Musik + Mode = True Love

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Musik + Mode = True Love
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True Love
Musik und Mode stehen
in einem engen, wechselseitigen Verhältnis zueinander. Welche Parallelen und Synergieeffekte gibt es? Und wer sucht
eigentlich die Musik für
die Fashion-Shows aus,
zu der die Models über
die Catwalks stolzieren?
adonna, die sich in einem grauen SchlabberJogging-Anzug an einer Ballettstange verrenkt?
Cro, der im Karo-Flanellhemd und löchriger
XXL-Jeans vor einer Strand-Kulisse rappt, während Pearl
Jam in glitzernden, paillettenbesetzten Maß-Anzügen
über die Bühne toben? Passt nicht? Kleider machen eben
nicht nur Leute, sondern auch Popstars! Egal ob auf der
Bühne, im Musikvideo oder CD-Booklet – Musik ohne
Mode ist in unserer durchvisualisierten Welt nicht mehr
vorstellbar. Künstler unterstreichen durch ihre Kleiderauswahl ihr Image, werden dank des richtigen Outfits erst
zu einem schillernden Superstar.
Auf der anderen Seite profitiert auch die Modebranche
von der Strahlkraft bekannter Musiker. Immer wieder suchen Designer die Nähe von jungen Bands, um dadurch
ihrer Marke einen Hauch von Coolness zu verschaffen.
David Bowie diente mit seinen fantasievollen Kostümen
gleich mehreren Designer-Generationen als Inspirationsquelle. Die beiden Kreativbranchen befeuern sich gegenseitig: Pop-Sängerinnen, die als Models posieren oder hinter überdimensionalen Sonnenbrillen in der ersten Reihe
bei Modeschauen „Vogue”-Chefin Anna Wintour Konkurrenz machen. Models, die Musik auflegen, Modedesigner, die sich als A&Rs versuchen, Rockstars, die plötzlich Baby-Mode entwerfen. In Musikmagazinen kann sich
die junge Zielgruppe in Style-Kolumnen und Modestrecken, für die ab und zu Indie-Bands posieren, FashionTipps holen. Viele der gut gekleideten Selbstdarsteller auf
Mode-Blogs sehen aus, als wären sie dem neusten Videoclip einer Hipster-Indie-Garagenband aus Brooklyn entsprungen.
„Die Verbindung von Musik und Mode ist in unserer heutigen Zeit nicht mehr wegzudenken”, ist Bettina Dorn, Director Brand Partnership Central Europe bei Warner Music Group Germany, überzeugt. „Beide Bereiche zählen zu
wesentlichen Elementen des Lifestyle-Kosmos und dienen dazu, sich selbst zu definieren und die eigene Persönlichkeit zu entwickeln. Entsprechend kann Mode ein hervorragender Transmitter für neue Musik sein und die
Empfehlung eines Fashion-Labels durch einen Künstler
die notwendige Emotionalisierung liefern, als auch für
hohe Glaubwürdigkeit sorgen und den Abverkauf schüren.” Soweit der Blick auf das Verhältnis von Musik und
Mode aus Marketing-Perspektive.
| (v.l.) Daft Punk in Saint Laurent, Janelle Monáe stets in schwwarz-weiß, Florence Welch by Karl Lagerfeld, Beth Ditto, die etwas andere Mode-Muse und Fashion-Victim Lady Gaga | Fotos: David Black, Andrew Zaeh, Karl Lagerfeld, Rankin, Mariano Vivanco
M
Weniger ist mehr
Für Musiker ist der richtige Look ein wichtiges künstlerisches Ausdrucksmittel, das ihre Vision oder die Botschaft
ihrer Musik unterstreicht. Janelle Monáe zum Beispiel
trägt immer schwarz-weiß. Ihre maskulin geschnittenen
Anzüge sind längst zum Markenzeichen der Soul-Diva
mit gesellschaftskritischen Texten geworden. Es ist eine
Uniform, die sie aus Respekt vor der Arbeiterklasse, der
auch ihre Eltern angehörten, trägt. Pink distanziert sich
durch rockige Outfits vom Pop-Mainstream. Andere untermauern einen Image-Wechsel mit modischen Akzenten. Aktuelles Beispiel: Miley Cyrus, die sich von ihrem
Ruf als braves Disney-Sternchen verabschiedet, indem sie
sich ihrer Kleidungsstücke entledigt.
