Der siebte Treck – Heimatbuch 2004

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Der siebte Treck – Heimatbuch 2004
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WALDEMAR SCHWlNDT, VIKTOR SCHÄFER,EDUARD STEPHAN("SCHWISCHASTE":
Vor 60 Jahren
Waldemar Schwindt
wurde arn 6.8.1948in Kedrowka, Burjato-Mongolimens Schäfer (24.11.1924-20.5.2001)
sche
ASSR, dem Verbaneinen Teil der Flucht russlanddeutscher
Kolonisnungsort seiner wolgadeutten während des Zweiten Weltkriegesder Verschen Eltern geboren. Er
gangenheitentrissen.Sie habenin Wort und Bild
arbeiteteals Schweißersoauf über 400 Seitenden Exodusder russlandwie als Turn- und SportlehdeutschenKolonisten so dargestellt,wie sie ihn
rer in Estland, dann in
anhand von Gesprächenmit Vertrete1'nder ErFrunse. Setzte sich sowoW
lebnisgenerationzurückverfolgenund durch einvor als auch nach seiner Ausreise nach
schlägigesMaterial aus unserenHeimatbüchern, DeutscWandarn 7.7.1975 aktiv fiir die Rechte
der landsmannschaftlichenMonatsschrift "Volk der Deutschenin der UdSSRein.
Viktor Schäfer
auf demWeg" und dem Buch "Entstehung,Entwurde arn 23.5.1938 m
wicklung und Auflösungder deutschenKolonien
Friedenheim bei Landau
am SchwarzenMeer" von Anton Bosch und Jo(Odessa)geboren, 1944 in
sephLingor vervollständigenkonnten.
denWartgegauumgesiedelt
Eine große Rolle spielten auch Skizzen,Privatund 1945 wieder zurück in
sammlungen und Erinnerungen von Klemens
die UdSSR verschleppt.
Schäfer,Johann Dauenhauer,Eduard Stephan
Nach unterschiedlichenTäund Katharina Schäfer,geb. Groß(1896-1991).
tigkeiten siedelter er im
Der Gesamttextbeschäftigtsich in wesentlichen
Dezember 1977 nach
Teilen mit den Gebieten aufdem Balkan, durch Deutschlandaus, wo er bis zu seinemRuhedie der 7. Treck (der "Große Treck') 1944führstand1995 arbeiteteund sichbis zum heutigen
te. Jahrzehntespäter hat der Russlanddeutsche Tag fiir seineVolksgruppeengagiert.
Eduard Stephan
Viktor Schäfer mit seiner rumänischenEhefrau
wurde arn 8.2.1931 m PeRodica SchäferdieseGebietenoch einmal mehrterstal, Odessa, geboren,
mals aufgesuchtund sie auf zahlreichen Fotos
1944 ins Deutsche Reich
festgehalten.
umgesiedeltund 1945 nach
Das Heimatbuch 2004 kann leider nur einen
Kasachstan verscWeppt.
kleinen Teil des reichhaltigen Materials der AuWar bis zu seinerAussiedtoren veröffentlichenund beschränktsich dabei
lung 1979 als Bautechnivornehmlich auf die Darstellungen von Waldeker, TiscWerund Zimmerer
mar Schwindt, Viktor Schäfer und Eduard Ste-tätig.
Interessiert sich besondersfiir Geschichte.Rentnerseit 1994.
phan.
D
ie drei Verfasser dieses Beitrages haben
als Vermächtnis ihres Landsmannes Kle-
I.
ten Vergeltungsschlag gegendie Deutschenein,
die er in seiner Gewalt hatte: die RusslanddeutAm 22. Juni 1941 überfiel die Kriegsmaschinerie schen.Das wissendie wenigstenDeutschen.
des nationalsozialistischen
FührersHitler die So- DieseprovokativeBehauptungstellen wir an den
Anfang unserer Schilderung über den Auszug
wjetunion.Das wissendie meistenDeutschen.
Bald darauf leitete SowjetruhrerStalin den letz- unsererLandsleutevom SchwarzenMeer vor 60
6
7
Jahren.DieserFlucht warenbereitsDezimierungenund Liquidierungender Deutschenin Russland vor demKrieg und schlimmstesowjetische
Maßnahmengegensie in den Kriegsjahrenvorausgegangen.
Auf die Beschreib\mgdes Terrors
der 30erJahreund die "Trudarmee" danachwollen wir verzichten.Darüberwird an andererStelle in diesem Heimatbuchgeschrieben.Kurz sei
aberan die wichtigstenEtappender Deportation,
Vertreibungund Flucht erinnert.
Russlands auszumachensein dürfte. Deutsche,
die östlich dieserLinie lebten, blieben unter Stalins Knute, während diejenigen, die im Westen
Russlandsunter Hitlers Einflussbereichgerieten,
zuerst dem "Führer" gehorchen mussten und
nach Kriegsende von Stalin für alles, was in
deutschemNamen geschehenwar, zur Rechenschaftgezogenwurden.
Wie es ihren Landsleutenauf derjeweils anderen
Seite der Frontlinie erging, konnten die Russlanddeutschennur ahnen. Um die Wahrheit he11.
rauszufinden,genügtees nicht, einfach das Gegenteil dessenzu glauben,was Sowjetsbzw. NaSchonim Juli 1941 wurden etwa 100.000Deut- zis berichteten.Dafür waren die Propagandisten
sche,überwiegendaus den ukrainischenGebie- um JosephGoebbelsoder Ilja Ehrenburgviel zu
ten östlich des Dnjeprs, in den Ural, nach Ka- gerissen. Die meisten Russlanddeutschenim
sachstan,Kirgisien und Tadschikistan"umgesie- Westen der Union trauten dem Frieden jedoch
delt". Am 10. Juli 1941beganndie Deportation nicht und nahmenjede Gelegenheitwahr, sich
der Deutschenauf derKrim.
möglichst weit vom "großenBruder" zu entferAm 28. August 1941verkündeteder ObersteSo- nen. Diesen Wunsch hatten sie bereits vor
wjet die Umsiedlungaller Deutschender Wolga- Kriegsbeginn im Stillen gehegt. Die Parole
regionenin den asiatischenTeil dei UdSSR.Die "Heim ins Reich" aus Bessarabien,Wolhynien,
ASSR der Wolgadeutschenals größtes zusam- derBukowina und dem Baltikum war ihnen trotz
menhängendesGebiet der Russlanddeutschen strengerVerbote,Auslandssender
zu hören,nicht
wUrde aufgelöst,wie wir heute wissen, für im- verborgengeblieben.
mer.
Als sich im Zuge der Kriegshandlungendie ersDeportiert wurden aber auch alle anderenDeut- ten Möglichkeiten und Notwendigkeiten ergasc~enaus dem europäischenTeil der Sowjetuni- ben, nachdem Westenzu ziehen,folgten sie den
on in denasiatischen,soferndas nicht wegender Appellenaus Berlin zur Umsiedlungin denWardeutschenBesatzung oder Einkesselungenzu- thegau mit gemischten Gefühlen, aber in der
nächstunmöglichwar, was für die Deutschenaus richtigen Einschätzung,keine andere Wahl zu
dem Kaukasus,aus Leningrad und Zentralruss- haben.
land galt.
Die Richtigkeit dieserThese habendie DeportaAls Maßregelungmussman auchdie Entfernung tion der Wolgadeutschen1941 und die Vervon russlanddeutschenSoldatenund Offizieren schleppungderSchwarzmeerdeutschen
1945beaus der RotenArmee und derenAbkommandie- WIesen.
rung in die Trudarmeeansehen,aus der ZehntausendeRusslanddeutsche
todkrank öder überhaupt
IV.
nicht mehrzurückkehrten.
Von der erstenUmsiedlungsaktionwaren 3.800
1lI.
Deutsche im Gebiet Leningrad betroffen. Sie
wurden bei Lublin in Polen angesiedeltoderkaDurch den: Krieg zwischen Deutschland und men zum Arbeitseinsatzins DeutscheReich. Zu
Russlandwurde unsereVolksgruppein zwei Tei- diesen Umsiedlem gesellten sich noch etwa
le auseinandergerissen,
derengrobeTrennungsli- 1.000 Deutsche aus Kriegsgefangenenlagern
nie im Juli 1941 am besten mit dem Lauf des oder weißrussischenStädten.Diese Transporte
Dnjepr und einer gedachtenLinie von seiner setzten Anfang 1942 ein. Das war der erste
Mündung bis in den Norden des europäischen Treck.
8
Der zweite Treck fand ein Jahr späterstatt und
betraf etwa 10.000Deutscheaus dem Gebietder
so genanntenHeeresgruppeMitte und ausWeißrussland.Diese Deutschenwurden in den Warthegauim heutigen Polen und damaligenDeutschenReich ("Großdeutschland")umgesiedelt.
Vom dritten Treck wurden die verbliebenen
Deutschenaus dem Nordkaukasus,der Kalmückensteppeund der östlichenUkraine erfasst.Es
handeltesich um 11.800Flüchtlinge,die von der
Deportation nach Sibirien verschont geblieben
waren. Ihre Umsiedlung erfolgte im Februar
1943,ebenfallsin denWarthegau.
Der vierte Treck erfasste72.000 Deutsche der
Städte Cherson, Nikolajew, Nikopol, Kiew,
Charkow, Kriwoj-Rog, Melitopol, Mariupol,
Dnjepropetrowsk,Kirowograd und Saporoshje
sowie die verbliebenen Krimdeutschen. Auch
diese Umsiedler kamen in den Warthegau.Der
Transportvollzog sich von September1943 bis
März 1944unter witterungsbedingtenschlimmen
Umständen,worüber in unserenHeimatbüchem
bereitswiederholtberichtetwurde.
Der fünfte Treck betraf 73.000 Schwarzrneerdeutscheund dauertevon August 1943bis Mai
1944.Auch dieseMenschenwurden in denWarthegaugeführt.
Der sechste Treck betraf das Gebiet Shitomir.
44.600"Ost-Wolhynier" kamenzuerstnachBialystokund dannin denWarthegau.
Den dramatischstenVerlauf nahm jedoch der
siehte Treck. Ihm gilt in erster Linie unsere
Rückschauauf den folgendenSeiten.
Etwa 135.000Deutschekehrtenbei dieserAktion in ihre geschichtlicheHeimatzurück. Die sich
nach Westen verschiebendeFrontlinie im Rücken, die überbeanspruchten
Verkehrswege,die
Ungunst des Wetters, die mangelhafteVerpflegung und vieles mehr machtendiesenTreck zur
schlimmstenFlucht der Russlanddeutschen,
vergleichbarnur mit den Exzessenbei der Deportation unsererLandsleute1941 in die umgekehrte
Richtung.
Am 1. April hatten die letzten Fahrzeugemit
Flüchtlingen den Dnjestr überquert. Was dann
kam, war und ist GegenstandzahlreicherBerichte und Bücher.Die Schilderungderunvorstellbaren Leiden auf dem Weg vom SchwarzenMeer
zum Warthegauwird aber immer unvollständig
bleiben. Es sollte jedoch jeder wissen,dassdieser "große Treck" nichts andereswar als eine
Flucht, bei deres um LebenoderTod ging.
