Schon gefahren: BMW R 1200 GS - Süd

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Schon gefahren: BMW R 1200 GS - Süd
PROBEFAHRT
Schon gefahren: BMW R 1200 GS
KATI
KILLER?
Der Champion der deutschen Zulassungs-Rangliste verabschiedet sich sensationell aus dem Superschwergewicht.
Zu ersten Testfahrten in Südafrika rollte die neue R 1200 GS dreißig Kilo leichter, in vielen Details
verbessert und 100 PS stark in den Ring. Hat sie das Zeug gegen KTM Adventure 950 und Co?
ei jeder Renovierung
der Mutter aller
Großenduros wusste
man bislang, was
kommt: Boxer, Kardan, mehr Gewicht. Doch wer
je die fünfeinhalb Zentner
schwere R 1150 GS Adventure neben der eher zierlichen
Ur-G/S stehen sah, geriet ins
Grübeln, ob die menschliche
Evolution hier wirklich noch
Schritt halten kann.
Das ging wichtigen Leuten bei
BMW offenbar ähnlich. Und
siehe da: Der deutsche MegaFreude am Rasen: Mit der neuen GS kann seller holt zum Rundumschlag
man beängstigend schnell unterwegs sein aus. Klar, Boxer, Kardan und
B
Nur das Nötigste: Überflüssige Verkleidungsteile sucht man vergeblich
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MOTORRAD NEWS 2/2004
auch die eigenwillige Blinkerbetätigung wurden nicht vergessen. Doch
mit voll betankten 225 Kilogramm
schleppt die GS nicht mehr Speck
mit sich herum als die drahtige KTM
950 Adventure oder die erste Africa
Twin. Und das, obwohl sie den größten Motor trägt, der je in einem Enduro-Fahrwerk verschraubt wurde.
Volle 100 PS und füllige 115 Newtonmeter verspricht der Prospekt für
den gründlich überarbeiteten Vierventiler, der auf Anhieb an den kantigen Kühlrippen zu erkennen ist. Im
Prinzip handelt es sich um den bewährten 1150er Flat-Twin. Aber was
heißt das schon - in austrainierten
Bodybuildern steckt ja im Prinzip
auch noch der Schlaffi früherer Tage.
So hält BMW am wartungsfreundlichen, wenngleich mäßig drehfreudigen Konzept der Ventilsteuerung
über Stößel und Kipphebel fest. Die
Ventile wuchsen im Durchmesser um
je zwei Millimeter, der Antrieb von
Nockenwellen und Ölpumpen erfolgt
weiter über eine Zwischenwelle.
Dort versteckt sich eine kleine
Sensation: Eine Ausgleichswelle rotiert gegenläufig zur Kurbelwelle
und mäßigt die freien Massenkräfte.
Theoretisch treten die bei einem Gegenläufer ja gar nicht auf, aber wie
Boxerfahrer wissen, sieht das in der
Praxis auf Grund der gegeneinander
versetzt pumpenden Kolben mit steigender Drehzahl anders aus.
Apropos pumpen: Für die Entlüftung des Kurbelgehäuses steht nun
eine größere, ventilgesteuerte Öffnung zur Verfügung, was Pumpverluste reduziert. Ansonsten verdankt
der Boxer sein Muskelwachstum vor
allem elektronischen Maßnahmen.
So arbeitet die Motorelektronik - für
perfekte Befüllung übrigens mit ei-
Voll digital: Die Ovaluhren werden
von einem LCD-Display unterstützt
Pfeil-Ripp: Der neue Leistungsträger
ist an den Kühlrippen zu erkennen
Fotos: pt
ner eigenen Lamdasonde für jeden
Zylinder versehen - mit Klopfsensoren zusammen. Mit dem Vorteil, dass
die Verdichtung auf 11:1 angehoben
werden konnte. Das steigert die Leistung, senkt den Verbrauch und mindert die Abgase. Und gibt es an der
Buschtankstelle statt des bevorzugten Supersprits nur Klingelwasser,
stellt sich die Elektronik automatisch
Leicht, robust, wartungsfrei:
Kardankritiker bekommen Probleme
darauf ein. Genau wie auf die Umgebungstemperatur; Kaltstart und
Warmlaufphase regelt die GS jetzt
völlig ohne manuelle Hilfen.
