Wo bleibt die Gerechtigkeit in Kambodscha?

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Wo bleibt die Gerechtigkeit in Kambodscha?
Thomas Hummitzsch1
Wo bleibt die Gerechtigkeit in Kambodscha?
Eine historisch-chronologische Analyse des rechtlichen Umgangs mit den
Tätern in den vergangenen 30 Jahren nach dem Völkermord
* Sicherheitsregeln im Foltergefängnis Tuol Sleng in Phnom Penh, Privatphoto
1
Thomas Hummitzsch ist Mitarbeiter der Kambodscha-Koordination der deutschen
Sektion von amnesty international
Inhaltsverzeichnis
Zeittafel..........................................................3
Vorwort............................................................4
Die Verbrechen der Roten Khmer – Eine Bilanz.......................5
Die Evakuierung der Städte....................................... 5
Der Vier-Jahresplan – die Basis der Terrorherrschaft............. 7
Der Kampf gegen Vietnam .........................................9
Systematisierung der Todesursachen.............................. 10
Ein Völkermord?.................................................12
Vergangenheitsbewältigung von 1979 bis 1991 – Verlorene Zeit......14
Versuche der politischen Integration der Roten Khmer (1991 - 1999)..
21
Ein Tribunal für die Verbrechen der Roten Khmer...................25
Warum ist eine juristische Verfolgung wichtig?....................31
Fazit.............................................................37
Literaturverzeichnis..............................................38
Literatur.......................................................38
Artikel.........................................................38
Dokumente.......................................................39
Weiterführende Onlinequellen.................................... 41
Medien..........................................................41
2
Zeittafel
1954
1960
19651970
1969
1970
1975
1976
1979
1982
1985
Ab 1987
1988
1989
1991
1992
1993
1994
1996
1997
1998
1999
2001
2003
2004
2005
Friedensabkommen mit Frankreich auf der Genfer Indochinakonferenz;
Erlangen der Unabhängigkeit
Prinz Norodom Sihanouk wird Staatsoberhaupt
Beginn des bewaffneten Widerstands der Roten Khmer (RK)
Ausweitung der US-Bombardements von Vietnam auf Kambodscha
Staatsstreich des General Lon Nol, Beginn des fünfjährigen Bürgerkriegs
17. April: Die RK nehmen Phnom Penh ein und installieren die Herrschaft
der „Angkar“; Prinz Norodom Sihanouk wird formell zum Staatsoberhaupt
ernannt
Die RK proklamieren das Demokratische Kampuchea; Pol Pot wird
Premierminister, Khieu Samphan Staatschef; Norodom Sihanouk tritt
zurück und wird unter Hausarrest gestellt
7. Januar: Vietnamesische Truppen unterstützen die kambodschanische
Opposition in Vietnam bei der Befreiung des Landes; Proklamation der
Volksrepublik Kampuchea (PRC); Beginn der vietnamesischen Besatzung
Kambodschas; in einem Schauprozess werden Pol Pot & Ieng Sary in
absentia zum Tode verurteilt
Bildung
einer
„antikommunistischen“
Exilregierung
in
Thailand,
bestehend aus Pol Pots RK, Sihanouks Royalisten und der buddhistischliberalen Partei Son Sanns
Hun Sen wird Premierminister der Volksrepublik Kampuchea
Annäherung zwischen Hun Sen und Prinz Norodom Sihanouk
Prinz Norodom Sihanouk tritt als Präsident der Exilregierung zurück
Proklamation des „State of Cambodia“ [SOC) mit Hun Sen an der Spitze;
Abzug der letzten vietnamesischen Truppen im September
23. Oktober: Abschluss der Pariser Friedensgespräche mit dem „Vertrag
zur umfassenden politischen Regelung des
Kambodscha-Konfliktes“Beteiligt sind 18 Staaten und die vier kambodschanischen Fraktionen
Die UN-Übergangsverwaltung UNTAC übernimmt die Regierungsgeschäfte und
beginnt mit der Umsetzung ihrer Mandatsaufgaben
Erste freie Wahlen, Sieg der royalistischen FUNCINPEC; Hun Sens CPP
weigert sich, die Regierungsgeschäfte zu teilen; Doppelregierung aus
CPP & FUNCINPEC
Gesetz zur Ächtung der RK verbunden mit Amnestierungen für Überläufer
Seitenwechsel von Ieng Sary und seinen Einheiten zu den staatlichen
Truppen, königliche Begnadigung Ieng Sarys
Regierungsinterne Machtkämpfe eskalieren und Hun Sens CPP erringt die
Obermacht;
Schauprozess
gegen
Pol
Pot
durch
RK-Kader
wegen
seiner
innerparteilichen Verbrechen seit 1979; Urteil: lebenslanger Hausarrest
Nationale und internationale Bemühungen um ein Tribunal gegen die RK
beginnen
Hun Sen wird in formal demokratischen Wahlen in seinem Amt bestätigt;
Tod Pol Pots; politischer Seitenwechsel Khieu Samphans und Nuon Cheas
auf die Regierungsseite; Abkommen zwischen Regierung und RK zur
Eingliederung der RK-Truppen in die nationalen Streitkräfte bei
gleichzeitiger Amnestierung
Aufnahme
Kambodschas
in
die
ASEAN;
UN-Expertenkommission
prüft
Umsetzungsmöglichkeiten eines Tribunals
Kambodscha erlässt ein Gesetz zur Bildung außerordentlicher Kammern an
den kambodschanischen Gerichten zur strafrechtlichen Verfolgung der RK
UN und Kambodscha einigen sich auf die Bildung des Tribunals an den
kambodschanischen
Gerichten
nach
kambodschanischem
Recht
mit
internationaler Beteiligung; CPP gewinnt parlamentarische Wahlen
Gründung
der
CPP-FINCINPEC-Koalition;
Kambodschanische
Regierung
ratifiziert Tribunalbildung
Finanzierung des Tribunals bis auf 4,4 Mio. US $ gesichert
3
Vorwort
„[…] Es tut uns sehr leid. Nicht nur um die Opfer unter der Bevölkerung, sondern
auch um die Opfer unter den Tieren. […]“2
Der Hohn, welcher aus diesen Worten des ehemaligen „Bruder Nr. 2“ Ieng
Sary
spricht,
macht
das
Dilemma
der
politischen
und
juristischen
Aufarbeitung der eigenen Geschichte im heutigen Kambodscha mehr als
deutlich. Die Opfer unter den Tieren zu betonen, während mehr als 1,7
Millionen
Menschen
konterkariert
auf
grausamste
jegliche
Art
und
Vorstellungen
Weise
von
ums
Leben
eigener
kamen,
Schuld
als
Voraussetzung einer Entschuldigung.
In den drei Jahren, acht Monaten und zwanzig Tagen der Herrschaft der
Roten Khmer (im Folgenden: RK) wurden massenweise Menschen gezielt
vertrieben
und
verfolgt,
Konsequenz
eines
gefoltert,
„natürlichen
getötet
und
Ausleseprozesses“
hingerichtet.
wurde
der
Tod
Als
von
hunderttausenden Kindern und Greisen, Männern und Frauen infolge von
unmenschlichen
Arbeitsbedingungen,
durch
Hunger
und
Krankheiten
geradezu gleichgültig hingenommen. Kann einem Volk, welches in vier
Jahren
nahezu
widerfahren
um
und
ein
wenn
Familien,
von
denen
verschont
geblieben
Viertel
ja,
wie
kann
kaum
eine
von
ist,
das
reduziert
dies
den
Gefühl
wurde,
geschehen?
Folgen
geben,
des
dass
Gerechtigkeit
Kann
man
den
Pol-Pot-Regimes
jeder
Täter
den
gerechten Preis für seine Taten in den Jahren 1975 – 1979 zu zahlen
haben wird? Ist es überhaupt möglich, über die Mörder, deren Helfer
und Helfershelfer zu urteilen? Und wenn nicht, können wenigstens die
politisch
Hauptverantwortlichen
zur
Rechenschaft
gezogen
und
zur
Bestrafung gebracht werden?
Unter den Regierungsformen der letzten 40 Jahre in Kambodscha fanden
teils
massive,
teils
vereinzelte
Menschenrechts-
oder
Kriegsrechtsverletzungen statt. Diese Arbeit muss sich aber auf die
Verbrechen während der Diktatur der RK unter Pol Pot „beschränken“ und
versucht
dabei,
aufzunehmen.
die
Dabei
Spuren
können
im
einer
Aufarbeitung
Wesentlichen
nur
dieser
die
Verbrechen
politischen
und
strafrechtlichen täterorientierten Reaktionen veranschaulicht werden.3
Die Darstellung der Versuche von Gerechtigkeitswiederherstellung in
Kambodscha
ist
im
Tätigkeitsbereich
zwischen
Politik
und
Recht
angesiedelt und wird sich in großen Teilen historisch-chronologisch
2
3
Nuon Chea (Präsident des Zentralkomitees unter den RK (RK)) auf einer Pressekonferenz am
29. 12. 1998, nachdem er und sein Mitkämpfer Khieu Samphan (RKStaatspräsidiumsvorsitzender) der Cambodian Peoples Party (CPP) des Premierministers Hun
Sen beigetreten sind; in: „Die RK – Völkermord in Kambodscha“, Ein Arte-Themenabend; Teil
III: Schuld ohne Sühne.
Opferorientierte, Normorientierte und Institutionelle Reaktionen werden nur am Rande und
dann zur Sprache kommen können, wenn sie in enger Verbindung mit den täterorientierten
Reaktionen stehen.
4
strukturieren. Dies liegt an der engen Verbindung von realpolitischen
Aufbauprozessen Kambodschas und politisch-gesellschaftlichen Prozessen
im Umgang mit der Vergangenheit. Hierzu wird anfangs der Versuch einer
Bilanzierung der kommunistischen Diktatur der RK unternommen, in der
die einzelnen Phasen der Schreckensherrschaft herausgearbeitet werden.
Anschließend sollen die Todesursachen unter Pol Pot strukturiert und
die Frage der Völkermordrelevanz diskutiert werden. In historischer
Reihenfolge
werden
strafrechtlichen
anschließend
Aufarbeitung
die
sowie
Versuche
deren
der
politischen
Fehler,
Probleme
und
und
Beschränkungen erörtert. Dabei sollen u.a. die Unterstützung der RK
durch die Vereinten Nationen, die Kambodscha auferlegten Pflichten der
internationalen Gemeinschaft in den Paris-Abkommen sowie deren Folgen,
die Versuche der innenpolitischen Integration der RK als auch die
Diskussion um einen RK-Sonderstrafgerichtshof zur Sprache kommen.
Kambodscha wird nunmehr seit 30 Jahren von dem kollektiven Trauma der
drei Jahre, acht Monate und zwanzig Tage der RK-Herrschaft gefangen
gehalten.4 Niemand kennt die Ursachen und Gründe des Massenmords unter
den RK, außer die Täter selbst. Für Kambodschas Gesellschaft und deren
Glauben an Recht und Gesetz als auch für deren Chancen, eines Tages
die eigene Geschichte zu verstehen und mit ihr umgehen zu können, ist
die
kollektive
Aufarbeitung
der
Diktatur
der
RK
von
äußerster
Wichtigkeit.
Die Verbrechen der Roten Khmer – Eine Bilanz
Es wäre fatal, die Herrschaft der RK auf ihren Führer und „Bruder Nr.
1“ Pol Pot zu beschränken, da es unmöglich ist, einer einzigen Person
sowohl die alleinige Durchführung als auch Organisation eines Genozids
mit diesen Ausmaßen zuzuschreiben. Um Pol Pot reihten sich mehrere
Dutzend kommunistischer Kader, die in gemeinsamer Arbeit und strenger
Struktur mehr als 1,7 Millionen Tote zu verantworten haben. Wie war es
möglich, dass eine Elite politischer Fanatiker ein solches Blutbad
anrichten konnte? Der Versuch einer Rekonstruktion:
Die Evakuierung der Städte
„[…] We went to Phnom Penh to search for hidden enemies there, and drive people
out. … We were told to tell people to leave for three days, and that then they
could return. We were told to shoot people who refused. Our group shot 2 or 3
families north of Daeum Thkou market. […]”5
4
5
Im Rahmen einer Umfrage wurden Kambodschaner nach ihren nachhaltigsten Erlebnissen während
der RK-Diktatur befragt. Zu den traumatischsten Erlebnissen zählten Hunger, Tötungen,
Zwangsarbeit, Krankheiten und Folterungen; KHMER INSTITUTE OF DEMOCRACY: Survey on the Khmer Rouge
Regime and the Khmer Rouge Tribunal 2004, S. 3; zugänglich unter:
www.bigpond.com.kh/users/kid/pdf/Tribunal-Eng/SurveyEvaluation-4.pdf
.
Zit. Nach: Kiernan, Ben: The Pol Pot Regime – Race, Power, and Genocide in Cambodia under
the Khmer Rouge, 1975 – 1979, S. 43.
5
Mit dem Fall von Phnom Penh am 17. April 1975 hatte General Lon Nol
abgedankt
und
die
RK
übernahmen
die
Führung
Kambodschas.
Die
Stadtbevölkerung wurde noch am selben Tag auf das Land vertrieben. Als
Begründung
diente
das
von
den
kommunistischen
Truppen
gestreute
Gerücht, die Amerikaner beabsichtigten, die kambodschanischen Städte
zu bombardieren. Mit dem Exodus der so genannten „neuen Menschen“6
begannen
auch
die
Straßenkreuzungen
ersten
und
Säuberungsaktionen
-sperren
wurden
den
der
RK.
An
Kambodschanern
ihre
Ausweispapiere abgenommen und verbrannt. Ehemalige Mitglieder der LonNol-Regierung
wurden
hier
bereits
„aussortiert“
und
meist
sofort
liquidiert. So standen in den ersten Monaten der Herrschaft der RK vor
allem die Säuberungen der alten politische und militärischen Elite im
Vordergrund.
Des
rücksichtslose
Weiteren
entledigte
Vertreibungspolitik
sich
und
das
spätere
Regime
durch
seine
Arbeitspolitik
von
denjenigen Bevölkerungsteilen, die – in RK-Ideologie – zu schwach und
nutzlos für den Aufbau des „neuen Kambodschas“ waren. Krankenhäuser
und Behindertenstationen wurden rücksichtslos geräumt: Behinderte und
nicht-mobile Kranke wurden aus den Fenstern geworfen, erschlagen oder
erschossen. Alte, Kranke und Kinder, die laufen konnten, wurden mit
der Stadtbevölkerung vertrieben und starben meist schon während der
Wanderung aufs Land an Unterernährung oder Erschöpfung.7 John Barrou
und
Paul
Anthony
beschreiben
anhand
von
Augenzeugenberichten
Vertreibung der Stadtbevölkerung und den beginnenden Politizid
9
die RK in aller Ausführlichkeit.
8
die
durch
Die Ziele der ersten Monate wurden
auf einer Konferenz der Führungskader am 20. Mai 1975 festgelegt.
Neben der bereits weitgehend erfolgten Evakuierung der Städte sollten
alle Märkte und Geldwerte vernichtet werden. Die buddhistischen Mönche
sollten
in
die
zu
schaffenden, Arbeitslager
ähnlichen
Kooperativen
gezwungen und die vietnamesische Minderheit komplett aus Kambodscha
vertrieben
werden.
Alle
ehemaligen
Mitglieder
des
Lon-Nol-Regimes
sollten umgebracht werden – eine Umerziehung kam gar nicht erst in
Frage.10 Nachdem in den ersten Wochen und Monaten die meisten dieser
„unsauberen Elemente“ beseitigt wurden, wich man zunehmend auf Lehrer,
„Intellektuelle“11
6
7
8
9
10
11
und
Prostituierte
aus.
Wie
geplant,
wurde
der
Bezeichnung der städtischen Kambodschaner, denen angelastet wurde, feudale und
imperialistische Gedanken zu hegen und sich in der Vergangenheit auf den Schultern der
Bauern ausgeruht zu haben.
Kiernan, Ben: The Pol Pot Regime, S. 39 ff.
Aufgrund der schwierigen Einordnung des kambodschanischen Massenmords in die Kategorie des
Genozids weichen einige Autoren auf den Begriff des „Politizid“ aus, welcher die
systematische Ermordung und Verfolgung politischer Gruppen mit der Intention ihrer totalen
Vernichtung bezeichnet. Der Autor benutzt diesen begriff aufgrund der Tatsache, dass zu
Beginn der Regierung Pol Pot’s zwar noch kein Genozid, ganz sicher aber ein „Politizid“
beabsichtigt war.
Anthony, Paul & Barrou, John: Das Massaker.
Kiernan, Ben: The Pol Pot Regime, S.55.
