Die Crowd in der Medienproduktion - Liebe Surferin, lieber Surfer

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Die Crowd in der Medienproduktion - Liebe Surferin, lieber Surfer
No. IV / 2013
ONLINE-ZEITSCHRIFT FÜR WISSENSCHAFT UND PRAXIS
edienproduktion
Die Crowd in der
Medienproduktion
Inhalt
Editorial
von Oliver Klosa
3
Augmented Reality und Printmedien
von Marion Rose und Dominic Fehling
4
Fernsehen trifft Social Media
Was Social TV für Produktionsunternehmen bedeutet
von Beate Schneider und Christopher Buschow
7
Zukunft des Fernsehens
Goldene Zeiten trotz Umbruch?
von Bertram Gugel
10
Filmproduktion 2.0
Potentielle Einflüsse auf Content, Technik & Organisation durch die externen Faktoren
Crowdfunding & Crowdsourcing
von Carlo Märzke und Marius Lohmann
12
Die Produktion barrierefreier Filme
Ein Interview mit Fabian Schmidt
von Katja Nörthen
21
Metadaten als Erfolgsfaktor in der Medienproduktion
Automatische Erschließung von Multimedia-Daten mit MediaGrid-Technologien
von Sebastian Kirch und Michael Eble
23
Impressum
26
2
Editorial
von Oliver Klosa
Dipl.-Medienwiss.
Oliver Klosa
Liebe Leserinnen und Leser,
Social TV, Crowdfunding und Crowdsourcing haben
in den letzten Jahren vermehrt eine Rolle in der
Medienproduktion gespielt. Das Ziel ist dabei die
Einbindung einer Crowd – oder auch Community
genannt – in den Produktionsprozess, d. h., Nutzer
können vor, während und nach einer Produktion in
einen kommunikativen Austausch mit den Produzenten treten. Vor allem Film- und Fernsehproduktionen versuchen sich beispielsweise über Crowdfunding zu finanzieren oder durch Social Media eine
inhaltliche Beteiligung zu ermöglichen. Deshalb
setzen wir in dieser Ausgabe unseren Schwerpunkt
auf das Thema: Die Crowd in der Medienproduktion.
Im Zuge dessen widmen sich Bertram Gugel,
Christopher Buschow und Beate Schneider in ihren
Beiträgen dem Fernsehen und dessen künftige
Weiterentwicklung. Jedoch verfolgen die Autoren
unterschiedliche Positionen. Während Bertram
Gugel in seiner Beschreibung zur Zukunft des
Fernsehens die Integration der Nutzer und die Entstehung neuer möglicher Szenarien in den Vordergrund stellt, legen Christopher Buschow und Beate
Schneider ihren Fokus auf die Anforderungen und
Herausforderungen für Produktionsunternehmen,
wenn Fernsehen auf Social Media trifft.
In ihrem Beitrag Filmproduktion 2.0 setzen sich
Carlo Märzke und Marius Lohmann mit Crowdfunding und Crowdsourcing als externe Faktoren in
der Filmproduktion auseinander. Dabei erörtern sie
auf Basis von verschiedenen Crowdfunding- und
Crowdsourcing-Plattformen, welchen Einfluss diese
beiden Faktoren auf den Content, die Technik und
die Organsiation nehmen können und leiten daraus
Chancen und Risiken für die Filmproduktion ab.
Neben dem Schwerpunktthema wird die Ausgabe
noch durch weitere Beiträge angereichert. So beschreiben Dominic Fehling und Marion Rose das
Verhältnis von Augmented Reality und Printmedien. In diesem Zusammenhang gehen sie auf den
Begriff Augmented Printing ein und stellen dabei
die Anforderungen an die Medienproduzenten und
-produktion heraus.
Sebastian Kirch und Michael Eble führen mit ihrem
Beitrag Metadaten als Erfolgsfaktor in der Medienproduktion in MediaGrid-Technologien ein. Aufgrund dieser Technologien zeigen sie auf, wie Multimedia-Daten automatisch erschlossen und wie
sie in die Medienproduktion eingebunden werden
können.
Darüber hinaus interviewten wir Fabian Schmidt
zum Thema barrierefreie Filme. Hierbei geht er insbesondere auf die Produktion sowie auf die Anforderungen, die solche Filme beinhalten, ein.
Nun wünschen wir Ihnen viel Freude beim Lesen
unserer aktuellen Ausgabe.
Ihr Oliver Klosa
3
Augmented Reality und Printmedien
von Marion Rose und Dominic Fehling
Dipl. Psych.
Marion Rose
M.Sc.
Dominic Fehling
Der Tod der Printmedien wurde in den letzten
Jahren mehrfach prognostiziert, und tatsächlich
scheint es – mit Blick auf rückläufige Auflagen,
abwandernde Abonnenten und schwindende
Werbeeinnahmen – schwer eine optimistische
Grundhaltung zu bewahren. Und doch gibt es immer
wieder interessante Ansätze zur Modernisierung
des Printmediums, die dessen besonderen Stärken
– Tangibilität, Glaubwürdigkeit und Reader Engagement – hervorheben. Ein solcher Ansatz kann in der
Verknüpfung des physischen Printmediums mit der
digitalen Welt erkannt werden.
Neben Azumas (2001) Charakterisierung von
AR – die AR als eine interaktive und in Echtzeit
ablaufende Kombination von in Relation
zueinander stehenden realen und virtuellen Inhalten
beschreibt – ist eine Typisierung mit Bezug auf
primäre Anwendungsfälle möglich. Auf diese Weise
kann zwischen einer orts- und einer objektbasierten
Erweiterung der Realität unterschieden werden.
1. Augmented Reality – Ein Überblick
Augmented Reality (AR) kann in diesem Kontext
ein effektives Instrument sein, um Leser zu
aktivieren und zu engagieren sowie das statische
Medium Papier durch innovative und kreative
Lösungen crossmedial anzureichern und um
dynamische Inhalte zu erweitern.
Augmented Reality bezeichnet dabei die
Erweiterung der Realität um virtuelle Inhalte.
Weitläufig bekannt sind Einblendungen im
Fernsehen, z. B. der Abseitslinie im Fußball.
Mit der Verbreitung leistungsfähiger Smartphones und Tablets dringt auch die AR in das
alltägliche Umfeld, sodass die Realität beim Blick
durch das mobile Endgerät – um digitale Inhalte
erweitert – erlebt werden kann.
Ortsbasierte AR nutzt die in mobilen Endgeräten
verbauten Sensoren zur Ortung des Nutzers und
zur Bestimmung seiner Blickrichtung. Auf diesen
Daten aufbauend werden relevante Points of
Interest aus dem Umfeld des Nutzers bestimmt,
und – ausgerichtet an der Realität – über dem in
Echtzeit dargestellten Videobild des Endgeräts
dargestellt.Vertreter dieses AR-Typs können in
Junaio, Layar und Wikitude identifiziert werden.
Für die Printproduktion interessanter ist die
objektbasierte
AR,
bei
der
die
zur
Augmentation bestimmten Daten nicht über
den räumlichen Kontext, sondern durch die
visuelle Identifikation von Mustern bestimmt
werden. Durch Marker- oder Bilderkennung
identifizierte Muster können im Anschluss
genutzt werden, um Aktionen auszulösen –
z. B. zur Darstellung von multimedialen Inhalten.
Abb. 1: Ortsbasierte AR, Modelldarstellung
4
Abb. 2: Objektbezogene AR, Modelldarstellung
2. Augmented Printing
3. Augmented Printing in der Medienproduktion
Augmented Printing (AP) wird hier als Oberbegriff
des AR-Einsatzes für alle Formen der Erweiterung
des Printmediums verwendet. Eine Typisierung des
Augmented Printing kann wie folgt vorgenommen
werden:
Jess Butcher, Gründungsdirektorin und CMO der
AR Plattform blippar.com, bezeichnet den Einsatz
von AR in Printmedien als „Harry Potterification“
[5], da wie im namensgebenden Werk Kunstwerke
und Drucksachen zum Leben erweckt werden
– auch wenn in der Realität noch Smartphones
und Tablets benötigt werden um dies sichtbar zu
machen. Den Mehrwert von AP sieht Butcher vor
allem in zusätzlichen digitalen Informationen,
Entertainment oder auch in schnellen Interaktionsmöglichkeiten wie die oben aufgeführten Beispiele
zeigen. Auch die Aktualität von Printprodukten
kann erhöht werden, indem die digital hinterlegten
Informationen regelmäßig angepasst werden,
was beispielsweise bei Katalogen interessant
ist, indem zeitlich befristete Angebote oder neue
Varianten digital angepasst werden können, das
Ausgangsmedium „Printkatalog“ aber unverändert
bleibt.
2.1 AP in Advertising
Mit AP wird Printwerbung um eine neue Dimension
der Kundenansprache ergänzt und kann so zur
Aktivierung des Lesers beitragen, sodass Aktionen
– wie die Interaktion mit virtuellen Objekten über
einen Website-Aufruf – häufiger ausgelöst werden
als durch konventionelle Anzeigen [1]. Dass diese
Interaktion mit der Werbung neben positiven Effekten
aufs Branding auch zu Mehrwerten beim Kunden
führen können, zeigt IKEAs 2014er Katalog, der es
Kunden ermöglicht, Möbel vor dem eigentlichen Kauf
in der eigenen Wohnung virtuell zu positionieren.
2.2 AP in Entertainment
In Büchern erzählte Geschichten werden im
Geiste der Leser durch individuell konstruierte
Abbildungen von Personen, Objekten und Räumen
zum Leben erweckt. AP greift der eigenen Fantasie
vor, indem statischen Texten durch dynamische
Inhalte zusätzliches Leben eingehaucht wird – z. B.
bei literarischen Klassikern wie Moby Dick [2] oder
interaktiven Spielumgebungen wie dem Wonderbook [3].
2.3 AP in Education
Bis jedes Kind statt mit Büchern mit einem Tablet
lernen wird, dürfte noch einige Zeit vergehen.
Schulbuchverlage können durch AP aber schon
heute Mehrwerte schaffen, die das konventionelle
Lernen um eine neue Dimension erweitern, indem
z. B. neben dem gedruckten Wort im EnglischLehrbuch auch das gesprochene Wort eingebunden
wird [4]. Multimodale und multimediale didaktische
Lerninhalte können so zu neuen Lehr- und
Lernformen führen.
Aber auch die digitalen Medien profitieren vom
Augmented Printing, beispielsweise durch das
vergleichsweise hohe Reader Engagement. Dabei
kann das erweiterte Printmedium eine „PushWirkung“ entfalten, die den potenziellen Kunden
initial aufmerksam macht und anschließend in
ein digitales Angebot überführt. Daraus ergeben
sich Synergien zwischen AR und Printmedien, die
Medienproduzenten strategisch nutzen können.
3.1 Anforderungen an Medienproduzenten
Insbesondere einige Verlage haben bereits
positive Erfahrungen mit AR in Printmedien
gemacht. „First-Mover“ warnen aber vor „OneShot-Aktionen“, die sowohl bei Lesern schnell
in Vergessenheit geraten, als auch einen hohen
Aufwand für Konzeption, Projektmanagement,
Investitionen in die Medienproduktion und
Marketing auslösen, der sich aber nur
langfristig rechnet.
5
Vor diesem Hintergrund muss die Konzeption von
Augmented Print Projekten besonders sorgfältig
geplant werden. Zielgruppen- und Machbarkeitsanalysen sind ebenso notwendig wie die
Analyse und Auswahl der Partner für die Medienund Inhaltsproduktion, mit besonderem Blick auf die
Erstellung von multimedialen, dynamischen und
interaktiven Inhalten.
3.2 Anforderungen an die Medienproduktion
Der Wandel von einer reinen Print- in eine Medienproduktion erfordert dabei ein gewisses Umdenken
in der Prozessorganisation. AP stellt sowohl auf
Seiten der Inhaltsproduktion (3D-Modelle, Animationen, etc.) als auch auf Seiten der Verknüpfung
des physischen Printmediums mit den virtuellen
Inhalten (über eine eigene App oder die Einrichtung
von Kanälen in bestehenden Apps wie Junaio)
Anforderungen an die Medienproduktion, die unternehmensintern ohne die Schaffung neuer Kompetenzen nur schwer zu bewältigen sind. Es bietet
sich daher in der Regel an Kooperationen zu
suchen, bei denen interdisziplinäre Synergien,
z. B. aus dem Verbund von Print- und IT-Unternehmen,
ausgenutzt werden können, um eine neue Klasse
an Printprodukten zu schaffen und dem Leser
Mehrwerte zu bieten.
4. Literatur
[1]
Connolly, P., Chambers, C., Eagleson, E., Matthews, D., &
Rogers, T. (2010). Augmented Reality Effectiveness in
Advertising. In 65th Midyear Conference on Engineering
Design Graphics Division of ASEE, Oct 3-6, Houghton,
Michigan.
