Forensische Alkohologie - Universitätsklinikum Düsseldorf

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Forensische Alkohologie - Universitätsklinikum Düsseldorf
Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Düsseldorf
Arzt und Alkohol
Forensische Alkohologie (2)
Wolfgang Huckenbeck
2083-03-200-RE-I
Scriptenreihe „Arzt und...“ zur Hauptvorlesung Rechtsmedizin, Heft 3
Autor: Priv. Doz. Dr. Wolfgang Huckenbeck
Institut für Rechtsmedizin der Heinrich-Heine-Universität
Moorenstr. 5
40225 Düsseldorf
1. Auflage 1999
Druck: Druckerei des Universitätsklinikums der Heinrich-Heine-Universität
Inhalt
Pharmakologie und Toxikologie des Ethanols
Wirkungen auf zellulärer Ebene
Wirkungen auf Atmung und Herzkreislaufsystem
Sehvermögen
Gleichgewichtsapparat und Muskelkoordination
Wirkungen auf die Psyche
Wechselwirkungen mit anderen Substanzen
Kombinierte Wirkungsverstärkung
Die tödliche Alkoholvergiftung
Nachweis der akuten Alkoholbeeinflussung
Atemvortest
Ärztliche Untersuchung
Ärztliche Blutprobenentnahme
Analytische Voraussetzungen der Blutalkoholbestimmung
Untersuchungsmethoden
Interne und externe Qualitätskontrollen
"Beweissichere" Atemalkoholbestimmung
Kritik an der "beweissicheren" Atemalkoholbestimmung
Ethanolbestimmung am Leichnam
Nachweis des chronischen Missbrauchs
Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU)
Alkoholismusmarker
Carbohydrate-Deficient-Transferrin (CDT)
Methanol
Fuselalkohole
Fäulnisalkohole
Begleitstoffanalyse und Begleitstoffgutachten
Weiterführende Literatur
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Pharmakologie und Toxikologie des Ethanols
Der Alkoholrausch ist die sicherlich älteste und am häufigsten untersuchte Form der
Narkose. Wie für alle Substanzen gilt der Satz des Paracelsus von Hohenheim:
„Dosis sola facit venenum“. Entsprechend der klassischen Einteilung der Narkose
durchläuft man in Abhängigkeit von der aufgenommenen Menge Ethanol die Stadien: Analgesie, Excitation, Toleranz und Asphyxie. Andere Autoren sprechen von
exzitativem, hypnotischem, narkotischem und asphyktischem Stadium. Die allgemeinen Symptome und ihre Ursachen beschreibt Tabelle 3.
Tabelle 3: Stadien der Ethanolintoxikation und ihre jeweilige Symptomatik (modifiziert nach Schulz et al. 1976).
Stadium
Symtomatik
Ursache
Exzitatives Stadium
Rötung des Gesichts, allgemeines Wärmegefühl
Fröhlichkeit, Redseligkeit, Zwanglosigkeit,
Euphorie, Selbstüberschätzung
gesteigerte Atmung und Motorik, Reflexsteigerung
Vermehrte Hautdurchblutung, Vasodilatation
Hypnotisches Stadium
Erschwerte
Auffassung,
verminderte
Geschicklichkeit, Unsicherheit beim Gehen
und Stehen, Benommenheit, Schlaf
(erweckbar)
Zentral hemmende Wirkung
Narkotisches Stadium
Bewusstlosigkeit, Areflexie, weite Pupillen,
unregelmässige Atmung, Schock
Zentrale und periphere toxische Wirkung
Asphyktisches Stadium
Atemstillstand, Kreislaufversagen, fehlende Temoperaturregulation, Tod
Zentrale und periphere toxische Wirkung
Zentrale Enthemmung
Erregende Wirkung auf zentrale Zentren
Ganz allgemein gilt, dass die toxischen Wirkungen des Ethanols in der Resorptionsphase, also der Phase der Anflutung im Körper, deutlicher in Erscheinung treten
als in der reinen Eliminationsphase, also während des Abbaus und der Ausscheidung. Kaum ein Organsystem wird durch Alkoholmissbrauch nicht betroffen. Die
pharmakologisch-toxische Wirkung des Alkohols bezieht sich vor allem auf nachfolgende Wirkungsweisen:
- lokale Gewebsschädigungen,
- direkte toxische Einwirkung auf Zellen und Übertragungssysteme,
- Veränderungen des Stoffwechsels,
- Bildung von Metaboliten
- physiologische Wirkungen.
Ständiger Alkoholkonsum führt im Bereich des Zentralnervensystems vor allem zu
Schädigungen des periventrikulären Graus, bestimmter Abschnitte der Großhirnrinde, insbesondere des frontalen Cortex, der Neurone des Kleinhirns und Hippocampus sowie der weißen Substanz.
Ethanol-Wirkungen auf zellulärer Ebene
Für die forensische Praxis haben die Wirkungen des Ethanols auf das zentrale
Nervensystem die größte Bedeutung. Ethanol wirkt spezifisch auf Rezeptorgekoppelte Ionenkanäle. Desweiteren entdeckte man ein spezifisches Zusammenspiel des Ethanols mit dopaminergen, opioiden und Adenosinrezeptoren.
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Vermutlich entfaltet sich die Wirkung über eine Beeinflussung der Rezeptorproteine
anderer Substanzen. Untersuchungen haben gezeigt, dass Ethanol in subtoxischen
Dosen vorwiegend nicht die Funktion von Membranlipiden, sondern die Funktion
von Membranproteinen beeinflusst, beispielsweise von Transmitterrezeptoren. Die
Untersuchungen zeigten, dass eine Änderung der Fluidität der Zellmembran keine
entscheidende Rolle spielt. Substanzen wie Chloroform oder Butanol verändern die
Fluidität vergleichbar mit Ethanol, das Ausmaß der ausgelösten Fluidisierung der
Membranlipide korreliert aber nicht mit der Modulierung der Transmittersysteme.
Vergleicht man die notwendigen Konzentrationen an Ethanol, um mit anderen Drogen vergleichbare Effekte zu erzielen, so liegen letztere weitaus (10.0001.000.000fach) niedriger. Diese Erkenntnis führte zum Modell der transmembranalen Impulsübertragung, bei der Transmitterrezeptoren mit G-Proteinen und diese
mit Ionenkanalproteinen oder Enzymen interagieren, welche ihr aktives Zentrum
ann der inneren Zellmembran aufweisen. Somit kommt es über die Rezeptoraktivierung über mehrere Zwischenschritte zur Bildung der second-messengerSubstanzen an der Innenseite der Nervenzellmembran. Hier kommt es nun zu
einer Aktivierung intrazellulärer Enzyme, welche zu einem Start von Transkriptionsprozessen im Zellkern führt. Im in-vitro-Versuch zeigten sich diese Effekte in
Ansätzen ab etwa 1 Promille. Untersucher wiesen den Effekt bei gleichzeitiger
Gabe von Ethanol und Dopamin zu Striatummembranen nach. Ethanol verstärkt die
aktivierende Wirkung von Dopamin. Andere Autoren beschrieben eine ähnliche
Verstärkerwirkung für das vasoaktive intestinale Peptid und Phenylephrin. Rezeptoren, die die Adenylcyclase hemmen, werden hingegen offensichtlich nicht beeinflusst.
Wirkungen auf Atmung und Herzkreislaufsystem
Die Wirkung des Alkohol ist nicht nur auf das Zentralnervensystem beschränkt.
Nach der Aufnahme grösserer Alkoholmengen sind Auswirkungen auf den Kreislauf
zu beobachten. Wiederholt wurde auf eine Verschlechterung der Kreislaufverhältnisse hingewiesen. Man brachte die Beeinträchtigung der kardiovaskulären Funktion mit der atemdepressorischen Wirkung hoher Ethanoldosen zusammen. Allgemein erfolgt bei mäßiger Alkoholaufnahme eine Stimulation des Atemzentrums. Der
Blutdruck kann bei steigender Herzfrequenz und Atemminutenvolumen ansteigen.
Über die gesteigerte Hautdurchblutung kommt es zu Wärmegefühl und Hautrötung.
Dies wiederum hat einen Wärmeverlust zur Folge.
Psychosensorische Wirkungen
Die akute Alkoholwirkung beeinflusst so gut wie jede Hirnleistung. Wegen dieser
komplexen Wirkung des Ethanols ist eine differenzierende Einteilung in körperlichneurologische und psychische Leistungsminderungen in vielen Punkten willkürlich.
Zudem lässt sich feststellen, dass die experimentelle Überprüfung erst einmal von
Messtechnik und Maßstab abhängt.
Bezogen auf den Strassenverkehr werden unter Ethanoleinfluss eine ganze Reihe
von typischen Unfällen beschrieben: Stürze vom Motorrad ohne eigentlichen Anlass, Hinüberschwenken auf die linke Fahrbahnseite, Abkommen von der Fahr49
bahn, Auffahren auf parkende Fahrzeuge, Schlangenlinienfahren, in Kurven geradeaus fahren ohne überhöhte Geschwindigkeit, zu spätes Ansetzen zum Überholen, fehlerhafte Entfernungs- und Grösseneinschätzung, falsche Einschätzung der
Geschwindigkeit entgegenkommender Fahrzeuge. Bremsversuche fehlen häufig
ganz oder setzen viel zu spät ein.
Während für die Unfälle unter Alkoholeinwirkung zahlreiche multifaktorielle Beeinträchtigungen genannt werden, z.B. fehlende Aufmerksamkeit, Störungen der
Feinmotorik und Geschicklichkeit, Beeinträchtigung des Tiefensehens, der Fixation
und Fusion, des Farbensehens und der Akkomodation sowie der Pupillenreaktion
auf Blendung, sind die alkoholtypischen Unfälle im engeren Sinne offensichtlich
durch die Alkoholwirkungen auf das vestibuläre System zu erklären.
Allerdings dürfen hier nicht die Beeinflussungen der Sinnessysteme untereinander
vergessen werden, denn die menschlichen Reaktionen und Handlungen werden in
aller Regel von mehreren Sinnessystemen gleichzeitig bestimmt.
Sehvermögen
Die akuten Alkoholfolgen auf den optischen Apparat werden in der Literatur nicht
ganz einheitlich beschrieben. Dies findet einerseits seine Ursache in der Kompliziertheit des Sehsinnes, andererseits sind die Untersuchungsmethoden unterschiedlich. Zudem lassen sich die simultanen psychischen Wirkungen des Ethanols
im Experiment nicht völlig abgrenzen.
Biologisch ist die Sehschärfe als die Fähigkeit zu definieren, Einzelheiten und
Konturen wahrnehmen zu können. Experimentell wird die Sehschärfe als die Diskriminierungsfähigkeit zweier Punkte erfasst, also als das Vermögen, zwei dicht
beieinanderliegende Punkte noch als zwei Objekte erkennen zu können. Diese
Fähigkeit ist in der fovealen Zone am ausgeprägtesten, womit Ergebnisse aus solchen Experimenten streng genommen nur das zentrale Sehen beschreiben, da die
Peripherie der Netzhaut eine untergeordnete Rolle spielt. Zusätzlich hat die Beleuchtung einen grossen Einfluss auf die Sehschärfe.
Beim binokularen Sehen wird ein Gegenstand dann als Einzelstück erkannt, wenn
er auf beiden Netzhäuten deckungsgleich abgebildet wird. Es existieren hier allerdings Toleranzgrenzen, innerhalb derer es nicht zum Doppelsehen kommt, stattdessen aber eine Tiefenwahrnehmung (stereoskopisches Sehen) möglich wird.
Unter Bewegungsschärfe hat man den Effekt zu verstehen, dass ein ruhendes
Objekt oft unbeachtet bleibt, während ein sich bewegendes Objekt sofort erfasst
wird. Diese Fähigkeit ist in der Umgebung der Fovea centralis stärker ausgeprägt
als in ihr selbst. Das Bewegungssehen ist eher eine Leistung der Hornhautperipherie. Eine Fixierung der sich bewegenden Gegenstände erfolgt über Führungsbewegungen des Auges. Tiefenwahrnehmung und Bewegungssehen sind entfernungsabhängig, d.h. beide Fähigkeiten nehmen mit der Entfernung des beobachteten
Objektes ab.
Die reine Sehschärfe unter Ethanoleinfluss wird in der Literatur unterschiedlich
beschrieben Während einige Untersucher signifikante Leistungsminderungen beschrieben haben, wurden diese von anderen Autoren verneint. Bei der Untersuchung der Tiefensehschärfe kam es unter Alkoholeinfluss zu deutlicher Verlangsamung. Bis zu einer BAK von 1 Promille wurde aber das Ziel stets erreicht. Die
Ausfälle finden sich in der Regel oberhalb einer BAK von 0,8 Promille, können aber
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im Einzelfall schon ab 0,3 Promille beobachtet werden. Zu berücksichtigen ist natürlich, dass in ein solches Testergebnis nicht nur durch das Tiefensehen selbst bzw.
seine Einschränkungen beieinflusst wird, sondern dass auch andere Faktoren wie
Reaktionszeit und Aufmerksamkeit, die ja auch wieder alkoholabhängig ausgeprägt
sind, mitwirken.
Bezogen auf den Strassenverkehr finden diese Ausfallserscheinungen Ausdruck in
Fehleinschätzung der Geschwindigkeit und Fehleinschätzung der Entfernung
entgegenkommender Fahrzeuge (Überholen, Abbiegen). Diese typischen Unfallursachen unter Alkoholeinfluss sind in Abb. 8 dargestellt.
Das Bewegungssehen soll bereits ab Ethanolkonzentrationen von 0,3 Promille
gestört sein. Untersucher wiesen schon im Bereich ab 0,3 Promille deutliche Störungen der binokularen Zusammenarbeit beider Augen und der Motorik des Einzelauges nach. Als Folgerung für den Strassenverkehr ergibt sich, dass sich schnell
bewegende Objekte nicht gut erkannt werden, dass die Orientierung im Raum vermindert ist. Die Eigeneinschätzung der vorliegenden Verkehrssituation beruht damit
bereits vor der eigenen aktiven Einflussnahme auf einem durch schlechte Datenerfassung ermittelten Bild.
A
B
C
D
E
Abb. 8: Typische Alkoholfahrten, Psychosensorische Auswirkungen auf das Verhalten im Strassenverkehr: Auf die
entgegengesetzte Fahrbahn geraten (A), Schlangenlinien fahren (B), auf parkende Autos auffahren (C), ohne Grund
von der Fahrbahn geraten (D), in der Kurve geradeausfahren (E)
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Gesichtsfeld und Blickfeld: Der Gesichtswinkel des ruhenden Auges beträgt
etwas über 180 Grad, damit liegen sogar Gegenstände, die hinter der Augenebene
liegen, im Gesichtsfeld und können zumindest bemerkt werden. Über die Augenbewegung vergrössert sich dieser Winkel auf 220 Grad (Blickfeld). Nach den Ergebnissen einiger Untersucher ergibt sich unter Alkoholeinfluss eine Einschränkung
des peripheren Gesichtsfeldes.
Fixation und Fusion: Der Gegenstand, der von beiden Augen fixiert wird, muss
beiderseits im Netzhautzentrum abgebildet sein. Bei Fixation in der Ferne erfolgen
gleichsinnige Bewegungen beider Augen, bei Fixation eines nahen Gegenstandes
kommt es zu gegensinnigen Einwärtsdrehungen beider Augen. Kommt es dabei
nicht zu einer Fusion, d.h. Deckungsgleichheit des fixierten Objekts, entsteht innerhalb gewisser Grenzen ein plastischer Eindruck. Diese notwendige Koordination
beider Augen ist unter Alkoholeinfluss erheblich gestört. Die Fähigkeit der Augen
zum Auswärtsdrehen ist stark eingeschränkt, es kommt daher zumDoppel(t)sehen.
Die Fusionsbreite ist wesentlich vermindert und es kommt zu einer Konvergenzschwäche und Störungen des plastischen Sehens.