Als Zeichen der „Intelligenz“ galt bereits das Tragen einer Brille oder die Fähigkeit,
eine zweite Sprache sprechen zu können
6
Großteil
der
vertrieben,
in
so
Kambodscha
dass
maximal
lebenden
10.000
Vietnamesen
12
Vietnamesen
nach
versteckt
Vietnam
im
Land
blieben. Spätestens 1976 begannen die mehr oder weniger systematischen
Säuberungen und Massaker an der kambodschanischen Zivilbevölkerung und
in den eigenen Reihen. Bis dahin, solange also der Apparat der RK noch
nicht straff durchorganisiert war, agierten die lokalen Parteiführer
weitgehend autonom.
Der Vier-Jahresplan – die Basis der Terrorherrschaft
„[…] Die chinesischen Kommunisten oder die Roten Khmer in Kambodscha wollten den
Unterschied zwischen Stadt und Land und zwischen körperlicher und geistiger Arbeit
aufheben, doch das gelang ihnen nur, indem sie alle Menschen ihrer grundlegenden
Rechte beraubten. […]“13
Auf einem Parteitreffen im August 1976 präsentierte Pol Pot seinen
ersten Vier-Jahresplan, welcher das Ziel formulierte, den Sozialismus
in allen Bereichen durchzusetzen und alle „Feinde“ des Regimes zu
beseitigen, um das Land von innen heraus zu verteidigen.14 Vor allem im
Kampf gegen die Vietnamesen sah Pol Pot den Plan als die ultima ratio
an. Dieser sah vor, den Sozialismus durch die Kollektivierung von
Landwirtschaft und Industrie voranzutreiben und das Land mit den durch
Exporte einzunehmenden finanziellen Mitteln aufzubauen. Dies betraf im
Wesentlichen den Reissektor, für welchen Pol Pot das utopische Ziel
ausrief, pro Hektar Anbaufläche drei Tonnen Reis pro Jahr ernten zu
wollen. Dieses Ziel sollte vor allem von den mehr als eine Million
vertriebenen Städtern im Nordwesten Kambodschas erreicht werden, die
in den kommenden Jahren Reis-Felder bearbeiten sowie Kanäle, Dämme und
Arbeitslager
bauen mussten.
Die
Bevölkerung
wurde
in
Arbeitslagern
gesammelt und musste unter unmenschlichen Bedingungen von morgens bis
abends in den Reisfeldern arbeiten.15 In diesen Arbeitslagern fand das
alltägliche Grauen des Regimes statt. Es kam täglich zu spontanen
Tötungen
bzw.
zu
Tötungsbefehlen
durch
die
Verantwortlichen.
Opfer
waren all jene, die die schwere Arbeit überforderte, die versuchten,
heimlich ihren Hunger zu stillen oder die kleinste Fehler bei den
Arbeiten machten. Der ausgerufene Exportdruck hatte zur Konsequenz,
dass die Reisrationen für die eigene Bevölkerung gesenkt wurden. Dies
verursachte so hunderttausende von zusätzlichen Toten, gestorben an
Unterernährung,
diesen
12
13
14
15
16
Krankheiten
„Kooperativen“
ist
oder
ein
Überarbeitung
Großteil
der
in
den
Lagern.16
Kambodschaner
gequält,
gemäß Kiernan, Ben: The Pol Pot Regime, S. 458.
Fukuyama, Francis: Das Ende der Geschichte, S. 390.
Chandler, David P.: Brother Number One – A political biographie of Pol Pot, S. 120. ff.
Der Ausdruck „working from dawn till dusk“ findet sich in jedem Augenzeugen- bzw.
Überlebendenbericht.
Chandler, David P.: Brother Number One, S. 123.
7
In
ausgemergelt und dahingerafft worden und die Zahl der dortigen Opfer
ist nicht schätzbar.
Wie wirkte sich dieser Plan aber auf die Politik der Führungskräfte
der RK aus? Zunächst ist festzuhalten, dass die von Pol Pot gesteckten
Ziele bis zum Schluss unerreichbar blieben. Da die Parteipolitik nicht
umgesetzt
werden
konnte,
mussten
für
den
ausbleibenden
Erfolg
Schuldige gefunden werden. Da die Führungsriege und das Volk als Masse
nicht Schuld sein konnten,17 trugen die regionalen Führungskräfte, die
die
jeweiligen
Direktiven
umzusetzen
hatten,
die
Schuld
an
der
ausbleibenden Planerfüllung und wurden folglich ständig gesäubert. Die
bis 1979 aufrechterhaltene Theorie Pol Pots, dass sich in der Partei
„Mikroben“ befänden, welche versuchen würden, das Voranschreiten der
Revolution
zu
verhindern,
innerparteilichen
bildete
Säuberungen.
die
Grundlage
Gleichzeitig
für
schuf
die
diese
Mikrobentheorie ein ständiges Gefühl von Misstrauen und Angst in der
Partei und so die Basis für ein systeminternes Überwachungssystem, dem
jeder zum Opfer fallen konnte:
„[…] Did Pol Pot believe, that some of these ‚enemies’, or ‚certain people,’ were
within reach of his voice? He was in no hurry to identify them or to specify their
crimes. Did he know who they were? He had to pretend that he did, but he was
obviously nervous, and he communicated his unease to his audience. Who could be
trusted? They must have asked themselves. The person next to me? Why? They must
also have known that he, not they, controlled the apparatus of terror that kept the
Communists in power. In other words, they had to be more frightened of than he did.
[…]”18
Aufgrund der ausbleibenden Erfolge in der Umsetzung des Jahresplans
mussten
daher
die
„Feinde“
beseitigt
werden,
die
die
Revolution
lähmten. Je länger die RK Kambodscha regierten, desto unbestimmter war
die Bedrohung eines jeden durch die Organisation. Das zweite Prinzip
der
Reinigung
basierte
auf
der
Angst
vor
„dem
Feind“.
Da
die
Führungsriege in einer ständigen Angst vor einem nicht definierten
Feind
Härte
lebte,
wurden
durchgeführt,
die
bis
Festnahmen
der
und
Verhöre
Verhörte
mit
selbst
unerbittlicher
die
absurdesten
Beschuldigungen bestätigte, um von den Qualen der Folterungen erlöst
zu werden. Die Konsequenz dieser „Geständnisse“ musste folglich die
feindliche Verseuchung der kompletten Partei bzw. Organisation sein,
die damit die Angst vor „dem Feind“ nur noch verstärkte und weitere
forderte.19
Säuberungen
Die
mit
Dauer
des
Regimes
zunehmende
Randomisierung des politischen Gegners, sollte den Effekt einer immer
stärkeren
Verängstigung
Atomisierung
17
18
19
der
der
Bevölkerung
heterogenen
und
schließlich
kambodschanischen
die
Gesellschaft
Nach sozialistischer Ideologie kann weder die Führungsriege Fehler machen, denn sie setzt
die Ideologie lediglich um, noch kann die Masse bzw. das Volk schuld sein, da für diese
Masse die Ideologie gemacht ist.
Chandler, David P.: Brother Number One, S. 137.
Chandler, David P.: Brother Number One, S. 133.
8
herbeiführen.
einfache
wurden,
Wie
viele
Menschen
ist
regionale
während
unklar,
dieser
da
nur
Führungskader,
Säuberungen
die
wenigsten
RK-Kämpfer
bis
1978
in
Gefängnissen
und
hingerichtet
oder
Folterzentren wie dem berüchtigten „Tuol Sleng – Gefängnis“ (S-21),
sondern meist an Ort und Stelle exekutiert wurden. Das Folterzentrum
S-21 in Phnom Penh war dennoch der zentrale Ort der Säuberungen der
Intellektuellen und Parteikader seit 1977.20
Der Kampf gegen Vietnam
„[…] Wenn man Unkraut herausreißt, muss man alle Wurzeln mit herausziehen. […]“21
Mit einer „Direktive von 870“22 vom 1. April 1977 intensivierte die Pol
Pot’sche
Führungselite
verbliebenen
den
internen
Vietnamesen,
der
Kampf
gegen
zufolge
die
alle
in
Kambodscha
Vietnamesen
der
Staatssicherheit zu übergeben waren. Die wenigen Vietnamesen, die nach
den Vertreibungen unter Lon Nol und Pol Pot geblieben waren, deren
Freunde und Bekannte und selbst diejenigen, die Vietnamesisch sprechen
konnten, wurden regelrecht gejagt und umgebracht.23 Acht Monate später,
am 25. Dezember 1977 brachen offene Kämpfe zwischen Kambodschanern und
Vietnamesen
im
Nachdem
Vietnamesen
die
südwestlichen
hatten,
kambodschanisch-vietnamesischen
die
Landesteilen
zogen
sie
sich
Grenzgebiet
kambodschanischen
Truppen
weit
nach
Kambodscha
hinter
ihre
eigenen
aus
hinein
Grenzen
aus.
ihren
vertrieben
zurück.
Die
Führungsspitze der RK legte dies als Sieg aus, machte aber „Feinde der
Revolution“
dafür
verantwortlich,
dass
sich
die
vietnamesischen
Truppen ohne Schaden hatten zurückziehen können. Ein weiterer Grund
für
interne
Säuberungen
war
gefunden.
Am
10.
Mai
1978
rief
die
Radiostation Phnom Penh dazu auf, „[…] die 50 Millionen Vietnamesen
[im benachbarten Vietnam, A.d.V.] auszurotten[…]“ und „[…]die Massen
[Kambodschas] zu reinigen[…]“.24 Bis zum Ende des Regimes kämpften RKTruppen immer wieder mit den vietnamesischen Nachbarn in der Ostzone.
Aufgrund
der
stationierten
geographischen
Nähe
Truppen
deren
sowie
vietnamesischen
Köpfen“
verdächtig
wurden
gesäubert.
20
21
22
23
24
25
und
25
Mehrere
wurden
Kader
gebrandmarkt,
folglich
Soldaten
als
waren
besonders
zehntausend
diese
Zone,
„Khmer-Körper
daher
häufig
und
die
Kader
dort
mit
prinzipiell
und
aggressiv
sowie
deren
Ebd., Eine detailierte Dokumentation des berüchtigten Folterzentrums S-21 bietet
:
Chandler, David P.: Voices from S-21 – Terror and History in Pol Pot’s secret prison.
Devise der RK, Zit. Nach: Margolin, Jean-Louis: Kambodscha: Im Land der unfassbaren
Verbrechen, in: Stephane Courtois u.a.: Das Schwarzbuch des Kommunismus – Unterdrückung,
Verbrechen und Terror, S. 679.
Direktive = Befehl; 870 = Zentrum des Kambodschanischen Parteikomitees
Chandler, David P.: Brother Number One, S. 141 [nähere Angaben zu Massakern und Tötungen
in: Kiernan, Ben: The Pol Pot Regime, S. 296 ff.].
Kiernan, Ben: The Inclusion of the Khmer Rouge in the Cambodian Peace Process in: Kiernan,
Ben (Ed.): Genocide and Democracy in Cambodia – The Khmer Rouge, the United Nations and the
International Community, S. 192.
Kiernan, Ben: The Inclusion of the Khmer Rouge in the Cambodian Peace Process, S. 192.
9
Familien wurden in den ersten Monaten 1978 umgebracht und beseitigt.
Diesen Säuberungen fielen viele Kameraden Pol Pots zum Opfer, darunter
diejenigen,
die
untergetaucht
Säuberungen
in
den
60er
waren
und
dort
in
der
Ostzone
Jahren
mit
ideologisch
bereinigte
ihm
zusammen
geschult
Pol
Pot
in
wurden.
Vietnam
Mit
gleichzeitig
den
seine
eigene Biographie und blieb so bis zum Schluss seiner Diktatur ein
Schrecken ohne Gesicht und Geschichte. Das Nichts-Wissen über seine
Person war die Mutter allen Schreckens, denn niemand konnte sich zu
irgendeinem Zeitpunkt seiner sicher sein.26 Die ständigen Säuberungen
führten zu einer immer stärkeren Ausdünnung der fähigen und gebildeten
Kader, denen die politische Verwaltung Kambodschas zuzutrauen gewesen
wäre.
Während Pol Pot und seine Führungskräfte im eigenen Land wüteten,
förderten
die
Vietnamesen
aufgrund
der
wachsenden
Bedrohung
eine
kambodschanische Opposition, deren Mitglieder sich seit 1975 nach und
nach
ins
benachbarte
Wesentlichen
aus
Vietnam
geflüchtet
Intellektuellen
und
hatten.
desertierten
Sie
bestand
im
RK-Mitgliedern.
Vietnamesische Truppen begannen gemeinsam mit dieser Exilopposition im
Dezember 1978 nach Kambodscha einzudringen und stießen bis zum 7.
Januar 1979 nach Phnom Penh vor. Hunderttausende Kambodschaner begaben
sich während dieser Kämpfe erneut auf die Flucht. Am 7. Januar 1979
flüchtete die RK-Führungsriege in die Bergregion im Nordwesten, nahe
der thailändischen Grenze. Einen Monat später war eine von Vietnam
unterstützte Regierung in Phnom Penh eingesetzt, welche nun vor der
Aufgabe stand, das Land und die kambodschanische Gesellschaft wieder
aufzubauen.
Systematisierung der Todesursachen
„[…] Im Mittelpunkt Yama, der Herr des Totenreichs, das entsprechend hinduistischer
Weltanschauung 32 Höllen kennt, in denen die Verdammten leiden müssen, und jede
Hölle ist brutaler und schrecklicher als die vorige. Da werden Nägel in Köpfe
geschlagen, Augen ausgestochen, Gliedmaßen gebrochen, Körper zersägt, ein Reisdieb
bekommt den Magen mit flüssigem Eisen gefüllt. Folter pur. […]“27
I.
Systematische Beseitigung der Elemente der Lon-Nol-Regierung
Für diese Säuberungen muss es einen konkreten Befehl gegeben
haben, unter dessen Deckmantel schätzungsweise 200.000 Menschen
planmäßig ausgewählt und umgebracht worden sind. Das Ziel lag
26
27
Margolin, Jean-Louis: Kambodscha: Im Land der unfassbaren Verbrechen, S. 672.
Beschreibung der Südgalerie-Reliefs von Angkor Vat in: Rohde, Manfred: Abschied von den
Killing Fields – Kambodschas langer Weg in die Normalität, S. 40.
10
vermutlich
darin,
die
Mitglieder
und
Verbündeten
des
alten
Regimes auszuradieren, um eine innenpolitische Konkurrenz um die
Macht zu verhindern.
II.
Die parteiinternen Säuberungen
Um die Parteizentrale und die Organisation (Angkar) als einzige
Quelle
von
Autorität
Einzelpersonen
und
und
Macht
zu
Personengruppen
legitimieren,
eliminiert.
wurden
Vor
allem
Zonenkommandanten und deren Familien, Intellektuelle und nicht
hundertprozentig
überzeugte
Parteimitglieder
waren
davon
betroffen. Als Begründung für deren Exekutionen wurden meist
absurde Vorwürfe und durch Folterungen erpresste Geständnisse
der Spionage für CIA oder KGB benutzt. Jede neue Säuberung
sollte den „Reinheitsgrad“ der Partei erhöhen und steigerte die
Angst, selbst von derartigen Säuberungsaktionen betroffen zu
sein. Mindestens einige zehntausend Menschen waren von diesen
Liquidierungen
betroffen.
Zieht
man
die
ausschweifenden
Säuberungen in der Ostzone mit ein, sind weit mehr als 200.000
getötete Personen zu verzeichnen.
III.
Vereinzelte Tötungen
Lokale und regionale Kader kamen meist durch außergewöhnliche
Kriegsleistungen während der Kämpfe gegen die Lon-Nol-Regierung
in ihre Positionen. Ihre fehlende Legitimität, ihre politische
und
soziale
besonders
Inkompetenz
autoritären
Wutausbrüche,
glichen
diese
Führungsstil
fehlende
meist
aus.
durch
Häufig
Selbstkontrolle,
einen
waren
selbstherrliche
Machtausübung oder sadistische Neigungen Auslöser für Tötungen
aufgrund kleinster „Vergehen“. Die Zahl der Kambodschaner, die
bei solchen, nicht zentral gesteuerten, sondern spontanen Lustund
Frust-Tötungen
ums
Leben
gekommen
sind,
ist
kaum
zu
schätzen.28 In diesen Fällen kam es teilweise zur Delegierung
der
Durchführung
Familienmitglieder
der
der
Morde
Opfer,
an
um
Mitgefangene
einerseits
die
oder
bloße
Grausamkeit des Mordens zusätzlich zu steigern und andererseits
zugleich nahe
stehende Personen oder
Leidensgenossen am
Tod
direkt zu beteiligen und schuldig zu machen.
29
IV.
Herbeiführung
von
Todesfällen
durch
die
Schaffung
lebensbedrohlicher Zu- und Umstände
Den
drei
vorangegangenen,
von
Serge
Thion
übernommenen
Todesursachen muss an dieser Stelle m.E. noch mindestens eine
28
29
Diese Dreiteilung der wesentlichen Gründe führt Serge Thion in seinem Beitrag „Genocide as
a Political Commodity“ in Kiernan, Ben (Ed.): Genocide and Democracy in Cambodia, S. 166 f.
