guidance
Watch, wait and wonder
Psychoanalytische Modelle
Körpertherapie
Allgemeine Empfehlungen
• Adäquates Säuglingshandling
• Strukturierung des Tagesablaufs
• Psychosoziale Entlastung der Bezugsperson
• Sicherstellung ausreichender Tagschlafphasen
• Vermeiden von Übermüdung und Überreizung/-stimulation
• Anpassung der Beruhigungspraktiken
Therapieelemente 1
•Entwicklungspsychologische Beratung
•Ergotherapie/Logopädie/Sozialarbeit (Jugendamt, Helferkonferenz)
•Video feed back anhand ausgesuchter, standardisierter
und freier Beobachtungen von Interaktionssequenzen
•Mutter/Vater-Säuglings-Psychotherapie:
•Therapeutisches Spielen bzw. Therapeut-geleitete Interaktion
sowie Therapeutenspiel und elterliche Beobachtung
•Verbalisierung, Darstellung und Utilisation affektiver Prozesse
•Systemisch orientierte Familientherapie
Therapieelemente 2
•Fokale Gesprächstherapie mit dem Ziel der Identifizierung
•protektiver Faktoren bzw. ungenutzter Ressourcen
•Einzeltherapie der Eltern(teile)
•Pflegerisch-erzieherische Verfahren zur Entspannung und
Förderung der Eltern-Kind Beziehung (z.B. Babymassage, Badeverfahren)
•Angeleitetes Interaktionstraining
z.B.: Schlafstörungen: „checking“
•Gruppentherapie mit Eltern
Stationäre Therapie - Wochenplan
Zeit
Montag
8
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Frühstück
Frühstück
Frühstück
Frühstück
9
Aufnahme
Visite
Visite
Visite
Visite
10
Anamnesegespräch
Entwicklungsdiagnostik
Somatische
Diagnostik
Videodiagnostik
Video feedback
und -therapie
Mittag
Mittag
Mittag
Mittag
Mittag
Stationseinführung
Babyhandling
Babyhandling/
Therapie
Therapie
Abschlussintervention
17
Anamnesegespräch
Elterngruppe
18
Abendessen
Abendessen
Abendessen
Abendessen
19
Einschlafzeit
Einschlafzeit
Einschlafzeit
Einschlafzeit
11
12
13
14
15
16
Elterngespräch
Kindergruppe
Therapiepfade
1. Kurzberatung
•1-2 Termine insgesamt, follow up
2. Mittlere Intensität der Maßnahmen:
•Familientherapie, funktionelle Therapien
•Interdisziplinäres SPZ für chronisch kranke Kinder
•Elterngruppe, sequentiell stationär
•Externe Ergänzungen (Einzeltherapie)
•Coaching, Evaluation, 3-6 Termine/Quartal
3. Hohe Intensität der Maßnahmen:
•„Case management“
•Stationäre Therapie/Jugendhilfe, Eltern-Kind Einrichtung
•Jugendamt, Helferkonferenz, Sozialarbeit
•Systemisches Coaching, Evaluation, 1-4 Termine/Quartal
„Earned
security“
„Soziale
Kontrolle“
Vernetzung
Kooperation, Zuweisung, Vernetzung:
Schwangerenberatung
Geburtsmedizin/Hebammen
Geburtshaus
Kinderärzte/KJP ambulant/stationär
Frühförderung
Beratungsstellen
Gesundheitsamt/Jugendamt
Psychiatrie
Take-Home
Klassifikation DC 0-3R: Beziehung
Eltern-Kind-Interaktion ist ein zentraler Mediator
Vertrauen Sie Ihrem „first glance“
Schweregrad beachten
Suchen Sie sich komplementäre Partner für Diagnostik und Therapie
der frühkindlichen Psychosomatik (Interdisziplinarität)
Literatur
Buchheim, A; Brisch, KH: Die klinische Bedeutung der Bindungsforschung. 1999
Cierpka, M
Dornes, M: Der kompetente Säugling. 1993
Dornes, M: Die frühe Kindheit. 1997
Dornes, M: Die emotionale Welt des Kindes. 2000
Fries, Mauri: Unser Baby schreit Tag und Nacht
Freud, A: Die Schriften der Anna Freud. 1980
Hartmann, HP
Keller, H: Entwicklungspsychologie. 1998
