Vorwärts auf der "Allee der Gelegenheiten": Javier Solana als

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Vorwärts auf der "Allee der Gelegenheiten": Javier Solana als
Vorwärts auf der "Allee der Gelegenheiten": Javier Solana als Friedensmissionar im Nahen
Osten
Aufgebrochen, um auszubrechen
Wie der Spanier aus Brüssel auf seine Weise versucht, der Europäischen Außenpolitik in der
Krisenregion wieder Gewicht zu verleihen
Von Christian Wernicke
Gaza-Stadt/Tel Aviv, im Januar - In diesem Moment waren sie alle ein wenig stolz auf ihn. Leicht
verwirrt zwar, aber mit erstauntem Lächeln schielten die sechs EU-Beamten hinüber zu ihrem Boss.
Der verabschiedete sich gerade von einem Dutzend Palästinensern, mit denen er hier, im spröden
Speisesaal des Hotels Commodore zu Gaza-Stadt, drei Stunden lang über Krieg und Frieden, über
Terror und Politik debattiert hatte. Doch tja, zu spät, er hat sich schon wieder gefangen.
Jetzt steht da drüben hinterm Tisch wieder der alte, der alltägliche Javier Solana: also jener, der mit
strahlend braunen Augen jedermann auf der Welt die Hand schüttelt. Oder auf die Schulter schlägt,
zum Bruderkuss umarmt und links wie rechts seinem Gegenüber den eigenen Stoppelbart an die
Wange schmiegt - ¸¸Bis zum nächsten Mal!" Nur, was die EU-Beamten da vorher beobachtet
hatten, das war neu. So wie eben, ¸¸so wunderbar undiplomatisch", hatte noch keiner von ihnen
Europas Chef-Diplomaten erleben dürfen. Kurz nach dem Mittagessen war Brüssels ¸¸Hoher
Repräsentant für die Außen- und Sicherheitspolitik" plötzlich aus der Rolle gefallen.
Als sei ihm der Fisch, den er in trauter Runde mit palästinensischen Politikern, Geschäftsleuten und
Journalisten verspeist hatte, auf den Magen geschlagen: ¸¸Schlimmer als normaler Krieg" sei es,
¸¸Kinder loszuschicken, die durch Selbstmord töten". Die Brutalität palästinensischer
Bombenanschläge habe auch ¸¸Israels Friedensbewegung umgebracht". Solana, ansonsten ein
gefürchteter Nuschler, sprach laut. Und deutlich, und in Rage: ¸¸Die gewaltsame Intifada war nicht
erfolgreich. Ihr habt nicht gewonnen!" Brüssels Emissär, sonst stets geschmeidiger Taktiker, schien
völlig außer Kontrolle. Ausgerechnet im Nahen Osten, wo Europa doch eigentlich nichts zu melden
hat. Anderswo auf der Welt mag Brüssel inzwischen den Ton angeben. Auf dem Balkan zum
Beispiel, wo Javier Solana als EU-Unterhändler schon vor drei Jahren in Mazedonien einen
drohenden Bürgerkrieg abwendete. Oder bei Serben und Montenegrinern, die der Spanier (mit
Rückendeckung aus Brüssel und Washington) zu einer Föderation zwang; ¸¸Solania" schimpfen
beide Völker seither ihren ungeliebten Staat.
Totenstille und Beifall
Beharrlich erobert der Mann neues Terrain. Kurz vor Weihnachten hat Solana gerade in Kiew
geholfen, die Krise in der Ukraine zu schlichten. Und als Sekundant von Deutschen, Briten und
Franzosen, den ¸¸EU-3", feilschte er sogar schon mit den Mullahs in Teheran um den Abbruch von
deren überaus suspektem Atomprogramm. Aber hier, in Palästina, wo die 25 EU-Nationen sich
selten einig sind und wo allenfalls das Machtwort aus Amerika zählt - solche Sprüche, solche
Gesten? Solana war nicht zu stoppen und dozierte mit erhobenem Zeigefinger: ¸¸Zu viele von euch
haben nicht den 11. September verstanden." Auch nicht den 11. März 2004, den Tag des Attentats
von Madrid: ¸¸Mein Land, meine Gesellschaft hat sich seither verändert", trotz aller Erfahrung mit
der baskischen Eta, die vor Jahren sogar einen seiner Verwandten tötete. Sicher, die israelische
Besetzung von Gazastreifen und Palästina müsse ein Ende haben, und Europa werde ¸¸tun, was wir
können für unseren Traum von zwei Staaten, die friedlich nebeneinander leben". Aber der Terror
treibe die Palästinenser in die Isolation: ¸¸Ich bin nach Ramallah gekommen zur Beerdigung von
Arafat. Nur, ich war der Einzige aus der ganzen Welt. Denkt darüber nach!"