Margolin, Jean-Louis: Kambodscha: Im Land der unfassbaren Verbrechen, S. 674.
11
weitere hinzugefügt werden. Wenn auch der Staat Kambodscha bzw.
das
Pol-Pot-Regime
nicht
aktiv
die
Tötung
der
in
den
Arbeitslagern Umgekommenen gefordert hat, so hat sie zumindest
die Umstände in den „Kooperativen“ gleichgültig hingenommen und
als
politisches
Mittel
benutzt,
um
die
Bevölkerung
unter
Kontrolle zu halten. Inwiefern sie nicht aktiv zum Sterben der
eigenen Bevölkerung in diesen Fällen beigetragen hat, bleibt
darüber hinaus zu diskutieren, bedenkt man diverse Neuerungen
unter
den
RK.30
Unterernährung,
Die
hundert
leichten
tausenden
Opfer
Krankheiten,
aufgrund
Folter,
von
Schwäche,
Vergiftung (durch das Essen roher Tiere und wilder Pflanzen) und
Suizid sind
zumindest mitverschuldet und
sollten daher hier
aufgenommen werden. Die Schuld der Regierung Pol Pot ist dabei
strafrechtlich betrachtet zwischen Totschlag, Körperverletzung
mit
Todesfolge,
fahrlässiger
Tötung
und
unterlassener
Hilfeleistung anzusiedeln.
Ein Völkermord?
„[…] Für das Land, das wir aufbauen, genügen eine Million Revolutionäre. Den Rest
brauchen wir nicht. Lieber schlachten wir zehn Freunde als dass wir einen Feind am
Leben lassen. […]“31
Hat
in
den
Jahren
stattgefunden?
1975
Dieses
bis
Thema
1979
ist
in
viel
Kambodscha
diskutiert
ein
Völkermord
worden
und
die
Meinungen teilen sich an den Fragen, ob ein Genozid gar nicht, nur in
der Ostzone oder in ganz Kambodscha stattgefunden hat.32 Zweifellos
aber
sind
die
unzähligen
Kriegsverbrechen
und
Verbrechen
Verstöße
gegen
gegen
die
die
Genfer
33
Verletzungen der Haager Kriegsrechtskonvention.
Dokumentationszentrums
Zeugenaussagen
Massengräber
von
der
Massengräber
Überlebenden
kartographiert.
in
zusammengefasst
Beides
würde
Menschlichkeit,
Konventionen
sowie
Die Analytiker des
Kambodscha
und
den
die
haben
gefundenen
massiven
und
systematischen Terror des Regimes beweisen, so die Wissenschaftler in
ihrem abschließenden Bericht.34
Margolin fügt ergänzend hinzu, dass
spontane Tötungen und Gewaltausbrüche mehrheitlich unter den Augen der
Öffentlichkeit stattfinden, in Kambodscha aber meist im Schatten der
30
31
32
33
34
Dazu gehörten die Beschränkung der medizinischen Betreuung auf traditionelle Kuren,
durchgeführt von 15jährigen, die Trennung der sozialen Bindungen der Familien und die
Unterdrückung religiöser Praktiken.
Zit. Nach: Margolin, Jean-Louis: Kambodscha: Im Land der unfassbaren Verbrechen, S. 674.
Vgl. Stanton, Gregory H.: The Khmer Rouge Genocide and International Law, in: Kiernan, Ben
(Ed.): Genocide and Democracy in Cambodia – The Khmer Rouge, the United Nations and the
International Community, Yale University Southeast Asia Studies 1994, New Haven, S. 141 ff.
United Nations, Rapport du Groupe d’experts pour le Cambodge créé par la résolution 52/135
de l’Assemblé générale, V. Caractère criminel des actes commis; Document Number A/53/850
S/1999/231 ; zugänglich unter www.ridi.org/boyle/experts.htm.
Etcheson, Craig: Mapping Project 1999 – „The Number“ – Quantifying Crimes against humanity
in Cambodia, zugänglich unter www.dccam.org/projects/maps/mass_graves_study.htm
12
Nacht oder des Dschungels sowie in geheimen Folterzentren, also weit
ab der Öffentlichkeit, getötet wurde. Dies spreche für die zentrale
Koordination der Hinrichtungen und damit für die Tatsache, dass sich
eine Hand voll radikaler maoistischer Kommunisten dieser Verbrechen
schuldig gemacht hat.35
Das bestimmende Argument, den Ereignissen unter dem Pol-Pot–Regime das
Attribut eines Völkermordes abzusprechen, beruht entweder darauf, dass
keine Völker- oder kulturelle Minderheitengruppe gezielt vernichtet
worden sei bzw. nicht die Absicht ihrer Vernichtung bestand, sondern
die Säuberungen und Tötungen völlig willkürlich gewesen seien, oder
aber
darauf,
dass
nur
einzelne
Gruppen
Verbrechen
im
Sinne
der
Völkermordkonvention erleiden mussten, jedoch nicht die Bevölkerung
Kambodschas als solche.36 Dem ist zu widersprechen, denn die Tötungen
hatten
ein
klares
System
mit
dem
Ziel
der
Vernichtung
bestimmter
37
Gruppen. Nachdem anfangs eher ein Politizid oder Soziozid
stattfand
und hauptsächlich alte Regierungsmitglieder, Kapitalisten, Feudalisten
und Intellektuelle beseitigt wurden38, richtete sich der Hass und das
Wüten der Clique um Pol Pot später gegen kulturelle und nationale
Minderheiten und deren Wurzeln in der kambodschanischen Gesellschaft.
Besonders
die
Verwurzelung
vietnamesische
waren
von
Minorität
den
und
Folgemaßnahmen
ihre
kulturelle
betroffen.
Die
parteiinternen Säuberungen ab 1977 fanden so zumeist als Säuberungen
der Gesellschaft von „Vietnamesen in Khmerkörpern“ statt.39 Ab März
1978 wurden in der Ostzone massive ethnische Reinigungen durchgeführt,
um die „kambodschanische Rasse“ vor dem vietnamesischen Einfluss zu
bewahren.
Dabei
Vietnamesen
wurde
quasi
die
Bevölkerung
gleichgestellt
und
der
als
östlichen
Gebiete
prinzipiell
mit
verdächtig
beseitigt.
„…] On 10 May 1978, Phnom Penh Radio broadcasted an appeal ‘to purify our armed
forces, our Party, and the masses of the people’. The Cambodian masses were to be
‚purified’, ironically in ‚defence of Cambodian territory and the Cambodian race.’[
…]”40
Diese
systematische
Verfolgung
„vietnamesischer
Wurzeln“
in
der
kambodschanischen Gesellschaft fällt unter Artikel II(a) der 1948 von
Kambodscha ratifizierten Völkermordkonvention aus dem Jahr 1948. Die
Auflösung der
traditionellen
kambodschanischen
35
36
37
38
39
40
religiösen und
Gesellschaft
durch
familiären
das
Wurzeln
Verbieten
der
der
Margolin, Jean-Louis: Kambodscha: Im Land der unfassbaren Verbrechen, S. 677.
Abrams, Jason: The atrocities in Cambodia and Kosovo: Observations on the Codification of
Genocide, in: NEW ENGLAND LAW REVIEW, S. 307; Vol 35:2, 2001; S. 303-309, zugänglich unter:
www.nesl.edu/lawrev/vol35/2/abrams.pdf
Politizid bzw. Soziozid referieren hier auf die gezielte Vernichtung bestimmter
politischer oder sozialer Gruppen. Diese Optionen sind aber von der Genozid-Konvention
ausgeschlossen worden.
Etcheson, Craig: Mapping Project 1999, S. 3 f.
Margolin, Jean-Louis: Kambodscha: Im Land der unfassbaren Verbrechen, S. 659.
Kiernan, Ben: The Pol Pot Regime, S. 393.
13
Religionsausübung
41
Arbeitslagern
und
das
Auflösen
der
Familienstrukturen
in
den
erfüllt deren Artikel II(b) und II(c).
Die Tatsache, dass neben der vietnamesischen Volksgruppe und deren
kulturellen Wurzeln auch weitere Minderheiten verfolgt und zu großen
Teilen ermordet wurden, unterstützt die Völkermordthese insofern, als
dass der Versuch eines multiplen Genozids möglich und in Kambodscha
wohl
ist.42
Tatsache
Kampuchea
von
Gemäß
1976
43
der
neuen
verloren
Verfassung
die
des
Minoritäten
Demokratischen
ihr
Recht
auf
eigenständige Identität. Es sollte nur „eine einzige Nation und eine
einzige Sprache, die Khmer-Sprache“ geben.44 Vor allem die Verbote der
religiösen
Praktiken
Vernichtung
dieser
dieser
Stelle
vielmehr
die
Basis
der
Minderheiten
nicht
als
religiösen
als
im
Sinne
Ausradierung
Wurzeln
der
Gemeinschaft
„als
der
der
solche“.
physischen
Identität
betroffenen
sprechen
für
Vernichtung
ist
Beseitigung,
stiftenden,
Personengruppen
und
die
an
sondern
psychischsomit
der
Atomisierung dieser Gemeinschaften als solcher zu verstehen.
Des Weiteren sprechen die Opferzahlen in Kambodscha für sich. Für die
RK waren einige soziale und religiöse Gruppen von Natur aus kriminell,
und deren „Verbrechen“ übertrug sich auf Ehepartner und Nachkommen.
Die nationalsozialistische Rassenideologie scheint hier auf soziale
Gruppen
übertragen
worden
sein.45
Nach
den
Erkenntnissen
von
Ben
Kiernan sind von den im Jahr 1975 in Kambodscha lebenden Volksgruppen
alle Vietnamesen, die Hälfte aller Chinesen, 40% aller Laoten und
Thailänder,
36%
der
46
Khmer umgekommen.
muslimischen
Cham-Minderheit
und
etwa
20%
der
Mindestens 21% der kambodschanischen Bevölkerung
sind den RK insgesamt zum Opfer gefallen.47 Das schlichte Argument der
Willkür und Planlosigkeit der Tötungen – das zudem anzuzweifeln ist kann
m.E.
nicht
das
Vorliegen
eines
Genozids
aufheben,
welcher
lediglich durch die Intervention Vietnams gestoppt wurde. Wie viele
weitere Tote das Pol-Pot-Regime noch verursacht hätte und inwiefern
die etwa acht Millionen Kambodschaner auf die für Pol Pot ausreichende
„eine
Million
Revolutionäre“
reduziert
worden
wären,
ist
nicht
48
einzuschätzen.
Vergangenheitsbewältigung von 1979 bis 1991 – Verlorene Zeit
“[…] It is wise for China to force the Vietnamese to stay in Cambodia, because that
way they will suffer more and more. […]“49
41
42
43
44
45
46
47
48
49
Chandler, David P.: Brother Number One, S. 125 ff.
Kiernan, Ben: The Pol Pot Regime, S. 461.
nachzulesen in: Ponchaud, François: Cambodia - Year Zero, S. 199 ff.
Margolin, Jean-Louis: Kambodscha: Im Land der unfassbaren Verbrechen, S. 659.
Margolin, Jean-Louis: Kambodscha: Im Land der unfassbaren Verbrechen, S. 659.
Kiernan, Ben: The Pol Pot Regime, S. 458.
Die genauen Maßnahmen der Verfolgung, Vertreibung und ethnischen Reinigung der
verschiedenen Minoritäten durch die Regierung des „Demokratischen Kampuchea“ können in
Kiernan, Ben: The Pol Pot Regime, Kap. 7 „Ethnic Cleansing – The CPK and Cambodia’s
Minorities, 1975 – 1977“, S. 251 - 312 nachgelesen werden.
Zit. Nach: Margolin, Jean-Louis: Kambodscha: Im Land der unfassbaren Verbrechen, S. 674.
Deng Xiaoping; zit. nach: Kiernan, Ben: Genocide and Democracy in Cambodia, S. 200.
14
Die
Übernahme
Kambodschas
durch
die
Vietnamesen
und
das
Einsetzen
einer pro-vietnamesischen Regierung, bestehend aus kambodschanischen
Dissidenten und exilierten Oppositionellen (unter ihnen auch Personen,
die vorher RK-Truppenkommandeure waren, wie Chea Sim, Heng Samrin oder
auch Hun Sen), hob die kambodschanische Frage und schließlich den
Umgang
mit
dem
stattgefundenen
Völkermord
auf
die
internationale
Bühne. Die internationale Gemeinschaft, insbesondere die Mitglieder
des UN-Sicherheitsrats, setzten auf dem Rücken der kambodschanischen
Gesellschaft den Kalten Krieg und ihre verschiedenen Rivalitäten fort,
ohne eine direkte Konfrontation fürchten zu müssen.50 Die USA und China
unterstützten
und
stärkten
die
nach
Thailand
geflohenen
RK
mit
finanziellen Zuwendungen und Waffenverkäufen. Die RK wurden von den
beiden UN-Sicherheitsratsmitgliedern vor allem mit Minen beliefert,
mit
denen
Wälder
und
Straßen
verseucht
und
das
größte
Gesundheitsrisiko der neunziger Jahre in Kambodscha verursacht wurde.
Um nach dem verlorenen Vietnamkrieg eine späte Genugtuung zu erfahren,
verweigerten die USA der als „Marionetteregierung Vietnams“ verhöhnten
„Volksrepublik Kampuchea“ (PRK)51 die internationale Anerkennung. Die
Volksrepublik China rächte sich mittels ihrer Unterstützung der RK an
Vietnam und der Sowjetunion für ihre anti-chinesische Koalition.52 Den
Vereinigten
Staaten
gelang
es,
die
Politik
eines
Großteils
der
westlichen Staaten auf ihre Linie zu bringen. Bis 1993 verurteilte im
internationalen Rahmen kein westlicher Staat die RK oder stimmte gegen
sie.53
Bereits
im
Frühjahr
1979
überstanden
die
RK
zwei
Sicherheitsratsresolutionen unbeschadet. Im März 1979 wurde sogar eine
permanente Mission für Kambodscha im UN-Hauptquartier eingerichtet –
besetzt
von
dem
Studienfreund
Pol
RK-Kader
54
Pot’s.
Am
Thiounn
14.
Prasith,
November
einem
1979
ehemaligen
beschloss
die
UN-
Generalversammlung eine Resolution zur „Situation in Kambodscha“, in
der mit deutlicher Mehrheit für den Verbleib des kambodschanischen UNSitzes
bei
den
vertriebenen
RK
gestimmt
wurde,
da
der
PRK
die
55
Anerkennung verweigert wurde.
Hiermit
wurde
Gemeinschaft
Verbrecher
50
51
52
53
54
55
deutlich,
Pol
oder
Pot
und
dass
die
Massenmörder
in
den
Augen
Führungsfiguren
waren
bzw.
der
der
die
internationalen
RK
keineswegs
internationale
Roberts, David W.: Political Transition in Cambodia 1991-1999 – Power, Elitism and
Democracy. S. 12.
Peoples Republic Kampuchea.
Vietnam war der einzige Satellitenstaat der SU in ganz Südostasien. Die anderen
kommunistischen Staaten hatten sich der Führung Pekings untergeordnet.
Kiernan, Ben: The Inclusion of the Khmer Rouge in the Cambodian Peace Process, S. 201.
Brown, MacAlister & Zasloff, Joseph J.: Cambodia – Confounds the Peacemakers 1979 – 1998,
S. 10 ff.
UN-Generalversammlungsresolution A/RES/34/22: The situation in Kampuchea; zugänglich
unter: www.un.org/documents/ga/res/34/a34res22.pdf
15
Gemeinschaft
diesen
Fakt
mindestens
ignorierte,
und
die
RK-Kader
vielmehr als die rechtmäßige Führung Kambodschas betrachtet wurden.
Die
internationale
Unterstützung
bei
der
Bildung
56
kommunistischen (sic!) Widerstandskoalition“ (CGDK)
der
„nicht-
im thailändischen
Exil 1981, bestehend aus der Partei der RK (PDK), den Royalisten um
Prinz Sihanouk (FUNCINPEC) und der buddhistisch-liberalen Partei des
ehemaligen kambodschanischen Premierministers der 60er Jahre, Son Sann
(BLDP)
unterstreicht
dies
ebenfalls.
Mit
der
Gründung
dieser
„legitimierten“ Exilkoalition sollte Kambodschas UN-Sitz noch weitere
zehn
Jahre
unter
RK-Einfluss
bleiben.
Die
von
Vietnam
eingesetzte
Regierung der „Volksrepublik Kampuchea“ blieb daher isoliert und ohne
internationale
Hilfe.
Einzig
den
nach
Thailand
geflohenen
Kambodschanern in den Flüchtlingslagern kam die Hilfe der UN zugute darunter waren allerdings auch 20.000 bis 40.000 Soldaten der RK.57
Statt Wiederaufbauhilfe zu leisten, unterstützte die internationale
Gemeinschaft das Terrorregime Pol Pots und bestrafte so Kambodschas
Zivilgesellschaft weitere zehn Jahre lang.58 Unter dem Einfluss dieser
Großmächtepolitik stand das Land bis 1991 somit ständig am Rand eines
Bürgerkrieges.