Pupillenreaktion und Hell-/Dunkelsehen: Die Pupillenreaktion ist als Parameter
für die Alkoholbeeinflussung deshalb gut geeignet, weil das die Kinetik der Pupille
steuernde neuronale System ausschliesslich vegetativ gesteuert wird und somit der
willkürlichen Kontrolle entzogen ist. Unter Alkoholeinfluss sind sowohl die Hellanpassung wie auch die Dunkelanpassung deutlich verzögert. Nach Forster und Joachim ist dieser Zustand mit dem der Nachtblindheit vergleichbar. Verkehrsmedizinisch gesehen folgt hieraus eine erhöhte Blendempfindlichkeit unter Alkoholeinfluss. Die Dämmerungssehschärfe ist beim Alkoholisierten um fast 30 Prozent
schlechter. Die Readaption nach Blendung zeigte sich in diesen Untersuchungen
um bis zu 60 Prozent verzögert. Fahrversuche ergaben im Vergleich Tagfahrt/Nachtfahrt eine Steigerung von durchschnittlich 2,1 auf 3,2 Fehler für nüchterne Fahrer und von 4,3 auf 8,0 Fehler bei Fahrern, die eine BAK von 1,1 Promille
aufwiesen.
Optokinetischer Nystagmus: Bei der Fixation bewegter Gegenstände versucht
das Auge, über unwillkürliche Augenbewegungen das zu erfassende Objekt im
zentralen Sehfeld zu halten. Diese rhythmischen Augenbewegungen lassen sich
elektronystagmographisch ableiten und aufzeichnen. Nach den Ergebnissen von
Krauland kommt es bereits bei geringen Blutalkoholkonzentrationen zu schweren
Störungen. Zunächst kommt es zu einer Dämpfung, dann zu unkoordinierten Blickbewegungen, bereits ab einer BAK von 0,8 Promille kann es zur völligen Diskoordination kommen. Im Fahrversuch zeigte sich bei einer BAK von etwa 1 Promille eine
deutliche Dämpfung der optokinetischen Erregbarkeit. Das alkoholtypische Schnellfahren auf geraden Strecken und das Versagen in Kurven ist auf die Diskoordination des optokinetischen Nystagmus zurückzuführen.
Gleichgewichtsapparat und Muskelkoordination
Aufrechter Gang und Stand des Menschen erfordern ein aufwendiges System zur
Kontrolle des Gleichgewichts des Körpers und dessen Stellung im Raum. Offensichtlich sind für die Kontrolle der Stützmotorik insbesondere die motorischen Zentren des Hirnstamms (Nucleus ruber, Vestibulariskerne, lateraler Deiterscher Kern
und Anteile der Formatio reticularis) zuständig. Wie schon oben angesprochen,
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können sich die Alkoholwirkungen auf den Gleichgewichtsapparat mit Sehstörungen als okulovestibuläre Störungen kombinieren. Bei Bewegung des Kopfes oder
Körpers bleiben die Augen auf ein einmal fixiertes Objekt gerichtet. Über den
Gleichgewichtssinn wird die Sehrichtung korrigiert. Dieser Mechanismus unterliegt
negativen Alkoholeinflüssen. Ferner treten Störungen der Haltung des Körpergleichgewichts auf. Weitere Afferenzen erhalten die Stellreflexe von Ohr, Geruchsorgan und Hautrezeptoren, was die Erfassung rein vestibulärer Ethanolwirkungen
weiter erschwert. Bereits nach geringeren Mengen Ethanol kommt es zur Dämpfung der normalerweise auftretenden, eine Gleichgewichtsverlagerung regulierenden Reflexabläufe. Schon bei Blutalkoholkonzentrationen bis 0,8 Promille ist mit
Schwierigkeiten bei zielgerichteten und feindosierten Bewegungen zu rechnen.
Höhere Alkoholisierungen führen zu den bekannten Stand- und Gehunsicherheiten. Die integrativen Koordinationsfunktionen des Kleinhirns sind gestört, was zu
den bekannten Ausfallserscheinungen wie Schwindel, Schwanken, Torkeln und
Stürzen führt.
Deutliche Störungen treten bei Blutalkoholkonzentrationen ab 1 Promille auf. Die
Untersuchungen zu Schriftveränderungen ergaben bereits bei sehr niedriger BAK
Veränderungen feiner Merkmale. Die Fehlerhäufigkeit nahm mit steigender BAK zu.
Die alkoholbedingte Muskeldiskoordination lässt sich mit den Begriffen Asynergie,
Adiadochokinese und Ataxie beschreiben. Unter Asynergie versteht man eine
Störung der Koordination bei willkürlich eingeleiteten Bewegungsabläufen mit automatischer, nichtwillkürlicher Hilfsinnervation. Ein Lachen wird zur Grimasse, die
"Gesichtszüge entgleisen". Bei der Adiadochokinese können schnell aufeinander
folgende antagonistische Bewegungen in einem Handlungsablauf nicht geordnet
ablaufen, es kommt zu hopsigen und zappeligen Bewegungsabläufen. Der Begriff
Ataxie umfasst Koordinationsstörungen, die zum Beispiel zu ausfahrenden Bewegungen mit seitlichem Abweichen, zu überschiessenden Einzelbewegungen, dem
Zweck nicht angepasstem Kraftaufwand führen. Es besteht bereits ab einer Blutalkoholkonzentration von 1 Promille eine deutlich fassbare Kleinhirnsymp-tomatik. Im
Strassenverkehr führt der versuchte Ausgleich von ausfahrenden Lenkbewegungen
im Extremfall zum Schlangenlinienfahren.
Grobschlägiger Drehnystagmus: Es liegen Untersuchungen über eine ganze
Reihe von Nystagmusformen beim Alkoholisierten vor: Spontannystagmus, Einstellnystagmus, Endstellnystagmus, Lagennystagmus, kalorischer Nystagmus, den
bereits angesprochenen optokinetischen Nystagmus und den Drehnystagmus. Die
Untersuchungen von Heifer fanden den alkoholbedingten, grobschlägigen postrotatorischen Fixationsnystagmus ab einer Alkoholbelastung von über 0,5 Promille fast
regelmäßig.
Das Hörvermögen verschlechtert sich unter Alkoholeinfluss. Das Reintongehör
erleidet bis zu einer BAK von 1,6 Promille offensichtlich keine Störung, das Sprachverständnis hingegen unterliegt deutlichen Einschränkungen. Für Zahlen wurde ab
BAK 1 Promille in verschiedenen Lautstärken eine deutliche Verschlechterung
ermittelt. Im Gegensatz zum Reintongehör sind zum Verstehen von Zahlen und
Wörtern auch andere zentrale Leistungen erforderlich, die beim Alkoholisierten
eingeschränkt sind.
Die Reaktionszeit setzt sich aus mehreren Teilkomponenten zusammen. Auf die
Wahrnehmung eines Reizes folgt die mentale Verarbeitung, die Umsetzung in eine
Handlung und deren Ausführung. Je komplizierter und für den Probanden unerwar53
teter die Reizbeantwortung ist, je störanfälliger ist sie. Es ist bewiesen, dass unter
Alkoholeinfluss verlängerte Reaktionszeiten zu erwarten sind. Nach den vorliegenden Erkenntnissen ist bei einer BAK von 1,0 Promille mit 40 - 50 prozentiger Verschlechterung der Reaktionszeiten zu rechnen. Bereits bei BAK 0,35 Promille kann
die Verlängerung der Reaktionszeit 10 Prozent betragen.
Wirkungen auf die Psyche
Allgemein geltende Wirkungen des Ethanols auf die Psyche des Menschen sind
schwer zu beschreiben, da sowohl die Primärpersönlichkeit wie auch die momentane Stimmungslage die Wirkung beeinflussen. Dennoch kann man ein Grundmuster
erfassen, dass sowohl inter- wie auch intraindividuell mal stärker und mal schwächer ausgeprägt unter Alkoholeinfluss auftritt. Die erste Stufe des Rausches beschrieb Kraepelin 1893 mit folgenden Worten:
"Auf gemüthlichem Gebiete entspricht dem ersten Stadium des Rausches eine
entschiedene Euphorie, heitere, rosige Stimmung, Zurücktreten der Sorgen und
Verdrießlichkeiten des Alltagslebens. Wir werden jovialer, zugänglicher, liebenswerter."
Ein wichtiger und bei Alkoholisierung, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung,
doch regelmässig auftretendes Symptom ist die Enthemmung. Wie eingangs schon
beschrieben, zeigt sich die ethanolbedingte Enthemmung in Rededrang, in Wichtigtuerei, Sichaufspielen, dem Ausplaudern von Geheimnissen („in vino veritas“, „Kinder und Betrunkene sagen die Wahrheit“), beim einen oder anderen Probanden
aber auch in Taktlosigkeit, Abgleiten ins Schlüpfrige bis Zotenhafte. Diese Erscheinungen beschränken sich nicht nur auf die verbale Kommunikation, auch tatkräftige
sexuelle Nötigung und sittliche Entgleisungen sind durch diese Enthemmung bedingt. Am deutlichsten fällt dies bei an sich gehemmten Primärpersönlichkeiten auf,
die „unter Alkoholeinfluss nicht mehr wiederzuerkennen sind“. Es kann zu deutlicher
Herabsenkung des Persönlichkeitsniveaus kommen, was sich beispielsweise in der
Auswahl der Trinkpartner ausdrücken kann („Trinken unter Niveau“).
Im Strassenverkehr kann sich die
Enthemmung
in
rücksichtlosem
Fahrverhalten und Selbstüberschätzung des fahrerischen Könnens
zeigen. Die Enthemmung, die sich
im Gespräch mit dem einen als Ideenflucht (vielleicht auch als eine
Art von „Free wheeling“) noch als
interessant darstellen mag, wirkt sich
bei einem anderen Alkoholisierten
als Denkverbissenheit, als penetrante Selbstbemitleidung und irgendwann bei allen Alkoholisierten bei
steigender Blutalkoholkonzentration als Denkstörungen mit deutlicher Verlangsamung des Denkablaufes und der Auffassungsgabe aus.
Der abnorme Rausch tritt abrupt ein und vertieft sich rasch. Die Phase der alkoholbedingten Benommenheit wird sozusagen verschoben, die Erregungsphase
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dauert meist sehr viel länger als beim sogenannten einfachen Rausch. Es kommt
zu sehr auffälligen Affektverhaltensweisen, unmotivierten Angriffen gegen Personen
und Gegenstände. Die Grundstimmung ist dysphorisch-aggressiv oder ängstlich
gespannt. Aus dieser Stimmung resultiert die vergleichsweise – mit dem einfachen
Rausch – hohe Bedeutung für kriminologische Aspekte. Es kommt zu Kurzschlussreaktionen, die häufig von Affekten getragen sind, und diese Gefühlsaufwallungen
tragen den Ablauf der Handlung. Ebenso können Situationsverkennungen und
wahnhafte Einfälle beobachtet werden. Häufig fallen die Reaktionen so aus dem
Rahmen, dass sie von der Umgebung als wesens- bzw. persönlichkeitsfremd bezeichnet werden.
Bei diesem schweren psychischen Erscheinungsbild fehlen auffallenderweise sehr
häufig entsprechende körperliche Symptome, so dass geradezu von einer Inkongruenz psychischer und körperlicher Trunkenheitssymptome gesprochen wird.
Der Begriff „pathologischer Rausch“ ist umstritten. Neuere Untersucher lehnen
ihn als diagnostische Kategorie strikt ab. Feuerlein et al. sprechen von der idiosynkratischen Alkoholintoxikation. Juristischerseits wird eher am Begriff festgehalten. Der pathologische Rausch ist ein seltenes Ereignis. Er nimmt dadurch eine
Sonderstellung ein, dass er fast immer mit strenger Gesetzmässigkeit abläuft. Der
Zustand beginnt in der Regel mit einer psychischen Erregung, die sich durchaus an
einen realen Anlass anknüpfen kann. Die vitale Erregung und die Bewusstseinsstörungen setzen nahezu gleichzeitig, teils anfallsweise ein. Es kommt schlagartig zur
vollen Ausprägung der Störung. Hierauf folgt ein Dämmerzustand mit Desorientiertheit und Personenverkennung. Durch diesen dem epileptischen Dämmerzustand
ähnlichen Verlauf unterscheidet sich der pathologische Rausch ganz wesentlich
von den anderen Rauschformen. Während beim einfachen und auch abnormen
Rausch die grobe Orientierungsfähigkeit und ein gewisses Realitätsbewusstsein
erhalten bleibt, ist im pathologischen Rausch die Orientierung von Anfang an grundlegend gestört. Nicht selten entspricht die Blutalkoholkonzentration in ihrer Höhe
nicht der zu beobachtenden Symptomatik. Relativ niedrige BAK-Werte sind für den
pathologischen Rausch aber nicht charakteristisch. Hier besteht die Gefahr der
Verwechslung mit einer Alkoholintoleranz. In der Literatur wurden eine ganze Reihe von zum pathologischen Rausch disponierenden Faktoren beschrieben: psychische Störungen, Epilepsie, Schizophrenie und Hirntraumata. Auch akzidentelle
Faktoren wie Übermüdung, Überanstrengung, Hitze und Kälte wurden beschrieben.
Von der Alkoholvergiftung abzugrenzen ist das Delirium tremens, welches keine
akute Folge einer Alkoholintoxikation ist. Voraussetzung ist hier vielmehr eine langzeitige übermässige Aufnahme alkoholischer Getränke. Es handelt sich um eine
akute körperlich begründbare Psychose, die ausschließlich nach langjährigem Alkoholmissbrauch auftritt und bei lebhafter halluzinatorischer Symptomatik innerhalb
von Tagen wieder abklingt. Das klinische Bild ist gekennzeichnet durch ein Beieinander von psychischen und physischen Symptomen, die jedes für sich genommen
auch bei anderen Erkrankungen vorkommen, im Zusammenwirken aber dem Delirium tremens ein sehr charakteristisches Gepräge geben (Peters 1976) [1258]. Das
Krankheitsbild ist stets von lebhaften Halluzinationen begleitet, die auf unterschiedlichen Sinnesebenen entstehen und dann zu szenenhaften Erlebnissen zusammenfliessen.
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Die von Wernicke Polioencephalitis haemorrhagica superior (Wernicke-KorsakowSyndrom) benannte Krankheit wurde etwa gleichzeitig mit dem amnestischen Syndrom von Korsakow beschrieben. Heute geht man von unterschiedlichen Stadien
derselben Erkrankung aus.
Nach klinischen Untersuchungen sollen 12,5 Prozent aller alkoholkranken Patienten
von dieser Erkrankung betroffen sein. Klinische Symptome zeigen sich aber nur in 3
bis 5 Prozent. Für die Klinik soll die Symptomentrias Ophtalmoplegie - Ataxie Bewußtseinsstörungen wegweisend sein. Gang- und Standunsicherheit, Nystagmus und polyneuritische Zeichen sind häufig. Es kommt zu einem Verlust des Altzeitgedächtnisses, zur mangelnden Fähigkeit Gedächtnisinhalte zu reproduzieren,
zur Verschlechterung des Perceptionsvermögens und der Auffassungsgabe, verminderter Spontanität sowie teilweise zu Konfabulationen. Die Prognose ist
schlecht.
Wechselwirkungen mit anderen Substanzen
Neueste Studien ergaben für Niedersachsen in 8,3 % der Alkoholblutproben zusätzlich Cannabinoide, in 0,2 % Opiate, in 2,5 % Barbiturate und in 0,6 % Mehrfachkonsum. In den neuen Bundesländern liegen die Quoten zur Zeit noch niedriger. Andere Studien zeigten bei Vergleich der Jahre 1993/ 94 und 1997, dass mit einer Angleichung zu rechnen ist. Die positiven zusätzlichen Drogen- und/oder Medikamentenbefunde in den Blutproben alkoholisierter Kraftfahrer stiegen von 4,6 auf 10,6
Prozent. Vergleicht man dies mit Studien aus den alten Bundesländern, so ergeben
sich nur noch geringfügige Unterschiede.
Die Biotransformation von Pharmaka erfolgt meist in mehreren Schritten. In Abhängigkeit von ihrer chemischen Struktur können Hydrolyse, Hydroxylierung, Konjugation und andere Reaktionen erfolgen. Von rechtsmedizinischer Bedeutung ist die
Beeinflussung des Arzneimittelstoffwechsels durch Alkohol, wobei als Ursache die
Wechselwirkungen mit dem Ethanol sowohl eine spezifische Hemmung arzneimittelabbauender mikrosomaler Enzyme als auch eine Aktivierung durch Enzyminduktion beobachtet werden können.