Eine, die das Wechselspiel zwischen Musik- und Modewelt perfektioniert hat, ist Lady Gaga. Ob im Fleisch-
Kleid oder in Leder-Bondage-Kluft, die Pop-Diva versteht
es, durch ihren extravagenten Stil von sich reden zu machen – mit gagafashionland.com gibt es sogar eine Website, die sich ausschließlich damit beschäftigt, was sie
wann wo getragen hat. Lady Gaga versteht es, die Synergien von Musik- und Modebranche zu verbinden. Ein Beispiel: Der japanische Designer Nicola Formichetti, der
beim „Haus Of Gaga”, der Kreativzelle der Künstlerin,
lange Zeit das Modezepter schwang, wurde 2010 zum
Creative Director von Mugler ernannt. Im März 2011 gab
Lady Gaga dann ihr Debüt als Catwalk-Model bei einer
Mugler-Show und präsentierte den Track „Scheiße” aus
ihrem Album „Born This Way”, das kurz danach erschien.
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Zauberformel: 1+1=3
Längst haben bekannte Musiker, deren Namen selbst zur
Marke geworden sind, Mode in Zeiten rückläufiger Tonträgerverkäufe als zusätzliche Umsatzquelle für sich entdeckt. Kanye West zum Beispiel avancierte innerhalb der
vergangenen zehn Jahre vom HipHop-Nerd zur StilIkone inklusive eigener Modelinie und lukrativen Kooperationen mit Nike und Louis Vuitton. Andere Popstars
wie P. Diddy, Pharrell Williams und Beyoncé lancierten
ihre eigenen Modemarken.
Auch für Musiklabels sind Deals mit Modeunternehmen
sehr lukrativ. „Im Idealfall treffen hier zwei Partner zusammen, die gemeinsam aus 1+1= 3 machen”, so Bettina
Dorn von Warner Music. „Für beide Seiten gilt es, mehr
Aufmerksamkeit, Liebe und Kaufkraft zu bekommen als
andere Marken. Durch individuell abgestimmte Konzepte
versuchen wir für beide Seiten neue Zielgruppen anzusprechen, eine Effizienzsteigerung innerhalb bestehender
Markenwelten durch Emotionalisierung zu erzielen, Media-Reichweite auszubauen oder auch Markenprofilierung zu betreiben. Je nach Bedarf und Möglichkeit können diese Deals als Einzelmaßnahme, als integrierte Kampagne oder Exklusiv-Kooperation umgesetzt werden.”
Warner Music hat gerade eine Brand-Kooperation mit der
deutschen Erfolgsmarke Deichmann für zahlreiche Territories vereinbart. „Mit unseren schwedischen Newcomern NoNoNo ist es uns gelungen, die neue ,Graceland’Herbstkampagne zu besetzen”, so Dorn. Neben klassischer Media-Arbeit in den Bereichen TV und Online ist in
Zusammenarbeit mit Shazam eine Competition für einen
Exklusiv-Event in Berlin geplant. „Zudem konnten wir
Deichmann als Toursponsor für unsere kommende NoNoNo-Tournee im Oktober gewinnen.” Warner Music
bietet ein ganzheitliches Musikkonzept an. Jeder der Kooperationsbereiche wird mit exklusivem Content für die
Marke, Social-Media-Kommunikation, Artist Involvement sowie besonderen Marketing-Aktivitäten begleitet.
„Die Tatsache, dass wir neben dem klassischen RecordedMusic-Bereich auch unsere Geschäftsbereiche Touring
und Merchandise-Items integrieren konnten, ermöglicht
der Marke neben einer Emotionalisierung und exklusiven
,Money Can’t Buy’-Inhalten nicht nur eine Kampagnenverlängerung, sondern auch einen Imagetransfer”, so die
Marketing-Expertin.
Umgekehrt hat auch die Modeindustrie gelernt, die wirtschaftliche Zugkraft von Musik für sich zu nutzen. Karl
Lagerfeld zum Beispiel, ein Musikfan, der angeblich meh-
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rere iPods besitzt, lässt sich immer wieder
von eigenwilligen Sängerinnen inspirieren –
und erweitert dadurch seine Zielgruppe. So
dienten ihm bereits Lily Allen und die
schwergewichtige Gossip-Frontfrau Beth
Ditto als Musen. 2009 hofierte er die niederländische Band Moke. Der umtriebige Modeschöpfer stattete die Band mit seiner Jeansline
„K” by Karl Lagerfeld aus. „Das Ankleiden
einer solchen Band ist ein guter Weg, um
Kontakt zur Jugend zu behalten”, ließ Lagerfeld damals verlauten.
