Beweiserhebung im parlamentarischen Untersuchungsverfahren

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Beweiserhebung im parlamentarischen Untersuchungsverfahren
Dr. Zsolt SZABÓ
Ph.D.-student, Department of Constitutional Law
Beweiserhebung im parlamentarischen
Untersuchungsverfahren
1. EINLEITUNG
Im Mittelpunkt eines parlamentarischen Untersuchungsverfahrens stehen immer die Beweise,
die nach Maßgabe der von dem Ausschuss erlassenen Beweisbeschlüsse erhoben werden. Am
häufigsten werden während der Untersuchung Zeugen vernommen, und Verwaltungsakten
eingesehen. Aufgrund dieser Beweismittel erstattet der Ausschuss dem Parlamentsplenum einen Bericht. Das Beweiserhebungsverfahren ist deshalb Kernbereich der Untersuchungsarbeit,
und muss gründlich – möglicherweise gesetzlich – geregelt werden.
Ingo Beckedorf untersuchte die parlamentarischen Untersuchungssystems Europas in seiner Arbeit über das Untersuchungsrecht des Europäischen Parlaments.1 Er stellte die Folgenden
Untersuchungsbefugnisse bezüglich der Beweiserhebung fest, die bedeutsam sind, um das Untersuchungsrecht zu einem effektiven Kontrollmittel auszubauen:
1. Vorladung und Anhörung von Zeugen, Sachverständigen, inklusive Regierungsmitglieder,
2. Pflicht von Zeugen, vor dem Untersuchungsausschuss zu erscheinen und vor ihm auszusagen,
3. Pflicht der Behörden, ihren Beamten/Bediensteten das Erscheinen und die Aussage zu genehmigen, sofern nicht ordnungsgemäß begründete vitale Interessen dem entgegenstehen,
4. Zugang zu den Archiven und Einsichtnahme in alle Dokumente im Zusammenhang mit der
zu untersuchenden Angelegenheit,
5. Feststellung eines Verstoßes gegen diese Befugnisse (Falschaussage, Zurückhalten von Beweismitteln, Verweigerung der Rechtshilfe) und Befassung der zuständigen Gerichte.
In diesem Artikel werden diese Kompetenzen mit ihren Deutschen und Ungarischen Erfahrungen und Rechtsquellen (Verfassung, Gesetze, Geschäftsordnungen) studiert, um Ausgangspunkte für eine zukünftige Ungarische Regelung zu geben.
1 ebenda S. 124
199
2. SCHUTZ DER MINDERHEIT
In Deutschland, Ungarn, und anderen Europäischen Länder ist das Recht auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses als Minderheitenrecht konzipiert. Parlamentsmehreheit und
Regierung stehen nämlich meistens so eng nebeneinander, dass die Mehrheit keine Interesse
hat, die Regieung zu kontrollieren und rechenschaft zu ziehen. Der qualifizierten Minderheit
(etwa ¼ oder 1/5 der Abgeordneten) ist deshalb das Recht gegeben, auch gegen der Willen der
Mehrheit die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu erzielen. Da das Untersuchungsverfahren durch Beweisbeschlüsse des Ausschusses durchgeführt wird, ist es wichtig, die Rechte der parlamentarischen Minderheit auch im Beweiserhebungsverfahren zu gewährleisten. In
Deutschland entsprechen gemäß § 12 Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (GOBT)
die Mehrheitsverhältnisse in den Untersuchungsausschüsse den Mehrheitsverhältnisse im
Bundestag, d.h. die Vertreter der Minorität, die den Einsetzungsantrag des Ausschusses gestellt hat, sind auch im Untersuchungsausschuss in der Minderzahl.2 Das konnte mit der
Aushöhlung des Untersuchungsrechts drohen: das Recht auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses der Parlamentsminderheit läuft leer, wenn im Ausschuss die Parlamentsmehrheit
diktiert. Die Minderheitenrechte sollen im Laufe des ganzen Verfahrens berücksichtigt werden,
damit das Recht der Minderheit auf Einsetzung nicht zur inhaltslosen Hülle wird3. Diejenige
Gruppierung, die einen Untersuchungsausschuss beantragt hat, auch das Recht haben soll, die
von ihr für erforderlich erachteten Beweise zu erheben. Das Minderheitenrecht muss deshalb
auf das Beweisaufnahmeverfahren erweitert werden.