[2]
Farr, C. (2012). 2-D books are over: Augmented
reality breathes new life into the classics. Abgerufen
am
12.09.2013
von
http://venturebeat.
com/2012/05/19/2-d-books-are-over-augmented-realitybreathes-new-life-into-the-classics/
[3]
Sony (2012). Wonderbook™: Book of Spells. Abgerufen am
12.09.2013 von http://us.playstation.com/games/wonderbook-book-of-spells-ps3.html
[4]
Tokyo Shoseki (2012). New Horizon. Abgerufen am
12.09.2013
von
http://www.tokyo-shoseki.co.jp/books/
miraikei/
[5]
Butcher, J. (2013). Augmented Reality Is The ‘Harry Potter
fication’ Of Print Media. Abgerufen am 12.09.2013 von http://
www.psfk.com/2012/10/jess-butcher-blippar-psfk-londonvideo.html
6
Fernsehen trifft Social Media
Was Social TV für Produktionsunternehmen bedeutet
von Beate Schneider und Christopher Buschow
Prof. Dr.
Beate Schneider
M.A.
Christopher Buschow
Das Phänomen Social TV gewinnt zunehmend an
Prominenz. Es geht dabei um die Erweiterung von
Social Media in den Fernsehbereich hinein, indem
sich Nutzer vor, während oder im Anschluss an das
Fernsehen in sozialen Netzwerken oder entsprechenden Plattformen über die Programminhalte
austauschen [1]. Social TV ist eine neue Form der
TV-Nutzung in Gemeinschaft, die großen Einfluss
auf die Produktion von Fernsehinhalten besitzt.
Anbieter der Social-Media-Plattformen, deren Netzwerkeffekte durch diese neue inhaltliche Dimension
und deren verstärkte Nutzung bereichert werden.
Darüber hinaus entsteht ein relevantes Handlungsfeld für Werbungtreibende und Hardware-Hersteller
sowie Start-Ups als eine fünfte Gruppe [1].
Der Beitrag gibt einen kurzen Überblick über den
wachsenden Social-TV-Markt, stellt Beispiele dar,
wie TV-Produktionen von sozialer Interaktion profitieren können, und wagt einen Ausblick.
1. Wachstumsmarkt Social TV
Fernsehen war immer schon eine soziale Veranstaltung, die gemeinsam erfahren und in Anschluss-kommunikation verarbeitet wurde. Darauf
deuten Begriffe hin wie der „Lagerfeuer-Effekt“ oder
die Phänomene des „Public Viewing“ von Sportgroßveranstaltungen und „Co-Viewing-Partys“,
etwa von Castingshows oder Krimiserien („TatortKneipen“). So fand im Jahr 2011 ein Drittel der gesamten privaten Fernsehnutzung in Deutschland in
Gesellschaft statt [2]. Auch parallele Interaktionen
mit Sendungen – etwa via Rückkanal Telefon – begleiten uns in Form von Call-In-Sendungen schon
seit Längerem.
Neu ist nun aber, dass „fernsehbegleitendes Sprechen“ [3] verschriftlicht und (teil)öffentlich publiziert
wird. Fernseherleben und kommunikativer Austausch der Zuschauer über Online-Medien fusionieren so zu Social TV – Fernsehen wird damit sozialer. Joel Lunenfeld, Vice President Global Brand
Strategy bei Twitter, nennt die prosperierende
Social-Media-Kommunikation den „Social Soundtrack“ einer Sendung [4].
In die Kommunikation sind involviert: die Zuschauer,
welche sich (aktiv oder passiv) an dem sendungsbezogenen Austausch beteiligen, die Fernsehsender und Content-Anbieter bzw. Produzenten,
über deren Inhalte kommuniziert wird, sowie die
Von uns im vergangenen Jahr befragte Branchenexperten erwarten, dass die Parallelnutzung von
Fernsehen und Social Media die Rolle des Zuschauers maßgeblich verändern wird, neue Player
begünstigt und bestehende Markteintrittsbarrieren
sinken [1]. Dem weltweiten Social-TV-Markt wird
ein rasantes Wachstum prognostiziert: MarketsandMarkets [5] errechnet, dass der globale Markt
im Jahr 2017 über 256 Mrd. USD wert sein wird.
Bisher zeichnet sich allerdings noch nicht ab,
welche Anbieter sich in diesem disruptiven Prozess
durchsetzen werden – fest steht nur, dass es die
eine Lösung für Social TV heute weder in Deutschland noch im angloamerikanischen Raum gibt.
2. Der Einfluss von Social TV auf Fernsehproduktionen: Aktuelle Beispiele
In unserer Untersuchung des Social-TV-Marktes hat
sich gezeigt, dass die befragten Expertinnen und
Experten Produktionsunternehmen als ContentAnbieter im Wesentlichen eine Treiberfunktion im
Markt zusprechen (vgl. Abbildung 1). Das ist kaum
verwunderlich: Relativ früh haben bedeutende Produzenten begonnen, eigene Abteilungen für die Zusammenführung von Fernsehen und Social Media
zu schaffen – bei der UFA etwa den Bereich „TV
meets New Media“ im UFA Lab.
Die Produktionsunternehmen richten sich heute
strategisch zumeist zweigleisig aus: Einerseits
werden massenkompatible Formate durch soziale
Interaktion inkrementell aufgewertet. Andererseits
setzen die Produzenten auf experimentelle Sendungskonzepte, die eine Vielzahl neuer Elemente
kombinieren und austesten.
7
Abb 1: Treiber und Bremser im Social-TV-Markt (Frühjahr 2012)
(Quelle: Experteneinschätzungen auf Basis von n = 34 Experteninterviews [1])
Seit etwa 2011 ergänzt Social TV zunehmend vor
allem massenkompatible Formate im deutschen
Fernsehen. Insbesondere Sendungen, die sich
durch eine hohe Aktualität (z. B. weil sie live ausgestrahlt werden) und eine hohe emotionale Ansprache auszeichnen, eignen sich nach Meinung
der befragten Experten für den sozialen Austausch
[1]. Eine der ersten Sendungen, die auf soziale Interaktion setzte, war die Castingshow „The Voice of
Germany“ (ProSieben/Sat.1). Talpa Media, die das
Format in den Niederlanden konzipierte und weltweit vertreibt, hatte der Sendung eine 88-seitige
„digital bible“ beigelegt, die spezifische Kommunikationsstrategien für Social Networking Sites beinhaltet [6]. Über die Netzwerke wurden auch in
Deutschland mit großem Erfolg etwa zusätzliches
Bildmaterial ausgespielt und die Zuschauer und
Fans untereinander verknüpft. Ein von uns befragter Experte sieht die Potenziale einer Verlängerung von Castingformaten ins Web noch lange
nicht als erschöpft:
„Es gehen die Tendenzen dahin, dass ausgeschiedene Talente eine eigene Online-Show kriegen, über die Woche. […]
Und der Gewinner kriegt dann wieder einen
Platz in der TV-Show und ist dann halt
wieder drin – nachdem er im TV rausgeflogen ist. Also das sind alles […]
Maßnahmen, um das inhaltlich zu verlängern, um diese Story […] und diesen Spannungsbogen eben über die Woche hinweg
aufrechtzuerhalten.“ (Experte, TV-Sender)
Neben den besonders für Social TV geeigneten
Sendungen wie Casting- und Quizshows, Talkformate, TV-Events oder Sport werden auch bestimmte
fiktionale Formate immer öfter durch soziale Interaktion unterstützt. Wegweisend ist etwa die
Scripted-Reality-Soap „Berlin – Tag & Nacht“ (RTL
II), die nach einem schwachen Start erst durch die
begleitende Facebook-Kommunikation erfolgreich
wurde. Heute hat das Format mehr als zweieinhalb
Millionen Fans auf Facebook, parallel stiegen auch
die Einschaltquoten [7].
Experimentelle Formate dagegen sprechen nur
kleine Zuschauerschaften von hoch involvierten
Social-TV-Nutzerinnen und -Nutzern an. Sie stellen
ein Testbed für Produktionsunternehmen und Fernsehsender dar, in denen neue Erzähl- und Dialogformen ausprobiert werden. Bestimmte Elemente
dieser Sendungen können dann später in reichweitenstärkere Formate aufgenommen werden.
Gerade öffentlich-rechtliche Sender, die keine direkten Erlösziele verfolgen, zeigen sich zunehmend
experimentierfreudiger: Mitte 2012 kombinierte der
Bayerische Rundfunk mit der „Rundshow“, die vier
Wochen lang im späten Abendprogramm ausgestrahlt wurde, unterschiedlichste Elemente des sozialen Fernsehens. Die Zuschauer konnten nicht
nur via eigener App (Titel: „Die Macht“), sondern
auch durch Social Networking Sites Kommentare,
Bilder oder Videos in die Sendung einbringen, Interviewpartner wurden per Skype ins Studio geschaltet. Der interaktive, transmediale Krimi „Wer
rettet Dina Foxx?“ (ZDF/UFA) geht noch darüber
hinaus: Nicht nur lineares Fernsehen und OnlineElemente wurden in die Erzählstruktur aufgenommen, sondern in einer Post-TV-Phase zusätzlich „Offline“-Spiele wie die Suche nach USB-Sticks,
die die Zuschauerinnen und Zuschauer lösen
mussten. Das von Ulmen.tv produzierte Format
„About:Kate“ setzt diesen Trend zu transmedialem
Storytelling aktuell erfolgreich fort.
8
3. Ausblick
4. Literatur
Auch in Zukunft werden nicht alle Fernsehsendungen auf eine parallele Social-Media-Kommunikation setzen. Wie auch die von uns befragten
Experten betonen, evozieren gerade komplexe
Film- und Serienformate eher Anschluss- als Begleitkommunikation. Social TV besitzt aber das Potenzial, kontinuierlich wichtiger zu werden: Mit Joiz.
tv ist im Juli 2013 in Deutschland der erste Fernsehsender gestartet, der im gesamten Programm
fast ausschließlich auf soziale Interaktion setzt.
[1] Buschow, C.; Schneider, B.; Carstensen, L.; Heuer, M. &
Schoft, A. (2013). Social TV in Deutschland – Rettet soziale
Interaktion das lineare Fernsehen? MedienWirtschaft, 10
(1), 24-32.
[2] Kessler, B. & Kupferschmitt, T. (2012). Fernsehen in Gemeinschaft. Media Perspektiven, 12 (12), 623-634.
[3] Klemm, M. (2000). Zuschauerkommunikation. Formen
und Funktionen der alltäglichen kommunikativen Fernsehaneignung. Frankfurt am Main: Peter Lang.
Dennoch ist es wichtig, sich bewusst zu machen,
dass Social TV an sich noch kein alleiniger „Rettungsanker“ (Markus Hündgen) sein kann:
„Dieses soziale Element, da hat Fernsehen
weiterhin eine Stärke. Wenn es aber darum
geht, Inhalte zu konsumieren, die nicht
mehr darauf angelegt sind, ein großes Ge
meinschaftsgefühle herzustellen, was gleich
zeitig stattfinden muss, dann hat Fern
sehen einfach verloren.“ (Markus Hündgen,
European Web Video Academy, http://www.
ndr.de/ratgeber/netzwelt/socialtv101.html)
Die ‚Zukunft des Fernsehens‘ erfordert entsprechend umfangreichere Anpassungen in ContentGenerierung und Produktion. Das hat ganz wesentliche Folgen auch für die Produktionsunternehmen
als Content-Zulieferer, die – wie ein Befragter
betont – immer häufiger „Produktionsfirma mit angedockter Social-Media-Agentur“ sein müssen:
[4] Roy, D. (2013, 4. März). Television‘s future has a social
soundtrack. Harvard Business Review, Blog Network. Abge
rufen am 22.07.2013 von http://blogs.hbr.org/cs/2013/03/televisions_future_has_a_socia.html
[5] MarketsandMarkets. (Hrsg.). (2012). Global social TV
market worth $256.44 billion by 2017. Abgerufen am
18.07.2013 von http://www.marketsandmarkets.com/PressReleases/social-tv.asp
[6] Zarges, T. (2011, 9. Dezember). Rückblick: Der Kampf um
den zweiten Bildschirm. kressreport, o.J. (25), 34.
[7] Wesseler, F. (2013). Unterhaltung auf allen Kanälen. Der
Facebook-Erfolg von „Berlin – Tag & Nacht“. In die medienanstalten – ALM GbR (Hrsg.), Programmbericht 2012. Fernsehen in Deutschland. Programmforschung und Programmdiskurs (S. 197-203). Berlin: Vistas.
„Das heißt, in den meisten Fällen – ob große
Show oder ob kleines Format – muss man
als Produzent, als altgedienter TV-Produzent, eine Social-Media- [und] auch eine
Social-TV-Strategie,
[eine]
Verlängerung in die sozialen Netzwerke, [schon]
in der Präsentationsphase mitbringen.“
(Experte, Produktionsunternehmen)
9
Zukunft des Fernsehens
Goldene Zeiten trotz Umbruch?
von Bertram Gugel
M.A.
Bertram Gugel
© Annette Koroll
Das Fernsehen erlebt gerade goldene Zeiten: Für
Fernsehrechte werden Rekordsummen bezahlt [1].
Die Onlineverbreitung von TV-Inhalten spült signifikante Mehreinnahmen in die Kassen der Produzenten und Sender [2]. Es werden so hochwertige
Serien wie noch nie produziert und die talentiertesten Kreativen wollen für das Fernsehen arbeiten
[3].