Die kleine Auswahl persönlicherBerichte von
Flüchtlingen in diesem Heimatbuchmöge dazu
beitragen,eine von der Welt kaum wahrgenommeneSeiteunsererGeschichteaufzuarbeiten.
v.
Die Evakuierungder Deutschenaus Transnistrien wurde von der so genannten"Volksdeutschen
Mittelsteile" ("Vomi"), die seit 1943ihren Sitz in
Odessahatte,geleitet.
Geplantwarenzwei Trassen:
1.
Der Nordtreck. Die Deutschen
der Beresanerund Glückstaler Kolonien.
Unter der Oberleitung eines SS-Führers im
Hauptmannsrangsollte der Nordtreck mit 72.000
Personen,39.000Pferdenund einer großenMenge Viehs nordwärts nach Falciu zur Pruthbrücke
ziehenund dort übergesetztwerden. Der Treck
setzte sich am 16. April 1944in Bewegung,änderte aberseineRoute und zog in Richtung Kagul. Wegen der nachrückendenSowjets, der
Bombenangriffeund der deutschenTruppenbewegung waren 1944 Änderungenvon Marschroutennichts Besonderes.Die Fahrzeugefuhren
ständighin und her, überall gabes Stockungen.
Schließlichzog der Treck quer durch Rumänien
zur ungarischenGrenze bei Haja, über den Oituz-Pass oder den Bicaz-Pass nach Dej (Des;
sprich: Desch),wo am 4. Mai die Verladung auf
Eisenbahnwaggons
zur Fahrt ins DeutscheReich
begann.Der Treck stellteungeheureAnforderungen an Mensch, Tier und Material. Kolonisten,
die in ihrer Heimat nur die flache Ebenekennen
gelernt hatten, mussten plötzlich mit Wagen
ohneBremsenmit den UnwegsamkeitenderBerge zurechtkommen. Der gesamteTreck war bis
zu 450 km lang. Ein Trost: In Ungarnwurdendie
Flüchtlinge großzügig von ungarischenMilitärsteIlenverpflegt.
Der größte Teil desWegesdesNordtrecksführte
durchRumänien.Wichtige Punktewaren: Bilard
Q
VI.
(Barlad), Adjud, Onesti, der Oituz-PassoderBa- Aber die nachrückendeFront, die unterschätzten
cau, Piatra-Neramt,der Bicaz-Pass,Dej, Gheor- Strapazenauf der Fahrt über schlechteWegeund
Brückensowie das Wetter brachtenalle Vorsätze
ghenie.Topliza, Regin.
durcheinander.
2. Der Südtreck. Die Deutschender
Großliebentaler und Kutschurganer Kolonien
sowie die Deutschenaus Odessa.
Am 13. März 1944, einem Montag, um 3 Uhr
Der Südtreck wurde ebenfalls von einem SS- früh befahl ein Funkspruch der "Vomi" aus
Führer im Rang eines Hauptmannsgeleitet und Odessaden Abmarsch. Das bedeutete,dassdie
begann am 23. April 1944. Er führte nach der Trecks innerhalb weniger Stunden losziehen
Überquerungder Donaudurchdie Dobrudscha. mussten. Schnell wurden die Fuhren irgendwie
Die Donau... Rumänensagenzu demzweitgröß- und mit irgendwasbespannt,und ab ging es in
ten StromEuropas"Dunarea",Ungarn "Dunha", die Ungewissheit,zuerst in Richtung Tiraspol.
Jugoslawen und Bulgaren "Dunav", Russen, Die Wagen wurden ausschließlichvon Frauen
Ukrainerund Slowaken"Dunaj".
und Kindern gefi1hrt. Die Männer waren fort.
Der größte Teil des Südtrecks zog nach Reni Bald saßen viele Gruppen bei kaltem Regen
zum Grenzübergang,überquertedort den Pruth fest.
mittels einer Pontonbrückeund zog dann nach Am schwerstenhattenes die Flüchtlinge der BeGalati (Galatz) bzw. Braila, um von dort nach resanerKolonien. Sie lagen dem Bug am nächsÜberquerungder Donau weiter in Richtung Isac- ten und hattendie wenigste Zeit zum Aufbruch
cea,Tulcea und Cernowodabis Silistra zu fah- gehabt. Außerdem waren aus ihren Dörfern in
ren. Die einzelnen Routen können anband der der Zeit davoreinige hundertPferdegespanne
für
Autbruchberichte unsererZeitzeugenin diesem den Transport an die Front eingezogenworden.
Bericht genauerverfolgt werden. Vielleicht ent- (S. Bericht von Gertrud Braun auf den nächsten
schließt sich der eine oder andere Leser auch Seiten.)
dazu,den Weg seinerElternund Großelternnach Die Kutschurganerhatten etwas mehr Zeit. Sie
60 Jahren unter günstigerenUmständennachzu- warenjedoch im Ungewissen,da sie nicht wussvollziehen, wie dies das EhepaarViktor und Ro- ten, wann bei ihnenzum Aufbruch geblasenwurdica Schäfervor fünf Jahrengetanhat.
de. So schlachteten,brieten,backtenund packten
Die Vorbereitungendes Auszugeswurden in al- sie Tagund Nacht.
ler Stille getroffen,was gar nicht so einfachwar,
da der Treck nur mit den landesüblichenPferdeVII.
gespannen("Panjewagen")durchgeführtwerden
konnte, wofür Pferde, Wagenund Geschirrbe- 16. März 1944. Über den Aujbruch der Gemeinnötigt wurden.Die Dörfer wurden in Gruppenzu de Landau schreibt die späterePräsidentin der
jeweils zehn Fuhrenunterteilt. JedesDorf bildete Landsmannschaftder Deutschenaus Russland,
einenTreck. Etwa zehn Trecks wurden zu einer GertrudBraun (1906-1984):
Marschsäule("Bereichskommando")zusammen- Seit Weihnachten lebten wir unter ständigem
gefasst. Insgesamtgab es 20 solcher Bereichs- Druck: Müssenwir fort oder dürfen wir bleiben?
kommandos. Jedem größeren Treck wurde ein Man schwanktezwischenHoffen und Bangen.
SS-Mannim Rang einesUnteroffiziers zugeteilt, Anfang März machteich mich auf die Fahrt nach
der zusammenmit dem Bürgermeisterund den Hoffnungstal, wo eine meiner Mitarbeiterinnen
Vertretern des Selbstschutzesdie Trecks in die mit ihren Mütterberatungsstunden,
KindernachvorgegebeneRichtung leiten sollte. Er hatte auch mittagen,Stick- und Nähabendeneinegute Fraudie Verantwortung für die Unterkünfte bzw. enarbeit aufgezogenhatte. Alles sah so freudig
Nachtlager seines Trecks und die Versorgung und zukunftssicheraus. Nur der "Kommandant"
machteein ernstesGesichtund meinte,dasser in
von Menschund Tier.
10
Bilder der schwarzmeerdeutschenTrecks
Es war Sonntag, der 12. März 1944.
Um 11 Uhr, als ich noch einmal -getrieben von innererUnruhe -zur Kommandantur ging, fand ich dort einen
Kreis von Männern versammelt, die
sehr ernst dreinschauten.Soebenwurde eine telefonische Meldung aus
Odessa durchgegeben.Alarmstufe 4!
Da wurde es ganz still im Raum. Zwar
war der Anruf nur die Vorstufe zum
Alarm, aber bei einer endgültigenBestätigung dieser Alarmstufe bedeutete
es, dass sich die Trecks innerhalbweniger Stundenabmarschbereit
zu halten
hätten.Die RussenhattendenOberlauf
desBug überschritten!
Wir wussten,was dashieß! -Minutenlang sagteniemandein Wort. Dann kamen mit möglichst ruhiger Stimme
Vorschlägeund Gegenvorschläge,
was
nun zu tun sei. Die gemeisterteErregung sah man jedem der Männer an.
Noch dürfe nichts nach draußendrinKür.zeeine schwerwiegende
Entscheidungerwar- gen. Noch war derendgültigeBefehl nicht da.
Ich wollte versuchen,am nächstenMorgen um 6
te.
Da war sie schon wieder, diese dunkle Wolke, Uhr -sofern dazu noch Zeit war -die nächste
die wir immer nicht sehenwollten!
Bahnstationzu erreichen, um nach Landau zu
12
fahren.Da, um 3 Uhr morgensstandzitternd eine Treckwagenauf der Anhöhe in Richtung RohrunsererbekanntenBäuerinnenim Zimmer. Eben bachvor dem Dorf, die Fuhrenbedecktmit Bretwar die Nachricht aus Odessadurchgekommen, tern, Blech oder Tüchernoderwas man sonstauf
die Alarmstufegelte rur den ga~en Bezirk.
dem Hof gefundenhatte, um ein Dach über den
Da ging nun die Schreckens
stunde durch den Wagenzu spannen.AußenbaumeltedernotwenDraht hinaus in die Dörfer, jagte die verschlafe- digsteHausrat:Eimer, Milchkannen,Futtertröge.
nen Bürgermeisteraus ihren Betten. Diese be- Hoch aufgeladenwaren Kisten und Säcke.Dagriffen kaum, dann rannten sie hinaus auf die zwischen lugten die Gesichter der Kinder. Die
Straßen, riefen Boten zusammen, und dies~ Erwachsenenmussten zu Fuß nebenhergehen.
klopften an Tore und Türen. Heraus! Heraus! Fast konnten die Pferde die Last nicht ziehen.
Der Russekommt.
Dazu derklebendeDreck.
Es war eine furchtbareNacht.
Alle Wagen wurden einer genauenPrüfung unIn höchsterAufregung liefen die Menschenzu- terzogen,ob nicht eine Fuhre zu wenig beladen
sammen.Die Dunkelheit,der Schlamm-es hatte sei, um Ausgleich für andere,überlasteteWagen
seit Wochen geregnet-und dann die Herzens- zu schaffen.
angst vergrößertenin der Phantasie der Men- Ich ging die Fuhren entlang. Dann musste ich
schendie Gefahrins Ungeheure.
zum Dorf zurück. Erst nach Stundensetzte sich
Was sollte man als Erstestun? Was packen,was der Treck endgültig in Bewegung.Er ist am ersbacken?Konnte man nochschlachten?
ten Tag wohl nicht weit gekommen.Vielleicht
Es gab einenkurzen, hartenAbschied fiir mich. nochbis zum nächstenBahnhofRohrbach.
Keinerhatte Zeit fiir denanderen.
Ich konnte noch nicht fort, denn das Schicksal
Nach erlebnisreicherFahrt erreichteich noch am der Leute ohne Fuhrenwar noch nicht entschiegleichenTag Landau,das Dorf, zu dem ich ge- den. Endlich kam die Nachricht: Unsere Leute
höl:te.ErnsteGesichterauchhier.
würdenalle herauskommen,wenn auchnicht mit
Ich erfuhr, dassin den letzten Tageneinige hun- Pferd und Wagen, wenn auch keine Lastwagen
dert Gespannezum Transportdienstan die Front mehr zur Verfügung stündenund keine Bahn
beordertwordenwaren. Nun saßendie Familien mehr ging. Sie sollten nachOdessaherausgefloda ohne Familienoberhauptund ohne die Mög- genwerden.Wir atmetenauf.
lichkeit, mit eigenerKraft fortzukommen.Woher Es war dunkel,als sichunsereKolonne in Bewefiir sie alle den Laderaumnehmen?
gung setzte.UnsereWagenwarenaneinandergeWohl war es gelungen,drei Züge von der be- seilt wie zu einer Bergtour. Ganz vorne zog uns
nachbartenStationauf denWeg zu bringen. Aber ein Traktor. Meter um Meter kämpften wir uns
dieser Transportraumreichte bei weitem nicht durch den Schlamm. Für 25 Kilometer bis zur
aus.
festenStraßebrauchtenwir fast zehnStunden.
