Dachzeile: REGIERUNG Titel: Ministerin im Rotlicht Vorspann

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Dachzeile: REGIERUNG Titel: Ministerin im Rotlicht Vorspann
Dachzeile: REGIERUNG
Titel: Ministerin im Rotlicht
Vorspann: Affären der Vergangenheit drohen die neue Chefin des
Gesundheitsressorts, Ulla Schmidt, einzuholen
Text: Die Augen verrieten Glück und Stolz. Mit einem breiten Lächeln nahm die
stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Ulla Schmidt am Freitagnachmittag aus
der Hand von Bundespräsident Johannes Rau ihre Ernennungsurkunde zur neuen
Bundesgesundheitsministerin entgegen. Jahrelang hatte sich die Frohnatur aus
Aachen mit Kärrnerarbeit hochgedient bis zur Spitze - ins Kabinett von
Bundeskanzler Gerhard Schröder.
Doch schon trüben erste Schatten das neue Glanzlicht in der Regierungsmannschaft
des Niedersachsen. Affären um Erpressung, hinterzogene Steuern, Bararbeit im
Rotlichtmilieu der Kaiserstadt mit beschlagnahmten Pornos oder die Beziehung zu
ihrem dubiosen politischen Ziehvater Dieter Schinzel drohen die lebenslustige
Rheinländerin einzuholen. Die Hinweise machten selbst Schröders engste Mitarbeiter
so nervös, dass sie noch vor der Berufung von Ulla Schmidt ins Kabinett Gewissheit
haben wollten. Noch am vergangenen Donnerstag wollte Kanzleramtsminister FrankWalter Steinmeier von der Bundestagsabgeordneten wissen, was an den Skandalen
und Affären dran sei. Ulla Schmidt antwortete: "Nichts!"
Die Aussage könnte voreilig sein. Die politische Karriere der früheren Lehrerin für
lernbehinderte und schwer erziehbare Kinder ist schillernd. Vor ihrem Wechsel zu
den Genossen im Jahr 1983 engagierte sie sich Mitte der siebziger Jahre für den
Kommunistischen Bund Westdeutschlands (KBW), eine linksextreme Splittergruppe.
1976 bewarb sie sich, beobachtet vom Verfassungsschutz, in ihrer Heimatstadt als
KBW-Kandidatin für den Bundestag. Im Handbuch des Bundestags schildert die
Aachenerin zwar genau ihre Karriere nach dem Eintritt in die SPD - von der Ratsfrau
bis zur stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden -, doch über ihre Zeit als Kommunistin
findet sich kein Wort.
In die Schlagzeilen geriet die frisch gekürte Ressortchefin zu Beginn der 90er-Jahre kurz nach ihrem Einzug in den Bundestag. Der Grund: ihre Schwester Doris Zöller,
die Betreiberin eines Casinos am Kaiserplatz in Aachen. Wegen des Verdachts, in
dem Glückstempel werde illegal gespielt, ermittelte die Staatsanwaltschaft. Bei einer
Razzia in der Wohnung der Schwester fiel den Kripo-Beamten auch ein Sparbuch mit
der Nummer 306035601 in die Hand, das auf den Namen von Ulla Schmidt
ausgestellt war. In ihren Akten hielten die Steuerfahnder damals fest, dass das
Sparbuch "Guthabenbeträge von 100 000 Mark bei Ein- und Auszahlungen zwischen
180 000 und 210 000 Mark" aufweise.
Das Merkwürdige bei den Ermittlungen gegen die Parlamentarierin: Während die
Politikerin zuerst die Herausgabe des Sparbuchs forderte, weil es ihr gehöre und sie
es der Schwester nur zur Aufbewahrung gegeben habe, tischte ihr Anwalt später
eine andere Erklärung auf. Ulla Schmidt, so ließ sie ihn erklären, habe "mit dem auf
ihren Namen angelegten Sparbuch nichts zu tun".
Vor Gericht begründete die Abgeordnete später, das Sparbuch sei auf ihren Namen
angelegt worden, um die Gelder dem Zugriff eines Mitbetreibers des Casinos, eines
Griechen, zu entziehen. Der Grieche war über Jahre der Lebenspartner der SchmidtSchwester Zöller. Vor Gericht sagte die Abgeordnete aus: "Er wollte an das gesamte
Hab und Gut meiner Schwester."
Der Grieche hatte die Affäre ins Rollen gebracht. Weil Doris Zöller ihm angeblich
noch Geld schuldete, die Zahlung aber verweigerte, soll er eine Erpressung versucht
haben. Vor den Richtern sagte die Politikerin damals aus, der Grieche habe gedroht,
"entweder werde Geld gezahlt, oder es würden Vorkommnisse aus meinem Vorleben
im Rotlichtmilieu an die Presse weitergegeben". Vor Gericht gab sie auch zu, dass
sie im Spielclub ihrer Schwester ausgeholfen und während der Urlaubszeit die Kasse
geführt habe.
