Inhalt - Michael Imhof Verlag

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Inhalt
Stammbaum der Windsors seit 1714
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Voraussetzungen in England
Staatskirche und Erbstreitigkeiten
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Heinrich VIII. und die Gründung der Kirche von England
Das Erbe Heinrichs VIII.
Der englische Bürgerkrieg 1642–49
Die „Glorreiche Revolution“
Die Erbfolgeregelung im „Act of Settlement“
Die Welfen
Adelsgeschlecht mit langer Tradition
Die Welfen im Mittelalter
Das Fürstentum Calenberg
Das Kurfürstentum Braunschweig-Lüneburg (Hannover)
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15
19
25
32
38
38
41
42
Sophie von Hannover
Erste Thronerbin in England aus dem Haus der Welfen
48
Georg I.
Erster Welfe auf dem britischen Thron
58
Georg II.
Zweiter Welfe auf dem britischen Thron
68
Georg III.
Erster in England geborener Welfe auf dem britischen Thron
78
Georg IV.
Der verschwendungssüchtige König
86
Wilhelm IV.
Der „Matrosenkönig“
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I7
Das Haus Sachsen-Coburg und Gotha
„Andere mögen Krieg führen, Du glückliches Coburg heirate!“
100
Viktoria
Großmutter Europas, Königin und indische Kaiserin
110
Viktorias Kinder
Von der deutschen Kaiserin Viktoria bis zu Beatrice
als Gemahlin eines deutschen Prinzen
126
Viktoria (1840–1901) – älteste Tochter
und deutsche „Kaiserin Friedrich“
Eduard VII. (1841–1910) – Nachfolger Viktorias als britischer König
Alice (1843–78) – Großherzogin von Hessen und bei Rhein
Alfred (1844–1900) – Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha
Helena (1846–1923) – Pinzessin von Schleswig-HolsteinSonderburg-Augustenburg
Louise (1848–1939) – englische Herzogin
Arthur (1850–1942) – verheiratet mit einer Großnichte
des deutschen Kaisers
Leopold (1853–84) – verheiratet mit einer deutschen Prinzessin
Beatrice (1857–1944) – verheiratet mit einem deutschen Prinzen
und Ur-Großmutter des spanischen Königs Juan Carlos
8
I
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131
131
134
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140
142
144
146
Eduard VII.
Der Lebemann auf dem Thron
148
Georg V.
Der Bruch mit der deutschen Familie
154
Eduard VIII.
Der König für zehn Monate
160
Georg VI.
König während des Zweiten Weltkriegs
162
Elisabeth II.
Zwischen Tradition und Moderne
168
Michael Imhof und Hartmut Ellrich
Das
Haus Windsor
und seine deutsche Herkunft
DIE Royals
aus HannovER unD
sacHsEn-cobuRg & gotHa
MIcHaEl IMHof vERlag
Voraussetzungen
in England
Staatskirche und
Erbstreitigkeiten
D
Papst Clemens VII.,
Gemälde von Sebastiano del Piombo,
um 1531
as britische Haus Windsor nannte
sich – vom Haus Sachsen-Coburg
und Gotha herrührend – bis 1917
„Haus Sachsen-Coburg-Gotha“ bzw. „SaxeCoburg and Gotha“. Aufgrund des innenpolitischen Drucks im Ersten Weltkrieg, seiner deutschen Abstammung und der Verwandtschaft mit
der königlichen Familie des Deutschen Kaiserreichs änderte König Georg V. am 17. Juli 1917
die deutsche Bezeichnung des Hauses in den
heutigen Namen „Windsor“ nach der Kleinstadt
westlich von London, in der das berühmte
Windsor Castle steht – die Residenz der englischen königlichen Familie.
Die monarchischen Beziehungen zwischen
Deutschland und England begannen bereits
vor 300 Jahren, da von 1714 bis 1837 das
Kurfürstentum Hannover und das Königreich
Großbritannien durch einen König in Personalunion miteinander verbunden waren. Damals war das Haus Hannover, das englisch
„House of Hanover“ genannt wird, dem Haus
Stuart mit dem Anspruch auf den Königsthron
von England gefolgt. Wie es dazu kam, erläutert die folgende Einführung.
HEINRICH VIII.
UND DIE GRüNDUNG DER
KIRCHE VoN ENGLAND
Heinrich VIII., Gemälde
von Hans Holbein d. J.
(1498–1543), ThyssenBornemisza-Museum in
Madrid
10
I
E
inen wichtigen Aspekt der englischen
Königsherrschaft nimmt die Stellung
des Königs bzw. der Königin als oberhaupt der Anglikanischen Staatskirche – der
„Kirche von England“ („Church of England“) –
ein. Die „Kirche von England“ entstand zwar
während der Reformationszeit, ist jedoch
nicht das Ergebnis der Kritik an der Stellung
des Papstes und der römisch-katholischen Kirche, sondern war eine persönliche Entscheidung König Heinrichs VIII., der sich von der
römischen Kirche abwandte, nachdem sich
Papst Clemens VII. geweigert hatte, dessen Ehe
mit Katharina von Aragón aufzuheben.
König Heinrich VIII. (1491–1547), der seit
1509 England und ab 1541 zusätzlich über
Irland regierte, war ein gebildeter Herrscher,
der in jungen Jahren Gedichte verfasste, Musik
komponierte und mit Humanisten korrespondierte. Als junger Mann eine charismatische
und sehr sportliche Persönlichkeit, verkam er
im Laufe seines Lebens zu einem fettleibigen
und chronisch kranken Diktator, dessen Entscheidungen gegen Ende seines Lebens von
geistiger Umnachtung zeugen. Hintergrund
dieser Persönlichkeitsentwicklung war der
Heinrich über Jahre versagte Wunsch nach
einem männlichen Thronfolger.