1. Wandel der TV-Landschaft
Trotz all dieser Entwicklungen befindet sich die
Branche im Umbruch. Fernsehinhalte werden
heute über alle möglichen Kanäle verbreitet. Die
lineare Verbreitung ist nur noch eine Möglichkeit
unter vielen und verliert in manchen Genres massiv
an Bedeutung [4]. Daraus ergibt sich, dass TV-Inhalte losgelöst vom Fernseher existieren und sich
in dieses Umfeld integrieren müssen. Fernsehen ist
nur noch eine besondere Form des Inhalts und kein
Medium mehr. Das hat entscheidenden Einfluss
auf die Aggregation und Verbreitung der Inhalte.
Neben der Verbreitung und der Konfektionierung
ändert sich damit vor allem auch der Kontext des
Konsums: TV-Inhalte sind konstant Thema sowohl
im Web im Allgemeinen als auch in sozialen Netzwerken im Speziellen und das vor-, während und
nach dem Konsum. TV-Inhalte können jederzeit mit
anderen online geteilt, nachgesehen und kommentiert werden. Sie sind Zentrum vieler Diskussionen
und setzen Themen und Trends im Netz [5]. Mit
dieser Präsenz steigt der Wunsch zur Interaktion
und der Einflussnahme des Publikums. Die Zuschauer sehen nicht mehr nur die Inhalte, sondern
wollen näher dran sein, Feedback einbringen und
ihre Interaktionen auch im TV-Inhalt wiederfinden.
2. Einfluss auf die Inhalte
Das hat enorme Auswirkungen auf die Inhalte.
TV-Inhalte losgelöst von der linearen Verbreitung
bedeuten, dass die Regeln der Linearität nicht
mehr greifen. Wenn Nutzer Binge-Viewing betreiben, dann stören Teaser zu Beginn der Episode
mehr als sie helfen und die Produzenten füllen
die gewonnene Zeit besser mit Handlung [6].
Unterschiedlichste Geräte und Auflösungen haben
Einfluss auf die Bildgestaltung, denn der Inhalt
muss sowohl auf dem iPhone als auch dem 84“
Fernseher konsumierbar sein. Doch die größten
Veränderungen ergeben sich im Kontext der TVProduktion. TV-Inhalte sind eingebunden in verschiedenste Onlineangebote von Apps über Services wie Netflix und Plattformen wie YouTube bis
hin zu Streamingdiensten wie Zattoo. Der TV-Inhalt
muss in diesen Angeboten gefunden, nachgefragt
und angereichert werden. Zudem gilt es die Nutzer
und die Interaktion im Social Web zu bedienen und
zu forcieren [7].
All das geht meist nur durch zusätzliche Inhalte und
Geschichten oder mindestens mithilfe einer adaptierten Ansprache und Konfektionierung, die TV-Inhalte speziell für diese Angebote aufbereitet. Viele
Produktionen kranken heute daran, dass diese Anforderungen nicht direkt bei der Produktion bedacht
und umgesetzt werden, sondern erst später nachgeliefert werden, was zusätzlichen Aufwand und
Brüche im Nutzererlebnis bedeutet. Nur wenn
bereits von Anfang an der Gesprächswert im Netz
berücksichtigt wird, können später auch die begleitenden Konversationen aktiv befeuert werden und
der Inhalt sein volles Potential entfalten. Ganz zu
schweigen davon, dass Interaktion mit Nutzern und
Sehern überhaupt nur mithilfe der Produktion zu
realisieren ist. Hier gilt es die Interaktion ins Programm zu heben und Wege zu finden, wie diese
adäquat abgebildet werden kann. Abgefilmte Bildschirme und „Twitter-Tussis“ sind hier maximal ein
erster Anfang [8].
3. Ausblick auf die neue TV-Landschaft
Ausgehend von dieser Situation wird sich die Produktion in Zukunft deutlich ändern. TV-Inhalte
werden mehr als das Bewegtbild. Die Inhalte
werden eingebettet in Storyworlds, die den Nutzern
und Zuschauern ein Universum zur Verfügung
stellen in dem sie sich bewegen. Online bietet dabei
den Nutzern die Möglichkeit 24 Stunden 7 Tage die
Woche in der Storyworld zu verbringen wobei die
„klassischen“ TV-Inhalte tägliche oder wöchentliche
10
Impulse setzen. Damit ist das Bewegtbild Teil einer
integrierten Produktion von Inhalten für unterschiedlichste Plattformen und Ausspielwege, die
nicht mehr voneinander getrennt werden können
und sich gegenseitig befruchten.
Das Fernsehen muss das Vertrauen der Zuschauer
zurück erobern. Zwar erlebt das Fernsehen gerade
goldene Zeiten, es hat aber viel seiner Magie verlogen. Die meisten jungen Zuschauer wissen wie
TV-Inhalte erstellt werden und kennen die Tricks
mit denen das Fernsehen die Zuschauer lenkt aus
eigener Erfahrung. So wird es wichtig Authentizität nicht mehr über Effekte oder Bilder sondern
Inhalte zu vermitteln und das Publikum nicht mehr
bei jedem Schritt an die Hand zu nehmen, sondern
zu fordern – Game of Thrones ist das beste Beispiel dafür –, dass hochkomplexe Geschichten im
TV funktionieren.
In Zukunft wird sich auch die Ansprache des Publikums grundlegend ändern. Wird heutzutage für
ein breites Publikum produziert, wird es auch entsprechend als Masse angesprochen. Das Publikum
als Masse gibt es in Zukunft jedoch nicht mehr.
Umso entscheidender wird es sein, dem einzelnen
Zuschauer den Eindruck zu vermitteln, dass eine
direkte Verbindung zu ihm besteht. Nicht mehr oneto-many sondern one-to-one ist die Maßgabe für
die Ansprache. Noch wichtiger wird diese Maßgabe
bei der Integration der Interaktion. Hier gilt es die
Interaktion für einzelne Nutzer zu personalisieren
und stärker in das Bewegtbild zu integrieren. Nicht
mehr Texttafeln und Inserts sondern live generierte
3D Grafiken, die sich den Akteuren und Zuschauern
anpassen und mit denen interagiert werden kann.
All diese Trends werden nicht klassisch entwickelt und implementiert werden sondern innerhalb
komprimierter Zyklen, die eine konstante Adaption
der Formate und der Produktion zur Folge haben.
Ähnlich einer agilen Softwareentwicklung wird die
Produktion zu einem iterativen Vorgehen. So wird
zum Beispiel das Minimal Viable Product zuerst
auf YouTube getestet, das Feedback daraus aufgenommen, eingearbeitet und so das ganze weiter
entwickelt bis eine fruchtbare Storyworld geschaffen
wurde. Anstatt eines Projekts mit dem Sendedatum
als Projektabschluss ähnelt die Produktion mehr
einer konstanten Software-Entwicklung bei der das
Bugfixing direkt auf das Release folgt und parallel
schon an der nächsten Version entwickelt wird –
einer komplexen Welt mit konstant neuen Inhalten
und Highlights.
4. Literatur
[1]
Greenfield, Richard (2013). The Disequilibrium of
Power: How Retransmission Consent Went So Wrong,
and How to Fix It, AllThingsD. Abgerufen am 11.09.2013
von
http://allthingsd.com/20130827/the-disequilibrium-ofpower-how-retransmission-consent-went-so-wrong-and
how-to-fix-it/
[2]
Adalian, Josef (2013). CW Boss: Netflix Is Really, Really
Important to Our Business Model, VULTURE. Abgerufen am
11.09.2013 von http://www.vulture.com/2013/07/netflix-iskinda-sorta-keeping-the-cw-alive.html
[3]
Lückerath, Thomas (2013). Kevin Spacey: „Das Fernsehen
hat das Kino überholt“, DWDL. Abgerufen am 11.09.2013
von http://www.dwdl.de/magazin/42262/kevin_spacey_das_
fernsehen_hat_das_kino_ueberholt/page_1.html
[4]
Masnick, Mike (2013). Time Warner CEO Says Having
Game Of Thrones As ‚Most Pirated‘ Is ‚Better Than An
Emmy‘, techdirt. Abgerufen am 11.09.2013 von http://www.
techdirt.com/articles/20130808/02084524106/time-warnerceo-says-having-game-thrones-as-most-pirated-is-betterthan-emmy.shtml
[5]
Nielsen (2013). NEW NIELSEN RESEARCH INDICATES
TWO-WAY CAUSAL INFLUENCE BETWEEN TWITTER
ACTIVITY AND TV VIEWERSHIP, Nielsen. Abgerufen am
11.09.2013
von
http://www.nielsen.com/us/en/pressroom/2013/new-nielsen-research-indicates-two-way-causalinfluence-between-.html
[6]
Pomerantz, Dorothy (2013). Binge Watching Is Our Future,
Forbes. Abgerufen am 11.09.2013 von http://www.forbes.
com/sites/dorothypomerantz/2013/05/29/binge-watchingis-our-future/
[7]
Gugel, Bertram (2013). Audience Development – vom TV
Sender zum online Reichweitengarant. Abgerufen am
11.09.2013 von http://www.gugelproductions.de/blog/2013/
audience-development.html
[8]
Horn, Dennis (2013). Twitter-Tussis und iPad-Idioten,
Digitalistan. Abgerufen am 11.09.2013 von http://wdrblog.de/
digitalistan/archives/2012/11/twitter-tussis_und_ipad-idiote.
html
11
Filmproduktion 2.0
Potentielle Einflüsse auf Content, Technik & Organisation durch die externen Faktoren Crowdfunding & Crowdsourcing
von Carlo Märzke und Marius Lohmann
B.A.
Carlo Märzke
Die Weiterentwicklung des „World-Wide-Web“ erleichtert die Einbindung unterschiedlichster medialer Inhalte. Das Erstellen und Verbreiten (insbesondere das Verknüpfen) von Content durch neue
Software mit den Möglichkeiten von Multimedia
wird zugleich vielseitiger und einfacher. Infolgedessen sind klassische Rollenverteilungen, wie die
zwischen Konsument und Anbieter, beziehungsweise Produzent, nicht mehr deutlich getrennt und
verwoben [1]. Digitale Medien und Technologien,
welche diesen Prozess vorantreiben, werden mittlerweile unter dem Begriff „Social Media“ zusammengefasst [2]. Die Information über ein Ereignis
kann in sozialen Netzwerken, wie beispielsweise
Facebook, Twitter oder Google+, innerhalb von
wenigen Stunden zum Hauptgesprächsthema
avancieren oder unbeachtet wieder verschwinden.
Auf dem Weg zur Popularität wird eine Information
von den aktiven Mitgliedern des Netzwerks, der
hiesigen Crowd, nicht nur gelesen, sondern auch
auf ihre Glaubwürdigkeit hin überprüft, ergänzt,
aktualisiert, korrigiert sowie mit weiteren Informationen verknüpft.
Die Möglichkeiten von Social Media erschließen
allerdings auch neue Felder unternehmerischen
Wirkens. Eine Form dabei ist das Auslagern von
Leistungen bzw. Tätigkeiten auf die Mitglieder eines
Netzwerkes. An dieser Stelle beginnt das Thema
Crowdsourcing. Laut Jeff Howe, dem Namensgeber dieses Phänomens, existieren grundlegend
vier verschiedene Modelle, die Crowd für unternehmerische Tätigkeiten einzusetzen: Crowd Wisdom,
Crowd Voting, Crowd Creation und Crowdfunding.
Während von großen Firmen für den Einsatz von
Crowdsourcing vor allem die Ideengewinnung &
Problemlösung (Crowd Wisdom), beziehungsweise
die Verbesserung von Produkten oder die Evaluation von Prototypen (Crowd Voting) sowie die
Verwertung von User-generated-Content (Crowd
Creation) anvisiert wird, bleibt das Crowdfunding
als eine Art „Outsourcing“ der Finanzierung eher
unattraktiv. Vielmehr avanciert Crowdfunding mittlerweile zum eigenständigen Phänomen als ein
Emanzipationsinstrument der Kleinunternehmer, Visionäre und Freigeister. Mit Hilfe von Crowdfunding
B.A.
Marius Lohmann
werden heute junge Unternehmen gegründet, die
Entwicklung neuer Produkte unterstützt oder kulturelle und soziale Projekte finanziert. Spätestens
mit dem Erfolg des Spielfilms „Iron Sky“ vom finnischen Regisseur Timo Vuorensola, der auf der
Berlinale 2012 - Premiere feierte und sich rasch als
Liebling bei Publikum, Einkäufern und Kritikern etablierte [3], ist der Begriff Crowdfunding im Bereich
der Filmproduktion (als Teilgebiet der Medienproduktion) den meisten Filmschaffenden, Verleihern,
Produzenten und den berichtenden Medien ein
Begriff. „Immer mehr Akteure begreifen Crowdfunding als Teil eines Paradigmenwechsels, der sich
mit Hilfe neuer Medien und Kommunikationskanäle
hinsichtlich der Produktion, des Marketings, der Finanzierung und des Vertriebs von Filmen vollzieht“
[4]. Der Regisseur von „Iron Sky“ nutzte neben
Crowdfunding, auch andere Formen von Crowdsourcing für sein Projekt. So wurden im Bereich der
Postproduktion, beispielsweise für die Entwicklung
von Spezialeffekten (VFX, SFX), einige Aufgaben
auch an die Mitglieder der Plattform „wreckamovie.
com“, deren Mitbegründer Vuorensola selbst ist,
ausgelagert.
