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Kapitel 2
D
ie Fashion-Branche zeigt, dass die fortlaufende
Innovation ein Wachstumsmotor ist. Ständig neue
Trends in Formen, Materialien und Farben schaffen für
die Unternehmen immer neue Chancen beim Werben um
die Gunst der Endverbraucher. Man könnte geneigt sein,
den Unternehmen die größten Erfolge zuzuschreiben, die
aktuelleTrends am schnellsten aufgreifen. Manche Unternehmen richten ihre ganze Marke auf solche Trends
aus. Sie sind schnell erfolgreich. Aber wie lange? Inwiefern
die Balance zwischen der Aufnahme von Trends und der
Wahrung von Markeninhalten ein Merkmal nachhaltigen
Erfolgs ist, lässt sich schwer fassen. Die Praxis zeigt, dass
diesen beiden Perspektiven in den Unternehmen sehr
unterschiedliche Bedeutung beigemessen wird. Nur wenige Familienunternehmen haben es geschafft, die Marke
nicht nur zu erhalten, sondern auch durch angemessene
Innovationen nachhaltig begehrlich zu machen. Das kann
allerdings nur den Unternehmen gelingen, die sich ihrer
Markeninhalte bewusst sind, diese „kultivieren“ und in
der Vielfalt des unternehmerischen Handelns auch leben.
Welche Erkenntnisse und Perspektiven dabei weiter helfen,
zeigt Franz Peter Falke. Als Präsident des Markenverbandes wie auch als Unternehmer der Fashion-Branche gibt er
dazu einige Einblicke und Gedanken.
Franz Peter Falke
Entstehung und Bedeutung
starker Marken
Marke ist erheblich mehr als das Warenzeichen, das dem bewährten
Produkt Respekt und stabile Umsätze verschafft. Marke ist das Symbol
einer höchst persönlichen, in inhabergelenkten Unternehmen sogar
Differenzierung und
Orientierung
durch Marke.
personifizierbaren Weltanschauung. Sollte dem Leser „Weltanschauung“ zu pathetisch vorkommen, schlage ich den Begriff „Denkweise“
vor. Noch hautnäher klingt „die Beziehung zwischen Lebensart und
Produkt-Ästhetik“.
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Vorbilder: Die internationalen Couturiers
Meine Laudatio auf die Person und die Marke Giorgio Armani kommt
nicht von ungefähr: Unsere Firmengruppe hatte den Kontakt zu ihm
schon im Stadium seines Debüts am Corso Venezia in Mailand aufgenommen. Außer seinem kaufmännischen Kompagnon Sergio Galeotti
und einer Schnitt-Direktrice gab es kein weiteres Fachpersonal; die gewinnende Selbstsicherheit des damals vierzigjährigen Designers unterschied sich jedoch nicht vom Auftritt des heute dreiundsiebzigjährigen,
erfolgsverwöhnten Mannes. Seit 1975 hatte ich häufiger Gelegenheit,
ihm in seinem Atelier zu begegnen und, sowohl beim persönlichen
Gedankenaustausch als auch am konkreten Beispiel seiner mannigfachen Kreationen, Einblick in die Realität seines Gesellschaftsmodells
zu gewinnen. Er ist Couturier, Möbeldesigner und Innenarchitekt. Sein
Ziel ist nicht der modische Gimmick, sondern die perfekte Harmonie
der Objekte mit dem menschlichen Milieu, dem sie dienen.
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Die neue Konsumkultur
Das Loblied auf die Vorzüge hochwertiger Marken ist inzwischen zur
Hymne der meisten Industrie- und Handelstagungen geworden. Auch
wenn der Umsatz billiger Erzeugnisse nicht spürbar darunter leidet, gedeiht parallel zum Mengenmarkt ein wachsendes Qualitätsbewusstsein
und die Suche nach der Erfüllung subjektiver Designerwartungen. Ich
habe das Phänomen, in Ermangelung einer treffenderen Bezeichnung,
„die neue Konsumkultur“ genannt, wohl wissend, damit einen vormals negativ besetzten Begriff umzubiegen.
Als die handwerkliche Fertigung des täglichen Bedarfs der industriellen
Herstellung wich, büßte das Warenangebot weder Vielfalt noch Gebrauchstüchtigkeit ein, wohl aber die Spuren der Handarbeit und der
sentimentalen Beziehung zwischen Fertigern und Verwendern. Feine
Leute trugen ausschließlich „Maßkleidung“, die der Schneider ihres
Vertrauens eigenhändig entwarf, schnitt und nähte. Anzüge „von der
Stange“ blieben bis in die späten fünfziger Jahre unter der abwertenden Überschrift „Konfektion“ minderprivilegierten Käuferschichten
vorbehalten.
