Überstundenvergütung § 10 (1) Für Überstunden gebührt 1. ein

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Überstundenvergütung § 10 (1) Für Überstunden gebührt 1. ein
Arbeitszeitgesetz.book Seite 264 Dienstag, 25. September 2012 12:04 12
§ 10
Arbeitszeitgesetz (AZG)
prognostisch geleistet worden wären (Schrank, a.a.O., FS Tomandl, 343). Eine starre Durchschnittsberechnung trägt dem Neutralisierungsgedanken indessen nicht Rechnung (so aber offenbar Stärker, Kommentar zur EU-Arbeitszeit-Richtlinie, 110). Durchschnittsermittlungen
der fiktiven Arbeitszeit können nur ein subsidiäres Hilfsmittel sein, um das möglichst richtige
Ergebnis zu erzielen. Tun sie es infolge besonderer, nachvollziehbarer Umstände nicht, ist das
Ergebnis an diese anzupassen, also gegenüber dem schematischen Durchschnitt zu korrigieren.
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Was bedeutet das „oder“? Da kein Zwang des Arbeitgebers erkennbar ist, sich für eine
bestimmte Methode auf Dauer zu entscheiden, sind m.E. im Einzelfall jeweils beide Methoden alternativ zulässig (so bereits Schrank, a.a.O., FS Tomandl, 343). Führt wenigstens eine
zur Nichtüberschreitung der 48-Stunden-Grenze, gilt diese daher eingehalten, sodass
Strafbarkeit von vornherein ausscheidet. Dieses volle Wahlrecht hat seine Rechtfertigung
nicht nur im Normentext (arg. „oder“), sondern auch in der Sache. Nicht fiktive Überschreitungen sind verboten und zu sanktionieren, sondern tatsächliche. Selbst beim vollen Wahlrecht
bleibt ja immerhin das Faktum, dass die tatsächliche Belastung aus der Arbeit durch die
Dienstverhinderungen bzw. den Urlaub immer geringer ist als ohne solche Zeiten.
b) Zu den Ausnahmen
17 In den in Abs. 5 grundsätzlich abschließend aufgezählten Fällen – verlängerte Arbeitszeiten
bei erheblichen Arbeitsbereitschaften (§§ 5 und 7 Abs. 3), überwiegende Arbeitsbereitschaften (§§ 5a und 8 Abs. 3), durch Arbeitsbereitschaften verlängerte Arbeitzeiten von Lenkern
(§ 13b Abs. 3), verlängerte Dienste in öffentlichen Apotheken (§ 19a Abs. 2) – darf bei Zutreffen aller in diesen Bestimmungen normierten Voraussetzungen (zu diesen siehe jeweils
bei den zitierten Bestimmungen samt Kommentierung) auch die durchschnittliche 48Stunden-Woche überschritten werden.
18
Zusätzlich ausgenommen sind Überschreitungen durch außergewöhnliche Fälle i.S.d.
§ 20 (siehe die dortige Zitierung auch von § 9) und durch bloße Zeiten der Reisebewegung
(nach § 20b Abs. 2 können durch Reisezeiten die Höchstgrenzen der Arbeitszeit überschritten
werden, ohne dass eine Ausnahme hinsichtlich der durchschnittlichen 48-Stunden-Grenze
normiert oder geboten ist).
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Die Bedenken unter dem Aspekt der aktuellen EU-Arbeitszeit-RL (siehe bei Pfeil, Zeller
Kommentar², Rz. 6 und 7 zu § 9 AZG m.w.N.) schlagen jedenfalls auch seit 2009, dem Ende
der Übergangsfrist des Art. 17 Abs. 5 AZ-RL, auf die Rechtsanwendung nicht unmittelbar
durch; insbesondere auch unter Strafbarkeitsaspekten kann ein eventueller Richtlinienverstoß
keine Relevanz zu Lasten des einzelnen Arbeitgebers entfalten (da ja nicht die RL als solche
unter Strafbarkeitssanktion steht), solange der Gesetzgeber das AZG nicht ändert.
Überstundenvergütung
§ 10
(1) Für Überstunden gebührt
1. ein Zuschlag von 50% oder
2. eine Abgeltung durch Zeitausgleich. Der Überstundenzuschlag ist bei der Bemessung des Zeitausgleiches zu berücksichtigen oder gesondert auszuzahlen.
(2) Der Kollektivvertrag kann festlegen, ob mangels einer abweichenden
Vereinbarung eine Abgeltung in Geld oder durch Zeitausgleich zu erfolgen hat.
Trifft der Kollektivvertrag keine Regelung oder kommt kein Kollektivvertrag
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Arbeitszeitgesetz (AZG)
Rz 1, 2 § 10
zur Anwendung, kann die Betriebsvereinbarung diese Regelung treffen. Besteht
keine Regelung, gebührt mangels einer abweichenden Vereinbarung eine Abgeltung in Geld.
(3) Der Berechnung des Zuschlages ist der auf die einzelne Arbeitsstunde entfallende Normallohn zugrunde zu legen. Bei Akkord-, Stück- und Gedinglöhnen
ist dieser nach dem Durchschnitt der letzten 13 Wochen zu bemessen. Durch
Kollektivvertrag kann auch eine andere Berechnungsart vereinbart werden.
Inhaltsübersicht zur Kommentierung
Grundsätzliches .............................................................................................................................
Überstundenentgelt .......................................................................................................................
1. Überstundengrundlohn und Normallohn (Abs. 3)..................................................................
a) Regelung auch des Grundlohnes? ......................................................................................
b) Bemessungsgrundlage für den Mindestzuschlag ...............................................................
c) Abweichungsermächtigung für den Kollektivvertrag ........................................................
2. Überstundenzuschlag (Abs. 1 Z 1, Abs. 3).............................................................................
a) Mindesthöhe .......................................................................................................................
b) Günstigere Zuschläge.........................................................................................................
3. Pauschalierungsvereinbarungen .............................................................................................
a) Überstundenpauschalen und All-In-Entgelt .......................................................................
b) Unterdeckungsfolgen .........................................................................................................
III. Überstundenzeitausgleich .............................................................................................................
1. Zur Festlegungsbefugnis (Abs. 2) ..........................................................................................
2. Ausmaß und Entgelt ...............................................................................................................
3. Verbrauchsfragen: Zeitpunkte, Störungsfälle.........................................................................
4. Rückumwandlungsfälle ..........................................................................................................
IV. Verfall und Verjährung .................................................................................................................
1. Grundsätzliches ......................................................................................................................
a) Überstundenentgelte ...........................................................................................................
b) Zeitausgleiche.....................................................................................................................
2. Verfallsfristenhemmung bei Aufzeichnungsmängeln ............................................................
I.
II.
Rz
1-6
7-32
7-21
7-9
10-17
18-21
22-23
22
23
24-32
24-28
29-32
33-45
33-35
36-38
39-43
44-45
46-60
46-57
46-53
54-57
58-60
I. Grundsätzliches
Im Anwendungs- bzw. Geltungsbereich des AZG – genauer nach Maßgabe des § 1, ohne die 1
Abweichungen, die sich aus § 19b ergeben – begründet § 10 einen relativ zwingenden Anspruch des Arbeitnehmers auf erhöhtes Entgelt für Überstunden, mit entsprechender Verteuerung der Überstunden für den Arbeitgeber.
Für ausgenommene leitende Angestellte kann sich daher ein Anspruch auf erhöhte Vergütung
nur aus einzelvertraglicher Besserstellung oder aus kollektivvertraglichen Regelungen ergeben, soweit Letztere Überstundenzuschläge vorsehen (OGH 20.1.2012, 8 ObA 4/12i, LE-AS 10.5.4.Nr.18)
und sich diese erkennbar auf alle dem Kollektivvertrag unterliegende Arbeitnehmer erstrecken,
also nicht nur Zusatzregelungen sind, welche die Anwendbarkeit des AZG unterstellen bzw. voraussetzen (ähnlich Felten, in Grillberger [Hrsg.], AZG-Kommentar³, Rz. 2 zu § 10).
Die erhöhte Überstundenabgeltung im Wege eines Überstundenzuschlages erscheint in der
Praxis als wohl wichtigste Folge des Unterschiedes zwischen Normalarbeitszeit und Überstundenarbeit (ebenso Pfeil, Zeller Kommentar², Rz. 1 zu § 10 AZG).
Der Zweck dieser Erhöhung des Entgelts für Überstunden ist wohl unstrittig ein dop- 2
pelter (so auch Felten, in Grillberger [Hrsg.], AZG-Kommentar³, Rz. 1 zu § 10): Zum einen
soll die mit Überstundenarbeit verbundene Mehr- oder Zusatzbelastung, nicht die bloß zeitliche, mit dem Zuschlag erhöht abgegolten werden. Neben diesem i.e.S. sozialpolitischen be265
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§ 10 Rz 3, 4
Arbeitszeitgesetz (AZG)
sonderen Mehrbelastungszuschlag sollen durch die damit verbundene Kostenerhöhung die
Arbeitgeber veranlasst werden, aus gesundheitspolitischen Arbeitsschutzgründen (ähnlich auch
Ch. Klein, in Klein/Heilegger/Schwarz, AZG-Kommentar³, 258) von Überstundenarbeit nur in
begründeten Fällen und nicht regelmäßig Gebrauch zu machen (EBRV 136 BlgNR XII. GP, 2).
Letztere Funktion soll die verschiedenen, schon unter dem jeweiligen Höchstausmaß wirkenden Begrenzungsmechanismen (§ 6 Abs. 2, aber auch die diversen materiellen Anforderungen an Überstundenarbeit, wie sie in den §§ 7 und 8 zum Ausdruck kommen) ökonomisch
unterstützen. Ob sie Letzteres auch tatsächlich tun, scheint aber eher zweifelhaft, hat doch
der Gesetzgeber die Anreizwirkung erhöhter Entlohnung auf den Arbeitnehmer – teils auch
noch steuerlich unterstützt – wohl unterschätzt. Dies zeigt auch die aktuelle interessenpolitische Diskussion der letzten Jahre zur Arbeitszeitflexibilisierung. Hier sind die Positionen der
Arbeitnehmervertretungen klar auf den besonderen Einkommensaspekt, der mit Überstundenzuschlägen verbunden ist, fokussiert. Für Pfeil, Zeller Kommentar², Rz. 1 zu § 10 AZG, hat
die Verteuerung auch arbeitsmarktpolitische Überlegungen.
3
Die Zulässigkeit von Überstunden hat auf den besonderen Entlohnungsanspruch jedenfalls
keinen (begrenzenden) Einfluss, wenn die erbrachten Überstunden dem Dienstgeber
rechtlich (im Sinne von oben zu § 6, Pkt. IV/2) zurechenbar sind und kein Fall echter Weisungswidrigkeit vorliegt. Auch öffentlich-rechtlich unzulässige Überstunden sind in vollem Umfang entgeltpflichtig (vgl. zuletzt OGH 11.5.2006, 8 ObA 11/06k, LE-AS 10.5.4.
Nr.12; aber auch Pfeil, Zeller Kommentar², Rz. 4 zu § 10 AZG, m.w.N., und Felten, in Grillberger, AZG-Kommentar³, Rz. 5 zu § 10). Dies ergibt sich schon aus dem Austauschcharakter
des Arbeitsverhältnisses und der klaren Zeit- statt Ergebnisbezogenheit seines Entgeltmaßstabes, wird aber auch durch die Verwaltungsstrafbarkeit bloß des Arbeitgebers und bereicherungsrechtliche Wertungen unterstützt (so auch jene, die in § 29 Abs. 1 AuslBG sogar bei zu
unterstellender Nichtigkeit des Arbeitsvertrages zum Ausdruck kommen).