v. Klitzing, K (Hg.): Psychotherapie in der frühen Kindheit. 1998
Oerter, R (Hg.): Entwicklungspsychologie. 1995
Papousek, M: Regualtionsstörungen. 2004
Spitz, R: Die Entstehung der ersten Objektbeziehungen: Direkte Beobachtungen an
Säuglingen im ersten Lebensjahr. 1954
Stern, D: Die Lebenserfahrung des Säuglings. 1992
Stern, D: The Birth of a Mother/Mutterschaftskonstellation. 1998
Wiefel, A et al.: Emotional Availability in Infant Psychiatry. 2005
Wiefel, A: Schreibabys. 2005
Zero to Three: DC 0-3R. 2005
Ziegenhain, U
Am 28. und 29.04. veranstaltete das Ausbildungszentrum für Laktation und Stillen in Kooperation mit
der GAIMH Deutschland in Berlin auf dem Campus Virchow Klinikum der Charité das
interdisziplinäre Symposium „Schreien, Schlafen, Wachen. Normale Krisen und Regulationsstörungen
im Kindes- und Jugendalter.“
Im ersten Vortrag des Diplom-Psychologen Markus Wilken stand die Situation von Eltern mit
Säuglingen mit Regulationsstörungen im Mittelpunkt. Die Eltern leiden in der Regel unter akutem
Schlafmangel, Selbstzweifeln und Schuldgefühlen dem Kind gegenüber. Ziel der Elternberatung ist es,
je nach Bedarf Erholungsmöglichkeiten für die Eltern zu schaffen, positive Kontakterfahrungen
zwischen Eltern und Säugling zu ermöglichen und den Eltern das Gefühl zu vermitteln, dass sie
kompetent sind, so dass sie wieder den Zugang zu ihren intuitiven Elternfähigkeiten finden.
Anschließend wurden die individuellen Schlafbedürfnisse von Babys und die Erwartungen der Eltern
näher beleuchtet. Weinen und nächtliches Aufwachen sind wichtige frühkindliche Regulatoren der
Nahrungsaufnahme. Weint ein Baby sehr selten und schläft schon früh durch, kann das sogar ein
erhöhter Risikofaktor für die Entwicklung von Gedeihstörungen sein, da das Baby womöglich nicht
die optimale Nahrungsmenge einfordert. Dass ein Kind nachts durchschläft, kann in der Regel erst
zwischen dem 6. und 8. Lebensmonat erwartet werden, weil erst jetzt der Tag-Nacht-Rhythmus voll
entwickelt ist. Schlafstörungen sind das häufigste Störungsbild in der frühen Kindheit. Nicht selten
erwarten Eltern mehr Schlaf, als dem kindlichen Schlafbedürfnis entspricht. Als Ursachen von
Schlafstörungen in der frühen Kindheit werden häufig unsichere Bindung, dysfunktionale
Interaktionsmuster und eine unklare Tagesstruktur diagnostiziert. In der Therapie stehen die ElternKind-Kommunikation, die Einführung eines Schlafrituals und die Strukturierung alltäglicher Abläufe
im Fordergrund.
Im Vortrag der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Dr. Mauri Fries stand dann in Ergänzung
zum Vortrag von Markus Wilken das Kind im Zentrum. Das Baby zeigt durch Feinzeichen in
Motorik, Mimik, Interaktionsverhalten und Zeichen des autonomen Nervensystems (Zittern, Blässe,
kalte Händchen, Schluckauf, etc.) seine Belastung. In der Arbeit mit Eltern mit Säuglingen mit
Regulationsstörungen schult Frau Fries die Eltern in der Wahrnehmung der Feinzeichen des Babys
und fördert so gleichzeitig die Intuition der Eltern. Durch die aufmerksame Beobachtung ihres Babys
nehmen die Eltern das Baby und auch sich selbst (wieder) bewusster wahr, was eine wichtige Basis für
eine gelingende und positive Interaktion und Koregulation ist.