Zehn Minuten währte dieser Ausbruch, dann herrschte Stille. Totenstille. Doch plötzlich - Beifall.
Wie befreit klatschten die Palästinenser dem Gast aus Brüssel zu. Allein der finstere Kerl in der
schwarzen Jacke vorne rechts starrte reglos vor sich hin. Er war es gewesen, der zuvor mit seinem
Kurzvortrag über gerechte und ungerechte Gewalt diesen europäisch-arabischen Dialog gesprengt
hatte. ¸¸Sie haben Sympathie für uns, Sie hören uns zu, aber was tun Sie?", war er Solana in
holprigem Englisch angegangen. Sein Volk verstehe nicht, wieso Europa die palästinensische
Hamas-Organisation als terroristisch einstufe. Sicher, die Hamas habe ¸¸Fehler begangen", aber:
¸¸Wer hat hier 4000 Menschen getötet, wer hat die Mauer um Gaza und im Westjordanland
gebaut?" Nein, nicht die Hamas, ¸¸sondern Israel" gehöre auf Brüssels schwarze Liste.
In diesem Moment hatte Solana die Fassung verloren. Daheim in Brüssel kommt das nie vor, wie
öde die Sitzung im EU-Ministerrat auch immer sein mag. Deshalb suchen seine Beamten nun, da
sie ihre EU-Papiere zurück in Aktentaschen stopfen und müde zur Rückfahrt nach Tel Aviv
aufbrechen, nach Gründen. Jeder wird fündig, und jede Deutung stimmt irgendwie. Etwa, dass der
62-jährige Madrilene ¸¸schlicht erschöpft ist vom Stress der Reise": Vier Länder in fünfeinhalb
Tagen, hin und her gejettet durch den Nahen Osten - ¸¸das", so sagt einer, ¸¸zerrt an den Nerven".
Ein anderer Eurokrat weiß, dass Solana sich seit 14 Jahren an einer Lösung des heillosen Konflikts
zwischen Israelis und Palästinensern abmüht - erst als spanischer Außenminister, dann als NatoGeneralsekretär, nun eben als EU-Emissär: ¸¸Der ist besonders emotional, sobald er in diese Region
kommt." Ganz sicher richtig aber ist, woran ein dritter Augenzeuge erinnert: Dass dem gegerbten,
von Falten zerknitterten ¸¸Gesicht von Europas Außenpolitik" die vorherige Odyssee durch ein
palästinensisches Flüchtlingslager des Gaza-Streifens unter die Haut gegangen sei: ¸¸Vor allem das
Elend der Kinder hat ihn geschafft." Die hatten ihn schließlich überall umschwärmt. Etwa auf dem
Geröllberg eines Hauses in Jebaliya, das die israelische Armee bei ihrem jüngsten Einmarsch
zerstört hatte. Oder in der Ruine des Kindergartens von Tel El Za"atar, den Jerusalems Soldaten im
Herbst mit einem Bulldozer einrissen, um einen Hügel einzunehmen, von dem aus die Hamas jede
Nacht ihre Kassam-Raketen auf jüdische Siedlungen abgefeuert hatte. An der Wand hingen noch
bunte Bilder vom Rechenunterricht: Zehn Kerzen, acht Kaffeetassen, zwei weiße Tauben. Als
Solana später davonbraust in seinem gepanzerten BMW, da hat er auf der Rückwand vielleicht die
übertünchten Graffiti erspäht: das Hakenkreuz. Oder die Krakelei von einem israelischen Bus, den
gerade eine Bombe zerfetzt.