In unserer kooperativen Studie mit dem Titel: „Filmproduktion 2.0: Eine qualitative Untersuchung
potentieller Einflüsse auf Content, Technik & Organisation durch die externen Faktoren Crowdfunding und Crowdsourcing“, versuchten wir die
Anwendung dieser neuen Möglichkeiten anhand
des erweiterten Medienproduktionsmodells nach
Krömker & Klimsa [5] mit branchenspezifischen
Abläufe einer Filmproduktion in Beziehung zu
setzen. Ziel der Arbeit war es, mit zwei verschiedenen methodischen Herangehensweisen, erste
Rückschlüsse auf die potentiellen Einflüsse beider
Phänomene bezüglich der Struktur eines Filmproduktionsprozesses zu ermöglichen. Hinsichtlich
des Untersuchungsgebietes Crowdfunding wurden
dazu drei teilstandardisierte Experteninterviews
durchgeführt, welche Einblicke in interne Produktionsvorgänge bereits mittels Crowdfunding realisierter Filmprojekte geben. Dabei wurden anhand
einer qualitativ inhaltsanalytischen Auswertung
sechs potentielle Arbeitsschritte benannt, welche
12
vornehmlich im Bereich der Organisation entstehen
könnten. Außerdem wurde eine mögliche Beeinflussung tradierter Filmfinanzierungswege identifiziert
und mögliche Ressourcenersparnisse diskutiert. Im
Themenfeld Crowdsourcing wurde Christian Papsdorfs an der objektiven Hermeneutik orientiertes
Vorgehen nachempfunden und die Konzepte von
drei exemplarischen Crowdsourcing-Unternehmungen im Bereich der Filmproduktion zwei gängigen Typologien zugeordnet und anschließend
auf den Produktionsprozess von Filmen bezogen,
sowie im Rahmen der Anforderungen von Content,
Technik und Organisation erörtert.
In diesem Artikel wollen wir einen kurzen theoretischen Überblick über die Begriffe Crowdfunding
und Crowdsourcing geben und anschließend eine
Auswahl der Ergebnisse unserer Studie vorstellen,
um die beiden Phänomene als externe Faktoren in
Bezug auf die Medienproduktion, am Beispiel von
Filmproduktionen, auszuweisen. Letztlich soll versucht werden ein Fazit mit Ausblick auf die Bedeutung der Phänomene für diesen Bereich zu geben.
1. Begriffserklärung: Crowdfunding
Der Begriff Crowdfunding lässt sich generell als
Neologismus betrachten (Wortkombination aus
‚Crowd‘ und ‚Funding‘), der ein bereits historisch
bekanntes Kulturfinanzierungsmodell (Mäzentum)
in Zeiten des Web 2.0 neu interpretiert, somit also
neu entstandene Kommunikationsstrukturen und
das Medium Internet nutzt. Somit erlaubt Crowdfunding einer großen Gruppe an Personen, Banken
oder anderen Institutionen als Geldquelle zu ersetzten [6]. Hierbei kommt es den sogenannten
Mäzen, im Bereich Crowdfunding als User bezeichnet, weniger auf eine konkrete Gegenleistung
an. Vielmehr lassen sich die Beweggründe vielseitig interpretieren, wie beispielsweise hinsichtlich
einer emotionalen Bindung zum Projekt, die durch
die Förderung entstehen kann. Im Austausch für
die Unterstützung können sich Geldgeber je nach
Höhe ihres Unterstützungsbetrages gestaffelte
Gegenleistungen auswählen. Neben dem guten
Gefühl, Kulturschaffende näher an die Verwirklichung ihrer Ideen gebracht zu haben, erhalten die
Förderer so einen materiellen oder immateriellen
Gegenwert. Dazu zählen unter anderem „das fertige
Werk (Vorfinanzierung), individuelle Geschenke
(Dankeschön), Medialeistungen (Sponsoring), die
Möglichkeit der Kulturförderung (Corporate Social
Responsibility, CSR), eine Spendenquittung oder
eine Gewinnbeteiligung“ [7]. Das moderne Crowdfunding generiert also einerseits alternative Finanzmittel: „Crowdfunding involves an open call, mostly
through the Internet, for the provision of financial
resources either in form of donation or in exchange
for the future product or some form of reward and/
or voting rights“ [8]. Es schafft dem angestrebten
Projekt ein Gemeinschaftsgefühl sowie Transparenz in den einzelnen Projektphasen bzw. setzt
diese voraus. Der Projektinitiator verfügt hingegen
frei über das generierte Geld und muss keine Rechnungsnachweise erbringen, bleibt also stets unabhängig und vergibt keine Anteile, sondern bietet
den Unterstützern ideelle oder projektbezogene
Gegenleistungen [9].
Eine genaue zeitliche Datierung der Entstehung von
Crowdfunding wird mehrfach diskutiert. „Wikipedia
etwa nennt das Jahr 1997 als zeitlichen Ursprung“
[10]. Die ersten Erwähnungen des eigentlichen Begriffes Crowdfunding finden sich erstmals im Jahr
2006, „als es die Plattform sellaband.com Künstlern
ermöglichte, ihr Album durch Fans vorfinanzieren
zu lassen“ [7]. Dennoch gab es eigentlich schon in
den späten 90er Jahren Fundraising-Modelle via
Internet, bevor, spezialisierte unabhängige Plattformen in den verschiedenen kulturellen Sparten
auf den Markt namhaft wurden. Als Pionierplattform
gilt die von Brain Camelio gegründete Internetseite
artistshare.com (gegründet 2001/2002 ), welche im
Jahr 2003 erste Möglichkeiten zur Fan-Unterstützung für Musikprojekte in Projektform online stellte.
Ähnlich wie bei der später entwickelten Plattform
sellaband.com, konnten sogenannte „Believer“,
die von den Künstlern vorgestellten Projekte, noch
vor ihrer Veröffentlichung finanziell unterstützen.
Ebenfalls 2006 tauchte dann erstmals der Begriff
Crowdfunding in einem Zitat von Michael Sullivan
(fundavlog) auf: „Many things are important factors,
but funding from the `crowd` is the base of which
all else depends on and is built on. So, Crowdfunding in an accurate term to help me explain this
core element of fundavlog.“ Seither hat sich diese
Begrifflichkeit vor allem im Film- und Musikbereich
eingebürgert [10]. Nachfolgend gründete sich eine
Vielzahl von unabhängigen Plattformen, die den
Austausch zwischen Künstler und Crowd ermöglichen sollten.
In Deutschland zählt die im September 2010 online
gegangene Dresdener Plattform startnext.de als
erste Plattform dieser Art im deutschsprachigen
Raum. Weitere deutsche Plattformen wie beispielsweise mysherpas.com, inkubato.com, pling.de, visionbakery.de oder respekt.net konnten, ebenfalls
durch ein schnell steigendes öffentliches Interesse,
Resonanz finden. So wurden bis Dezember 2011
auf den sechs genannten Plattformen von insgesamt 125 Projekten 67 erfolgreich realisiert [11].
13
Plattform
pling.de
visionbakery.de
mysherpas.com
inkubato.com
startnext.de
respekt.net
Gesamtergebnis
Anzahl der Projekte
6
6
8
12
41
52
125
Tabelle 1: Anzahl der Crowdfunding-Projekte pro Plattform
(Quelle: Eigene Darstellung nach [11])
Crowdfunding für kulturelle Projekte weist in allen
Branchen ähnliche Strukturen in der Organisation
der Kampagnen auf. So werden in der Literatur
bisher zwei mögliche Faktoren hinsichtlich einer
sich entwickelnden Typologisierung beschrieben
[9]. Bezüglich der Kommunikationsorganisation
kann zwischen nicht plattformgestützen und plattformgestützen Crowdfunding-Kampagnen unterschieden werden. Begrifflich selbsterklärend
werden für die informelle Involvierung der Crowd
entweder eine selbst eingerichtete, eigenständige
Projekthomepage oder eine Crowdfunding-Plattform genutzt. Das Zweite und heutzutage meist
genutzte Prinzip bietet hierbei vornehmlich Vorteile
für den Projektinitiator, da dieser Zugang zu einer
bereits bestehenden Community von kulturinteressierten privaten Geldgebern erhält und für ihn organisatorische Voraussetzungen, wie die Bereitstellung der technischen Infrastruktur, die Abwicklung
aller finanziellen Prozesse und eine umfassende
Projektbetreuung durch den Plattformbetreiber [12]
übernommen werden. Andererseits kann typologisch hinsichtlich des Bezahlsystems zwischen
dem Alles-oder-Nichts und Behalte-Alles Prinzip
unterschieden werden.
festgesetzt (z.B. startnext.de) oder der Zielbetrag
offen gelassen (z.B. indiegogo.com). Wird der angestrebte Betrag nicht erreicht, werden die bis dato
gesammelten Gelder an die Unterstützer zurückgezahlt oder beim „Behalte-Alles Prinzip“ nicht erstattet (z.B. rockethub.com).
Der schematische Ablauf eines plattformabhängigen Crowdfunding-Projektes lässt sich kurz an
die von der Plattform startnext.de vorgestellten Infografik erklären, welche sich jedoch auf alle anderen
Anbieter übertragen lässt (Abbildung 1).
Beginnend bei der Vorbereitungsphase, mit der Anmeldung des Projektinitiators bei einer Crowdfunding-Plattform, fächert sich das breite Aufgabenfeld
der Erstellung einer Projektbeschreibung und der
Anlegung einer Profilseite. Durch die Festlegung
des benötigten Budgets sowie eines Zeitraums für
die Geldakquise wird ein „gestaffeltes Dankeschön
definiert, was jeder Unterstützer ab welcher Unterstützungshöhe bekommt“ [7]. Weitere mediale
Beschreibungen des Projektes wie beispielsweise
Texte, Bilder und Virale Videos vervollständigen
die Profilseite. „Unter anderem muss für den Betrachter klar sein, wofür das Geld verwendet wird
und welche Gegenleistungen er zu erwarten hat“
[13]. Die zweite Phase, die das Projekt nun durchläuft, muss nicht zwingend durchlaufen werden und
dient vornehmlich zur Evaluierung der „Publikumstauglichkeit“ der Projektbeschreibung. Durch die
Einbindung potentieller späterer Fans und die oft
angebotene ratgebende Funktion der Plattformbetreiber können missverständliche Beschreibungen
bereits in diesem Stadium korrigiert und optimiert
werden. Durch die Veröffentlichung des Projektes
in der großen Community der Plattform beginnt der
eigentliche Start der Finanzierung durch Crowdfunding und die Akquise sowie die Betreuung der
Crowd.
Abb. 1: Infografik der Plattform startnext.de - Schematischer Ablauf eines plattformabhängigen Crowdfunding-Projektes [21]
Hierbei wird je nach Plattform entweder ein zu erreichendes Budget in einem bestimmten Zeitraum
„Um Unterstützer zu gewinnen, muss der Projektinitiator sein Projekt intensiv über Online- und
14
Offline-Medien bewerben“ [14]. Hierbei spielen zu
Beginn vornehmlich Freunde, Bekannte und erste
Fans die wichtige Rolle der Erstmultiplikatoren für
die Bekanntmachung des Projektvorhabens [14]
und den angestrebten Ausbau der Unterstützercommunity. Auch der Einsatz von „Weiterempfehlungsfunktionen wie z. B. Widgets, Social Bookmarking oder dem Teilen auf Facebook, kann das
Projekt über die Plattform hinweg bekannt machen“
[7]. Die vierte Phase des Schemas beschreibt den
zuvor festgelegten Finanzierungszeitraum, in dem
das Projekt entweder erfolgreich ist oder auch
scheitern kann. Regelmäßige Projektupdates und
informelle Involvierung der Unterstützer z. B. durch
Newseinträge auf der Profilseite, stellen hierbei weiterführend die Haupttätigkeiten des Projektinitiators
dar. Abgeschlossen wird das Projekt und die darauf
folgende Archivierung durch die Übertragung der
gesammelten Finanzmittel an den Projektinitiator
bzw. bei nicht erfolgreicher Finanzierung die Rücküberweisung an die Einzelspender.
2. Begriffserklärung: Crowdsourcing
Mit der Unterstützung von Kollegen und Blog-Lesern publizierte Jeff Howe 2008 das Buch „Crowdsourcing: Why the power of the crowd is driving the
future of business“. Er identifiziert vier idealtypische
Einsatzmöglichkeiten (sprich: Modelle) die Unternehmen bei dieser neuartigen Form von “Outsourcing” umgesetzt haben [6]:
Der Begriff „Social Media“ wird oft auch mit einem
Prozess der Demokratisierung von Wissen und Informationen in Verbindung gebracht. Dieser Prozess
ist gedanklich ähnlich zu den Prinzipien von „Open
Source“. Die soziale und ethische Konsequenz ist
hier, den Nutzern die Möglichkeiten zu bieten gemeinsam ein Umfeld der Unabhängigkeit, Zusammenarbeit, Gemeinschaft, der ethischen Solidarität
und des Austauschs zu schaffen und zu gestalten.