Im Art. 34 Abs. 1 Satz 2 Weimarer Reichsverfassung (WRV) war ein Beweiserzwingungsrecht der Ausschussminderheit ausdrücklich enthalten: alle Beweise sind zu erheben, die die
Untersuchungsausschüsse oder „die Antragsteller für erforderlich erachten“. Art 44 Abs.1 Satz
1 Grundgesetz (GG) enthält dagegen keine ausdrückliche Beweiserzwingungspflicht. Das lässt
sich durch eine Angst vor einer destruktiven Minderheit erklären. Demgegenüber sieht das
Gesetz zur Regelung des Rechts der. Untersuchungsausschüsse des Deutschen. Bundestages
(PUAG) ein Recht der Ausschussminderheit4 vor, die Beweiserhebung zu erzwingen. Nach der
Auffassung des Bundesverfassungsgerichts besteht das Recht auf Berücksichtigung der Beweisanträge der Minderheit auch in einer Mehrheitsenquete.5
3. UNZULÄSSIGE BEWEISERHEBUNG
Nach der deutschen Regelung kann die Beweiserhebung – mit Begründung – nur abgelehnt
werden, wenn sie unzulässig oder unmöglich ist. Unzulässig ist die Beweiserhebung, wenn
sie sich außerhalb des Untersuchungsauftrages bewegt oder gegen geltendes Recht verstößt.
Unmöglich ist sie, wenn es aus tatsächlichen Gründen nicht möglich ist, das Beweismittel
herbeizuschaffen.6 Wenn die Mehrheit eine Beweiserhebung ablehnt, steht der Minderheit das
Recht zu, die Frage von einem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes entscheiden zu lassen.7 Für die ungarische Regelung bei einem vom Plenum abgelehnten Beweisantrag empfiehlt
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3
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6
7
vgl. SCHMITT-HARTMANN, 1994, S. 32.
vgl. SEIDEL, 2002, S. 98
§ 17 Abs. 2 PUAG
vgl. PLÖD: 2002, S. 84
vgl. SCHULTE, S. 509
vgl. SCHULTE, 2003, S. 509
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sich eher eine Beschwerde beim Verfassungsgericht, das bei Streitigkeiten zwischen Mehrheit
und Minderheit des Untersuchungsausschusses zu entscheiden hat.
Beckedorf ist der Meinung, dass nach den oben schon diskutierten Gründen das Informationsbegehren eines Untersuchungsausschusses nur verweigert werden kann, wenn:
• das Parlament nicht die notwendige Geheimhaltung oder Diskretion der Information
sicherstellen kann,
• den begehrten Auskünften in besonderem Maße das Wohl des Bundes entgegensteht,
durch sie insbesondere Nachteile für die Sicherheit der Bundesrepublik oder ihre Beziehungen zu anderen Staaten zu besorgen sind
• der Kernbereich exekutivischer Eigenverantwortung betroffen ist
• der Geheimnisschutz und die Grundrechte Privater berührt werden.8
4. ZEUGENVERNEHMUNG
Das wichtigste Mittel der Beweiserhebung ist die Zeugenaussage. Obwohl die schriftlichen Beweise eine präzisere Ermittlung ermöglichen, interessieren sich die Öffentlichkeit und die Medien für Zeugenaussagen mehr als für Akten. Sie bilden den spektakulärste Teil des Verfahrens.