Ethanol hemmt die mikrosomale Hydroxylierung. Dieser reversible Effekt beschränkt sich auf die Zeit des Ethanolabbaus und kann über Blut- und Harnanalysen nachgewiesen werden. Er tritt bei allen Medikamenten auf, die über die mikrosomale Hydroxylierung abgebaut werden. Hierunter fallen beispielsweise Medazepam, Phenazol und Pentobarbital. Die Arzneimittelwirkung dieser Pharmaka ist
folglich unter Ethanolbelastung verlängert, bzw. unter längerer Alkoholisierung und
bei Medikamentendosierung wie beim Nüchternen sogar verstärkt. Bei der Beeinflussung durch Enzyminduktion muss zwischen akuter und chronischer Alkoholaufnahme differenziert werden. In aller Regel wird mehr Alkohol als Wirkstoff des Medikaments aufgenommen, so dass es – wie eben ausgeführt – zu einer Eliminationsverzögerung und damit letztendlich Wirkungsverstärkung kommt. Das Gegenteil
ist der Fall bei chronischer Zufuhr von Alkohol. Hier kommt es zu einer Enzyminduktion in der Leber, welche bei entsprechenden Medikamenten, die hier abgebaut
werden, eine schnellere Biotransformation bewirkt. Die Medikamente sind in ihrer
Wirkung vermindert. Ein klassisches Beispiel hierfür ist die Narkoseeinleitung beim
Alkoholiker, aber auch das eben angesprochene Pentobarbital verliert – wie auch
die anderen Barbiturate - beim Alkoholiker an Wirkung.
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Umgekehrt kann aber auch der Ethanolmetabolismus durch Medikamente beeinflusst werden. Klassische Beispiele sind die Wirkstoffe Calziumcyanamid und Disulfiram. Der erstere ist in Kalkstickstoff enthalten, der zweite wurde als Vernetzungsmittel in Gummifabriken genutzt. Bei Personen, die mit diesen Stoffen berufsmäßig
Kontakt hatten, traten bereits nach der Aufnahme geringer Mengen Alkohol charakteristische Symptome wie Flush, Hitzegefühl, Nausea, Herzjagen und Krämpfe auf.
Die Ursache liegt in einer Hemmung der Aldehyddehydrogenase, die bei Alkoholaufnahme zu einer Kumulation des Acetaldehyds als erstem Oxidationsprodukt des
Ethanol führt. Wegen der unangenehmen Kombinationswirkung setzte man beide
Wirkstoffe in der Therapie des Alkoholismus ein: Antabus-Alkohol-Reaktion (AAR).
Wegen der gefährlichen Nebenwirkungen wurde diese Therapieform aber wieder
nahezu aufgegeben. Ähnliche Reaktionen lassen sich z.B. auch bei der Kombination von Ethanol mit Aminophenazon, Phenacetin und Nitrofurazon beobachten.
Einzelfälle wurden auch nach Einnahme von Irgapyrin, einem Antirheumamittel,
dem Tuberkulostatikum Isoniazid sowie dem Genuss des Tintenschöpflingpilzes
(Coprinus atramentarius) beschrieben.
Eine ganz andere Art der Beeinflussung des Alkoholstoffwechsels liegt in der Gabe
von Pharmaka, die den Entleerungsmechanismus des Magens, die Motilität des
Magendarmtrakts und die Produktion bzw. Ausschüttung von Verdauungsenzymen
verändern. Umgekehrt wiederum kann die Resorption von Medikamenten durch
simultane Ethanolgabe gesteigert werden. Dies konnte für Valium nachgewiesen
werden.
Kombinierte Wirkungsverstärkung: Hier sind insbesondere die Narkotika und
Schlafmittel anzusprechen. Simultane Alkoholaufnahme kann zu schweren Intoxikationen führen. Auch bei relativ geringen Blutalkoholwerten sind durch additive, überadditive, aber auch potenzierende Wirkung Todesfälle beschrieben worden. Die
Möglichkeit einer Wirkungsverstärkung besteht hauptsächlich bei simultaner Aufnahme von Alkohol und Barbituraten, anderen Schlaf- und Beruhigungsmitteln,
Psychopharmaka, Antihistaminika und Isoniazid. Besonders
heftig sind die Wechselwirkungen zwischen Alkohol und Barbituraten. Während Barbiturate normalerweise wie die anderen
Hypnotika und Sedativa in kleinerer Dosierung dämpfen und
eine schlaffördernde Wirkung haben, in höherer Dosierung
aber stark sedieren, bei Überdosierung zu Atemdepression und
Herzstillstand führen können, kann es im Einzelfall zu
rauschartigen Erscheinungen kommen. Bei Kombination von
Alkohol und Barbituraten kann es schon bei recht geringen
Dosen beider Substanzen zu diesem Phänomen kommen.
Neben euphorischen Zuständen sind auch abnorme Alkoholreaktionen möglich, auch Todesfälle bei relativ niedriger BAK
wurden beschrieben. Ähnliche Zustandsbilder wurden auch bei
anderen Schmerz-, Schlaf- und Beruhigungsmitteln, barbiturathaltig und –frei, beobachtet. Ähnliche Reaktionen bei Kombination mit Antihistaminika, Reserpin und INH haben wohl eher Seltenheitswert, wurden aber beschrieben.
Auch wenn fast alle paar Monate ein neuer „Promille-Killer“ auf dem Markt angepriesen wird: ein echtes Ernüchterungsmittel gibt es nicht. Als das traditionelle
Hausmittel wird seit jeher der Genuss einer Tasse Kaffe angesehen. In der Tat
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konnte experimentell nachgewiesen werden, dass durch Coffeinaufnahme die alkoholbedingte Reaktionszeitverlängerung verbessert wird. Abgesehen von unangenehmen vegetativen Symptomen wie Schweissausbrüche und Herzklopfen, die bei
dieser Kombination häufig auftreten, kommt es aber zu einer Verschlechterung der
Reaktionsqualität.
Ähnliches gilt auch für die simultane Aufnahme von Weckaminen wie Pervitin. Es
kommt auch hier nur zur Verbesserung von Teilleistungen, die Gesamtleistung
bleibt herabgesetzt.
Die tödliche Alkoholvergiftung
Tödliche Alkoholvergiftungen sind im rechtsmedizinischen Obduktionsgut - verglichen mit den letalen Schlafmittelvergiftungen - verhältnismäßig selten. Ein entscheidender Faktor dürfte darin zu suchen sein, dass hier in der Regel keine suizidale Absicht vorliegt, sondern z.B. in Form von Trinkwetten eher unabsichtlich die
letalen Grenzen erreicht werden. Auszuschließen sind aber auch Suicide mit Alkohol sowie Tötungsdelikte (meist an Kindern; im Düsseldorfer Obduktionsgut unlängst ein Fall mit Ether-Ethanol-Mischung) nicht.
In den meisten Fällen von tödlichen Alkoholvergiftungen besteht ein Missverhältnis
zwischen Alkoholverträglichkeit und aufgenommener Menge; hinzu tritt - gerade bei
Trinkwetten - die Alkoholbelastung pro Zeiteinheit. Nicht ohne Grund differieren die
bei letalen Ethanolvergiftungen nachgewiesenen Blutalkoholspiegel erheblich. Hierfür werden nachfolgend beispielhaft die Ergebnisse einiger Studien angegeben.
Es läßt sich feststellen, dass die letale Dosis offensichtlich recht unterschiedlich
verteilt ist. Sie dürfte für den Bereich BAK 3 bis 5 Promille einzuschätzen sein.
Bei Kindern liegt naturgemäß eine geringere Alkoholbelastbarkeit vor. Dennoch
erstaunen die in Kasuistiken geschilderten, überlebten kindlichen Vergiftungen. Die
Untersucher fanden ein starkes Überwiegen der hochprozentigen Alkoholika. Relativ niedrigprozentige Alkoholika wie Bier oder Wein werden offensichtlich in größeren Mengen erst von Kindern der Altersgruppe 11-14 Jahre getrunken. Jungen
waren eindeutig häufiger betroffen als Mädchen (4:1). Das Durchschnittsalter betrug 10 Jahre. Die mittlere Alkoholisierung zum Aufnahmezeitpunkt geben die Autoren mit 1,4 Promille an (Spannbereite 0,5 bis 2,9 Promille). Nach Wiesner und
Freund liegt in 6 bis 10 Prozent aller klinisch behandelter kindlicher Vergiftungsfälle
eine Alkoholvergiftung vor. Die Alkoholwirkung soll bei Kindern nicht unbedingt mit
der tatsächlichen Blutalkoholkonzentration korrelieren. Püschel und Mätzsch folgern
aus ihren Untersuchungen, dass selbst kleinste Kinder unter klinischer Betreuung
Alkoholisierungen von 2,0, teilweise sogar von 3,0 Promille scheinbar schadlos
überleben können.
Die Höhe der letalen BAK soll im wesentlichen von den Unterschieden der Konzentration und Menge des Getränks, von den Resorptionsverhältnissen (Füllungszustand des Magens, Magenperistaltik), der Dauer und zeitlichen Verteilung der Alkoholaufnahme, dem Körpergewicht, dem Verteilungsfaktor, der Größe der individuellen Entgiftungsfunktion und der Alkoholtoleranz abhängen. Bei bereits vorliegender
Vorschädigung liegt die letale Alkoholdosis in der Regel niedriger. Ähnliche Effekte
zeigen simultan eingenommene andere toxische Substanzen, die zu einer Wirkungsverstärkung führen. Ähnliches wird von Sauerstoffmangel berichtet. Die
gleichzeitige Einnahme von Barbituraten oder Morphinderivaten wirkt sich beson58
ders gefährlich aus. Die früher häufiger zu beobachtende Antabus-Alkoholreaktion
führte ebenfalls auf relativ niedrigem BAK-Niveau zum Exitus letalis.
Während Mueller noch 1975 schrieb, dass tödliche Konzentrationen über BAK 6
Promille kaum beobachtet werden, kann dies für die heutige Zeit nicht mehr gelten.
Untersucher fanden bei tödlichen Alkoholvergiftungen in Polen Konzentrationen von
2,25 bis 6,03 Promille. Heatley und Bao fanden in Irland bei 175 Todesfällen infolge
akuter Ethanolintoxikation einen Durchschnittswert von 3,55. Untersucher in Irland
fanden bei 175 Todesfällen infolge akuter Ethanolintoxikation einen Durchschnittswert von 3,55 Promille. In einer eigenen retrospektiven Studie, die den Leicheneingang der Jahre 1991 bis 1997 des Instituts für Rechtsmedizin der Heinrich-HeineUniversität Düsseldorf erfaßte, fanden sich Maximalwerte von BAK 6,17 und 6,35
Promille.
Der Tod infolge einer Alkoholvergiftung tritt im allgemeinen nach 5-12 (bis 24)
Stunden in tiefer Narkose durch Atemlähmung oder mit Herzversagen und Lungenödem ein. Gewöhnlich werden die bekannten Intoxikationsgrade durchlaufen, mitunter stellt sich aber auch sehr schnell ein Koma ein - gelegentlich auch nach einem scheinbar "freien Intervall. Hier muss auch wiederum die Gefährlichkeit von
Trinkwetten betont werden. Der wahre gesundheitliche Zustand des Intoxikierten
wird von den oftmals auch alkoholisierten Mittrinkern gar nicht erkannt. Er schläft
am Tisch offensichtlich ein, was als normales Erscheinungsbild akzeptiert wird.
Auch die fehlende Erweckbarkeit wird als "normale Volltrunkenheit" interpretiert, der
Übergang ins Koma wird völlig übersehen. Nicht selten erfolgt dann sogar noch ein
Transport nach Hause, wo der Betroffene dann Stunden später verstirbt. Meist tritt
der Tod kurz nach Übergang in die Eliminationsphase ein, tödliche Folgen extremen Alkoholbelastungen wurden aber auch in der Resorptionsphase beobachtet.
Der Bolustod ist relativ spezifisch für die Alkoholvergiftung, ist allerdings statistisch
gesehen eher selten. Im Düsseldorfer Obduktionsgut fanden sich im Zeitraum
1947-1988 insgesamt 78 Bolustodesfälle. Der gewöhnlich stark Alkoholisierte verschluckt sich beim Essen eines grösseren Happens. Bedingt durch die gestörte
Schluckmotorik und die Hemmung der normalerweise vorhandenen Schutzreflexe
würgt er, wird zyanotisch und verstirbt. Es handelt sich allerdings nicht um einen
Erstickungstod sondern einen plötzlichen Herzstillstand durch die Reizung peripherer Nerven, in der Regel der sensiblen Kehlkopfnerven. Die Therapie besteht in
Entfernung der den Kehlkopf verlegenden Speisereste und Herzmassage beziehungsweise Reanimationsmassnahmen.
Alkohol verursacht zentralnervöses Erbrechen. Schon im hypnotischen, besonders aber im narkotischen Stadium besteht durch die Hypästhesie, die Depression
der Schutzreflexe und die gestörte motorische Koordination die Gefahr einer Aspiration von Mageninhalt. Für die Erste-Hilfe-Massnahmen gilt das unter Verlegung
der Atemwege Gesagte.
Durch die schon angesprochene alkoholbedingte Gefässdilatation kommt es einerseits zu Wärmegefühl, andererseits zur verstärkter Wärmeabgabe und damit zur
Gefahr der Unterkühlung. Eine ebenfalls alkoholbedingte Kälteunempfindlichkeit
sowie das Ausbleiben des Kältezitterns verstärken die Auskühlung des Körperkerns. Die Kombination von subjektivem Wärmegefühl und realem Wärmeverlust
kann bei stärker alkoholisierten Personen zu völligen Fehleinschätzungen der Situation, z.B. zum Entledigen der Kleidung bei winterlichen Temperaturen, führen
und so einen Erfrierungstod provozieren (sogenannte Kälteidiotie). Die Erste-Hilfe59
Massnahmen bestehen hier im Warmhalten mittels Decke oder ähnlichen Gegenständen.
Die zentrale Atemlähmung ist die häufigste Todesursache bei der schweren Alkoholvergiftung. Der Kreislaufstillstand bei schwerer Alkoholvergiftung wird durch die
zentrale Atemlähmung verursacht. Diese führt zu Sauerstoffmangel, Anreicherung
von Kohlendioxid und damit zu Verschiebungen im Säuren-Basen-Haushalt.
Forensischer Nachweis der akuten Alkoholbeeinflussung
Die Umsetzung der schon angesprochenen Paragraphen wird für die Polizei in
bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschriften geregelt.
Atemvortest
Der Vortest wird in Deutschland mit dem Alcotest 7410® der Firma Draeger und
dem Gerät AlcoQuant A 3020® der Firma EnviteC durchgeführt. Die in einer eigenen Studie vorgefundenen Abweichungen für das Vorläufermodell 7310 zeigt Abb.
9. Es ergaben sich Differenzen mit einer Standardabweichung von 0,2 bis 0,3 Promille. Die maximalen Abweichungen lagen bei ± 0,6 Promille.
Abb.9: Abweichungsklassen der Differenz BAKA-BAK beim
Alkotest 7310® im polizeilichen Einsatz
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Messverfahren
bestimmung
zur
Atemalkohol-
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Für die Bestimmung der Atemalkoholkonzentration eignen sich mehrere Analyseverfahren.
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Dichromatverfahren: In den USA wurde nach
8
dem Prinzip der Dichromatmethode der
Breathalyzer entwickelt. Hier wird mittels Pho4
tometer die Verfärbung einer Dichromatlösung,
die in Einzelampullen für die Bestimmungen
>0,6 0,6 0,4 0,2
0,2 0,4 0,6 >0,6
bereitsteht, gemessen. Als Kontrolle dient eine
zu hoch
zu niedrig
"unbeatmete"
Dichromatlösung. Durch die
photometrische Messung lässt sich die Atemalkoholkonzentration auf einer Skala ( 0 - 40 % ) grob bestimmen.
Gaschromatographische Verfahren: Analog zur Blutalkoholkonzentration wurde
auch versucht, die Atemalkoholkonzentration gaschromatographisch zu bestimmen.