Die Alten, Krankenund Mütter mit Kleinkindern
wurden zuerstfortgebracht.Da gab es die ersten
VIII.
herzzerreißendenAbschiedsszenen,denn notgedrungenmusstendie Familien auseinandergeris- 16. März 1944. Aufbruch der Familie Zanker,
senwerden,um die Bahn nur mit denBedürftigs- Landau.Nacherzähltvon M Zanker,2001.
ten zu rullen. Einige Kleinkinder starbenbereits Am 16. März sammeltensich die Landauervor
in der erstenNacht beim Warten auf die Verla- dem Dorf auf der Straße Richtung Rohrbach.
dung unter freiemHimmel.
Alle Fuhrenwarenüberladen.Überall ernsteGeAm Donnerstag früh sollte sich der Treck in sichter,gespannteBlicke. Ein klebriger und aufMarschsetzen.Aber was würde aus den anderen geweichterBodenmachtees uns noch schwerer.
werden, die keine Fuhren hatten? Die Nerven UnserePferde schaillen es nur mit menschlicher
warenangespannt
bis zum Äußersten.
Hilfe, den schwerenWagenauf denSchafbergzu
Endlich war es soweit. In den frühen Morgen- ziehen. Plötzlich hatten wir eine Wagenpanne
stundendes 16. März 1944 sammeltensich die und musstenzurück, um den Wagenzu reparie13
ren. Jetzterst sahenwir, wie trostlosdie verlassenen Höfe aussahen,die leerenHäuser,die Hühner auf der Straße.In unseremHaus im großen
Wohnzimmerhatte der Stab schonPferdeuntergebracht,und es sahüberallfurchtbaraus.
Auf Anweisung musste unsere Familie am
nächstenTag mit einem Flugzeug nach Odessa
gebrachtwerden.Das war am 17. März.
In Odessamachten wir zwei Tage Rast. Dann
ging es mit dem Lastwagennach Ovidiopol. An
der Fähre war ein Gedränge.Alle waren in Eile.
Durcheinander.Auf der Fähre rutschte ein voll
beladenerWagenmit Menschenins Wasser.Ein
Kind ertrank.
In Galatzwurdenwir in einenEisenbahnzugverladen. Der Zug fuhr hin und her, hielt oft bei der
Fahrt durch Rumänien,Ungarn und die (spätere)
Tschechoslowakeiins DeutscheReich bis Litz-
mannschaft.
IX.
17. März 1944. Aujbruch der Familie Dauenhauer. Nacherzähltvon Joh. Dauenhauer,2002.
Da der LandauerFuhrentreckkeine Pferde hatten, brachenwir am 17. März mit Lastwagendes
StabsRichtung Odessaauf. In Odessawaren wir
drei Tage, dannging es mit denselbenLastwagen
nachOvidiopol zur Fähre,mit der wir denLiman
überquerten,um dann in Akkermann zu landen.
Nach einer Woche Aufenthalt in Akkermann
fuhren wir mit der EisenbahnRichtung Arciz.
Kurz vor Arciz wurde unser Waggon bei der
kleinen BahnstationSarata-ca. 60 km von Akkermann -abgestellt und die Lok abgekoppelt.
Dort bliebenwir drei Tagestehen.
Am vierten Tag war Fliegeralarm.Es waren nur
zwei Flugzeuge.Sie flogen sehrhochund warfen
Bomben ab. Etwa 400 Meter bergabwärtsvon
der Bahnstationgab es drei Explosionen.Während des Fliegeralarmsverließendie Leute den
Zug und suchtenSchutzauf einem nahegelegenenFriedhof. Aber espassiertenichts.
Am nächstenTag kam ein Militärtransport mit
rumänischenSoldatenangerollt. Kaum hatte der
Zug angehalten,als Panikausbrach.Die Soldaten
verließenfluchtartig und Schutzsuchenddurch
Türen und Fensterndie Waggons in Richtung
14
Friedhof. Es war aber kein Fliegeralann. Alle
Blicke richtetensich genHimmel. Es warenkeine Flugzeugezu sehen.Dafür erblickten wir am
klaren, wolkenlosen Himmel sieben Schwäne,
die friedlich in Reihund Glied einherflogen.
Der Militärtransport fuhr bald weiter. Wir bliebenohneLokomotive zurück.
In der nächstenNachtwurde zehnKilometer von
uns, in Arciz, heftig gebombt.Am Morgenbekamen wir endlich eine Lokomotive und fuhren
nach Arciz. Dort aber gab es kein Weiterkommen, da die Bahnstationzerbombtwar. So wurdenwir wieder zurück nachSaratageleitet.
Am nächstenTag organisierteder SS-StabLandau unseren Abtransport mit Lastwagen nach
Tarutino. Nach ein paar Tagen Aufenthalt hieß
es: "Ostern!"
Von Tarutino ging es auf den Lastwagenweiter
nach Galatz. Auch die Stabchefs(Kazanowsky,
Kreilmann,China und wie sie alle hießen)fuhren
mit uns.
Einmal wurde früh am Abend eine Filmvorführung organisiert. Man brachte an unserer Baracke, die am nächstenzum Donauuferlag, eine
Leinwand an und baute die nötigen Apparaturen
auf. Bei Dunkelheit sahenwir die deutscheWochenschau,der ein Kriegsfilm folgte. Da heulten
überraschenddie Sirenenauf. "Oh, großerHimmel!"
Der Schreckwar groß, die Panik noch größer.
Die Leute wurden in ein freies Geländegelotst,
das etwa 200 Meter hinter den Barackenlag und
von einer Steinmauerumgebenwar. Dort fühlten
wir uns sichererals in denBaracken.
Der Himmel hing voller "Weihnachtsbäume",
und
die Bombenprasseltenwie Hagel herunter.Wer
das erlebt hat, wird diesen echten"Kriegsfilm"
niemals vergessenkönnen. Und keiner wird jemals vergessen,was der achtjährigePeterBernhard schrie,bevor er in den Annen seinerMutter
starb: "Mama, mei Kuttelick kummenraus."
Die Bombardierungdauerteeine Stunde,die uns
wie eine Ewigkeit erschien.Keiner ging in die
Barackenzurück,da man einenweiterenAngriff
befürchtete.
Erst bei Tagesanbruchsah man den ganzen
Schaden.Es hatte viele Tote gegeben.Tot war
auch Kreilmann und seine Begleiterin im Auto
mit der Filmapparatur.KreilsmannsPferde, die
in Güterwaggonsverladenworden waren, waren
zerfetztund zerfleischt.Es war schrecklichanzusehen.
Da manweitere Angriffe erwartete,brachteman
die Menschenmassen
bei Tag in die umliegenden
Dörfer. Es hatte sich herumgesprochen,
dasswir
eingeschifft und auf der Donau bis Wien gebrachtwürden. Doch darauswurde nichts, weil
es auf der Donau zu viele Minen und Luftangriffe gab.
Nach einer Woche wurden wir dennochauf Güterwaggonsverladenund über Rumänien,Budapestund Krakau nach Litzmannstadt(Lodz) zur
"Entlausung"gebracht.
Am 5. Mai 1944wurden wir in der StadtStrelno
im Warthegauin einemÜbergangslager
untergebrachtund danachden umliegendenDörfern und
Gemeindenzugeordnet.Wir kamen mit mehreren anderenFamilien nachSeedorf,direkt an der
schönenWarthe, sechs Kilometer von Strelno
entfernt. Wir wurden dem Gutsbesitzer,einem
Herrn von Dehn, Baron litauischerAbstammung,
zug~wiesen,bei demwir bis zur Weiterflucht vor
der anrückendenRotenArmee in einemGemüsegartenarbeiteten.Das war am 15. Januar1945.
Nach 60 Kilometern erneuterFlucht holten uns
sowjetischePanzerbei Gnesen(polnisch: Gnesno) ein.
Auf unseremWeg hattenwir zwei Tote zu beklagen: meine achtjährige SchwesterInna und ein
Mädchenaus meinerKlasse.UnsereMutter wurde verwundet.
Im Februar 1945 wurden wir von der sowjetischenKommandantur("Kommendantura")auf,
genommenund musstenzu Fuß nachStrelnozurückgehen,wo manuns einemLagerzuwies.
Am 27. Mai 1945 wurden wir erneut in Güterwaggons gestecktund in die Sowjetunion"repatriiert". Unsere Route lautete: Warschau,
Brest, Kujbyschew (Samara),Orenburg, Aktjubinsk. Endstation war das Kohlengrubendorf
"Schachta"(Ber-TschogurskajaShachta).
Das war am 15. August 1945. Wir landetenwieder in Baracken.Aber es hageltekeine Bomben.
Dafür musstenwir uns regelmäßigjeden Monat
melden und strengsteAusgangsverboteaus der
Siedlungbeachten.
X.
17. März 1944. Aufbruch der Friedenheimer.Berichtet vonKlemensSchäfer,1999.
SchonEnde 1943hattees sichherumgesprochen,
dassdie Zeit desAbmarschesins Reich kommen
würde. Als aberam 13. März 1944die Alarmstufe 3 durchgesagtwurde, waren doch viele schockiert. Der einzige, der sich wirklich freute, war
vermutlich unser Vater, der halbseitig gelähmt
war und nicht sprechenkonnte. SeinLächelnund
seine Handbewegungenverrieten: Endlich habe
ich es geschafft,nachdemes vor 18 Jahrenmit
derAusreisenicht geklappthat. Und das,obwohl
ich 1926bereits einenReisepassnachKanadain
meinenHändenhatte!
Von unseremBK-Führer, der seinenSitz in Landau hatte, kam der Befehl, dassdie Friedenheimer noch am 13. März aufbrechensollten. Aber
wie? Seit Wochen hatte es ununterbrochengeregnet. Die aufgeweichtenStraßen,der klebrige
Dreck und der Regenstellten sich wie abgesprochen dem Auszug entgegen. Selbst mit einem
leeren Wagen kam man nicht vom Fleck, wenn
er fast bis zu den Achsen im zähen Schlamm
steckte! So wurde der Aufbruch auf Freitag, den
17. März verschoben.Den Vater aberbrachteich
schonam 14. März unter großenSchwierigkeiten
zum Bahnhof,wo ein Eisenbahnzugwartete,der
fast voll mit kranken und alten Menschenwar
und zur Abfahrt bereit stand. Man hatte uns erwartetund empfinguns gut.
Binnen zwei Stundenwar es soweit. Ich stand
noch langewie einbetoniertda und sahdem Zug
mit unseremVater nach, der um die Kurve fuhr
und schließlich verschwand."Hoffentlich kommensie gut nachLitzmannstadt!",dachteich und
machtemich über Worms und Rohrbachauf den
RückwegnachFriedenheim.