Zwischen den beiden Weltkriegen – und noch eine Weile danach –
wurden die Einkäufe der gesellschaftlichen Mitte fast immer mit
zweckdienlichen Absichten begründet; verschwenderische Investitionen in Chic oder ähnliche gefallsüchtige Kategorien stießen in bür-
Konsum ist die unverzichtbare
Bedingung einer sinnvollen Produktion.
gerlichen Kreisen leicht auf Befremden. Das Unwort „konsumieren“ kam nur im Vokabular der
Wirtschaftswissenschaftler vor, ein Neutrum ohne
den sozialkritischen Beigeschmack, den beispielsweise die „Konsum-Genossenschaften“ verfolg-
ten. „Konsum“, das wussten alle Ökonomen, ist die unverzichtbare
Bedingung einer sinnvollen „Produktion“, gleichwohl erreichten beide
Begriffe nicht des Käufers Gemüt!
Diesem unbefriedigenden Sachverhalt konnte die aufblühende „Konsumgüterindustrie“ nicht tatenlos zusehen. Einfallsreiche Werbeagenturen lockten den schüchternen Käufer aus seiner Reserve und ver26
wandelten ihn zu einem gelehrigen Akteur im Wechselspiel von Produktion und Konsum, an dem er zweifach beteiligt ist. Nur wenige
Konsum-Abstinenzler werden die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit des
Verbrauches und des Angebots stets neuer Verlockungen in Frage stellen. Aber dass Erwerb und Verwendung käuflicher Industrieprodukte
schöngeistige Bereicherung zu stimulieren vermögen, gilt als unverhoffte Errungenschaft.
Eine Dimension der Stimulanz aller Sinne ist das Design. Design ist
kulturelles Erfühlen, Konzeption, Intelligenz, Abgrenzung. Design visualisiert Botschaften.
Die spezifische Begabung eines Formgestalters überträgt sich naturgemäß auf die ästhetische Eigenart seiner Schöpfungen, die ihrerseits
alle typischen Merkmale einer Marke definieren. Die Marke wird zum
Sympathiemagneten einer gleichgesinnten Interessengemeinde und
deren Lebensweise. Die weitgehende Identität der kreativen Impulse
des Designers und der latenten Erwartungen seiner Verehrer veredelt
Konsum zu Konsumkultur.
Wir alle kennen gewichtige wirtschaftliche Argumente, die für das
Markenerzeugnis und gegen den mörderischen Wettbewerb um das
billigste Produkt sprechen. Seriöse Preiswürdigkeit, verlässliche Qualität, ererbtes Prestige, Überlegenheit über die wohlfeile Nachahmung
werden von Markenkäufern bereitwillig honoriert.
Nicht selten bieten uns Marken gesellschaftliche
Milieu-Entwürfe an, die uns, befristet oder dauerhaft, befriedigen: Mobiliar, Kleidung, Kosmetik,
Marken bieten gesellschaftliche
Milieu-Entwürfe an.
Nahrungsmittel, Automobile und häusliche – minimalistische oder opulente – Szenarien der Wohnlichkeit treffen unseren Lebensstil, also das, was unserem ästhetischen Anspruch Ausdruck
verleiht.
Auf diesem Niveau beginnen schöngeistige Argumente wirtschaftliche
Dynamik zu entwickeln. Eine Beobachtung, die mich bisweilen dem
Verdacht ausliefert, ein Utopist zu sein – die Kontrastfigur eines handfesten Praktikers also.
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Es mag sein, dass ich mich vom traditionellen Praxisverständnis von Industrie und Handel entferne, wenn ich die Ebene der „Konsumkultur“ erklimme, um das Phänomen „Marke“ als ein Element der so genannten
„Lebensqualität“ zu enttarnen: Mit einem „Markenartikel“ erwerben
wir einen Mosaikstein unseres ganz persönlichen Bedarfs an Lebensart.
Und vorbildliche Lebensart gilt als ein Hochziel unserer menschlichen
Existenz! Noch mehr Marken-Value ist momentan nicht vorstellbar!
Das Konsumieren ist die wirtschaftlich und moralisch vernünftige Verhaltensweise der Bürger der Industriegesellschaften. Doch marktwirtschaftliche Vernunft ist nur die Vorstufe zu dem, was am anschaulichsten mit dem Begriff „Konsumkultur“ umschrieben wird. Die Zielobjekte
des Kaufaktes sind so mannigfach wie die subjektiven Lebensprioritäten
oder Stilprägungen gesellschaftlicher Gruppen oder Grüppchen. Diese
Interessenvielfalt bereichert das Leben enorm und auf neue Weise.