Das sind Szenen, die gehen Solana nicht aus dem Kopf. Die Armut, die Hoffnungslosigkeit, der
Hass. ¸¸Man muss das selbst sehen", räsoniert er tags drauf müde: ¸¸Und dies alles liegt am Rande
eines der reichsten und entwickeltsten Länder der Welt." Der Spanier ahnt, dass niemand aus Israels
Kabinett je selbst in Gaza war. Schon gar nicht Jerusalems Regierungschef Ariel Scharon, mit dem
er Stunden zuvor über den Frieden im Nahen Osten gesprochen hat. Wieder einmal.
Wie viele Male er da nun schon bei Scharon auf dem Sofa gesessen hat? Europas vermeintliche
Stimme in der Welt weiß es selbst nicht: ¸¸Oft, sehr oft." Besser erinnert sich Solana an die Eiszeit
vor ein, zwei Jahren. Damals verweigerte Israels bulliger Premier dem Europäer jedwede Audienz,
weil der zuvor den greisen Palästinenserführer Jassir Arafat in dessen zerschossener Trutzburg in
Ramallah besucht hatte. Inzwischen herrschen andere Zeiten. Arafat ist tot, die Palästinenser haben
sich mit Machmud Abbas einen friedenswilligen Präsidenten gewählt. Und Ariel Scharon scheint
bereit, trotz drohender Aufstände der jüdischen Siedler, seine Armee aus Gaza abzuziehen.
Also machte sich Solana beim Anflug auf Nahost selbst Mut: ¸¸Dies ist wohl meine optimistischste
Reise seit Jahren." Solch autogene Zuversicht braucht es eben, um in den folgenden fünf Tagen
jeden Politiker in Amman und Ramallah, in Kairo, Gaza oder eben Jerusalem mit der
immergleichen Formel zu beschwören: Dass sich in der Region eine ¸¸Allee der Gelegenheit" zum
Frieden auftue, dass dies ¸¸Tage großer Hoffnung" seien. Doch so viel Licht mögen im Orient nur
wenige ausmachen. Israels Außenminister Silvan Schalom zum Beispiel erkennt nach seinem
Arbeitsfrühstück mit Solana nur ¸¸einen Schimmer der Hoffnung". Und die Führer der arabischen
Nachbarstaaten starren dieser Tage eh in eine andere, düstere Richtung: Jordanier wie Ägypter
besorgt das Chaos im Irak, ausgerechnet jetzt droht sogar bei ihnen der Nahe Osten in den
Hintergrund zu geraten. Solanas Appell, nun wieder den internationalen Friedensplan, die so
genannte ¸¸Roadmap", als vage Wegskizze aus der Schublade zu holen, verfängt am ehesten bei den
Palästinensern. Die bauen auf Europa, vertrauen Solana.
Wenn Blair aktiv wird
Bisweilen stößt Javier Solana auf seiner Fahrt durch die Region an die eigenen Grenzen. So in
Ägyptens Hauptstadt Kairo, wo er sich frühmorgens mit seiner Wagen-Kolonne durch den Verkehr
kämpft, um pünktlich bei Ägyptens Präsident Hosni Mubarak zu erscheinen - nur, um dann im
Wartezimmer zu landen. Gianfranco Fini, Roms Außenminister, ist vor ihm dran, und der Italiener
überzieht die ihm zugedachte Zeit. Solana darf sich nicht einmal beklagen, Fini ist einer der 25
nationalen Herren, denen Europas gemeinsamer ¸¸Hoher Repräsentant" zu dienen hat. Jede
Hauptstadt kann ihn, per Veto im Ministerrat, ausbremsen. Jederzeit.
Und vor allem Israels Regierung nutzt die Vielstimmigkeit der EU, um die Europäer einzeln zu
umgarnen und sich kollektiv vom Leibe zu halten. Bis Ende Februar, so erfährt ein Brüsseler
Beamter von Diplomaten in Tel Aviv, sei ihr Premier mit Anfragen aus EU-Staaten eingedeckt.
Neuerdings ist besonders Tony Blair aktiv. Im Dezember reiste der britische Premier nach
Jerusalem und verkündete seine Idee, im März in London eine Nahost-Konferenz zu veranstalten.
Blair sprach viel von Amerika, auch von seiner Eintracht mit George W. Bush. Europa kam bei
Blair weit seltener vor, weshalb Solana sich von palästinensischen Freunden nun bittere
Kommentare gefallen lassen muss: ¸¸Wenn wir das Herz Europas erreichen wollen, müssen wir
wohl via Washington gehen."