Der Vorteil dieser Technik liegt wie beim Blutalkohol in der Spezifität. Andere flüchtige Substanzen können als solche erkannt werden. Typische Geräte dieser Kategorie sind Alcolyser GCI®, Alco-Analyzer® und GC-Intoximeter®. Die Geräte werden mit sogenannten "field sampling kits", die die zu analysierende Atemluft enthalten, beschickt.
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Infrarot- (IR-) Verfahren: Das Prinzip der Atemalkoholbestimmung per InfrarotTechnik beruht auf der Tatsache, dass Moleküle Infrarot-Strahlen absorbieren, die
für ihre Struktur charakteristisch sind.
Elektrochemische Oxidationsverfahren (Brennstoffzelle): Die Vorteile dieser
Technik liegen in der Kompaktheit der Geräte, der niedrigen Nachweisgrenze und
der relativen Unempfindlichkeit gegenüber flüchtigen Kohlenwasserstoffen. Als
Nachteile gelten Austausch der Brennstoffzelle nach 6-12 Monaten, längere Wartezeit zwischen den Analysen, CO-Empfindlichkeit und Notwendigkeit häufiger Kalibrierung.
Redox-Halbleiter-Gassensoren: Als Vorteile gelten Kompaktheit, hohe Empfindlichkeit und lange Lebensdauer. Als Nachteile gelten Empfindlichkeit gegenüber
reduzierenden Gasen wie CO und eine Abhängigkeit von der Heiztemperatur.
Durchführung des Atemvortests
Die in der Bundesrepublik Deutschland heute üblichen Vortestgeräte Alcotest Alcotest7410® und AlcoQuant A 3020® zeigen als Einheit "Milligramm pro Liter", also auf
die Angabe einer Atemalkoholalkoholkonzentration. In der polizeilichen Praxis sieht
es so aus, dass bei einem Vortestwert von über 18 mg/l bei alkoholverdächtigen
Ausfallserscheinungen oder Verkehrsdelikt bzw. bei einem Wert von über 25 mg/l
eine Blutprobe bzw. eine "beweissichere" Atemalkoholprobe angeordnet wird. Bei
der Blutentnahme ist eine ärztliche Untersuchung eingeschlossen.
Ärztliche Untersuchung
Jeder Arzt, der eine Blutentnahme zur Alkoholbestimmung durchführt, ist auch zur
Untersuchung des Probanden und zur Erstellung eines Untersuchungsprotokolls
verpflichtet. Manchem blutentnehmenden Arzt ist die Bedeutung der Untersuchung
nicht ganz klar, zumal er vorher die Blutentnahme durchgeführt hat, die ein naturwissenschaftlich exaktes Analyseergebnis liefern wird. Der Grund für die Untersuchung ist in der manchmal fehlenden stochastischen Abhängigkeit zwischen Blutalkoholkonzentration und Alkoholwirkung zu sehen. Der Arzt soll die tatsächliche
Trunkenheit, also die Wirkung des Alkohols auf Psyche und Physis des Delinquenten, erfassen. Auch auf diese Untersuchung bezieht sich die Liquidation für die
Blutentnahme zur BAK-Bestimmung.
Für den Fall , dass sich Personen der Anordnung von körperlicher Untersuchung
und Blutentnahme widersetzen, finden sich folgende Regelungen: Beschuldigte
oder Betroffene, die sich der körperlichen Untersuchung oder der Blutentnahme widersetzen, sind
mit den nach den Umständen erforderlichen Mitteln zu zwingen, die körperliche Untersuchung
und die Blutentnahme zu dulden. Gegen andere
Personen als Beschuldigte oder Betroffene darf
unmittelbarer Zwang nur auf besondere Anordnung des Richters angewandt werden.
Dem untersuchenden Arzt muss klar sein, dass
seine Eintragungen nachvollziehbar und verständlich sein müssen. Spätere Probleme können sich
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durch Durchschläge ergeben, die in die Strafakte gelangen. Da eine Reihe von
Untersuchungsbefunden häufig durch bloßes Unterstreichen der zutreffenden Angabe gekennzeichnet werden, können sich durch Verschieben der Durchschläge
bei der Niederschrift später Missverständnisse ergeben. Man sollte sich hier an ein
sorgfältiges Einkreisen der passenden Befunde gewöhnen, um solche später verwirrenden Dokumentationen zu vermeiden bzw. auch nachträglich aufklärbar zu
machen. Die Vorgaben im Protokoll sind schematisch und der untersuchende Arzt
sollte sich nicht scheuen, im Bedarfsfall mit eigenen Formulierungen schriftlich zu
ergänzen. Er muss sich darüber klar sein, dass im Rahmen der späteren Hauptverhandlung sein Untersuchungsprotokoll die einzige schriftliche Niederschrift über
den seinerzeitigen Zustand des Delinquenten sein kann.
Es braucht wohl nicht weiter ausgeführt zu werden, dass auch die im Protokoll
vorgegebenen "Tests", insbesondere die Prüfung des Drehnystagmus durchgeführt
werden müssen. Ein grobschlägiger Drehnystagmus über 6 Sekunden liefert einen
deutlichen Hinweis auf eine toxische vestibulo-okulomotorische Funktionsstörung;
wegen der Unmöglichkeit einer Einflussnahme des Probanden auf dieses Phänomen können aber so auch "Simulanten" entlarvt werden. Wichtig für die spätere
gutachterliche Beurteilung sind auch die exakte Feststellung des Körpergewichts
und der Körperlänge sowie die Beschreibung des Konstitutionstypus.
Im übrigen kann ein "Herunterspielen" von tatsächlich vorhandenen Trunkenheitssymptomen bei später festgestellter hoher Blutalkoholkonzentration für den Delinquenten erhebliche Nachteile haben. Erstens steht schnell die Frage des Alkoholismus im Raume, und zweitens könnte eine vielleicht berechtigte Diskussion über
eingeschränkte oder aufgehobene Schuldfähigkeit im Rahmen der Hauptverhandlung durch die fehlende Dokumentation von Trunkenheitssymptomen erheblich
erschwert werden.
Ärztliche Blutprobenentnahme
Die Blutprobenentnahme ist eine ärztliche Aufgabe (Ärzte im Praktikum sind approbiert, Medizinstudenten im Praktischen Jahr hingegen nicht). Die Anordnung der
Blutprobe wird dabei vom Richter oder dem Staatsanwalt, in den meisten Fällen
jedoch wegen der Eilbedürftigkeit durch einen Polizeibeamten getroffen (§ 81 a
Abs. 3 StPO). Die Vorschrift gibt dem Arzt das Recht, diesen Eingriff durchzuführen, eine Verpflichtung des Arztes ergibt sich daraus allerdings nicht. Im Grundsatz
besteht in der juristischen und rechtsmedizinischen Diskussion Einigkeit darüber,
dass es eine generelle Verpflichtung zur Blutentnahme für den Arzt nicht gibt. Die
Begründung soll sich aus der Gewissensfreiheit und Entscheidungsfreiheit des
Arztes ergeben. Es bestehen allerdings Ausnahmen.
Nach Meinung einiger Rechtsexperten soll sich eine Verpflichtung zur Blutentnahme aus der richterlichen oder staatsanwaltlichen Ernennung zum Sachverständigen
ergeben. Aus dieser folgen die Verpflichtungen der §§ 73, 76 und 77 StPO und
verpflichten ihn zur Mitwirkung. Somit stünde der Arzt in einer öffentlich-rechtlichen
Verpflichtung. Die Polizei selbst kann so nach der Meinung einiger Autoren die
Tätigkeit des Arztes nicht erzwingen.
Bei Vertrags- und Amtsärzten kann sich die Verpflichtung zur Blutentnahme aus
den arbeitsvertraglichen Pflichten ergeben. Auch hier wird teilweise abgelehnt, dass
diese Verpflichtung gegenüber den Strafverfolgungsbehörden direkt besteht. Sie
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kann allerdings aufgrund von beamteter Dienstellung bzw. vertraglicher Bindung
entstehen. Als Beispiel seien hier Amtsärzte und sogenannte Polizeiärzte genannt.
Hier kann eine Verweigerung zu disziplinar- bzw. vertragsrechtlichen Konsequenzen führen. Für Ärzte im Angestelltenverhältnis gelten die im Arbeitsvertrag aufgeführten Dienstpflichten. Die Pflicht zur Blutentnahme kann sich aber auch ergeben,
wenn zwischen Krankenhausträger und dem Träger der Polizeidienststelle Identität
besteht . Hier könnten sich also durchaus Unterschiede ergeben bei einem städtischen Krankenhaus und Angehörigen der Landespolizei. Sind die Träger hingegen
identisch, so gehört die Entnahme der Blutprobe zur Sonderregelung 2 c des BAT,
sie wird dann zur Hauptpflicht aus dem Arbeitsverhältnis.
Für Kliniker empfiehlt es sich im Zweifelsfall, ihren Arbeitsvertrag auf eine diesbezügliche Dienstpflicht zu überprüfen.
Einen Unterschied im Falle einer zwangsweisen
Blutentnahme gibt es nicht. Ärzte, bei denen eine
Dienstpflicht zur Blutentnahme besteht, müssen auch
eine Blutentnahme unter Zwang durchführen. Der
Arzt kann dabei natürlich nicht gezwungen werden,
an den Zwangsmaßnahmen selbst teilzunehmen,
dies ist Polizeiaufgabe. Natürlich gilt für den Arzt wie
für jeden anderen Bürger auch das Zeugnisverweigerungsrecht. Aus diesem Grund - Verlöbnis, Ehe,
Verwandschaft mit dem Beschuldigten - kann er die
Durchführung der Blutentnahme verweigern. Ebenso
können hier Befangenheitsgründe zur Anwendung
kommen.
Die Frage, wie eine verweigerte Blutentnahme durch
den Arzt rechtlich eingestuft werden muss, etwa als Tatbestand der Strafvereitlung
(§ 258) oder als Tatbestand der Strafvereitelung im Amt (§ 258 a) ist in der Literatur
umstritten. Hier wird auf die juristische Fachliteratur verwiesen.
Obwohl Testversuche ergeben haben, dass selbst ein Einstechen durch eine Ethanolansammlung zu keinen signifikanten Änderungen führt, sollte, insbesondere im
Hinblick auf eine später unter Umständen angeordnete Begleitstoffanalyse, auf
generell-alkoholfreie Desinfektionsmittel zurückgegriffen werden.
Desweiteren ist - beispielsweise bei in ärztlicher Behandlung befindlichen Unfallopfern - bei Blutentnahme aus einem bereits liegenden und in Gebrauch befindlichen
Venenzugang Vorsicht geboten. Hier ist zumindest das Volumen des Infusionsbestecks zu verwerfen.
Zur Blutentnahme bedient man sich eines Einmal-Vakuumbesteckes, welches mit
Standardklebeetiketten gleichzeitig mit dem Blutentnahmeprotokoll gekennzeichnet
wird.
Im Gemeinsamen Runderlass finden sich zur Durchführung der Blutentnahme die
folgenden Vorschriften: Blutentnahmen dürfen nur von Ärztinnen und Ärzten (einschließlich solcher im Praktikum) nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden. Ersuchen um Blutentnahmen sind an Ärztinnen und Ärzte zu richten,
die dazu rechtlich verpflichtet oder bereit sind. Andere Ärztinnen und Ärzte sind
nicht verpflichtet, Ersuchen um Blutentnahmen nachzukommen. Da die Richtigkeit
der bei der Untersuchung auf Alkohol sowie Drogen und Medikamente gewonnenen
Messwerte wesentlich von der sachgemäßen Blutentnahme abhängt, ist dabei
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grundsätzlich wie folgt zu verfahren: Das Blut ist möglichst bald nach der Tat zu
entnehmen. Es ist durch Venenpunktion mittels eines von der zuständigen Landesbehörde zugelassenen Blutentnahmesystems zu entnehmen, bei dem die Verletzungs- und Kontaminationsgefahr minimiert ist. Die Einstichstelle ist mit einem
geeigneten nichtalkoholischen Desinfektionstupfer, der luftdicht verpackt gewesen
sein muss, zu desinfizieren. Die Punktion ist in der Regel aus einer Vene der oberen Extremität vorzunehmen. Zumindest für die jeweiligen Nadelsysteme und Tupfer sind geeignete Entsorgungsgefäße vorzuhalten. Der Sicherung der Blutproben
muss mit der gegebenen Sorgfalt erfolgen. Identifizierung und Zuordnung müssen
später zu jedem Zeitpunkt zweifelsfrei gewährleistet sein. Die körperliche Untersuchung und Blutentnahme anordnende oder eine von ihr zu beauftragende Person
soll bei dem gesamten Blutentnahmevorgang zugegen sein. Sie hat darauf zu achten, dass Verwechslungen von Blutproben bei der Blutentnahme ausgeschlossen
sind.
Die bei der Blutentnahme anwesende Person ist auch für die ausreichende Kennzeichnung der Blutprobe(n) verantwortlich. Zu diesem Zweck sollen mehrteilige
Klebezettel verwendet werden, die jeweils die gleiche Identitätsnummer tragen. Die
für die Überwachung verantwortliche Person hat die Teile des Klebezettels übereinstimmend zu beschriften. Ein Teil ist auf das mit Blut gefüllte Röhrchen aufzukleben. Der zweite Abschnitt ist auf das Untersuchungsprotokoll aufzukleben, das der
Untersuchungsstelle übersandt wird. Ihm ist zugleich der dritte Abschnitt lose anzuheften. Er ist nach Feststellung des Blutalkoholgehalts für das Gutachten zu verwenden. Der vierte Teil des Klebezettels ist in die Ermittlungsvorgänge einzukleben. Bei einer zweiten Blutentnahme ist auf den Klebezetteln die Reihenfolge anzugeben. Die Richtigkeit der Beschriftung ist von der Ärztin/ dem Arzt zu bescheinigen. Die bruchsicher verpackten Röhrchen sind auf dem schnellsten Wege der
zuständigen Untersuchungsstelle zuzuleiten. Bis zur Übersendung sind die Blutproben möglichst kühl, aber ungefroren zu lagern.
Analytische Voraussetzungen der Blutalkoholbestimmung
Bereits im vorigen Jahrhundert wurden Blutalkoholbestimmungen durchgeführt,
eine adaequate Mikromethode steht aber erst seit der Entwicklung des Widmarkverfahrens in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts zur Verfügung. Diese
chemische Methode fand bis weit ins Ende des vorigen Jahrhunderts breiteste
Anwendung, hat mittlerweile aber weitgehend ihre Bedeutung verloren, obwohl die
Anwendung weiterhin zulässig ist. Die früher üblichen physikalischen Analysemethoden sind heute obsolet.
Die Blutprobenuntersuchung wird durch die Richtlinien des Bundesgesundheitsamtes von 1966 geregelt. Diese wurden 1997 durch die Richtlinien für die
Blutalkoholbestimmung für forensische Zwecke den geänderten Bedürfnissen angepasst und ergänzt.
Es gibt eine Reihe von Vorschriften. Diese betreffen insbesondere: räumliche und
personelle Anforderungen an das Labor, Umgang mit dem Untersuchungsmaterial,
zulässige Analysenmethoden und analytischer Ablauf.
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Untersuchungsmethoden
Das nach Widmark benannte Verfahren ist eine chemische Methode, die zu einer
Oxidation des Ethanols führt. Die Reaktion läuft in einem geschlossenen Glaskolben (Widmarkkolben) ab, in dem flüssige Anteile, unter anderem Ethanol, durch
Wärmezufuhr aus einer Substratmenge (Blut, Urin) von etwa 100 Milligramm destillieren und von Dichromatschwefelsäure aufgenommen werden und dabei Ethanol
zur Essigsäure oxidiert wird. Nach ca. zwei Stunden ist die Reaktion, die bei 60°C
abläuft (Brutschrank oder Wasserbad) abgeschlossen und der vorhandene Alkohol
kann über eine Titration der nicht verbrauchten Dichromatschwefelsäure bestimmt
werden.
Nach den Untersuchungen von Schmidt und Manz handelt es sich beim Widmarkverfahren um eine sehr präzise Untersuchungsmethode. Da der Ethanol aber indirekt - als Reduktionsmittel - erfasst wird, ist das Verfahren leider nicht spezifisch für
Ethanol. Dies liegt bei den hier vorliegenden chemischen Vorgängen auf der Hand.