4
Der Sache nach ist § 10 privatrechtlicher Natur und konsequenterweise auch nicht mit
Verwaltungsstrafsanktion bedroht, wie der taxative Katalog der Straftatbestände in § 28
belegt. § 10 würde daher eigentlich in die vertragsrechtlichen Bestimmungen des Abschnitts 6a gehören; dass er sich dort nicht findet, hat wohl nur die historische Ursache, dass
Abschnitt 6a erst 1992 ins AZG eingefügt wurde. Dies bestätigt auch der systematische Standort des per 2008 eingeführten Mehrarbeitszuschlages für Teilzeitbeschäftigte im vertragsrechtlichen Abschnitt (§ 19d Abs. 3a).
Der klar vertragsrechtliche Mehrarbeitszuschlag hat zwar ebenfalls eine Art Doppelfunktion, aber eine andere als der Überstundenzuschlag: Zum einen will er die Flexibilität der
Mehrarbeit und die sich daraus für den Arbeitnehmer ergebende Unsicherheit der Beibehaltung abgelten (nicht aber die Mehrbelastung als solche, was ja gegenüber den Vollzeitarbeitnehmern nicht zu rechtfertigen wäre), zum anderen zielt er in seiner kostenmäßigen Begrenzungsfunktion darauf ab, Arbeitgeber vom bloßen Mehrstundeneinsatz möglichst abzuhalten
und stattdessen das vertragliche und damit gesicherte Ausmaß der Teilzeitarbeit dem arbeitgeberseitigen Regelbedarf möglichst anzupassen. Der Mehrarbeitszuschlag wird also primär
als Mittel zur Verringerung prekärer Teilzeitzeitverträge eingesetzt (Schrank, Mehrarbeitszuschläge bei Langfristdurchrechnung von Teilzeitbeschäftigten, ZAS 2007, 241). Aber auch
hier werden sich die Betroffenen wohl nicht eindimensional wunschkonform verhalten, da
der Gesetzgeber darauf verzichtet hat, den Zuschlag entfallen zu lassen, wenn der Arbeitnehmer ein Vertragsanpassungsoffert ablehnt; nicht unwahrscheinlich ist, dass der Status der
Kombination aus normal- und erhöht entlohnter Mehrarbeit arbeitnehmerseitig häufig (wenn
auch in Unkenntnis der Unsicherheit von Mehrarbeit) attraktiver bewertet werden wird.
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Arbeitszeitgesetz (AZG)
Rz 5–8 § 10
Den Ansprüchen, die § 10 verschafft, kommt (unstrittig) relativ zwingende Wirkung zu 5
(vgl. Pfeil, Zeller Kommentar², Rz. 2 zu § 10 AZG m.w.N.). Sie sind durch Einzelvereinbarung
nur zugunsten des Arbeitnehmers veränderbar. Auch der Kollektivvertrag hat dieses Günstigkeitsprinzip zu beachten, bestätigt jedenfalls in Abs. 2, aber strittig zu Abs. 3. Die Missachtung ausreichender Abgeltung erbrachter Überstundenarbeit kann auch zum vorzeitigen Austritt berechtigen, dies auch dann, wenn infolge Dienstfreistellung in der restlichen Kündigungszeit keine Arbeitspflicht mehr besteht (so OGH 21.9.2006, 8 ObA 61/06p,
LE-AS 43.5.2.Nr.14).
Überstunden lösen neben der zuschlagspflichtigen Bezahlung zusätzlich einen An- 6
spruch auf bezahlte Ersatzruhe im Verhältnis 1:1 aus, wenn sie während der Wochenendoder Wochenruhe des Arbeitnehmers in der sog. „Kernruhezeit“ geleistet wurden (§ 6 ARG,
siehe dazu die dortige Kommentierung).
In Bezug auf geleistete Überstunden trifft den Arbeitnehmer im Streitfall die Beweislast
für noch zustehendes Überstundenentgelt (OGH 21.12.2009, 8 ObA 71/09p, LE-AS
11.8.1.Nr.5). Daran hat die Verfallsfristenhemmung bei fehlenden Arbeitszeitaufzeichnungen
also nichts geändert.
Zur Verschiebung dieser Beweislast auf den Arbeitgeber kommt es nach 8 ObA 71/09p
nur, wenn für den Arbeitnehmer mangels genauer Kenntnis der Tatumstände ganz besondere,
unverhältnismäßige Beweisschwierigkeiten bestehen, während dem Arbeitgeber diese Kenntnisse zur Verfügung stehen und es ihm daher leicht möglich und nach Treu und Glauben auch
ohne weiteres zumutbar ist, die erforderlichen Aufklärungen zu geben. Müssen dem Arbeitnehmer die behaupteten Überstunden naturgemäß bekannt sein, kommt es zu keiner Beweislastverschiebung.
Wann die Beweise selbst als erbracht gelten, liegt freilich in der freien Beweiswürdigung
des Gerichts.
II. Überstundenentgelt
1. Überstundengrundlohn und Normallohn (Abs. 3)
a) Regelung auch des Grundlohnes?
§ 10 regelt weder in Abs. 1 noch in Abs. 3 den Überstundengrundlohn (ebenso in Bezug auf 7
den Begriff Normallohn, Felten, in Grillberger, AZG-Kommentar³, Rz. 20 zu § 10), sondern
knüpft lediglich bei der Bemessung des Mindestzuschlages an den dort so genannten „Normallohn“ an. Dies zeigt, dass der Gesetzgeber vom Weitergebühren dieses „Normallohnes“
auch während der Überstundenarbeit ausgeht, ihn also unterstellt.
Daraus folgt zugleich, dass das Überstundengrundentgelt, zu dem dann der Zuschlag
hinzukommt, bei gleichbleibender (überwiegender) Art der Arbeit nicht unter dem für
die jeweilige Arbeit gebührenden Normallohn liegen darf, wäre doch sonst der zwingende
Anspruch auf den 50%-igen Zuschlag leicht umgehbar. Für Überstunden kann daher im Rahmen von entgeltlichen Arbeitsverhältnissen auch nicht Unentgeltlichkeit wirksam vereinbart
werden (zutreffend Felten, a.a.O. Rz. 21 zu § 10, vorher bereits Grillberger, a.a.O., 91, im
Anschluss an G. Klein, FS Strasser, 128, und Schrammel, Arbeitsrecht II5, 135). Ist die Arbeit
entgeltlich, muss daher Überstundenarbeit mit dem Zuschlag abgegolten werden.
Bei anderer Art der Arbeit steht dieser Zusammenhang aber einem anderen Grundlohn 8
nicht entgegen, ist doch unter dem Normallohn richtigerweise jener gemeint, der für diese
Arbeit in der Überstundenzeit gebührt hätte bzw. gebühren hätte können (ebenso Felten, a.a.O.
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§ 10 Rz 9, 10
Arbeitszeitgesetz (AZG)
Rz. 24 zu § 10 m.w.N.; nunmehr auch Pfeil, Zeller Kommentar², Rz. 15 zu § 10 AZG, abweichend von ZAS 1984, 102). Denkbar sind also auch bei ein und demselben Arbeitnehmer
„mehrere Normallöhne“, so selten dies in der Praxis auf den ersten Blick der Fall sein wird.
Andererseits ist diese Sicht Voraussetzung für den häufigen Fall niedrigerer Entgelte für bloße
Reisezeiten außerhalb der Normalarbeitszeit. Solche – häufig auch in Kollektivverträgen
normiert (z.B. das sog. Reise-Siebentel bei Industrieangestellten) – sind (nur) aus diesem
Grunde zulässig (ebenso OGH 22.9.1993, DRdA 1994, 170 und 339 [Resch]), sofern die Reisetätigkeit nicht wesensmäßig zur vereinbarten Arbeit bzw. zum ständigen Aufgabenkreis
gehört; in letzterem Fall schlägt § 10 voll durch (OGH 8.11.1989, 9 ObA 281/89 [Unfallverhütungsaußendienst], RdW 1990, 53).
Dass die Judikatur insbesondere bei Reisebewegungszeiten außerhalb der Normalarbeitszeit niedrigere Entgeltregelungen letztlich auch dann anerkennt, wenn solche in der Normalarbeitszeit zurückgelegten Zeiten nicht niedriger als echte Arbeit entlohnt werden, ist m.E.
nicht so problematisch, wie es auf den ersten Blick scheint. Man kann und muss solche Regelungen auch als zusammenhängende Sonderregelung mit bewusster Besserstellung der in
der Normalarbeitszeit liegenden Reisebewegungszeiten sehen. Warum beispielsweise eine
formal zuschlagsfreie 1:1-Bewertung von „Freizeit“-Reisebewegungszeiten zulässig wäre,
wenn man den Wert der in die Normalarbeitszeit fallenden Stunden auf 2/3 kürzt und dann
mit 50%-Überstundenzuschlag auf den gleichen Wert wie für Vollarbeit in der Normalarbeitszeit kommt, nicht aber, wenn man zur Verhinderung eines Ausfalls beim Normalarbeitszeitentgelt die Kürzung in einer besserstellenden Gesamtbewertung nicht vornimmt, ließe sich
bei der gebotenen gesamthaft-materiellen Sicht nicht erklären. Wenn und da es mit der h.M.
zulässig ist, auch in die Normalarbeitszeit fallende bloße Reisebewegungszeiten wegen ihres
Unterschiedes erheblich unter dem echten Arbeitsentgelt oder sogar mit null zu bewerten,
muss unter dem Günstigkeitsaspekt auch eine solche Besserstellung der in die Normalarbeitszeit fallenden Reisebewegungszeiten zulässig sein, ohne „formal“ zwingende Überstundenfolgen zu haben. Diese Besserstellung macht ja den objektiv niedrigeren Wert der Reisebewegungszeiten ja noch nicht höher (ähnlich Felten, a.a.O. Rz. 25 zu § 10). Im Grunde ist
die Situation gleich wie bei Pauschalierungsvereinbarungen, bei denen aus dem Verbleib von
Vorteilen auch nicht auf Unzulässigkeit dieser Sondervereinbarung geschlossen wird.
Zutreffend hat daher OGH 26.5.2010, 9 ObA 34/10f, LE-AS 10.2.2.Nr.4, in seinen Eingangsausführungen bestätigt, dass unter einem geringeren Entgelt für Reisebewegungszeiten wohl auch ein Abgehen von der Zuschlagsregelung für Überstunden verstanden
werden kann.
9
Bei Provisionsbeziehern ist als Grundstundenlohn selbst (anders als für den Zuschlag,
siehe unten lit. b) nur der entsprechende Anteil des allfällige Fixums zusätzlich zu bezahlen,
da die während der Überstundenzeit entfaltete Akquisitionstätigkeit ohnehin durch die (auch
der Überstundenzeit zuordenbare) Provision abgegolten wird (so OGH 19.12.2002, 8 ObA
135/02i, LE-AS 10.5.4.Nr.8), wobei allerdings dieser durchschnittliche Anteil nicht unter dem
kollektivvertraglichen Mindeststundensatz liegen darf.
b) Bemessungsgrundlage für den Mindestzuschlag
10 Als Bemessungsgrundlage für den Mindestzuschlag – nicht zu verwechseln mit dem in § 10
nicht geregelten weiterlaufenden Entgelt, auch Überstundengrundentgelt genannt (dieser
grundlegende Unterschied kommt in 8 ObA 135/02i, LE-AS 10.5.4.Nr.8, gut und auch in den
Rechtsfolgen konsequent zum Ausdruck) – ist nach Abs. 3 erster Satz der (nicht unter dem
Kollektivvertragssatz liegende) „auf die einzelne Arbeitsstunde entfallende Normallohn“
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Arbeitszeitgesetz (AZG)
Rz 11–13 § 10
heranzuziehen. Bei Stundenlöhnen ist dies der Ist-Stundenlohn, bei fixen Monatslöhnen und
Monatsgehältern muss auf den Stundenlohn rückgerechnet werden. Bei Akkord-, Stück- und
Gedinglöhnen verlangt Abs. 3 zweiter Satz die Bemessung nach dem Durchschnitt der letzten
13 Wochen. Gleiches wird sinngemäß für andere Leistungsentgelte, insbesondere Prämienlöhne gelten. Bei Provisionsbeziehern sind das allfällige Fixum stundenanteilig und die Stunden-Durchschnittsprovision für die Zuschlagsbemessung heranzuziehen (OGH 19.12.2002,
8 ObA 135/02i, LE-AS 10.5.4.Nr.8).
Als Divisor für die Rückrechnung von Monatslöhnen bzw. Monatsgehältern ist bei 40-stündiger Normalarbeitszeit 173,8 (Formel: 365 : 7 : x 40 : 12) bzw. bei z.B. 38,5-stündiger Normalarbeitszeit 167,3 (Formel: 365 : 7 x 38,5 : 12) zu nehmen. Arbeitnehmergünstigere Bemessungen, insbesondere ein niedrigerer Divisor, z.B. durch Abrundung auf 173 bzw. 167
oder zwecks Einbeziehung von Sonderzahlungsanteilen, sind selbstverständlich zulässig. Sie
sind nicht selten auch im Kollektivvertrag normiert. So schreibt der Kollektivvertrag z.B. im
Metallbereich 1/143 vor, bei den Angestellten im Handel 1/158, in Gewerbe und Industrie je
nach Normalarbeitszeitausmaß meist 1/150 bzw. teils 1/143 des Monatsgehaltes.