Immerhin, dieser Tage klappt es ganz gut. Daheim in Europa übernimmt die luxemburgische
Regierung, die derzeit den Vorsitz im EU-Ministerrat führt, in einer offiziellen Erklärung getreu die
Textbausteine von Solanas Mitarbeitern. Und in Ramallah ist der Spanier der einzig prominente
Europäer vor Ort. Ein Privileg, das er auskostet. Zwölf Mal tritt er binnen eines Tages vor
internationale Fernsehkameras, verbreitet über ARD, BBC und CNN die immer selbe, frohe Kunde
vom Wahlsieg des Reformers Machmud Abbas: ¸¸Er ist ein Mann des Friedens." Eine Reporterin
fragt Solana vor dem Interview, ob sie ihn schlicht als ¸¸Chef von Europas Außenpolitik"
ankündigen dürfe. Das scheint Solana zu gefallen: ¸¸Nennen Sie mich, wie immer Sie wollen."
Der promovierte Physiker weiß sehr wohl, dass dieser Titel an Hochstapelei grenzt. Nicht mal im
Labyrinth des Brüsseler EU-Viertels ist ja er der alleinige Herr über Europas Kurs. Knapp 300
Mitarbeiter unterstehen ihm dort inzwischen, derweil die EU-Kommission mit 6450 Beamten in
ihren außen- und entwicklungspolitischen Dienststellen und Büros in 123 Ländern der Welt weit
mehr Manpower aufzubieten hat. Die verwalten zudem das große Geld, jene über sieben Milliarden
Euro Zuckerbrot, mit denen Europa alljährlich internationale Kooperation betreibt. Den Gebrauch
des anderen Mittels der Außenpolitik, der Peitsche von Sanktionen, Hilfsstopps oder gar
militärischer Gewalt, übt Brüssel erst noch.
Gespaltener Kontinent
Vorerst ist Europa das, was Wissen-schaftler eine ¸¸weiche Macht" nennen. Aber um solche
Kategorien schert sich Javier Solana wenig. Als Naturwissenschaftler hat er zwar gelernt, mit
abstrakten Modellen zu spielen, Politik aber macht er lieber konkret. Statt Konzepten pflegt er
Kontakte, das ist seine Stärke, seit er 1982 unter Felipe Gonzalez in Spanien erstmals Minister
wurde. Und das ist, wie er beim Rückflug nach Brüssel selbst zugibt, gerade im Nahen Osten sein
wichtiges Kapital: ¸¸Mein Netzwerk und die Kontinuität, darauf baue ich. Es sind doch seit Jahren
immer dieselben Leute, mit denen ich zu tun habe." Also nicht das Amt, der Titel? Solana wehrt die
Frage per Gegenfrage ab: ¸¸Warum sehen Sie es nicht andersherum? Die EU-Staaten wollten einen
wie mich, mit meiner Erfahrung. Das zählt." Ansonsten hält sich Solana mit seinem Optimismus
über Wasser. Er ist Pragmatiker, seine Vision von Europas Außenpolitik bleibt so wolkig (¸¸Wir
führen keine Kriege, wir machen Frieden"), dass er sich auf dem Weg zum Fernziel einer globalen
EU-Macht nur wenigen Prinzipien beugen muss: ¸¸Ich will Teil der Lösung sein, nicht Teil des
Problems." Dazu bleibt ihm kaum mehr als die Macht warmer Worte. ¸¸Solana muss in der EU
immer erst einen Mindestnenner finden, darauf kann er dann aufbauen", sagt einer seiner Berater.
Was passiert, wenn die EU statt dessen ein politisches Vakuum kultiviert, hat die Welt beim IrakKrieg erlebt: Der Kontinent war gespalten, Solana über Monate abgetaucht. Dass das nie wieder
passiert, daran arbeitet er täglich - bis zu 18 Stunden, gerade im Nahen Osten.
Sein wichtigstes Hilfsmittel trägt er immer bei sich - ein Handy. Das hat die Telefonnummer für
Europas Außenpolitik, nach der Henry Kissinger vor dreißig Jahren so spöttisch verlangte. Und
wenn der Akku leer ist? Dann nimmt Solana erst sein zweites, dann sein drittes Mobiltelefon. Sie
haben alle die selbe Durchwahl.
Süddeutsche Zeitung
Montag, den 17. Januar 2005