Für verfälschende Substanzen sind nur zwei Voraussetzungen gegeben, sie müssen bei 60°C flüchtig sein und sie müssen entweder reduzierende Eigenschaften
aufweisen bzw. durch Kaliumdichromatsäure oxidierbar sein. Im Normalfall und bei
Frischblutproben wirkt sich dies nicht signifikant aus, da die sogenannten Ketonkörper (Acetessigsäure, β-Hydroxybuttersäure, Aceton etc.) im Blut des Gesunden nur
in sehr geringen Konzentrationen vorkommen. Beim Diabetiker können diese allerdings erhöht sein und bis zu 0,3 bis 0,4 Promille im Blut vortäuschen.
Das ADH-Verfahren beruht auf der enzymatischen Aktivität von Leber- bzw. HefeAlkoholdehydrogenase. In-vitro wird der erste Schritt des Ethanolabbaus in-corpore
nachvollzogen, der Abbau zu Acetaldehyd. Der hierbei freiwerdende Wasserstoff
wird auf das Coenzym Nicotinamid-Adenin-Dinukleotid (NAD) übertragen. Das so
hydrierte NAD weist im Ultraviolettbereich eine starke Lichtabsorption auf, deren
Maximum bei 340 nm liegt. Über eine Extinktionsmessung kann die ursprünglich
vorhandene Ethanolmenge ermittelt werden. Das Acetaldehyd selbst wird von Semicarbazid gebunden.
Die ADH-Methode gilt als alkoholspezifisch, ist aber keine ethanolspezifische Methode. Methanol als weiteres Substrat der Alkoholdehydrogenase kann einerseits
nicht selektiv erfasst werden und erhöht andererseits die "wahre" Ethanolkonzentration wegen der Substratkonkurrenz an der ADH kaum. Die höherkettigen Alkohole
werden bei signifikanter Konzentration erfasst.
Eine sehr spezifische Methode von hoher Reproduzierbarkeit der Messergebnisse
ist für die Ethanolbestimmung in Körperflüssigkeiten und Geweben die Gaschromatographie. Bei der Verwendung der Headspace-Technik wird der Einfluß der
organischen Matrix auf die Messungen weitgehend eliminiert. Durch Erwärmung
(meist 60°C) werden in einem Reaktionsgefäß (Kapselfläschchen) die flüchtigen
Substanzen in der Dampfphase angereichert.. Aus der Dampfphase wird dann ein
Aliquotes durch Trägergas (Stickstoff, Helium) auf eine Trennsäule übergetrieben.
Die Verweilzeiten der verschiedenen leichtflüchtigen organischen Lösungsmittel,
die aus der Blutprobe in der Dampfphase angereichert wurden, sind in der Säule
abhängig von den Adsorptionseigenschaften der Säulenfüllung, der Säulentemperatur, dem Gasdruck, dem Siedepunkt und der Polarität des Lösungsmittels. Die Art
der Säulenfüllung bestimmt die Trennleistung einer Säule und damit auch die Spezifität des Ethanolnachweises. Am Ende der Säule befinden sich Detektoren, mit
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denen die auf der Säule getrennten Lösungsmittel in einem Chromatogramm dargestellt werden können. Bei Ethanol wird meist ein Flammenionisationsdetektor
verwendet, in dem die verschiedenen Substanzen in einer mit Wasserstoff und Luft
gespeisten Flamme verbrannt werden. Bei dieser Verbrennung entstehen Ionen,
die von Elektroden aufgefangen werden. Dieser Ionenstrom wird verstärkt und kann
über Schreiber, Integrator oder Bildschirm sichtbar gemacht werden. Die Größe des
Ionenstroms ist ein Maß für die menge des am Detektor angekommenen Lösungsmittels. Da dieser Strom unter anderem von der Molekülgröße abhängig ist, muss
für jede der zu untersuchenden Substanzen kalibriert werden. Die Identifizierung
der Substanzen erfolgt über die Retentionszeiten. Die Konzentration der Lösungsmittel wird über die Peakhöhe oder bei asymmetrischen Peaks über die Peakfläche
bestimmt. Zweckmäßigerweise verwendet man dabei einen inneren Standard, der
jeder Probe zugesetzt wird.
Der Fehler der GC-Methode ist weit niedriger als bei der Widmarkmethode oder
dem ADH-Verfahren. Durch die hohe Spezifität ist das Verfahren anderen Methoden weit überlegen. Auch bei der Gaschromatographie kann es zu Überlagerungen
unterschiedlicher Lösungsmittel kommen, zum Beispiel von Ethanol und 2-Propanol
oder Ethanol und Methanol. Solche Überlagerungen können aber durch die Verwendung anderer Säulen vermieden werden.
Interne und externe Qualitätskontrollen
Laboratorien, die forensische Blutalkoholbestimmungen durchführen, sind sowohl
zu interner (ständiger) wie auch externer Qualitätskontrolle (Ringversuche) verpflichtet.
Die sog. "beweissichere Atemalkoholbestimmung"
Zum jetzigen Zeitpunkt stellt der Typ III die aktuellste Version des einzigen in
Deutschland zugelassenen Atemalkoholmessgerätes dar. Das Gerät arbeitet mit 2
unterschiedlichen Analysemethoden, der Infrarottechnik und einem elektrochemischen Sensor. Fehlereinflüsse von Aussen sollen durch Messung der Atemtemperatur ausgeschaltet werden. Die Atemtemperatur wird über zwei temperaturunabhängige Widerstände gemessen, die hinter dem Mundstück plaziert sind. Sie sollen
auch auf schnelle Temperaturveränderungen reagieren. Die Analysenergebnisse
werden auf Konzentrationswerte bezogen, die einer Atemtemperatur von 34° C
entsprechen. Atemschlauch und Handgriff sowie alle Teile des Gerätes, die mit der
Atemluft in Berührung kommen,
werden auf über 40°C erhitzt, eine
Kondensation der Atemluft soll so
verhindert werden. Selbst das eingesetzte Mundstück wird über den
Handgriff erwärmt. Die Mundstücke
sind mit einem Rückatemventil zur
Verhinderung von Luftansaugung
aus dem Gerät und mit einer Speichelfalle versehen.
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Die Überwachung von Atemvolumen und Expirationsdauer soll über ein Mindestvolumen (abhängig von Alter und Geschlecht) sowie eine Mindestexpirationsdauer
von drei Sekunden sicherstellen, dass die Atemprobe tiefe Lungenluft repräsentiert.
Ein Mindestluftfluss von 0,1 Liter pro Sekunde darf nicht unterschritten werden.
Die Messung besteht aus zwei Einzelmessungen. Die Infrarot-messung erfolgt im
Wellenbereich um 9,5 μm, der sich nach Herstellerangaben als der unempfindlichste gegen Störsub-stanzen erwiesen hat. Die Atemluft wird in die Messkammer des
Infrarot-Systems geführt. Die Messküvette selbst hat ein Volumen von etwa 70 ml.
Über den Strahl einer Infrarotquelle, der über Hohlspiegel mehrfach reflektiert wird,
wird die Absorptionsweglänge künstlich vergrössert. Ein Infrarotempfänger setzt die
bei ihm einfallende Strahlung in ein elektrisches Signal um. Bei Beginn jeder Messung wird über eine ethanolfreie Probe eine Eichung auf den Nullwert durchgeführt.
Zur zusätzlichen Absicherung wird diese Nullprobe auch mit dem zweiten Analysesystem, dem elektrochemischen Sensor, überprüft. Ergeben sich hier Auffälligkeiten, also ein Ethanolnachweis in der Leerprobe, soll die Messung automatisch abgebrochen werden. Verläuft die Nullwertsetzung stimmig, wird die zu analysierende
Probandenprobe über einen beheizten Schlauch in die Messkammer eingebracht.
Die Analyse selbst erfolgt indirekt über die Absorption von Infrarotstrahlung durch
Ethanolmoleküle und Vergleich mit der Leerprobe. Die Differenz zwischen Leerwert
und Probandenprobe ist der Ethanolkonzentration proportional.
Die Messung im elektrochemischen Sensor erfolgt über Umwandlung des in der
Atemprobe enthaltenen Ethanols zu Kohlendioxid und Wasserdampf. Bei diesen
Oxidationsvorgängen freiwerdende Elektronen sorgen für einen Stromfluss, über
dessen zeitlichen Summenverlauf auf den vorhandenen Ethanol rückgeschlossen
werden kann. Angeblich lassen sich bei geeigneter Kalibrierung selbst andere Alkohole vom Ethanol unterscheiden. Eine Funktionsüberprüfung des elektrochemischen Sensors wird nach jedem Messzyklus über eine Standardprobe mit einem
Ethanolgehalt von 0,5 mg/l durchgeführt. Die Reste dieses Standards werden durch
den Infrarotsensor noch einmal gemessen, die Ergebnisse erlauben durch Vergleich einen weiteren Funktionstest.
Um externe Einflüsse von Mundrestalkohol auszuschalten, müssen wie beim Alcotest 7410® zehn Minuten bis zur Messung gewartet werden, während derer der
Proband keinerlei Substanzen zu sich nehmen darf (Wartezeit zwischen Trinkende
und Messung 20 Minuten).
Das Gerät Alcotest 7110 Evidential® erfordert automatisch zwei Einzelmessungen,
mit jeweils einer unabhängigen Atemprobe. Die zweite Atemprobe ist innerhalb von
zwei bis fünf Minuten nach der ersten Atemprobe abzugeben. Nach Angaben des
Herstellers müssen beide Einzelmessungen erfolgreich durchgeführt werden und im
Endergebnis in sehr engen Grenzen übereinstimmen, erst dann wird das gültige
Endergebnis über einen internen bzw. externen Drucker ausgegeben.
Die Voraussetzungen für den gültigen Vergleich beider Einzelmessungen besagen,
dass die Volumendifferenz zwischen beiden Atemalkoholproben unter zwei Litern
liegen muss, die Differenz zwischen den Exspirationszeiten unter fünf Sekunden
liegen muss, die Differenz zwischen den ermittelten endexspiratorischen Atemtemperaturen unter 1,5 K liegen muss und die Differenz der beiden Einzelwerte weniger
als 0,02 mg/l bzw. 5 Prozent vom Mittelwert beträgt. Für die Beurteilung gilt hier der
jeweils höhere Wert.
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Kritik an der "beweissicheren" Atemalkoholprobe
Wohl niemand wird heute bezweifeln, dass es sich bei dem Alcotest 7110 Evidential
Mk III um ein hervorragend entwickeltes Gerät handelt, das im Laborversuch innerhalb definierter Grenzen exakt die vorhandenen Ethanolkonzentrationen in einem
Gasgemisch analysiert. Die modernen zur Atemalkoholbestimmung benutzten
Messverfahren sind durchaus geeignet, mit grosser Exaktheit in einer bestimmten
Luftprobe die Atemalkoholkonzentration bei einer bestimmten Temperatur zu ermitteln
Es ergeben sich aber die folgenden Kritikpunkte:
Auf die AAK/BAK-Ratio, also das Verhältnis von Atemalkohol zu simultanem Blutalkohol wurde bereits eingegangen. In der Literatur finden sich Werte für Umrechnungsfaktoren zwischen 1,1 und 3,0 Promille/mg/l. Nach neuesten, umfangreichen
Untersuchungen streut der Quotient gar von 0,74 bis 3,29 Promille/mg/l. Da der
Faktor von Trinkphase, interindividuellen und intraindividuellen atemphysiologischen Gegebenheiten abhängt, müßte mit niedrigstem und höchstem Wert umgerechnet werden. Bei einem Atemalkoholwert von z. B. 0,55 mg/l ergäbe sich damit
ein BAK-Bereich von 0,40 bis 1,81 Promille.
Resorptionsphase: Solange die Blutalkoholkonzentration noch ansteigt, ist die
Konzentration in der Lunge als dem zuerst durchströmten Organ zwangsweise
höher als in der anschließend durchströmten Peripherie. Daraus ergibt sich, dass
die AAK während der Resorptionsphase höher liegt als die im venösen Blut bestimmte BAK. Dies konnte in Untersuchungen bestätigt werden, wobei allerdings
Uneinigkeit über die tatsächliche Höhe der Differenz besteht. Hier ist die Rechtsgleichheit gefährdet. Ein identisch alkoholisierter Beschuldigter, bei dem eine Blutprobe entnommen würde, hätte ein niedrigeres Ergebnis (BAK) vorzuweisen.
Über eine Hyperventilation erzielt man eine erhöhte Lungenbelüftung und damit
wird ebenfalls ein ausreichender Konzentrationsausgleich zwischen Blut und Atemluft verhindert. Schmutte et al. fanden nach einem 100-Meter-Lauf maximale Abweichungen von 53 und 56 Prozent (Messung mit Alcolyser). Über eine Hypoventilation oder vorübergehendes Atemanhalten erzielt man einen gegenteiligen Effekt.
Es kommt zu einem maximalen Konzentrationausgleich zwischen Blut und Atemluft.
Nach Jones kann durch Hypoventilation eine Erhöhung der AAK um 13,5 bis 18
Prozent erzielt werden. Henn et al. fanden bei Männern maximal 32,1 Prozent und
bei Frauen 22,6 Prozent. Die Durchschnittswerte lagen bei 17,5 und 13 Prozent.
Auch Lungenerkrankungen und Erkrankungen des Herzkreislaufsystems beeinflussen die AAK-Messung. Beim Lungenemphysem ist die Kontaktfläche für den
Gasaustausch vermindert. Ein Konzentrationsausgleich verläuft daher langsamer.
Ebenso negativ dürften sich Durchblutungsstörungen der Lungen auswirken.
Mundhaftalkohol/ Speichelalkohol/ Singultus: Coldwell und Grant geben an,
dass nach 20minütiger Trinkpause kein Alkohol in der Mundhöhle mehr nachweisbar sei, wenn die betreffende Person unaufhörlich geredet hätte. Bei Schweigen,
d.h. geschlossenem Mund wären hierzu aber 25 bis 30 Minuten notwendig. Spector
hält 20 Minuten für ausreichend. Heifer 1984 wiederum hält nach Aufnahme von
Klosterfrau-Melissengeist eine Wartezeit von 40 bis 50 Minuten für erforderlich.
Gostomzyk et al. gehen davon aus, dass nach 30minütiger Wartezeit kein Mund68
haftalkohol mehr vorhanden sei. Wilske und Eisenmenger weisen daraufhin, dass
es durch den Blasvorgang ins Gerät zu eher seltenen Bewegungsabläufen in der
Mundhöhle kommen könnte, die dann zur Belüftung sonst abgedeckter Bereiche
führen können, zudem müsse man an Zahntaschen und Zahndefekte denken, die
alkoholische Flüssigkeit aufnehmen können. Mit dem Aufstossen von Luft aus dem
Magen tritt bei vorheriger Alkoholaufnahme alkoholhaltige Luft in die Mundhöhle.
Passiert ein solcher Singultus unmittelbar vor dem Pusten ins Gerät, kann es zu
Verfälschungen der AAK-Messung kommen.
Fehlende körperliche Untersuchung: während bei einer Blutentnahme ein Arzt
tätig werden muss, besteht im Rahmen einer Atemalkoholbestimmung im Regelfall
kein Anlass. Auch wenn die "beweissichere" Atemalkoholprobe bisher den Ordnungswidrigkeiten vorbehalten ist, entgehen hier jene Fälle der ärztlichen Untersuchung, bei denen neben einer Alkoholisierung auch die Einnahme von Medikamenten oder Drogen vorliegt. Häufig kommt es erst über die ärztliche Untersuchung
zum Erkennen von Auffälligkeiten, denen erst im Rahmen der Hauptverhandlung
nachgegangen wird.
Weitere diagnostische Möglichkeiten wie Urinproben, die vom untersuchenden Arzt
in die Wege geleitet werden können, entfallen ebenfalls.