„Normallohn“ i.S.d. Abs. 3 wird von der Rechtsprechung eher extensiv ausgelegt als Lohn 11
einschließlich fast aller Entgeltbestandteile (wie Zulagen, Zuschläge und Prämien: OGH
26.4.2000, 9 ObA 66/00x, LE-AS 11.8.1.Nr.1 = 11.3.1.Nr.2, ohne besondere Argumentation bekräftigt in OGH 27.6.2007, 8 ObA 82/06a, LE-AS 10.5.4.Nr.13, unter Berufung auf die h.A. auch
OGH 14.10.2008, 8 ObA 13/08g, LE-AS 10.5.4.Nr.15), die einem Arbeitnehmer für die während
der Normalarbeitszeit erbrachte und während der Überstunden fortgesetzte Arbeitsleistung gebühren (so z.B. Dienstalterszulagen, aber auch Schmutz-, Erschwernis- und Gefahrenzulagen,
wenn entsprechende qualifizierte Arbeiten anfallen). Der Gesetzesbegriff „Lohn“ mutierte damit
zwar zum Begriff „Arbeitsentgelt“, jedoch werden immerhin noch die Sonderzahlungen ausgeklammert (so zuletzt OGH 14.10.2008, 8 ObS 13/08g, LE-AS 10.5.4.Nr.15). Dieser unzweifelhaft
extensiven Sicht liegt der Gedanke zugrunde, dass es der Regelungszweck erfordere, die normale
direkte Abgeltung der Arbeit – welche Namen auch immer sie (aufgeschlüsselt) hat – bei Überstundenarbeit wegen des Belastungs(abgeltungs)zwecks des Zuschlages jeweils um zumindest
50% zu erhöhen (vgl. auch Felten, a.a.O. Grillberger, Rz. 14 zu § 10).
Auf Grundlage dieser Rechtsprechung ist der VwGH (grundlegend 3.10.2002, 98/08/ 12
0067, LE-AS 10.5.4.Nr.7) mit der Vorjudikatur des OGH von der Nichtigkeit kollektivvertraglicher Ausschlüsse von Zulagen und Zuschlägen (auch) bei der Berechnung des Mindestüberstundenzuschlages ausgegangen. Gegenüber dem OGH ist er allerdings sogar noch
einen erheblichen Schritt weiter gegangen, indem er den Vorteil aus der Festsetzung eines mit
1/143 erheblich günstigeren Divisors (als nach § 10 Abs. 3 erforderlich) gänzlich ausklammerte und einen Mindestzuschlag auf Basis von 1/143 des Normallohnes einschließlich Zulagen und Zuschläge als zustehend annahm. Diese selektive (auf Gleichbehandlungs- und
Zweckwertungen beruhende) Nichtigkeitsprüfung ist jedenfalls schon mit (vom VwGH
nicht angesprochen) OGH 15.12.1999, 9 ObA 218/99w-7, LE-AS 10.5.4. Nr.2, im Speziellen
mit Leitsatz 5, nicht zu vereinbaren; dort bezog der OGH in die Nichtigkeit der Bemessungsgrundlage auch den niedrigeren Divisor ein und verglich nur das finanzielle Ergebnis aus der
gesamten kollektivvertraglichen Zuschlagsregelung mit jenem der gesetzlichen Mindestregelung auf seine Günstigkeit bzw. Ungünstigkeit. Der OGH lehnt in Bekräftigung seiner Position die besondere selektive Günstigkeitsbeurteilungsmethode des VwGH ausdrücklich
ab (OGH 27.6.2007, 8 ObA 82/06a, LE-AS 10.5.4.Nr.13).
In Bezug auf rein zeitbezogene Zulagen – etwa Vorarbeiter- oder sonstige Funktionszu- 13
lagen (kollektivvertragliche wie innerbetriebliche), die nur den Lohn- oder Gehaltswert erhö269
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§ 10 Rz 14, 15
Arbeitszeitgesetz (AZG)
hen (so eine Dienstalterszulage: OGH 25.4.2990, infas 1990/6, 19) – ist die zu Rz. 11 dargestellte Einbeziehung auch in die Zuschlagsbemessung überzeugend. Insoweit ist dies mit dem
Begriff „Lohn“ (oder „Gehalt“) im Gegensatz zu „Entgelt“ ebenso wie mit dem Regelungsanliegen von § 10 durchaus vereinbar.
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Hinsichtlich aller Zulagen mit besonderem Zweck ist indessen das, was zum Überstundengrundentgelt selbstverständlich rechtlich und sachlich geboten ist, nicht undifferenziert
auf die Bemessung des Überstundenzuschlages zu übertragen. Warum etwa sollte eine
Schichtzulage auch für Zwecke der Bemessung des Überstundenzuschlages heranzuziehen
(und im Ergebnis um 50% zu erhöhen) sein, obwohl die Überstundenarbeit als solche keine
Schichtarbeit mehr ist?
Zur Vermeidung von Missverständnissen:
Selbstverständlich ist in Fällen von Schmutz-, Erschwernis- und Gefahrenzulagen bei
entsprechenden Arbeiten auch während der Überstundenarbeit das Weitergebühren dieser
Zulagen neben dem Überstundenzuschlag erforderlich (zur Vermeidung eines Nachteils
im Grundentgelt). Dies folgt aus ihrem Zweck und dem Fehlen einer abweichenden Anordnung für das in § 10 ohnedies nicht besonders geregelte Überstundengrundentgelt, rechtfertigt
aber keineswegs ihre Einbeziehung in den rechtlich eigenständigen Überstundenzuschlag,
welcher die bloß zeitliche Mehrbelastung im Fokus hat und abgelten soll. Die Einbeziehung
auch in die Bemessungsgrundlage „Normallohn“ bewirkt im Ergebnis die Erhöhung dieser
besonderen Zweckzulagen um 50%. Dies kann beim bloß auf die zeitliche Mehrbelastung
abstellenden Gesetzeskonzept des Abs. 1 Z 1 i.V.m. Abs. 3 nicht richtig sein.
Angesichts der häufig verwendeten, dem Gesetzgeber daher bekannten anderen Entgeltterminologie ist es vielmehr erheblich naheliegender, den „Normallohn“ tatsächlich enger zu verstehen (ähnlich G. Klein, Das Überstundenentgelt, FS Strasser, 125 ff. [130 f.]),
nämlich als das, was dieser Begriff auch sprachlich gut zum Ausdruck bringt, nämlich im Sinne des normalerweise – also ohne besondere sonstige Erschwernisse oder zu anderen Zwecken gebührende Zulagen und Sonderzahlungen – gebührenden Lohnes zu verstehen – so
wie dies auch zahlreiche Kollektivverträge in der Praxis immer noch tun, ohne dass man
ihnen Rechtswidrigkeit vorwerfen muss. Sie haben hierbei nicht von der Ermächtigung zu
einer „anderen Berechnungsart“ Gebrauch gemacht, sondern bloß keine Besserstellung normiert und damit weder das Grundentgelt eingeschränkt noch den Mindestzuschlag ausgehöhlt,
wie teils vertreten wird. Der interpretative Fehler der h.M. liegt in der Gleichsetzung des
Normallohnes mit dem Überstundengrundentgelt, statt im „Normallohn“ eine eigenständige Zuschlagsbemessungsnorm zu sehen.
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Auch nach st. Rsp. und h.A. nicht einzubeziehen sind (vorbehaltlich kollektivvertraglicher Besserstellungen) Entgeltbestandteile, die ausschließlich für die Erbringung einer bestimmten, während der Überstundenarbeit nicht verrichteten Arbeitsleistung gebühren
(OGH 5.6.1984, Arb 10.357 = ZAS 1985, 179 [Kohlmaier]), Sonderzahlungen (OGH
14.10.2008, 8 ObS 13/08g, LE-AS 10.5.4.Nr.15, aber auch OGH 6.4.1994, Arb 11.173 =
DRdA 1995, 140 [Csebrenyak]; OGH 5.6.1984, Arb 10.357 = ZAS 1985, 179 [Kohlmaier]),
Jubiläumsgelder, nicht an die Arbeitsleistung anknüpfende außerordentliche Entgeltbestandteile wie Kinder- und Familienzulagen (OGH 5.6.1984, Arb 10.357 = ZAS 1985, 179 [Kohlmaier]), spezielle Sonntagszuschläge (diese gebühren bei Sonntagsüberstunden neben dem
Überstundenzuschlag, so richtig OGH 14.9.1988, RdW 1989, 139, wenn der Kollektivvertrag
keinen auch diesen abdeckenden Sonntagsüberstundenzuschlag enthält) sowie selbstverständlich Aufwandsentschädigungen.
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Arbeitszeitgesetz (AZG)
Rz 16–18 § 10
Zur Frage der Einbeziehung von Nacht- und Schichtzulagen bestehen bisher keine 16
höchstgerichtlichen Aussagen, soweit zu sehen. Auch in den letzten Erkenntnissen werden
sie im Kontext der Normallohnbemessung aus guten Gründen nicht erwähnt (so auch nicht in
8 ObS 13/08g). Diese Zulagen gebühren ja ausschließlich für Mehrbelastungen durch bestimmte zeitliche Lagerungen der Normalarbeitszeit, nicht aber für Überstundenarbeit. Schon
deshalb können sie richtigerweise den Normallohn für Zwecke der Überstundenzuschlagsbemessung nicht erhöhen (a.A. offenbar, jedoch ohne Begründung, Ch. Klein, in Klein/Heilegger/Schwarz, AZG-Kommentar³, 258). Sofern man sie nicht als durch den ähnlichen Belastungszwecken dienenden Überstundenzuschlag überhaupt verdrängt sieht (Schichtzulagen
sind a priori auf bestimmte Normalarbeitszeiteinteilungen beschränkt), können sie richtigerweise zwar neben dem Überstundenzuschlag gebühren (soweit sie gebührt hätten, wenn die
Überstundenarbeit in eine ansonsten schichtzuschlagspflichtige Zeit fiele), nicht aber m.E.
die Bemessungsgrundlage für den Überstundenzuschlag erhöhen.