Zuletzt suchte der deutsche Mode-Zar die
Nähe von Florence Welch, Frontfrau der Band
Florence + The Machine. Die beiden lernten
sich bei einem Foto-Shooting für die japanische „Vogue” kennen. Später performte die
britische Sängerin mit Hang zur Theatralik
bei der Präsentation von Lagerfelds ChanelShow ihren Song „What The Water Gave
Me”. Der Modeschöpfer revanchierte sich mit
Pressefotos und einem Plattencover für eine
limitierte Vinyl-Auflage der Single „Shake It
Out”. Es ist ein Geben und Nehmen, von dem
beide Seiten profitieren: Die von bekannten
Designern und Modehäusern protegierten
Musiker erhalten dank der Medienberichterstattung, die Prêt-à-porter-Schauen zuteil
wird, weltweite Aufmerksamkeit und können dadurch ihre Fanbasis erweitern. Die De-
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signer wiederum erhoffen sich einen Hauch
des jugendlichen Glamours der Popstars, um
im Idealfall für ihre Marken neue, jüngere
Käuferschichten zu erreichen.
Auch die Jeans-Marke Levi’s nutzte das Marketing-Potenzial von Popmusik in der Vergangenheit immer wieder für ihre Werbezwecke. Songs, die in den viel beachteten Spots
liefen, knackten europaweit die Charts. 1991
sorgte etwa ein Werbeclip dafür, dass
„Should I Stay or Should I Go” von The Clash
auf Platz eins der UK-Charts stürmte – zehn
Jahre, nachdem der Song ursprünglich erschienen war. Dem französischen DJ Mr. Oizo
gelang mit „Flat Beat” aus der Levi’s-Werbung ebenfalls der Sprung an die Spitze.
Superstars im Bikini
H&M warb u.a. bereits mit Ex-Roxy-MusicSänger Bryan Ferry. Zuletzt räkelte sich Superstar Beyoncé für eine Kampagne des Konzerns vor Palmenkulisse, in den dazugehörigen Spots gab es neue Songs der R’n’B-Queen
zu hören. Die Schweden locken die jungen
Käufer mit zielgruppen-affinen Spezial-Kollektionen – wie kürzlich mit Entwürfen von
Gute-Laune-Rapper Cro – in ihre Filialen. Zudem werden die Konsumenten in den H&MStores stets mit frischer, hipper Musik berieselt. Der Moderiese hat die Verzahnung von
Music meets Fashion: Kitsuné
gend auf einen Mix aus Elektro-Pop und Indie-Rock.
„Wir suchen nach tollen Songs, die die Leute berühren und langfristig Bestand haben”, erklärt Loaëc.
Für die Kitsuné-Modekollektionen lassen sich die
kreativen Köpfe weniger von Musik, als viel mehr
von Filmen beeinflussen, wie Loaëc verrät. „Vor
allem von US-Produktionen der späten 60er und frühen 70er Jahre.” Das Credo der Modelinie: Chic und
zeitlos. „Die Mode ist vielleicht einen Tick cleaner
als die Musik von Kitsuné”, so Loaëc weiter.
| „Monsieur Kitsuné” Gildas Loaëc | Foto: Alice Moitié
Kitsuné steht für einen exquisiten Geschmack – in Sachen Mode und Musik. Das
französische Unternehmen kombiniert Musikund Fashion-Label unter einem Dach.
„Wir lieben Musik und wir lieben Mode”, sagt Gildas
Loaëc, einer der Mitbegründer des 2002 lancierten
Pariser Labels. Kitsuné hat in den vergangenen zehn
Jahren zahlreiche zuvor unbekannte Bands gefördert, denen später der Durchbruch gelang, darunter
Two Door Cinema Club, Is Tropical, Citizens! und La
Roux.
Bekannt wurde Kitsuné vor allem durch seine „Maison”-Compilation-Reihe, die im Oktober in die 15.
Runde geht. Musikalisch setzen die Macher vorwie-
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Mode und Musik unter einem Dach, die perfekte
Symbiose. Die Synergie-Effekte liegen auf der Hand.