Überprüfbarkeit, Nachuntersuchung, Rückrechnung: Da mit der AAKUntersuchung das zur Verfügung stehende Untersuchungsmaterial verbraucht ist,
können spätere Einwände gegen eine Geräteungenauigkeit (korrekte Nacheichung,
ordnungsgemäße Durchführung der Messung) nicht mehr überprüft werden. Der
spätere Einwand eines Kraftfahrers, seine Fahrweise sei auf eine für ihn unvorhersehbare Mitwirkung von Medikamenten zurückzuführen, kann mit Hilfe toxikologischer Untersuchungen nicht mehr überprüft werden. Gleiches gilt für die Untersuchung auf Begleitstoffe, wenn später eine Nachtrunkeinrede erfolgt. Auch wenn
dies im momentanen Rahmen der Ordnungswidrigkeiten seltener der Fall sein
sollte, erfahrungsgemäss kommen auch hier solche Fälle vor. Eine serologische
oder molekulargenetische Identitätsüberprüfung ist ebenfalls nachträglich nicht
mehr möglich. Wegen der systematisch zu hohen und zu unsicheren AAKMesswerte in der Resorptionsphase ist unter Berücksichtigung des BGH-Urteils
eine Um- und Rückrechnung innerhalb der ersten zwei Stunden nach Trinkende
wissenschaftlich nicht zu vertreten. Inzwischen ist eine weitere umfangreiche Untersuchung publiziert worden, die noch größere Varianzen ergab. Eine Umrechnung
von AAK-BAK ist danach praktisch obsolet. Gleiches gilt für die Rückrechnung der
Atemalkoholkonzentration auf den Tatzeitpunkt.
Ethanolbestimmung am Leichnam
Eine Leiche stellt aus juristischer Sicht keine Sache, aber auch keine Person dar.
Allgemein läßt sich feststellen, dass der für die Leiche Verantwortliche (Gewahrsamshalter) sich darüber bewußt sein muss, dass die Verpflichtung, die Würde des
Menschen zu wahren und zu schützen, nicht mit dem Tod endet, sondern darüber
hinaus fortdauert. Maßnahmen an der Leiche müssen sich daher im Rahmen der
Gesetze und der sittlichen Verpflichtungen halten und dürfen nicht gegen das Pietätsgefühl verstossen. Dies folgt aus der in Rechtsprechung und Rechtslehre vertretenen Auffassung , dass der Leichnam vom postmortal fortwirkenden Persönlich69
keitsrecht erfasst wird (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG). Keine
Fortgeltung hat dagegen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, wonach jeder das Recht auf
Leben und körperliche Unversehrtheit hat. Diese Bestimmung kann sich ihrer Natur
nach nur auf den lebenden Menschen beziehen. Aus diesem Grunde können auch
die Bestimmungen der §§ 81 a und 81 c StPO keine Rechtsgrundlage für die Entnahme von Blut oder Körperflüssigkeiten aus Leichen zur Alkoholbestimmung et
cetera bilden.
Die Entnahme von Leichenblut ist daher nur mit Zustimmung zu Lebzeiten oder
aber mit Genehmigung der Totensorgeberechtigten zulässig. Eine solche Zustimmung kann z. B. beim Abschluss eines Lebensversicherungsvertrages mit Unfallzusatz erklärt werden. Dabei wird dem Versicherer das Recht eingeräumt, zur Abklärung der Todesursache gegebenenfalls eine Leichenöffnung vornehmen zu lassen.
A majore ad minus liegt darin auch die Gestattung der Blutentnahme.
Ist der Tod in einem Krankenhaus eingetreten, zu dessen Aufnahmebedingungen
eine Sektionsklausel gehört, gilt Entsprechendes. Gemäß §1559 Abs. 4 RVO (übergegangen in das 7. Buch des Sozialversicherungsgesetzes, SGB VII) kann
Versicherten in einer gesetzlichen Unfallversicherung auf Anordnung der Polizeibehörde oder des Versicherungsträgers auch zur Feststellung von Tatsachen, die für
die Entschädigungspflicht von Bedeutung sind, eine Blutprobe entnommen werden.
Darüber hinaus mag dahin stehen, ob die Leichenblutentnahme die Wegnahme von
Leichenteilen darstellt und somit den Straftatbestand des § 168 StGB erfüllt, wenn
sie unbefugt ist. Bei Leichen, deren Tod eine weitere amtliche Aufklärung erfordert,
ist die Entnahme jedenfalls nicht unbefugt. Bereits bei der durchzuführenden Leichenschau nimmt der Arzt gesundheitsbehördliche Aufgaben wahr, die ihm hoheitlich durch entsprechende Gesetze und Verordnungen zugewiesen sind.
Hält er den Tod für nicht-natürlich oder kann er einen solchen Tod nicht ausschließen, hat der Leichenschauarzt sicherzustellen, dass weitere Aufklärungsmaßnahmen ergriffen werden können. Dazu bedarf es nach allen einschlägigen Vorschriften in den Bundesländern der Unterrichtung der Polizei oder der Gesundheitsbehörde. Diese stellt den Leichnam sicher oder beschlagnahmt ihn (§ 94 StPO), falls
Totensorgeberechtigte widersprechen. Die Sicherstellung muss nicht ausdrücklich
erklärt werden, sondern kann konkludent erfolgen. Sie findet äußeren Ausdruck z.
B. durch die Anordnung des Abtransports an einen sicheren Verwahrungsort, beispielsweise in ein Institut für Rechtsmedizin.
An der sichergestellten Leiche sind alle Maßnahmen rechtmäßig, die im Einklang
mit der Sicherstellung zur Sachaufklärung gehören. Ausgenommen sind nur bestimmte Maßnahmen, die weiterer Anordnungen eines Staatsanwaltes oder Richters bedürfen (§ 87 StPO). Zu diesen Maßnahmen gehört die Blutentnahme nicht.
Die Blutentnahme ist aus ermittlungstechnischer Sicht baldmöglichst durchzuführen, weil die Eignung zur toxikologischen Begutachtung durch Diffusion und Autolyse stark beeinträchtigt und letztlich unmöglich wird.
Die Lagerung der gewonnenen Leichenproben sollte wie bei den normalen Alkoholproben erfolgen.
Entnahmetechnik
Präzision und mögliche Sicherheit der Alkoholbestimmung im Leichenblut hängen
entscheidend davon ab, dass die Blutentnahme sachgemäß durchgeführt wird. Je
70
nach Fäulnisgrad, aber auch bei verstümmelten oder verbrannten Leichen können
sich hier Schwierigkeiten ergeben. In Deutschland hat sich die Entnahme aus der
Femoralis bewährt. Herzblut mag zwar einfacher zu gewinnen sein, die mögliche
Alkoholdiffusion aus dem Magen (Ethanolkonzentration im Prozentbereich!) kann
zu signifikanten Verfälschungen im Herzblut führen (BAK-Bestimmung im Promillebereich).
Bei Fäulnis besteht die Gefahr der Entstehung von Fäulnisalkoholen, wozu auch
der Ethanol gehört. Nach den Ergebnissen der Düsseldorfer Arbeitsgruppe mit
diversen anaeroben Keimen ergaben sich im in-vitro-Experiment in Blutproben
Ethanolkonzentrationen von maximal 1,5 Promille.
Bei klaren Fäulniserscheinungen empfiehlt sich die (zusätzliche) Entnahme von
alternativem Untersuchungsmaterial. Es dürfte heute Einigkeit darüber bestehen,
dass sich Muskelgewebe (Oberschenkelmuskulatur) am besten bewährt hat.
Forensischer Nachweis des chronischen Missbrauchs
Klinische Aspekte des Alkoholismus: Das Spektrum der alkoholbedingten Funktionsstörungen und Organerkrankungen ist groß. Besonders häufig sind Leber, oberer Gastrointestinaltrakt sowie zentrales und peripheres Nervensystem betroffen.
Bezüglich der Organerkrankungen wird an dieser Stelle auf die Lehrbücher der
Inneren Medizin verwiesen. Die äußeren Stigmata des Alkoholikers, z.B. die Hautveränderungen, sind bei der körperlichen Untersuchung im rechtsmedizinischen
Routinebetrieb von großer Bedeutung. Bei Männern muss zudem die fortschreitende Feminisierung beachtet werden. Die pathologisch-anatomischen Veränderungen
im Zentralnervensystem umfassen die Groß- und Kleinhirnrindenatrophie, Atrophie
des Wurms und Neuronenverlust im Bereich der Hippocampusregion. An weiteren
ethanolbedingten Erkrankungen sind das Wernicke-Korsakoff-Syndrom, Bewegungsstörungen, kognitive Störungen, Blackouts, alkoholische Demenz, hepatische
Enzephalopathie, zentrale pontine Myelinose sowie das Machiafava-BignamiSyndrom zu nennen.
Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU): Der Begriff der MedizinischPsychologischen Untersuchungsstellen, heute in Begutachtungsstellen für Fahreignung (BfF) umbenannt, steht - im Sinne der Verkehrssicherheit - für eine mittlerweile vielgestaltige Institution, die im Bedarfsfall Gutachten zur (allgemeinen)
Fahreignung erstellt. Im Jahr 1990 bezogen sich über 80.000 von 124.000 TÜVGutachten auf Trunkenheitstäter im Strassenverkehr, darunter 30.000 Ersttäter und
35.000 Wiederholungstäter mit einer BAK von mindestens 1,6 Promille. Hiervon
wurden 30 Prozent als geeignet, 50 Prozent als ungeeignet und 20 Prozent als
nachschulbedürftig eingestuft. 1998 fanden sich unter 155.769 Gutachten 101.651
Fälle mit Alkoholeinfluss, wobei hier die Ersttäter 34,9 und die Mehrfachtäter 29,2
Prozent ausmachten. In der Regel wird aufgrund eines solchen Gutachtens darüber
entschieden, ob der Betroffene nach Ablauf der gerichtlichen Sperrfrist die Fahrerlaubnis wieder erhält oder nicht. Die Fragestellung an den Gutachter lautet meist,
ob zu erwarten ist, dass der Proband erneut ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss
führen wird. Der verkehrsmedizinische Teil der MPU alkoholauffälliger Kraftfahrer
71
gliedert sich in die ärztliche Anamnese, die klinische Untersuchung und die Erhebung von Labordaten (Marker für häufigen oder chronischen Alkoholmissbrauch).
An einen biochemischen/genetischen Marker zur sicheren Diagnose des chronischen Alkoholmissbrauchs wäre die Anforderung zu stellen, eine hundertprozentige
Sensitivität und Spezifität aufzuweisen. Auch kurzfristige Änderungen des Trinkverhaltens des Gesunden (kurzfristiger Alkoholexzess) und des Alkoholkranken (kurzfristige Abstinenz) dürften keinen signifikanten Einfluss auf die Aussagekraft des
Markers haben. Dieses kann in der Praxis von keinem bisher bekannten Laborparameter allein erfüllt werden. Ziel einer Untersuchung kann folglich nur die gleichzeitige Anwendung mehrerer Marker unter Berücksichtigung der jeweiligen Sensitivität und Spezifität sein. Die biologischen (genetischen und biochemischen) Marker
des Alkoholismus werden als Trait-Marker, State-Marker und Assoziationsmarker
bezeichnet. Einen Überblick gibt die Tabelle 4.
Tabelle 4: Biologische Marker des Alkoholismus (modfiziert nach Agarwal)
Trait-Marker
Monoaminoxidase
Adenylatcyclase
Dopaminrezeptorgene )
Dopaminbetahydroxylase
Endokrine Parameta (Cortisol, ACTH, Prolaktin)
Alkoholdehydrogenase (ADH2 und ADH3)
Aldehyddehydrogenase
Evozierte Potentiale
Statemarker
Blutalkohol
Mittleres korpuskuläres Volumen (MCV)
Gammaglutamyltransferase (GGT)
SGPT (ASAT), SGOT (ALAT)
Aspartataminotransferase (AST)
Glutamatdehydrogenas (GLDH)
Beta-Hexosaminase
HDL-Cholesterin, Apolipoprotein
Carbohydrate-Deficient-Transferrin (CDT)
Acetaldehyd
Methanol
Isopropanol/ Aceton
Acetat
5-Hydroxytryptophol (5-HIAA)
5-Hydroxytryptophol (5-HTOL)
Dolichol
Kondensationsprodukte (TIQ, THP, BC)
Assoziationsmarker
Blutgruppen (AB0, RH, MNS)
HLA-Antigene
C3-Komplement
a1-Antitrypsin
a1-saures Glykoprotein
Gruppenspezifische Komponente
72
Glyoxalase 1
Esterase D
Thrombozytenmonoaminoxidase (MAO-B)
Transketolase
Erythrozytenaldehyddehydrogenase
Geschmacksempfindlichkeit für Phenylthiocarbamid
Farbenblindheit
Unter Trait-Markern versteht man vererbbare Indikatoren für die Disposition zur
Erkrankung sowie andere variante Merkmale, die während des gesamten Lebens
bestehen. Diese Merkmale werden in betroffenen Familien mit der Krankheit gekoppelt vererbt. Während die Trait-Marker zeitunabhängig sind, verhalten sich die
State-Marker als zustands- und zeitabhängige biochemische Variablen, die nur
während der Erkrankung vorhanden sind. Sie weisen in der Regel lediglich auf eine
exzessive Alkoholaufnahme hin. Als kurzfristig oder längerfristig nachweisbare
Stoffwechseleffekte sollen sie neurobiologische Korrelate psychischer und physischer Abhängigkeit repräsentieren. Bei Screening-Untersuchungen und Verlaufskontrollen des Entzuges stellen sie die Hauptindikatoren für den Alkoholmißbrauch
oder Alkoholismus dar. Assoziationsmarker hingegen sind Varianten genetischer
Merkmale, die bei Alkoholkranken häufiger beobachtet werden als in der Normalbevölkerung.
Carbohydrate-Deficient-Transferrin (CDT): Stibler beschrieb 1976 als erster
Untersucher eine Veränderung des Transferrins im Liquor cerebrospinalis von Alkoholikern, die die glykosylierte Seitenkette erfasst. Durch isoelektrische Fokussierung konnte ein aus dem Liquor isoliertes abnormes Protein als carbohydratedeficient Transferrin typisiert werden. Transferrin, ein 80-kD-Glycoprotein transportiert im physiologischen Stoffwechsel zusammen mit einem anderen Protein Eisen
in die Zellen, wo das ansonsten als freies Radikal toxische Element freigesetzt und
gespeichert wird. Transferrin wird hauptsächlich in der Leber, in geringerem Umfang auch im Gehirn synthetisiert. Etwa sechs Prozent des Transferrinmoleküls
bestehen aus Carbohydraten, die am C-terminalen Ende der Asparaginsäure in
Form zweier komplexer Ketten gebunden sind. Hierbei handelt es sich um Oligosaccharide, an welche die Zucker Mannose und Galaktose sowie Sialsäure und
Neuraminsäure binden. Die Sialsäuren, die am Ende der Carbohydratketten gebunden sind, bestimmen den isoelektrischen Punkt des Transferrins, da sie negativ
C
geladen sind. Die am häufigsten vorkommende TF -Form zeigt einen isoelektrischen Punkt von pH 5,4. Bei chronischer Alkoholaufnahme verändert sich der isoelektrische Punkt auf über 5,65. Als Ursache wird eine intracelluläre Übertragung von
Kohlenhydraten durch Acetaldehyd, den ersten und äußerst toxischen Metabolit
des Ethanols vermutet Mittlerweile existieren auch weniger aufwendige Darstellungsmethoden in Form von Anionenaustauscherchromatographie mit nachfolgendem Radioimmunoassay (Stibler et al. 1986) [1578]. Nach Angaben der Autoren
findet sich eine Sensitivität von über 90 Prozent. Eine tägliche Aufnahme von 60
Gramm Ethanol führt innerhalb von 10 Tagen zu einer Erhöhung der CDT-Werte.
Untersuchungen ergaben eine Sensitivität von 89 Prozent und eine Spezifität von
96 Prozent. Da es sich bei der Bildung von CDT im Gegensatz zu den meisten
anderen Alkoholismusmarkern um eine alkoholinduzierte Synthesestörung handelt,
kommt es nach Ethanolkarenz zu keiner Elimination; vielmehr normalisiert sich die
73
Synthese des Transferrin. Diese Normalisierungszeiten liegen bei 14 bis 17 Tagen,
speziell bei Frauen bei 11 bis 17 Tagen, bei Alkoholikern bei 13 bis 21 Tagen.
Methanol ist ebenfalls ein wichtiger Marker des chronischen Alkoholmissbrauchs.