Auch Naturalentgelte wie die Privatnutzung von Firmen-PKW oder Firmenhandys kön- 17
nen – a.A. Felten, a.a.O. Rz. 17 zu § 10, Pfeil, Zeller Kommentar², Rz. 14 zu § 10 AZG – nicht
Bestandteil des Normallohnes i.S.d. Abs. 3 sein, knüpfen sie doch in ihrem Ausmaß und Wert
nicht direkt an die Arbeitsleistung an; auch ist schwer erklärbar, warum Naturalentgelt trotz
Weiterlaufens auf einmal auch als Barentgelt gebühren soll. Sie sind daher m.E. auch nicht in
Geld umgerechnet der Zuschlagsberechnung zugrunde zu legen (für die Landarbeiter ist dies
infolge der dortigen besonderen Entlohnungssituation richtig, aber einschließlich der Bewertung mit den sozialversicherungsrechtlichen Sätzen ausdrücklich in § 65 Abs. 2 LAG geregelt;
der LAG-Gesetzgeber hat die ausdrückliche Einbeziehung immerhin für notwendig gehalten,
sodass ohne solche die bloß interpretative Einbeziehung alles andere als selbstverständlich ist).
c) Abweichungsermächtigung für den Kollektivvertrag
Nach Abs. 3 letzter Satz kann durch Kollektivvertrag auch eine andere Berechnungsart ver- 18
einbart werden. Die h.M. reduziert diese Ermächtigung auf die im vorangehenden zweiten Satz
normierte 13-wöchige Durchschnittsmessung von Akkord-, Stück- und Gedinglöhnen (zuletzt
Pfeil, Zeller Kommentar², Rz. 12 zu § 10 AZG, Felten, a.a.O. Grillberger³, Rz. 18, gleichermaßen Ch. Klein, a.a.O. Klein/Heilegger/Schwarz3, 258 f). Ch. Klein ist dieser Auffassung allerdings nur vor dem Hintergrund der umfassenden Normallohn-Judikatur zuzurechnen. Im Lichte
dieser sei die a.A. von G. Klein, in FS Strasser, 135 ff., nicht mehr haltbar. Wäre diese – wie
oben ausgeführt – von der Verwechslung des Normallohnes mit dem Überstundengrundentgelt
gekennzeichnete und den Gesetzeswortlauf über das Erträgliche ausdehnende Bemessungsjudikatur zutreffend, wäre der h.M. wohl zuzustimmen, könnte doch unter Wertungsaspekten eine Ermächtigung für eine „abweichende Berechnungsart“ einen umfassenden, auf dem
Überstundengrundentgelt fußenden Normallohnbegriff nicht in Kernbereichen aufweichen, zumal das Überstundengrundentgelt in § 10 gar nicht geregelt ist.
Die Abweichungsermächtigung könnte daher von vornherein nicht vom Überstundengrundentgelt ansonsten gebührende Zulagen vom Weitergebühren während der Überstundenarbeit ausnehmen.
§ 10 Abs. 3 erster Satz legt aber nur der Berechnung des Zuschlages den „Normallohn“
zugrunde, also einen gegenüber dem Entgelt erheblich engeren Begriff. Darauf hat G. Klein,
Das Überstundenentgelt, FS Strasser, 125 ff. (130 f.) zutreffend aufmerksam gemacht. Dieser
Hinweis von G. Klein hat nichts an juristischer Aktualität eingebüßt. Seine Beachtung würde
aufwändige Überlegungen zur Rechtskonformität oder Rechtswidrigkeit typischer Anknüpfungen kollektivvertraglicher Überstundenzuschläge an den Lohn- und nicht den Entgeltbegriff
271
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§ 10 Rz 19–21
Arbeitszeitgesetz (AZG)
erübrigen, ebenso eine Heranziehung der kollektivvertraglichen Abweichungsermächtigung
zur Rechtfertigung solcher Anknüpfungen. Es erspart auch das zumindest für Praktiker eigenartige Ergebnis unterschiedlicher Anknüpfungen bei unterschiedlichen Zuschlagshöhen (breitere Anknüpfung beim Mindestzuschlag, engere Anknüpfungen bei höheren Zuschlägen).
19
Die Weitergewährung der sonst gebührenden Zulagen und Zuschläge kann der Kollektivvertrag von vornherein nicht ausschließen, ohne gegen die Grundwertung des § 10 zu verstoßen. Wenn der Gesetzgeber Überstunden im Wege eines Zuschlages erhöht vergütet wissen
will, kann er keine Reduktion des Überstundengrundentgelts zugelassen haben.
Daraus folgt aber nicht die zwingende Einbeziehung der auch während der Überstundenarbeit weiterhin gebührenden besonderen Zulagen und Zuschläge in den zur Bemessung bloß
des Überstundenzuschlages heranzuziehenden „Normallohn“ und damit ihre Parallelerhöhung um mindestens 50%, ist doch der Überstundenzuschlag sowohl dem Gesetzeswortlaut
als auch nach System und Zweck ein rechtlich eigenständiger Zuschlag, wäre doch sonst
eine ausdrückliche Anknüpfungsbestimmung an einen „Normallohn“ überflüssig, hätte es
doch genügt, einfach einen Zuschlag von 50% vorzusehen, wenn die Anknüpfung an das Überstundengrundentgelt gewollt wäre. Dieses Ziel wird auch bei vom Grundentgelt abweichender
engerer Sicht des Normallohns für die Zuschlagsbemessung noch erreicht, weil das Grundentgelt ja nicht berührt wird. Der von Felten, a.a.O. Rz. 18 zu § 10 ins Treffen geführte Fall, dass
bei weiter Interpretation der Abweichungsermächtigung bei hohen Zulagen und niedrigem
Grundlohn den Arbeitgeber eine Überstunde weniger kosten könnte als eine (gemeint wohl
vergleichbare) Normalstunde, ist daher immer undenkbar, sodass auch eine engere Sicht des
Anknüpfungsnormallohns den Erhöhungszweck nie verfehlt.
Da die kollektivvertragliche Abweichungsermächtigung dem klaren Gesetzeswortlaut
nach von vornherein nur die Zuschlagsbemessung erfasst, nicht auch das Grundentgelt für die
Überstundenzeit, ersparen auch Überlegungen zum Umfang der Abweichungsermächtigung die vorgelagerte Auslegungsfrage nicht, was das Gesetz mit der Verwendung eines
gegenüber „Entgelt“ erkennbar engeren Begriffs meint. Diese beiden Rechtsfragen dürfen
auch nicht verwechselt werden, wie dies offenbar auch dem VwGH in seinem Erkenntnis vom
3.10.2002, 98/08/0067, LE-AS 10.5.4.Nr.7, passiert ist.
20
Beachtet man dies, stellt sich das Reichweiteproblem in Bezug auf die Ermächtigung zur
Festlegung einer anderen Berechnungsart für die Bemessung des Überstundenzuschlages
viel weniger scharf, auch wenn man sie nicht nur auf den zweiten, sondern auch den
ersten Satz bezieht.
Dass Besserstellungen zulässig sind, ergibt sich nämlich schon aus § 2 Abs. 2 Z 2 ArbVG
und wird auch von VwGH 3.10.2002, 98/08/0067, LE-AS 10.5.4.Nr.7, zutreffend betont. Echte (direkte oder auch spürbare indirekte) Schlechterstellungen werden aber am erkennbaren Regelungszweck des Gesetzes scheitern.
21
Erlaubt und mit dem Wortlaut vereinbar sind nämlich von vornherein nur Modalitäten,
die insbesondere bei schwankendem laufendem Entgelt (solches gibt es auch außerhalb der
Akkord- und Prämienlöhne) Unklarheiten beseitigen, Durchschnittszeiträume normieren oder
auf andere Weise die Berechnungsart so festlegen, dass sie zumindest im statistischen
Durchschnitt oder nach ähnlichen Maßstäben ein gleichwertiges Ergebnis erzielen. Einer
Beschränkung der Abweichungsermächtigung auf die Leistungsentgelte des zweiten Satzes
bedarf es dazu nicht.
Die von G. Klein (a.a.O., FS Strasser, 136) angeführten Kollektivvertragsbeispiele belegen
daher zwar die Richtigkeit einer engeren Sicht des Normallohnes für Zwecke der Zuschlagsberechnung und damit die Zulässigkeit der beispielhaft angeführten Regelungen, sind aber
keine Beispiele für den Bedarf nach einer über vergleichbare Schwankungsfälle des zweiten
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Arbeitszeitgesetz (AZG)
Rz 22–24 § 10
Satzes hinausgehenden weiten Sicht der Abweichungsermächtigung. Insofern ist G. Klein seinem richtigen Primäransatz leider untreu geworden, womit er dessen Überzeugungskraft keinen guten Dienst erwiesen hat, wie die extensive Normallohnjudikatur und ihre Folgen im
Schrifttum belegen.
Die Berechnungsart-Abweichungsermächtigung ist daher m.E. zwar nicht auf echte
Leistungsentgelte eingeengt, ermöglicht aber nur präzisierende, der Praktikabilität dienende Modalitäten und Abweichungen, die im Wesentlichen das vom Gesetzgeber intendierte Ergebnis respektieren und mit dem zweiten Satz der Sache nach noch vergleichbar sind.
Dies war bei einer Art berufslebenslangen Durchrechnung im Apotheken-Kollektivvertrag
nicht der Fall, sodass die dortige pauschale, vom aktuellen Normallohn abweichende Bemessung unwirksam war (OGH 15.12.1999, 9 ObA 218/99w-7, LE-AS 10.5.4.Nr.2). Ein typischer
Anwendungsfall wäre indessen die Normierung eines lebensnahen Durchschnittszeitraumes
von 12 Monaten bei Provisionen oder Umsatzprozententgelten der Gastronomie.
2. Überstundenzuschlag (Abs. 1 Z 1, Abs. 3)
a) Mindesthöhe
Der Überstundenzuschlag beträgt grundsätzlich 50% des Normallohnes. Diese auf den Nor- 22
mallohn und nicht das Überstundengrundentgelt (siehe oben Pkt. 1) bezogene Mindesthöhe
ist auch durch Kollektivvertrag nicht abdingbar. Bei Provisionsbeziehern ist, da durch die Provision nur das Grundentgelt abgegolten ist und bei Überschreiten des Kollektivvertragsentgelts kein anderer Normallohn besteht, für die Zuschlagsermittlung die auf einen Monat entfallende Provision durch die in diesem Monat geleisteten Arbeitsstunden (einschließlich
Überstunden) zu dividieren und, sofern auch ein Fixum gebührt, um den auf eine Normalstunde entfallenden Teil des Fixums zu erhöhen (OGH LE-AS 10.5.4.Nr.8).
Zum bloßen Teilzeit-Mehrarbeitszuschlag von 25%, seinen Ausnahmen und seiner teils abweichenden Bemessungsgrundlage siehe die Kommentierung zu § 19d Abs. 3a bis 3f.
b) Günstigere Zuschläge
Nahezu alle Kollektivverträge sehen jedoch für Nacht-, Sonn- und Feiertagsüberstunden 23
höhere Überstundenzuschläge vor, häufig 100%. Mangels einheitlicher Regel muss man sich
aber unbedingt jeweils vergewissern. So gelten im Handel für Überstunden im Rahmen der
erweiterten Öffnungszeiten unterschiedliche erhöhte Zuschläge. Insbesondere finden sich
auch unterschiedliche Begriffsbestimmungen in Bezug auf Nacht- oder Feiertagsüberstunden.
Günstigere Zuschläge finden sich aber vor allem auch durch die Anknüpfung an niedrigere Divisoren.
3. Pauschalierungsvereinbarungen
a) Überstundenpauschalen und All-In-Entgelt
Gleich anderen vertragsrechtlichen Entgeltansprüchen sind die gesetzlichen Überstundenver- 24
gütungen Sondervereinbarungen im Rahmen der Günstigkeit (§ 3 Abs. 2 ArbVG) zugänglich.
Solche finden sich häufig im Wege von Pauschalierungsvereinbarungen, die allerdings meist
auch den Zweck verfolgen, die Überstunden nach oben zu begrenzen, so insbesondere bei sog.
All-In-Vereinbarungen.
Pauschalierungsvereinbarungen gibt es als gesondert ausgewiesene Überstundenpauschalen, vereinbart im Ausmaß bestimmter Stunden oder als bestimmter Eurobetrag (allenfalls sogar aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz gebührend: so OGH 30.6.2005, 8 ObA
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§ 10 Rz 25
Arbeitszeitgesetz (AZG)
8/05t, LE-AS 11.9.2.Nr.8), aber auch als so genannte All-In-Entgelte (Gesamt- oder Inklusivgehälter), so jüngst zusammenfassend OGH 29.3.2012, 9 ObA 160/11m, ARD 6253/4/
2012, LE-AS 10.5.4.Nr.20 und 11.8.3.Nr.11. Alle diese Pauschalvereinbarungen sind rechtlich unstrittig nicht nur bei leitenden Angestellten erlaubt (OGH 15.4.2004, 8 ObA 23/04x,
LE-AS 11.8.3.Nr.6; OGH 9.5.2001, 9 ObA 9/01s, LE-AS 11.8.3.Nr.3).