Hettler deutet auf den Einfluss von „Social Media“
und „Open Source“ hin, wenn er die Entwicklung
des Internets von einem reinen Informationsmedium zu einer interaktiven Plattform für die soziale
Kommunikation und Produktion eigener Inhalte
beschreibt [15]. In Anbetracht der enormen Reichweite des Internets sowie der enormen Nutzerzahl
erschließt sich nun ein scheinbar grenzenloses
Potential an Arbeits- und Finanzkraft durch Nutzer,
welches über die Intention von „Open Source“ Freigeistern hinweg, auch Akteure aus anderen Bereichen anlockt. Viele größere Unternehmen haben
die Entwicklung längst erkannt und für sich nutzbar
gemacht, indem sie geschickt Teilprozesse bzw.
Aufgaben innerhalb ihres Herstellungsprozesses
auf Internetnutzer ausgelagert haben.
Ausgerechnet ein internetaffiner Journalist und
Blogger gab dieser Entwicklung wiederrum in einem
Artikel im Wired (2006) erfolgreich den Namen
„Crowdsourcing“. Die am häufigsten verwendete
Definition Howes findet sich in einem Blogeintrag
[16]:
outsourcing it to an undefined (and generally large) network of people in the form
of an open call. This can take the form of peerproduction (when the job is performed collaboratively), but is also
often undertaken by sole individuals.”
Mit dieser Definition umfasst Howe den Ursprung
seiner Wortschöpfung. Die Mischung aus dem
Begriff Outsourcing [17] und dem Verständnis einer
„Crowd“ als große Masse unbekannter Akteure
in einem Netzwerk, die von einem Unternehmen,
respektive einer Institution angesprochen wird, ist
nachvollziehbar. Howe weist außerdem auf unterschiedliche Wege in der Problembearbeitungsphase hin, indem er weder in Kollaboration, noch
von Einzelpersonen erarbeitete Lösungswege ausschließt. Seine Formulierung des Phänomens hat
sich seit der ersten Nennung durchgesetzt und so
finden sich bereits mehr als elf Millionen Suchergebnisse zu diesem Begriff (Stand Dezember 2012).
Crowd Wisdom
Howe unterscheidet hier zwischen drei Kategorien. Die erste ist „Prediction Markets“ (= Trendprognosen), welche das Prinzip von Aktienmärkten
nachahmt, um zuverlässige Prognosen bezüglich
hypothetischer/zukünftiger Ereignisse zu treffen.
Die Zweite ist das sogenannte „Crowdcasting“,
welches bei der Lösung von Problemen eingesetzt
werden kann. Die letzte Kategorie ist der „Idea
Jam“, welcher die Generierung neuer Ideen zum
Ziel hat und als ein online koordiniertes riesiges
Brainstorming verstanden werden kann.
Crowd Voting
Unter Crowd Voting sind Bewertungssysteme zu
verstehen. Es wird meist in Kombination mit Crowd
Wisdom oder Crowd Creation eingesetzt, um den
von einer Crowd produzierten Content durch die
Crowd selbst bewerten und selektieren zu lassen.
Ein gutes Beispiel für effizientes Crowd Voting ist
das Bewertungssystem von Amazon.com, welches
Besuchern der Website ermöglicht bei einem Kaufentscheid auch Beurteilungen anderer Käufer
hinzuziehen.
„Crowdsourcing represents the act of a
company or institution taking a funtion once performed by employees and
15
Crowd Creation
Unter Crowd Creation ist die Verwertung von Usergenerated-Content zu verstehen. Von Usern gelieferte Ideen im Sinne von Crowd Wisdom stellen
natürlich auch in gewisser Weise User-generatedContent dar, allerdings bezieht sich Howe an dieser
Stelle eher auf unabhängig von einer konkreten
Aufforderung produzierten Content von Usern. Ein
Beispiel hierfür wäre iStockphoto.com
Crowdfunding
Howe versteht Crowdfunding auch als eine Form
von Crowdsourcing, da dort der Dienstleistungsbereich der Finanzierung zum Teil auf eine Crowd
ausgelagert wird.
das Unternehmen im Prinzip nur das Material zur
Verfügung stellt, während beispielsweise wesentliche Teile des Designvorgangs von Usern erledigt
werden und das eigentliche Produkt erst durch die
Userarbeit marktfähig wird. Das fertige Produkt
kann dann wiederrum in Massenproduktion von
anderen Usern gekauft werden.
Auf Userkollaboration basierende Ideenplattform
Das Unternehmen versteht sich in erster Linie
als Plattformbetreiber und nicht als Betreiber von
Crowdsourcing. Über die Plattform können vielmehr User (oder andere Unternehmen) selbst zum
Crowdsourcer werden und beispielsweise ihre
eigenen Ideen zur Verbesserung an die Crowd
weitergeben.
Howes Typologie bzw. Modelle stellen Einsatzmöglichkeiten von Unternehmen zur Nutzbarmachung des Potentials einer Crowd dar und entspricht daher einer eher unternehmenszentrierten
Perspektive. Der Soziologe Christian Papsdorf hat
dagegen eine eher userzentrierte Perspektive verfolgt, da er Crowdsourcing Projekte aus der Sicht
eines User beschrieben und interpretiert hat. Aus
einer Betrachtung von insgesamt 40 Fällen nahm
er daher eine Typologisierung aus der Sicht eines
Users vor und identifizierte fünf Typen bzw. Modi
der Userintegration in ein Unternehmen [18].
Indirekte Vernetzung von Usercontent
Offener Ideenwettbewerb
Anhand einer qualitativ inhaltsanalytischer Auswertung (nach Mayring) der durchgeführten Experteninterviews konnten sechs potentielle Arbeitsschritte
benannt werden, welche durch den Einsatz von
Crowdfunding im Bereich der Organisation entstehen könnten. Außerdem konnte eine mögliche
Beeinflussung tradierter Filmfinanzierungswege
identifiziert und denkbare Ressourcenersparnisse
diskutiert werden. Hierbei wurden drei Hauptverantwortliche von Filmprojekten befragt, welche folgende Charakteristika aufwiesen:
Unter dem offenen Ideenwettbewerb fasst Papsdorf
die Unternehmen zusammen, welche in irgendeiner
Form einen offenen Aufruf an alle Internetuser formulieren, ihre Ideen zu einer spezifischen Fragestellung einzureichen. Dieser Modus entspricht im
Kern dem „Idea Jam“ von Howe, schließt aber bei
einer näheren Betrachtung der Fälle auch z.B. den
Einsatz von Bewertungssystemen (i.d.S. Crowd
Voting) mit ein.
Bei diesem Modus wird Crowdsourcing instrumentalisiert, da die durch Crowdsourcing entstehende
Useraktivität das Kriterium für die Wertschöpfung
ist. So könnte ein Unternehmen beispielsweise
Crowdsourcing betreiben um eine Masse von Usergenerated-Content zu produzieren, aber nur von
dem daraus entstehenden Traffic durch das Zuschalten von Werbung profitieren.
3. Ergebnisse der Studie: Crowdfunding
Ergebnisorientierte virtuelle Microjobs
Ein Unternehmen bietet eine klar definierte Aufgabe
der Crowd zur Erledigung an. Die Erfüllung der
Aufgabe ist dabei das ausschlaggebende Moment
für eine Interaktion des Unternehmens. Meist ist
der sogenannte „Bounty“ – die Entlohnung für das
Erledigen der Aufgabe – im Voraus angegeben.
Dieser Modus ähnelt dem Prinzip von Howes
Crowd-Casting.
Userdesignbasierte Massenfertigung
Bei diesem Modus wird die industrielle Fertigung
von Produkten mit einer Teilindividualisierung kombiniert. Dies ähnelt der sogenannten Mass Customization, unterscheidet sich aber insofern, als dass
16
Partner/
Projekt
Genre
genutzte
Plattform
angestrebte
CF-Summe
erzielte
CF-Summe
Erfolg
T1
Drama
inkubato.com
30.000 €
2.600 €
nein
T2
Doku
visionbakery.com 6.000 €
12.000 €
ja
T3
Doku
eigene Filmhomepage
50.000 €
ja
50.000 €
Gesamtbudget/
durch klassische
Finanzierung
300.000 €
150.000 €
12.000 €
0€
1.200.000 €
1.000.000 €
Tabelle 2: Eigenschaften der ausgewählten Projekte/Interviewpartner
(Quelle: Eigene Darstellung)
3.1 Mögliche neue Arbeitsschritte im Filmproduktionsprozess
Bei der Erläuterung der potentiellen, neu entstandenen Arbeitsschritte welche durch den Einsatz
von Crowdfunding entstehen könnten, wurden in
den meisten Fällen deren Bezeichnung nicht von
den Befragten explizit geäußert, sondern interpretativ gebildet. Wie bereits erwähnt, stellt eine
bestehende und thematisch interessierte Crowd
eine wichtige Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Projektfinanzierung dar. So lässt sich die
Eruierung des Unterstützerpotentials als ersten
wichtigen Arbeitsschritt charakterisieren. Weiterführend übernimmt die Schaffung eines funktionierenden Bezahlsystems, welches die Organisation
und den Transfer der Einzelspenden übernimmt,
einen additiven Punkt in der Herstellungskette
ein. Sowohl der Mehraufwand bei der Einrichtung
eines Bankspendenkontos als auch entstehende
Transferkosten des Anbieters PayPal können als
negativ, aber dennoch als bestmöglichste Lösung
beschrieben werden. Bei einem komplizierten oder
falsch gewählten Bezahlsystem besteht die Möglichkeit, dass willige Spender ihre finanzielle Unterstützung auf Grund von technischen Hindernissen
nicht erbringen können, wodurch ein angestrebter
Geldfluss ausbleibt. Nach Kampagnenstart deutet
sich der äußerst zeit- und arbeitsaufwendige Arbeitsschritt der Medialen Betreuung der Kommunikationskanäle an, welcher die Bewerbung des Projektes, die Erstellung eines Kommunikationsmittels
wie beispielsweise das Verfassen von Projektbeschreibungen, die Ausgestaltung der Projektseite
sowie die Erstellung von Newsbeiträgen [19] zur
späteren informellen Involvierung der UnterstützerCrowd umfasst. Als Kommunikationskanal, der
beide genannte Ziele verbindet, eignen sich vornehmlich Facebook-Fanpages, die durch die starke
Wirkung von Netzwerkeffekten Informationen und
News an eine breite Masse von Personen verteilen.
Die Produktion von zusätzlichen visuellen Anreizen
wie Trailern, Filmausschnitten oder Musikvideos
lassen sich als äußert positiv bewerten, generieren
jedoch hinzukommend zur gewöhnlichen Pressebetreuung einen hohen Zeitaufwand. Klassische
Medien wie Zeitungen, Magazine, Radio, Plakate
und Flyer hingegen eignen vor allem zum Start der
Kampagne, um zielgruppenferne Personen anzusprechen und ein öffentliches Interesse am Projekt
zu generieren. Um die beschriebenen Elemente der
Kommunikation erfolgreich zu koordinieren empfiehlt sich weiterführend die Erstellung eines Zeitplans, welcher sowohl die Vorbereitungsphase als
auch die Durchführungsphase abdeckt, um koordiniert und zielgerichtet zu kommunizieren. Weiter
lässt sich durch den erhöhten Arbeitsauswand feststellen, dass eine Expansion der Personalstruktur
fast unumgänglich ist, um diesen zu bewältigen. So
kann der Arbeitsbereich Crowdfunding als „FulltimeJob“ beschrieben werden, der realistisch durch die
Einbindung von ein bis zwei weiteren Personen im
Produktionsstab realisiert werden könnte. Auch für
den Filmemacher formulieren sich neue persönliche Anforderungen wie eine durchgängig transparente und offene Kommunikation mit der Crowd
und eine möglichst vorhandene Social-Media-Affinität, welche unter dem Arbeitsschritt Definition der
Anforderungen an Filmemacher zusammengefasst
werden können.
3.2 Mögliche Ressourcenersparnisse im Filmproduktionsprozess
Anhand der Einschätzung der Variable AufwandNutzen-Faktor der befragten Probanden sollte
eruiert werden, ob durch den Einsatz von Crowdfunding materielle bzw. immaterielle Einsparungen
gegenüber des klassischen Medienproduktionsprozesses festgestellt werden können. Hierbei
lässt sich zusammenfassend kein nennenswerter
finanzieller Vorteil beschreiben, der den Mehraufwand auszugleichen vermag, oder sogar potentiell
Mehrkosten produziert. Vielmehr wurden immaterielle Synergieeffekte im Bereich der Preproduktionsphase und der Distributionsphase des Films
beschrieben. So lässt sich Crowdfunding für den
17
Filmschaffenden als marktforschendes Instrument
verwenden, durch das einerseits der spätere Distributionsaufwand eingeschätzt und andererseits die
Kinoauswertung unterstützt werden kann. Begeisterte Fans des Projektes könnten beispielsweise
eigeninitiativ agieren und bei der Verteilung von
Werbemitteln und der Ansprache von lokalen Kinobetreibern helfen oder nicht geplantes GuerillaMarketing betreiben.