Heinrichs erste Frau war die aus dem spanischen Königshaus stammende Katharina von
Aragón (1485–1536). Diese hatte kein einfaches Leben. Das Unglück, das sie immer wieder traf, und die Demütigungen, denen sie
ausgesetzt war, verschafften ihr Sympathien
beim englischen Volk. Als sie gerade einmal
drei Jahre alt war, beschlossen ihre Eltern,
Ferdinand II. von Aragón und Isabella I. von
Kastilien, sie mit dem nur wenig jüngeren Arthur
Tudor (1486–1502), dem Sohn des englischen
Königs Heinrich VII., dem Begründer der Tudor-Dynastie, zu verheiraten. Als beide ihren
15. Geburtstag erreicht hatten, vollzogen sie
I 11
„Act of Settlement“ – Urkunde mit dem Bildnis
Wilhelms III. von Oranien, seit 1672 Statthalter der
Niederlande und ab 1689 in Personalunion König
von England, Schottland und Irland, unterzeichnet
1701, Niedersächsisches Landesarchiv Hannover
(NLA Hannover Cal. Or. 63 Nr. 1)
Mit dem „Act of Settlement“ (zu deutsch „Grundordnung“) schuf das englische Parlament 1701 eine
neue Grundlage für die Thronfolge im Königreich
England, die eine 123-jährige Personalunion
(1714–1837) zwischen Hannover und Großbritannien begründete. Die Urkunde ist für die Geschichte
von großer Bedeutung, da sie die Welfenfamilie zu
den Herrschern über ein Weltreich machte. Darüber
hinaus wurden im „Act of Settlement“ die Rechte
des englischen Parlaments erweitert.
Im Detail sind folgende Bestimmungen im „Act of
Settlement“ festgelegt: Von der Thronfolge sind alle
Personen ausgeschlossen, die katholisch sind oder
einen katholischen Ehepartner heiraten oder geheiratet haben. Sollte ein bereits amtierender Monarch
zur katholischen Kirche übertreten, wären seine Untertanen nicht mehr an ihren Treueeid gebunden.
Gleichzeitig würde automatisch dem nächsten erbberechtigten Protestanten die Königswürde zufallen. Prinzipiell gilt, dass der englische Monarch Mitglied der Anglikanischen Kirche sein muss. Englands Beteiligung an der Verteidigung fremder, vom
König in Personalunion regierter Länder war von
der Zustimmung des Parlaments abhängig. Jeder
Reise des Königs außerhalb Großbritanniens und
Irlands hatte das Parlament zuzustimmen.
Der Einfluss des Königs auf das Parlament wurde
verringert. So war es dem Herrscher nicht mehr
möglich, Klagen des Unterhauses gegen einen
Minister abzuwehren. Personen, die ein von der
Krone bezahltes Amt ausübten, konnten kein Mitglied des Unterhauses mehr werden. Auch konnte der König keine Richter mehr absetzen, wie
dies Jakob II. 1688 tat, der zwei Drittel der Richter, die nicht seine Politik unterstützen, durch getreue Kandidaten austauschte.
Der hannoversche Kurfürst Georg Ludwig ließ
1714, als er zur Krönung nach London reiste,
insgesamt sechs prachtvolle, großformatige Urkunden, die seine Familie zwischen 1701 bis
1712 von englischen Sondergesandtschaften
überbracht bekam und mit denen die Beschlüsse des Londoner Parlaments zur welfischen
Thronfolge in England rechtskräftig wurden, in
Hannover zurück. Darunter befindet sich die
hier abgebildete Prunkurkunde.
I 35
Die Welfen
Adelsgeschlecht
mit langer Tradition
D
ie Welfen gehören zu den bekanntesten adelsgeschlechtern und sind
neben den Kapetingern das älteste
noch existierende Hochadelsgeschlecht Europas.
DIE WElfEn
I
IM
MIttElaltER
hre Herkunft lässt sich archivalisch bis ins
8. Jahrhundert zurückverfolgen. als ein
stammvater gilt der fränkische adelige Ruthard († vor dem 31. august 790), der nach der
niederschlagung des alemannischen Herzogtums durch die Karolinger das alemannengebiet nördlich des bodensees für das frankenreich neu organisierte und mehrere Klöster
gründete, darunter 748/49 das Kloster arnulfsau, das wenig später nach schwarzach am
Rhein (südlich von Rastatt) verlegt wurde.
namensgeber des Hauses ist graf Welf I., der
für das Jahr 819 belegt ist. Er muss dem karolingischen Kaiserhaus nahegestanden haben
und sehr einflussreich gewesen sein, da seine
töchter Judith (795/807–843) und Hemma
(808–876) mit den Kaisern ludwig dem frommen (778–840) und ludwig dem Deutschen
(um 806–876) verheiratet waren. Dadurch
sind die Welfen mit dem karolingischen Herrscherhaus verwandt.
1056 gründete Welf Iv., der 1070 zusätzlich
zum Herzog von bayern ernannt wurde, als
grablege das benediktinerkloster Weingarten
bei Ravensburg. Die Welfen gehörten zu diesem Zeitpunkt bereits zu einem der mächtigs-
Stammbaum der Welfen, Handschrift aus dem Kloster Weingarten, letztes Jahrzehnt des 12. Jahrhunderts, Hochschul- und Landesbibliothek in Fulda,
Handschrift D 11, fol. 13v. Der Stammbaum ist die
älteste erhaltene Darstellung eines Adelsgeschlechts.
Die Handschrift entstand vermutlich in der alten
welfischen Grablege, dem Kloster Weingarten.