Kitsuné hat jedoch keine Sponsoring-Verträge mit
seinen Künstlern. „Aber wenn einer unserer Künstler
die Mode von Maison Kitsuné mag, haben wir natürlich nichts dagegen, wenn er die Kleider trägt”, so
Label-Chef Loaëc. Einige der Kitsuné-Musiker stehen
aber als Models für das Modelabel vor der Kamera,
darunter etwa die beiden australischen Zwillingsschwestern Miranda und Elektra von Say Lou Lou.
Beide Bereiche – Musik und Mode – laufen sehr gut,
wie Loaëc versichert. „Weltweit erzielen wir mit den
Modekollektionen natürlich höhere Umsätze, aber
die Investments sind auch höher”, erläutert er.
In den Kitsuné-Stores laufen übrigens vorwiegend
die „Kitsuné Maison”-Compilations. „Wir haben mittlerweile einen ziemlich großen Katalog, so dass die
Musik sehr abwechslungsreich ist – und nicht zu anstrengend für unsere Mitarbeiter in den Filialen
wird”, grinst Loaëc. | rw
Mehr Informationen: www.kitsune.fr
Popwelt und Fashion-Branche perfektioniert.
Im Frühjahr organisierte das Modelabel zum
Release seiner Festival-inspirierten „Divided”-Kollektion unter dem Motto „H&M
Loves Music Festival” in Paris ein Event mit
Live-Gigs und DJ-Set.
Apropos Festival: Dank der zahlreichen Stars,
die topgestylt bei den großen Open-Air-Veranstaltungen auftauchen und deren Fotos danach in der Boulevard-Presse kursieren, hat
sich „Festival Fashion” als eigenständiger
Look etabliert: Gummistiefel, luftigleichte
Maxikleider mit Blumenmuster – und ein
wasserfester Schutz gegen Regen und
Schlamm. Zum Beispiel von Barbour. Die mit
Wachs beschichteten Jacken der britischen
Traditionsmarke werden bei Open-AirEvents aufgrund ihrer wetterfesten Ausstattung gerne getragen. „Der Ruf unserer Marke
und der Fakt, dass wir Funktionalität mit
Style kombinieren, machen uns zu einem Festival-Favoriten”, meint Ian Bergin, Head of
Menswear bei Barbour. Insbesondere seit
2006, als die Arctic Monkeys bei Festivals im
Barbour-Outfit gesehen wurden, nahm die
Popularität der Marke stetig zu. „Wir begrüßen es, wenn Celebrities unsere Produkte tragen, weil sie sie mögen und unser Stil zu ihnen passt”, erklärt Ian Bergin.
Image und Marke müssen passen
Authentizität ist von zentraler Bedeutung. Es
geht um den idealen Brand-Fit, erklärt Bettina
Dorn. Konkret: „Für welche Attribute steht
die Modemarke, für welches Image steht der
Künstler und wie groß sind hier die Übereinstimmungen beider Marken?” Es gehe darum, ein glaubwürdiges Storytelling aufzusetzen, das den Act authentisch mit der
Marke in Zusammenhang stelle und zudem
gewährleiste, dass die Marke einen positiven
Imagetransfer durch die Zusammenarbeit
mit dem Künstler erfahre. Mit anderen Worten: Testimonial und Marke müssen zusammenpassen. Sonst profitiert keine der beiden
Seiten.
Eine Win-Win-Situation ist die Verschmelzung von Musik und Mode im Live-Entertainment-Bereich. Die Ausstattung durch
Star-Designer gehört längst zum StandardProgramm von Superstars. Beyoncé ließ sich
für ihre aktuelle Welttournee gleich von mehreren Designern ausstaffieren. Und auch Kylie Minogue arbeitet regelmäßig mit ModeGrößen wie Dolce & Gabbana oder Jean-Paul
Gaultier zusammen. Letzterer setzte bereits
zahlreiche Popstars für ihre Bühnenshows in
Szene. Legendär ist sein Büstenhalter, den er
Madonna 1990 für deren „Blonde Ambition”Welttournee auf den Leib schneiderte. Das
ikonenhafte Kleidungsstück verschaffte der
„Queen Of Pop” Aufmerksamkeit und der
Look brannte sich ins allgemeine popkulturelle Gedächtnis. Gleichzeitig machte sich der
französische Modedesigner über die Modewelt hinaus einen Namen.