Mutter und Tante Emilie hatten viel zu tun. Die
eine kochte,die anderebackte,dazwischenwurden Kleider sortiert, Mutter ranntezu denNachbamhinüber.
Meine 17-jährige SchwesterFlorentine war zu
dieserZeit geradein Rastatt,wo sie eine Ausbildung als Rot-Kreuz-Helferinmachte.Ich war 20
und mit meinem 13-jährigenBruder Philipp mit
Pferden und Wagen beschäftigt. Victor und
15
Adam warennoch zu klein, um zu begreifen,was an einer Dnjestrbrücke lag und zu Bendery gesich abspielte.Adam fragte immerzu: "Kommen hörte.
Da die Brücke nur nochfiir denRückzugdesMiwir schonheutezu Papa?"
Die letzte Nacht in der Heimat war voller Span- litärs frei war, fuhren wir nachGrigoriopol,dann
nung und Aufregung. Niemand konnte schlafen. in RichtungDubossary,wo wir denDnjestrüberAm frühen Morgen des 17. März waren alle auf querten. "Jetzt sind wir in Bessarabien",wurde
den Beinen. Ich deckte die zurückgelassenen gesagt.
Kartoffeln, das Mehl und das Getreide zu und Gleich nach der Brücke ging es überhohe Hügel
streutefür die 20 Hühnerund drei Gänse,die wir auf Kischinewzu. Man mussteauf die Pferdegut
aufpassen,wenn es bergab ging. In der Feme
nicht mitnehmenkonnten,Futter.
Die beladenenWagen standengegensiebenUhr donnertees,und wir erhieltenplötzlich die Nachmorgensauf den Höfen bereit für die Abfahrt in richt, dasswir uns hinter derFrontlinie befanden.
Richtung Tiraspol über Rohrbach,Worms und Das hatteuns geradenochgefehlt!
Berjosowka. Der FriedenheimerTreck bestand Daraufhin wurde die Route geändert,die uns
aus 50 Fuhrenund einem Traktor, der meistens jetzt streng nach Südenin Richtung Wadul-Lujan der Spitze der Wagenkolonnefuhr. Ich ging Wode denDnjestrentlangführte.
nebendem Gespannmit drei Pferden,Viktor und Als wir von einem Hügel herunter fuhren und
Adam saßenauf dem Wagen, Mutter und Tante fast untenwaren,wo der Weg über 30 Meter hiEmilie stapften hinterher durch den Straßen- nab geht, wurde mein Wagenschnellund immer
dreck, und Philipp saß stolz auf einer der drei schneller.Ich konnte die Pferde nicht mehr halKühe, die er ebensowie zwei Kälber zusammen- ten, obwohl ich die Zügel so straff gezogenhatte,
hielt. SeineKuh ließ sich nur von ihm reitenund dass ich meine Hände nicht spürte. Im letzten
gab obendreinwährendder gesamtenReise auch Moment machte ich einen harten Ruck, um die
Pferde vom Anhang zu reißen oder den Wagen
nocJ:lmehr Milch als die anderenKühe.
Der Zug bewegtesich sehr langsam,wie bei ei- zum Kippen zu bringen. Die Deichselbrach, ein
ner Beerdigung,und wir kamenerst am nächsten Pferd fiel auf die Knie, der Wagenrutschteauf
Tag in Rohrbachan, das nur acht Kilometer von diesesPferd und blieb 2,5 Meter vor dem AbFriedenheimentferntlag. Das Dorf war leer. Am hang stehen.Zwei vollgestopfte Säcke machten
zweitenTag schafftenwir esbis Berjosowka,ehe sich dabei selbständigund rollten Richtung Abhang. An ihnen klammerten sich Viktor und
die Wege erheblichbesserwurden.
Am vierten Tag bekamenwir den Befehl, Rich- Adam fest. Im letztenMoment gelanges mir, die
tung Südennach Ovidiopol zu ziehen, weil die beiden Kinder loszureißen,sonst wären sie ins
Dnjestrbrücke bei Tiraspol durch das sich zu- Bodenlosegefallen. Andere Helfer kamenhinzu
rückziehendedeutscheMilitär verstopftwar. Die gerannt,spanntendie Pferdeausund leertenden
Straßenwurdenwiederzunehmendschlechter.In Wagen.Beim Pferd aberwar die Wirbelsäulegewerden.
der Nähe von Odessa machten wir einen Tag brochen,und esmussteerschossen
Rastund konnten dann endlich weiter nachOvi- Die Reparaturdauerte anderthalbStunden.Mit
diopol ziehen. Ovidiopol und Umgebung war einem Baumstammals provisorischerDeichsel
ging esweiter.
von Umsiedlernüberfüllt.
Nach zwei Tagen zogen wir wieder nordwärts Und es donnerteund krachte überall. Man hatte
durch Alexanderhilf und Josefstal in Richtung uns gewarnt: Kein Feuermachen,nicht zu laut
Tiraspol, um den Dnjestr zu überqueren.In Selz, und immer auf der Hut sein! Wir sind in der
wo nur Ukrainer zurückgebliebenwaren, mach- NähedesFeindes!
ten wir am29. März eineweitereTagespause.
Es Da die Gefahr,auf Partisanenzu stoßen,hier unwar ein frostiger Tag, und wir genossendie war- vermeidlichwar, zogenwir bei Wadul-Luj-Wode
men Stuben.Von dort fuhren wir auf gutenStra- wiederwestwärtsnachKischinewund nacheiner
ßenbis Tiraspol und dannweitere elf Kilometer kurzen Rast südwärtsnach Kauschanyund weibis zur bulgarischenSiedlungParkany,die direkt ter nachBorodino, Beresino,Tarutino,Tschady16
re-Lungarund Taraklija. Zuerstregnetees, dann den nach Farnen im Bezirk Kruschwitz-Land,
fiel Schnee.
Kreis Hohensalza,gebracht. Am 1. Dezember
In Taraklija wurden wir am9. April sehrfreund- 1944wurde unsereFamilie in einemEisenbahnlich und mit bunten Ostereiernempfangen.Wir waggon durchgeschleustund eingebürgert.Ich
bliebeneine ganzeWoche und konntenuns gut war bereits kurz davor zu den Soldatengerufen
auf denweiterenMarschvorbereiten.
wordenund konnte mich nicht an diesemfeierliAm 13. April hörte es auf zu schneien.Es wurde chenAkt beteiligen.
wärmer.Am 14. April wurde der Kanonendonner Beim sowjetischenEinmarschEnde Januar 1945
lauter.Nachts flogen russischeFlugzeugegegen war ich im Einsatz in Jugoslawienund geriet
Süden. Die Deutschen nannten diese Flieger bei Kriegsende in amerikanische Kriegsge"Nähmaschinen", die Russen "Kukurusniki". fangenschaft.Erst nach der Entlassungaus der
Bald sah man auch andere Flugzeuge,und es Gefangenschafterhielt ich vom DeutschenRokrachtewiederüberGalatz.
ten Kreuz die Nachricht, dassmeine AngehöriAm frühen Morgen des 16. Aprils war sowohl gen nach ihrer zweiten Flucht im Winter 1945
aus Galatz als auch voa Norden her Kanonen- von den Russenerfasstund im August 1945 in
donner zu hören. Wir mussten daher unsere die kasachischeSteppeverschlepptworden waMarschrouteändern,die jetzt so lautete: Kagul, ren.
Pruth-Brücke; Oancea,Beresti, Barlad (Bilari),
Onesti,rumänisch-ungarischeGrenze bei Harja
XI.
(sprich: Hyrsha).Vor Harja konntenwir in Poiana Sarataeine Kuh an einen deutschenBauern 24. März 1944. Aujbruch der GemeindeKarlsruverkaufenund Futterfiir die Pferdekaufen.
he.Berichtet von Philipp Frei, 2000.
Ab Harja ging es unter strengerBegleitungunga- Unser Dorf konnte aus verschiedenenGründen
risc~er Soldaten zuerst über den Oituz-Pass, erst am 24. März aufbrechen,obwohl es in der
dannnach Targa Sekueisc,vorbei an der Eisen- Nähe donnerteund krachte und es nachtsnördbahnstationund weiter über den Turia-Passund lich und östlichdesBug blitzte.
RichtungGheorgheniund Dej.
Der KarlsruherTreck setztesich frühmorgensin
Dej liegt am Somesch.Das Wasserdes Flusses Bewegung. Um schnellervorwärts zu kommen,
war noch kalt, aberdie Kinder planschtentrotz- wurdendie Fuhrenziemlich leicht beladen.
dem darin und hattenihre Freude. Dort wurden Wir fuhren durch Landau. Dort nahmenwir undie Flüchtlinge auf die Weiterfahrt per Eisenbahn sere verbliebenenVerwandten,die Familie Hevorbereitet.Nach einerWoche musstenwir Ver- gele, mit, die weder Pferde noch Wagen hatten
pflegung fiir zehn Tage aufnehmenund uns zu und aufuns warteten.
den Güterzügenbegeben.Nachdem unser Ge- Wir zogenweiter durch die leerenDörfer Rohrpäck zum Bahnhof transportiert worden war, bach und Worms. Nach der Stadt Berjosowka
nahmeine Wehrmachtskommission
unserePfer- wurde der Weg besser,und es ging recht flott
de in Empfang und stellte uns entsprechende westwärts.Bald bogen wir nach Südenab und
Quittungenaus.
erreichtenan Odessavorbei Ovidiopol. Dort kaDamit war der Treck nach offizieller Version men wir nicht auf die Fähreund zogen in Richaufgelöst.Meiner Meinung nachwurde er jedoch tung Norden nach Tiraspol, dann weiter bis Dunicht aufgelöst;man wandeltevielmehrdea Fuh- bossary,wo wir den Dnjestr überquertenund
rentreckin einenEisenbahntreckum und erleich- vorbei an Kischinewdas südlichgelegeneTarutiterte den Menschenden Transportihres schwe- no erreichten.Nach kurzer Weiterfahrt machten
renGepäcks.
wir eineWocheRast.
Am 2. Juni 1944überquertenwir die Reichsgren- Wir überquertendie Donau und folgten dem
ze und erreichten am nächstenTag Litzmann- Strom bis zur EisenbahnstationJassenowo,von
stadt. Dort trafen wir unserengelähmtenVater, wo aus wir mit der Eisenbahnin den Warthegau
den wir vorausgeschickthatten,wiederund wur- fuhren.
17
Nach dem Einmarschder Sowjettruppenwurde Sie blieben zwei Tage in Franzfeld,bis sie ihren
unsere Familie in das Dorf "Betschogurskaja Weg nach Ovidiopol zur Fähreüber denDnjestrSchachta"verschleppt.
Liman fortsetzten. Sie erreichtendie Fähre am
22. März. Es verkehrten dort insgesamtzehn
XII.