3.3 Mögliche Ressourcenersparnisse
Filmproduktionsprozess
im
Crowdfunding kann als nicht kurzweilige Erscheinung mit einem hohen potentiellen Wert für eine
Veränderung der deutschen Kulturförderung angesehen und sogar als alternative beziehungsweise additive Finanzierungsform zur klassischen
Filmförderpolitik bezeichnet werden. Gleichzeitig
lassen sich dabei die Aussagen hinsichtlich einer
hohen Projektabhängigkeit (Projektbeschaffenheit,
Thema des Films, Projektgröße, etc.) und dem zeitlichen Rahmen der festen Etablierung im Vergleich
zu anderen Kulturkreisen (wie beispielsweise dem
Angloamerikanischen) einschränken. So eignet
sich Crowdfunding bisher besonders für Projekte
mit vergleichbar „kleinen“ Budgets (Beträge unter
100.000 Euro) und weniger für die professionelle
Filmproduktion. Crowdfunding bietet vornehmlich
No-Name-Künstlern und unabhängigen Filmemachern die Möglichkeit, auf singuläre und abseitige Projekte hinzuweisen, die sonst eventuell von
einem bestehenden Auswahlgremium einer Filmförderanstalt nicht beachtet würden. Weiterführend
könnte es diesen ermöglichen, Einblick in die Publikumsnachfrage zu gewähren und folglich einen Demokratisierungsprozess in Förderentscheidungen
unterstützen.
4. Ergebnisse der Studie: Crowdsourcing
Bei der interpretativen Auswertung in Bezug auf
Christian Papsdorfs Typologie, konnten alle drei
erhobenen Fälle jeweils einem Modus der Userintegration zugeordnet werden. Ebenso wurde der
Einsatz von mehreren Crowdsourcing-Modellen bei
den betrachteten Plattformen und Projekten Howes
nachgewiesen:
Amazon
Studios
[22]
Modus der
Integration
Eingesetzte
CrowdsourcingModelle
Userdesignbasierte
Massenfertigung
Crowd Wisdom
(2. & 3. Kategorie),
Crowd Voting,
Crowd Creation
Juntobox- Auf Userkollaboration Crowd Wisdom
(2. Kategorie),
films [23] basierende IdeenMove On
[20]
plattform
Crowd Voting,
Crowd Creation
Indirekte Vernetzung
von Usercontent
Crowd Voting,
Crowd Creation
Tabelle 3: Zusammenfassung der Ergebnisse der Crowdsourcing
Typologien (Quelle: Eigene Darstellung)
Die erfolgreiche Integration von Usern in den Herstellungsprozess von Filmen erfordert an vielen
Stellen eine kontrollierte Öffnung von bisher eher
verschlossen gehaltenen Vorgängen. Dazu verwendeten alle Unternehmen eine Internetplattform.
Elemente des Filmproduktionsprozesses wurden
also über das WWW an User ausgelagert, was je
nach Fallbeispiel unterschiedliche Konsequenzen
für die Organisation des Prozesses hatte und zum
Teil sogar zur Ausbildung neuer Elemente führte.
Im Folgenden soll das Fallbeispiel „Move On“ in
Bezug auf die Organisation des Zusammenspiels
von Content und Technik unter Einsatz seiner projektspezifischen Form von Crowdsourcing ausgeführt werden.
4.1 Zusammenspiel von Content, Technik und
Organisation am Beispiel von „Move On“
Move On [20] stellt einen ausgesprochen komplexen organisatorischen Aufwand über alle Produktionsphasen hinweg dar, denn in jeder Phase
erfolgen eine gezielte Einbindung von Usern und
die Darstellung dieser „Partizipation“. Wie bereits
erwähnt, stellte die Konzeption einer geeigneten
Plattform zur Organisation der Useraktivitäten
das wichtigste Instrument dar. Alle Texte (meint
Content) für die Plattform wurden in mehr als neun
verschiedene Sprachen übersetzt. Das Drehbuch,
als Bestandteil des Contents der Preproduktionsphase, wurde unter Anleitung einer Marketingabteilung gezielt mit Möglichkeiten für den Einsatz von
User-generated-Content versehen. Im Bereich der
Technik mussten Werkzeuge in die Plattform integriert werden, um den Usern zu ermöglichen auf
einfachstem Wege den im Rahmen des Drehbuchs
anvisierten UGC in Form von Bildern, Videos und
Texten zu veröffentlichen. Die Organisation dieses
UGC wurde ebenfalls teils von Usern übernommen.
Für die Produktionsphase mussten Dreharbeiten
in elf verschiedenen Ländern organisiert werden,
dabei unterlag die Reihenfolge der Länder der im
Drehbuch formulierten Reihenfolge, denn die User
sollten mit Hilfe der Plattform den schrittweisen
Ablauf der Dreharbeiten „miterleben“. Dazu wurde
ein Making-of-Team mit umfangreicher Technik
ausgestattet, welches eigenen journalistischen
Content erzeugte und diesen kontinuierlich auf
18
der Plattform veröffentlichte. Ausgewählte User in
Statistenrollen oder deren Requisiten mussten mit
weiterem organisatorischen Aufwand aus verschiedenen Teilen des Landes zum Drehort gebracht
und bei den Dreharbeiten ausreichend in Szene
gesetzt werden.
In der Postproduktionsphase unterlag die Montage
ebenfalls der Anforderung, Bild- und Tonmaterial
nicht nur im Hinblick auf das Erzählen der Geschichte hin zu arrangieren, sondern ebenfalls den
von Usern gelieferten Content ausreichend darzustellen. In diesem Sinne wurde der Film neben einer
Langversion in acht Episoden unterteilt und schrittweise vor Fertigstellung des Gesamtfilms veröffentlicht. Im Abspann dieser Episoden wurde zusätzliches Bildmaterial verwendet, welches erneut die
Userarbeit im Filmmaterial hervorhebt.
Die anschließende Distribution eines Films, welcher
nicht auf Amortisierung der Produktionskosten
abzielt, sondern auf die Generierung von Öffentlichkeit, stellt ebenfalls veränderte Anforderungen
an einen Vertrieb. Das eigentliche Ziel der Spielfilmproduktion, also der Ausbau des Unternehmensimages, erforderte generell eine kontinuierliche hintergründige Kommunikation des Corporate Images
und eine ausreichende Umsetzung des Corporate
Designs bei jedweden Medien bzw. Informationsträgern. Die Plattform selbst wurde zum Distributionskanal über das Internet. Zusätzlich wurde die
Technik von Video-On-Demand als Konvergenz
genutzt, denn die Deutsche Telekom GmbH in der
Rolle der Produktion besitzt eine eigene Plattform.
Entsprechend der Kampagne wurde der User bzw.
seine gelebte Partizipation zum Imageaufbau des
Unternehmens eingesetzt. Dazu wurde der Ablauf
einer Werbekampagne zur Imagesteigerung mit
dem Produktionsprozess eines Spielfilms verflochten. Auf organisatorischer Ebene konnte das
Unternehmen vermutlich von bereits existenten
Personalstrukturen im Bereich der Organisation
profitieren und somit der eigenen Marketingabteilungen in den verschiedenen Ländern die Koordination solch einer internationalen Produktion
gewährleisten.
5. Fazit und Ausblick
Bewegte Bilder üben seit ihren Anfängen eine
Faszination auf Menschen aus. Über Jahrzehnte
hinweg entwickelte sich eine weltweite Filmindustrie und der Prozess der Filmherstellung war für
den Zuschauer ein verschlossener Prozess. Der
Einsatz von Crowdsourcing bzw. Crowdfunding
birgt nun für jeden ambitionierten „User“ die Chance
ein kleiner Teil des Ganzen zu werden. Dies bietet
der Branche ein bisher kaum genutztes Potential,
welches aber auch neue Anforderungen an die
Organisation von Filmproduktionen stellt.
Vielleicht ist der Zeitpunkt gekommen, dass ähnlich
zur Öffnung von Innovationsprozessen im Sinne der
User Innovation, auch der bisher „verschlossene“
Prozess der Stoffentwicklung im Produktionsprozess von Spielfilmen von einer Öffnung profitieren
könnte. Dies zum Beispiel in Form einer auf Userkollaboration basierenden Ideenplattform. Vielleicht
werden Drehbücher aber auch durch einen an
die Mass Customization erinnernden Einsatz von
Crowdsourcing zum Produkt einer auf Userdesign
basierten Massenfertigung, welche durch komplexe
Formen von Crowd Voting und der Entwicklung prototypartiger Testfilme eine Art Publikumsevaluation
vor ihrem tatsächlichen Kauf und ihrer Umsetzung
erhalten. Das Potential zeigt sich beispielsweise
auch in der Tatsache, dass ein Unternehmen wie
die Deutsche Telekom GmbH nicht davor zurückschreckte, im Rahmen einer Kampagne zum Imageausbau, ein vermutlich mehr als 10.000.000 €
teures Roadmovie zu stemmen, nur um das Partizipationserlebnis von Usern bei solch einem Projekt
für sich nutzbar zu machen.
Die Unabhängigkeit, welche eine Finanzierung
oder Teilfinanzierung durch Crowdfunding bei Filmprojekten bietet, wird auch weiterhin zunehmend
mehr Filmemacher dazu bewegen, diesen alternativen Weg auszuprobieren. Einhergehend damit
kann man behaupten, dass Entwicklungen im
Bereich der alternativen Filmfinanzierung möglich
sind und diese in Zukunft an Bedeutung gewinnen
könnten. Neben neuen Arbeitsschritten werden
sich allerdings geleichbedeutend auch neue Ansprüche seitens der Crowd auftun. Somit könnte
es zunehmend zu einer größeren Herausforderung
werden, sich als junges Projekt aus der Vielzahl
anderer Projekte hervorzuheben, um die „Gunst“
der willigen Spender zu erlangen. Durch die Integration des Publikums können einzelne Produktionsprozesse in der Filmproduktion für dieses verständlicher und nachvollziehbarer werden, gleichzeitig
beschriebene Synergieeffekte für die Filmproduktion genutzt und hinsichtlich der staatlichen Filmförderpolitik ein Demokratisierungsprozess gefördert werden. Durch die finanzielle Einbindung der
Crowd vor einer potentiellen Förderung könnten
Förderinstitutionen frühzeitig Publikumswünsche
erkennen und folglich ihre Auswahlentscheidungen
treffen.
Die Bedeutung von Crowdsourcing und Crowdfunding auch in anderen Bereichen der Medienproduktion bleibt noch abzuwarten. Man stelle sich ein TVFormat mit lokaler Berichterstattung vor, welches
seinen Content zur Hälfte von Usern aus der Region
geliefert und bewertet bekommt, während der Redaktion vielmehr die Aufgabe der Administration
einer Community und die medienformspezifische
19
Aufbereitung des Contents zukommt. Oder ein
bisher unbekannter Nischenmarkt für eine Onlinezeitschrift wird über Nacht durch eine Crowdfundingkampagne erschlossen, da vor dem Erscheinen
der ersten Ausgabe potentielle Leser ihr Bedürfnis
nach solch einem Medium durch ihre finanzielle
Unterstützung der Idee ausgedrückt haben. Je
nach Medienform, Grad der Digitalisierung des jeweiligen Produktionsprozesses sowie dem Organisationsgrad der Crowdsourcer (z. B. ein einzelner
Journalist oder ein ganzer Verlag), ergeben sich
unterschiedliche Vorgehensweisen und Einsatzmöglichkeiten, aber auch neue Herausforderungen
und eventuell veränderte Produktionsabläufe.
6. Literatur
[1] Hoegg, R., Martignoni, R., Meckel, M., & StanoevskaSlabeva, K. (2008). Web 2.0 Geschäftsmodelle. In M.
Meckel, & K. Stanoevska-Slabeva, Web 2.0 - Die nächste
Generation Internet (S. 39-59). Baden-Baden: Nomos.
[2] Michelis, D. (2012). Social Media Modell. In D. Michelis, &
T. Schildhauer, Social Media Handbuch (2. aktualisierte und
erweiterte Ausg., S. 104-117). Baden-Baden: Nomos.
[3] Medienbulletin. (2012). Eine Filmidee muss sexy sein. medienbulletin - Das Medien Magazin (Ausg. 06/2012 ,Jahrgang 31), S. 24-29.
[4] Ebenhan, M. (2012). Crowdfunding im Film – Crowdfunding als Alternative Finanzierungsmöglichkeit für Filmproduktionen in Deutschland. Berlin: ikosom UG.
[5] H. Krömker, P. Klimsa (2005). Handbuch Medienproduktion
- Produktion von Film, Fernsehen, Hörfunk, Print, Internet,
Mobilfunk
und
Musik.
Wiesbaden:
Verlag
für
Sozialwissenschaft.
[6] Howe, J. (2008). Crowdsourcing: Why the Power of the
Crowd is Driving the Future of Business (1. Edition Ausg.).
New York: Crown Business.
[7] Kreßner, T. (2011). Finanzierung durch Viele gemeinsam Crowdfunding im Bereich Kunst und Kultur. In T. Kreßner,
Social Media im Kulturmanagement. Grundlagen. Fallbeispiele. Geschäftsmodelle. Studien. (1. Ausg., S. 349-364).