Spektakulär und komfortabel
Bühnenoutfits sollen nicht nur für offene
Münder bei den Zuschauern sorgen, sondern
müssen auch praktische Voraussetzungen erfüllen. So sollten sie nicht zuletzt bequem
sein. Schließlich müssen die Künstler je nach
Dauer einer Tour mehrere Male pro Woche in
den Kostümen über die Bühne wirbeln.
Im Unterschied zu den Großen der Branche
tragen die drei Mitglieder der schwedischen
Newcomer-Band NoNoNo on stage eher
schlichte Outfits, die sie auch privat tragen
würden, wenn sie abends weggehen, wie
dieses Live-Feeling”, sagt Wäppling. Wenn
eine Band für einen Designer auf der Bühne
steht, erhalten die Musiker Aufmerksamkeit.
Gleichzeitig profitieren die Modehäuser vom
„Coolness”-Faktor. Auch das britische R’n’BDuo AlunaGeorge gab bereits live bei einer
Moschino-Show den Takt vor. Ist es nicht seltsam, statt in euphorisierte Gesichter von Fans
auf kühl herum stolzierende Models zu blicken? „Es war schon sehr bizarr”, lacht Produzent George Reid. „Wir sind daran gewöhnt, Gigs zu spielen, vor Publikum aufzutreten. Bei einer Modenschau geht es ja lediglich darum, für die Hintergrundmusik zu sorgen. Es war wirklich surreal.” Seine Kollegin,
Sängerin Aluna Francis, arbeitet nebenbei als
Model und begeistert sich sehr für Mode. „Sie
kommt immer wieder mit neuen Stage-Outfit-Ideen an”, berichtet Reid und fügt hinzu:
enge, körperbetontere Outfits. Für die aktuelle Herbst-Kollektion von Saint Laurent, die
vom Grunge der 90er Jahre inspiriert wurde,
konnte Slimane mit Courtney Love, Marilyn
Manson und Sonic-Youth-Sängerin Kim Gordon drei gestandene Rocker als Werbegesichter gewinnen. Für seine Modeschauen setzt
das kreative Multitalent auf eine exklusive
Musikauswahl. So wurde der Song „In The
Morning” der Indie-Band Razorlight speziell
für eine Show von Dior Homme, für die Slimane früher arbeitete, komponiert.
Eine Fashion-Show ohne Musik wäre undenkbar. „Das Zusammenspiel von Musik
und Mode wird gerade bei einer Modenschau
sehr deutlich. Eine Show ohne Musik wäre
sehr bedrückend”, meint Model Eva Padberg,
die zusammen mit ihrem Mann, Niklas
Worgt, als Dapayk & Padberg Musik macht
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| Kennen sich in Sachen Mode und Musik aus: Tausendsassa Jerry Bouthier, Model und Musikerin Eva Padberg, Festival-Outfitter Ian Bergin (Barbour) und Marketing-Expertin Bettina Dorn (Warner
Music) | Foto: Elsa Okazaki, Mo’s Ferry Productions, Barbour, Warner
Sängerin Stina Wäppling betont. Es gehe
schließlich darum, sich auf der Bühne wohl
zu fühlen. Die Band eröffnete dieses Jahr die
Präsentation von Michael Michalskys neuer
Sommer-Kollektion. Das Trio stellte seinen
Song „Pumpin Blood” vor, in dem es um Freiheit geht, darum, dass jeder seines eigenen
Glückes Schmied ist. Der Sound und die Botschaft passten zum Motto der aktuellen Michalsky-Show: „Sweet Freedom”. Der deutsche Designer engagiert für seine „Michalsky
StyleNite” bei der Berlin Fashion Week regelmäßig vielversprechende Live-Acts (s. Interview ab Seite 17). Er bot heutigen Topacts wie
Lady Gaga, Hurts, Icona Pop und Marina
And The Diamonds vor deren Durchbruch
eine Plattform, sich und ihre Musik im Rahmen seiner Modenschau zu präsentieren.
Und was ist es für ein Gefühl, bei einer Modenschau aufzutreten, wenn die geladenen
Gäste mit strengen Mienen in der ersten
Reihe sitzen und ein Wippen des Fußes bereits einen emotionalen Ausbruch bedeutet?
„Man spürt trotzdem eine gewisse Energie,
„Ich bin da eher etwas einfacher gestrickt. Ich
möchte mich auf der Bühne in meinen Klamotten vor allem wohl fühlen. Schließlich ist
es schon seltsam genug, vor Leuten auf der
Bühne zu stehen.”