Fähren, die jeweils bis zu 20 Fuhrwerke pro
Fahrt aufnehmenkonnten. Bei der Überfahrt gab
19. März 1944. Auszugaus Kandel. Nach "Ent- es den erstenTodesfall. Es traf die Frau von Sestehung,Entwicklung und Auflösung der deut- bastianVogel.
schen Kolonien am SchwarzenMeer" von A. In Akkermannmachteman keine Pause,sondern
Hoschund J. Lingor, Stuttgart 1990.
fuhr bis Monascheweiter, wo man übernachtete.
Am frühen Morgen des 19. März waren alle auf Am nächstenTag erreichte der Treck Sarata.In
denBeinen.Die beladenenWagenstandenschon Tatar Bunar wurde Futter für die Pferde in Empum fiinfUhr vor denHöfen, um gegensechsUhr fang genommen.Danach zogen die Flüchtlinge
in Richtung SüdennachOvidiopo1aufzubrechen. durch Cholm, Kirniski, Wasiljewka und andere
Die Kande1erwaren die ersten aus dem Ku- bessarabischeDörfer in Richtung Bolgrad. Sie
tschurganerGebiet, die ihre Heimat verlassen übernachtetenin einigendieserDörfer und zogen
mussten... Es weinten nicht nur Kinder, alte überVulkanesti in RichtungReni.
Menschenund Frauen,es weinte auch so man- Am 1. April 1944kehrte man in dem Bulgarencher"harte" und "gestandene"Mann...
dorf Tartar-Anamur(Cismikioj) ein. Wegen der
Am erstenTag kam der KandelerTreck nur lang- ungünstigenWitterungsverhältnissein den Karsam und mühevoll vorwärts. Die Kühe wurden paten mit Regen, Schneeund Glatteis konnte
zu Herden zusammengetrieben,
liefen aberbald man nicht weiterfahrenund blieb in Tartar-AnazwischenKandelund Gradenizaauseinander
und mur bis zum 17. April. Der Empfang durch die
fand.entrotz desWirrwarrs ihre Besitzer,um mit bulgarische Bevölkerung war ausgesprochen
ihnenden langenWeg gemeinsamzu gehen.
freundlich.
Der wochenlangeRegenhatte die Straßenderart Während des Aufenthalts wurden die Kandeler
aufgeweicht,dass ein Vorankommen nur sehr vom 5. bis 13. April von Schneefallüberrascht,
schwer war. Auf den voll beladenen Wagen der in dieser Gegend selten war. Das dortige
konntennur Kinder und ältere Menschenmitfah- Osterfestwar das erste,dassie nicht in ihrer Heiren; die Erwachsenenmusstenzu Fußgehen,was mat feierten.
im Schlamm mit kümmerlichem Schuhwerk Aus dem Dorf wurden ältere Menschenund
nicht einfachwar.
schwangereFrauenin die rumänischeStadt GaMit Mühe und Not kamendie Kandeleram ers- latz gebracht,wo man sie in Sicherheitglaubte.
tenAbend bis zu dem russischenDorf Troitzkoje Am Tag darauf jedoch wurde Galatz bombarund blieben dort über Nacht in den Wohnungen diert. Als einige Verwandteder Frauenund ältederEinheimischen.Es gab dort die erstenProble- ren Leute am nächstenTag nach Galatz fuhren,
me mit Russen,denndas Dorf war nach der Ok- stelltensie fest, dasses dort zahlreicheTote und
toberrevolutionauf Staatskostenerweitert wor- Verwundete gegebenhatte und der Sanitätszug
den,und man hatte in ihm viele Teilnehmerdes mit den Frauenbereits abgefahrenwar. Erst späBürgerkrieges angesiedelt. Der überwiegende ter erfuhr man, dass sich unter den Toten keine
Teil dieser Bevölkerungsgruppesympathisierte Kandelerbefanden.
mit denPartisanenund war gegendie Deutschen. Am frühen Morgen des 17. Aprils ging es endAm nächstenTag ging es weiter nach Franzfeld, lich weiter. Zunächst zurück nach Vulkanesti,
dessenBewohnerihr Dorf am gleichenTag hat- dannüber Gabanoasaund Pilnea überdie Pruthten verlassenmüssen.Als die Kandeler dort am brücke nachKagul und nacheinerÜbernachtung
Abend eintrafen, konntensie sich wie zu Hause auf rumänischemBoden über die Karpatennach
fühlen, zumal die Keller, Speicherund Vorrats- Birlad, Adjud, Cajuti, Pacau,Piatra, Gheorgheräumenoch mit Lebensmittelngefüllt waren.
ny, Gehinund Dej.
18
In Dej musstendie Kandelereine Woche Pause
einlegen und die notwendigen Vorbereitungen
zur Auflösung ihres Trecks treffen. Sie wurden
aufgefordert,Verpflegung fiir zehn Tage aufzunehmenund sich in Güterzügezu begeben.Nach
dem Abtransport des Gepäcks zum Bahnhof
nahmeine Wehnnachtskommission
die Pferde in
Empfang und stellte dafiir Quittungen aus. So
mancherBauerweinte bitter beim Abschied von
seinentreuenHelfern.
Wenige Stundennach dieser Prozedur zog der
Zug weiter in Richtung Budapestund passierte
vor der Ankunft in Litzmannstadtdie Bahnhöfe
Banska Bystritza (Alt-Sohl), Powazka Bystriza
(Neo-Sohl), Bohumi, Orlowa, Ostrau, Ratibor,
Oppeln,Brief und Breslau.
In Litzmannstadthattendie MenschenachtTage
frei, wurden gebadetund entlaust,ehesie am 28.
Mai 1944in der KreisstadtJarotschinankamen.
Insgesamtwarendie Kandelervolle 70 Tageunterwegsgewesen.Die Hälfte der2.000 Kilometer
hattensie zu Fuß zurückgelegt.Viele erreichten
denBestimmungsortnicht.
In J~otschin wurden die Menschenzunächstin
Schulenuntergebrachtund am 5. Juni von Vertretern der umliegenden Gemeinden abgeholt
und auf andereQuartiereverteilt.
An diesemTag hörte die GemeindeKandel auf
zu existieren.Bis dorthin waren die Flüchtlinge
gemeinsamgekommen,von jetzt an wurden sie
im gesamtenKreis verstreut angesiedelt. Sie
merkten, dass sie keine Bauern mehr waren,
denn sie wurden als landwirtschaftlicheZeitarbeiter auf den umliegenden Bauernhöfenverpflichtet. Sie musstenauf ehemaligenpolnischen
Bauernhöfen arbeiten, auf Anwesen, die seit
1939/1940von deutschenBauernaus Bessarabien, der Bukowina und der Westukrainebewirtschaftetwurden.
Es ging zunächstin Richtung Ovidiopol. Dieser
russisch-ukrainischeOrt liegt am Ostuferdessiebenbis neunKilometer breitenDnjestr-Limans.
Am 25. März wurde der Treck mit der Fähre
über diesenLiman an das WestufernachAkkermann (Bessarabien)gebracht. Am ersten Tag
konntenalle Peterstalerübergesetztwerdenund
verbrachtendie Nacht in Bessarabien.
Am nächstenTag zog der Treck südwärtsdurch
Bessarabien.Es war ein kalter Märztag mit eisigem Wind, der einenbis auf die Knochenfrieren
ließ. Am nächstenTag quartierten wir uns in
dem großen ukrainischen Dorf Sophjankaein,
machtenRastund warteten,bis die anderenDörfer desBK 34 in Bessarabienankamen.Während
wir warteten, wurden wir von einem Schneesturmmit Frosteinbruchüberrascht.
Anfang April war der letzte Wagenmit demletzten Mann des BK 34 über den Dnjestr-Liman
nach Akkermanngekommen.Nun war es an der
Zeit, dassder Treck seinenWeg nach demWesten fortsetzte. Die Peterstalerbrachen in Richtung Tatar-Bunarauf, wo sie sich mit denFlüchtlingen aus Neuburg und Alexanderhilf trafen.
Tatar-Bunarwar ein großesund schönesbulgarischesDorf. Auch dort spürte man die Unruhe
angesichts der heranrückendenFront. Viele
Gutsbesitzerund reiche Bauernwarenbereitsgeflohen. Sie hatten Scheunenvoll Futter zurückgelassen,so dassfür Pferde und Vieh genugda
war. Am 9. und 10. April feierten wir in TatarBunarOstern1944.
Bei der Weiterfahrtwarendie aufgeweichtenund
ausgefahrenen
Feldwegeallmählich derartvoller
Schlamm, dass sie von unseren Fahrzeugen
kaumbewältigt werdenkonnten.
Es ging in Richtung Westen,dann nach Süden,
Nordenund wieder Süden,bergaufund bergabein Hin und Her. An manchenTagenwaren wir
so müde und zerschlagen,dass wir das nächste
XIII.
Dorf, in dem wir übernachtenwollten, nicht er20. März 1944. Aujbruch der GemeindePeters- reichten.Es blieb uns deshalbnichts anderesübtal. Eduard Stephanberichtetim Jahr 2000.
rig, als unter freiem Himmel zu campieren,obDas BK 34 umfasstePeterstal,Josephstal,Mari- wohl die Nächte im April noch immer sehr kalt
ental, Kleinliebental, Neuburg, Alexanderhilf waren.
und Großliebental.Unser Dorf Peterstallag in Immer öfter sahen wir bei Nacht leuchtende
diesem Bereich am nördlichsten und musste "Christbäume".Sie wurden von russischenFlugschonam20. März aufbrechen.
zeugenherabgelassen,um die Ziele für die fol19
Bilder mit Stationendes "Großen Trecks", aufgenommenbei einer ReisedesEhepaaresSchäfersnach55 Jahren.
20
genden Bombardierungen zu markieren. Es Jugendbleibt Jugend,auchin extremenSituatiokrachte und donnerte überall. Galatz wurde nen. Unsere Jugendlichen hatten sich sehr
mehrmalsbombardiert.Das eine Mal bekam der schnell an die neuen Umständeangepasst.Bei
Treck die Anweisung, in Richtung Reni zu zie- schönemWetter organisiertensie kleine Lagerhen, ein anderesMal sollte er Richtung Galatz feuer, an denen Späße gemachtund vielleicht
fahren. Als wir uns dem Fluss näherten,sahen auch geflirtet wurde. Und man sang die alten
wir in der Feme die hohenBerge der Karpaten, Heimatlieder. Viele Jahre später, schon in der
die zum Greifennaheschienen.Unser Treck zog Verbannung in Sibirien, erinnerten sich viele
an der Stadt Reni vorbei und bewegtesich zum Landsleutean diesekurze romantischePhaseim
Grenzübergangam Pruth.
Frühling 1944,als noch alle PeterstalerzusamVor der Einreise in Rumänienwurden alle Pe- menwaren.
terstalervon der rumänischenGendarmerienach Als wir donauaufwärtsin Ruse anlangten,gehörSchusswaffenbefragt;es durftenkeine Waffen in te dieserschöneAbschnitt unsererFlucht in Buldas Land eingefiihrt werden.Nach kurzer Befra- garien der Vergangenheitan. Der Ernst des Legung konnte der Treck auf einer Pontonbrücke benshatteuns bald wieder voll im Griff.
den Pruth überquerenund auf der rumänischen In Ruse setztenwir zum linken Donauufer bei
Seite in Richtung Galatzziehen,wo er mit einer Giurgiu über. Wir musstendie Fähre benutzen,
Fähre die Donau überquerte.Das nächste Ziel da die Donaubrücke nur für Mi1itärtransporte
war die StadtTulcea,wo Rastangesagtwar.
freigegebenwar. Von Giurgiu zogen wir durch
Bei der Weiterfahrt in Richtung Dobrudschabis die Walachei in Richtung Westen. Dort lebten
zur rumänisch-bulgarischen
Grenze wurden die rumänischeBauern, die ärmer als ihre bulgariWege auf der bulgarischenSeitebesser.Es wur- schenNachbarnauf der anderenDonauseitewade auch immer wärmerund die Stimmungbes- ren.
ser.Es war Mai!