Während der Regierung der Volksrepublik Kambodscha die Legitimität im
internationalen
Rahmen
nie
zuerkannt
wurde,
versuchten
die
neuen
Führungsfiguren Kambodschas dennoch, Reformen durchzuführen und das
Land wieder aufzubauen. Mit besonderer Dringlichkeit galt dies für den
Aufbau
des
Bildungssektors,
des
Gesundheitsbereichs
sowie
die
Wiedereinführung einer Währung, um die Wirtschaft zu revitalisieren.59
Erst 1985 beschloss die Volkspartei auf ihrem fünften Kongress die
Legalisierung
des
Privatsektors.60
Ein
besonderes
Problem
des
Wiederaufbaus bestand in dem Mangel an Fachkräften. Die RK hatten mit
ihrer Vernichtungswelle gegen die „Intelligenz“ ein Land hinterlassen,
in dem es kaum mehr ausgebildetes Fachpersonal wie Ärzte, Lehrer oder
Architekten gab.61 Kambodscha war damit bereits einem so genannten „hard
constraint“
der
Vergangenheitsbewältigung
unterlegen.62
Nur
wenige
Jurastudenten und fünf Richter (!) überlebten die Jahre unter Pol
Pot.63
Noch 1992 gab es
weniger als 100
Richter,
deren
64
darüber hinaus nicht den regulären Kriterien entsprach.
die PRK wieder die „ECOLE
56
57
58
59
60
61
62
63
64
DE
FORMATION
DES
CADRES
ADMINISTRATIFS
ET
Ausbildung
Zwar öffnete
JUDICIARIES“,
eine
Das sogenannte Coalition Government of Democratic Kampuchea (CGDK)
Kiernan, Ben: The Inclusion of the Khmer Rouge in the Cambodian Peace Process, S. 201.
Roberts, David W.: Political Transition in Cambodia 1991-1999, S. 6 ff.
Ebd.
Kiernan, Ben: The Inclusion of the Khmer Rouge in the Cambodian Peace Process, S. 194.
nach Manfred Rohde: Abschied von den Killing Fields, S. 104 gab es 1979 nur noch 45 Ärzte
und etwa 7000 Lehrer in ganz Kambodscha, darunter viele Mönche.
Elster, Jon: Closing the books - Transitional Justice in Historical Perspective, S. 188
ff.; Durch den Mangel an Fachkräften im Bereich der Zivilverwaltung und der Justiz war der
Regierung der PRK bereits eine rein praktische Beschränkung gesetzt, eine Verfolgung der RK
und/oder deren Bestrafung aufzunehmen.
Peou, Sorpong: Intervention & Change in Cambodia – Towards Democracy?, S. 67.
Brown, MacAlister & Zasloff, Joseph J.: Cambodia – Confounds the Peacemakers, S. 206 f.
16
effektive
Arbeit
konnte
dort
aber
u.a.
aufgrund
fehlender
Unterrichtsmaterialien und schlechter professioneller Fähigkeiten der
Lehrkräfte nicht stattfinden. Ein UN-Report von 1979 schildert den
Mangel
an
Fachkräften
für
Kambodschas
zivile
Administration
noch
eindringlicher:
„[…] The dire need for staff with any required experience overshadowed the
requisite for any other academic qualification or appointment procedure. Volunteers
were invited to join the civil service with no other conditions set. […]”65
Wenn
auch
nur
Schauprozess
66
von
symbolischem
in absentia
Wert,
fand
im
August
1979
ein
gegen zwei der Hauptverantwortlichen
des
kambodschanischen Massenmordes statt. Pol Pot und Ieng Sary wurden in
Abwesenheit des Genozids schuldig gesprochen und zum Tode verurteilt.
Das
Urteil
wurde
nie
vollzogen,
da
die
RK
in
den
thailändischen
Flüchtlingslagern unter internationalem Schutz standen. Darüber hinaus
wurden
1979
mehrere
tausend
Personen
verhaftet,
die
sich
„an
gewalttätigen oder gewaltlosen Aktivitäten der RK beteiligt“ hatten.67
Aufgrund
des
kaum
existierenden
Rechtssystems
fanden
jedoch
keine
Prozesse statt. Es blieb bei den Inhaftierungen. Erste Versuche, die
Verbrechen der RK von außen zu untersuchen und zu bestrafen, wurden
1981 abgelehnt, da nicht zeitgleich die Verbrechen der eingefallenen
Vietnamesen
untersucht
Menschenrechtsgruppen
Gerichtshof
in
finanzieller
Den
daran,
Haag
konnten.68
werden
zu
Zuwendungen
Pol
Pot
stellen,
Chinas
da
-
Später
vor
den
sich
Thailand
weigerte,
scheiterten
internationalen
–
den
aufgrund
RK-Führer
69
auszuliefern.
Die
80er
Jahre
Rivalitäten
der
Sowjetunion)
als
waren
überwiegend
Hauptakteure
auch
von
von
den
bereits
des
Kalten
Krieges
der
Frage
nach
erläuterten
(USA,
einem
China
und
Wiederaufbau
Kambodschas geprägt. Vor allem musste eine politische Lösung für die
Führung des Landes gefunden werden. Da die CGDK international in ihrer
Zusammensetzung als rechtmäßige Regierung Kambodschas anerkannt war,
stand fest, dass jeder Lösungsversuch ohne Einbezug der RK ohne Erfolg
sein würde.70 Eine Bestrafung oder gar Verfolgung der RK war daher bis
Anfang der 90er Jahre völlig ausgeschlossen. Lediglich im Jahr 1985
wurde
65
66
67
68
69
70
auf
einem
Treffen
des
Bündnisses
der
Staaten
Südostasiens
zit. nach: Ebd. S. 96.
Wie Gregory H. Stanton in „The Khmer Rouge Genozide and International Law“ schreibt,
erfüllte der Prozess alle Einschränkungen, um ihn als Schauprozess zu beurteilen. Hierzu
zählen die „pro forma“ – Verteidigung, die Standards der Anhörungen und das Urteil, welches
als Vorverurteilung angesehen werden kann. In Kiernan, Ben (Ed.): Genocide and Democracy in
Cambodia, S. 141 ff.
Peou, Sorpong: Intervention & Change in Cambodia, S. 68.
Stanton, Gregory H.: Perfection Is The Enemy of Justice - A Response to Amnesty
International’s Critique of the Draft Agreement Between the U.N. and Cambodia; zugänglich
unter: www.genocidewatch.org/PerfectionIsTheEnemyofJustice.htm.
Chandler, David P.: Brother Number One, S. 169.
Roberts, David W.: Political Transition in Cambodia 1991-1999, S. 15 f.
17
(ASEAN) das erste und einzige Mal in dieser Zeit ein Verfahren gegen
die Pol-Pot-Führung auf internationalem Niveau gefordert.71
In der zweiten Hälfte der 80er Jahre wurde immer deutlicher, dass die
Aberkennung
der
Legitimität
für
Kambodschas
Regierung
auf
der
Anwesenheit der vietnamesischen Truppen beruhte. Diese Truppen aber
blieben im Land aufgrund der Befürchtung vor einer erneuten Übernahme
Kambodschas durch die von China und den USA gestärkten Kräfte der RK
und damit vor der Wiederkehr des Terrors. Sowohl die Vietnamesen als
auch die RK rechtfertigten ihr Handeln mit der Präsenz des jeweils
anderen. Vietnam gab am 22. März 1985 dennoch bekannt, sich bis 1990
komplett
aus
Kambodscha
zurückzuziehen,
unabhängig
davon,
72
Bedrohung durch die RK noch gegeben sei oder nicht.
die
internationalen
Akteure
unter
Druck,
für
die
ob
die
Dies setzte nun
die
Präsenz
der
vietnamesischen Truppen bisher als Grund ihrer Untätigkeit hergehalten
hatte.
Ab
1987
trafen
kambodschanische
sich
Prinz
Sihanouk
Premierminister
der
seitens
PRK
Hun
der
Sen
CGDK
in
und
der
regelmäßigen
Abständen zu gemeinsamen Gesprächen, um eine politische Lösung für
Kambodscha voranzutreiben. Premier Hun Sen bot sogar eine Lösung mit
dem Ziel einer „nationalen Aussöhnung“ an, allerdings nur unter der
Bedingung, dass Pol Pot und dessen Truppen ausgeschaltet und bestraft
würden.73 1988 intensivierten sich die diplomatischen Bemühungen auf
allen Seiten zugunsten einer politischen Lösung und gipfelten in den
so genannten Informationstreffen in Jakarta und Bangkok.74 JIM I und
JIM II bereiteten die Agenda einer ersten Konferenz 1989 in Paris vor,
welche allerdings ohne Resultat blieb. Die PRK gab sich im März 1989
eine neue Verfassung und damit Kambodscha auch einen neuen Namen: THE
STATE
OF
CAMBODIA
durchgeführt,
(SOC).
u.a.
Gleichzeitig
wurde
die
wurden
Todesstrafe
davon jedoch, der Pol-Pot-Führungsstab.
75
liberale
abgeschafft,
Reformen
ausgenommen
Nachdem die Vietnamesen ihren
kompletten Rückzug am 27. September 1989 bestätigten, vertieften sich
die
Bemühungen
mussten
nun
der
die
so
genannten
Details
„P5“
der
des
UN-Sicherheitsrats76.
zukünftigen
Zusammensetzung
Es
der
Übergangsregierung und die Verteilung der Kompetenzen geklärt werden,
so
dass
unter
stattfinden
UN-Mandat,
konnten.
Die
welches
Bedenken
inzwischen
der
erwogen
SOC-Regierung
wurde,
Wahlen
bezüglich
der
Einbindung der RK in die zukünftige Politik Kambodschas wurden im
Laufe der internationalen Verhandlungsbemühungen zunehmend ignoriert.
Auch wenn die Vertreter des SOC bis zum Schluss versuchten, die RK von
71
72
73
74
75
76
Kiernan, Ben: The Inclusion of the Khmer Rouge in the Cambodian Peace Process, S. 196 ff.
Roberts, David W.: Political Transition in Cambodia 1991-1999, S. 29.
Rohde, Manfred: Abschied von den Killing Fields, S. 112.
Jakarta Informational Meeting (JIM I - III)
Peou, Sorpong: Intervention & Change in Cambodia, S. 64 f.
Brown, MacAlister & Zasloff, Joseph J.: Cambodia – Confounds the Peacemakers, S. 60 ff.
18
der politischen Zukunft Kambodschas auszuschließen, musste Premier Hun
Sen
im
Juni
1990
resigniert
konstatieren,
dass
eine
politische
Beilegung des kambodschanischen Konflikts nur unter Einbeziehung der
RK
sei.77
möglich
Auch
die
USA
sprach
sich
deutlich
für
einen
Systemwechsel aus, der die RK befrieden und unbestraft (!) in die
Gesellschaft integrieren müsste.78 Ein Jahr später war Hun Sen von den
„P5“
im
thailändischen
Pattaya
gedrängt
worden,
alle
Referenzen
bezüglich des Terminus „Genozid“ fallen zu lassen und so den Weg für
die RK zu ebnen, um als legitime politische Bewegung nach Kambodscha
zurückzukehren.79
Das australische Angebot eines von den UN überwachten Übergangs, die
verschiedenen Lösungsvorschläge der „P5“ des Sicherheitsrats und die
Ergebnisse
der
multilateralen
Verhandlungen
zwischen
SOC
und
CGDK
gaben schließlich den Ausschlag, am 10. September 1990 den Obersten
Nationalrat
(SNC)
Machtorgan,
als
bestehend
einziges,
aus
der
völkerrechtlich
Regierung
des
legitimiertes
SOC
und
den
drei
Fraktionen der CGDK, zu bilden. Die RK-Mitglieder Khieu Samphan und
Son Sen wurden so unverständlicher Wiese rechtmäßige Mitglieder im
SNC.80 Zu diesem Zweck mussten beide nach Phnom Penh zurückkehren. Dies
provozierte
einen
Aufstand
in
der
Bevölkerung,
die
das
Anwesen
81
Samphans zu stürmen versuchte, um beide zu lynchen.
Knapp ein Jahr später, am 16. Oktober 1991, nahm eine UN-Vorausmission
in Kambodscha ihre Arbeit auf. Am 21. Oktober konnte die zweite und
entscheidende
zwei
Tage
wurden.
82
Cambodia
Paris-Konferenz
später
die
werden,
„Friedensverträge
Dementsprechend
(UNTAC)
eröffnet
sollte
eingesetzt
die
werden,
UN
die
von
auf
der
Paris“
Transitional
den
Frieden
schließlich
unterzeichnet
Authority
festigen,
in
die
nationale Versöhnung vorantreiben und eine liberale Demokratie durch
freie
und
faire
Regierungsantritt
allgemeinen
Fraktionen
ermöglichen,
Wahlen
des
zu
etablieren
wählenden
Waffenstillstand
zu
physisch-militärische
sollten
die
gesamten
sollte.
Das
Mandat
Parlamentes
begrenzt.
implementieren
und
Vorteile
die
für
militärischen
war
bis
Um
einen
keiner
Wahlen
Kontingente
zum
um
der
zu
70%
abgebaut und zahlenmäßig ausgeglichen werden. Da dementsprechend mehr
77
78
79
80
81
82
Ebd., S. 67.
Kiernan, Ben: The Inclusion of the Khmer Rouge in the Cambodian Peace Process, S. 203.;
Grant Curtis spricht von der “leopard spots”-Theorie. Demnach kann die ländliche
Unterstützung für die RK nur durch Landwirtschaftsreformen beseitigt werden, die ihrerseits
aber nur nach einer politischen Einbindung der RK durchgesetzt werden können. Eine
Eliminierung der RK erfordert also vorerst deren Einbindung. In Grant, Curtis: Cambodia
Reborn – The Transition to Democracy and Development, S. 34.
Roberts, David W.: Political Transition in Cambodia 1991-1999, S. 27 f.; Einzig der
Vertreter der USA Richard Solomon kritisierte das Fehlen einer Wahrheitskommission in den
diversen Vorschlägen der letzten Jahre, wie Ben Kiernan in: The Inclusion of the Khmer
Rouge in the Cambodian Peace Process, S. 207 schreibt.
Kiernan, Ben in: The Inclusion of the Khmer Rouge in the Cambodian Peace Process
, S. 228
ff.
Roberts, David W.: Political Transition in Cambodia 1991-1999, S. 63.
Zugang zu den einzelnen Akten des Pariser Friedensabkommens beim UNITED STATES INSTITUTE OF PEACE
LIBRARY unter: www.usip.org/library/pa/cambodia/pa_cambodia.html.
19
Anti-RK-Soldaten
als
RK-Soldaten
entwaffnet
wurden,
erhöhten
sich
bereits auf dem Papier die relativen militärischen Kapazitäten der
Massenmörder.83
ehemaligen
Darüber
militärischen
Entwaffnung
organisierende
Wahl
Möglichkeiten
Zugang
zum
und
Wahlüberwachung
ungestraft
wurden
alle
Freiheiten
politischen
in
konnten
Parteien
mit
und
gewährt.
ländlichen
sich
widersetzen.
ausgestattet
System
den
hinaus
Für
denselben
den
RK
Darüber
Gebieten
die
unter
RK
der
die
zu
Rechten,
damit
hinaus
freier
war
RK-Einfluss
eine
nicht
ansatzweise gesichert. Pol Pot, Ieng Sary und Ta Mok gaben dennoch
bekannt, dass sie nicht zur Wahl stünden, jedoch am Wahlkampf aktiv
teilnehmen
würden.
Repatriierung
Des
von
bis
Weiteren
zu
sah
400.000
das
Pariser
Flüchtlingen
Abkommen
vor,
die
die
an
der
thailändischen Grenze in Flüchtlingslagern verweilten. Die RK verloren
durch
dieses
Abkommen
zwar
die
internationale
Unterstützung
der
84
Vereinigten Staaten und von China , waren aber - relativ betrachtet als unversehrteste Fraktion aus den Verhandlungen hervorgegangen, da
die gestellten Bedingungen alle Parteien betrafen. Die Verträge von
Paris haben den RK mehr Möglichkeiten und Chancen eingeräumt, als sie
diese jemals in ihrem Guerilla-Kampf hätten erreichen können. Dieser
unerwartete Zugewinn an Macht gab den Ausschlag für die Zustimmung der
RK zu den Abkommen.85
Um
diesen
Abschnitt
einzuordnen,
kann
vornehmen.
Der
abschließend
man
eine
erste
Auseinandersetzungen
in
Dreiteilung
Abschnitt
des
die
globalen
der
bis
Jahre
1986
Geschehnisse
1979
–
1991
von
den
Bündnisses
gegen
ist
chinesisch-amerikanischen
die Sowjetunion geprägt. Der zweite Abschnitt ab 1986 reflektiert die
Änderung
der
Politik
der
Sowjetunion
unter
Gorbatschow
und
deren
schwächere finanzielle Unterstützung Vietnams, was den Spielraum für
Verhandlungen
öffnete.