Das Untersuchungsverfahren ist kein kontradiktorisches Verfahren, es gibt keinen Kläger
und keine Angeklagte. Der Ausschuss soll Tatsachen ermitteln und unter politischen Gesichtspunkten bewerten. Das Verfahren beruht auf keinen richtigen Analysen, sondern auf politische
Feststellungen. Die Zeugen sind „nur“ Aufklärungsmittel, kein Objekt der Verfahren. Gerade
deshalb kannte die Regelung der Weimarer Republik keine Beschuldigten im parlamentarischen
Untersuchungsverfahren in formellen Sinn, nur Auskunftspersonen, die die Rechtstellung von
Zeugen hatten.9 Deshalb stand diesen Personen kein formelles Verteidigungsrecht zu. Kahn
sah hier Änderungsbedarf: „De lege ferenda ist unbedingt eine Änderung des Gegenwärtigen
Rechtszustandes herbeizuführen und zwar derart, dass eine scharfe Trennung zwischen Objekten der Untersuchung und eigentlichen Zeugen durchgeführt wird“.10
Die von Kahn gewünschte Reform der Rechtstellung der Auskunftspersonen sollte durch
die sog. IPA-Regeln11 verwirklicht werden. § 16 IPA-Entwurf regelt die Stellung der Zeugen,
§ 18 die Stellung der Betroffenen. Während über das Recht der Zeugen die Vorschriften der
Strafprozessordnung als maßgeblich vorgesehen waren, sollten Betroffene eine erleichterte Stellung haben. Ihnen sollte das Recht zustehen, zeitlich vor den Zeugen eine zusammenhängende
Sachdarstellung zu geben. Betroffene sollten sogar auch Beweisantrags- und Fragerecht und
Anwesenheitsrecht bei der Beweisaufnahme haben. Ein beschränktes Beistandsrecht war auch
für sie vorgesehen. Ihre Aussagepflicht und ihr Verweigerungsrecht sollten denen des Zeugen
entsprechen.12
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10
11
vgl. BECKEDORF, 1995, S. 51
KAHN, 1931, S. 64
ebenda, S. 47
Es handelt sich um einen Gesetzesentwurf zum Deutschen Untersuchungsausschussgesetz, der zwar
interfraktionell eingebracht, aber nicht mehr verabschiedet, und auch später nicht erneut vorgelegt
wurde. Diese Vorschlag wurde 1969 nach Vorarbeiten der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaften, eines Zusammenschlusses von Parlamentariern aus Bund und Ländern, erarbeit. Die IPA-Regeln
wurden zum parlamentarischen Gewohnheitsrecht, und dementsprechend seit der 7. Wahlperiode regelmäßig in den Einsetzungsbeschluss aufgenommen. Sie sind abgedruckt im Bundestag-Drucksache
V/4209.
12 Mehr zum Thema: MÜLLER-BOYSEN, 1980, BUCHHOLZ, 1990
201
Der Untersuchungsausschuss sollte selber feststellen, wer betroffen ist. Dazu gibt IPA einige Ausgangspunkte: „Personen, bei denen sich aus dem Untersuchungsauftrag oder aus dem
Verlauf der Untersuchung ergibt, dass die Untersuchung sich ausschließlich oder ganz überwiegend gegen sie richtet“. Auch im bayerischen Untersuchungsausschussgesetz (§ 13) wird
die Sonderstellung des Betroffenen anerkannt. Gemäß §13 Abs. 2 sind Betroffene nach Art
eines Beschuldigten anzuhören. Weitere Vorschriften darüber lassen sich im Gesetz aber nicht
finden.
Die Formulierung der IPA-Regeln ist nach herrschender Meinung13 zu allgemein, in manchen Fällen lässt sich nicht herausfinden, ob eine Person als Zeuge oder Betroffener angehört
werden soll. Da eine Differenzierung praktisch unmöglich ist, hat der Gesetzgeber bei Erlass
des PUAG auf den Betroffenenstatus verzichtet. Auch meiner Auffassung nach dient ein einheitlicher Auskunftspersonenstatus dem Erfolg des Verfahrens viel mehr.