Oben rechts ist die Welfin Judith, Mutter Friedrich
Barbarossas, dargestellt.
38
I
ten adelsgeschlechter im Heiligen Römischen
Reich. Deshalb standen sie in unmittelbarer
Konkurrenz mit den staufern um die Königsherrschaft. Ihren Einfluss konnten sie nachfolgend durch ihre Heiratspolitik vergrößern.
Heinrich der stolze (1102 oder 1108–1139)
regierte ab 1137 als Herzog von sachsen über
große teile norddeutschlands. 1138 war er
sogar Kandidat für die Wahl zum römischdeutschen König. um einen ausgleich zwischen staufern und Welfen zu schaffen, war
zuvor Heinrichs schwester mit friedrich von
staufen, Herzog von schwaben, verheiratet
worden, aus deren Ehe der spätere Kaiser
friedrich barbarossa hervorging. Der sohn
von Heinrich dem stolzen war Heinrich der
löwe (um 1129/35–1195), der als Herzog von
sachsen wesentlich zur Königskrönung seines
vetters friedrich barbarossa beigetragen hatte
und deshalb 1156 zusätzlich mit dem Herzogtum bayern belohnt wurde. als sein
Machtzentrum baute Heinrich der löwe die
stadt braunschweig repräsentativ aus, indem
er den neubau der stiftskirche st. blasius und
die benachbarte burg Dankwarderode in auftrag gab. Die beziehungen zwischen Heinrich
und Kaiser friedrich barbarossa waren jedoch
seit 1176 belastet. Daraus folgten 1180 die
verhängung der Reichsacht gegen Heinrich
den löwen und die Zerschlagung des Herzogtums, eine mehrjährige verbannung auf
seine mütterlicherseits ererbten Eigengüter
und der verlust des Herzogtums bayern, das
an die Wittelsbacher fiel, die es bis 1918 regierten.
oben: Krönungsbild aus dem Evangeliar Heinrichs
des Löwen, Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 105 Noviss. 2°, fol. 171v.
unten: Stammesherzogtum Sachsen kurz vor der
Zerschlagung um 1180. Neben dem Herzogtum
Sachsen regierte Heinrich der Löwe auch über
Teile Süddeutschlands als Herzog von Bayern
(Abb. Umzeichnung aus: Eduard Rothert: Kartenmaterial in Karten und Skizzen aus der Entwicklung
der größeren deutschen Staaten, Band VI des
„Historischen Kartenwerkes“, Düsseldorf 1902)
I 39
Georg I.
Georg I., Herrscherporträt von Joachim
Kayser, 1715, Oberlandesgericht Celle
links: Georg I. als König
von England, Kupferstich
von François Chereau
(1680–1729) nach Sir
Godfrey Kneller (1646–
1723), um 1714
rechts: Sophie Dorothea
von BraunschweigLüneburg, Schabkunstblatt von Christoph Weigel (1654–1725)
58
I
g
eorg I. ludwig (englisch george
louis; 28. Mai 1660 – 11. Juni 1727)
war ab 1714 als georg I. der erste
Welfe auf dem Königsthron in großbritannien
und Irland. Er begründete die Königsdynastie
des Hauses Hannover, das in Hannover bis
1866 und in großbritannien bis 1901 regierte.
Den aufstieg verdankte georg keinen besonderen eigenen leistungen, sondern dem schon
mehrfach genannten englischen Parlamentsbeschluss von 1701, der das thronfolgerecht mit
dem „act of settlement“ neu zugunsten von sophie von Hannover und ihren Erben regelte.
Eine der voraussetzungen für dieses Privileg war
der evangelisch-lutherische glaube, zu dem
sich georg ludwig bekannte. vordringlich für
die festlegung der thronfolge war die verhin-
Erster Welfe auf dem
britischen Thron
derung eines römisch-katholischen britischen
Königs nach dem tod von Königin anne und
die findung eines blutsverwandten protestantischen thronfolgers, um keine ansprüche der
römisch-katholischen stuarts zuzulassen.
als König von großbritannien tat sich georg I.
schon aufgrund der sprachlichen voraussetzungen schwer. Er sprach bevorzugt Deutsch und
französisch. letzlich führte die geringe traditionelle bindung an England dazu, dass die Monarchie ihre ansprüche teilweise an das Parlament
abgab. Während georgs I. Regierungszeit bildete sich somit das künftige englische Parteiensystem mit einem Premierminister an der spitze
heraus. Robert Walpole (1676–1745) war ab
1721 faktisch und seit 1730 auch formell der
erste Premierminister großbritanniens.
Das Haus SachsenCoburg und Gotha
„Andere mögen Krieg führen,
Du glückliches Coburg heirate!“
n
icht Kriege, sondern eine seit 1796
betriebene offensive Heiratspolitik,
verbanden im laufe des 19. Jahrhunderts die mächtigen europäischen Dynastien – von coburg ausgehend – miteinander.
Das Motto „andere mögen Krieg führen, Du
glückliches coburg heirate!“ trat mit der coburger fürstenhochzeit von 1894 besonders
vor augen, als die kleine, bis 1920 thüringische Residenzstadt für kurze Zeit zur bühne
Herzog Ernst I. von
Sachsen-Coburg und
Gotha, Lithografie
von Franz Hanf staengl (1804–77),
1841
100
I
der Weltpolitik wurde. Weniger die Hochzeit
selbst als vielmehr die illustre gästeschar um
Königin viktoria (1819–1901) als ‚schwiegermutter Europas’ war charakteristisch für die
mannigfaltigen familiären und dynastischen
beziehungen des Herzogshauses in alle Himmelsrichtungen Europas. so entstammten die
Königshäuser von belgien, Portugal, großbritannien und bulgarien in direkter männlicher
linie dem Herzogtum, während sich coburger
Prinzessinnen an der seite regierender deutscher fürsten wiederfanden und die nachkommen von coburger Prinzen und Prinzessinnen in Kaiser- und Königshäuser Europas
einheirateten, darunter das deutsche, russische und habsburgische Kaiserhaus sowie die
Königshäuser von schweden, griechenland,
spanien und norwegen. schließlich pflegte
man enge verwandtschaftliche verbindungen
nach Italien und Dänemark sowie zum französischen Haus orléans.