Eine andere Frage ist es, bei welchen Arbeitnehmergruppen echte Pauschalvereinbarungen
sinnvoll sind. Zu bejahen ist die Sinnhaftigkeitsfrage m.E. nur bei Arbeitnehmern, die ihre
Arbeit weitgehend selbst gestalten können und bei denen es weniger auf die Zeitmenge als
auf sonstige Kriterien ankommt, daher vor allem bei leitenden Angestellten i.w.S. und relativ
selbständigen Arbeitnehmern im Außendienst, vor allem bei erfolgsoriertem Entgelt.
Ist eine Pauschalierung nach Maßgabe bestimmter Stunden vereinbart, spricht man
bisweilen von einem echten Überstundenpauschale, welches sich vereinbarungsgemäß dynamisch mit Lohn- und Gehaltserhöhungen mitentwickelt, bei bloßen Eurobeträgen indessen
von einem unechten Überstundenpauschale, das sich – außer bei solchen kollektivvertraglichen Isterhöhungen, die auch Pauschalierungen erfassen – nicht dynamisch erhöht und bei
dem sich in Fällen sonstiger Unterdeckung die Zahl der leistungspflichtigen Überstunden reduziert (vgl. Felten, a.a.O. Rz. 35 bis 37 zu § 10, unter Berufung auf Burger, in Resch, AllIn-Vereinbarungen, 42 f.).
Stundenmäßige Pauschalierungen haben bei Normalarbeitszeit-Unterentlohnungen (also bei Einstufungsfehlern mit der Folge von Istdifferenzansprüchen) auch entsprechende Erhöhungsauswirkungen auf das Überstundenpauschale, auch wenn die vereinbarten Überstunden nicht in vollem Umfang geleistet wurden und daher keine kollektivvertragliche Unterentlohnung i.e.S. vorliegt; sie führen auch zum Nichtgreifen kürzerer Überstunden-Verfallsfristen, so OGH 9.7.2008, 9 ObA 91/07h, LE-AS 11.8.2.Nr.2.
25
Pauschalierungsvereinbarungen verpflichten zwar dem Grunde nach selbstverständlich
zu Überstundenarbeit im Rahmen der Zulässigkeitsgrenzen, im Regelfall aber nicht dazu,
alle abgedeckten Überstunden im Jahresdurchschnitt auch bedarfsunabhängig zu leisten. Sie verpflichten im Zweifel vielmehr nur dazu, die nach Bedarfssituation bzw. Anordnung
jeweils notwendigen Überstunden zu leisten.
Nach zutr. aktueller OGH-Judikatur muss die Zahl der zu leistenden Überstunden
in der Pauschalierungsvereinbarung nicht genannt sein. Der Auffassung, in solchen Fällen
liege Unzulässigkeit mangels Bestimmtheit der Vereinbarung vor (vgl. Felten, a.a.O. Grillberger, Rz. 32–33 zu § 10 m.w.N. der krit. Stimmen), steht entgegen, dass im Vertragsrecht
die Bestimmbarkeit genügt und sich die Höchstzahl der zu leistenden Überstunden einerseits
klar aus den gesetzlichen Gesamtarbeitszeitgrenzen ergibt und eine etwaige niedrigere Anzahl
– also die Deckung im Pauschale – durch Rückrechnung aus der Höhe (abhängig von unterschiedlichen Zuschlagshöhen etc.) zumindest objektiv bestimmbar ist. Die Anzahl in die Vereinbarung aufnehmen zu müssen, widerspräche im Übrigen dem Zweck der Pauschalierung,
die insofern – auch nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers, wie im vorherigen Absatz dargelegt –
in gewissem Sinn offen bleiben muss.
Zudem sichern Pauschalierungsvereinbarungen dem Arbeitnehmer ein insofern bedarfsunabhängiges Gesamtentgelt, anders als die bloß anlassbezogene gesetzliche Überstundenvergütung. Dies auch dann, wenn das Gesamtentgelt im Durchschnitt über den zulässigen Gesamtstunden liegt.
In besonderem Maße gilt dies für All-In-Entgelte. Betrieblich sinnvoll und Arbeitnehmern am ehesten zumutbar sind diese daher vor allem bei Möglichkeit zu weitgehend eigener
Arbeitsgestaltung und zumindest auch teilweise eigenen Arbeitszeitdispositionen. In diesen
Fällen kommt dem Arbeitnehmer aus effizienter Arbeitsleistung der Vorteil geringeren
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Arbeitszeitgesetz (AZG)
Rz 26, 27 § 10
Zeiteinsatzes bei effizienter Arbeit zu, ohne dass dem auf Arbeitgeberseite ein Nachteil gegenübersteht (zumal ein All-In-Entgelt keinesfalls zur Unterschreitung sogar der Normalarbeitszeit
berechtigt, bei sonstiger Entgeltkürzung: OGH 3.8.2005, 9 ObA 53/05t, LE-AS 11.8.3.Nr.7).
Solche win-win-Situationen treffen vor allem auf leitende Angestellte (auch unter der
Ausnahmeschwelle des § 1 Abs. 2 Z 8, aber auch darüber, wo ein All-In-Entgelt im Zweifel
anzunehmen ist, wenn kein Kollektivvertrag greift: OGH 17.5.2000, 9 ObA 39/00a, LE-AS
11.8.3.Nr.2) und Außendienstmitarbeiter zu. Bei Letzteren ersparen All-In-Vereinbarungen
überdies komplizierte monatliche Berechnungen für Überstundenentgelte, sofern Provisionen
gebühren und diese im Ergebnis ausreichend hoch sind.
All-In-Klauseln können auch andere Entgeltteile umfassen, sofern das Gesamtentgelt
hoch genug ist (vgl. den Fall der All-In-Auslandszulage bei OGH 2.6.2009, 9 ObA 65/09p,
LE-AS 11.8.3.Nr.10, in welchem die Vereinbarung, mit ihr seien „alle Mehrarbeitsleistungen
(inkl. Feiertags-, Nacht- und Sonntagsarbeit), Zulagen und Zuschläge …“ abgegolten, zutr.
unbeanstandet blieb.
Dass im Anwendungsbereich des AZG All-In-Vereinbarungen mit einem Pauschalentgelt ohne nähere Angaben nicht wirksam sein sollen (so aber Felten, a.a.O. Grillberger,
Rz. 34 zu § 10, unter Berufung auf Kietaibl, DRdA 2006, 21; etwas zurückhaltender Pfeil,
Zeller Kommentar², Rz. 21a zu § 10 AZG), lässt sich jedenfalls mit der aktuellen OGH-Judikatur nicht untermauern; im Gegenteil, maßgeblich für die Wirksamkeit ist nur die ausreichende Höhe (sogar bei Fehlen eines kollektivvertraglichen Entgelts, wie OGH 27.1.2009,
8 ObA 89/08h, LE-AS 11.8.3.Nr.9 bestätigt). Dieser Aspekt macht auch sozialpolitisch die
Kritik an Pauschalien mit nicht zahlenmäßig präzisierenden Leistungspflichten kaum verständlich. Dies zumindest in jenen Fällen, in denen dem Arbeitnehmer auch beachtliche
Selbstgestaltung beim Leistungsumfang zukommt. Wer nämlich konkrete Bestimmtheit auch
der Leistungspflicht verlangt, muss in Kauf nehmen, dass Rationalisierungserfolge des Arbeitnehmers beim eigenen Zeiteinsatz dem Arbeitnehmer, mit der Folge größerer Fremdbestimmung, letztlich verlorengehen – welcher Arbeitgeber würde dann nämlich noch eine Pauschalierung mit der ihr eigenen Entgeltsicherheit und geringeren Abhängigkeit vom tatsächlichen Überstunden(leistungs)bedarf anbieten?
Ob mit Pauschalvereinbarungen auch arbeitszeitrechtlich verbotene Überstunden abge- 26
deckt sind, hängt von der Auslegung der getroffenen Pauschalvereinbarung ab. Schränkt die
Vereinbarung die zu leistenden Überstunden auf die zulässigen ein (was bei Rechtsnormen
wie einem Kollektivvertrag im Zweifel zu unterstellen ist: OGH 6.4.2005, 9 ObA 71/04p, LEAS 10.3.4.Nr.2), sind nur diese abgedeckt und die unzulässigen Überstunden gesondert zu
vergüten, auch wenn das Pauschale auch für Letztere hoch genug ist (OGH 11.5.2006, 8 ObA
11/06k, LE-AS 10.5.4.Nr.12).
Arbeitgeber sollten daher direkt oder indirekt einschränkende Hinweise im eigenen Interesse unterlassen (zumal die Zulässigkeitsgrenzen erfahrungsgemäß auch unabsichtlich und
eigenmächtig überschritten werden) und die Pauschalvereinbarung möglichst umfassend formulieren, etwa so, dass sie „alle wie immer gearteten“ oder „jedwede“ Mehr-, Über- und Reisestunden umfasst. Da unzulässige Überstunden grundsätzlich gleich entgeltpflichtig sind, ist
auch die Vereinbarung ihrer pauschalen Abdeckung grundsätzlich zulässig (OGH 10.5.1995,
Arb 11.400 = RdW 1996, 218; im Ergebnis bestätigt durch die differenzierende Auslegung
in OGH 11.5.2006, 8 ObA 11/06k).
Überstundenpauschalien können grundsätzlich nicht einseitig entzogen werden, au- 27
ßer bei vereinbartem Widerrufsvorbehalt (u.a. OGH 1.7.1987, Arb 10.683= RdW 1988, 22
= DRdA 1990 [Mosler]). Dies auch wenn wegen geänderter Umstände keine oder nur wenige
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Arbeitszeitgesetz.book Seite 276 Dienstag, 25. September 2012 12:04 12
§ 10 Rz 28–30
Arbeitszeitgesetz (AZG)
Überstunden mehr zu leisten sind (OGH 15.3.1989, Arb10.781 = RdW 1989, 280). Anderes
gilt bei vertragswidriger Nichtleistung, in welchem Fall sogar ein All-In-Gehalt arbeitszeitanteilig gekürzt werden kann (OGH 3.8.2005, 9 ObA 53/05t, LE-AS 11.8.3.Nr.7).
Überstundenpauschalien können daher (umso eher) auch wiederholt angemessen befristet vereinbart werden, so zutr OGH 27.7.2011, 9 ObA 61/11b, RdW 2012, 750 f., zu jährlichen
Befristungen, wenn der Pauschalierungszweck in der tatsächlichen Abgeltung von Überstunden liegt, diese also auch arbeitgeberseitig erwartet werden.
Ob auch bei All-In-Entgelten die überstundenbedingte Überzahlung wirksam widerruflich
vereinbart werden kann, ist nicht gesichert. Zum einen ist eine solche Vereinbarung angesichts
des Doppelzwecks eines All-In-Entgelts problematisch, zum anderen wird die relative Höhe
des widerrufbaren Entgeltanteils mit weit über 10% vielfach unverhältnismäßig sein, womit
sich die Frage der Sittenwidrigkeit des Vorbehalts stellt. Gegen die vertragliche Widerruflichkeit eines bloß angemessenen Teils des All-In-Entgelts werden diese Bedenken indessen nicht
durchschlagen, wohl aber gegen Unverbindlichkeitsvorbehalte, da diese das regelmäßige
Grundentgelt nicht wirksam erfassen können, so OGH 24.2.2009, 9 ObA 113/08w, LE-AS
1.9.1.Nr.1). In Widerrufsvereinbarungen wäre jedoch klarzustellen, dass es sich hierbei nicht
um den ganzen für die Überstundenabdeckung vorgesehenen Entgeltteil handelt, widrigenfalls
der volle All-In-Charakter der Vereinbarung entwertet wäre.