Moderne elektronische Heinzelmännchen wirken auch im Verborgenen: Dank „Single-Wire-System“
(SWS) und miteinander kommunizierender Steuergeräte kommt der
Kabelbaum mit einem Minimum an
Leitungen und ohne Schmelzsicherungen aus. Ein letztes Relais versorgt den Starter. Wie bei Honda wird
die serienmäßige Wegfahrsperre
durch einen Chip im Zündschlüssel
deaktiviert, Wildnistouristen sollten
sich also unbedingt einen guten Platz
für den Reserveschlüssel überlegen.
Doppelzündung versteht sich bei
BMW-Boxern mittlerweile von
selbst, die neue Generation verbessert die Verbrennung durch drehzahl-
abhängige Abstände des Zündzeitpunkts der beiden Kerzen. Eine auf
neun Liter angeschwollene Airbox
und eine leichte Edelstahl-Auspuffanlage sorgen sich um An- und Abtransport der Atemluft. Im Schalldämpfer verbessert ein vom Abgasdruck gesteuertes Ventil die Schleichfahrt-Tugenden, bei Volldampf gibt es
den Weg zu kernigeren Klängen frei.
Eine vergrößerte Trockenkupplung
verbindet traditionsgerecht Motor
und Sechsgang-Getriebe. Das setzt
für sanfteren Zahneingriff und hohe
Laufruhe jetzt auf Schrägverzahnung
– und erreicht endlich das Niveau,
auf das Generationen von BMWFahrern gewartet haben. Die Getriebeabstufung legt ein "aktives" Fahrverhalten nahe - der Overdrive ist
passé, die GS dreht auch im sechsten Gang noch ans Limit.
All Terrain: Als Expeditionsmobil
reicht der GS niemand das Wasser
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PROBEFAHRT
Die Motorleistung wird über eine
neu gezeichnete Paraleverschwinge
weitergereicht, die statt im Getriebe
im Heckrahmen gelagert ist. Die Strebe zur Vermeidung des Fahrstuhleffekts versteckt sich jetzt vor Felsbrocken über dem Kardangehäuse.
Ein Längenausgleich ist überflüssig,
wes halb der Kardan einteilig und
leichter ausfallen konnte.
Das riesige Achsrohr hinten ist
nicht nur zur Stabilität da, sondern
kühlt auch die Öl-Lebensdauerfüllung im Achsantrieb, ein Ölwechsel
ist nicht mehr notwendig. Statt vier
schwerer Bolzen halten jetzt fünf
leichte Radschrauben das Rad an der
Schwinge. Erstmals in der BMWEndurogeschichte hat der Kunde die
Wahl zwischen pflegeleichten AluGussrädern und den robusten, aber
schwereren Kreuzspeichenfelgen.
Die Federungsarbeit übernimmt
wie bei der GS Adventure ein Mo-
Alles muss mit: Das variable
Koffersystem gibt’s als Zubehör
TECHNIK
BMW R 1200 GS
Schöner parken: In Ruhe rasten
dank neuem Seitenständer
nobein mit wegeabhängiger Dämpfung und per Handrad justierbarer
Federbasis. Im Vorderrahmen werkelt ein verbessertes Teleleversystem
mit 41er Standrohren und zu Gunsten größerer Handlichkeit reduziertem Nachlauf. Wie der Heckrahmen
besteht auch das Vorderteil nun aus
einer Stahlrohr-Gitterkonstruktion.
Obwohl die in zwei Stufen verstellbare Sitzhöhe der der Vorgängerin entspricht, finden kurze Beine
dank neu geformter Bank deutlich
leichter Bodenkontakt. Ergonomischer Fortschritt auch am Seitenständer, der sich jetzt tatsächlich vom
Fahrersitz aus bedienen lässt. Der
Knieschluss am 20-Liter-Kunststofffass passt im Sitzen ebenso gut wie
im Stehen bei sportiveren Geländeeinlagen. Über den konifizierten
Stahlrohrlenker stellt sich schnell das
Gefühl ein, alles im Griff zu haben.