Den eigentlichen auftakt zu zahlreichen dieser skizzierten dynastischen verbindungen bildete das Jahr 1826, als unter der Regierung
von Herzog Ernst I. (1784–1844) das Doppelherzogtum sachsen-coburg und gotha entstanden war. Das territorium umfasste nur
rund 120 000 Einwohner und Einnahmen von
etwa einer Million gulden. Mit diesem Doppelherzogtum vereinte Ernst zwei weiterhin
Ansichtskartenmotive aus Coburg um 1900: Burg (oben) und Theater (unten)
I 101
Viktoria
Großmutter Europas,
Königin und indische Kaiserin
Seite 111:
Viktoria als Königin mit
herrschaftlichen Attributen auf dem Königsthron, lebensgroßes
Herrschaftsbildnis kurz
nach ihrer Krönung von
Sir George Hayter
(1792–1871), Gemälde
von 1840 nach einem
Vorbild aus dem Jahr
1838, Royal Collection
Trust © Her Majesty
Queen Elizabeth II
2014
folgende Doppelseite:
Krönung Viktorias in der
Westminster Abbey in
London am 28. Juni
1838, großformaties
Gemälde (2,5 x 3,8
Meter) von Sir George
Hayter (1792– 1871),
1839, Royal Collection
Trust © Her Majesty
Queen Elizabeth II
2014
(Marie Louise) Victoire
von Sachsen-CoburgSaalfeld mit ihrer Tochter, der späteren Königin Viktoria, Gemälde
von Henry Bone
(1755–1834), 1824/25
110
I
n
ach Wilhelms Iv. tod am 20. Juni
1837 wurde – da er keine legitimen
Erben hinterließ – seine 18-jährige
nichte viktoria, die einzige tochter seines
jüngeren bruders Eduard augustus, Königin
von großbritannien und Irland. Da für die
thronfolge in Hannover das welfische Erbrecht galt, das die weibliche thronfolge ausschloss, wenn im Mannesstamm der braunschweig-Wolfenbütteler Welfen ein Erbe existiert, wurde Wilhelms bruder und somit viktorias onkel Ernst august (1771– 1851) 1837
König von Hannover. Damit endete nach 123
Jahren die Personalunion der Könige von
großbritannien und Hannover. Zugleich begann mit viktorias sohn Eduard vII. im vereinigten Königreich großbritannien und Irland
die Herrschaft des Hauses sachsen-coburg und
gotha, das seitdem den britischen König beziehungsweise die Königin stellt.
Königin viktoria (24. Mai 1819 – 22. Januar
1901) regierte von 1837 bis 1901 über großbritannien und Irland und somit 63 Jahre und
sieben Monate – länger als jeder andere britische Monarch vor ihr. von 1877 bis zu ihrem
lebensende war sie zudem Kaiserin von Indien. Damit herrschte sie über ein Drittel der
Weltbevölkerung!
viktoria hatte zahlreiche nachkommen von
großer bedeutung. sie erhielt deshalb den
beinamen „großmutter Europas“. sie ist beispielsweise ururgroßmutter der britischen Königin Elisabeth II. und von deren Prinzgemahl
Prinz Philip.
Ihre Regentschaft bildet eine blütezeit großbritanniens, die nach ihr „viktorianisches Zeitalter“ genannt wird. beispiellos waren die
wirtschaftlichen und kulturellen Erfolge der
Weltmacht. Zugleich befand sich das britische
Weltreich auf seinem Höhepunkt.
KInDHEIt
K
önigin viktoria wurde am 24. Mai
1819 als alexandrina viktoria im londoner Kensington-Palast geboren. sie
war das einzige Kind des Herzogs Eduard augustus von Kent (1767–1820) – vierter sohn
von König georg III. – und der in coburg geborenen Prinzessin Marie louise victoire (englisch Mary louise victoria, 1786–1861) aus
dem Hause sachsen-coburg-saalfeld.
Eduard von Kent und victoire von sachsencoburg-saalfeld heirateten am 29. Mai 1818
Viktoria, Princess Royal,
spätere deutsche Kaiserin, Gemälde von Franz
Xaver Winterhalter
(1805–73), 1857,
Royal Collection Trust
© Her Majesty Queen
Elizabeth II 2014
Engagement ging weit über das eines vertrauten hinaus. über albert sagte er einmal,
dass er ihn wie einen sohn liebe. nur so
sind seine Erziehungsansätze wirklich erklärbar!
vIKtoRIa (1840–1901) –
ältEstE tocHtER unD
DEutscHE „KaIsERIn
fRIEDRIcH“
E
Preußisches und später
deutsches Kronprinzenpaar: Friedrich III. und
Viktoria, Doppelporträt
im Oval, Kreidelithogra fie von F. Sala & Co.,
um 1858
128
I
in überaus umfangreicher briefwechsel
zwischen Mutter und tochter dokumentiert ein sehr inniges verhältnis der
ältesten tochter Königin viktorias zu ihrer
gleichnamigen 1840 geborenen tochter. viktoria adelaide Mary louisa von großbritannien und Irland (1840–1901) heiratete 1858
den Preußen friedrich III., der 99 tage Deutscher Kaiser und König von Preußen war. sie
wurde damit Königin von Preußen und deutsche Kaiserin und wurde nach dem tod ihres
Mannes auch „Kaiserin friedrich“ genannt.