Die
dritte
Phase
ab
1988
spiegelt
den
Auflösungsprozess des gemeinsamen Kontrahenten Sowjetunion und infolge
dessen
das
wieder.
Auseinanderbrechen
Daraus
der
resultierend
chinesisch-amerikanischen
gingen
die
Kompromisse
des
Allianz
Pariser
Abkommens hervor. Bezüglich der Verfolgung der Verantwortlichen des
Massenmords muss hier festgehalten werden, dass es den entscheidenden
internationalen
Akteuren
wichtiger
war,
mittels
der
Ablehnung
der
vietnamesisch tolerierten PRK auf Vergeltung an Vietnam zu sinnen.
Erst
die
gemacht,
83
84
85
egoistischen
einen
Ziele
Deckmantel
der
des
USA
und
Schweigens
Chinas
über
haben
die
es
möglich
Geschehnisse
zu
Kiernan, Ben: The Inclusion of the Khmer Rouge in the Cambodian Peace Process, S. 227.
Chandler, David P.: A History of Cambodia, S. 239. Allerdings soweit gehen, wie Chandler
dies tut und zu behaupten, dass die Roten Khmer deshalb als diskreditiert nach Kambodscha
zurückkehrten, kann der Autor hier nicht. Diskreditiert waren sie wegen ihrer genozidalen
Politik, nicht aber wegen der fehlenden Unterstützung durch die beiden „global player“ USA
und China.
Roberts, David W.: Political Transition in Cambodia 1991-1999, S. 96 ff.
20
werfen und den RK die Möglichkeit zu geben, im nationalen als auch im
internationalen politischen Feld vorerst unbeschadet zu verweilen.
21
Versuche der politischen Integration der Roten Khmer (1991 - 1999)
„[…] Als Führer und als Khmer kann mir das nichts anhaben. Wer mich beschuldigen
will, soll das tun. Wenn ich Böses getan habe, wird mir auch Böses getan und wenn
86
ich Gutes säe, ernte ich Gutes. […]“
Ironischerweise
scheiterte
die
Umsetzung
der
Pariser
Abkommen
vor
allem am Verhalten der RK. Diese vergrößerten unter UNTAC-Autorität
ihr Einflussgebiet und kontrollierten bereits im Frühjahr 1992 wieder
mehr als eine halbe Million Kambodschaner – viermal mehr, als es noch
vor den Pariser Verträgen der Fall gewesen war. Seit dem 13. Juni 1992
verweigerten die RK im Rahmen der geplanten Entwaffnung den UNTACSoldaten den Zugang zu ihren Gebieten mit der Begründung, dass der SNC
keine
Regierungsautorität
besitze,
da
das
alte
Regime
des
SOC
weiterhin im Dienst wäre und sich die vietnamesische Armee weiterhin
auf kambodschanischem Territorium befände. Am 5. August 1992 lehnten
die RK das neue Wahlgesetz ab, da dieses angeblich „zwei Millionen
Vietnamesen
die
Möglichkeit
gäbe,
die
Wahl
zu
fälschen“.87
Diese
Aussagen belegen deutlich die anhaltende rassistische Einstellung der
RK,
der
sie
gezielten
alsbald
Taten
Tötungen
und
Kambodschaner begannen.
88
folgen
ließen,
Anschlägen
indem
gegen
die
sie
erneut
mit
vietnamesischen
Mehr als 100 Vietnamesen wurden während der
UNTAC-Ära von RK ermordet, und weitere 200 Zivilpersonen wurden im
Wahlkampf aus politischen Gründen umgebracht.89 Der Widerstand der RK,
die
UNTAC
zu
unterstützen
und
die
Pariser
Bedingungen
umzusetzen,
verstärkte die internationale Kritik an den RK und Forderungen nach
juristischer Verfolgung der RK-Führungsfiguren. Bereits 1991 gaben die
USA und Australien ihren Willen zur Unterstützung des zu wählenden
Parlaments
wollen.
bekannt,
1992
Intensivierung
internationalen
sollte
forderte
dieser
dieses
der
die
RK
US-Senator
Bemühungen
vor
Charles
sowie
90
Wahrheitskommission.
ein
Auch
die
der
Gericht
Robb
stellen
sogar
Einrichtung
die
einer
UN-Sicherheitsrat
verabschiedete während des UNTAC-Mandats etliche Resolutionen, die die
RK aufforderten, die Pariser Bestimmungen umzusetzen.91 Am 13. April
1993, einen Monat vor den Wahlen, verließen die RK Phnom Penh und
gaben ihren Boykott der Wahlen bekannt, da es der UNTAC nicht gelungen
sei,
eine
neutrale
Atmosphäre
für
„freie
und
faire“
Wahlen
zu
schaffen. Dass die RK selbst die Bildung einer solchen Atmosphäre
86
87
88
89
90
91
Zit. Khan, Savonen (Militärkommandant der 4. Region in Kambodscha und ehemaliger RK)
nachdem er beim systematischen Diebstahl und Schmuggel von Tempelfresken ertappt worden
ist; in: Arte-Themenabend: „Die Roten Khmer – Völkermord in Kambodscha“.
Jennar, Raoul: Elections mines en Cambodge – Sous la menace des khmers rouge, in: Le Monde
Diplomatique, Mai 1993
Siehe: Kiernan, Ben: The Inclusion of the Khmer Rouge in the Cambodian Peace Process, S.
243 ff.
Chandler, David P.: A History of Cambodia, S. 260.
Kiernan, Ben: The Inclusion of the Khmer Rouge in the Cambodian Peace Process, S. 246.
Peou, Sorpong: Intervention & Change in Cambodia, S. 262.
22
wesentlich
behinderten,
kambodschanischen
internationalen
ist
Geschichte.
ein
Mit
Gemeinschaft
weiterer
diesem
Boykott
angestrebte
Treppenwitz
der
ist
von
der
in
die
Integration
die
der
RK
kambodschanische Politik gescheitert.
Vom
23.
bis
28.
Mai
1993
wurden
die
parlamentarischen
Wahlen
durchgeführt und allen Drohungen der RK zum Trotz gingen fast 90% der
registrierten Wahlberechtigten an die Urnen. Zwanzig Parteien stellten
sich zur Wahl, doch letztlich gewann deutlich Sihanouks royalistische
Partei
FUNCINPEC
mit
58
Sitzen
vor
Hun
Sens
CPP,
die
51
Parlamentssitze gewann. Als drittstärkste Partei konnte noch Son Sanns
BLDP mit 10 Vertretern ins Parlament einziehen, begleitet von einem
einzelnen Abgeordneten der MOLINAKA-Partei.92 Dieses Wahlergebnis hätte
eigentlich eine Regierung der FUNCINPEC verlangt. Die CPP unter der
Führung
von
Hun
Sen
–
noch
im
Besitz
der
meisten
Positionen
–
verweigerte jedoch die Machtübergabe und somit entstand eine bis dato
weltweit einzigartige Doppelregierung in Kambodscha. Jeder staatliche
Posten wurde mit jeweils einem FUNCINPEC- und CPP-Vertreter besetzt,
wobei
mehrheitlich
die
CPP-Kräfte
die
Oberhand
behielten.93
Ganz
abgesehen von dem Schaden, der der ersten kambodschanischen Demokratie
damit zugefügt wurde, verschlimmerte diese doppelte Ämterführung die
schon
vorhandene
Ineffizienz
der
Behörden,
verstärkte
die
Anfälligkeiten der Beamten für Bestechung und Freundschaftsdienste und
bewirkte regierungsinterne Parteikämpfe von den Ministerien bis zu den
Provinzen.94
Die
schlimmste
Folge
der
doppelten
Staatsführung
lag
allerdings im Kampf um die Kader der sich langsam auflösenden RK.
Oberstes Ziel war es ursprünglich, die RK als außerparlamentarische
Bedrohung
zu
eliminieren.
Um
zumindest
realpolitisch
Macht
hinzuzugewinnen, versuchten beide Regierungsparteien stattdessen, die
auseinanderbröckelnden außer-parlamentarischen Gruppen der RK für ihre
Politik zu gewinnen. Der Doppelregierung kam dabei entgegen, dass Ende
1993 die RK erstmalig sowohl innen- als auch außenpolitisch komplett
isoliert
und
scheinbar
auch
intern
demoralisiert
waren.95
Beide
Premiers engagierten sich für die verschiedenen Gruppen der RK ohne
Scham hinsichtlich derer Vergangenheit, was einen effektiven Kampf der
Regierung gegen die RK-Truppen in den von ihnen kontrollierten Zonen
verhinderte.
nochmaligen
Prinz
Norodom
Sihanouk
Integrationsversuch
der
scheiterte
PDK
in
die
1994
mit
dem
kambodschanische
Politik, rief aber die politische Richtlinie der nationalen Versöhnung
92
93
94
95
Brown, MacAlister & Zasloff, Joseph J.: Cambodia – Confounds the Peacemakers, S. 155 ff.
Die Tragweite dieser Regelung wird anschaulich von David W. Roberts in: Political
Transition in Cambodia 1991-1999, S. 121 ff. beschrieben.
Ebd. S. 127.; Dabei waren die FUNCINPEC-Beamten vor allem für Bestechungen anfällig („[…]
they come with empty hands and they need houses […]“), während die CPP-Staatsdiener
aufgrund ihrer Loyalitäten aus PRK/SOC-Zeiten vor allem für Freundschaftsdienste
empfänglich waren.
Siehe: Peschoux, Christophe: Des Khmers rouges à bout de souffle – Dans un Cambodge à
reconstruire, in: Le Monde Diplomatique, November 1993
23
aus.96 Um den Rechtlosigkeitsstatus der RK zu fixieren und gleichzeitig
den
abfallenden
RK-Truppenteilen
Anreize
für
einen
politischen
Seitenwechsel zu verschaffen, verabschiedete die Nationalversammlung
am 7. Juli 1994 das Gesetz zur Ächtung der RK. Es sah jedoch eine
Möglichkeit der Amnestierung vor, sofern RK-Mitglieder und –Militärs
innerhalb
von
überlaufen
sechs
würden.
Monaten
Bis
freiwillig
Ende
1994
auf
sollen
die
aufgrund
Regierungsseite
dieser
Maßnahme
zwischen 6.000 und 7.000 RK-Militärangehörige zu den Regierungstruppen
gewechselt sein.97 Dennoch schienen die RK weiterhin gut organisiert
und strukturiert sowie von Pol Pot geführt zu sein. Mitte der 90er
Jahre wurden die bewaffneten und trainierten RK-Kräfte noch auf etwa
5.000 Männer und Frauen geschätzt.98 Die RK führten unermüdlich weitere
Angriffe und Attacken gegen die Zivilbevölkerung aus, und es hatte
kurzzeitig
den
Anschein,
regierungsinterne
Krise
als
wollten
aussitzen,
deren
bis
Führungsfiguren
der
Zwist
die
schließlich
eskalieren würde. Der Machtkampf zwischen Hun Sen (CPP) und Prinz
Ranariddh (FUNCINPEC) spitzte sich tatsächlich weiter zu. Im August
1996 lief der ehemalige Premierminister der RK Ieng Sary mit einem
großen Teil seiner Soldaten zu Hun Sens CPP-Truppen über. Ieng Sary
forderte zwar militärische Befugnisse für sich und seine Leute als
Bedingung
für
seinen
Wechsel,
gab
sich
aber
letztlich
mit
einem
„Power-Sharing“ und einigen administrativen Posten für seine Anhänger
zufrieden.
Ieng
Sary
selbst
gab
als
Grund
für
seine
politische
Kehrtwende an, dass er nicht auf der Seite der Verlierer stehen wolle.
Darüber hinaus stünde Prinz Ranariddh in engen Verhandlungen mit einer
Gruppe um Khieu Samphan und Ta Mok, die politisch eng mit Pol Pot
verbunden seien, so dass ihm, der er von Pol Pot 1986 geächtet und ins
Exil nach Pailin geschickt worden sei, daher besser an der Seite Hun
Sens gedient wäre.99 Am 16. September 1996 wurde Ieng Sary auf Wunsch
beider Premierminister durch König Sihanouk von dem 1979 gefällten
Todesurteil
der
Rehabilitation
PRK-Regierung
international
begnadigt.100
mehrheitlich
Auch
wenn
verurteilt
Ieng
Sarys
wurde,
so
versuchte man zumindest in Südostasien die Amnestie so positiv wie
möglich auszulegen:
„[…] Cambodians […] must choose between seeking justice for millions who were
killed and brutalized, and trying to arrange a peaceful future for living. […]”101
Schließlich bewertete man in Kambodscha seine Rehabilitierung in jedem
Fall
als
zweifach
notwendig
und
richtig:
Zum
einen
brachte
diese
Der Versuch scheiterte sowohl an Hun Sens prinzipieller Ablehnung einer Integration der RK
als auch an den unrealistischen Forderungen der RK selbst.
Grant, Curtis: Cambodia Reborn, S. 35.
98
Chandler, David P.: A history of Cambodia, S. 241.
99
Roberts, David W.: Political Transition in Cambodia 1991-1999, S. 140.
100
Brown, MacAlister & Zasloff, Joseph J.: Cambodia – Confounds the Peacemakers, S. 260.
101
Grant, Curtis: Cambodia Reborn, S. 41.
96
97
24
Amnestie die Politik der nationalen Aussöhnung voran und zum anderen
verstärkte der herbe Truppenverlust der RK die Aussicht auf deren
Beseitigung als Guerilla-Armee.102 Aber nicht nur die RK mussten mit
Ieng Sarys Wechsel ins Lager von Hun Sen eine Niederlage einstecken,
sondern auch die FUNCINPEC-Partei. Die fragile Lage der Partei in den
Ämtern wurde realpolitisch noch verstärkt. In geheimen Verhandlungen
mit
den
RK-Hardlinern
Khieu
Samphan
und
Ta
Mok
versuchte
Prinz
Ranariddh, RK-Truppen auf seine Seite zu ziehen. Ziel war dabei aber
nicht die Zerschlagung der außerparlamentarischen Bedrohung, sondern
allein die Stärkung seiner Position gegenüber Hun Sen und der CPP.103 Am
3. Juli 1997 unterzeichnete Prinz Ranariddh ein Abkommen mit Samphan,
durch welches die RK-Hardliner der FUNCINPEC ihre Unterstützung gegen
die CPP zusicherten. Statt also die außerparlamentarische Bedrohung
ernsthaft
beseitigen
zu
wollen,
schaffte
Ranariddh
durch
die
geschlossene Allianz mit Samphan/Mok eine neue außerparlamentarische
Bedrohung für Hun Sen. Am 5. Juli 1997 besetzten FUNCINPEC-Truppen den
Flughafen in Phnom Penh und Kämpfe zwischen CPP- und FUNCINPEC-Truppen
brachen aus.104 Am 7. Juli kontrollierten die CPP-Kräfte die Hauptstadt
- der bizarren Doppelregierung Kambodschas war somit an ihrem Ende
angelangt. Inwiefern Hun Sens Annäherung an die RK um Ieng Sary oder
Ranariddhs Verhandlungen mit der Samphan/Ta-Mok - Fraktion als der
Versöhnung
dienlich
anzusehen
sind,
ist
äußerst
zweifelhaft.
Beide
Seiten haben der Demokratie durch ihr Verhalten in den Jahren 1996/97
schweren Schaden zugefügt und die Zerschlagung der RK aus egoistischen
Gründen vernachlässigt, wenn nicht nahezu verhindert. Dennoch wurde
dem Versuch einer generellen politischen Wiederbelebung der RK durch
die Kämpfe der beiden Fraktionen ein Ende gesetzt. Ob diese Kämpfe als
Putsch oder als Notwehrreaktion Hun Sens zu betrachten sind, bleibt
umstritten. Die Ereignisse des Juli 1997 erfüllen zwar die Kriterien
eines Putsches, sind aber wahrscheinlich als eine Verbindung bestehend
aus
willkommenem
Anlass
einer
gewaltsamen
Regierungsübernahme
einerseits und Verhinderungsversuch der Integration der radikalen RK
andererseits zu betrachten.
Die weitere Zersplitterung der RK war nun nicht mehr aufzuhalten, und
ihr Ende als politische Bedrohung wurde eingeläutet.105 Beispielhaft für
den Kollaps der RK ist u.a. der Schauprozess gegen Pol Pot vom 25.
Juli 1997, den RK-Kader in einem Dschungeldorf durchführten. Pol Pot
wurde von einem Volksgericht für schuldig befunden, im weiteren Kampf
der RK versagt und ein Komplott gegen Ta Mok und Nuon Chea mit dem
25
Ziel
geschmiedet
nationalen
haben,
Aussöhnung
lebenslangem
Verbindung
zu
zerstören
Hausarrest
der
RK
diese
zu
töten
Pot
deren
106
zu
wollen“.
verurteilt.
