zensierte tagesschau

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zensierte tagesschau
Liga Lauska | Projektmodul | 60 Jahre Deutschland und seine Mythen.
Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Am 23. Mai 1949 wird mit der feierlichen Unterzeichnung des Grundgesetzes in Bonn vom Parlamentarischen Rat die Bundesrepublik Deutschland gegründet. Die Gründung des gesellschaftspolitischen und
wirtschaftlichen Gegenentwurfs auf deutschem Boden, der DDR, erfolgte rund viereinhalb Monate später, am 7. Oktober.Vorausgegangen waren als wichtige Nachkriegsereignisse die Währungsreform 1948
mit der Einführung der D-Mark. Es tut sich vieles in den 50er Jahren. Die Lebensmittelmarken werden
abgeschafft, der Schwarzmarkt verschwindet, Deutschland wird Mitglied des Europarates und sogar der
NATO.
Rückblickend ist das Tempo des Wiederaufbaus unglaublich. Immerhin war das Besatzungsstatut bis
1955 gültig. Erst mit den Pariser Verträgen wurde die Bundesrepublik dann ein halbwegs souveräner
Staat, bis auf einige Vorbehalte. Zumindest im Westen. Denken Sie bitte aber auch an den 17. Juni
1953, an Hunderttausende Demonstranten in der DDR, die „Weg mit der SED-Regierung“ riefen. Das
dauerte ja dann doch noch 36 Jahre.
Am 25.Dezember 1952: Startschuss zum ersten regelmäßigen Fernsehprogramm im Westen mit „Stille Nacht, heilige Nacht“ - und nur wenigen tausend Zuschauern. Doch der Einfluss der Medien nahm
sprunghaft zu und wurde zu einem wichtigen Propagandainstrument. In Berlin fiel die Mauer nicht zuletzt
durch eine Fernsehsendung - die von der legendären Pressekonferenz mit Günter Schabowski und die
mit den Bildern vom Berliner Grenzübergang Bornholmer Straße, die die Massen in Ost-Berlin erst richtig anlockten.
Das „mediale Finale“ zeigt nur, dass die Wirkung des Massenmediums Fernsehen auch im Verhältnis
beider deutscher Staaten eine enorme Rolle spielte, sei es im „Propagandakrieg“ oder durch Informationen, die sich zum Beispiel der Zuschauer in der DDR auch ohne „Genehmigung“ der SED einfach
beschaffen konnte.
Die „Tagesschau“ wurde vermutlich - abgesehen von Funktionärs- und Soldatenfamilien - in den meisten
DDR-Haushalten gesehen, wo man Westfernsehen empfangen konnte, die östliche „Aktuelle Kamera“
war SED-zensiert und „staatsfromm“ und entsprechend langweilig - deren Sprecher waren schon aus
protokollarischen Gründen nicht zu beneiden, wenn sie bei jeder offiziellen Nachricht die vollständigen
Titel verlesen mussten wie „Der Generalsekretär des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei
Deutschland und Vorsitzende des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik, Walter Ulbricht...“. Peinliche Versprecher oder dezentes Lächeln an der falschen Stelle konnten disziplinarische
Untersuchungen zur Folge haben.
Die westdeutsche Selbstvergewisserung entfaltete sich erst allmählich und kumulativ zunächst unterhalb
der Ebene von „Meistererzählungen“ - was keineswegs heißen soll, dass es keine Mythen des Anfangs
gab. Auch hier bildeten sich kollektiv geteilte Elemente von Erzählungen aus; aber sie wuchsen langsam
und wurden weniger „von oben“ dekretiert. Vielfach kommunizierte man sie gar nicht oder nur zum Teil,
und erst im Laufe der späten fünfziger Jahre war die westdeutsche Selbstnarration komplett.
Die erste Erfahrung, die zu einem fundamentalen Baustein des westdeutschen Mythos ausgebaut wur-
de, war die Währungsreform. Unzählige Geschichten beschrieben später die Einführung des neuen
Geldes als dramatisches Wendeereignis: Bis zu diesem sagenhaften 20. Juni 1948 wird eine Zeit des
Stillstandes, des Darbens und Hungerns, der Waren- und Wertlosigkeit erinnert, dann geschah in den
Augen vieler „über Nacht“ das Wunder einer überbordenden Warenfülle. Die prall gefüllten Läden wurden zu Vorzeichen des Wirtschaftswunders, das „Kopfgeld“ versprach „Wohlstand für alle“. Die Wirklichkeit sah anders aus: Ob die neue Währung tatsächlich Zukunft garantieren würde, war im Frühsommer
1948 keineswegs abzusehen.