28
Bei Überstundenpauschalen liegt in der Regel ein gesondert ausgewiesenes überkollektivvertragliches Gehalt für die Normalarbeitszeit und – auch für die notwendige Deckungsprüfung bedeutsam – das Pauschale vor. Der Deckungsprüfung ist daher das überkollektivvertragliche Gehalt zugrunde zu legen.
Bei All-In-Entgelten entfällt indessen diese Trennung. Daher ist im Zweifel – außer
es ist anderes vereinbart oder erkennbar – nur das kollektivvertragliche Gehalt anzunehmen, sodass der gesamte Überschreitungsbetrag im Bedarfsfall der Überstundenabgeltung
dient und für die Deckungsprüfung auf Grundlage des Kollektivvertragsgehalts heranzuziehen
ist (OGH 11.5.2006, 8 ObA 11/06k, LE-AS 10.5.4.Nr.12). Dem steht auch der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht entgegen, jedenfalls dann nicht, wenn dem Arbeitnehmer in der Arbeitsund Arbeitszeitgestaltung (Überstundengestaltung) wesentliche De-facto-Selbstbestimmung
zukommt und keine Widerruflichkeit vereinbart ist.
b) Unterdeckungsfolgen
Alle Pauschalvereinbarungen bieten keine absolute Sicherheit vor Nachforderungen und nehmen dem Arbeitnehmer ein diesbezügliches Recht nicht, da sie nach st. Rsp. als Sondervereinbarungen nur bei Günstigkeit des Ergebnisses der Deckungsprüfung wirksam sind
(zuletzt z.B. OGH 2.6.2009, 9 ObA 65/09p, LE-AS 11.8.3.Nr.10, OGH 11.5.2006, 8 ObA 11/
06k, LE-AS 10.5.4.Nr.12, und OGH 15.4.2004, 8 ObA 23/04x, LE-AS 10.5.4.Nr.11).
30
Vorzunehmen ist diese Deckungsprüfung im Rahmen eines Zeitraumes von jeweils 12
Monaten (mangels kürzeren tatsächlichen Zeitraums, so OGH 2.6.2009, 9 ObA 65/09p, LE-AS
11.8.3.Nr.10, bzw. mangels vereinbarten kürzeren Zeitraums, so OGH 21.7.2001, 9 ObA 161/
01v, LE-AS 11.8.3.Nr.4). Hiezu ist das ohne Pauschalvereinbarung für diesen Zeitraum gebührende Überstundenentgelt zu ermitteln. Bei Überstundenpauschalen hat dies auf
Grundlage des Istlohns bzw. Istgehalts zu erfolgen, bei All-In-Gehältern bzw. All-In-Entgelten indessen im Regelfall auf Basis des (bei überhöhter Einstufung nur des gesetzlich gebührenden: OGH 21.2.2002, 8 ObA 79/01b, LE-AS 11.8.3.Nr.5) Kollektivvertragsgehalts,
wenn kein höheres Normalarbeitszeitentgelt vereinbart ist (jüngst bestätigt durch OGH
29.3.2012, 9 ObA 160/11m, LE-AS 10.5.4.Nr.20; anzunehmen bei bloßer Einstufung in das
29
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Arbeitszeitgesetz (AZG)
Rz 31–33 § 10
Kollektivvertragsschema, so OGH 11.5.2006, 8 ObA 11/06k, LE-AS 10.5.4.Nr.12). Solche
All-In-Vereinbarungen bieten daher dem Arbeitgeber höhere Deckungssicherheit als überkollektivvertragliche Gehälter mit gesondertem Überstundenpauschale. Ist der zustehende Gesamtbetrag (in den auch Sachbezüge – im Anlassfall OGH 21.7.2001, 9 ObA 161/01v, LEAS 11.8.3.Nr.4, inklusive der Sachbezugsbewertungen aus einer PKW-Privatnutzung – einzubeziehen sind) geringer als das Pauschalentgelt, hält dieses infolge Günstigkeit, da die
durchschnittliche Überdeckung dem Arbeitnehmer grundsätzlich verbleibt.
Ist kein Kollektivvertrag anwendbar, lässt sich aus § 1152 ABGB kein Anspruch auf
ein bestimmtes Mindestentgelt ableiten. Solange das (rechnerische Ergebnis All-In-Gehalt
durch die durchschnittlichen Überstunden inklusive Überstundenzuschläge) keinen „Hungerlohn“ ergibt, deckt daher das vereinbarte All-In-Entgelt auch die Überstunden ausreichend
ab, so OGH 27.1.2009, 8 ObA 89/08h, LE-AS 11.8.3.Nr.9. Wo immer man letztlich die „Hungerlohn“-grenze zieht, ist sie jedenfalls weit unter vergleichbaren Kollektivvertragssätzen und
nicht mit dem angemessenen Entgelt zu verwechseln. Die auf § 1152 ABGB gestützte These,
vertreten von Felten, a.a.O. Grillberger, Rz. 34 zu § 10, und Ch. Klein, in Klein/Heilegger/
Schwarz, AZG-Kommentar³, 273, es sei sogar auf vergleichbare überkollektivvertragliche
Entgelte abzustellen, findet daher in der aktuellen OGH-Judikatur keine Deckung (leider ohne
dass dies in diesen seither verfassten Kommentaren ausgewiesen ist).
Bei finanzieller Unterdeckung ist dem Arbeitnehmer indessen der (nicht verjährte oder 31
verfallene) Überstundenüberhang zu vergüten, sofern er dem Arbeitgeber zurechenbar ist.
So wenn der Arbeitgeber diese Überstunden zumindest kannte und duldete (hierbei hat
der Arbeitgeber die tatsächliche Abdeckung zu überprüfen und sich die Kenntnis jener Umstände zu verschaffen, die für Überstundenaufzeichnungen erforderlich sind, insbesondere
wenn sich der Arbeitnehmer seine Arbeitszeit nicht völlig frei einteilen konnte: OGH
9.5.2001, 9 ObA 9/01s, LE-AS 10.5.4.Nr.5).
Rechtlich wird vom VwGH (21.4.2004, 2001/08/0048-9, LE-AS 54.1.1.Nr.2) in solchen 32
Fällen für Zwecke der Beitragsbemessung Nichtigkeit der Pauschalvereinbarung und dem
unterwertigen Überstundenpauschalentgelt bloßer Akontocharakter unterstellt. Daher seien
die gebührenden Überstundendifferenzentgelte den Beitragszeiträumen zuzuordnen, in welchen die (nicht abgedeckten) Überstunden geleistet wurden.
Überzeugender und dem Vertragswillen typischerweise eher entsprechend wäre aber
statt der damit verbundenen vollen Aufrollung m.E. die Annahme bloßer Teilnichtigkeit
und die pauschale Aufstockung um das notwendige Differenzpauschale.
III. Überstundenzeitausgleich
1. Zur Festlegungsbefugnis (Abs. 2)
Die etwas verworrene Regelung des Abs. 2 läuft auf den klaren Vorrang einer ausdrückli- 33
chen Einzelvereinbarung und die Zweifelsfall-Zusatzabgeltung in Geld hinaus.
Den Vorrang einer ausdrücklichen Einzelvereinbarung kann nicht einmal der Kollektivvertrag verdrängen, wie der erste Satz dieses Absatzes deutlich macht (ebenso Ch. Klein,
in Klein/Heilegger/Schwarz, AZG-Kommentar³, 265). Nur für den Fall des Fehlens einer abweichenden Vereinbarung kann der Kollektivvertrag über die Alternative Zusatzabgeltung
oder Zeitausgleich bestimmen. Der Kollektivvertrag kann daher Zeitausgleiche gegen den
einvernehmlichen anderen Willen der Einzelvertragsparteien weder gebieten noch im
Wege des Ordnungsprinzips (§ 3 Abs. 1 ArbVG) verbieten. Gleiches wird zur subsidiären
Regelungsbefugnis der Betriebsvereinbarung nach Abs. 2 zweiter Satz gelten. Abweichende
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§ 10 Rz 34–38
Arbeitszeitgesetz (AZG)
Einzelvereinbarungen kann auch die Betriebsvereinbarung nicht ausschließen. Dies legt
jedenfalls die bloße Subsidiarität dieser Betriebsvereinbarung dar, die ihre Regelungsbefugnis
ausschließlich aus dieser Sonderbestimmung des AZG und nicht aus dem ArbVG bezieht.
34
Allerdings kann der Kollektivvertrag (auch bloß teilweise) bzw. subsidiär die Betriebsvereinbarung zur Frage Zeitausgleich oder Zusatzabgeltung auch verbindlich normieren,
welche der beiden Alternativen in Frage kommt, wenn und solange keine abweichende
Einzelvereinbarung besteht (die ja der Arbeitnehmer nicht einseitig erwirken kann). Dies
scheint unstrittig (vgl. Felten, in Grillberger, AZG-Kommentar³, Rz. 43–44 zu § 10).
35
Keine abweichende Einzelvereinbarung wird aber (gestützt auch durch den grundsätzlichen Einteilungsvorrang der Betriebsvereinbarung: § 19c Abs. 1) vorliegen, wenn bisher
mangels Zeitausgleichsvereinbarung die Überstunden schlicht ausbezahlt wurden, weil dieser dem Gesetz entsprechenden Vorgangsweise als bloßer Erfüllungshandlung ja kein eigenständiger Erklärungswert zukommt. Aber auch dann, wenn Zeitausgleiche bloß üblicherweise gewährt wurden, wird man noch keine „abweichende Vereinbarung“ unterstellen können, sondern insofern noch den Vorrang der Regelungsbefugnis der Betriebsvereinbarung annehmen müssen.
2. Ausmaß und Entgelt
36 Seit 1997 ist die gleichwertige Abgeltung von Überstunden durch Zeitausgleich in § 10 Abs. 1
Z 2 ausdrücklich anerkannt. Daher ist entweder auch der Zuschlag in Zeit zu geben oder,
falls nur 1:1-Ausgleich erfolgt, zusätzlich auszuzahlen (§ 10 Abs. 1 zweiter Satz). Eine Abgeltung (nur) des Grundstundenlohns durch Zeitausgleich verfügt z.B. der Kollektivvertrag
für technische Angestellte im graphischen Gewerbe (OGH 23.1.2003, 8 ObS 93/02p, LE-AS
10.5.5.Nr.2), sodass der Zuschlag gesondert auszahlen ist. Überstundenzeitausgleiche ohne
Berücksichtigung des Zuschlages in der einen oder anderen vorgesehenen Weise können daher
grundsätzlich zum – meist für den Arbeitgeber teuren – vorzeitigen Austritt berechtigen. Bloß
so abgegoltene Überstunden können auch verweigert werden.
Werden bei Zeitausgleich die Überstundenzuschläge nicht gesondert ausbezahlt, sind auch
sie in Zeit zu geben. Für eine Überstunde mit 50% gebührt daher bezahlte Freizeit von
1,5 Stunden bzw. bei 100% Zuschlag von 2 Stunden.
37
Ausnahmen erscheinen – außer bei Gleitzeit hinsichtlich der Übertragungsmöglichkeit
von Zeitguthaben in die nächste Gleitzeitperiode sowie bei kollektivvertraglicher Übertragbarkeit von Guthaben in die nächste Durchrechnungsperiode (z.B. beim erweiterten Bandbreitenmodell im Metallbereich) – nur zulässig, wenn der Arbeitnehmer eine Verschiebung
der Normalarbeitszeit wollte, um für private, nicht entgeltpflichtige Zwecke freizubekommen.
In solchen Fällen von (gleitzeitähnlichen) Verschiebungen der Normalarbeitszeit im Interesse
des Arbeitnehmers scheint „1:1-Einarbeiten“ zulässig. Zeitausgleich – wohl nur 1:1 (siehe zu
§§ 12 KJBG) – zur Vermeidung von Überstundenarbeit sieht auch das KJBG bei Vor- und
Abschlussarbeiten vor.