Schon die Inspektion der Warenauslagen, der „Einkaufsbummel“ vorbei an Wettbewerbspräsentationen berühmter Modemacher, Automobildesigner, Konditormeister, Konzertagenten, Buch- oder Möbelhändler, verwandelt die Straßen in lang gestreckte Schaubühnen. Produziert
haben wir das Mirakel selbst, jeder auf seine Weise. Es handelt sich
Konsumkultur – womöglich
das wichtigste Verdienst
der Marke.
um die Kreation von Kultur, von begehrenswerter Lebensweise, um ein
bisschen Kommerz und eine Menge Kultur. Konsumkultur ist womöglich das wichtigste Verdienst der Marke!
Hersteller werden zu Designern und Händlern, Designer werden Hersteller und Händler. Händler werden Hersteller und Designer, und alle werden zu Bühnenbildnern und Choreografen, die sich um die Inszenierung
faszinierender Erlebniswelten kümmern. Falke beispielsweise macht
seine Marke mittels seines Flagship-Stores auf dem Berliner Kurfürstendamm – ein weiterer soll folgen – sowie über Shop-in-Shops emotional
erlebbar, schafft mit edlen, natürlichen Materialien wie Holz und Leder
und seiner typischen, „verführerischen“ Fotografie begehbare, dezentrale Markenwelten.
Das Denken in, das Angebot von und das Reagieren auf LebensstilWelten schafft neue Erfolgskriterien. In ihrem Auftrag macht die Kommunikatonstechnik Jahr für Jahr kühnere Sprünge über Kontinente
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hinweg. Von Alaska bis Sizilien finden Gesinnungsgemeinschaften
und Konsumpräferenzen zueinander. Online. Auch mit Online-Shops
ist Falke präsent.
Globalisierung bedeutet nicht notwendigerweise Nivellierung. Spezifische Lebensideale und Konsumwünsche von New Yorker und Mailänder Gesinnungsgenossen begegnen sich im Äther. Neue Ziele und
Medien des Marketings gewinnen neue Umrisse. Signale der Identität
weit voneinander entfernter Konsumfreaks suchen und finden die adäquate Marke. Nutzen wir die neuen Perspektiven und Chancen für
unsere Marken. Betreten wir das magische Universum mannigfacher
Identitäten feinfühlig und zielstrebig.
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Der Markenliebhaber verlässt sich auf die Vernunft
seiner Emotionen.
Plädoyer für sinnstiftende Marken
Marken sind kapriziös und bedürfen ständig intensiver Pflege. Tag für
Tag, Jahr für Jahr. Bis sie die Reife von Legenden erreicht haben und, in
Ermangelung von Plausibilität, Stoff für bezaubernde Märchen liefern.
Ich kenne jemand, der allen Ernstes dazu rät, die aussichtslosen Versuche rationaler Begründungen von Markenerfolgen durch romantische
Literatur, nach Möglichkeit Märchen, zu ersetzen, damit auch Kinder
frühzeitig instinktiven Zugang zum Wesen einer Marke finden.
Meine umfangreichen Plädoyers für die kulturstiftende Funktion der
Markenprodukte und ihres Konsums habe ich seit Jahren mit missionarischer Beharrlichkeit vorgetragen. Heute
Markenverehrer pflegen eine gefühlsbetonte
Beziehung zum Objekt ihrer Leidenschaft.
kann ich Ihnen eine vielversprechende Steigerung anbieten: Markenverehrer pflegen
eine gefühlsbetonte Beziehung zum Objekt
ihrer Leidenschaft. Weniger sentimentale
Analysten des Markenphänomens versuchen sich an seiner wissenschaftlichen Entschlüsselung.
Die so gewonnene Literatur füllt die Archive einschlägiger Herausgeber und Agenturen, aber die Herzen der Markenfreaks lassen sie kalt.
Warum? Weil der Markenliebhaber sich auf die Vernunft seiner Emo30
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tionen verlässt. Die Beziehung zu Marken beruht selten auf rationalen
Motiven. Markenkultur erschließt sich spezifischer Poesie. Man muss
sich also fragen, ob sich der Kontakt zu ihr überhaupt mittels prosaischer Argumente bewerkstelligen lässt. Vermittelt die geistreiche
Produktauslobung eines begabten Werbetexters die angemessene Einstimmung auf die mythische Präsenz einer Marke, auf ihre Legende?