Das Jahr 1954 lieferte den Anlass, um die Erzählung vom Warenparadies fortzuspinnen und sie zu einer
ersten integrierenden Sentenz auszuformulieren.Der Sieg der bundesdeutschen Mannschaft bei der
Fußballweltmeisterschaft in der Schweiz gab der Genese des Mythos einen kräftigen Schub. Das „Wir
sind wieder wer“ war geboren, wobei die Werte der Fußballer von Bern als gesamtgesellschaftliche Werte kommuniziert wurden. So war es kein Zufall, dass dieser überragende sportliche Erfolg auch politisch
und ökonomisch interpretiert wurde. Mit dem Sieg wurde die Erwartung beglaubigt, dass man durch ein
gemeinsames Ziel, harte Arbeit und kameradschaftlichen Zusammenhalt zum Erfolg kommen könne.
Der Grund-Satz von 1954 hieß: „Wir sind wieder wer, weil wir gemeinsam etwas leisten.“ Die Fußballhelden von 1954 gaben ideale Identifikationsfiguren eines Mythos ab, für den ein ganzes Volk mit den
Händen arbeitete: den tragenden Mythos von der „Sozialen Marktwirtschaft“.
Das akute Mythendefizit Westdeutschlands diagnostizierten zu Beginn der fünfziger Jahre auch führende Unternehmer: Seit Ende der vierziger Jahre hatten zahlreiche altbekannte Markenprodukte mit dem
Slogan „Wir sind wieder da - in bester Friedensqualität!“ auf sich aufmerksam gemacht und die Geburt
des Weststaates unterfüttert. Eine gemeinschaftsstiftende Propaganda, welche die wirtschaftlichen
Erfolge politisch in Dienst stellte, fehlte jedoch. Daher gründeten potente Wirtschaftler eine politische Public-Relations-Organisation namens „Die Waage. Gemeinschaft zur Förderung des sozialen Ausgleichs“
und initiierten Kampagnen für die „Soziale Marktwirtschaft“. Der ungebremste wirtschaftliche Aufstieg
und die beständige Werbung für eine Gesellschaft ohne Klassenkampf, in der „alle am gleichen Strang
ziehen“, hatte Ende der fünfziger Jahre zur gültigen Ausformulierung des bundesdeutschen Mythos
geführt. Jetzt hieß der Leit-Satz: „Wir sind wieder wer, weil wir gemeinsam etwas leisten und weil wir uns
etwas leisten können.“
Zu den größten Mythen gehört die in Westen so oft propagierte angebliche Tatsache, dass der Befehl
zum Bau der Berliner Mauer aus Moskau kam. Weil wesentliche Freiheiten nicht gewährt wurden, waren
über das „Schlupfloch“ der offenen Grenze zu West-Berlin mit zuletzt dramatisch steigender Tendenz
Hunderttausende von DDR-Bürgern in den Westen geflohen. Weitere Fluchtmotive waren Zwangskollektivierung, Enteignung, Druck auf Christen, Furcht vor Repressionen und Willkürmaßnahmen sowie das
Wirtschaftsgefälle.
Zwischen 1949 und 1961 verließen etwa 2,6 Millionen Menschen die DDR und Ostberlin. Darunter
waren vor allem gut ausgebildete, junge Arbeiter und Akademiker. Zu dem immer deutlicher werdenden
Arbeitskräftemangel kam auch der Abfluss von Waren aller Art und der illegale Geldumtausch, der die
Währung schwächte. Darüber hinaus arbeiteten etwa 50.000 Ost-Berliner als sog. Grenzgänger in WestBerlin, lebten und wohnten aber zu finanziell günstigeren Bedingungen in Ost-Berlin oder im Berliner
Umland. Deshalb galt es für das SED-Regime, diese „Abstimmung mit den Füßen“ zu beenden. Die
Parteiführung traf die Entscheidung zum Bau der Mauer in erster Linie, um den schmerzlichen Verlust
an raren Arbeitskräften zu stoppen. Zum anderen zielte der Mauerbau auch darauf, den 1952 beschlossenen „Aufbau des Sozialismus“ nun ungestört fortsetzen und die dafür notwendigen unpopulären wirtschaftspolitischen Maßnahmen auf den Weg bringen zu können. Da es zur Stabilisierung des SED-Regimes keine andere Alternative gab, stimmte die sowjetische Führung dem Drängen ihrer ostdeutschen
Genossen zu. Die Errichtung der Berliner Mauer erfolgte demnach nicht auf Geheiß Moskaus. Weil die
Abwehranlagen eindeutig gegen das eigene Volk gerichtet waren, blieben alle Versuche der SED-Propaganda, die Legende vom „antifaschistischen Schutzwall“ glaubhaft zu vertreten, fruchtlos.