Die Pflicht zur Zeugenaussage ist allgemeine Staatsbürgerpflicht. Für ihre Sicherung hat
man in der deutschen Regelung auf die Vorschriften der Strafprozess verwiesen (Art. 44 Abs. 2
Satz 1 GG). Die Zeugeschutzvorschriften der Strafprozessordnung (StPO) gelten entsprechend.
Die Zeugnispflicht besteht aus:
1. Erscheinenspflicht: der Zeuge soll der Ladung folge leisten, und vor dem Ausschuss erscheinen.
2. Aussagepflicht: aber die Ausnahme der StPO, dass den nahen Angehörigen des Beschuldigten ein unbedingtes Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, ist hier problematisch. – es gibt
ja keine Beschuldigte. Das Prinzip „Nemo tenetur se ipse accusare“ muss aber auch im
parlamentarischen Untersuchungsverfahren gelten. § 22 Abs.1 PUAG verweist deshalb auf
§ 55 StPO (niemand darf gezwungen werden, sich selber zu belasten) Auch das ungarische
Verfassungsgericht stellte fest, dass eine ähnliche Regelung erforderlich ist, und das Verbot
der Selbstbelastungspflicht in allen staatlichen Verfahren gewährleistet werden muss.14
3. Eidespflicht: gemäß der Geschäftsordnung der Weimarer Zeit, IPA und dem bayerisches
Untersuchungsausschussgesetz steht es im Ermessen des Ausschusses, ob er von der Beeidigungsbefugnis Gebrauch machen will oder nicht.15 PUAG sieht keine Vereidigung mehr vor.
Ein Zeugenladungsrecht ist ohne Sanktionsmöglichkeit illusorisch. Man schrieb die sinngemäße Anwendung der StPO für die Beweiserhebung vor, um dem Untersuchungsausschuss das
Recht auf unmittelbare Zeugenvernehmung bzw. Zeugniszwang einzuräumen. Der Untersuchungsausschuss ist befugt, die Zwangsmaßnahmen selbstständig anzuordnen, er braucht sich
hierbei nicht der Unterstützung der Gerichte zu bedienen.
De lege ferenda empfiehlt sich statt des generellen Verweises im GG auf die StPO die einzele Auflistung der anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen. Das PUAG enthielt die einzelne anzuwendende Vorschriften der StPO. Aber da das Grundgesetz bei dem Erlass des PUAG
nicht geändert wurde, gilt der generelle, und dem Bestimmtheitsgebot nicht entsprechende
Verweis immer noch. Meiner Auffassung nach ist ein Verweis auf die Strafprozessordnung (und
nicht auf die Vorschriften über den Strafprozess, wie in der GG steht) bezüglich der Zeugenvernehmungen empfehlenswert.
Kernstück des Untersuchungsrechts ist, dass dem Untersuchungsausschuss Sanktionen
gegen grundlose Aussageverweigerung zustehen. In Ungarn sind die meisten parlamentarischen Untersuchungen an effektiven Sachaufklarung wegen Mangels diesbezüglicher Sanktionen verhindert. Diese Sanktionen sind im PUAG ausreichend geregelt. Gemäß § 27 PUAG
kann ein Ordnungsgeld in diesen Fällen festgesetzt werden, auch dann, wenn der Fall strafrechtliche Konsequenzen hat, und auch von Gerichten untersucht wird. Manchmal wird das
öffentliche Aufklärungsinteresse gegenüber einem Sachverhalt von erheblicher Bedeutung für
13 DAMKOWSKY, s. 145
14 Entscheidung des Verfassungsgerichts, 50/2003, vgl. BUJDOSÓ, 2004, S. 83
15 vgl. KAHN, 1931, S. 49, ebenso aus FRANKENTHAL, 1990, S. 160
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höher erachtet als das staatliche Strafverfolgungsinteresse.16 Die Folge ist die Einschränkung
der Aussageverweigerungsrechte.