Methanol steht in seinen physikochemischen Eigenschaften dem Wasser näher als
Ethanol. Methanol ist daher sehr gut wasserlöslich. Das Fettlösungsvermögen ist
dagegen als gering zu bezeichnen. Aus der Holzdestillation kann er stark verunreinigt als "Holzgeist" gewonnen werden. Diese Gewinnungsart spielt aber bereits seit
Jahrzehnten eine untergeordnete Rolle, heute wird Methanol nur noch synthetisch
hergestellt. Er findet vielfältig Verwendung als Lösungsmittelzusatz in Industrie und
Haushalt, so z.B. in Lacken, Polituren und Beizen, aber auch in Reinigungsmitteln.
Bei der Herstellung des preiswerten Brennspiritus wird Ethanol mit Methanol vergällt. Die Verwendung bei der Herstellung ärztlicher Einreibungen, von kosmetischen Präparaten, Nahrungs- und Genussmitteln ist verboten.
Methanol ist im Gegensatz zu den Fuselalkoholen kein Nebenprodukt der alkoholischen Gärung. Er entstammt hauptsächlich dem in Fruchtschalen enthaltenen Pektin. Darin begründet sich die Tatsache, dass Methanol auch in nicht vergorenen
alkoholfreien Getränken gefunden wird, besonders natürlich in Fruchtsäften Methanol ist der einzige Begleitstoff, der tatsächlich in allen alkoholischen Getränken
nachweisbar ist. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass die Variationsbreite des
Methanolgehaltes wesentlich größer ist als die von Ethanol. Die Schwankungen
lassen sich mit dem Faktor 1000 beschreiben. Einen Überblick gibt die Tabelle 5.
Tabelle 5: Vergleich des Ethanol- und Methanolgehalts in alkoholischen Getränken.
Getränkeklasse
Ethanolgehalt (Vol%)
Methanolgehalt (mg/l)
Bier
Weißwein
Rotwein
Weinbrand
Cognac
Armagnac
Calvados
Kirschwasser
Zwetschgenwasser
Slivovitz
Himbeergeist
Rum
Scotch Whiskey
Irish Whiskey
US-Whiskey
Kornbranntwein
Aquavit
Gin
Genever
Wodka
Magenbitter
Likör
4-11
8-14
10-14
36-43
40-41
40
40-42
40-45
40-45
40-45
40-45
37-54
40-50
40
40-45
32-40
38-45
40-43
38
40-55
35-49
25-40
4-104
15-45
70-130
200-350
180-370
170-370
310-640
1900-2500
3000-4500
1500-4000
200-1000
6-70
100-130
10-110
200-3309
5-100
5-650
10-1350
40-100
5-170
10-340
10-560
Bei der bekannten Toxizität des Methanols sollte man eigentlich Höchstgrenzen in
der entsprechenden Gesetzgebung erwarten: bei alkoholischen Getränken finden
sich aber Besonderheiten. Während der § 115 des Gesetzes über das Branntweinmonopol vom 8.4.1922 für alkoholische Getränke vorschrieb, dass Spirituosen (mit
74
Ausnahme von "technisch nicht vermeidbaren geringen Mengen") Methanol nicht
enthalten dürfen, nennt die Verordnung über Rum, Taffia, Arrak und Branntweine
aus Obststoffen Ausnahmen. In der Verordnung über den Gehalt an charakterisierenden Begleitstoffen vom 13.10.1971 wurden Mindestmethanolgehalte vorgegeben: 1600 mg/l für Branntweine aus Kirschen, 2840 mg/l für solche aus anderem
Steinobst und 1280 mg/l für Branntweine aus Kernobst .Nach den Untersuchungsergebnissen von Bonte et al. werden diese Vorgaben in den Produkten tatsächlich
überschritten. Lediglich bei den Apfelbränden unterschreiten Calvados-Fabrikate
diese Werte.
Mit der Einführung des EU-Rechts wurde der Methanolgehalt von Obstbränden
1989 auf höchstens 10.000 mg/l festgelegt (Verordnung EWG Nr. 1576/89; Amtsblatt Nr. L 160 vom 12.6.89). 1990 wurde in Abhängigkeit vom verwendeten Obst
(Pflaumen, Äpfel, Mirabellen, Zwetschgen oder Sandbeeren) für kleinere Produktionsbetriebe eine Ausnahme von maximal 15.000 mg/l geschaffen. Auch für Traubentrester wurde die Maximalkonzentration auf 15.000 mg/l festgelegt (Verordnung
EWG Nr. 1014/90; Amtsblatt Nr. L 105 vom 25.4.90). 1995 wurde wiederum eine
Absenkung (diesmal in Stufen) beschlossen: maximal 13.500 mg/l Methanol ab
1.1.1998 und maximal 12.000 mg/l ab 1.1.2000. Aber auch hier wollte man nicht
ohne Ausnahmen auskommen, bei Birnenbrand sollte weiterhin ein Höchstwert von
13.500 mg/l gelten.
Resorption: Methanol wird deutlich langsamer als Ethanol resorbiert. Die Verteilung des Methanols erfolgt überwiegend im Körperwasser. Die Pharmakokinetik des
Methanols ähnelt somit der des Ethanols:
Der enzymatische Umsatz von Methanol ist nicht endgültig geklärt. Die Bedeutung
der Alkoholdehydrogenase für den Abbau ist bis heute umstritten. Folgt man der
Theorie des Abbaus durch die ADH so verliefe die Oxidation im Prinzip gleich wie
beim Ethanol. Im ersten metabolischen Umsetzungsschritt des Methanols erfolgt
die enzymatische Oxidation zu Formaldehyd durch die Alkoholdehydrogenase. Den
Hauptanteil des oxidativen Methanolabbaus soll die hepatische ADH tragen, die im
Zytoplasma der Hepatozyten lokalisiert ist. Die ADH, die neben Ethanol und Methanol auch mit den anderen aliphatischen Alkoholen und mit Aldehyden reagiert, zeigt
gegenüber Methanol nur ungefähr ein Zehntel der Affinität, die sie gegenüber Ethanol besitzt, also eine um den Faktor 10 geringere Geschwindigkeit der Methanolelimination im Gegensatz zu Ethanol. Die gastrale ADH scheint in erheblichem
Maße dafür verantwortlich zu sein, dass ein Teil des inkorporierten Alkohols wegen
dieses ,,first-pass"-Metabolismus nicht in der systemischen Zirkulation erscheint. Im
zweiten metabolischen Schritt erfolgt die Oxidation des Formaldehyds zur entsprechenden Carbonsäure, der Ameisensäure. Diese Reaktion wird durch die Aldehyddehydrogenase (ALDH) katalysiert, wiederum lokalisiert in den Hepatozyten. Formaldehyd kann desweiteren durch Einschleusen in den Folsäure-abhängigen C1Körper-Stoffwechsel oxidiert werden.
Unter simultaner Ethanolaufnahme, was bei alkoholischen Getränken die Regel ist,
kommt es zu einer kompetitiven Inhibition des Methanolabbaus. Somit muss eine
kontinuierliche Zufuhr zwangsläufig zu einer Akkumulation von Methanol im Körper
führen. Dies ist in der Tat auch so, wie zahlreiche Trinkversuche gezeigt haben.
Dieser Effekt hätte allerdings zur Folge, dass beim Alkoholiker, der bemüht ist,
Entzugserscheinungen durch regelmäßige Ethanolaufnahme zu vermeiden, theoretisch astronomisch hohe Methanolspiegel anfallen müssten. Dies ist aber nicht der
75
Fall, wie zahlreiche Untersuchungen ergaben. Auch die Ausscheidung des Methanols in unveränderter Form war hier nicht signifikant erhöht. Es muss folglich eine
Metabolisierung, welcher Art auch immer, stattfinden. Ob es hier durch chronische
Zufuhr zu einer Stimulation, also einer Enzyminduktion kommt, ist umstritten. Die
Hemmung der Methanol-Elimination durch simultane Ethanolkonzentrationen soll
zwischen BAK 0,2 und 0,8 Promille erfolgen. Neben dem biochemischen Abbau
wird Methanol zu einigen wenigen Prozent unverändert renal ausgeschieden.
Endogener Methanol: Berücksichtigt werden muss auch eine mögliche endogene
Serummethanol-Konzentration durch Methylierungsreaktionen im physiologischen
Stoffwechsel. Nach exzessivem Genuss von Obstsäften oder pektinhaltigem Obst
kann es (insbesondere bei Vegetariern) auch ohne Alkoholaufnahme zu Serumspiegeln von bis zu 9 mg/l kommen.
Die letale Dosis beim Menschen soll zwischen 30-240 Gramm liegen, aber schon
Mengen von 5 bis 10 Gramm können schwere und auch tödliche Vergiftungen verursachen. Akzidentelle Methanolvergiftungen beim Menschen sind nicht selten.
Wird nicht gleichzeitig Ethanol aufgenommen, fehlt selbst bei tödlichen Vergiftungen meist ein ausgeprägter Rauschzustand. Da die toxische Wirkung hauptsächlich
von den Oxidationsprodukten Formaldehyd und Ameisensäure ausgeht, treten die
ersten Vergiftungssymptome verzögert ein. Immer wieder wird über Massenvergiftungen berichtet, meist in der Dritten Welt. Das Prinzip der Therapie von MethanolIntoxikationen beruht auf der Erkenntnis;, dass die Toxizität hauptsächlich dem
Metaboliten Formaldehyd zuzuschreiben ist. Cyanose und Netzhautschädigungen
werden auf Bindungen der Ameisensäure mit dem Eisen des Haemoglobins zurückgeführt. Die Behandlung strebt daher zwei Ziele an: die Unterbindung der fermentativen Oxidation von Methanol zum Formaldehyd und seine künstliche Entfernung aus dem Blut. Ersteres läßt sich durch die Inhibierung der MethanolMetabolisierung durch die Zufuhr von Ethanol erreichen.
Da Methanol in Gegenwart von Ethanol im Blut des Konsumenten akkumuliert,
stellte sich die Frage, ob aus der Höhe einer festgestellten BlutMethanolkonzentration (BMK) auf chronischen Ethanol-Missbrauch rückgeschlossen werden kann. Insbesondere war von Interesse, ob zwischen einem einmaligen Konsum (durchzechte Nacht)
Abb. 10: Methanolserumspiegel bei unterschiedlichen Getränken und
erreichter BAK von 4,0 Promille
und chronischem Abusus unterschieden werden
kann. Dass nach einzeitigem Konsum selbst
methanolreicher Getränke nur begrenzte BMKs
(Blutmethanolkonzentrationen) aufgebaut werden können, ergibt schon die einfache theoretiWodka
Scotc h
Rum Genever
Korn
sche Berechnung mit Hilfe der Widmark-Formel:
Ein normal gebautes, männliches Individuum
mit 80 kg Körpergewicht dürfte einen Verteilungsfaktor von 0,7 haben. Um eine
exzessive Blutalkoholkonzentration von 4 Promille aufzubauen, müssten beispielsweise ca. 1 Liter Spirituosen, ca. 4 Liter Wein oder ca. 8 Liter Bier getrunken werden. Berechnet man nun den Methanolgehalt der unterschiedlichsten alkoholischen
Getränke so ergeben sich bei der genannten Blutalkoholkonzentration die in nebenstehender Abb. 2 dargestellten maximalen Methanol-Serumspiegel.
76
Fuselalkohole
Die für die forensische Begleitstoffanalyse bedeutsamen Fuselalkohole entstammen der Reihe der aliphatischen Alkoholen, es handelt sich um Propanole, Butanole und Pentanole. Es handelt sich hier um 1-Propanol, 2-Propanol, 1-Butanol, 2Butanol, Isobutanol, 2-Methyl-1-butanol und 3-Methyl-1-butanol. Mangelhaft destillierte alkoholische Getränke werden umgangssprachlich oft als Fusel bezeichnet.
Die daraus abgeleiteten Begriffe Fuselakohole und Fuselöl haben sogar Aufnahme
ins angloamerikanische Schrifttum gefunden. Dass sich aber in nahezu jedem alkoholischen Getränk neben dem Ethanol sogenannte Fuselalkohole finden, ist im
Volksmund nicht so bekannt, wenn sich auch die "Katerwirkung" besonders begleitstoffreicher Getränke längst herum gesprochen hat. Die Konzentrationsunterschiede hinsichtlich der aliphatischen Alkohole und natürlich auch des Methanols sind
aber beträchtlich und daher bedarf es im Einzelfall der Analyse des spezifischen
genannten Getränks, um die im Blut eines Probanden vorgefundenen Begleitstoffkonzentrationen hinsichtlich seiner Trinkbehauptungen (etwa beim Nachtrunk) überprüfen und interpretieren zu können.
In Weisswein sind die Konzentrationen an Methanol, 1-Propanol, Isobutanol sowie
2- Methyl-1-butanol und 3-Methyl-1-butanol normalverteilt. Auch der Begleitalkoholgehalt der Rotweine ist normalverteilt. Rotweine unterscheiden sich nur unwesentlich in ihrem Fuselalkoholgehalt vom Weißwein. Der Methanolgehalt liegt allerdings
statistisch hochsignifikant über dem der Weißweine. Zurückzuführen ist dies auf die
unterschiedliche Herstellungsmethode. Da die Gärung des Rotweins auf dem
Trester stattfindet und nicht im reinen Traubensaft, kann Methanol aus den Pektinen der Traubenschalen gelöst werden und löst sich im Gäransatz. Neben dem
Weiß- und Rotwein spielt der Roseewein auf dem ganzen Weltmarkt nur eine Nebenrolle. Hinsichtlich des Methanolgehalts ähnelt der Roseewein dem Weißwein,
was mit der Herstellung zusammenhängt. Im Gegensatz zum Rotwein wird hier
wiederum der Preßsaft vergoren. Unter Schaumwein versteht man ein durch erste
oder zweite alkoholische Gärung aus Weintrauben, Traubenmost oder Wein gewonnenes alkoholisches Getränk, welches ausschließlich während der Gärung
entstandene Kohlensäure enthält und bei 20 C° im geschlossenen Behältnis einen
Überdruck von 3 Bar aufweist. Qualitätsschaumwein muss mindestens 10 Vol%
Alkohol enthalten und einen Druck von mindestens 3,5 Bar aufweisen. Der Begleitstoffgehalt der Schaumweine ist normalverteilt Die Konzentrationen entsprechen
weitgehend denen des Weißweins. Unter dem Begriff Dessertwein werden eine
Reihe allein schon vom Herstellungsprozess sehr verschiedener Getränke zusammengefasst. Die bekanntesten sind wohl Sherry, Portwein und Madeira. Unter
weinhaltigen Getränken versteht man Getränke, die unter Verwendung von Wein,
Likörwein oder Schaumwein hergestellt wurden. Der Ethanolgehalt beträgt maximal
18 Vol.%. Das bekannteste weinhaltige Getränk ist der Wermutwein. Auch medizinische Präparate wie Kräuterweine fallen in diese Getränkeklasse. Entsprechend
der unterschiedlichen Herstellung geben auch die Begleitstoffanalysen kein einheitliches Bild. Unter weinartigen Getränken sind laut Gesetz Getränke zu verstehen,
die aus dem Saft von Stein-, Kern- und Beerenobst, Hagebutten, Schlehen etc.
hergestellt werden. Die bei der Herstellung erreichten Konzentrationen sind teilweise beachtlich.
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Der Oberbegriff Branntwein untergliedert sich in eine ganze Reihe von Getränketypen wie Branntwein aus Wein, Obstbranntwein, Rum, Rumverschnitt, Arrak, Arrakverschnitt, Whiskey, Korn, Wacholder- und Spezialbranntweine.
Liköre werden auf kaltem Wege aus Ethanol mit Zusatz von Zucker und verschiedensten Essenzen hergestellt. Man unterscheidet Fruchtliköre, Kräuter-, Gewürzund Bitterliköre, daneben Kakao-, Kaffee, Tee und Emulsionsliköre.
Unter alkoholhaltigen Mischgetränken versteht man Mischungen aus Branntwein,
Likör, Wein und Essenzen, Frucht- und Pflanzensäften. Mittlerweile werden auch
Limonaden und Bier als Grundsubstanz verwendet. Aus dieser Herstellungsvielfalt
ergibt sich automatisch auch ein sehr unterschiedlicher Begleitstoffgehalt.