Heidelberg: mitp Verlag.
[8] Belleflamme, P., Lambert, T., & Schwienbacher, A. (2011).
Crowdfunding. Tapping the Right Crowd. Abgerufen am 05.
August 2012 von http://ssrn.com/abstract=1578175
[9] Theil, A., & Bartelt, D. (2011). Crowdfunding: Der neue Weg
für private, öffentliche und unternehmerische Förderung. In
F. Loock, & O. Scheytt, Kulturmanagement & Kulturpolitik:
Die Kunst, Kultur zu ermöglichen. Berlin: Raabe.
[10] Gumpelmaier, W. (2011). Warum Crowdfunding kein
schnelles Geld verspricht - Vorraussetzungen für gelungenes Online-Fundraising. In K. Janner, C. Holst, & A. Kopp,
Social Media im Kulturmanagement. Grundlagen. Fallbeispiele. Geschäftsmodelle. Studien. 1. Auflage (S. 365-381).
Heidelberg: mitp Verlag.
[11] Eisfeld-Reschke, J., & Wenzlaff, K. (2011). Crowdfunding
Studie 2010/2011. Berlin: ikosom UG.
[12] Gerecht, C., Haselbach, D., & Theil, A. (2011). Ein neuer
Goldesel? Crowdfunding und Kulturpolitik. In B. Wagner,
Jahrbuch für Kulturpolitik 2011 - Digitalisierung (11. Ausg., S.
157-164). Bonn/Essen: Klartext Verlag.
[13] Henner Fehr, C. (2011). Crowdfunding: mit kleinen Beträgen
Kunst und Kultur unterstützen. In B. Wagner, Jahrbuch für
Kulturpolitik 2011 - Digitalisierung und Internet (Bd. 11 , S.
231-234). Bonn / Essen: Klartext Verlag.
[14] Harzer, A. (2012). Crowdfunding als alternative Finanzie
rungsmethode kultureller und kreativer Projekte - eine empi
rische Untersuchung über die Erfolgsfaktoren kreativer
Crowdfunding Projekte auf Basis internationaler Vergleiche.
Ilmenau.
[15] Hettler, U. (2010). Social Media Marketing: Marketing mit
Blogs, Sozialen Netzwerken und weiteren Anwendungen
des Web 2.0. München: Oldenbourd Wissenschaftsverlag.
[16] Howe, J. (2006). Crowdsourcing Blog. Abgerufen am 12.
Dezember 2012 von http://crowdsourcing.typepad.com/
cs/2006/06/crowdsourcing_a.html
[17] Unter „Outsourcing“ versteht man das Auslagern von Unternehmensinternen Aufgaben, bzw. Strukturen auf externe
Anbieter zugunsten von Kostenersparnis [6].
[18] Papsdorf, C. (2009). Wie Surfen zu Arbeit wird: Crowdsourcing im Web 2.0. Frankfurt a.M./ New York: Campus Verlag.
[19] Expertengespräch
[20] Move On. (2013). www.move-on-film.com. Abgerufen am
12. Juli 2013 von http://move-on-film.com/#!/movie/
intl_movie/
[21]
tyclipso.me, startnext.de (2011). Nutzung: CC BY-ND 3.0
[22] Amazon Studios. (2013). www.studios.amazon.com. Abgerufen am 3. Februar 2013 von http://studios.amazon.com
[23] juntoboxfilms. (2013). www.juntoboxfilms.com. Abgerufen
am 2. Februar 2013 von http://www.juntoboxfilms.com/
20
Die Produktion barrierefreier Filme
Ein Interview mit Fabian Schmidt
M. A.
Fabian Schmidt
Herr Schmidt, Sie sind Geschäftsführer von
„Die Filmagentur“ in Dresden. Welche Leistungen bietet Ihre Agentur an?
DIE FILMAGENTUR GmbH ist eine Dresdner
Filmproduktionsfirma mit weiteren Standorten in
Leipzig, Berlin und Stuttgart. Sie wurde 2008 von
meinem Studienkollegen Alexander Schulz und mir
während des Medientechnikstudiums in Mittweida
gegründet. Unsere Schwerpunkte liegen dabei
auf der Konzeption (Erstellung von Drehbüchern,
Treatments, Film-Ideen) und Produktion (Filmdreh, Filmschnitt, Vertonung) von Bewegtbild-PR.
Zu unseren aktuellen Kunden zählen die Deutsche
Bahn für Stuttgart 21, die United Nations University,
Audi, Procter & Gamble, der Deutsche Bundesrat,
die sächsische Landesärztekammer, diverse Hochschulen und die Deutsche Telekom. Wir drehen
ca. 50 Filme pro Jahr, betreiben einen Filmtechnikverleih (FilmtechnikDresden.de) und wurden für
unseren 90min Spielfilm „Mitfahrgelegenheit“ mit
dem Preis des besten Experimentalfilms 2011 im
MDR ausgezeichnet.
Sie bieten unter anderem an, barrierefreie Filme
zu erstellen, zu drehen und umzuwandeln. Wie
kam es dazu, dass Sie sie diesen Bereich mit
in Ihr Leistungsportfolio aufgenommen haben?
Das Thema existierte in den ersten Jahren bei uns
kaum. Erst mit Beginn des Jahres 2013 haben wir
die ersten Anfragen dazu bekommen und es werden
immer mehr. Die Anfragen kommen vor allem von
staatlichen Institutionen im weitesten Sinn. Ein
Grund für die gestiegene Nachfrage ist sicher die
aktuelle Diskussion um den neuen Beitragsservice
der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und
die damit verbundene Verpflichtung zur Beitragszahlung von Blinden und Gehörlosen, wodurch ein
sehr umfangreiches barrierefreies Medienangebot
in Zukunft angeboten werden soll und muss. Außerdem wird die Förderung für die Bereitstellung
barrierefreier Filme von der Bundesregierung durch
den Deutschen Filmförderfonds auch im Jahr 2013
weiterhin fortgesetzt.
Wir erklären uns das gestiegene Interesse auch
mit der gewandelten Funktion von Bewegtbild im
Kommunikationsmanagement insgesamt. Filme
werden immer öfter als funktionale Bewegtbild-PR
eingesetzt und sind somit mehr und mehr elementarer Bestandteil der Vermittlung – natürlich auch
für Menschen mit Behinderung. Vielfach wurden
Filme auch als spielerische Ergänzung zum klassischen Informationsangebot verstanden. Dieses
Bild wandelt sich.
Wir verstehen DIE FILMAGENTUR als Full-Serviceagentur und haben uns daher entschieden, uns
in die Problematik einzuarbeiten. Es galt für uns
erst mal zu klären, was Barrierefreiheit für Filme eigentlich heißt und welche Formen von Behinderung
beachtet werden müssen. Seit vielen Jahren gibt
es gesetzliche Vorgaben und Verordnungen nach
Bundes- und Landesrecht, dass Internetauftritte,
besonders die öffentlicher Institutionen, Behörden
und Einrichtungen barrierefrei bzw. barrierearm angeboten werden sollen/müssen. Die maßgebliche
Verordnung ist aktuell die „Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nach dem
Behindertengleichstellungsgesetz“, auch genannt:
(BITV 2.0) mit Stand September 2011. Sie ist übrigens ein Ergebnis der Behindertenrechtskonvention, die 2009 von Deutschland ratifiziert wurde.
Besonders wichtig ist hier der §21 (Recht der freien
Meinungsäußerung, Meinungsfreiheit und Zugang
zu Informationen) da heißt es u.a.: „d) die Massenmedien, einschließlich der Anbieter von Informationen über das Internet, dazu auffordern, ihre
Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen
zugänglich zu gestalten; e) die Verwendung von
Gebärdensprachen anerkennen und fördern.“
Was ist beim Umwandeln bzw. bei der Konzeption und dem Dreh von barrierefreien Filmen zu
beachten und welche Unterschiede gibt es im
Vergleich zu konventionellen Filmen?
Grundsätzlich muss man sagen, dass durch die
Nutzung von Filmen im Internet die Produktion von
barrierefreien Filmen an sich kein Neuland ist. Es
gibt etablierte Verfahren, die angewendet werden.
21
So trivial es vielleicht klingt, aber es muss bei der
Gestaltung zunächst zwischen zwei Arten barrierefreier Filme unterschieden werden: 1. Filme, die nur
für Menschen mit Behinderung produziert wurden,
also mit Inhalten, die sich nur an sie richten und
daher per se barrierefrei erstellt sind. 2. Filme, die
jeden im engeren Sinn betreffen und somit auch
fit gemacht werden müssen für Menschen mit
Behinderung.
Bei Letzterem muss entschieden werden, für welche
Art von Einschränkung der Film gemacht wird: Gehörlose, Blinde oder Sehbehinderte und Menschen
mit geistiger Behinderung. Barrierefreiheit entsteht
durch einen produktionstechnischen Mehraufwand.
Wir produzieren den Ausgangsfilm zunächst nicht
anders, nur weil er später barrierefrei sein soll.
Darüber hinaus empfehlen wir Filme, die der Funktion dienen Wissen zu vermitteln, so einfach wie
möglich in der Aussage und Inszenierung zu produzieren. Dramaturgische Kniffe, bildliche Spielerein
oder zu aufwendige Überblendungen von Szenen
verbieten sich meist. Barrierefreiheit bedeutet für
uns, den Film mit Informationen so zu erweitern,
dass er von jedem genutzt werden kann.
Durch welche Maßnahmen werden die Filme
„barrierefrei“?
Um Gehörlosen Filme zu zeigen, reicht es nicht nur
Untertitel des gesprochenen Wortes anzubieten, da
diese nicht adäquat die akustischen Inhalte eines
Films wiedergeben. Gehörlose verständigen sich
in der Gebärdensprache, mit der können sie sich
differenzierter ausdrücken, das ist die Sprache, die
ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten am nächsten
kommt, sodass es gilt, diese zu fördern und möglichst breit anzubieten. Wir überführen die Texte in
Gebärdensprache, drehen also mit einem staatlich
geprüften Gebärdensprachendolmetscher (inkl.
Studio, Team, Licht, Technik) und fügen an einer
Ecke des Films in Lautsprache das Fenster mit der
Gebärdensprache des Dolmetschers ein.
Untertitel direkt in den Film geschrieben werden,
sodass sie nicht ausgeblendet werden können.
Oder es existiert ein Flashplayer mit der Funktionalität Untertitel manuell einzublenden, die dann in
einer separaten Datei auf dem Server liegen.
Blinden und sehbehinderten Menschen reicht es
nicht, nur den Sprecher/Moderationstext eines Films
zu hören, sofern der überhaupt verfügbar ist. Er
muss auf die Bedürfnisse zugeschnitten und eingesprochen sein, die ein Blinder oder Sehbehinderter
hat. In dem Text muss alles beschrieben werden,
was im Bild zu sehen ist, sodass alle Zusammenhänge verstanden werden, inkl. aller Dialogwechsel,
Artikulationen, Aktionen und Situationen, die es zu
sehen gibt. Viele Blinde oder Sehbehinderte Menschen surfen im Web indem sie sich Texte von einer
Computerstimme vorlesen lassen. Sollte das Geld
für diesen eigenen Sprechertext nicht reichen, sollte
zumindest ein entsprechender Text online gestellt
und in die Videobeschreibung bei YouTube oder im
Umfeld des eingebunden Films auf der Institutionsseite bereitgestellt werden.
Das Gleiche gilt für das Einsprechen eines Sprechertext in einfach gehaltener Sprache für Menschen mit einer geistigen Behinderung oder einer
Lernbehinderung.
Übrigens: Auch wenn es nicht zu unserem Kerngeschäft zählt, haben wir auch schon klassische Webtexte extra durch einen Sprecher als downloadbare
Audiodatei für unterwegs aufgenommen. Dort ging
es um die Beschreibung eines neuen Zugangsweges zu den Gleisen des Stuttgarter Hauptbahnhofes während der Bauarbeiten. Auch das ist eine
zeitgemäße Form von Barrierefreiheit.
Wenn das Budget für diesen zusätzlichen Dreh
nicht reicht, sollten zumindest erklärende Untertitel
eingefügt werden. Hier bietet der konventionelle
YouTube-Player die Möglichkeit, Untertitel einzublenden. YouTube kann sogar durch eine Worterkennung automatische Untertitel erstellen. Die
automatische Erkennung funktioniert aber nur gut,
wenn der Text professionell eingesprochen wurde.
Es sollte bei den Timecodes außerdem in den einzelnen Textzeilen auf sinnige Satzsprünge geachtet
werden. Darüber hinaus müssen Sätze gekürzt oder
umgeschrieben werden. Es darf ja nicht vergessen
werden: Der Gehörlose will in erster Linie einen Film
sehen und keinem Text hinterherlesen. Wenn Filme
aber durch einen eigenen Player auf den Institutionswebsites online bereitgestellt werden, müssen
22
Metadaten als Erfolgsfaktor in der Medienproduktion
Automatische Erschließung von Multimedia-Daten mit MediaGrid-Technologien
von Sebastian Kirch und Michael Eble
Dipl.-Inf.