Und das will was heißen, denn der
Boxer schlägt gewaltig zu. Die 115
Newtonmeter sind dabei nur die halbe Wahrheit. 100 Nm sind bereits bei
3500 Touren fällig und werden erst
jenseits der 7000er-Marke wieder
unterboten. Keine Charakteristik, die
zum hemmungslosem Angasen herausfordert – aber wer immer schon
wissen wollte, wie sich Souveränität
anfühlt, ist auf der GS richtig.
Drehen über die 6000erMarke ist unter Normalbedingungen absolut überflüssig. Zwar geht bis zum
Begrenzer bei 7800 noch
einiges, doch trotz der gestiegenen Laufruhe will
die GS nicht verhehlen,
dass sie kein drehzahlgieriges Sportgerät ist. Was
nicht heißt, dass man mit
der GS nicht beängstigend
schnell unterwegs sein
kann. Wer je in den Alpen
- meist vergeblich - verLeichter, sanfter, drehfreudiger: Der erste
sucht hat, einer beherzt beBMW-Boxer mit Ausgleichswelle
Motor: Zweizylinder-Viertakt-Boxer,
4 Ventile/Zyl., Luftkühlung, Elektrostarter
Hubraum:
1170 cm3
Bohrung x Hub:
101 x 73 mm
Leistung: 74 kW (100 PS) (wahlweise
72 kW (98 PS)) bei 7000 U/min
Drehmoment:
115 Nm
bei 5500 U/min
Bereifung vorn/hinten:
110/80 H 19 TL / 150/70 H 17 TL
Rahmen:
Stahl-Gitterrohrrahmen,
Triebwerk mittragend
Federweg vorn/hinten:190/200 mm
Sitzhöhe:
840/860 mm
Tankinhalt:
20 l (S)
Leergewicht voll getankt: 225 kg
Preis:
11 500 Euro plus NK
✗
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NEWS POINT
So gründlich und erfolgreich ist lange keine Überarbeitung eines Motorrads mehr ausgefallen. Wesentlich leichter und stärker, lässt der
neue Spitzenboxer die Vorgängerin
in jeder Disziplin alt aussehen – und
voraussichtlich nicht nur sie. Angesichts des Gebotenen geht sogar der
Preis in Ordnung. Wir sind gespannt
auf den ersten Vergleichstest.
Wahl-Berliner: Drei Grundfarben plus zwei Sitzbank- und Seitencover-Töne
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wegten GS zu folgen, ahnt, was 30
Kilo weniger und 15 PS mehr bei
nochmals gesteigerten Fahrwerksqualitäten ausrichten können.
Und wer je im BMW Enduropark
Hechlingen gesehen hat, was mit einer 1150er möglich ist, wenn der
richtige Fahrer draufsitzt, wundert
sich bei der 1200er kaum noch, wie
lässig das imposante Motorrad durch
dick und dünn bügelt. Trotzdem
bleibt es ein Erlebnis.
Sicher nicht ganz so adrenalingeschwängert wie bei der österreichischen Konkurrenz, aber wer Reisen
nicht mit Rallyefahren verwechselt,
kann die gestiegene Vielseitigkeit der
GS in vollen Zügen genießen. Neben einem wirkungsvollen, ohne
Werkzeug verstellbaren Windschild
gibt es jetzt sogar einen vernünftigen
Gepäckträger serienmäßig.
Wie gewohnt bietet das üppige
Werkszubehör alles, was GS-Fahrer
schon immer gerne an ihre BMW
schraubten - von der Bordsteckdose
über ein 130-Liter-Gepäcksystem bis
zum teilintegralen ABS. Für ein paar
Euro extra kann so jeder Kunde der
drahtigen BMW wieder reichlich
Pfunde auf die Rippen packen.
Paul Steiger