Die kleine königliche Prinzessin – offiziell „Princess Royal“ genannt –
kam am 21. november 1840
zur Welt. für die Mutter
war es zunächst eine
Enttäuschung, lediglich
ein Mädchen geboren
zu haben. Doch war
die in ihren augen
lästige dynastische
Pflicht erst einmal
erledigt. viktoria
erhielt zur unterscheidung von ihrer Mutter den Kosenamen „vicky“.
Königin viktoria zeichnete sich zwar zeitlebens durch keine allzu
große Kinderliebe aus,
doch herzlos war sie deshalb nicht. aus sorge um ihr
Kind versuchten sie und ihr Prinzge-
mahl, die kleine Prinzessin von den Einflüssen
des Hofes fernzuhalten. Das führte sehr
schnell dazu, dass gerüchte in umlauf kamen, die Prinzessin sei blind, taub und
stumm. Doch nichts davon stimmte! noch
war nicht die Zeit gekommen, in der die Königin jedes ihrer Kinder vom favorisierten und
gefragtesten europäischen Porträtmaler franz
Xaver Winterhalter in szene setzen und die
bilder von den britischen lithografen in hoher
auflage presse- und öffentlichkeitswirksam
verbreiten ließ. Dennoch öffneten die königlichen Eltern ihren gästen das Kinderzimmer
und präsentierten ihre tochter, die sich als
temperamentvolles, aufgewecktes und hübsches Kind mit schneller auffassungsgabe herausstellte. bei unterforderung und langeweile
bekam sie Zornausbrüche. Heute würde man
sie als hochbegabt bezeichnen! sie brachte
sich selbst das lesen bei und wurde vom 14. bis
17. lebensjahr von ihrem vater unterrichtet.
sie liebte es zu zeichnen, was sie bis ins hohe
alter tat. sie hielt sich gerne in der freien natur auf und liebte gärten und gärtnern wie
ihr vater albert.
Mit zehn Jahren lernte sie ihren späteren Ehemann kennen, der sie in den folgejahren häufiger besuchte. nach bekanntwerden der verlobung kritisierte die „times“, dass die Kronprinzessin damit einer „minoren europäischen
Dynastie ausgeliefert“ würde, denn das blatt
hatte die Möglichkeit einer späteren deutschen Kaiserin noch nicht in betracht ziehen
können, stattdessen nur das Haus Preußen im
blick. folglich ein klarer abstieg aus den augen britanniens! Davon unbeirrt heiratete viktoria am 25. Januar 1858 in london im alter
von gerade 17 Jahren den gutaussehenden
preußischen Kronprinzen friedrich. Die feierlichkeiten fanden im londoner st. James’s
Palast statt. Die brautleute waren auch politisch auf einer Wellenlänge, dachten liberal
und führten eine glückliche Ehe.
Zwischen 1859 und 1872 bekam viktoria mit
steter Regelmäßigkeit alle zwei Jahre ein Kind.
Die geburt des ältesten sohnes Wilhelm (II.)
am 27. Januar 1859 war besonders schmerzvoll, da das Kind mit geburtsschäden zur
Welt kam: lähmung des linken armes und
Alice-Denkmal auf dem
Wilhelminenplatz in
Darmstadt von 1902
frauenrechtlerin und schriftstellerin luise
büchner (1821–77), in Darmstadt den Kranken- und armenpflegeverein, der den namen
der nachmaligen großherzogin erhielt. aus
diesem überkonfessionellen alice-verein für
Krankenpflege ging die freie alice-schwes ternschaft hervor. 1872 fand auf alices Einladung in Darmstadt die erste „generalversammlung deutscher frauen- und Erwerbsvereine“
statt. Ein wichtiges thema bildete dort die
frauenerwerbsarbeit bei der Post, dem telegraphendienst und der Eisenbahn. nach dem
tödlichen fenstersturz ihres jüngsten sohnes
friedrich (1870–73) – er starb infolge der Hämophilie an inneren blutungen – übersetzte
alice octavia Hills abhandlung „on the
Homes of the london Poor“ ins Deutsche.
In ihrer stellung zum preußischen Ministerpräsidenten otto von bismarck hatte alice
vor dem Deutschen Krieg von 1866 eine Weile geschwankt. Ihre Hoffnung auf die preußische führung in Deutschland blieb davon jedoch unberührt, im gegenteil: Zusammen mit
ihrem Ehemann ludwig begann sich vor 1870
der Darmstädter Hof zum sammelpunkt der
deutschen Einigungsbestrebungen zu entwickeln.
1877 wurde alice an der seite ludwigs Iv.
großherzogin von Hessen. Ihren Plan zur Errichtung einer Künstlerkolonie in Darmstadt
konnte sie bereits nicht mehr umsetzen, denn
ihre Kinder erkrankten 1878 an der Diphterie.