Schulte meint hingegen, dass der Zeugnisverweigerungsgrund vom Gesetzgeber im PUAG
sehr weit formuliert wurde und neben strafrechtlichen Ermittlungsverfahren z.B. auch beamtenrechtliche Disziplinarverfahren umfasst. Aufgrund der Weite besteht hier ein Missbrauchspotential, da nach dem Wortlaut des Gesetzes auch ein auf anonymen Hinweisen oder
Selbstanzeige beruhendes Disziplinarverfahren zum Zeugnisverweigerungsrecht nach § 22
PUAG führt.17 Obwohl diese Neuregelung besonders infolge der Parteispendenaffäre der CDU
und der Schwierigkeiten der Aufklärung im Untersuchungsausschuss mangels einer Sanktion
gegen Aussageverweigerung zustande kam, „wollte man am umfassenden Recht der Zeugen,
die Aussage zu verweigern, nicht rütteln.18 „Helmut Kohl darf weiter schweigen“ – kommentierte Die Welt diese Situation.19 Im ungarischen Gesetz soll der einzige Grund für eine Aussageverweigerung sein, wenn sich damit die Auskunftspersonen selbst oder ihre Angehörigen
belasten würden.
§ 28 GOBT regelt die Reihenfolge der Fragestellung in den ständigen Ausschüssen. Der
Ausschussmehrheit- und Minderheit ist abwechselnd die Möglichkeit zu geben, Fragen an den
Auskunftspersonen zu stellen. Gemäß § 68 Abs. 3 Geschäftsordnung des Ungarischen Nationalversammlung (GOUN) hält der Ausschuss eine Anhörung auf Antrag von 2/5 der Mitglieder. Anhörung ist in allen, zum Aufgabenbereich gehörenden Sachen möglich. Fragen sind nur
im Bezug auf den Gegenstand der Untersuchung zulässig. Meiner Auffassung nach soll der
einzelnen Fraktionen in demselben Umfang die Möglichkeit gegeben werden, Fragen an den
Auskunftspersonen zu stellen. Auskunftspersonen dürften ohne Vertretung, also nur persönlich vernommen werden. Das Recht auf Beistand soll ihnen jedoch zustehen.
Bei Vernehmung von Richtern, Beamten, und anderen Personen des öffentlichen Dienstes
als Zeugen über Umstände, auf die sich ihre Pflicht zur Amtsverschwiegenheit bezieht, ist in
Deutschland eine Aussagegenehmigung erforderlich (§ 54 StPO).20 Ohne diesbezügliche Genehmigung ist es verboten, die Aussage als Beweismaterial zu verwenden.
5. AKTENVORLAGE
Das Recht auf Vorlage von Akten der dem Parlament verantwortlichen Regierung ist das andere
Bestandteil des parlamentarischen Kontrollrechts. Der Aktenherausgabeanspruch hat Verfassungsrang, er dient, jedenfalls soweit er im Zusammenhang mit einer Missstandsenquete geltend gemacht wird, der Kontrollaufgabe des Parlaments gegenüber der Regierung.21
Die WRV sah eine Aktenvorlagepflicht nur für Gerichts- und Verwaltungsbehörden vor,
nicht aber für Private: Beweise von Privaten durften nur durch unmittelbarer Zeugenvernehmung erhoben werden.22 Gerichte und Verwaltungsbehörden sind – nach 34 WRV sowie nach