Es gibt noch viele andere Mythen, die in Westdeutschland herumgingen Man könnte die Liste darüber
noch eine ganze Weile fortsetzen. Zum Beispiel hieß es, dass es in der DDR keine Altersarmut gab. Tat-
sache ist aber, dass Armut in der DDR offiziell tabu war und nachhaltig verdrängt wurde. Es hieß auch,
dass die DDR ein demokratischer Staat war. Obwohl das politische System der DDR zwar formal Elemente einer bürgerlichen Demokratie enthielt, war die DDR von Anfang an ein Staat, der sich als Diktatur des Proletariats verstand und eine sozialistische Gesellschaft nach sowjetischem Modell zu verwirklichen suchte. Sowohl der Staatsaufbau als auch die Parteien und die Massenorganisationen folgten den
Prinzipien des sog. demokratischen Zentralismus. Die eigentliche Macht lag bei der kommunistischen
Partei, der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED).
Auch ein interessanter Mythos ist, dass die Planwirtschaft der DDR einen hohen Lebenstandart ermögliche. Auf dem 5. Parteitag der SED 1957 verkündete Walter Ulbricht das Ziel für die nächsten vier Jahre:
das Erreichen des westdeutschen Lebensstandards. „Überholen ohne einzuholen“ lautete die Devise.
Die Überlegenheit des Sozialismus sollte bewiesen werden. Tatsächlich blieben Versorgungsschwierigkeiten bis zum Ende der DDR ständiger Begleiter im Alltag. Aber es war eine eigene sozialistische Konsumkultur entstanden, anders, als sich das die SED-Führung ausgemalt hatte: Das Schlangestehen vor
den Geschäften gehörte ebenso dazu wie der Tauschhandel, die Eigenversorgung mit allem, was der
Kleingarten hergab, und die Verschwendung hoch subventionierter Lebensmittel wie zum Beispiel Brot,
das als Tierfutter billiger war als die Erzeugnisse der volkseigenen Futtermittelproduktion.
Die Mangelwirtschaft war das Markenzeichen von 40 Jahren Wirtschaftsentwicklung in der DDR. Auf
eine Wohnung mussten Familien in der Regel fünf Jahre lang warten, auf ein Telefon zehn Jahre, auf
einen „Wartburg“ 15 Jahre. Genussmittel wie Schokolade oder Südfrüchte waren entweder überteuert
oder gar nicht zu haben. Eine Möglichkeit, die DDR-Mangelwirtschaft zu umschiffen, war GENEX. Diese
Einrichtung des DDR-Außenhandels verkaufte gegen ausländische Valuta DDR-Waren an DDR-Bürger.
Auf diese Weise ließen sich die langen Jahre des Wartens auf einen „Trabbi“ auf wenige Wochen reduzieren, und er kostete 1977 auch nur 4.934 bis 5.102 West-Mark statt 8.500 Ost-Mark. Dessen ungeachtet existierte im Arbeiter- und Bauernstaat ein System der Sonderversorgung.
Die Mythen hörten auch nach dem Mauerfall nicht auf. Daraus resultierende gegenseitige Vorurteile
prägen bis heute die Beziehungen zwischen den Westdeutschen und den Menschen des ehemaligem
Ostblocks.
Trotz aller Mythen aber, haben die Deutschen aus dem Westen und aus dem Osten zueinander gefunden und sind Zeugnis einer erfolgreichen 60 Jährigen Geschichte Deutschlands.