In klaren Nächten sahenwir oft Feuerleuchten
Nachdem wir die Grenze schnell und ohne aus dem Norden und Nordosten.Das waren die
Schwierigkeitenpassierthatten,kam unserTreck brennendenÖlfelder Rumäniens,die von britiim flachenLand zügig voran. Die Bulgarenwa- schen Bombern,die in Griechenlandstationiert
ren uns gut gesonnenund hatten Mitgefühl mit waren,heimgesuchtwurden.
uns. Das Lebendort sahnoch recht friedlich aus. Nach der StadtTumu Severinmit der berühmten
Wir beneidetendie Bulgaren.
römischen Donaubrückeaus dem Jahr 105 n.
Da die Nächte immer kürzer und wärmer wur- Chr. kam eine neue Welt auf uns zu. Dort traten
den, waren wir nicht mehr gezwungen,in den die Berge zusammenund ließen der Donau nur
Dörfern Nachtquartierzu suchen.Nachjeder Ta- einen ganz schmalenDurchgang. Die riesigen
gesroutewurde ein geeigneterfreier Platz neben Felsen und Klippen in der Mitte des zusamder Straßeausgemacht;man richtete die Trecks mengepressten
Flusses sahen geradezubedrohin Reih und Glied aus und spanntedie Pferde lich aus.
aus.Die Männerund Burschenritten zur Donau, Wir kamenzu den "EisernenToren" (die Rumäum die Pferde zu tränkenund anschließendgra- nen sagen nicht "Eisernes Tor", wie wir es gesenzu lassen.Zum Abendbrotkamensie zurück. wohnt sind; sondern "Eiserne Tore"; sie haben
Die Frauenhattenes längstheraus,wie manun- Rechtdamit,denndie Donau ist 250 km flussaufter diesenBedingungenraschein Essenzuberei- wärts nach Orsova immer noch nicht frei von
ten konnte.Währendder Rastwurde ein Loch in den Karpaten,und es gibt dort weitere "Tore 'j,
die Erde gebuddelt,ein Topf darauf gestellt,und und plötzlich zeigte sich die schöneInsel "Adaschon war die Kochstelle fertig. Aus der Feme Kaleh". Es folgten der Karpatendurchbruchbei
sahder Platzauswie ein romantischesZigeuner- Orsovaund der "Kessel", eine weitere Enge, in
lager. Nur waren dort keine "schwarzen"Zigeu- derdie Donaurauschtund sprudelt.
ner, sondernschwarzmeerdeutsche
Ex-Kolonis- UnsereReisewegewurden immer schmälerund
gefährlicher. Rechts die steilen Felsenwände,
21
links nur ein paar Meter entfernt der reißende das Papier wert waren, auf dem sie geschrieben
wurden.
Strom.
Zwischendem Ufer und unseremWeg gabes oft Nach wenigen Tagen fühlten wir uns wie Hans
intakte Schützengräben,in denendeutscheSol- im Glück auf demWeg nachHause.Wir wurden
datenpostiertwaren.Das galt den PartisanenTi- medizinisch und sanitär betreut, das heißt wir
tos, für die das Terrain an dieserStelle idealwar. konntenuns baden,wurden"entlaust". Deutsche
Sie suchtenam linken (rumänischen)Ufer Kon- Jungenin strammenHJ-Uniformenund deutsche
taktmöglichkeitenzu britischen Sabotagespezia- Mädchen in BDM-Kleidung hatten für unseren
listen, was der deutschenAbwehr abernicht ver- Empfang sogar ein Konzert mit Musik und
Volksliedern vorbereitet. Auf ihren Armbinden
borgengebliebenwar, wie esdamalshieß.
Dank Gottes Hilfe kamen wir ohne besondere stand in großenBuchstaben"BANAT". Es waVorfälle durchdie gefährlichenDonauengenund ren Kinder der Donauschwabenin Serbien,die
konnten über Coronini und Moldova Veche in dort in derNachbarschaftlebten.
Inzwischenbereitetenwir uns auf die Weiterfahrt
westlicheRichtungweiterziehen.
Die Karpaten entferntensich immer weiter von mit der Bahn vor. Es gab Verpflegung für zehn
der Donau,und vor uns breitete sich eine herrli- Tage, und wir wurden in Güterwagengepfercht,
che Ebeneaus,das fruchtbareund schöneBanat, zuerst unser Gepäckund obendrauf wir selbst!
das zwischen Rumänien, Ungarn und Serbien Glückliche Reise durch Serbien,Rumänien,Unliegt und entsprechendaufgeteiltist. Im rumäni- garn, die Tschechoslowakeiund Polenbis LitzschenTeil gabes stattlicheund schöneDörfer, in mannstadt!
denenwir Deutscheantrafen, die Donauschwa- Die längste Eisenbahnstreckeführte uns durch
ben. Besonders fielen uns die altmodischen Ungarn. Besondersbeeindruckt waren wir dort
Trachten der Bäuerinnenmit Kleidern und Rö- von den schönenBauerndörfer,die uns voller
ckenbis zu den Fußknöchelnauf. Bei uns in der SehnsuchtanunsereHeimat am SchwarzenMeer
Ukraine hatten wir ähnliche Trachten nur von denkenließen.
Wir fuhren bei Nacht durch Budapest,das hell
Bildern unsererAhnengekannt.
Bei der Fahrt durchdie Dörfer botenuns Bauern erleuchtetwar. Es war für uns neu, dasses so etimmer wieder Pferde und Kühe zum Kauf an, was in Europa gab -mehr als vier Jahre nach
weil man ihnen "da vorne" doch alles wegneh- Kriegsausbruch.
men würde. Welcher Bauer verkauft schon sein Nach über drei Monaten auf einem beschwerliletztesTier, dachtenwir. Wir verstandenjedoch chen, aber interessantenFluchtweg kamen wir
Ende Juni 1944in derAufnahmezentralefür Ostschonbald,warum.
Nachdem wir die rumänisch-serbischeGrenze flüchtlinge in Litzmannstadtan. Dort wurdenwir
bei Jassenowopassierthatten, war unser Treck registriertund in die Gruppeder"Ost-Volksdeutmit Pferdegespannen
zu Ende.Die leerenWagen schen"eingetragen.
und das Vieh, das wir noch hatten, wurden zur
XlV.
Aufnahmestelle außerhalbdes Ortes gebracht,
wo es eine riesige Koppel gab, die von Wagen
umgebenwar und vielen PferdenPlatz bot. Auf 30. März 1944. Aufbruch der GemeindeKleinlieeiner kleineren Koppel danebenwaren Rinder, bental.Kurzfassungder drei Autoren diesesBeidie laut muhtenund brüllten. Dort standeneben- trages,2003.
falls viele Wagen, zu denen wir auch unsere Der Treck des Dorfes Kleinliebental setzte sich
am 30. März 1944in Richtung Ovidiopol in Bestellten.
Den Empfang unserer Fuhrwerke und Tiere wegung. Ein Teil der Kleinliebentalerkam wequittierte ein Beamter. "Bewahrensie die Quit- gen ungünstigerWitterungsverhältnisseerst am
tung gut auf', sagte der Mann, "das Deutsche 2. April auf die Fähre.Die anderenmusstensüdReich wird euch später dafür entschädigen." lich von Ovidiopol über die SandbankKarolinoHeute wissen wir, dass diese Quittungen nicht Bugas nach Bessarabienflüchten. Von Bessara22
bien ging es mit der Fähre in der Nähe von Ismail überdie Donau in die Dobrudscha,dannder
Donau entlangbis Jasenewoin Serbienund anschließendper Eisenbahndurch Rumänien,Ungarn und die Tschechoslowakei
bis zum Warthegaubei Litzmannstadt.
xv.
29. März 1944. Aujbruch der GemeindeAlexanderhi/f Bericht von Eduard Mack,1998.
Mit dem Näherrückender Front wurde uns mit
jedem Tag klarer, was uns bevorstand,obwohl
nochkeine Anweisungenvon den deutschenBehördenvorlagen. Wir hörten auch,dassdie deutschen Gemeinden,die östlich und nordöstlich
von uns lagen, die Beresanerund andereNachbarkolonien also, bereits vollständig evakuiert
wordenseien.Und so kam der Tag, an demman
uns Männer in der Kirche zusammenriefund uns
den Befehl des BereichskommandoführersBK
34 bekanntgab. Laut diesemBefehl musstenalle
VolksdeutschenunseresBereiches in den Wartheg~uevakuiertwerden.Zur vollständigenVorbereitunggab manuns achtTageZeit.
Das ganzeDorfwurde in Gruppenaufgeteilt.Die
Gruppenbestandenmeistensaus fünf bis sieben
Wagen; jede Gruppe bekam eine Nummer, die
auf den Wagensichtbarangebrachtwurde.Unsere Gruppe erhielt die Nr. 14. Gruppenführerwar
FriedrichGauck, der immervoraus fuhr und starke Pferdeund gute Wagenhatte.
Die Pferde wurden beschlagen,Wagenrepariert,
das Pferdegeschirrvorbereitet. Einige Familien
decktenihre Wagen mit Sperrholz,andere mit
Blech, Wachstischtüchemoder sogar mit Teppichen. Das sollte vor Wind, Regen und Sturm
schützen.Außerdemmussteman einen Trog für
die Pferdemitnehmen.Alle Fuhrenwarenbereits
am28. März nachmittagsbeladenworden.
Mit dem Glockengeläutzum Abschied wurden
die Pferde am 29. März um 6 Uhr früh eingespannt.Unsere Kuh, zwei Rinder, zwei Schafe
und ein Schweinchenwurden losgebundenund
aus dem Stall getrieben,damit sie nicht verhungerten.
Am Dorfende in Richtung Ovidiopol wurde der
Treck unseresDorfes zusammengestellt.Insge-
samt waren es 235 Fuhrwerke mit 575 Pferden;
die ersteFuhrewar die desBürgermeistersHeinrich Schöpp.
Die Strecke Alexanderhilf-Oviopolbeträgt neun
Kilometer. Der Zustandder Straßehatte sichverschlechtert,denn etliche Trecks hatten bereits
den gleichenWeg wie wir benutzt.
Um 11 Uhr kamen wir in Ovidiopol an, wo uns
eine Fähre der Wehrmachtüber den Liman befordern sollte. Da ein Nordwind das Wasserins
Schwarze Meer hinausgetriebenhatte, konnten
die Fährenjedoch nicht anlegen. Wir mussten
daher in den Höfen der ansässigenUkrainer
übernachten.Die meistenvon uns hattenaber in
Ovidiopol Bekannte, von denen sie freundlich
aufgenommenwurden. So auch wir. Wir übernachtetenzweimal,wurdenverköstigt.