Dr. Alfred Wiater vom Schlafmedizinischen Zentrum des Krankenhauses Porz am Rhein wies in
seinem Vortrag auf die Bedeutung der Diagnostik im Schlaflabor im Säuglings- und Kleinkindalter
hin. Eine Diagnostik im Schlaflabor ist dann ratsam, wenn ein Kind sich sehr häufig verschluckt und
dabei blau anläuft, sehr unruhig schläft oder auch bei exzessivem Schwitzen in der Nacht. Durch die
Schlaflabordiagnostik können Sauerstoff-sättigungsabnomalien festgestellt werden, die eine
medizinische Behandlung erfordern.
Dr. Andreas Wiefel, Leiter der Baby- und Kleinkindsprechstunde der Charité, gab in seinem Vortrag
einen Überblick über mögliche Ursachen für frühe Regulationsstörungen. Häufig werden
dysfunktionale Kommunikationsmuster zwischen Eltern und Kind, Überstimulierung des Babys, präund perinatale Streßfaktoren, sozioökonomische Belastungen und/ oder adoleszente Eltern im
Zusammenhang mit frühen Regulationsstörungen diagnostiziert, so dass die Beziehung zwischen den
Eltern und ihrem Kind eine zentrale Stellung in der Behandlung einnimmt. Wichtig ist jedoch in jedem
Fall, dass vor einer psychotherapeutischen Behandlung mögliche medizinische Ursachen der
Regulationsstörung abgeklärt werden.
Die Diplom-Psychologin Jule Dräger stellte den Ansatz Emotionelle Erste Hilfe als Maßnahme der
Krisenintervention für Eltern mit Säuglingen mit Regulationsstörungen vor. Die hilfesuchenden Eltern
sind verzweifelt, fühlen sich hilflos und sind körperlich verspannt. Die Eltern sind nicht im inneren
Gleichgewicht, haben den Kontakt zu sich selbst verloren. Dadurch können sie nicht mehr in einen
emotional stabilisierenden Kontakt mit ihrem Baby treten und es nicht bei der Regulation seiner
Gefühle unterstützen. Der Ansatz sieht die gute Selbstregulation der Eltern als grundlegende
Voraussetzung für eine gute Bindungsregulation zwischen den Eltern und ihrem Kind. Durch
Körperarbeit und Atmung werden die Eltern wieder „mit sich selbst angebunden“ und können so
wieder einen positiven emotionalen Kontakt zu ihrem Kind herstellen. Die Eltern erkennen, dass sie
durch ihre Fähigkeit, sich zu entspannen und bei sich zu bleiben, ihr Baby positiv beeinflussen. Diese
Erfahrungen stärken das Selbstvertrauen und die intuitiven Fähigkeiten der Eltern. Das Verfahren ist
leicht anwendbar und sehr erfolgreich, was von verschiedenen Teilnehmern der Veranstaltung, die
dieses Verfahren in der Praxis anwenden, bestätigt werden konnte.
Dr. Michael Schieche vom Kinderzentrum München stellte Präventionsmöglichkeiten durch Spielund Aufmerksamkeitsregulation in der frühen Kindheit für Eltern und ihre chronisch unruhigen
Säuglinge vor. Im Zentrum dieses Ansatzes steht die Eltern-Kind-Interaktion. Das gemeinsame Spiel
von
Eltern
und
Kind
ermöglicht
eine
zwanglose
und
positive
Interaktion,
Selbstwirksamkeitserfahrungen für das Kind und positives gemeinsames Erleben. Die Eltern werden
in Gesprächen und mithilfe von Videoaufzeichnungen für die kindlichen Signale und ihre eigenen
Kompetenzen sensibilisiert. Ziel ist die Entwicklung funktionaler Interaktionsmuster und
Komunikationsformen, die das Kind in seiner Selbstregulation unterstützen und die Bedürfnisse aller
Beteiligten berücksichtigen.