Erst 1891 gelang es Emil adolf bering (1854–
1917) zwei an der Diphterie erkrankte Kinder
durch ein gegengift zu heilen, dessen großproduktion (Diphterieheilserum) ab 1894 für
alice und ihre familie zu spät kam. an den
folgen der tückischen Infektionserkrankung
verstarb alice am 14. Dezember 1878 in
Darmstadt. Es war zugleich der todestag ihres
vaters albert. Ihre letzte Ruhe erhielt sie im
Mausoleum der großherzoglichen familie auf
der Rosenhöhe in Darmstadt. am 12. september 1902 wurde ihr zu Ehren das von ihrem ältesten sohn großherzog Ernst ludwig
(1868–1937) initiierte und von ihm in auftrag
gegebene alice-Denkmal auf dem Darmstädter Wilhelminenplatz eingeweiht. Das in form
eines obelisken errichtete und mit Jugendstilornamenten geschmückte Denkmal wurde
vom bildhauer ludwig Habich (1872–1949),
dem Münchener bildhauer franz Rank und
dem architekten und Darmstädter Regierungsbaumeister adolf Zeller geschaffen. Habich
hatte die Darmstädter Künstlerkolonie mitbegründet.
alfRED (1844–1900) –
HERZog von sacHsEncobuRg unD gotHa
a
Zar Nikolaus II. mit seiner Gattin Alix von Hessen-Darmstadt (Tochter
von Alice) und vier (von
fünf) gemeinsamen Kindern, Foto von 1901
134
I
lfred Ernest albert war das vierte
Kind von Königin viktoria und Prinzgemahl albert – zugleich der zweite
sohn des Paares. anders als seine geschwister
wurde er am 6. august 1844 nicht im buckingham-Palast, sondern als einziges Kind in
Windsor castle geboren. Wie seine geschwister erhielt der als temperamentvoll, unerschrocken und risikofreudig geschilderte alfred eine sorgfältige Erziehung und ausbil-
dung. sein schlafraum glich einer schiffskajüte, da er von klein auf an schiffen und
seeschlachten, aber auch an der großen weiten Welt Interesse zeigte. In seinen gedanken
reiste er bereits auf globen und landkarten
weit über großbritanniens grenzen hinaus.
als zweitgeborener sohn sollte er seinem onkel Ernst II., bruder seines vaters albert, als
Herzog von sachsen-coburg und gotha nachfolgen, da dessen Ehe mit Prinzessin alexandrine von baden (1820–1904) kinderlos geblieben war. vater albert bereitete den Prinzen
daher gut auf seine Rolle in thüringen vor.
Ernst erhielt in abständen nachrichten über
die schulischen fortschritte des königlichen
Zöglings. lieber wäre es Ernst II. gewesen,
wenn alfred von vornherein seine ausbildung
zumindest teilweise in Deutschland erfahren
hätte. Er erhielt aber ab 1852 eine ausbildung
bei der königlichen Marine. 1893 erreichte er
in der Royal navy als großadmiral den höchsten Dienstgrad. Die Kriegsmarine war es auch,
die ihn, nicht zuletzt in seiner Eigenschaft als
Mitglied des Königshauses, durch die Welt
führte.
bereits 1862
wählte ihn
das griechische Parlament zum
neuen König.
Da
hatte König otto,
der bruder
König ludwigs I. von bay-
Die Königskinder Alfred
und Alice mit dem Säugling Helena, Aquarell von
Franz Xaver Winterhalter
(1805–73), 1847,
Royal Collection Trust
© Her Majesty
Queen Elizabeth II
2014
Alfred, 1852,
Lithografie
von Thomas
Fairland (um
1804–52)
nach einem
Gemälde von
Franz Xaver Winterhalter (1805–73)
I 135
Georg V.
Georg V. als Kind, Foto
von 1870
g
eorg v. (englisch george; 3. Juni
1865 – 20. Januar 1936) trat ab
1910 die nachfolge seines vaters
Der Bruch mit der
deutschen Familie
als König des vereinigten Königreichs von
großbritannien und Irland (seit 1927 nordirland) und als Kaiser von Indien an. Der in
london geborene „Prince george frederick Ernest albert“ war der erste britische König seit
1714, der ein akzentfreies Englisch ohne deutschen Einschlag sprach.
In seine Regierungszeit fiel der Erste Weltkrieg
(1914–18), mit dem die aufs engste verwandten
Deutschen aus dem Haus sachsen-coburg und
gotha zu militärischen feinden wurden. Dabei
war georg v. cousin sowohl des deutschen
Kaisers Wilhelm II. als auch des russischen
Zaren nikolaus II., mit dem eine äußerlich
große ähnlichkeit bestand.
georg v. war es, der aus dem deutschen fürstenhaus sachsen-coburg und gotha das britische Haus Windsor machte! Er änderte den
titel „Haus sachsen-coburg-gotha“ beziehungsweise „saxe-coburg and gotha“ aufgrund des innenpolitischen Drucks im Ersten
Weltkrieg, seiner deutschen abstammung und
der verwandtschaft mit der königlichen familie
des Deutschen Kaiserreichs am 17. Juli 1917 in
den heutigen namen „Windsor“ um, benannt
nach der Kleinstadt westlich von london mit
dem berühmten Windsor castle.
DIE ZEIt
D
als
KRonPRInZ
er am 3. Juni 1865 als george frederick Ernest albert von sachsencoburg und gotha geborene spätere König georg v. war bei seiner geburt nur
der zweitälteste sohn von Eduard vII. für ihn
stand nicht der thron, sondern eine Marinekarriere im blickpunkt der ausbildung, und
so wurde er von seinen Eltern auf eine mehr-
154
I
Vier Generationen –
Königin Viktoria,
Eduard VII., Georg V.
und dessen Sohn, der
spätere Eduard VIII.,
Foto um 1900
I 155
Georg VI.