44 Abs. 3 GG – zur Rechts- und Amtshilfe verpflichtet.
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vgl. THAYSEN – SCHÜTTEMYER, 1988
vgl. SCHULTE, 2003, S. 510
22 § Abs. 2 PUAG
Die Welt am 26 Juli 2000
vgl. aus FRANKENTHAL, 1990, S. 121
vgl. GERMIS, 1988, S. 50
vgl. KAHN, 1931, S. 58
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Die Aktenvorlagepflicht darf nur ausnahmsweise verweigert werden. Damkowski war der
Auffassung, dass die Aktenvorlage dem Untersuchungsausschuss durch die Exekutive nur verweigert werden darf:
1. bei offensichtlichen Fehlen der räumlichen, zeitlichen oder sachlichen Untersuchungskompetenz
2. im Falle des Bestehens von Geheimhaltungsvorschriften (Steuer, Betriebs, Sozialgeheimnis,
Staatswohl) wenn Parlament und Regierung keine Vorkehrungen zur Geheimhaltung solcher
Geheimnisse getroffen haben
3. soweit der „Intimbereich“ der Kabinettsberatungen berührt ist.23
Bei der Beweiserhebung durch Akten und sonstige Beweismittel muss zwischen Akten von
Behörden und denen Privater differenziert werden. Die Vorlage von Beweismitteln durch Behörden, Anstalten und vergleichbare Institutionen des Bundes ist in §18 PUAG geregelt und
entspricht den Aussagen, die das Bundesverfassungsgericht in der Flick-Entscheidung getroffen
hat. Dementsprechend sind die Behörden verpflichtet, sämtliche Akten und sonstige Beweismittel vorzulegen. Eine Entscheidung des zuständigen Ministers ist notwendig. § 96 StPO beinhaltet ein Verbot bezüglich die Vorlage von Akten und sonstiger in amtlicher Verwahrung
befindlicher Schriftstücke (sog. Sperrerklärung).
Die Behandlung von Akten Privater richtet sich nach den §§ 29 ff PUAG. Jeder ist verpflichtet, auf Verlangen des Untersuchungsausschusses potentiell beweiserhebliche Unterlagen vorzulegen. Dieser Pflicht besteht (aus verfassungsrechtlichen Gründen) nicht bei Unterlagen streng
persönlichen Charakters. Die Vorlage kann nur verlangt werden, wenn der Untersuchungsausschuss sie als geheim deklariert. Bei Streitigkeiten ist wieder der Ermittlungsrichter zuständig.
Für die ungarische Regelung empfiehlt sich eine ähnliche Verpflichtung der Regierung, der
ihr untergeordneten Organe, Behörden, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, die
verlangten Beweismittel vorzulegen. Bei einer Ablehnung soll das Verfassungsgericht angerufen
werden. Für Beschaffung von Beweismittel in privatem Gewahrsam bietet sich eine Herausgabepflicht an, die nur wegen deren streng persönlichen Charakters verweigert werden dürfte.
6. ÖFFENTLICHKEIT, GEHEIMNISSCHUTZ
Gemäß Art. 44 Abs. 1 Satz 1 GG sind die Beweiserhebungen grundsätzlich öffentlich. Damit
ist die Saalöffentlichkeit gemeint, d.h. Ton- und Filmaufnahmen sowie Ton- und Bildübertragungen sind nicht zulässig. Der Ausschuss kann jedoch Ausnahmen zulassen, wenn die Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder, sowie die anzuhörenden Personen zustimmen.24 In
Deutschland wurde davon dadurch gebrauch gemacht, dass im 2. Untersuchungsausschuss des
15. Wahlperiode zum ersten Mal in der Geschichte des Bundestages die Anhörung von Außenminister Joschka Fischer im Visa-Untersuchungsausschuss live übertragen wurde. Gemäß Art.
44 Abs. 1 Satz 2 GG kann die Öffentlichkeit von der Arbeit des Untersuchungsausschusses
– mit einfacher Mehrheit – ausgeschlossen werden. Die Bayerische Verfassung setzt für einen
Ausschluss Zweidrittelmehrheit voraus.25 Auch Art 34 (1) WRV enthielt eine ähnliche Regelung. In Ungarn gibt es eine Regelung über den Ausschuss der Medien nicht. Deren Zutritt
muss auch weiterhin ermöglicht werden.
Die Öffentlichkeit der Untersuchungen muss in Ungarn auch gesetzlich gewahrt werden.