Pol
und
Als
gegeben,
Pol
hätte
begrüßte
„Politik
Pot
es
wurde
niemals
Tep
der
zu
eine
Kunnal,
UN-
Vertreter der RK das Urteil, machte aber gleichzeitig in altbewährter
RK-Manier Propaganda gegen die Vietnamesen:
„[…] the regime of Pol Pot is over once and for all, and as I told you, the dangers
that are facing Cambodia […] there are two. One is the Pol Pot regime […] the other
is the Vietnamese occupation of Cambodia. […]”107
Ziel der verbliebenen RK-Kader war es eindeutig, sich von Pol Pot und
seiner Politik zu distanzieren, um sich so selbst von jeglicher Schuld
rein zu waschen.108 Im Dezember 1998 einigten sich die Regierung und die
RK über eine erneute Aufnahme von RK-Kämpfern in die Nationalarmee bei
deren gleichzeitiger Amnestierung. Im Rahmen dieser Überläufe wurden
auch ranghohe RK, wie Khieu Samphan oder Nuon Chea, begnadigt.109 Am 12.
Februar 1999 fand die feierliche Integration der letzten Mitglieder
der RK in die Nationalarmee statt.110 Am 6.März 1999 wurden Ta Mok und
am 9. Mai 1999 schließlich Kang Kek Ieu, der Leiter des Folterzentrums
S-21,
verhaftet
und
somit
die
letzten
beiden
lebenden
RK-
Führungsfiguren in Regierungsgewahrsam gebracht. Beide Fälle wurden
einem kambodschanischen Militärgericht übergeben. Ihnen wurden jeweils
Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen angelastet ein Urteil wurde allerdings nicht gefällt.
Resultierend aus den Kämpfen des Juli 1997 regierte Hun Sens CPP bis
zu
den
Unruhen
nächsten
und
Wahlen
am
Bruderkämpfen
26.
Juli
1998
geschüttelte
allein
Land.
Die
das
von
Fehler
weiteren
bei
der
Umsetzung des Pariser Abkommens – die nicht erfolgte Entwaffnung der
RK und die ausgebliebene Übernahme und spätere Neuverteilung aller
Behördenposten durch die UNTAC – erzeugten die aufgetretenen Probleme
der
Machtverteilung
zwischen
111
folgenden Rivalitäten.
CPP
und
FUNCINPEC
und
die
daraus
Unter dem Deckmantel der nationalen Aussöhnung
versuchten sowohl CPP als auch FUNCINPEC ihren Einfluss zu stärken,
indem sie den RK Immunität und Amnestie bei einem Wechsel in ihr
politisches Lager versprachen. Lediglich aus diesem Grund blieben die
RK-Führungsfiguren bis heute unbestraft.
Rohde, Manfred: Abschied von den Killing Fields; S. 230 f.
Thayer, Nate: Cambodia – Trial of Pol Pot; zugänglich unter:
www.abc.net.au/foreign/stories/s372434.htm
108
Rohde, Manfred: Abschied von den Killing Fields; S. 231.
109
Ebd.; S. 234 ff.
110
United Nations, Rapport du Groupe d’experts pour le Cambodge créé par la résolution 52/135
de l’Assemblé générale, III. Historique.
111
Roberts, David W.: Political Transition in Cambodia 1991-1999, S. 148.
106
107
26
Ein Tribunal für die Verbrechen der Roten Khmer
“[…] Finding the truth is important to officially document the atrocities of the
Khmer Rouge regime, to help alleviate the suffering of the survivors, and to
provide a permanent record of the terrible Khmer Rouge story for future
generations. […] This helps to illustrate that a tribunal is not necessarily about
survivors getting revenge; rather, it is about getting information-answers to
questions regarding “the big picture”. The truth will allow Cambodians, and the
international community, to know what happened, and why. […]”112
Im
April
1997
verabschiedete
die
UN-Menschenrechtskommission
eine
Resolution (A/RES/52/135), mit der der UN-Generalsekretär aufgefordert
wurde, den Bedarf möglicher internationaler juristischer Unterstützung
für Kambodscha zu prüfen. Am 21. Juni 1997 baten die beiden Premiers
Hun Sen und Prinz Ranariddh daraufhin Kofi Annan um internationale
Unterstützung, um „die Verantwortlichen für den Völkermord und die
Verbrechen gegen die Menschlichkeit während der Regierung der RK von
1975 bis 1979 vor ein Gericht“ bringen zu können. Im internationalen
Rahmen
verbreitete
sich
Kriegsverbrechertribunal
Vergangenheit
Kambodschas
ziehen
113
könnte.
Sodann
die
einen
Schlussstrich
und
im
Hoffnung,
die
Juli
unter
westlichen
1998
dass
die
ein
tragische
Verstrickungen
beauftragte
Kofi
darin
Annan
eine
Expertengruppe, die Möglichkeiten für eine Umsetzung eines Tribunals
gegen
die
RK
zu
prüfen.
Diese
Expertengruppe
legte
dem
UN-
Generalsekretär am 18. Februar 1999 ihren Bericht vor, in welchem sie
die
Bildung
ruandischen
eines
bzw.
internationalen
jugoslawischen
ad-hoc
Modell
Tribunals
sowie
nach
dem
seltsamerweise
die
Einrichtung einer Wahrheitskommission vorschlug, auch wenn es bis dato
keine Anzeichen dafür gegeben hatte, dass in Kambodscha eine solche
Wahrheitskommission Unterstützung fände.114 Darüber hinaus äußerte sich
die Kommission zu den verschiedenen Vergehen gemäß der internationalen
und
kambodschanischen
Möglichkeiten
einer
Gesetzgebung,
Festnahme
zu
der
den
Beweismaterialien,
RK-Führungsfiguren
und
den
der
Verbindung sowie Berücksichtigung des Tribunals bezüglich der Politik
der
nationalen
Aussöhnung.115
Im
August
1999
drängten
einzelne
kambodschanische Politiker darauf, dass ein mögliches Verfahren gegen
die
RK
nur
im
Land
und
vor
einem
kambodschanischen
Gericht
nach
kambodschanischem Recht mit Unterstützung durch internationale Richter
stattfinden soll. Darüber hinaus bat Kambodscha die UN vergeblich, die
Aufnahme der Verfolgung sozialer Gruppen in die Völkermord-Konvention
Chuop, Khamly: Examining the Cambodian view of a Khmer Rouge Tribunal, S. 50 in: Searching
for the truth – Public Debate, S. 47-54; DOCUMENTATION CENTER OF CAMBODIA, Special English Edition
Third Quarter 2003, zugänglich unter: www.dccam.org/Projects/Magazines/English_version.htm.
113
So äußerte sich der australische Außenminister Gareth Evans in einem Interview mit George
Negus 1997 folgendermaßen: „[…], it was one of the most horific chapters in human history,
and it [a war-crimes tribunal, A.d.V] would be an appropriate way of bringing it to a final
close. […]”, in: Thayer, Nate: Cambodia – Trial of Pol Pot.
114
Cook, Susan E.: Prosecuting Genocide in Cambodia: The winding path towards justice,
zugänglich unter: www.crimesofwar.org/tribun-mag/cambodia_print.html
115
United Nations, Rapport du Groupe d’experts pour le Cambodge créé par la résolution 52/135
de l’Assemblé générale.
112
27
zu erwägen, um die RK-Täter einfacher für den begangenen Völkermord
verurteilen zu können (siehe: Völkermord-Kapitel).116
Am
18.
September
1999
veröffentlichten
ehemalige
RK
–
inzwischen
Mitglieder der CPP - eine Stellungnahme, in der sie bei tatsächlichem
Zustandekommen
eines
Bürgerkrieges
drohten
Verfahrens
gegen
Tribunals
und
Nuon
mit
die
dem
erneuten
Forderungen
Chea
und
Ausbruch
eines
hinsichtlich
Ieng
Sary
eines
verschiedener
Menschenrechtsorganisationen verurteilten. In einem Schreiben Hun Sens
an
Kofi
Annan
Vorgehensweise
wurden
angeboten:
Juristenteams,
welches
existierenden
Gerichten
Bereitstellung
drei
eines
verschiedene
(1)
an
Zur
einem
Verfügung
Tribunal,
stattfindet,
Juristenteams,
Möglichkeiten
Stellen
das
an
an
eines
Kambodschas
beteiligt
welches
der
wird,
einem
(2)
Verfahren
teilnimmt, das gegen das Tribunal in Kambodscha gerichtet ist, oder
(3)
die
komplette
Tribunal.
Diese
Regierung,
Zurücknahme
Offensive
dass
-
nach
des
Hun
Vorschlags
Sens
der
der
basierte
Drohung
der
Partizipation
auf
der
ehemaligen
am
Angst
der
RK
das
-
Aufrechterhalten des UN-Vorschlags einer unbegrenzten Strafverfolgung
der RK die befürchtete Panik unter diesen hervorrufen könnte.117 Wie
groß die Furcht vor einer umfassenden Strafverfolgung in Kambodscha
war, macht die Aussage der SÜDCHINESISCHEN MORGENPOST deutlich, wonach „jeder
kambodschanische
Politiker
einmal
118
Verbündeter der RK“ gewesen ist.
entweder
Teil
der
RK
oder
Die UN und Kambodscha verhandelten
in den folgenden Monaten daher intensiv über das mögliche Tribunal.
Anlass
zu
Auseinandersetzungen
gaben
die
Fragen,
ob
das
Tribunal
innerhalb oder außerhalb Kambodschas stattfinden solle, ob die Richter
ausschließlich
kambodschanischer
oder
ebenfalls
internationaler
Herkunft sein sollten, wie umfangreich das Ausmaß der Untersuchungen
sein, welche Rechtsprechung als Grundlage des Tribunals dienen und wie
mit dem Problem der Amnestierungen und Begnadigungen umzugehen sein
sollte. Ursprünglich wollte Hun Sen die Verbrechen vor 1975 mit in das
Verfahren einbeziehen, ließ aufgrund des umfassenden nationalen und
internationalen
Widerstandes
Letztendlich
konnten
Tribunal
Land
im
sich
selbst
diese
beide
gemäß
Idee
Seiten
aber
schnell
darauf
einigen,
kambodschanischem
Recht,
fallen.119
dass
ein
aber
mit
Schabas, William, A.: Problems of international Codification – Were the atrocities in
Cambodia and Kosovo Genocide?, S. 293; in: NEW ENGLAND LAW REVIEW, Vol. 35:2, 2001; S. 287 – 302;
zugänglich unter: www.nesl.edu/lawrev/vol35/2/schabas.pdf.
117
United Nations, Rapport du Groupe d’experts pour le Cambodge créé par la résolution 52/135
de l’Assemblé générale; „[…]Having considered the report, the Government of Cambodia, in a
letter addressed to me dated 3 March 1999, cautioned that any decision to bring Khmer Rouge
leaders to justice must take account of Cambodia's need for peace and national
reconciliation, and that, if improperly conducted, the trials of Khmer Rouge leaders would
create panic among other former Khmer Rouge officers and rank and file and lead to a
renewed guerrilla war. […], the Cambodian courts were fully competent to conduct any such
trial. He recalled that the criminals are Cambodians, the victims were Cambodians and the
crimes were committed in Cambodia. […]”
118
Zit. nach: Chuop, Khamly: Examining the Cambodian view of a Khmer Rouge Tribunal, S. 53.
119
INTERNATIONAL CRISIS GROUP: Cambodia – the elusive peace dividend, S. 36 f. in: ICG Asia Report N°
8/2000, zugänglich unter www.crisisgroup.org/home/index.cfm?id=1425&l=3.
116
28
internationaler Beteiligung eingerichtet werden sollte. Diesbezüglich
sollten
außerordentliche
Kammern,
in
denen
die
kambodschanischen
Richter die Mehrheit stellen, gebildet werden so UN und Kambodscha in
einem abschließenden Gesetzesentwurf.120 Dieses Dokument wurde von der
Nationalversammlung
Kambodschas
am
2.
Januar
2001
einstimmig
angenommen und passierte bereits am 15. Januar den kambodschanischen
Senat. Bei der Vorlage im Verfassungsrat wurde jedoch festgestellt,
dass Artikel 3 des Gesetzesentwurfs dem nationalen Recht widerspricht,
da er als Höchststrafe die Todesstrafe vorsah, welche in Kambodscha
jedoch
mit
der
Verabschiedung
abgeschafft
wurde.
zurück
Ministerrat,
zum
Der
der
Kambodschanischen
Verfassungsrat
welcher
schickte
diesen
neu
den
Verfassung
Entwurf
bearbeiten
daher
und
vom
Parlament verabschieden lassen musste, bevor er vom König angenommen
werden
konnte.
Am
19.
Juni
2001
gab
Hun
Sen
bekannt,
dass
der
Ministerrat seine Arbeit beendet habe und den Entwurf erneut durch die
Institutionen
signierte
würde.121
schicken
König
Sihanouk
außerordentlichen
Kammern
Am
10.
das
in
August
„Gesetz
den
2001
zur
Gerichten
schließlich
Schaffung
der
Kambodschas
zur
Strafverfolgung der Verbrechen während der Periode des Demokratischen
Kampuchea“.122 Dieses Gesetz, bestehend aus 48 Artikeln, basiert auf der
kambodschanischen Rechtsprechung. Die außerordentlichen Kammern sollen
eine dreistufige Struktur erhalten, bestehend aus Hauptverfahrens- und
Berufungskammer
sowie
Vorverfahrenskammer
Meinungsverschiedenheiten
der
(zur
Untersuchungsrichter
Klärung
und
Ankläger)
von
an
deren Spitze stets die kambodschanischen Richter in der Mehrheit sind.
Das Gesetzesmandat wird unter Artikel 1 folgendermaßen umschrieben:
„The purpose of this law is to bring to trial senior leaders of Democratic
Kampuchea and those who were most responsible for the crimes and serious violations
of Cambodian penal law, international humanitarian law and custom, and
international conventions recognized by Cambodia, that were committed during the
period from 17 April 1975 to 6 January 1979.”123
Dadurch
sind
gemäß
Völkermordkonvention
internationaler
von
1948
Standards
(Art.4)
und
Völkermord
Verbrechen
laut
der
gegen
die
Menschlichkeit (Art.5), schwere Verstöße gegen die Genfer Konventionen
(Art.6),
Verbrechen
Verletzungen
gemäß
der
der
Wiener
Haager
Kriegskonventionen
Konvention
zum
Schutz
(Art.7)
von
und
Diplomaten
(Art.8) sowie Mord und Totschlag, Folter und religiöse Verfolgung nach
Linton, Suzannah: Cambodia, East Timor and Sierra Leone: Experiments in international
Justice, in: CRIMINAL LAW FORUM 12/2001, S. 189; zugänglich unter:
www.jsmp.minihub.org/Reports/Lintoncrimlaw.pdf.
121
Cook, Susan E.: Prosecuting Genocide in Cambodia.
122
Suzannah Linton vollzieht in: Cambodia, East Timor and Sierra Leone eine kritische Analyse
der einzelnen Paragrafen des Gesetzes.
123
Law on the establishment of extraodinary chambers in the courts of Cambodia for the
prosecution of crimes committed during the period of Democratik Kampuchea, S. 1; zugänglich
unter: www.derechos.org/human-rights/seasia/doc/krlaw.html.
120
29
dem kambodschanischem Strafrecht von 1956 (Art.3) abgedeckt.124 So wurde
der juristische Grundsatz nulla poena sine lege125 zumindest formal
eingehalten, wenn auch umstritten blieb, inwiefern das Strafrecht von
1956 zum Zeitpunkt des Einmarschs der RK in Phnom Penh noch relevant
war.126
Das
Prinzip
ne
bis
idem127
in
wurde
jedoch
in
keinem
der
Paragraphen des Gesetzes berücksichtigt, betraf aber z.B. vor allem
Ieng Sary, der bereits 1979 von den Vietnamesen zum Tode verurteilt,
1996
von
König
Sihanouk
jedoch
wurde.128
begnadigt
Wie
mit
den
Begnadigungen und Amnestierungen seit 1994 umzugehen ist, schreibt das
Gesetz
nicht
vor.
Die
Höchststrafe
wurde
auf
lebenslängliche
Freiheitsstrafe gesetzt. Mit diesem Gesetz gab die kambodschanische
Führung also den Weg für die nächsten Jahre vor. Keine umfassende,
sondern eine begrenzte Strafverfolgung, sowohl was den Täterkreis als
auch den Tatzeitraum betrifft, sollte Ziel eines Verfahrens gegen die
RK sein. Die Verbrechen vor und nach der Diktatur Pol Pots würden
nicht verhandelt werden. Einem Bürgerkrieg durch panische Aufstände
der
ehemaligen
mittleren
RK
und
wurde
somit
niedrigen
Hauptverantwortlichen
ein
Ränge
von
Riegel
durch
einem
vorgeschoben,
die
Verfahren
da
Beschränkung
RK
auf
ausgeschlossen
der
die
wurden.