Bei der Vernehmung durch die Steuerfahnder bestätigte auch der Grieche, dass Ulla
Schmidt über die Geschäftsabläufe informiert war. Gemeinsam mit Doris Zöller habe
er ab 1981 oft Urlaub gemacht. Ab dieser Zeit habe "Ulla Schmidt die
organisatorischen Dinge während unseres Urlaubs erledigt". Dies sei bis 1985 oder
86 so gewesen.
Wegen erwiesener Steuerhinterziehung musste die Schwester schließlich rund 800
000 Mark nachzahlen.
Geschwisterliche Hilfe hatte Schmidt schon in den 70er-Jahren geleistet - während
ihrer Studentenzeit. Samstags stand sie als Bardame hinter dem Tresen der
Nachtbar "Barbarina". Mit der Arbeit in der Bar, die ihrer Schwester gehörte, habe sie
sich ein Zubrot verdient. Sie habe den Ausschank in der Nachtbar gemacht, ließ sie
wissen. Da sei "nichts Anrüchiges zu erkennen".
Nur: Bei einer Razzia, die Ulla Schmidt als "Bedienungspersonal" erlebte,
beschlagnahmten die Sittenwächter der Staatsanwaltschaft auch mehr als ein
Dutzend harter Pornos mit Notzucht- und Brutalitätsszenen. Pikanterweise trug einer
der Sexstreifen den Titel "Ulla - the Swede".
Ins Zwielicht geriet die ausgewiesene Sozialexpertin mit dem großen Herzen auch
durch Mentor Dieter Schinzel. Der damalige Chefgenosse in Aachen und langjährige
Europaabgeordnete hatte einst die Lehrerin für die Genossen angeworben. Ihr
Ziehvater verhalf ihr zuerst zu einem Sitz im Stadtrat und ab 1990 dank eines
günstigen Listenplatzes zum Mandat für den Bundestag.
Während es für seine Ziehtochter steil nach oben ging, stürzte Schinzel ab. Bei
einem dubiosen Geldgeschäft mit angeblich fünf Millionen gefälschten Schweizer
Franken wurde er im Mai 1994 als vermeintlicher Hehler in Aschaffenburg verhaftet.
Schinzel, der sich damals in erheblichen finanziellen Schwierigkeiten befand, hatte
offenbar auch "Ulla" um Hilfe gebeten. Nach Informationen aus Bankenkreisen soll
sie bei einer westfälischen Volksbank für ihren Förderer eine Bürgschaft in Höhe
eines sechsstelligen Betrags eingegangen sein. Auf die Frage nach diesem Dienst
für Schinzel antwortete die Parlamentarierin: "Jeder kann einmal in Not kommen.
Das sollte man nicht vergessen."
Bild: IM KREIS DER MÄCHTIGEN - SPD-Fraktionschef Peter Struck und
Bundeskanzler Gerhard Schröder präsentieren das neue Kabinettsmitglied Ulla
Schmidt
PLAUSCH IN BERLIN - Auf dem Boulevard Unter den Linden plaudert die
Aachenerin mit NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement und der früheren
SPD-Sprecherin Marion Uhrig
ZIEHVATER - Der dubiose frühere Aachener SPD-Parteichef Dieter Schinzel
warb Ulla Schmidt für die Genossen
ANRÜCHIG - Für den Spielclub ihrer Schwester Doris arbeitete früher auch Ulla
Schmidt
MINISTERWÜRDEN - Die Vizechefin der SPD-Fraktion empfängt aus der Hand
von Bundespräsident Johannes Rau die Ernennungsurkunde
(c) Focus Verlag und Redaktion
Jahr=2001; Monat=1; Monat=Jan; Tag=15; Tag=Mo; Autor=Karl-Heinz_Steinkühler;
Hauptperson=Ulla_Schmidt; Land=BRD:BRD;
Organisation=Bundesministerium_für_Gesundheit; Schlagworte=Nachfolge;
Schlagworte=Affäre; Schlagworte=Hintergrund;
Hauptthema=Personalien/Berufliches/Karriereschritt;
Nebenthema=Staat/Staatsgewalt/Regierung/Koalition;
Dokument=focus/focus/2001/1/01/15/026/001;
Aspekt=15.01.2001; Aspekt=Focus; Aspekt=03; Aspekt=026-028; Aspekt=026-028;
Aspekt=DEUT:Deutschland; Aspekt=2001; Aspekt=1; Aspekt=Jan; Aspekt=15;
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Aspekt=Koalition; Aspekt=focus; Aspekt=focus; Aspekt=2001; Aspekt=1; Aspekt=01;
Aspekt=15; Aspekt=026; Aspekt=001;