Anderen kann es nicht glamourös genug sein.
Daft Punk ließen sich für ihr spektakuläres
Comeback funkelnde Disco-Anzüge von
Saint Laurent anfertigen. Bei dem französischen Traditionshaus zeichnet seit kurzem
Hedi Slimane als Creative Director verantwortlich. Der 45-Jährige ist ein großer Musikliebhaber. Für seinen Blog „Rock Diary” fotografiert er seine Lieblingsmusiker, er gestaltete Album-Cover, von Lady Gagas „The
Fame Monster” bis „Alphabetical” von Phoenix. Und nebenbei machte Slimane die Röhrenjeans für Männer wieder salonfähig. Zahlreiche Indie-Rocker wie The Strokes prägten
Anfang des vergangenen Jahrzehnts den
neuen Look. Mittlerweile haben Skinny
Jeans sogar die für Rapper lange Zeit typischen Baggy-Pants verdrängt. Die junge
Rap-Garde um Casper und Cro setzt auf
und mit „Smoke” gerade Album Nummer
vier vorlegte. „Für die meisten Designer ist
Musik bereits beim Entwicklungsprozess einer Kollektion integraler Bestandteil der Arbeit”, so Padberg.
„Mutter des Punk” steht auf Klassik
Viele Modeschöpfer hören bereits während
des Schaffensprozesses bestimmte Songs
oder Alben. Die Musikauswahl für ihre
Shows überlassen die meisten Designer aber
den Experten. Musikkennern wie Jerry Bouthier. Der DJ und Produzent ist für die Musikauswahl für verschiedene Modelabels verantwortlich. Es sei keine bewusste Entscheidung
gewesen, Musik und Mode zu verbinden,
sagt Bouthier. „Es ist einfach passiert.” Im
Londoner Club BoomBox, wo Bouthier als
Resident-DJ auflegt, verkehren viele Modestudenten und Designer. So lernte er nach
und nach immer mehr Leute aus der Branche
kennen. „Eins führte zum anderen.” Heute
arbeitet er eng mit den Designern zusammen.
Manche zeigen ihm einzelne Teile ihrer Kol-
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lektionen vorab, so dass er sich Gedanken
über die musikalische Umsetzung machen
kann. Viel Zeit bleibt dafür allerdings nicht.
Meist erfährt Bouthier erst kurz vor Start einer Fashion Week, für wen er arbeitet. „Die
Musik kommt im Produktionsprozess immer
ziemlich zum Schluss. Ein, zwei Wochen vor
der Show.” Das sei aber auch besser so: „Erst
dann weiß ich genau, wie viele Looks gezeigt
werden und die Designer haben eine klarere
Vorstellung davon, wie die Show aussehen
und die Kollektion präsentiert werden soll.
„In einem früheren Stadium würden sie vermutlich ständig ihre Meinung ändern.” Bouthier ist es gewohnt, unter Druck zu arbeiten.
„Wenn ich 48 oder sogar nur 24 Stunden Zeit
habe, reicht das!” Reich wird man damit allerdings nicht. „Außer, man arbeitet für Chanel oder Prada!”
Meistens sind nur wenige Verantwortliche an
der Musikauswahl für die Defilees beteiligt.
„Je mehr Personen mitreden, desto komplizierter wird es. Dann muss ich gegebenenfalls mehr Leute von meiner Song-Auswahl
überzeugen”, lacht Bouthier. Je besser er einen Designer kenne, desto leichter sei es für
ihn, passende Vorschläge für Musik zu machen, die zur Marke und zur jeweiligen Show
wir uns aber auch einfach sehr viel Musik an,
stundenlang, und wählen die Titel aus, die ihnen am besten gefallen”, so Bouthier. „Mein
Job ist es, sie auf neuere Sounds, die sie vielleicht nicht kennt, aufmerksam zu machen.
Vivienne Westwood ist sehr offen für Neues.”
Die Designerin begeistere sich etwa für
World Music aus Afrika, China oder Südamerika. So mag Vivienne Westwood zum Beispiel HipHop aus den brasilianischen Armenvierteln, Baile Funk, wie Bouthier verrät.