Wohl kaum, Märchenerzähler handeln phantasievoller.
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„Industriedesign“ des 21. Jahrhunderts
Mein ganz und gar persönliches Verhältnis zu Metier und Produkt ist
nicht nur typisch für „Familienunternehmen“, sondern für jeden engagierten Unternehmer.
Die These, derzufolge die Form der Funktion folgt, war in den zwanziger
Jahren des vorigen Jahrhunderts für progressive Architekten, HausratsEntwerfer und ein paar Autobauer noch verbindlich. Funktionalität war
die Rechtfertigung der meisten technischen Projekte und deren Akzeptanz. Das Bauhaus und vergleichbare Institute in Österreich oder
Belgien benoteten die Resultate. Seit den späten dreißiger Jahren erlag
dieser Purismus in den USA einer schillernden Designkultur, die Europa erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bestaunen konnte: Stromlinienförmige Lokomotiven und Bügeleisen sowie futuristisch
gestaltete Autokarosserien, deren Volumen allein schon beeindruckte.
Modeschöpfern, die seit Dezennien nur in Paris aufwuchsen, war die
Logik der Beziehung von Form und Funktion völlig unbekannt; ihr einziges Kriterium hieß: la beauté! Eher ein mediterraner Maßstab, der im
nördlichen Europa und in Übersee wenig Eindruck machte.
In der von Diktatur und Uniformen erlösten Bundesrepublik regte sich
die Sehnsucht nach einer bescheidenen Teilhabe am Mirakel Mode. Es
blieb eine rührende Parodie.
Zur Rettung der „Funktionalität“ darf ich Ihnen unser seit 1964 gültiges Credo anbieten, das darauf beharrt, keine Mode zu fabrizieren,
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sondern „moderne Kleidung für moderne Europäer“. Diesen Slogan
haben wir zu einem Zeitpunkt verbreitet, zu dem kein einziger Mitbewerber auf seine Teilhabe an modischer Kompetenz verzichtete, selbst
wenn er noch so altbacken konservativ auftrat.
Übrigens verdient mein Rückgriff auf die jüngere Geschichte unseres
Unternehmens einen Nachsatz: Als in den siebziger Jahren des zurückliegenden Jahrhunderts mehrere geniale Italiener eine bis dahin unbekannte Übersetzung des Begriffes „Mode“
über Europa streuten, fiel es uns leicht,
ihrem forschen Prinzip zu folgen: Das Design ihrer Kollektionen orientierte sich am
Ohne ein charakteristisches Design lässt sich ein
Markenanspruch nicht glaubhaft vermitteln.
Stilbegriff gleichgesonnener, mehr oder
weniger großer Verbrauchergruppen, die offensichtlich sehnsüchtig
auf das unkonventionelle, progressive Angebot gewartet hatten!
Das Zusammentreffen der eigenen Wertvorstellungen mit den Erwartungen der anvisierten Konsumenten ist für eine Markenbindung unverzichtbar. Ohne diese Übereinkunft bleibt die Aura der Marke ein
frommer Wunsch. Es ist nicht vermessen, aus dieser Übereinstimmung
auf ein weitgehend verwandtes Modell von Lebensart und Kulturverständnis des Verbrauchers zu schließen. Mit Sicherheit weicht dies von
Mentalität und Einkaufsvolumen der Discounter-Kundschaft deutlich ab.
In diesem Zusammenhang erlaube ich mir, vorsichtige Zweifel daran zu
äußern, ob der Trend vom „Nischen- zum Massenmarkt“ die Ultima
Ratio des künftigen Kleidungsmarktes sein und bleiben wird. Die Austrocknung der Flaniermeilen unserer Groß- und Mittelstädte ist bereits
jetzt eine Bedrohung urbaner Kultur. Sie könnte – auf lange Sicht – zu
spürbaren Zivilisations-Einbußen führen. Ich erwarte nicht die Auferstehung der Haute Couture und ihrer teuren Boutiquen, hielte es jedoch für beklagenswert, wenn die Promenaden der Stadtzentren von
Berlin, Hamburg, München oder Düsseldorf nur mehr von Fast-FoodFilialen und Billigtextiliten beherrscht würden.
Diese elegische Vision nähert sich lückenlos meinem Verhältnis zu
Emotionalität und Kreativität. Nicht in allen, aber doch in einigen
Gewerben ist „Kreativität“ die Folge rein emotionaler VoraussetzunFranz Peter Falke 33