Dr. Heiner Biedermann als Spezialist für orthopädische Pathologie im Kindesalter erläuterte das
KISS-Syndrom als mögliche Ursache für Schlafstörungen und exzessives Schreien im Säuglingsalter.
KISS – Kopfgelenk-Induzierte SymmetrieStörung – ist eine funktionelle Störung der oberen
Halswirbelsäule. Ursachen sind schwere Geburten, z.B. Saugglocke, Beckenschieflage u.ä. Es scheint
jedoch auch eine genetische Veanlagung ursächlich zu sein, da die Eltern betroffener Kinder, in der
Regel das gleichgeschlechtliche Elternteil, sehr häufig ebenfalls diese Symptomatik aufweisen.
Kennzeichen sind deutliche Asymetrien im Gesicht, schiefe Halsstellung, Überstreckung nach hinten
u.ä. Auffälligkeiten in der Haltung. Für KISS-Kinder sind Einschlafstörungen typisch und auch
häufiges Schreien ist nicht selten. Bei entsprechender Diagnosestellung schlafen die Kinder nach der
erfolgten manuellen Therapie in der Regel ruhiger. Auch bei den Schreibabys lässt das Weinen nach
der Behandlung in 60 % der Fälle deutlich nach.
Die Ergotherapeutin Claudia Adams vom Kinderzentrum München stellte die Möglichkeiten
ergotherapeutischer Interventionen bei motorischer Unruhe, Aufmerksamkeitsdysregulation und
leichter Irritierbarkeit in der frühen Kindheit vor. Durch gezielte und wiederholte Angebote von
Sinnesreizen – z.B. Berührung der Haut, Schaukeln, gemeinsames Spiel, etc. – werden die Aufnahme
und Integration von Sinneseindrücken unterstützt, die Körperwahrnehmung und die motorische
Koordination gefördert und die Fähigkeiten der Selbstregulation des Kindes gestärkt und erweitert. In
Zusammenarbeit mit den Eltern werden durch Gespräche, Videoaufnahmen und individuelle
Maßnahmen, wie z.B. Babymassage, Unterstützung bei einer optimaleren Strukturierung der
alltäglichen Abläufe in der Familie u.ä. die elterlichen Ressourcen und Kompetenzen gestärkt.
Die Hebamme und Familientherapeutin Margarita Klein vom Hamburger Kreisel e.V. stellte die
Möglichkeit der Körperorientierung und Babymassage in der systemischen Familientherapie vor. In
ihrer Arbeit mit Eltern mit Babys, die exzessiv schreien, sehr unruhig sind, schlecht schlafen und/ oder
problematisches Fütterverhalten zeigen, ermöglicht Margarita Klein den Familien durch Gespräche,
Videofeedback und Berührung neue Erfahrungen. Dadurch werden die Familien unterstützt, ihre
Ressourcen zu erkennen, die für sie passende Lösung zu finden und konstruktive Veränderungen zu
meistern. Der Berührung durch Massage kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Die Berührungen
ermöglichen das „sich fühlen“, das Finden der eigenen Mitte, sowohl für das Baby als auch für die
Eltern. Die Babymassage ermöglicht einen positiven und entspannten Kontakt zwischen Eltern und
Baby und schafft so eine neue Basis für eine positive Kommunikation und Koregulation.