König während
des Zweiten Weltkriegs
v
öllig unerwartet wurde der zweitgeborene sohn georgs v. 1936 auf
den englischen thron berufen. als
georg vI. (englisch george, 14. Dezember
1895 – 6. februar 1952) ging der vater der
heutigen Königin Elisabeth II. in die geschichtsbücher ein. geboren wurde er am
14. Dezember 1895 in york cottage auf dem
gelände von sandringham House in der grafschaft norfolk. Es war der 34. todestag seines
urgroßvaters Prinzgemahl albert. Drei Monate später wurde der Junge daher als albert
frederick arthur george getauft, gerufen wurde er liebevoll „bertie“. von seiner noch immer regierenden urgroßmutter Königin vikto-
von links nach rechts:
der spätere Georg V.,
der spätere Eduard VIII.,
der spätere Georg VI.
und Eduard VII.
um 1908
162
I
ria erhielt er eine büste ihres Prinzgemahls
als taufgeschenk.
DIE ZEIt
g
als
KRonPRInZ
eorg, der bis zu seiner thronbesteigung „albert“ hieß, erhielt eine
strenge viktorianische Erziehung, die
dem scheuen Knaben sehr zusetzte. Die Rolle
der Mutter Maria war anders als heute üblich
sehr zurückhaltend, und so lag die Erziehung
weitgehend in den Händen von gouvernanten
und Hauslehrern, während der vater selbst eher
durch strenge auffiel. Die Erziehungsmethoden
beförderten nicht die begabungen des zurückhaltenden Jungen, sondern führten dazu, dass
albert zu stottern begann, ein umstand, der
ihm zeitlebens schwierigkeiten bereiten sollte.
auch wurde der linkshänder zum Rechtshänder umerzogen. albert war damit nicht allein,
sondern litt gemeinsam mit seinem älteren bruder Eduard, so dass beide von Kindheit an ein
sehr enges verhältnis zueinander entwickelten.
Mit der thronbesteigerung des vaters georg v.
wurde Eduard zum thronfolger und Prince of
Wales, während für „bertie“ feststand, dass er
niemals König werden wollte.
traditionsgemäß waren ihm eine militärische
Karriere und der titel eines Herzogs von york
vorbehalten. bei der Marine – er trat 1909 im
alter von 13 Jahren bei der Royal navy ein –
erwies er sich als untauglich, da er unter gesundheitlichen beschwerden litt, die eine operation nach sich zogen. allerdings absolvierte
er bei der Marine seine theoretische und praktische ausbildung, die ihn 1913 zunächst auf
das Kadettenschulschiff cumberland und im
anschluss auf das schlachtschiff HMs collingwood führten. aufgrund seiner stellung als
nummer zwei in der Reihe der thronfolger
musste er sich aus direkten kriegerischen Handlungen des mittlerweile ausgebrochenen Ersten
Weltkriegs heraushalten. Dennoch nahm er im
sommer 1916 als beobachter an der seeschlacht im skagerrak teil.
1918 wechselte er als leutnant zur Royal air
force, wo er noch vor seinem älteren bruder
Eduard 1919 als erstes Mitglied der königlichen
familie die Pilotenprüfung ablegte. Er begründete damit eine tradition, die die königlichen
Prinzen des Hauses Windsor bis heute fortführen. Ein gutes beispiel ist Prinz andrew (* 1960),
der Enkel georgs und wiederum zweitgeborene
sohn von Königin Elisabeth II.
In der folge studierte albert am ehrwürdigen
trinity college der universität von cambridge
geschichte, Jura und Wirtschaftswissenschaften. Privat liebte er eher den Rückzug in die
natur, ging angeln, auf die Jagd oder spielte
tennis.
anlässlich eines besuchs in Deutschland traf
er anfang der 1920er Jahre in bonn auf seine
deutsche verwandte viktoria, schwester Kaiser
Wilhelms II., im bonner Palais schaumburg,
dem nachmaligen sitz des bundeskanzlers der
bundesrepublik Deutschland. Mit blick auf die
antideutsche stimmung in großbritannien verlief das gespräch vor ort eher frostig. Während
sich viktoria nach georg v. und seiner familie
erkundigte und der Hoffnung ausdruck verlieh,
dass die verwandten dies- und jenseits des ärmelkanals doch wieder freunde werden mögen, erklärte albert höflich, dass das auf viele
Jahre nicht möglich sein würde.
offizielle auftritte waren für den stotternden
Herzog eine Qual, die ihn schließlich eine
sprachtherapie absolvieren ließ. Der therapeut
lionel logue betreute den Herzog und späteren
König und bereitete ihn auf seine ansprachen
gezielt vor.
Im Jahr 1923 heiratete der Herzog von york
die vierte und jüngste tochter des 14. Earl of
strathmore und Kinghorne, die er drei Jahre
zuvor auf einem ball kennengelernt hatte. Es
war Elizabeth bowes-lyon (1900–2002), die
nachmalige und in großbritannien bis zuletzt
höchst populäre „Queen Mum“. lady Elizabeth
war eine nachfahrin König Heinrichs vII., galt
jedoch vor den strengen Hausgesetzen der
Windsors als bürgerliche. Dabei stammte sie
aus einem der ältesten adelsgeschlechter
schottlands. Die trauung erfolgte am 26. april
1923 in der Westminster abbey.
am 21. april 1926 wurde die älteste tochter Elisabeth geboren, vier Jahre später, am 21. august
1930, ihre schwester Margaret Rose († 2002).
Georg VI., offizielles
Hofporträt um 1940
I 163
Elisabeth II.