Bei kollektivvertraglich oder vergleichbar verkürzter Normalarbeitszeit kann für die nach
dem Gesetz noch zuschlagsfreien „Mehrstunden“ Zeitausgleich 1:1 wirksam vereinbart werden (anders als im Metallgewerbe, wo der Zeitausgleich 1:1,5 zu geben ist, bleibt es in der Metallindustrie trotz des 50%-igen Zuschlages, so ausdrücklich der Kollektivvertrag, bei 1:1).
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Für Mehr- und Überstundenzeitausgleiche gebührt nicht das Entgelt, welches ohne Zeitausgleich für die Überstundenarbeit gebührt hätte, sondern entsprechend dem Zweck des Zeitausgleichs das im Verbrauchszeitpunkt zustehende Grundentgelt einschließlich der für
die durch den Zeitausgleich ausfallende Arbeitszeit zustehenden Zulagen; auch Letztere ge278
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Arbeitszeitgesetz (AZG)
Rz 39–42 § 10
bühren also zeitverschoben, durchschnittliches Überstundenentgelt ist jedoch nicht einzubeziehen (OGH 19.9.2002, 8 ObA 10/02g, LE-AS 10.5.5.Nr.1). Entgeltveränderungen schlagen also auf das Zeitausgleichsentgelt durch.
3. Verbrauchsfragen: Zeitpunkte, Störungsfälle
§ 10 Abs. 2 trifft zum konkreten Verbrauch von Überstundenzeitausgleich keine Aussage oder
Regelung, sondern nur zum Zeitausgleich als Abgeltungsalternative. Der Zeitpunkt des Überstunden-Zeitausgleiches ist entweder im Vorhinein zu vereinbaren oder im Anlassfall einvernehmlich festzulegen; subsidiär greift für den Abbau solcher Zeitguthaben § 19f Abs. 2
und 3. Da OGH 17.3.2004, 9 ObA 114/03k, LE-AS 10.5.5.Nr.4, durch die Neufassung des
§ 19f Abs. 2 überholt erscheint, empfiehlt es sich für Arbeitgeber, bei Zeitausgleichsvereinbarungen den Verbrauchszeitraum ausdrücklich möglichst konkret zu vereinbaren. Grundsätzlich gibt es nämlich keine einseitige Festlegung (OGH 15.4.1999, 8 ObA 273/98z,
LE-AS 10.4.2.Nr.2).
Allerdings sind nach § 19f Abs. 2 und 3 (zu Genauerem siehe die dortige Kommentierung)
zeitlich nicht bereits fixierte Zeitausgleiche – sofern der Kollektivvertrag keine abweichenden
Regelungen enthält – binnen 6 Monaten zu gewähren; bei Überstunden, die bei Durchrechnung der Normalarbeitszeit bzw. bei Gleitzeit durch Überschreitung der durchschnittlichen
Normalstunden entstehen, beginnt diese 6-Monatsfrist mit Ende des Durchrechnungszeitraumes bzw. der Gleitperiode, ansonsten mit Ende des Leistungsmonats der Überstunden. Wird
der Zeitausgleich nicht in dieser jeweiligen 6-Monatsfrist gewährt, kann der Arbeitnehmer
bei 4-wöchiger Vorankündigung den Verbrauchszeitpunkt einseitig bestimmen, sofern dem
nicht zwingende betriebliche Erfordernisse entgegenstehen, oder eine Abgeltung in Geld verlangen. Verlangt er keines von beiden, beginnt für den Zeitausgleich mangels Fälligstellung
wohl noch keine Verfalls- und Verjährungsfrist zu laufen. Arbeitgeber tun daher und auch
wegen typischerweise steigender Entgelte gut daran, auf tatsächlichen rechtzeitigen Verbrauch zu drängen.
Vorausvereinbarungen, wonach die Zeitpunkte einseitig vom Arbeitgeber bestimmbar
sind, gelten wohl nur für Zeitausgleiche im Rahmen flexibler Normalarbeitszeiten (§ 19c
Abs. 2 und 3). Für Überstundenzeitausgleiche steht einer solchen Vereinbarung wohl die relativ zwingende Wirkung des § 19f Abs. 2 und 3 AZG entgegen.
Nicht an diesen Grenzen scheitern können m.E. keinesfalls gemeinsame vereinbarte Orientierungen für den Verbrauch (z.B. bestimmte Zeitspannen im Jahr, oder bestimmte typische
Situationen). Solche haben letztlich zumindest für Fragen eventuell missbräuchlicher Einwilligungsverweigerung Bedeutung. Bei einseitiger Dienstfreistellung gilt der Zeitausgleich als
nicht verbraucht, sieht man von schikanösen oder sonst rechtsmissbräuchlichen Verbrauchsverweigerungen ab.
Erkrankungen (auch) während bezahlten Zeitausgleiches machen diesen grundsätzlich
nicht zunichte. Der konkret vereinbarte Zeitausgleich bleibt vielmehr konsumiert.
Wie schon zur vergleichbaren entgeltpflichtigen Ersatzruhe nach § 6 ARG (OGH 4.4.1990,
wbl 1990, 239 = DRdA 1991, 155; OGH 9.12.1998, 9 ObA 157/98y, RdW 1999, 546) hat der
OGH auch zu Erkrankungen in der (rechtlich dem Grunde nach vergleichbaren) Zeitausgleichsphase geblockter Altersteilzeit die Regel „Krankheit unterbricht Urlaub“ ebenfalls zutreffend auch nicht analog angewendet. Er hat sich vielmehr generell (und daher nicht auf
die Freizeitphase geblockter Altersteilzeit einschränkbar) auf den Grundsatz berufen, dass
die Arbeitsunfähigkeit mangels Arbeitspflicht keinen Einfluss auf den Zeitausgleich und
das aus der Arbeit erworbene Entgelt hat; der Arbeitnehmer ist auf keine Entgeltfortzahlung
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§ 10 Rz 43–47
Arbeitszeitgesetz (AZG)
angewiesen und kann daher auf eine solche auch nicht verwiesen werden, was bei Kürzung
oder Erschöpfung des Krankenentgeltanspruchs von Bedeutung wäre (OGH 20.12.2006,
9 ObA 182/05p, LE-AS 47.2.1.Nr.2). Was für einen im Anlassfall sogar sehr langen Krankenstand in der emotional ebenfalls sicher sensiblen langen Freizeitphase geblockter Altersteilzeit gilt, muss umso eher bei den eher kürzeren Überstundenzeitausgleichen gelten, ist doch
kein Wertungsgesichtspunkt ersichtlich, der eine abweichende Beurteilung tragen könnte.
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Gleiches wird aus denselben Gründen für sonstige Dienstverhinderungen während des
Überstundenzeitausgleichs zu gelten haben.
4. Rückumwandlungsfälle
44 Eine automatische Rückumwandlung von Überstundenzeitausgleich – je nach Variante des
gesamten oder nur des Grundstundenausgleichs – erfolgt mit Ende des Arbeitsverhältnisses
hinsichtlich noch offener Zeitguthaben bzw. Zeitausgleichsansprüche (§ 19e Abs. 1 erster Satz), unabhängig von der Art der Beendigung, also auch bei Entlassung oder ungerechtfertigtem Austritt. Gleiches gilt für den Fall der Beendigung einer Arbeitskräfteüberlassung trotz Aufrechtbleibens des Arbeitsverhältnisses (§ 19e Abs. 1 zweiter Satz).
Bei aufrechtem Arbeitsverhältnis steht dem Arbeitnehmer nach Verstreichen der Zeitausgleichsfrist des § 19f Abs. 2 das einseitige Recht zu, anstelle des Zeitausgleichs die Abgeltung in Geld zu verlangen (§ 19f Abs. 3). Dies kommt einem einseitigen Rückumwandlungsanspruch gleich.
Im Übrigen kann die Rückumwandlung des Zeitausgleichs in eine Abgeltung in Geld
selbstverständlich jederzeit einvernehmlich erfolgen.
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In allen Rückumwandlungsfällen hat die Abgeltung in Geld mit dem Entgeltwert zum
Abgeltungszeitpunkt zu erfolgen. Eine bloße Nachzahlung gewissermaßen überfälliger
Überstundenvergütung scheidet infolge zulässiger, nicht rückwirkend ungeschehen machbarer Umwandlung des ursprünglichen finanziellen Abgeltungsanspruchs in Zeitausgleich jedenfalls aus, ungeachtet der Günstigkeit oder Ungünstigkeit einer solchen Vorgangsweise.
Dies bestätigte aktuell OGH 29.6.2011, 8 ObA 4/11p, LE-AS 47.4.1.Nr.1.
IV. Verfall und Verjährung
1. Grundsätzliches
a) Überstundenentgelte
46 Die Verjährungszeit beträgt grundsätzlich drei Jahre für Entgeltansprüche und daher auch für
alle direkten Überstundenvergütungen. Sie ist durch Vereinbarung bzw. Kollektivvertrag verkürzbar, so geschehen häufig durch kollektivvertragliche Verfallsklauseln. Diese erfassen fast immer (oft auch nur) die Überstundenvergütungen. Dies mögen folgende Beispiele verdeutlichen:
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So sind bei den Industrieangestellten Überstundenentlohnungen binnen 4 Monaten nach
Leistung bzw. bei Überstundenpauschalien nach dem maßgeblichen Betrachtungszeitraum
bei der Firmenleitung geltend zu machen. Ähnlich der Gewerbeangestellten-Kollektivvertrag
(nicht erfassend aber bloße Mehrstundenansprüche, so OGH 19.6.2006, 8 ObA 44/06p,
LE-AS 49.2.1.Nr.10). Für Handelsangestellte beträgt die Verfallsfrist für Überstunden 6 Monate (bzw. 2 Monate, wenn der Arbeitgeber laufend vom Arbeitnehmer ohne Mehrbegehren
unterzeichnete Arbeitszeitaufzeichnungen geführt hat). Die Arbeiterkollektivverträge erfassen in ihren Verfallsklauseln grundsätzlich immer Überstunden. Im Metallgewerbe müssen
alle gegenseitigen Ansprüche bei sonstigem Verfall innerhalb von 4 Monaten nach Fälligkeit
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Arbeitszeitgesetz (AZG)
Rz 48–52 § 10
schriftlich geltend gemacht werden. In der Metallindustrie sind die 4 Monate von vornherein
eingeschränkt auf Überstundenentgelte. Insgesamt variieren die Regelungen sehr. So verfallen
in der Gastronomie Überstunden bereits nach 4 Monaten, beginnend nach der Lohnabrechnung über die Leistung (Auszahlungsbetrag und Zweckwidmung einwandfrei erkennbar),
bzw. nach Ende des Durchrechnungszeitraumes. Vielfach hängt der Fristenlauf von ordnungsgemäßer Lohnabrechnung ab, welche die Art der Zahlungen erkennen lässt (zuletzt OGH
15.11.2006, 9 ObA 111/06y, LE-AS 49.2.1.Nr.13, vgl. aber auch OGH 21.12.2000, 8 ObA
227/00s, LE-AS 49.2.3.Nr.4; OGH 9.5.2001, 9 ObA 92/01x, LE-AS 49.2.3.Nr.5 und OGH
5.9.2001, 9 ObA 215/01k, LE-AS 49.2.3.Nr.8); arbeitnehmerseitige Vereitelung der Abrechnung von Überstunden verhindert den Verfall aber nicht (OGH LE-AS 49.2.1.Nr.12).
Ist die Verfallsfrist extrem kurz, ist sie wegen Sittenwidrigkeit nicht wirksam. Für Überstunden wurden sogar 2 Monate als noch akzeptabel judiziert (OGH 12.7.2000, 9 ObA 166/
00b, LE-AS 49.2.1.Nr.3), allgemein sind 3 Monate unbedenklich (OGH 21.10.1999, 8 ObA
252/99p, LE-AS 49.2.3.Nr.1).