Bereits die Expertenkommission der UN 1999 schätzte die Zahl möglicher
Angeklagter lediglich auf 20–30 Personen.129 Auch wenn Artikel 1 die
Anklage
der
Hauptverantwortlichen
vorsieht
und
deren
Staatszugehörigkeit offen lässt, wurde eine Anklage von ausländischen
Unterstützern oder Mitwissern explizit ausgeschlossen.130
Nachdem König Sihanouk das Gesetz unterzeichnet hatte, gerieten die UN
und
Kambodscha
allerdings
erneut
in
Konflikt.
Die
UN
kritisierte
verschiedene Abweichungen von der ausgehandelten Vorlage im Gesetz und
zweifelte die Kompetenz, Unabhängigkeit, Neutralität und Objektivität
der
Kammern
Struktur
an.
in
der
Des
vom
Gesetz
Weiteren
war
vorgeschlagenen
fraglich,
Zusammensetzung
inwiefern
Kambodschas
und
im
Entstehen begriffenes Justizsystem dieser Aufgabe gewachsen war. Diese
Bedenken führten im Februar 2002 sogar zum Abbruch der Verhandlungen.
Das Tribunal gegen die RK stand kurz vor dem Aus. Erst im November
2002
wurden
Australien,
auf
Druck
Frankreich)
der
Hauptunterstützer
neue
Verhandlungen
von
Kambodschas
Seiten
der
(Japan,
UN
in
Aussicht gestellt, und zu Beginn des Jahres 2003 intensivierten sich
Linton, Suzannah: Cambodia, East Timor and Sierra Leone, S. 190.
Das Prinzip “Keine Strafe ohne Gesetz” verhindert die Einführung von gesetzlichen
Bestimmungen ex post facto
126
Linton, Suzannah: Cambodia, East Timor and Sierra Leone, S. 195
127
Das „Verbot der mehrmaligen Bestrafung“ soll verhindern, dass eine Person ein zweites Mal
für dieselbe Tat verurteilt werden kann.
128
Linton, Suzannah: Cambodia, East Timor and Sierra Leone, S. 199
129
United Nations, Rapport du Groupe d’experts pour le Cambodge créé par la résolution 52/135
de l’Assemblé générale; Point VII Possibilité de traduire les dirigeants khmers rouges en
justice.
130
Cook, Susan E.: Prosecuting Genocide in Cambodia.
124
125
30
die Gespräche beider Seiten wieder.131 Am 17. März 2003 einigten sich
der kambodschanische Ministerrat und die UN über den Entwurf eines
gemeinsamen
Abkommens
zur
132
kambodschanischem
Recht
,
Strafverfolgung
welcher
am
13.
der
Mai
RK
von
unter
der
UN-
Generalversammlung ratifiziert wurde (A/RES/57/228b). Am 6. Juni 2003
wurde das Abkommen von beiden Seiten unterzeichnet. Dieses Abkommen
beinhaltete
die
Akzeptanz
des
„Gesetzes
zur
Schaffung
der
außerordentlichen Kammern […]“ durch die UN mit wenigen Korrekturen,
z.B.
bezüglich
Begnadigungen
des
und
Umgangs
mit
Amnestierungen,
den
indem
bereits
gemäß
stattgefundenen
Artikel
11
nur
die
Amnestierung von Ieng Sary als Amnestie anerkannt und selbst deren
Gültigkeit in das Ermessen der Kammern gestellt wurden.133 Bereits am
Ende des Jahres 2003 wurden die Fortschritte der Vorbereitungen zur
Einrichtung der Kammern von den Unterstützen gelobt, jedoch konnte das
Abkommen noch nicht umgesetzt werden, da seit den Wahlen am 27. Juli
2003 keine Regierungskoalition zustande kam, deren Kabinett das Gesetz
zunächst ratifizieren musste. Dies geschah nach einem Jahr politischer
Lähmung
erst
am
6.
August
2004.
Am
5.
Oktober
desselben
Jahres
verabschiedete auch die Nationalversammlung Kambodschas das „Gesetz
zur
Schaffung
der
außerordentlichen
Kammern
[…]“,
welches
am
25.
Oktober durch Staatsoberhaupt Chea Sim feierlich verkündet wurde.134
Knapp
zwei
Wochen
Standortbericht
zum
zuvor
hatte
RK-Tribunal
UN-Generalsekretär
vorgelegt,
in
dem
er
Annan
einen
das
letzte
wesentliche organisatorische Problem deutlich macht:
“[…] planning and preparation work has proceeded. Following completion of the still
ongoing review of budget estimates, it is my intention to bring its results to the
attention of the General Assembly in the form of an addendum to the present report.
Based on the final cost projections, I will then formally appeal for voluntary
contributions from donors to the Trust Fund that has been established to finance
United Nations support to the Extraordinary Chambers, complementing those limited
pledges that have so far been received from the Governments of Australia, France
and Japan. […]”135
Die Frage der Finanzierung des Tribunals ist bis heute nicht endgültig
gelöst. Die UN schätzten die Kosten des auf drei Jahre angesetzten
Tribunals auf etwa 56 Mio. US$, von denen Kambodscha selbst etwa 13
Mio.
übernehmen
kann.
Die
verbleibenden
43
Mio.
US$
müssen
über
Eine detaillierte Analyse der Korrespondenz zwischen der kambodschanischen Regierung und
den Vereinten Nationen findet sich in Jarvis, Helen: Trials and Tribulations- The Latest
Twists in the Long Quest for Justice for the Cambodian Genocide in: CRITICAL ASIAN STUDIES,
Volume 34, N° 4/December 2002; S. 607 – 623.
132
Draft Agreement between the United Nations and the Royal Government of Cambodia concerning
the prosecution under Cambodian law of crimes committed during the period of Democratic
Kampuchea; zugänglich unter www.yale.edu/cgp/Cambodia%20Draft%20Agreement%2017-03-03.doc
133
Agreement between the United Nations and the Royal Government of Cambodia concerning the
prosecution under Cambodian law of crimes committed during the period of Democratic
Kampuchea, zugänglich unter: www.derechos.org/nizkor/impu/tpi/khmtriale.html
134
Eine detaillierte Chronologie aller das Tribunal betreffenden Fakten hat dasGENOCIDE PROGRAM AT
YALE UNIVERSITY unter www.yale.edu/cgp/chron_v3.html zusammengestellt.
135
United Nations Document A/59/432: Report of the Secretary-General of Khmer Rouge trials,
S. 10 f.; zugänglich unter:
www.globalpolicy.org/intljustice/tribunals/cambodia/2004/1012sgreport.pdf
131
31
freiwillige Spenden aufgetrieben werden. Jahrelang erschien dies als
letzte, aber geradezu unüberwindbare Hürde. Am 29. März 2005 gab UNGeneralsekretär Kofi Annan jedoch bekannt, dass man kurz vor dem Ziel
stehe
und
bereits
Kambodschas
feste
Zusagen
stellvertretender
über
38,48
Mio.
Premierminister
Sok
US$
An
habe.
äußerte
Auch
seine
Hoffnung, dass mit dem 30. Jahrestag des Falls von Phnom Penh der lang
ersehnte
Prozess
136
beginnen kann.
formal
mit,
der
Wiederherstellung
von
Gerechtigkeit
endlich
Am 29. April 2005 teilte Kofi Annan Premier Hun Sen
dass
nach
Kambodscha
auch
die
Vereinten
Nationen
die
formalen Kriterien erfüllt hätten, um das Abkommen zur Strafverfolgung
der RK vom Juni 2003 umzusetzen. Die Finanzierung sei abgesichert, so
eine begleitende Pressemitteilung.137
Seit der Wiederaufnahme der Verhandlungen wird in der internationalen
Öffentlichkeit
Tribunal
darüber
Erfolg
gestritten,
versprechend
sei
inwiefern
oder
eher
das
einem
ausgehandelte
„Kasperletheater“
gleiche. Die kambodschanische Regierung muss sich vorwerfen lassen,
die
Verfolgung
der
RK
aus
pragmatischen
Gründen
und
politischer
Interessen vernachlässigt und in Folge in diesem Punkt versagt zu
haben. Ob dies der Zukunft Kambodschas dienlich war und sein wird, ist
äußerst
Watch
zweifelhaft.
(HRW)
oder
Menschenrechtsorganisationen
Amnesty
International
wie
(ai)
Human
Rights
kritisieren
die
Kompromisslösung eines kambodschanischen Tribunals mit internationaler
Beteiligung.
Kompetenz
Richter,
Die
und
das
wichtigsten
Unabhängigkeit
Punkte
der
Zeugenschutzprogramm,
ihrer
Kritik
kambodschanischen
die
fehlende
betreffen
die
Gerichte
und
Dimension
von
Reparationszahlungen und die Zusammensetzung der Kammern aus drei bzw.
vier kambodschanischen und zwei bzw. drei internationalen Richtern.138
Darüber hinaus werden immer wieder personelle Probleme angesprochen,
wie die Befangenheit der aktiv am Tribunal beteiligten, z.B. Richter
und Übersetzer.139 Wozu also ein Tribunal, mit all diesen Schwächen?
Oder sind die Bedenken unbegründet?
Warum ist eine juristische Verfolgung wichtig?
„[…] I hear rumours according to which we need to have reconciliation, bury the
resentment, that sort of thing. […] what do you think of the idea of putting Pol
Pot and the Khmer Rouge on trial? Speak with your heart.
Reconciliation… They can do what they want. But until now, has anyone said this
past action was wrong, that the two million dead among the Khmer people was wrong?
Has anyone begged for forgiveness? Have you heard that from the lips of anyone
leaders or underlings? Have you? Neither have I. So how can we help the families of
victims and survivors find peace again? How do we know that it was wrong? They
United Nations, Press Release L/3082: Governments pledge $38,48 million for the Khmer
rouge trials in Cambodia, zugänglich unter: www.un.org/News/Press/docs/2005/l3082.doc.htm
137
United Nations: Agreement between UN and Cambodia on Khmer Rouge trials takes effect,
zugänglich unter: http://www0.un.org/apps/news/story.asp?NewsID=14134&Cr=Cambodia&Cr1=
138
AMNESTY INTERNATIONAL: Kingdom of Cambodia - Amnesty International’s position and concerns
regarding the proposed “Khmer Rouge” tribunal; zugänglich unter:
http://web.amnesty.org/library/Index/ENGASA230052003?open&of=ENG-KHM
.
139
Treiber, Wilhelm: Der Fall Rote Khmer – 1,5 Millionen Opfer, nur zwei Angeklagte und
unfähige Richter: Das Kambodscha-Tribunal gerät zur Farce in: DIE ZEIT 12/2005, S. 15.
136
32
don’t even say it was wrong! Why ask for forgiveness if they did nothing wrong? […]
“140
Internationale
Beobachter
setzen
der
im
vorangegangenen
Kapitel
angesprochenen, allgemeinen Kritik entgegen, dass die internationale
Beteiligung
am
Tribunal
die
Objektivität
und
Glaubwürdigkeit
der
Rechtsprechung garantiere, zumal die kambodschanischen Richter seit
Ende 2003 Kurse im Völkerstrafrecht absolvieren müssen.141 Gregory H.
Stanton
rügt
die
internationale
Kritik
am
Tribunal
sogar
als
übertriebene westliche Moral, nach all den von ihr mitverschuldeten
Fehlern
und
Pannen.
existierenden
International
Instanzen
in
entspreche
Sierra
das
Leone
Tribunal
oder
bereits
Ost-Timor.
Die
angestrebte Perfektion nach dem Motto „Alles oder Nichts“ sei der
größte „Feind der Gerechtigkeit“. Die Zeit laufe davon, um die letzten
lebenden
RK-Führungsfiguren
zu
bestrafen
und
der
Bevölkerung
nach
nunmehr 30 Jahren des Wartens einen Hauch von Gerechtigkeit spüren zu
lassen.142
Auch
Stephen
Heder,
einer
der
wenigen
Khmer
sprechenden
Kambodschaexperten, zieht dieses Tribunal dem kompletten Scheitern der
Strafverfolgung bei weiteren Verhandlungen vor.143
Welchen Stellenwert aber das Tribunal in der Bevölkerung hat, deutete
bereits
das
vorangegangene
gesellschaftlicher
Bedarf
an
Zitat
Erfahrung
an.
von
Zum
einen
Gerechtigkeit,
besteht
denn
bis
heute haben die Menschen im Land kaum eine Vorstellung von Recht und
Unrecht.
Täglich
finden
Überfälle,
Vergewaltigungen
und
Diebstähle
statt, und nur selten werden Täter bestraft. Mysteriöse Todesfälle
unter den Oppositionsangehörigen gehören auch heute noch zum normalen
Erscheinungsbild eines Wahlkampfes. Das Justizsystem ist schwach und
korrupt und kann die Masse der Straftaten nicht bearbeiten, wie auch
der
UN-Sondergesandte
für
Menschenrechte
in
Kambodscha,
144
Leuprecht, in seinem letzten Bericht kritisiert.
Peter
Des Weiteren muss
der jungen Generation Kambodschas deutlich gemacht werden, dass sie
nie wieder von einem Diktator oder einem solchen Regime ungestraft
instrumentalisiert
allgemeinen
Politik
und
der
„Vergeben und Vergessens“
traumatisiert
nationalen
146
werden
Versöhnung
kann.145
unter
dem
Trotz
Motto
der
des
müssen diejenigen verurteilt werden, die
diese Verbrechen geplant und zu verantworten haben, denn Frieden und
S-21: The Khmer Rouge Killing Machine, Rithy Panh, First Run Features 2004.
Scheffer, David J.: Justice for Cambodia in: New York Times 21.12.2002; zugänglich unter:
www.yale.edu/cgp/Scheffer2002.doc.
142
Stanton, Gregory H.: Perfection Is The Enemy of Justice.
143
Public Discussion, Phnom Penh 17.12.2004: The Khmer Rouge Trials – Are they worth it and
for whom?; zugänglich unter: www.genocidewatch.org/CambodiaTHEKHMERROUGETRIALSAretheyworthit17November2004.htm.
144
Commission on Human Rights: Advisory services and technical cooperation in the field of
human rights – Situation of human rights in Cambodia; E/CN.4/2005/116, 20.12.2004,
zugänglich unter:
http://daccessdds.un.org/doc/UNDOC/GEN/G04/170/00/PDF/G0417000.pdf?OpenElement
145
Chuop, Khamly: Examining the Cambodian view of a Khmer Rouge Tribunal, S. 49.
146
Kiernan, Ben (Ed.): Genocide and Democracy in Cambodia, S. 302.
140
141
33
Gerechtigkeit
bedingen
einander.
Entgegen
aller
Kritik,
dass
Kambodschas wirtschaftlicher und sozialer Wiederaufbau wichtiger sei
als
das
internationale
Verfolgung,
einer
besteht
Verurteilung
des CENTER
FOR
Drängen
unter
der
der
zugunsten
Bevölkerung
Verantwortlichen.
einer
ein
juristischen
großes
Interesse
Diesbezügliche
an
Befragungen
SOCIAL DEVELOPMENT CAMBODIA (CSDC) ergaben:
“[…] Overall the results showed that there was strong support for a trial, with 68%
saying that a trial of the Khmer Rouge must be held. 51% also thought that all war
criminals, including those from the regimes previous and subsequent to Democratic
Kampuchea, should be tried. Only 9% said that the past should be forgotten. […]“147
Vor
allem
scheint
die
juristische
Verfolgung
der
RK-Kader
ein
wichtiger Bestandteil der nationalen Versöhnung zu sein, denn, so
der Kambodschaner Ea Meng-Try, Versöhnung habe immer auch etwas mit
Wahrheit, Vergeben, Frieden und Gerechtigkeit zu tun.148 Insofern ist
es nicht verwunderlich, dass das CSDC folgendes herausfand:
“[…] Despite these variations, there was still a strong recognition of the role of
a trial in national reconciliation. […] The final result in this category showed
that 82% felt it [the trial, A.d.V.] would be advantageous [for the reconciliation,
A.d.V.], 34% disadvantageous, while only 2% abstained. […]”149
Darüber hinaus kann die weltweite Verurteilung des Völkermords anders
keine moralische Grundlage finden, als durch die Verfolgung der Täter
und
die
ernsthafte
Unterstützung
de
Strafverfolgung
durch
die
kann
aber
da
dies
internationale Gemeinschaft.