Am 31. März 1944, einem Freitag, konnten wir
endlich auf die Fähre fahren. Jede der zehn
Fährennahm 20 Fuhrenauf. Die Überfahrt über
den neunKilometer breiten Liman dauerteetwas
weniger als eine Stunde.Um 9 Uhr abendskamen wir in Akkermannanund übernachteten
außerhalb der Stadt am Straßenrandin der Nähe
desDorfes Babaschoi.
Am 1. April fuhren wir ab 9 Uhr früh auf einem
sehr gutenWeg in Richtung Manaschiund weiter bis Baramtscha,wo wir nach insgesamt40
Kilometern Fahrt Wohnraumund Ställe für die
Übernachtungbekamen.
Am 2. April erfolgte bei starkemRegendie Weiterfahrtbis Sarata.Unmittelbar nachBaramtscha
erblickten wir einenhohen, steilenBerg. Da der
Feldweg nach dem starken Regen tief verschlammtwar, war es für uns mit der schweren
Last kaum möglich, denBerg zu bewältigen.Einige,die obenangekommenwaren,spanntenihre
Pferde aus und gingen zurück, um den anderen
zu helfen. Hinter dem Berg war der Weg bis einen Kilometer vor Sarata wieder besser,ehe er
sehr löchrig wurde. Zudem sankdie Temperatur
plötzlich rapide, und aus dem Regen wurde
Sturm.Man konnte kaum nochetwassehen.Viele Fuhren blieben in den Löchern stecken,und
nicht alle kamen in Sarataan; die davonBetroffenenmusstendraußenim Sturmübernachten.
Am 4. April ging es am frühen Morgen in Richtung Tatar-Bunar(Tataresti)weiter, am 6. April
23
nach Spaskaund weiter bis FantanaZenala und
Ismail. Im gagausischenDorf DerbenderiKaratschanblieben wir siebenTage und feierten dort
Ostern.
Am 15. April erhieltenwir die Anweisung,nach
Nordenzu fahren. Wir überquertenden Pruth bei
Kagul oder Falciu und zogen über die rumänischenKarpatennachUngarn.
Weiter bewegtesich der Treck in Richtung Moscovcii. Wir fuhren von 5 Uhr morgensbis 8 Uhr
abends,schafftenabernur die Hälfte der Strecke.
Es war ein sehrschwererFeldweg, den wir nach
dem langen Regen antrafen. Wir übernachteten
mitten auf demFeld in einemTal zwischenzwei
beachtlichhohenBergen.Der Treck ausGroßliebental war bereits vor uns dort, und die Leute
warntenuns davor, Feuerzu machen,da wir uns
in Feindesnähebefanden.Es dauerte auch nicht
lange,bis wir ein Flugzeughörten,das sich uns
näherte.Bald krachte es einmal und dann noch
einmal.Es ist unmöglichzu beschreiben,wie vor
allem die Frauenund die Kinder schrieen,was
für eine Panikfolgte! Die Pferdewieherten,zerrten an denLeinen.Dannwurde alles still.
Wir blieben drei Tage in Moscovci, wo sich die
Trecks aus Alexanderhilf, Neuburgund Mariental sammelten.Man teilte uns mit, dassdie Brücke über den Pruth bei Kagul gesprengtworden
seiund russischePanzertruppenim Norden nicht
allzu weit von uns operierten.JedeNacht sahen
wir, wie Galatzbei Nacht vom Licht der Scheinwerfer und Leuchtkörper beim Bombardement
der Stadt durch sowjetischeFlieger taghell wurde.
Am frühen Morgen des 21. Aprils fuhren wir in
südlicher Richtung weiter. Wir bemühtenuns,
von der Front wegzukommen,da man denKanonendonnerschondeutlichhörte. Nach einerFahrt
von 30 Kilometern kamen wir in der moldauischenSiedlung Kuzawoda an, die in der Nähe
von Vulcanesti liegt. Das Futter für Pferde und
Kühe war sehrteuer. Ein Kilo Mais kostete 20
Lire. Wir blieben sechsTage in Kuzawoda. In
dieser Zeit sammeltensich dort die Fuhren aus
sechsSchwarzmeerdörfern
und Odessa.
Am 28. April wartete eine Wehrmachtsfahrein
Kargatschiauf uns, um uns über die Donau zu
bringen, und am nächstenTag wurden wir in
24
Kardal auf eine großeFähre für 200 Fuhrenverladen.
Die Donau ist an dieserStelleetwa zwei Kilometer breit; unsereFähre brauchtenur 15 Minuten
bis Isny (Isaccea)unweit der Stadt Tulcea, die
zur rumänischenDobmdschagehört.
So verließen wir Bessarabien,bevor wir drei
Tage in Nikolitel verbrachtenund dann die Donau entlang nach Südendurch die Dobmdscha,
Bulgarienund die Walachei (Alt-Rumänien)bis
in dasBanatzogen.
Am 22. Juni 1944verließenwir die letzte Übernachtungsstelleauf rumänischemBoden. Um 3
Uhr bewegte sich der Treck vom Aufenthaltsort
Belobreschi(Diritsch) zur Grenze.Zwei Kilometer nachder rumänisch-serbischen
Grenzefuhren
wir durchdasschönegroßeDorf Rotkirchen,das
zur Hälfte von deutschenBanaternbesiedeltwar.
Dann ging es siebenKilometer weiter zum SammellagerJassenowoin derNähe der Bahnstation
Weißkirchen.
Sonntag,25. Juni 1944: Wir sind in einemEisenbahnzugundfahrenin RichtungWarthegau...
XVI.
Ende März 1944. Aufbruch der GemeindeSelz.
Bericht von Eduard Stephan,2000.
Dass die Lage der Flüchtlinge Ende März 1944
immer brenzliger wurde, konnte man am Beispiel der GemeindeSelzsehen.Selzgehörtezum
Rayon Kutschurganund wurde vom BK 23 betreut. Die sowjetischeArmeehatte denBug überquert und dann nördlich von Dubossary den
Dnjestr und schließlich auch den Pruth in der
Nähe der StadtJassy.Es kam fiir die Flüchtlinge
zu großenStauungenan denDnjestr- und Limanüberquerungen.Die Partisanenwurden immer
aktiver und leistetengute Vorarbeit fiir die Rote
Armee.
Als8elz von deutschenSoldatenals letztesDorf
des BK 23 mit der Fähre bei Majaki über den
Dnjestr geschleustwurde, tauchtenplötzlich am
OstuferunbekannteTruppenaufund feuertenauf
die Fähre. Ein großer Teil der Selzer, die am
IUfer noch auf ihre Überfahrt warteten,wurde
festgenommenund zurück nach Selz gebracht,
wo sie bis Kriegsendeblieben. Nach dem9. Mai
1945wurdensie in den hohenNordennachWorkuta verbannt.
Drommina und Umgebung.Nun warendie einstigen Nachbarnaus Peterstal30 Kilometer voneinanderentfernt,und dieserTrend sollte sich in
XVII.
der Zukunft mit jeder Flucht, Umsiedlungund
Evakuierungdramatischverstärken.
Empfang im Warthegauim Sommer 1944. Be- Vorerst aber hattenwir endlich eine festeAdresrichtet von Eduard Stephan,2000.
se: Dorf Sitzenroten, Gemeinde Reichwald,
Wir wurden in der KreisstadtKonin ausgeladen Kreis Konin, Warthegau-6.
und noch im Dunkel der ersten Nacht in zwei Wir konntenwieder in richtigen Bettenschlafen.
Flüchtlingslagern untergebracht. Das war der Da es Arbeit so schnellnicht gab, suchtesichjeAnfang der Trennung und des Auseinanderle- der eine Beschäftigung.Alle Peterstalerbekamen
bensder DeutschenunsererGemeindePeterstal. Hilfen vom Staat,und man wies uns auch LeDie eine Hälfte der Peterstalerwurde im Zent- bensmittelkartenzu, ohne die man weder Brot
rum der Stadt nebeneiner Kirche in Gemeinde- noch Fleisch, Fett, Zucker oder andereLebensräumen einquartiert,die für Flüchtlinge herge- mittel kaufenkonnte. Für Kleinkinder gab es eirichtet wurden. Dort gabes auchgroßeLagerhal- nen Kinderplatz, schwarzmeerdeutsche
Schüler
len für das gesamteGepäckder Peterstaler.Die wurdenSchulenzugewiesen.
andere Hälfte der Peterstalerwurde südöstlich In der Erntezeit konnten sich einige Flüchtlinge
am Rande der Stadt nebender Warthe in einem bei den Bauernals Tagelöhnerverdingen.Unser
dreistöckigen Schulgebäudeuntergebracht,auf Lebenpasstesich nachund nachden Umständen
dessenHof sich mehrereeinstöckigeHäuserbe- an. Allgegenwärtig aber blieb angesichtsder hefanden.In diesenUnterkünftenblieben wir zwei ranrückendenFront die Angst um unsere ZuWochenund wurden dort auchverpflegt. Es gab kunft.
wa~e Mahlzeiten,oft Gemüsesuppen
und Kaf- Es war die Zeit, da sich die Ereignisseauf den
feeersatz.Viele Peterstalerkanntendie Speisen Kriegsschauplätzenüberschlugen. Am 6. Juni
nicht und verpflegtensich solange und so gut es 1944 waren die Alliierten in der Normandiegeging mit ihremProviant.
landet,am20. Juli misslangein Attentat auf HitKonin war keine große Stadt, in der nur wenig ler, und im August organisiertenWiderstandslos war. Da wir nichts zu tun hatten,bummelten kämpfer einen Aufstand in Warschau,der von
wir öfter durchdie Stadt,wo die Gaststättenfast Wehrmachtund SS blutig niedergeschlagen
wurmenschenleerwaren. Um in einer Gaststättezu de, nachdemdie Aufständischenvergebensauf
essen,benötigte man Lebensmittelmarken,die Unterstützung durch die Rote Armee gewartet
wir aber nicht hatten. Immerhin konnte man Li- hatten. Die Deutschenbegannenan der UnfeWmonadeund Bier ("Dünnbier"; Anm. d. Red.) barkeitdes "Führers" zu zweifeln. Sie warengekaufenEs gab aucheinige Kinos, die wir fleißig fordertwie nochnie in ihrer Geschichte.
besuchten.Das war etwas Neues und erinnerte Gefordert waren auch die Volksdeutschen,also
uns an die Vorkriegszeit. Gezeigt wurden meis- WIr.
tens friedliche Heimatfilme. Lediglich die W0- In den Monaten Septemberbis November 1944
chenschauerinnertean den grausamenKrieg.
wurden alle wehrtauglichenMänner der VolksEines Morgens standenPferdegespanne
der pol- deutschenzur Wehrmacht,zur Waffen-SS oder
nischenBauernvor demLager.Die Fahrerhatten zum Volkssturm eingezogen.Man sprach vom
die Aufgabe,uns in die verschiedenenDörfer zu "letzten Aufgebot des Führers". Die Männer
bringen. Unsere Peterstaler,die in den Häusern wurden an verschiedenenFronteneingesetztund
nebender Warthe untergebrachtwaren, wurden kamenauch in verschiedeneGefangenschaften
in das 18 Kilometer entfernte StädtchenReich- amerikanische,britische, französische,sowjetiwald mit den umliegendenDörfern Sitzenroten, sche-oder starbenfür Deutschland.Die nocharGrochowje, Weißfrauen, Ljubina und anderen beitsfähigen Männer und Frauen wurden zum
gebracht. Die übrigen Peterstalerkamen nach Arbeitsdienst einberufen, um Schützengräben
25
auszuhebenoder andereArbeiten zu verrichten. Durch den fluchtartigen Aufbruch waren bald
Jugendlichezwischen15 und 17 Jahrenkamenin alle Wege hoffnungslos verstopft. Der Treck
Arbeitsdienst-Lager(oder auch schonzur Wehr- kam nur langsamvoran. Die Frauen waren auf
macht oder WaffenSS. Anm. d. Red.). Unsere sich allein angewiesen,dennihre Männer waren
Mädels zwischen 15 und 18 Jahten kamen in beim Volkssturm oder bei den Soldaten. Die
BDM-Lager, wurden Krankenpflegerinnenund - Flucht über die Oder schafften die meisten
helferinnen in Lazaretten, Telefonistinnen,Ar- Volksdeutschennicht mehr. Sie wurden von sowjetischenPanzerneingeholtund in Zügenbald
beiterinnen,Angestellte.