Der österreichische Kinderarzt Dr. Franz Paky beleuchtete die Thematik „Baby im Elternbett –
Geborgenheit oder Gefahr?“ Weltweit ist dies die häufigste Form des Schlafens. Immer wieder haben
verschiedene Studien jedoch auf die Gefahr, insbesondere bzgl. des plötzlichen Kindstodes,
hingewiesen. Dr. Paky zeigte auf, dass bislang aber keine der Studien einen eindeutigen
Zusammenhang belegen konnte, wenn Risikofaktoren, wie Nikotin-, Alkohol- oder Drogenmissbrauch
der Mutter o.ä. berücksichtigt werden. Säuglinge, die – unter günstigen Bedingungen - im Elternbett
schlafen, weinen weniger und gedeihen besser. Das Schlafen im Elternbett kann also durchaus als
präventiver Faktor für frühkindliche Regulationsstörungen gesehen werden. Wichtig ist eine
differenzierte Betrachtung, denn nicht für alle Eltern und Säuglinge ist diese Form des Schlafens
optimal. Das Schlafen im Elternbett sollte deshalb jedoch nicht grundsätzlich als zu gefährlich
abgewertet werden.
Im Vortrag von Dr. Martina Jotzo aus der Neonatalogie standen die Kommunikationsprobleme
zwischen Eltern und Kind im Mittelpunkt. Frühe Regulationsstörungen sind oft auch Ausdruck einer
missglückten Kommunikation zwischen den Eltern und ihrem Baby. So überfordern Eltern von sehr
häufig weinenden Babys nicht selten ihr Kind mit zu vielen Angeboten, wie tragen, auf dem Petziball
hüpfen, ständiger Haltungswechsel des Babys, etc., um es zu beruhigen. So entsteht ein Teufelskreis:
Das Baby zeigt durch Weinen seine Überforderung, wird von den Angeboten der Eltern jedoch noch
mehr überfordert. Die Eltern versuchen immer neue Strategien, um ihr Baby zu beruhigen, so dass am
Ende beide Seiten – Eltern und Kind – überfordert sind.
Ingrid Kloster berichtete aus der Praxis ihrer integrativen Eltern-Säuglings-/ Kleinkindberatung bei
exzessivem Schreien, Schlafstörungen und Fütterstörungen. Die Beratung ist ressoucen- und
lösungsorientiert, informiert über die Entwicklung des Kindes und unterstützt positive
Interaktionserfahrungen. Als sehr wichtig hat sich die Kooperation mit medizinischen und
therapeutischen Einrichtungen erwiesen, an welche Frau Kloster die Eltern gegebenenfalls
weiterverweisen kann.
Abschließend berichtete Dr. Friedrich Porz, OA der Kinderklinik Augsburg und stellvertretender
Geschäftsführer des Vereins „Bunter Kreis“, vom Augsburger Case-Management- und
Nachsorgemodell. Eltern mit sehr frühgeborenen Säuglingen werden schon während des
Klinikaufenthaltes von einem interdisziplinären Team begleitet, welches die Eltern psychisch, sozial,
medizinisch und finanziell unterstützt und die Familie auch nach der Entlassung so lange wie nötig
begleitet. Im Durchschnitt können die Eltern früher entlassen werden und es kommt seltener zu
Wiedereinweisungen.
Die Veranstaltung hat verdeutlicht, wie komplex das Thema früher Regulationsstörungen ist. Um die
Diagnostik, Prävention und Therapie früher Regulationsstörungen weiter verbessern zu können, ist die
interdisziplinäre Zusammenarbeit von wesentlicher Bedeutung. Entwicklungsbedarf besteht
insbesondere in der Vernetzung und Kooperation sowie in der Diagnostik für null bis 3jährige. Des
weiteren fehlen bislang Längsschnittstudien, die Aussagen über mögliche Langzeitfolgen früher
Regulationsstörungen erlauben.
Über die Internetseite des Ausbildungszenrtums für Laktation und Stillen – www.stillen.de – werden
in Kürze die Vorträge der Referent(inn)en erhältlich sein.
Internetseiten der Referent(inn)en
www.markus-wilken.de
www.mauri-fries.de
www.charite.de/rv/kpsych/baby.html
www.jule-draeger.de
www.emotionelle-erste-hilfe.de
www.kinderzentrum-muenchen.de
www.kiss-info.de
www.kreiselhh.de
www.bunter-kreis.de