Diese
juristische
nicht
alle
Verfolgung
Soldaten
der
RK
und
rechtliche
betreffen
oder
Aufarbeitung
einschließen,
aufgrund der starken Verstrickung der Kambodschaner in die Verbrechen
der RK unmöglich ist. Die Opfer- und Täterrollen können in Kambodschas
Völkermord nicht so einfach festgelegt werden, wie Jon Elster dies in
einer Strukturierung der Täter-Opfer-Nutznießer – Rollenkonstellation
versucht.150
darzustellen
rangniedere
RK-Soldaten
Indoktrinierung,
Organisation“,
(Überwachung
des
Die
sind
Zwangs
Gehirnwäsche
der
meisten
sowohl
zu
Kambodschaner
als
kriminellen
der
Zwangsarbeiten,
Jugend)
Ausführung
Opfer
von
viele
(kommunistischer
Handlungen
als
und
auch
durch
als
Exekutionen
„DIE
Täter
und
Folterungen) zu betrachten. Somit herrscht ein dementsprechend hoher
Vichea, Chea: Khmer Rouge and national reconciliation – opinions from the Cambodians; Rede
auf dem STOCKHOLM INTERNATIONAL FORUM TRUTH, JUSTICE AND RECONCILIATION; zugänglich
unter:www.stockholmforum.com/dynamaster/file_archive/020423/281795323c965cc5658e9934a6f540b
2/vannath.pdf
148
Meng-Try, Ea: Peace and Reconciliation, S. 45 in: Searching for truth – Comment and
analysis, S. 44-48; DOCUMENTATION CENTER OF CAMBODIA, Special English Edition April 2003, zugänglich
unter: www.dccam.org/Projects/Magazines/English_version.htm.
149
Vichea, Chea: Khmer Rouge and national reconciliation
150
Elster, Jon: Closing the books – Transitional Justice in historical perspective;S.100 ff.;
Die an dieser Stelle besonders relevante Passage betrifft die Kategorie (4) der
Opportunisten, in der er davon ausgeht, dass diejenigen, die aus eigenem, materiellen
Interesse Übeltäter unterstützten, als Opportunisten und somit als Nutznießer und
Unterstützer – mehr oder weniger aktiv - der Regimepolitik zu betrachten sind.
147
34
Grad
an
rationale
Verstrickung
in
Aufarbeitung
allen
der
Bereichen
eigenen
der
Gesellschaft.
Vergangenheit
ist
für
Eine
diese
Menschen bereits beschränkt, deren juristische Verfolgung aber schier
unmöglich.
Die
ehemaligen
Soldaten
der
RK
tragen
ihre
persönliche
Schuld mit sich und sind, unter Berücksichtigung des buddhistischen
Glaubens bezüglich des „kharma“, zumindest spirituell gestraft.151 Die
„normalen“
RK-Soldaten,
die
als
Kinder
und
Jugendliche ideologisch
missbraucht und verroht wurden, müssen ihre Rolle in der Gesellschaft
neu finden. Die Spannungen, die durch das Wissen um deren graduelle
Schuld in der Gesellschaft entstehen, müssen durch eine entsprechende
Versöhnungspolitik
Wahrheitskommission
des
Landes
scheint
zu
gelöst
diesem
werden.
Zweck
nicht
Eine
abwegig,
Art
denn
Wahrheit ist das einzige, was bleibt, wenn Gerechtigkeit kaum mehr
möglich ist:
“[…] At the forums, all sides stated the need for truth, justice, healing and
national reconciliation. […] The task now is to reconcile these truths to the
satisfaction of all parties. Any tribunal or trial is only one part of a
comprehensive process of reconciliation. The ideas of harmony and peace that we
associate with reconciliation cannot be suddenly achieved overnight, with one
ruling or decision. There must be a balance. On the one hand, empty apologies will
do nothing to appease the minds of the victims, but on the other we must also be
careful not to unravel the progress that has been made in reintegrating former
Khmer Rouge members into Cambodian society. […] Cambodians largely favour a Khmer
Rouge tribunal, but the reasons fort this support are complex. They are mixed with
emotional, political, cultural, and religious consideration, which are difficult to
understand. […] However, in general, Cambodians share a similar desire to find
truth and justice. […]”152
Reparationszahlungen scheinen in Kambodscha noch zu abstrakt aufgrund
des fehlenden Konzepts über Ursachen und Gründe des „Auto-Genozids“.153
Daher sind diesbezügliche Forderungen bisher ausgeblieben.154
Es bleibt die Frage, WER strafrechtlich verfolgt werden sollte. Im
Gegensatz
zu
den
Verantwortlichen
„normalen“
des
RK-Soldaten
Massenmords,
müssen
dessen
zumindest
Drahtzieher
die
und
Organisatoren, also die politische und militärische Führungsriege der
RK zur Rechenschaft gezogen werden, sofern dies noch möglich ist. Der
bereits verstorbene Anführer der RK Pol Pot kann nicht einmal mehr
einer symbolischen Bestrafung zugeführt werden, die aber vielleicht
von großer Bedeutung für die kambodschanische Gesellschaft hätte sein
können.155 Wer kommt aber für eine wirkliche Verurteilung im Sinne der
juristischen
Aufarbeitung
der
Verbrechen
der
Roten
Khmer
infrage?
Stephen Heder analysierte die Befehls- und Ausführungsstrukturen der
Bloomfield, David; Barnes, Teresa; Huyse, Luc: Reconciliation after violent conflict – A
Handbook, S. 52 “Buddhism and Reconciliation”; INTERNATIONAL INSTITUTE FOR DEMOCRACY AND ELECTORAL
ASSISTANCE; zugänglich unter: www.idea.int/publications/reconciliation/.
152
Chuop, Khamly: Examining the Cambodian view of a Khmer Rouge Tribunal, S. 50.
153
Curtis, Grant: Cambodia Reborn, S. 33.
154
Bloomfield; Barnes; Huyse: Reconciliation after violent conflict, S. 52.
155
In einem Informationsdokument der Kambodschanischen Regierung zum Tribunal ist bereits
festgelegt worden, dass es keine posthume Verurteilung geben wird; ROYAL GOVERNMENT OF CAMBODIA: An
Introduction to the Khmer Rouge Trials, S. 6; zugänglich unter:
www.cambodia.gov.kh/krt/english/index.htm.
151
35
RK
und
suchte
dabei
die
wichtigsten
RK-Kader
heraus,
deren
156
Verurteilung am wahrscheinlichsten zu sein scheint.
„Brother
Number
Two“,
Nuon
Chea
(80
Jahre
alt), war
Minister
für
Parteiideologie und Präsident des Zentralkomitees der RK. In seiner
Funktion als Chefideologe ist er mitverantwortlich für die Ein- und
Durchführung der Säuberungen und massenhaften Tötungen. Vor allem die
Verfolgungen und Vernichtungsfeldzüge gegen die Minderheiten hat er
unterstützt und gutgeheißen.
Als erster stellvertretender Premierminister agierte Ieng Sary (75)
von 1975 bis 1979. Gleichzeitig teilte er das Amt des Außenministers
der RK mit seiner Frau Ieng Thirit und vertrat mit ihr die Politik und
die
Vorgänge
in
Kambodscha
nach
außen.
Es
ist
erwiesen,
dass
er
wiederholt Inhaftierungen und Säuberungen öffentlich verteidigt und
unterstützt
sowie
diejenigen
bestimmter
Personen
teilweise
sogar
gefordert hat.
Khieu Samphan (74) übernahm als Ministerpräsident des „Demokratischen
Kampuchea“ den Posten von König Sihanouk. Bei ihm fehlen die Belege
einer ebenso starken Verstrickung in die Befehlskette, wie bei den
anderen hier genannten Verantwortlichen. Dennoch musste er in seiner
Position über die Vorgänge im Land bestens informiert sein. Er agierte
als Sprachrohr der Regierung und verteidigte im In- und Ausland die
Revolution und ihre „Fortschritte“.
Der einbeinige Ta Mok (79) war unter Pol Pot Generalstabschef der RK
und
Militärchef
in
der
Ostzone.
Damit
war
er
auch
Hauptverantwortlicher für die Durchführung der Säuberungen in diesem
Gebiet. Ta Mok bekam von den Überlebenden des Massenmordes schnell den
Beinamen „Der Schlächter“ zugeordnet.157
Kaing Kek Ieu bzw. Duch (63) leitete als Direktor das berüchtigte
Folterzentrum
Tuol
Durchführung
der
Sleng
(S-21)
Befragungen
der
und
RK.
die
Dort
war
er
Beseitigung
für
der
die
Opfer
verantwortlich und muss sich konsequenterweise dafür verantworten.
Sou Met und Meah Mut leiteten jeweils militärische Einheiten und waren
als Generäle Mitglieder im Zentralen Komitee. Beide sind sowohl für
die Inhaftierungen und besonders grausamen Exekutionen ihrer Truppen
verantwortlich, als auch für die Anordnung der Säuberungen in ihrer
Funktion als ZK-Mitglieder.
Inwiefern den beiden weiblichen RK-Kadern Ieng Thirit und Ieng Ponnary
eine
Verhandlung
droht,
bleibt
aufgrund
ihrer
recht
niedrigen
und
Heder, Stephen & Tittemore, Brian D.: Seven Candidates for Prosecution – Accountability
for the Crimes of the KR, S. 53 ff; zugänglich unter:
www.cij.org/pdf/seven_candidates_for_prosecution_cambodia.pdf;
Nachdem Heder die Methoden und Strukturen der RK-Kader analysiert, vollzieht er für alle von
ihm genannten Hauptverantwortlichen eine genaue Tatsachenanalyse und versucht anschließend,
diesen Tatsachen rechtliche Konsequenzen aufgrund der individuellen und übergeordneten
Verantwortlichkeit zuzuordnen.
157
Curtis, Grant: Cambodia Reborn, S. 351 ff.
156
36
unwichtigen
Positionen
einerseits,
ihrer
persönlichen
Nähe
zu
den
Tätern andererseits aber fraglich.
Heder
lässt
darüber
strafrechtlich
hinaus
verfolgt
offen,
werden
inwiefern
könnten,
noch
weitere
schätzte
jedoch
Personen
in
einer
Diskussion 2004 die Personenzahl derjenigen, die unter die Definition
„hochrangige
Führer“
und
„Hauptverantwortliche“
des
Gesetzes
„zur
Schaffung der außerordentlichen Kammern […]“ fallen würden, auf 10
Führungsfiguren und etwa 50 untergeordnete Verantwortungsträger.158 Die
niedrige Zahl der Hauptverantwortlichen erklärt sich durch die starken
innerparteilichen Säuberungen seit 1976, bei denen etwa die Hälfte der
verantwortlichen
Kader
vergangenen
25
verstorben.
Inwiefern
Positionen
beseitigt
wurde.
eine
Vielzahl
Jahren
besetzt
weitere
haben,
wie
Des
der
Personen,
z.B.
Weiteren
ist
in
den
Entscheidungsträger
die
relativ
regionale
zentrale
Militärführer
oder
Arbeitslagerleiter, zur Rechenschaft gezogen werden können, bleibt aus
zweierlei Gründen fraglich. Zum einen besteht die Frage, inwiefern
dies die nationale Versöhnungspolitik nicht doch in Gefahr bringen
könnte.
Zum
anderen
bestünden
Schwierigkeiten
bei
der
Komplikationen
hinsichtlich
bei
der
Identifizierung
der
Verfolgung
der
rangniederer
Verantwortlichen
Feststellung
ihrer
RK
sowie
graduellen
Schuldfähigkeit.
Eine juristische Verfolgung der hauptverantwortlichen Personen, die
teilweise wieder Zugang zur politischen Elite Kambodschas haben, ist
für
die
Vergangenheitsbewältigung
und
Unrechtstilgung
im
Land
unabdingbar. Als Beweismittel für einen möglichen Prozess gegen diese
Personen stehen zwei Dokument-Quellen im Vordergrund: Das Archiv des
Gefängnisses
und
Folterzentrums
S-21
sowie
das
Archiv
des
Geheimdienstes Santebal. Damit sind vor allem für Kaing Kek Ieu (Duch)
und Ta Mok Beweismittel en masse vorhanden.159 Aber auch den anderen
Führungsmitgliedern
Implementierung
der
und
RK
können
Durchführung
zentrale
der
Funktionen
politischen
und
in
der
ethnischen
Säuberungspolitik an den Regimegegnern und Minderheiten sowie an den
parteiinternen Kadern nachgewiesen werden.160 Beleg hierfür sind u.a.
die
Protokolle
und
Beschlüsse
des
Ständigen
Zentralkomitees
des
Demokratischen Kampuchea. Wichtige Beiträge für die Aufarbeitung der
Beweise haben darüber hinaus in den letzten Jahren das CAMBODIAN GENOCIDE
PROGRAM
AT
YALE
Basierend
können
den
auf
UNIVERSITY
den
und
von
das
diesen
RK-Führungsfiguren
DOCUMENTATION
Instituten
sowohl
CENTER
CAMBODIA
geleistet.
vorbereiteten
Dokumenten
einzelne
OF
Taten
als
auch
ihre
Public Discussion, Phnom Penh 17.12.2004: The Khmer Rouge Trials.
Chivas, George: The Trial of the Khmer Rouge – The Role of the Tuol Sleg and Santebal
archives; zugänglich unter: www.fas.harvard.edu/~asiactr/haq/200001/0001a009.htm
160
Heder, Stephen & Tittemore, Brian D.: Seven Candidates for Prosecution.
158
159
37
Verstrickung in die allgemeine Repression und Gewalt im Demokratischen
Kampuchea nachgewiesen werden.161
Das Tribunal in Kambodscha kann nicht die Geschichte und die Emotionen
aufarbeiten, aber es kann ein Signal für Rechtsstaatlichkeit sein und
somit
die
gesellschaftliche
Diskussion
anstoßen.
Die
übergroße
Mehrheit von knapp 97% der Kambodschaner möchte die Verantwortlichen
des Massenmords der RK bestraft sehen, so eine Umfrage des KHMER INSTITUTE
OF
DEMOCRACY. Selbst wenn das Tribunal Mängel und Fehler haben sollte,
unterstützen immer noch 55% diese Instanz.162 Das Tribunal wird seinen
Erfolg kaum an seinen juristischen Leistungen messen können. Aber die
Berichterstattung
und
die
daraus
resultierende
gesellschaftliche
Aufklärungsarbeit können dem Tribunal zu einem Erfolg verhelfen und
dadurch den Menschen einen Teil des dringend notwendigen Vertrauens in
die Institutionen zurückgeben sowie ein Lehrstück in puncto fairer
Justiz
werden.
Ob
es
diese
Erwartungen
erfüllen
kann,
bleibt
abzuwarten.
Fazit
„[…] Er starb in dem Glauben ei guter Führer gewesen zu sein. Es wäre für ihn und
seine Opfer besser gewesen, wenn er zugegeben hätte, einen Fehler gemacht zu haben.
163
[…]“
Bis
dato
hat
in
Kambodscha
noch
keine
ernsthafte
strafrechtliche
Verfolgung der RK-Verbrecher stattgefunden. In den 80er Jahren hat der
antivietnamesische
Chauvinismus
der
Amerikaner
und
Chinesen
die
Strafverfolgung verhindert. Die 90er Jahre waren zum Großteil von den
Versuchen der
politischen
Wiedereingliederung
der
RK,
welche
deren
Strafverfolgung im Namen der nationalen Versöhnung in den Hintergrund
drängte, geprägt. Seit dem Ende der 90er Jahre wurde eine Verfolgung
der Täter endlich national und international erwogen und durch den
Entschluss der Schaffung eines entsprechenden Tribunals in die Wege
geleitet. Die letzten offenen Fragen der Finanzierung scheinen
seit
kurzem beseitigt zu sein. Inwiefern aber das Gericht erfolgreich und
kooperativ
arbeiten
und
urteilen
und
folglich Gerechtigkeit walten
lassen kann, bleibt abzuwarten. Wie auch immer, das Tribunal allein
reicht zur Vergangenheitsbewältigung nicht aus, da sonst die Politik
der nationalen Versöhnung nur eine sehr einseitige Entschuldung der
rangniederen RK durch deren Opfer erwirken würde, ohne dass diese
einen Ausgleich dafür bekämen - ganz nach dem Motto: „Verzeih mir im
Namen der Versöhnungspolitik!“ In Kambodscha besteht Bedarf an einer
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KHMER INSTITUTE OF DEMOCRACY: Survey on the Khmer Rouge Regime and the Khmer Rouge Tribunal 2004;
zugänglich unter: www.bigpond.com.kh/users/kid/KRG-Tribunal.htm.
163
Thayer, Nate (Journalist) in: Arte-Themenabend: „Die Roten Khmer – Völkermord in
Kambodscha“.
161
162
38
Instanz,
die
rangniederen
einer
Täter ihre
Wahrheitskommission
Gegenleistung
für
ähnelt,
vor
die Versöhnung
der
die
erbringen
sollten. Wenn es schon keine strafrechtliche Wiedergutmachung zwischen
Opfern und den Tätern der mittleren und unteren Ränge geben kann, dann
sollte den Opfern zumindest die Wahrheit geboten werden.
39
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Weiterführende Onlinequellen
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Eine detaillierte Chronologie aller das Tribunal betreffenden
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www.yale.edu/cgp/chron_v3.html zusammengestellt.
Medien
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Arte-Themenabend: „Die Roten Khmer – Völkermord in Kambodscha“.
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Features 2004.
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