Sie steht aber auch auf Klassik. Die „Mutter
des Punk” schickt ihre Models gerne zu klassischen Klängen über den Laufsteg. „Sie liebt
Tschaikowsky”, weiß Jerry Bouthier zu berichten. „Wenn sie direkt in die Song-Auswahl involviert ist, sind mindestens ein oder
zwei Klassik-Stücke dabei. Aber Rock spielt
natürlich auch eine große Rolle.” Schließlich
hat Vivienne Westwood ein Erbe zu bewahren. Die Geschichte der britischen Modeschöpferin ist eng mit der Punk-Bewegung
verknüpft. Zusammen mit Malcolm McLaren
eröffnete sie 1971 in Londons Kings Road
Nummer 430 einen Laden. Sie entwarfen TShirts mit provokanten Messages. So provokant, dass sie mit dem Gesetz in Konflikt gerieten. Ihre Antwort darauf: noch radikalere
| Modebewusste Popstars: AlunaGeorge, Kanye West und Pharrell Williams | Fotos: Universal Music,
passe. „Es ist immer ein reger Austausch: Ich
schlage Tracks vor, sie beschreiben die Stimmung, die sie haben wollen.”
Seit fünf Jahren berät der Franzose auch Vivienne Westwood bei der Musikauswahl für
ihre Shows. Die Mode-Ikone sei oft persönlich in die Musikauswahl involviert, so Bouthier. Die Songauswahl hänge jeweils vom
Motto der Kollektion ab. „Manchmal hat das
Team bereits Ideen und bringt Songs mit, auf
denen ich aufbauen kann. Manchmal hören
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Botschaften. 1974 wurde der Shop in SEX umbenannt. Zwei Jahre später stürmten die Sex
Pistols, die von McLaren gemanagt wurden
und die T-Shirts trugen, mit „God Save The
Queen” die UK-Charts.
Rock, Elektro, Weltmusik, Klassik – Jerry
Bouthiers Aufgabe ist es am Ende, diese verschiedenen Einflüsse in einem ca. 15-minütigen Soundtrack zusammenzufügen, so dass
die Titel nicht isoliert dastehen, sondern wie
aus einem Guss klingen. „Ich versuche, aus
den einzelnen Zutaten ein Gericht zu kreieren. Am Ende entsteht dabei eine Art AudioFilm, Musik, die Bilder im Köpf auslöst.” Für
die Modenschauen setzt Bouthier auf eklektische Mixe, kombiniert verschiedene Stilrichtungen. „Nur ein Musikgenre würde mich zu
sehr einschränken. Die Shows dauern ja bis
zu einer Viertelstunde, da würde es schnell
langweilig werden, wenn nur Klassik oder
Rock laufen würde.”
Bouthier, der nebenbei mit Continental Records sein eigenes Musiklabel betreibt und regelmäßig für das Pariser Label Kitsuné arbeitet, legt in Clubs genauso gerne auf wie bei
Modenschauen. „Ich liebe es, Leute zum Tanzen zu bringen. Eine Modenschau ist natürlich anders: Man legt zwar auch Musik auf,
aber es geht nicht darum, das Publikum zum
Bewegen zu animieren, sondern eine bestimmte Atmosphäre, eine gewisse Stimmung zu schaffen. Das macht ebenso Spaß!”
It’s The Beat!
Neben der Vision des Designers, welche Stimmung er bei einer Show vermitteln will, geht
es bei vielen auch ums Tempo, den Beat, zu
dem die Models im Takt über die Catwalks
laufen. Für die ist es einfacher, sich zu einem
Rhythmus zu bewegen. Bei einer Show
in London sollten die
Models zu sphärischen Klängen sehr
langsam, fast in Zeitlupe laufen, erinnert
sich Eva Padberg.
„Das war eher eine
Kunst-Installation
und etwas unangenehm.”
Fest steht: Schlechte
Musik kann eine
ganze Modenschau
ruinieren. „Die richtige Musikauswahl
ist sehr wichtig, und
die Designer wissen
das”, so Bouthier. Bei
bekannten
Labels
wie Westwood gebe
es viele Zuschauer, ein großes Venue und satten Sound. „Das ist fast wie eine richtige
Rock-Show. Ich versuche dann, die Zuschauer nicht von den Sitzen zu pusten, aber
es soll schon ein Eindruck hinterlassen werden.”
Mode funktioniert nicht ohne Musik. Und die
Welt des Pop wäre ohne die atemberaubenden Outfits und Mode-Fauxpas wohl um einiges fader. Es ist und bleibt ein Wechselspiel.
„True Love” eben. | Renzo Wellinger