Zwischen Tradition und Moderne
a
Elisabeth in der AuxiliaryTerritorial-Service-Uniform, das heißt als Mitglied der Frauenabteilung
des britischen Heeres
während des Zweiten
Weltkriegs, April 1945
168
I
ls georg vI. am 6. februar 1952 starb,
wurde seine älteste tochter Elisabeth
mit 26 Jahren Königin und oberhaupt
des commonwealth. Ihre Krönung am 2. Juni
1953 wurde zum medialen großereignis, das
über 300 000 Menschen vor dem fernseher verfolgten. Es war die erste Krönung, die überhaupt
im fernsehen übertragen wurde. Die ungeheure
Popularität nährte die Hoffnung auf ein neuerliches, elisabethanisches Zeitalter. Das eduardianische war ja die letzte große Epoche nach der
langen Herrschaft von Königin viktoria gewesen.
statt aufstieg blieb am Ende aber nur der abschied von der Rolle als Weltmacht, bei der es
Elisabeths II. Rolle war, der auflösung des britischen Empires mit Würde vorzustehen.
KInDHEIt
a
unD JugEnD
m 21. april 1926 wurde Elizabeth
alexandra Mary in london im vornehmen stadtteil Mayfair im Haus ihres
großvaters mütterlicherseits – des schottischen
grafen claude bowes-lyon, 14. Earl of strathmore und Kinghorne – geboren und am 29. Mai
gleichen Jahres in der Privatkapelle des buckingham-Palastes getauft. Zu den Paten gehörten
unter anderem ihre Eltern Prinz albert, Herzog
von york, und dessen frau Elizabeth, Prinzessin
Mary als tante väterlicherseits bzw. Mary Elphinstone als tante mütterlicherseits. Der name
alexandra geht auf Elisabeths urgroßmutter
alexandra von Dänemark zurück, die im Jahr
vor ihrer geburt gestorben war. als Kind erhielt
Elisabeth den namen „lilibet“, der unter den
engsten familienangehörigen bis heute in gebrauch ist. bereits als kleines Kind wurde Elisabeth als vernünftig und artig beschrieben. Winston churchill, der nachmalige englische Premier,
charakterisierte sie im alter von zwei Jahren bereits als nachdenklich und zwar in einer für ein
Kind ungewöhnlichen art und Weise. Im alter
von zehn Jahren, als ihr vater König wurde,
rückte sie an die zweite stelle der thronrangfolge, so dass genügend Zeit blieb, sie als künftige
Monarchin vorzubereiten.
Mit ihrer vier Jahre jüngeren schwester Margaret
wurde Elisabeth zuhause unter der aufsicht ihrer
Mutter und der schottischen gouvernante Marion crawford unterrichtet. Im Mittelpunkt standen
geschichte, literatur, Musik und sprachen, darunter französisch, das sie fließend beherrscht.
Religionsunterricht erteilte ihr der Erzbischof von
canterbury. Marion crawford veröffentlichte 1950
ohne Erlaubnis des Königshauses eine biografie
über die Prinzessinnen, in der sie Elisabeths faible
für Hunde und Pferde und ihre verantwortungsbereitschaft hervorhob. Zu ihrer ausbildung gehörte ferner ein studium der verfassungsgeschichte und der Rechtswissenschaften. Darin wurde
sie durch Henry Marten, stellvertretender schulleiter des Eton college, unterrichtet.
Den Kontakt mit gleichaltrigen stellte die 1937
eigens gegründete Pfadfinderinnengruppe her,
die aus Kindern von angehörigen des Hofstaates
und angestellten des Palastes bestand. Zwei Jahre später verliebte sie sich in ihren künftigen
Ehemann Prinz Philip von griechenland und
Dänemark, den sie 1934 erstmals getroffen hatte. beide sind über die gemeinsame zweifache
urgroßmutter viktoria miteinander verwandt –
als cousin und cousine dritten grades.
nach ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurden
Pläne laut, die Königskinder außer landes zu
bringen, doch niemand hatte mit der Entschlossenheit der nachmaligen Queen Mum gerechnet.
sie soll gesagt haben: „Die Kinder werden nicht
ohne mich gehen. Ich werde nicht ohne den König gehen. und der König wird niemals gehen.“
Die familie blieb folglich im land – ein symbol
des nationalen Widerstandes. Elisabeth und Margaret lebten zunächst bis Weihnachten 1939 im
schottischen schloss von balmoral, danach in
sandringham House und von Mai 1940 bis zum
Kriegsende in schloss Windsor. Hier führten die
Prinzessinnen an Weihnachten auch komödiantische theaterstücke auf, deren Erlös dem Wollefonds der Königin zugute kam. Daraus wurden
garne angekauft, die zur Herstellung von Militärbekleidung notwendig waren.
am 13. oktober 1940 hielt Elisabeth in der sendung „children’s Hour“ („Kinderstunde“) der
bbc ihre erste Rundfunkansprache, um sich an
evakuierte Kinder ihres alters zu wenden. von
februar 1945 an diente sie in der frauenabteilung des britischen Heeres. beim sogenannten
auxiliary territorial service (ats), der frauenabteilung des britischen Heeres während des Zweiten Weltkriegs, leistete sie ihren Dienst als Elizabeth Windsor und wurde zur lKW-fahrerin
und Mechanikerin ausgebildet. auch übernahm
sie mehr und mehr aufgaben ihres bereits
schwerkranken vaters.
HocHZEIt
1947
heiratete Elisabeth
Prinz Philip von
griechenland und
Dänemark (* 1921). aus der Ehe gingen vier
Kinder hervor: charles (* 1948), anne (*1950),
andrew (* 1960) und Edward (* 1964). bereits
die verlobung war nicht unumstritten, da Philip kein vermögen besaß und, wenngleich
britischer staatsbürger, deutsche Wurzeln hatte. außerdem waren seine geschwister wiederum mit deutschen adeligen verheiratet.
1947 waren dies keine guten ausgangsbedingungen für eine Ehe Philips mit der englischen
Krönungsporträt
Elisabeths II. mit ihrem
Gemahl Philip, dem
Duke of Edinburgh,
Juni 1953
I 169