In der rechtsmedizinischen Praxis muss gar nicht so selten Stellung zu Getränken
genommen werden, deren Daten nicht der einschlägigen Literatur entnommen
werden können. Ist das Getränk noch vorhanden oder kann es irgendwie beschafft
werden, so bietet sich natürlich eine Getränkeanalyse an. Dies ist aber nicht in
jedem Fall möglich, da der Angeklagte an einer Analyse unter Umständen gar nicht
interessiert ist und aus diesem Grund nur sehr ungenaue Angaben über die Art und
Herkunft des Getränks macht. In aller Regel ähneln die Getränke den vergleichbaren kommerziell erhältlichen, dennoch ist für den Sachverständigen bei seinen
Aussagen Vorsicht geboten. Die legale Herstellung betrifft in aller Regel den Aufgesetzten und das heimische Keltern von Weinen. Unter illegalen Getränken hat man
in der Regel das heimliche Brennen von Spirituosen zu verstehen. In den seltsamsten Zubereitungen kann Ethanol angetroffen werden. So fanden Untersucher im
sogenannten Wasser-Kefir, also einem aus Pilzen, Wasser, Zucker und Früchten
angesetzten Getränk bis zu 38 g/l Ethanol.
Fäulnisalkohole
Unter dem Begriff Fäulnisalkohole werden sämtliche Alkohole zusammengefasst,
die im Rahmen von Fäulnisprozessen entstehen, sei es nun in-vitro in der gelagerten Blutprobe oder aber in der Leiche selbst. Im weiteren Sinne muss man auch
Acetaldehyd, Aceton und Methylethylketon in diese Substanzgruppe einbeziehen.
Interessanter-, aber auch fatalerweise zeigt die Zusammensetzung dieser Gruppe
weitgehende Übereinstimmung mit den sogenannten Begleitalkoholen alkoholischer
Getränke und damit auch mit den in diesem Abschnitt besprochenen forensisch
relevanten Fuselalkoholen. Wenn auch in den „frischen“ Leichenblutproben eine
Reihe von höherkettigen Alkoholen zumindest teilweise mit bereits zu Lebzeiten
vorhandenen Begleitalkoholen erklärt werden könnten, werden die dann zu erwartenden Konzentrationen im faulenden Blut um Größenordnungen übertroffen. Es
muss sich folglich um eine Neubildung in der Leiche oder gelagerten Blutprobe
handeln. In aller Regel dürften die Veränderungen bei entsprechender Analysetechnik, schon aufgrund der vorgefundenen Konzentrationen, erkannt werden.
Schwieriger gestaltet sich die Frage bei Begleitstoffanalysen und dem Verdacht der
beginnenden Fäulnis.
Hauptsubstrate für die Alkoholbildung durch Bakterien sind in erster Linie die Kohlenhydrate. Diese werden insbesondere als Ausgangssubstanzen für die Bildung
von Ethyl-, Propyl-, Butyl- und Isopropylalkohole angegeben
78
Pharmakokinetik und Metabolismus der Fuselalkohole
Die Resorption der kurzkettigen aliphatischen Alkohole kann bei entsprechender
Exposition auch über die Haut oder per Einatmen erfolgen. Die enterale Resorption
der Fuselalkohole scheint sich hauptsächlich im Dünndarm abzuspielen.
1-Propanol wird vom Gastrointestinaltrakt, den Lungen, bei hohen Konzentrationen
auch über die Haut aufgenommen. Die Absorption erfolgt schneller als die von
Ethanol. 2-Propanol wird von allen Abschnitten des Magen-Darm-Trakts resorbiert,
am schnellsten im Dünndarm; 80 Prozent einer oralen Dosis sind innerhalb von 30
Minuten resorbiert, 100 Prozent innerhalb von zwei Stunden. Die Aufnahme über
die Haut läuft verzögert. 1-Butanol wird über Lunge, Gastrointestinaltrakt und Haut
resorbiert. 2-Butanol wird über Gastroinestinaltrakt, Lungen und Haut resorbiert.
Isobutanol wird über Gastrointestinaltrakt, Lungen und Haut resorbiert. Wie die
anderen Pentanole werden 2-Methyl-1-butanol und 3-Methyl-1-butanol über
Gastrointestinaltrakt, Lungen und Haut aufgenommen.
Über die Verteilung der kurzkettigen aliphatischen Alkohole finden sich in der Literatur widersprüchliche Angaben. Die Erkenntnisse wurden fast ausschließlich im
Tierversuch gewonnen.
Es besteht breite Übereinstimmung, dass sämtliche Fuselalkohole von der Alkoholdehydrogenase umgesetzt werden können und dass dieses Ferment auch die
entscheidende Bedeutung für die Oxidation dieser Alkohole hat. Einige Autoren
haben mitgeteilt, dass auch die Katalase bei der Oxidation der Fuselalkohole eine
Rolle spielen kann Auch das mikrosomale alkoholoxidierende System soll Fuselalkohole umsetzen können. Die Oxidationsrate soll dabei mit der KohlenstoffKettenlänge des Alkohols geringer werden. Neuere Arbeiten haben bestätigt, dass
alle drei Abbauwege für die Metabolisierung der Fuselakohole eine Rolle spielen.
Die Beobachtung, dass begleitstoffhaltige Spirituosen im Tierversuch eine deutlich
toxischere Wirkung als begleitstoffarme entfalten, stammt bereits aus dem vorletzten und Beginn des letzten Jahrhunderts. Einige Autoren ließen sich durch ihre
Befunde gar zur Interpretation verführen, die toxischen Wirkungen wären gar nicht
auf den Ethanol sondern auf die Begleitstoffe der Getränke zurückzuführen.
Spätere Untersuchungen bringen die Kater-Phänomene (hang-over) nach exzessiver Alkoholaufnahme in Zusammenhang mit dem Begleitstoffgehalt der konsumierten Getränke. In Trinkversuchen traten die postakuten pharmakologischen Wirkungen grundsätzlich deutlich stärker nach dem Konsum begleitstoffreicher Getränke
auf. Richardson hatte bereits 1869 festgestellt, dass die Toxizität der aliphatischen
Alkohole mit der Kettenlänge wächst. Das "Richardsonsche Gesetz" hat bis heute
seine Gültigkeit behalten, wenn auch in der Praxis zwischen primärer und funktioneller Toxiziät unterschieden werden muss.
Begleitstoffanalyse und Begleitstoffgutachten
Die ersten Ergebnisse aus Trinkversuchen wurden zu Beginn der achtziger Jahre
publiziert Hier zeigte sich bereits, dass die Maxima der Begleitalkohole in der Frühphase nach dem Trinkende auftreten. Der Methanolspiegel steigt auch zwei Stunden nach Trinkende weiter an, ähnliche Befunde ergeben sich bei Aufnahme entsprechender Getränke für 2-Butanol. Die maximal erreichten Blutspiegel von 1Propanol und 2-Butanol lagen etwa bei einem Fünftel des nach Widmark berechne79
ten C0-Wertes, bei Isobutanol nur bei einem Fünfzehntel. Mit dieser Beobachtung
wurde klar, dass für die sinnvolle Anwendung einer Begleitstoffanalyse Mindesttrinkmengen Voraussetzung sind, beispielsweise 60 bis 80 ml einer Spirituose.
Heute ist klar, dass mehrere Ursachen für das unterschiedliche Verhalten der aliphatischen Alkohole existieren. Es kommt zur Enzymkonkurrenz der Alkohole
untereinander aber auch zur Enzyminduktion, teilweise reichern sich Alkohole im
Lipoid an, die Glukuronidierung - also der fehlende direkte Nachweis als freier Alkohol - ist nicht für jeden Alkohol gleich ausgeprägt. Hinzu kommt die mengenmäßig unterschiedliche Ausscheidung als Originalsubstanz, wobei dieser Anteil aber
bei allen Alkoholen unter 10 Prozent liegen dürfte.
Das Hauptanwendungsgebiet der Begleitstoffanalyse ist die Nachtrunkbehauptung.
So wird beispielsweise nach einer Trunkenheitsfahrt mit Verkehrsunfall Fahrerflucht
begangen. Die so gewonnene Zeitphase wird später - manchmal erst im Rahmen
der Hauptverhandlung - zur entscheidenden Trinkphase erklärt. "Man habe auf den
Schreck erst einmal etwas (im allgemeinen Hochprozentiges), trinken müssen."
Eine Möglichkeit der wissenschaftlichen Überprüfung solcher Aussagen stützt sich
auf die sogenannte Doppelblutentnahme. Dazu muss dem Delinquenten vom blutentnehmenden Arzt im Abstand von 30 bis 45 Minuten eine zweite Blutprobe entnommen werden. Da in aller Regel nur eine recht kurze Zeitspanne für die Aufnahme des vorgegebenen Nachtrunks zur Verfügung steht, kann man bei Aufnahme
größerer Alkoholmengen einen Anstieg der BAK in der zweiten Blutprobe erwarten.
Findet man hingegen einen eliminationsbestimmten niedrigeren BAK-Wert, kann
man zumindest einen größeren Nachtrunk ausschließen. Da die Doppelblutentnahme nicht immer angewendet wird, entfällt diese Möglichkeit aber manchmal.
Wird eine signifikante Menge Alkohol binnen kürzester Zeit aufgenommen (dem
Sturztrunk vergleichbar) kommt es innerhalb der Resorptionsphase zu einer deutlich verstärkten toxischen Wirkung des Ethanols. Dieser Effekt müsste sich quasi
vor den Augen der Polizeibeamten entwickeln. Da hier aber keine sicheren Korrelationen zwischen Dosis und Wirkung bestehen, kann ein Nachtrunk bei fehlender
Anflutungssymptomatik nur bei Angabe eines grossen Nachtrunks - etwa eines
halben Liters einer Spirituose innerhalb kurzer Zeit - sicher ausgeschlossen werden.
Hier bietet die Begleitstoffanalyse die Möglichkeit, die Trinkangaben mit naturwissenschaftlichen Methoden zu überprüfen. Natürlich sind auch hier, wie schon beschrieben, Mindestmengen und eine gewisse Genauigkeit der Einlassung des Beschuldigten zu fordern.
Die Beurteilung von Nachtrunkbehauptungen bedeutet den Vergleich zwischen
Blut-Analysenergebnis mit theoretischen Erwartungswerten, die sich mit empirisch
gewonnenen Formeln aus den vom Beschuldigten angegebenen Trinkmengen und
-zeiten zu errechnen sind. Für den Ethanol wurden solche Berechnungen von Widmark eingeführt. Aus dem getrunkenen Volumen und dem Ethanolgehalt der angegebenen Getränke kann die konsumierte Ethanolmenge berechnet werden. Unter
Berücksichtigung der Resorptionszeit zwischen Trinkbeginn und Blutentnahme
kann die maximal mögliche Ethanolkonzentration im Blut C0 abgeleitet werden.
Noch recht einfach ist ein solches Vorgehen bei den kurzkettigen primären Alkoholen Methanol und 1-Propanol, sowie dem einzigen, in nennenswerter Menge in
80
alkoholischen Getränken vorkommenden sekundären Alkohol, 2-Butanol, da deren
Verteilungsvolumen der Ethanolverteilung entspricht. Bei diesen Alkoholen kann
praktisch der Widmarksche Ethanol-Verteilungsfaktor eingesetzt werden und der
C0-Wert berechnet werden. Die Schwierigkeit ergibt sich aber dann beim nächsten
Schritt der Berechnung. Vom C0-Wert ist die Alkoholelimination vom Zeitpunkt des
Resorptionsbeginns (in der Regel Trinkanfang) bis zum Zeitpunkt der Blutentnahme
zu subtrahieren. Dies gilt in der oben beschriebenen Art aber nur für einen linearen
Abbau und damit für eine innerhalb definierter Grenzen ablaufende stündliche Verringerung der Blutalkoholkonzentration. Diese Voraussetzungen sind aber bei den
Begleitalkoholen nicht gegeben.
Weitaus komplizierter stellen sich die Verhältnisse für die längerkettigen Aliphaten
dar, da diese sich ja zusätzlich im Lipoid verteilen und zudem teilweise als Konjugat
vorliegen.
Die aus Trinkversuchen ermittelten Korrelationsberechnungen haben sich für die
forensische Praxis bewährt. Hier kann man auf Korrelationsformeln für Methanol, 1Propanol, 2-Butanol, Isobutanol und 3-Methyl-1-Butanol zurückgreifen. Die Formeln
beruhen auf empirisch ermittelten Daten aus 100 Trinkversuchen mit verschiedenen
alkoholischen Getränken.
Die Aussagekraft der Begleitstoffanalyse erhöht sich damit. Allerdings müssen die
zeitlichen Gegebenheiten des konkreten Falles in etwa mit der Versuchsanordnung
übereinstimmen. Damit sind Zeiträume von nicht viel mehr als zwei Stunden für die
Trinkzeit selbst und nicht mehr als etwa drei Stunden für die Periode zwischen
Trinkende und Blutentnahme vorgegeben. Somit ergeben sich für die Berechnung
der Erwartungswerte die auf der nächsten Seite aufgeführten Formeln:
81
Tab. 5: Formeln zur Berechnung der Erwartungswerte der Begleitalkohole
Konz = Erwartungswert der Blutalkoholkonzentration in mg/l
Berechnung von C0:
Methanol
Alkohol (mg)
Körpergewicht (kg) •rA
rA wie Ethanol
30 Minuten nach Trinkende
60 Minuten nach Trinkende
90 Minuten nach Trinkende
Propanol-1
Konz. = 0,79 • C0 ± 0,58
Konz. = 0,89 • C0 ± 0,44
Konz. = 0,95 • C0 ± 0,28
rA wie Ethanol
30 Minuten nach Trinkende
60 Minuten nach Trinkende
± 0,05
Konz. = 0,72 • C0
Konz. = 0,59 • C0 + 0,1 ± 0,07
90 Minuten nach Trinkende
Konz. = 0,95 • C0 + 0,1 ± 0,12
Butanol-2
rA wie Ethanol
30 Minuten nach Trinkende
60 Minuten nach Trinkende
90 Minuten nach Trinkende
Isobutanol
Konz. = 0,80 • C0 - 0,40 ± 0,56
Konz. = 1,03 • C0 - 0,52 ± 0,44
Konz. = 0,88 • C0 - 0,54 ± 0,46
rA(hager) = 1,1 rA(mittel) = 1,32 rA(fett) = 1,52
30 Minuten nach Trinkende
60 Minuten nach Trinkende
90 Minuten nach Trinkende
3-Methylbutanol-1
Konz. = 0,56 • C0 + 0,03 ± 0,11
Konz. = 0,40 • C0 + 0,03 ± 0,09
Konz. = 0,30 • C0
± 0,12
rA(hager) = 1,6 rA(mittel) = 2 rA(fett) = 2,4
30 Minuten nach Trinkende
60 Minuten nach Trinkende
90 Minuten nach Trinkende
Konz. = 0,32 • C0 ± 0,05
Konz. = 0,15 • C0 ± 0,04
Konz. = 0,07 • C0 ± 0,06
82
Weiterführende Literatur
Bonte W (1987) Begleitstoffe alkoholischer Getränke. Schmidt-Römhild Verlag.
Bonte W, Freudenstein P, Huckenbeck W (2001) Getränkeanalytische Datenbank Begleitalkohole.
http://www.uni-duesseldorf.de/WWW/MedFak/rechtsm/institut/getrenke/Start1.htm
Forster B, Joachim HJ (1975) Blutalkohol und Straftat. DTV
Huckenbeck W, Bonte W (in Druck) Alkohologie; in Madea B, Brinkmann B (Hrsg.)
Handbuch Rechtsmedizin. Springer-Berlin – Heidelberg – New York
Joachim H (1986) Allgemeine Verkehrsmedizin. In: Forster B (Hrsg.) Praxis der
Rechtsmedizin. Thieme, Stuttgart - New York
Mueller B (1975) Gerichtliche Medizin, Bd 2. Springer, Berlin - Heidelberg -New
York
Scriptenreihe „Arzt und...“ zur Hauptvorlesung Rechtsmedizin
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Der Tod im Wasser