Alle außer Alten, Kranken und Müttern mit in den hohen Norden des europäischenRussKleinkindern waren im Einsatz. Es wurde kein lands,nachSibirien, Kasachstanusw. gebracht.
Unterschied zwischen Einheimischen und Was darauffolgte, wissenRusslanddeutsche
besFlüchtlingen gemacht, als es um den letzten serals der RestderWelt.
Kampf ging. Für die Volksdeutschenaus der
Ukraine hatte sich in kurzer Zeit viel geändert. KATHARINA SCHÄFER
Konstantblieb nur die Angst vor einerungewissenZukunft.
Januar -Mai 1945
Im Oktober 1944beschleunigtedie nationalsozialistischeFührungdie Einbürgerungsaktionder Im Januar 1945 war es kalt. Auch bei uns in
Volksdeutschen.Es wurden sogar Eisenbahnzü- Farnauim Warthegau,wohin wir vor gut einem
ge zu Einbürgerungsbürosumfunktioniert und halbenJahraus Friedenheimim Schwarzmeergevon Ort zu Ort zu den Flüchtlingen geschickt, biet evakuiert worden waren. Die Rote Armee
um möglichst viele neue Deutsche zu erfassen. kam von Tag zu Tag näher. Unruhe und Angst
Die Zeit war aber knapp, und die Front rückte hattensich bei der deutschenBevölkerungausgeunwiderstehlichnäher,so dass nicht alle Volks- breitet.
deutscheneingebürgertwerden konnten. Unter Am frühen Morgendes21. Januarswar dasganden nicht eingebürgertenFlüchtlingen befanden ze Dorf auf denBeinen. Unser Gutsherrließ vor
sich auchviele Peterstaler,die in Drommin und unserer Tür ein Pferdegespann auffahren und
in d~rUmgebunglebten.
sagte: "Katharina, es ist sehr eilig. Die Russen
Weihnachten 1944. An diese Weihnachtenim werden noch heute einmarschieren.Wir müssen
Warthegauerinnern sich alle Schwarzrneerdeut- schnellaufbrechen.Nimm nur dasNotwendigste
sche,die dabei waren und noch am Lebensind. und warme Kleider mit. Unser Treck geht nach
Es war ihr erstesund letztes Weihnachtsfestin Dresden."
"Großdeutschland" nach ihrer Auswanderung Unter großenSchwierigkeitenbrachtenwir meiaus demSchwarzmeergebiet.
nen Mann auf den Wagen; Johannwar gelähmt
Am 12. Januar1945beganndie Winteroffensive und konnte auchnicht sprechen,war abergeistig
der RotenArmee. Die Weichselwar inzwischen voll auf der Höhe. Nach ihm kamendie beiden
fest zugefroren. Sowjetische Truppen drangen Kleinen, Viktor und Adam, dran. Der Gutsherr
auch in den Warthegauein und hinterließeneine brachteuns noch zwei Federbettdecken
und vier
blutige Spur von Vergewaltigungen,Verschlep- Federkissen.Zum Schluss stiegen auch unser
pungenund Tod. Die Deutschenflohen.
SohnPhilipp, unsereTochterEmilie und ich auf
Mitte Januar 1945 erfolgte die erste große den Wagen. Der älteste SohnKlemens war beFluchtwelle. Es bildeten sich Trecks nach Sach- reits deutscherSoldatund TochterFlorentine in
sen,Brandenburgund Bayernsowie in das Sude- Lübeck zur Ausbildung. Wir begabenuns ohne
tenland. Ende Januar 1945 forderten die deut- sie wieder auf die Flucht in eine neueUngewissschenBehördenalle Umsiedler auf, sofort den heit. Wir warenwieder mitten in einemTreck.
Warthegauin Richtung Westenzu verlassen.Der Unser erstesZiel war die Stadt Kruschwitz, die
Befehl kam spät, für viele zu spät. Waren die in der Nähe unseresDorfes lag. Von Kruschwitz
Behördenetwa selbstüberrumpeltworden?
musstenwir über die Netze-Brücke fahren, die
26
KatJiarina Schäfer(vorne Mitte), geb. Groß,geb. 17. Oktober1896 in Marjanowkabei Selz, Odessa,bei ihrer
Feier zum 90. Geburtstagin Karlsruhe mit Kindern, Schwiegerkindern,
Enkeln und Urenkeln.
von der Wehrmacht bewacht wurde. Plötzlich
rannte ein Soldat auf uns zu und umarmteuns.
Wir waren so überrascht,dass wir den Mann
nicht sofort erkannten.Es war unser Sohn Klemens! Nach einer kurzen Begrüßung sprang er
wieder von unseremWagen herunterund sagte:
"Hinter Kruschwitz zieht der Treck in Richtung
Strelno. Das sind elf Kilometer. Ich hole euch
mit demFahrradein,und wir nehmendanneinen
anderenWeg, denn der Treck ist zu langsam.Es
empfieWt sich zur Zeit auch nicht, auf der
Chausseezu blieben. Jetzt aber schnell weiter.
Wir müssendie Brücke sprengen..."
Wir erreichtenStrelno nicht. Nach einer Stunde
war eine Panikausgebrochen.
Menschenschrien,
sprangenvon ihrenWagen,ranntenauf daszugefrorene Feld und warfen sich auf den Boden.
Zwei sowjetischeFlugzeugekamen so nahe an
uns heran,dassman sogardie GesichterderFlieger erkennenkonnte. Sie flogen den Treck entlang und schossenauf alles. Als die Flugzeuge
verschwundenwaren, wurde das Geschreinoch
lauter. Die Überlebendenbegannenmit der Bergung ihrer totenund verwundetenAngehörigen.
Als wir unser Gefährtauf die Chausseezurückbringen wollten, hörten wir plötzlich wieder
Schreie: "Sie kommen, sie kommen zurück!"
Alles rannte wieder. Johann,mein Mann, zeigte
auf Philipp und Emilie. Er meintewohl, sie sollten in dieser Situation auf keinen Fall fliehen,
was sie auchnicht taten.Adamund Viktor mussten schnellauf den Wagenklettern und wurden
mit Federkissenzugedeckt.Johannund ich legten uns auf die beidenund zogenuns die Federdecken über die Ohren. Schon trommelten die
Kugeln. Dann ein Wiehern, der Wagenmachte
einen gewaltigenRuck, ich weinte und beteteso
laut wie noch nie. Bald hörte ich nur noch Heulen, Schluchzenund Stöhnen.Schnell schob ich
die Decken zur Seite, um zu sehen,wie es den
Kindernging. Und wiederdie Schreie:"Sie kommen!" Doch diesmalwar es ein deutschesJagdflugzeug,währenddie russischen"Mstitel" ("Rächer") verschwundenwaren. Endlichvorbei!
27
Ich hatte ein paar Beulenabbekommen.Eine Kugel hatte JohannsgelähmtesrechtesBein getroffen, was ich aber erst späterentdeckte.Die Pferde bluteten und konnten sich kaum bewegen.
Philipp und Emilie kamenzurück. Philipp war
am Nacken getroffen worden und blutete. Wir
bandagiertenihn und schautenuns um: Überall
Leichen und Verwundete. Einige standenauf,
brachenaberwiederzusammen.Hinter uns lagen
angespannttote Pferde. Es war ein furchtbares
Bild, das sichuns bot.
Es dauertenicht lange,bis wir sonderbareGeräusche vernahmen.Sie wurden lauter und lauter.
Schließlich zeigten sich sowjetischePanzer,die
sichuns nähertenund mit ihren Ketten alles zerquetschten.Viele Panzer hatten Aufschriften:
"Smertj Faschistam" oder "Mstitelj", also "Tod
denFaschisten"bzw. "Rächer".
Obwohl jeder etwas Weißes zum Zeichen der
Aufgabe herzeigte,wurde alles, was nicht entkommenkonnte,niedergewalzt.
Wir saßenwie versteinertauf unseremWagen,
der immer noch am Rande der Chausseestand,
und 't"artetenauf das Ende. Es kamen immer
mehr Panzerhinzu. Ihnen folgten die Infanterie
und Spezialeinheiten,die uns wieder nach Farnen brachten.Die Brücke über die Netze stand
noch. Also hatten die Deutschenes nicht mehr
geschafft,sie zu sprengen.
2~
In Farnen hatte sich alles verändert. Polnische
Bauern hatten wieder ihre Güter zurückbekommen, und auf den Straßenwimmelte es von betrunkenen Freiheitskämpfernund sowjetischen
Soldaten.JedesHaus, alle Zimmer, Keller und
Dachgeschosse,Scheunenund Ställe wurden
durchsucht.Gefragt waren Schmuck,Uhren und
Frauen; Vergewaltigungenwaren an der Tagesordnung. Ich meine, dass die ehemaligenFreiheitskämpfer noch gründlicher als die sowjetischenSoldatenwaren.Es gabkeine Nacht, in der
sie nicht kamen, um etwas zu suchen.Und sie
suchtenüberall. SogarJohannwurde mehrmals
aus demBett geworfen.
Ende April 1945wurde es in Farnenruhiger,und
am 25. Mai verlud man uns auf Güterwaggons
und brachteuns in die UdSSR. Am 18. August
kamenwir in Ber-TschuguskajaSchachta,Rayon
Tschelkarskij, Gebiet Aktjubinsk, Kasachstan,
an,wo wir in Barackenuntergebrachtwurden.
JohannsGesundheitverschlechtertesich unaufhaltsam.Die Stelle um die Schusswundeam gelähmtenBein entwickelte sich zu einerunheilbaren Gangräne.Er starbdaranam29. Mai 1946.
Erst als mich Jahre späterdie Nachrichterreichte, dass Florentine noch lebte, in Sibirien, und
Klemens denKrieg in Jugoslawienund die amerikanische Kriegsgefangenschaft überstanden
hatte,bekammein Lebenwieder einenSinn.