Soweit keine kollektivvertragliche oder zwingende gesetzliche Fristenregelung besteht
(Schweigen genügt nicht: OGH 2.2.2005, 9 ObA 2/05t, LE-AS 5.6.1.Nr.3 = 49.9.1.Nr.2), können dienstvertraglich Verfalls- oder Verjährungsfristen vereinbart werden (OGH
23.1.2004, 8 ObA 42/03i, LE-AS 49.9.1.Nr.1), daher auch für Überstundenentgeltansprüche.
Bei Überstundenpauschalen kann die Verfallsfrist bei Fehlen einer besonderen Regelung im Kollektivvertrag wohl immer erst ab jenem Zeitpunkt beginnen, ab welchem erkennbar ist, dass das auf meist ein Jahr abgestellte Pauschale nicht ausreicht (dies bestätigt OGH
LE-AS 16.2.2000, 9 ObA 330/99s, LE-AS 49.2.1.Nr.1 zu einer ähnlichen Problematik). Auch
bei Pauschalvereinbarungen muss der Arbeitnehmer aber seine Zusatzforderungen ausreichend konkretisieren, um sie für den Arbeitgeber überprüfbar zu machen, so OGH 22.10.2010,
9 ObA 96/10y, LE-AS 49.2.1.Nr.22.
Der Arbeitnehmer muss seine Forderungen rechtzeitig ernstlich fordern und so zureichend konkretisieren, dass der Arbeitgeber im Wesentlichen erkennen kann, welche konkreten Ansprüche (Art, Höhe) begehrt werden, damit er sie überprüfen und auch erfüllen kann
(statt vieler OGH 12.7.2006, 9 ObA 68/06z, LE-AS 49.2.1.Nr.11). Bloße Spesen- oder Kilometergeld-Abrechnungen genügen für Überstunden ebenso wenig wie die allgemeine Forderung nach Honorierung oder einem Überstundenpauschale (OGH 25.2.2004, 9 ObA 153/03w,
LE-AS 49.2.1.Nr.4). „Übergenaue“ Forderungen haben aber für den Arbeitnehmer den Nachteil, dass Vergessenes verfällt.
Bei Androhung von Kündigungen oder sonstigen Nachteilen ist die Berufung auf den Verfall sittenwidrig (OGH 28.11.2001, 9 ObA 86/01i, LE-AS 49.2.3.Nr.9). Gleiches gilt bei sonstiger Unmöglichmachung konkreter Begehren; Nichtführen von Überstundenaufzeichnungen
reichte aber bisher bei „freier“ Arbeitszeit nicht (OGH 25.2.2004, 9 ObA 153/03w, LE-AS
49.2.1.Nr.4). Nicht geführte Arbeitszeitaufzeichnungen können aber seit 2008 zur Hemmung
der Verfallsfrist bis zur gesetzlichen 3-Jahres-Verjährung führen (§ 26 Abs. 8).
Verfahren bei der Gleichbehandlungskommission, Gerichtsverfahren der Anwaltschaft
oder beteiligter Interessenvertretungen sowie die zwingende BSA-Schlichtung bei Behinderten
hemmen die Ausschluss- und Verjährungsfristen. Gleiches gilt für Wehr- oder Zivildienste
(bei Zeitsoldaten höchstens 4 Jahre) sowie für Verfahren über betriebliche Kollektivklagen oder
überbetriebliche Feststellungsanträge beim OGH (§ 54 Abs. 1 bzw. 2 ASGG), wobei dem Berechtigten nach Beendigung eines dieser Verfahren zumindest noch eine Frist von 3 Monaten
offen steht, sofern nicht die ursprüngliche Frist kürzer war. Wiedereinstellungsvereinbarungen
oder -zusagen verlängern indessen die Fristen um die Lücke (§ 9 Abs. 6 AlVG).
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§ 10 Rz 53–58
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Arbeitszeitgesetz (AZG)
Zur Hemmung der Verfallsfristen führt seit 2008 auch die Unzumutbarkeit der Stundenbestimmung infolge Fehlens von Arbeitszeitaufzeichnungen (§ 26 Abs. 8). Siehe unten
bei Pkt. 2.
b) Zeitausgleiche
54 Überstundenzeitausgleiche verjähren ebenfalls innerhalb von 3 Jahren ab Fälligkeit. Sie
unterliegen kürzeren Verfallsbestimmungen im Zweifel nicht (OGH 17.3.2004, 9 ObA 114/03k,
LE-AS 49.2.1.Nr.5), außer die kollektivvertragliche Klausel erfasst auch sie (OGH 19.6.2006,
8 ObA 44/06p, LE-AS 49.2.1.Nr.10).
55
Das Problem liegt aber in der Bestimmung der Fälligkeit von Überstundenzeitausgleichen.
Ist der Zeitpunkt des Zeitausgleichs konkret vereinbart, wird er aber nicht angetreten,
beginnt die Verjährungs- bzw. allfällige Verfallsfrist mit diesem Zeitpunkt.
56
Wurde jedoch keine zeitliche Festlegung vereinbart, greifen die Regelungen des § 19f
Abs. 2 und 3. Diese lassen jedoch offen, was gelten soll, wenn der Arbeitnehmer von seinem
Wahlrecht des Abs. 3 nicht Gebrauch macht. Heißt dies, dass die Verjährungs- bzw. Verfallsfrist mit dem Zeitpunkt des Wahlrechts zu laufen beginnt? Oder hat es der Arbeitnehmer
beliebig in der Hand, durch „Nichtstun“ (Nichtentscheidung für eine der beiden Möglichkeiten, die ihm das Gesetz als Anspruch einräumt) die Fälligkeit und damit den Beginn des
Fristenlaufs zu verhindern?
M.E. sprechen die besseren Argumente für den Zeitpunkt des gesetzlichen Wahlrechts
als Beginn des Fristenlaufs. Dass der Gesetzgeber dem Arbeitnehmer entgegen dem bisherigen
Beginn des Fristenlaufs (siehe OGH 17.3.2004, 9 ObA 114/03k, LE-AS 49.3.3.Nr.4) auch eine
willkürliche Verschiebung des Fristenlaufs von Verjährung bzw. Verfall einräumen wollte, ist
weder den Materialien zu entnehmen (danach wird nur „auf eine automatische Umwandlung
verzichtet, womit die Gefahr wegfällt, wenn auf Erklärung der späteren Inanspruchnahme vergessen wird“) noch mit dem Zweck eines einseitigen Wahlrechts zu vereinbaren; dieses zielt
ja auf Anspruchserfüllung und nicht auf Problemverschiebung.
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Sollte diese Auslegung von der Judikatur des OGH nicht geteilt werden (so vertritt Felten,
a.a.O. Grillberger, Rz. 13 zu § 19f, die Auffassung, die Frist beginne bei Vergessen erst mit
Ende des Arbeitsverhältnisses, ähnlich Ch. Klein, in Klein/Heilegger/Schwarz³, 498), wird
dem Arbeitgeber zumindest ein einseitiges Recht auf Fristbeginn durch ausdrückliche Setzung eines äußersten Verbrauchsanbots zugestehen müssen. Dem stehen auch die EB nicht
entgegen, da sie nur das bloße Vergessen schützen wollen (wenngleich auch dies angesichts
des allgemeinen Rechtsinstituts Verjährung, das auch solche Fälle erfasst, eine zumindest erstaunliche Äußerung ist), sollen nicht die Fristen entgegen ihrem Zweck völlig entwertet werden, wozu gerade bei Überstunden und damit Überstundenzeitausgleichen schon aus Beweisgründen auch kein sachlicher Anlass besteht.
2. Verfallsfristenhemmung bei Aufzeichnungsmängeln
58 Seit 1.1.2008 werden Verfallsfristen – nicht also auch die dreijährige Verjährungsfrist – ge-
hemmt, wenn wegen Fehlens von Aufzeichnungen über die geleisteten Arbeitsstunden
die Feststellung der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit unzumutbar ist (§ 28 Abs. 8). Da
die Verfallsfristen auf rasches arbeitnehmerseitiges Geltendmachen gegenüber dem Arbeitgeber abzielen, kann die Unzumutbarkeit weniger die gerichtliche Überprüfbarkeit als die
Einschätzung der Anspruchssituation („Feststellung“) durch den betroffenen Arbeitnehmer selbst betreffen. Auch hier können es nur Fälle sein, die den Nachweis unzumutbar
erschweren.
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§ 11
Werden daher zwar Arbeitszeitaufzeichnungen geführt, ist deren Führen aber vom Ar- 59
beitgeber dem Arbeitnehmer übertragen (§ 26 Abs. 2), kann sich der Arbeitnehmer daher
im Regelfall redlicherweise auf die Fristenhemmung nicht berufen, wenn er selbst die Aufzeichnungen nur unvollständig getätigt oder bei automationsunterstützten Zeiterfassungssystem außerhalb geleistete Stunden nicht geltend gemacht hat (außer der Arbeitgeber hat sein
De-facto-Interesse an der Nichtführung zu erkennen gegeben). In solchen Fällen liegt auf seiner Seite keine Unzumutbarkeit der Feststellung vor.
Fehlen indessen (vom Arbeitgeber angeordnet oder geduldet) Aufzeichnungen über- 60
haupt oder sind sie äußerst lückenhaft, wird die Hemmung i.S.d. § 28 Abs. 8 im Regelfall
greifen, außer für jene Stunden, deren Erbringung und Feststellung offensichtlich ist, wie etwa
im Rahmen von Öffnungszeiten, die etwas über der abgegoltenen Arbeitszeit liegen. Hier ist
aufzeichnungsmangelbedingte Unzumutbarkeit zu verneinen.
Je unregelmäßiger die Arbeitszeiten sind, desto eher wird die Unzumutbarkeit in solchen Fällen fehlender Aufzeichnungen zu bejahen sein.
Abschnitt 3
Ruhepausen und Ruhezeiten
Ruhepausen
§ 11
(1) Beträgt die Gesamtdauer der Tagesarbeitszeit mehr als sechs Stunden,
so ist die Arbeitszeit durch eine Ruhepause von mindestens einer halben Stunde zu unterbrechen. Wenn es im Interesse der Arbeitnehmer des Betriebes gelegen oder aus betrieblichen Gründen notwendig ist, können anstelle einer
halbstündigen Ruhepause zwei Ruhepausen von je einer Viertelstunde oder
drei Ruhepausen von je zehn Minuten gewährt werden. Eine andere Teilung
der Ruhepause kann aus diesen Gründen durch Betriebsvereinbarung, in Betrieben, in denen kein Betriebsrat errichtet ist, durch das Arbeitsinspektorat,
zugelassen werden. Ein Teil der Ruhepause muß mindestens zehn Minuten betragen.
(2) Eine Pausenregelung gemäß Abs. 1 zweiter Satz kann, sofern eine gesetzliche Betriebsvertretung besteht, nur mit deren Zustimmung getroffen werden.
(3) Bei Arbeiten, die werktags und sonntags einen ununterbrochenen Fortgang erfordern, sind den in Wechselschichten beschäftigten Arbeitnehmern anstelle der Pausen im Sinne des Abs. 1 Kurzpausen von angemessener Dauer zu
gewähren. Eine derartige Pausenregelung kann auch bei sonstiger durchlaufender mehrschichtiger Arbeitsweise getroffen werden.
(4) Arbeitnehmern, die Nachtschwerarbeit im Sinne des Art. VII Abs. 2, einer Verordnung nach Art. VII Abs. 3 und 4 oder eines Kollektivvertrages gemäß Art. VII Abs. 6 des Nachtschwerarbeitsgesetzes (NSchG), BGBl. Nr. 354/
1981, leisten, ist während jeder Nacht, in der diese Arbeit geleistet wird, jedenfalls eine Kurzpause von mindestens 10 Minuten zu gewähren. Mit dem Arbeitsablauf üblicherweise verbundene Unterbrechungen in der Mindestdauer von
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