Mangels einheitlicher Regelung über die Öffentlichkeit, findet § 69 Abs. 1 GOUN Anwendung
23 DAMKOWSKI, 1987, S. 154
24 §13 Abs. 1 PUAG
25 Art 25 Abs. 5 Satz 1 BayVerf
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(Regelungen über die ständigen Ausschüsse). Der Ausschuss kann auf Antrag eines Mitglieds
die Öffentlichkeit ausschließen. Andererseits schreibt die Mehrheit der Verfahrensregeln der
einzelnen Untersuchungsausschüsse ein öffentliches Verfahren vor, die Öffentlichkeit kann
aber mit einfacher Mehrheit von dem Ausschuss ausgeschlossen werden. Die Dokumente des
Ausschusses können nur mit Erlaubnis des Ausschusses veröffentlicht werden, so viele ungarische Verfahrensordnungen. Mehrere ungarische Verfahrensordnungen regeln auch, dass von
den Sitzungen ein Protokoll angefertigt wird. Eine ähnliche Regelung ist im § 10 des bayerischen Gesetzes zu finden. Dieses Protokoll muss vom Vorsitzenden unterschrieben werden.
Zwischen Öffentlichkeit und Staatswohl kann oft ein Konflikt entstehen. Dass passiert,
wenn geheime Akten als Beweismittel dienen sollen. Das Bundesverfassungsgericht stellte
hierzu in der Flick-Urteil26 fest, dass der Aktenherausgabeanspruch erstreckt sich auch auf
von der Regierung als vertraulich, oder geheim eingestufte Vorgange. Für den Geheimnisschutz
ist im parlamentarischen Regierungssystem Regierung und Parlament gemeinsam anvertraut.
Auch das Parlament und seine Mitglieder sind deshalb zur Geheimhaltung verpflichtet. Die
Staatsgeheimnisse sollen nämlich nicht gegen, sondern gemeinsam mit dem Parlament gewahrt werden. Angesichts der Stellung des demokratisch gewählten Parlaments kann es kein
Wissen der Exekutive geben, das zu geheim für die Mitteilung an das Parlament ist. Beweisanträge, die sich auf geheime Themen beziehen, sind zulässig, müssen aber von entsprechenden
Geheimhaltungsmaßnahmen begleitet werden.27
Dies führt selbstverständlich dazu, dass der Ausschuss die auf diesem Wege gewonnenen
Erkenntnisse nicht öffentlich bekannt geben darf und im Abschlußbericht keine geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen vorkommen dürfen. Genehmigung zu Aussage bzw. Aktenvorlage
darf nur verweigert werden, wenn Gründe des staatlichen Wohls entgegenstehen oder wenn der
Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung betroffen ist. Darüber entscheidet aber der zuständige Minister - der eventuell gerade Gegenstand der Untersuchung ist. Das wirft weitere Fragen
bezüglich der Gewaltenteilung auf.
Vor allem in nachrichtendienstlich sensiblen Fragen wird von der Regierung die Berufung
auf die Staatsräson angeführt. Aber die Abwägung zwischen den Sicherheitsinteressen der Regierung und den Aufklärungsinteressen eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses
darf nicht zu der Schlussfolgerung führen, dass eine Kontrollaufgabe nicht erfüllt werden kann,
weil es Sicherheitsaspekte gibt. Beamte haben kein Monopol auf Wahrung von Staatsgeheimnissen.28 Durch die Anwendung der Geheimschutzordnung des Bundestages und ihrer Ausführungsbestimmungen (Anlage 3 zur GOBT) und vertraulichen Sitzungen können Staatsgeheimnisse auch in einem Untersuchungsausschuss gewahrt werden.
Dem Untersuchungsausschuss ist die unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung
und Weitergabe personenbezogener Daten natürlich nicht erlaubt.29 Eine Untersuchung ist
möglich, wenn an der durchzuführenden Untersuchung ein besonderes öffentliches Interesse
besteht. Eine Untersuchung ausschließlich im Intim- oder Privatsphäre einer natürlichen oder
juristischen Person ist unzulässig.