Sebastian Kirch
1. Herausforderungen vernetzter MultimediaProdukte
Mobile Endgeräte wie Smartphones und Tablets,
internetfähige Smart-TVs und die Alltäglichkeit
des mobilen Internets trugen insbesondere in den
letzen Jahren dazu bei, dass unsere Mediennutzung immer vielseitiger wurde. Nicht nur Fernsehund Radioanbieter, sondern auch Zeitungs- und
Zeitschriftenverlage sind inzwischen Betreiber
von Online-Medien mit multimedialen Videoangeboten und Web-basierten TV-Angeboten. Durch die
Zunahme der verfügbaren Distributionskanäle tritt
für viele medienproduzierende Unternehmen daher
die Frage Zweitverwertung multimedialer Inhalte in
den Vordergrund.
Zwar ermöglichen digitale Inhalte eine Vielzahl von
Alternativen zur Bearbeitung und Zweitverwertung.
Gleichzeitig besteht jedoch die Herausforderung,
wie die immensen, digitalen Bestände wirtschaftlich verwertet werden können. Denn eine effiziente
Mehrfachnutzung der Medieninhalte - sei es für
die unternehmensinterne oder für die marktseitige
Mehrfachverwendung [1] - setzt eine gute Kenntnis
der archivierten Inhalte voraus. Eine detaillierte
Erschließung des Archivmaterials ist hierfür die
zwingende Vorbedingung [2]: „Sind die in Medienunternehmen zu einem großen Anteil unstrukturierten Daten (Text, Bild, Video etc.) […] erst einmal
in vollem Umfang für die Datenanalyse nutzbar,
können sich hier neue Anwendungspotentiale
ergeben.“. Beispiele hierfür sind das Galileo Videolexikon von ProSieben [3] oder die Erschließung
des FotoTV.-Archivs [4].
Die Sichtung und Erschließung von Archivmaterial erfolgt jedoch in vielen Fällen noch manuell.
Aufgrund der Fülle des Materials ist dann oft nur
eine oberflächliche Erschließung möglich, die
selten über eine kurze Beschreibung des Inhalts
Dr.
Michael Eble
hinausgeht. Für die Anwendungsfälle moderner
Medienunternehmen sind diese Beschreibungen
jedoch nur bedingt hilfreich. Um audiovisuelle
Medien effizient durchsuchen und verlinken zu
können, müssen die Inhalte in Form von Volltexten
(z. B. von gesprochenen Texten) und strukturierten
Metadaten vorliegen.
2. Automatische Medienerschließung als
Lösungsansatz
Automatische Verfahren stellen eine kostengünstige Alternative dar, um große Mengen audiovisueller Daten wirtschaftlich zu erschließen [5]. Hierzu
zählen beispielsweise Verfahren wie das Erkennen
von Schnitten in Videos oder die Spracherkennung.
Solche Verfahren erzeugen Metadaten als Basis für
eine spätere Suche automatisiert - und das um ein
Vielfaches schneller als es mit einer manuellen Erschließung möglich wäre.
Hierzu sind jedoch sowohl innovative Technologien
notwendig als auch enorme Rechenressourcen.
Für ein Medienunternehmen kann es daher zu zusätzlichen Investitionskosten kommen, wenn es
automatische Verfahren zur Erschließung seines
Materials verwenden möchte. Insbesondere kleine
und mittlere Unternehmen (KMUs) und Einrichtungen besitzen jedoch nicht die technischen, organisatorischen oder finanziellen Voraussetzungen,
um entsprechende Technologien und vor allem die
von diesen Technologien benötigten Infrastrukturen
einzusetzen [6].
3. MediaGrid: Verfahren für die automatische
Erschließung
MediaGrid [7], ein vom Bundesministerium für
Bildung und Forschung (BMBF) gefördertes Forschungsprojekt, greift diesen Bedarf auf. Die Idee
von MediaGrid ist es, intelligente Verfahren zur
automatischen Medienerschließung als Dienstleistung anzubieten, um somit eine kostengünstige und bedarfsgerechte Erschließung von audiovisuellen Medien zu ermöglichen. Die Verfahren
lassen sich über Schnittstellen in bestehende
23
Produktionsprozesse einbinden. So können diese
Redakteure, Archive und Content-Produzenten
schon bei der Erstellung von Beiträgen sowie
beim Anlegen von beschreibenden Metadaten
unterstützen.
Zur schnellen und akkuraten Erschließung der
Inhalte kommen in MediaGrid innovative Verfahren
zur Audioanalyse des Fraunhofer-Instituts für Intelligente Analyse- und Informationssystem IAIS [8]
und Verfahren zur Videoanalyse der Philipps-Universität Marburg [9] zum Einsatz (siehe Tabelle 1).
Um diese teils rechen- und speicherintensiven Verfahren effizient und skalierbar ausführen zu können,
greift MediaGrid einerseits auf die Ressourcen des
D-Grid [10] zurück. Diese deutschlandweit verteilte Infrastruktur aus Rechenressourcen an Universitäten und Rechenzentren wurde im Rahmen
verschiedener Initiativen des BMBF mit insgesamt
mehr als 100 Millionen Euro gefördert und wird vorwiegend für akademische Zwecke genutzt. Für den
kommerziellen Einsatz setzt MediaGrid auf Clusteroder Cloud-Ressourcen wie Amazon EC2 [11].
Damit sich die Analyseverfahren möglichst nahtlos
in die bestehenden Anwendungen und Produktionsprozesse von Redaktionen und Archiven integrieren lassen, setzt MediaGrid auf standardisierte
Schnittstellen. Die MediaGrid-Diensteplattform
stellt hierfür als zentrale Plattform eine Reihe technischer Schnittstellen (z. B. SOAP Web Services)
zur Verfügung. Sie abstrahiert so von der Komplexität der unterliegenden verteilten Infrastruktur und
ermöglicht sowohl die Nutzung einzelner Verfahren
als auch die Erstellung und Ausführung ganzer
Workflows.
Mit Hilfe der MediaGrid-Diensteplattform wurden
die Analyseverfahren im Rahmen des Projekts exemplarisch in zwei Kundenanwendungen integriert:
Zum einen wurde gemeinsam mit dem Projektpartner ArchivInForm [12] das semiautomatische
Annotationstool DiVEGrid entwickelt. Die Software
bietet Archivaren und Redakteuren die Möglichkeit,
die Resultate der automatischen Analyseverfahren
manuell zu erweitern, um somit zu einem nahezu
perfekten Ergebnis zu gelangen. Zum anderen
wurden die Analyseverfahren in die Programmplanungssoftware des Projektpartners Grid-TV [13]
integriert, um dadurch ohne manuellen Eingriff automatisiert personalisierte IP-TV-Programme zu
produzieren. Abbildung 1 illustriert die Gesamtarchitektur von MediaGrid.
Verfahren zur Audioanalyse
Audiosegmentierung
Segmentierung von
Audiodaten in solche
Teile, in denen Sprache
vorkommt und solche,
in denen keine Sprache
vorkommt
Sprechergruppierung
Gruppierung von
Sprachsegmenten, die
vom gleichen Sprecher
stammen
Verfahren zur Videoanalyse
Videosegmentierung
Zeitliche Segmentierung eines Videos
durch die Detektion von
harten Schnitten und
graduellen Übergängen
Geschlechtserkennung
Detektion des Geschlechts eines Sprechers
Erkennung von Kamerabewegungen
Automatische Detektion von Kamerabewegung und Zoom
Sprechererkennung
Identifikation des Sprechers eines bestimmten Sprachsegments
Gesichtserkennung
Automatische Detektion von Gesichtern in
einer Videosequenz
Spracherkennung
Umwandlung von
gesprochener Sprache
in durchsuchbaren Text
(Speech to Text)
Gesichtsidentifikation
Identifikation von zuvor
erkannten Gesichtern
(z. B. von Politikern
und Prominenten)
Video-OCR
Automatische Texterkennung von in Videos
eingeblendeten Textinformationen (z. B.
Erkennen von Personennamen in Bauchbinden)
Tabelle 1: Automatische Verfahren zur Analyse von audiovisuellen
Medieninhalten in MediaGrid
Abb. 1: Anwendungen greifen über die MediaGrid-Diensteplattform
auf die Analyseverfahren zu.
24
4. Anwendungen in der Medienproduktion und
Ausblick
Im Fokus der dreijährigen Projektphase von MediaGrid stand nicht nur die Umsetzung der technischen Plattform, sondern auch die Erarbeitung und
Umsetzung von Konzepten für die wirtschaftliche
Verwertung. In enger Zusammenarbeit mit dem
Projektpartner Detecon [14] wurde eine Verwertungsstrategie entwickelt, die potentielle Kunden
und Märkte aufzeigt sowie mögliche Geschäftsmodelle skizziert.
Auf Basis dieser Modelle und der in MediaGrid
sowie im BMWi-Projekt Contentus [15] entwickelten Technologien hat das Fraunhofer IAIS im
Anschluss an die Projektförderung die Diensteplattform „mydec” [16] aufgebaut. mydec stellt leistungsfähige Analyseverfahren für Dokumente und
multimediale Daten als Cloud-Services bereit, um
Medienbestände in großen Volumina erschließen
zu können. Hierbei stehen nicht nur die Verfahren
selbst im Vordergrund, sondern auch Tools und
Prozesse, um die automatischen Verarbeitungsergebnisse je nach Anwendungsfall zu verbessern
oder zu ergänzen. Dieser Ansatz erlaubt eine flexible und bedarfsgerechte Medienerschließung, die
Unternehmen beispielsweise für die Aufbereitung
von Archivmaterial, zur Integration von MultimediaInhalten in das Wissensmanagement [17] oder
zur Suchmaschinenoptimierung von Videoinhalten
(Video-SEO) nutzen können.
5. Literatur
[1]
Hess, T. & Schulze, B. (2004). Mehrfachnutzung von Inhalten in der Medienindustrie. Grundlagen, Varianten und
Herausforderungen. Altmeppen, K-D.; Karmasin, M. (Eds.):
Medien und Ökonomie, Band II, Wiesbaden, pp. 41-62
[2]
Picot, A. & Propstmeier, J. (2013). Big Data. Medienwirtschaft, 1/2013, 10. Jg, pp. 34-38.
[3]
Galileo Videolexikon. URL: http://www.galileo-videolexikon.
de/
[4]
FotoTV. (2012). Fraunhofer IAIS optimiert Wissens
zugang zum FotoTV.-Archiv. URL: http://www.fototv.de/blog/
fraunhofer_iais_optimiert_wissenszugang_zum_fototvarchiv
[5]
Eble M. & Kirch S. (2013a). Metadaten aus der Cloud: Erschließung von Medienarchiven über Diensteplattformen
und Software as a Service. In: Info7 28 (2013), Nr. 1,
pp. 37-42.
[6]
Golkowsky C. & Vehlow M. (2011). Cloud Computing im Mit
telstand. Erfahrungen, Nutzen und Herausforderungen.
PricewaterhouseCoopers. URL: http://www.pwc.de/de_DE/
de/mittelstand/assets/Cloud_Computing_Mittelstand.pdf
[7]
MediaGrid. URL: http://s.fhg.de/mediagrid
[8]
Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS - Geschäftsfeld Content Technologies
and
Services.
URL:
www.iais.fraunhofer.de/cts.html
[9]
Philipps-Universität Marburg, Arbeitsgruppe Verteilte
Systeme.
URL:
http://www.uni-marburg.de/fb12/
verteilte_systeme
[10]
D-Grid Initiative. URL: http://www.d-grid.de/
[11]
Amazon Elastic Compute Cloud (EC2). URL: http://aws.
amazon.com/de/ec2/
[12]
ArchivInForm GmbH. URL: http://archivinform.de/
[13]
Science-TV GmbH - Grid-TV. URL: http://www.grid-tv.com/
[14]
Detecon International GmbH. URL: http://www.detecon.com/
de/
[15]
CONTENTUS - Technologien für die Mediathek der Zukunft.
URL: http://theseus.pt-dlr.de/de/contentus.php
[16]
mydec. URL: http://www.iais.fraunhofer.de/mydec.html
[17]
Eble M. & Kirch S. (2013b). Wissenstransfer und Mediener
schließung: Werkzeuge für die Integration von Multimedia-In
halten in das Wissensmanagement. In: Open Journal
of Knowledge Management, 7(1), pp. 42–46. URL: http://
www.community-of-knowledge.de/fileadmin/user_upload/
attachments/OpenJournalOfKM_VII_2013.pdf
25
Impressum
Herausgeber:
Prof. Dr. Paul Klimsa Prof. Dr. Heidi Krömker (paul.klimsa(at)tu-ilmenau.de)
(heidi.kroemker(at)tu-ilmenau.de)
Chefredaktion:
Dipl.-Ing. Janine Liebal Dipl.-Medienwiss. Oliver Klosa (janine.liebal(at)tu-ilmenau.de)
(oliver.klosa(at)tu-ilmenau.de)
Verantwortliche Redakteure:
Katja Nörthen(katja.noerthen(at)tu-ilmenau.de)
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Layout:
Katja Nörthen
Franziska Baier(franziska.baier(at)tu-ilmenau.de)
Linette Heimrich B.A.
(linette.heimrich(at)tu-ilmenau.de)
Dipl.-Ing. Janine Liebal
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26
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11.10.2013
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