Staatsgeheimnisse sind in Ungarn kein Hindernis des Verfahrens. Gemäß § 69 Abs. 1
GOUN hält ein Ausschuss (d.h. auch der Untersuchungsausschuss) eine geschlossene Sitzung, falls Staatsgeheimnisse zu behandeln sind. Dann sind natürlich die Mitglieder zu den
Geheimhaltungsvorschriften gebunden.
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28
29
BVerfGE 67, 100 ff
vgl. SCHULTE, 2003, S. 509
vgl. BUSCH, 1991, S. 127
BVerfGE 64, 67 ff.; 65, 1ff, bei aus FRANKENTHAL, 1990, S. 101
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LITERATURVERZEICHNIS
BECKEDORF, Ingo: Das Untersuchungsrecht des Europäischen Parlaments (Duncker & Humblot, Berlin, 1995)
BUJDOSÓ, András: Az ideiglenes bizottságok szerepe az országgyűlésben (In: Parlamenti ösztöndíjasok, 2003/04, Parlamenti Módszertani Iroda, Budapest, 2004)
BUSCH, Eckart: Parlamentarische Kontrolle (Decker& Müller, Heidelberg, 1991)
BUCHHOLZ, Dr. Bernd Klaus: Der betroffene im parlamentarischen Untersuchungsausschuss
(Duncker & Humblot, Berlin, 1990)
DAMKOWSKY, Wulf (Hrsg.): Der parlamentarische Untersuchungsausschuss (Campus, Frankfurt
a. M., 1987)
aus FRANKENTHAL, Klaus-Dieter Friedrich: Der parlamentarische Untersuchungsausschuss
(Dissertation, Mannheim, 1990)
GERMIS, Carsten: Parlamentarische Untersuchungsausschüsse und politischer Skandal (Haag
und Herchen, Frankfurt a. M., 1988)
KAHN, Josef: Parlamentarische Untersuchungsausschüsse (Dissertation, Gießen, 1931)
MÜLLER-BOYSEN, Ulrike: Die Rechtstellung des Betroffenen vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss (Minerva, München, 1980)
PLATTER, Julia: Das parlamentarische Untersuchungsverfahren vor dem Verfassungsgericht
(Duncker & Humblot, Berlin, 2004)
PETRÉTEI, József – Tilk, Péter: A parlamenti vizsgálóbizottságok a magyar kormányzati rendszerben de lege lata és de lege ferenda (In: Magyar Jog, 2001/7)
PLÖD, Johannes M.: Die Stellung des Zeugen in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages (Duncker & Humblot, Berlin, 2003)
SCHMIDT-HARTMANN, Achim: Schutz der Minderheit im parlamentarischen Untersuchungsverfahren (Peter Lang Verlag, Frankfurt a. M., 1994)
SCHULTE, Martin: Das Recht der Untersuchungsausschüsse (In: Jura. Heft 8/2003)
SEIDEL, Achim: Die Opposition im parlamentarischen Untersuchungsverfahren nach Art. 44
GG (In: Bayerische Verwaltungsblätter, Heft 4/2002)
THAYSEN, Uwe – SCHÜTTEMEYER, Susanne S. (Hrsg.): Bedarf das Recht der parlamentarischen
Untersuchungsausschüsse einer Reform? (Nomos, Baden-Baden, 1988)
SUMMARY
The basic activity of parliamentary inquiry committees established to clarify certain public
matters is to raise evidence. In this article I examine the requirements of recent German legislation and the experience gained from it for later use in Hungarian legislation about parliamentary inquiries. At least the following competences are required for an effective inquiry: the right
to subpoena witnesses, experts and others, including civil servants and government ministers,
to ask for government files to be sent in and to have access to all documents related to the subject of the inquiry. The committee should be entitled to state the breach of these rights and to
appeal to the competent courts to impose sanctions. The process of raising evidence should be
open to the public. The rights of the qualified minority should be respected during the whole
inquiry procedure: the parliamentary minority should be given the right to enforce the establishment of inquiry committees, and the committee minority should be empowered to enforce
the process of raising evidences.
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