Reclams Städteführer. Architektur und Kunst. Rom

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reclams städteführer
architektur und kunst
Rom
Von Christoph Höcker
Mit 30 Abbildungen, 13 Grundrissen
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RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 18512
Alle Rechte vorbehalten
© 2008 Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart
Umschlagfoto: Achim Bednorz, Köln
Gesamtherstellung: Reclam, Ditzingen. Printed in Germany 2008
RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und
RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken
der Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart
ISBN 978-3-15-018512-4
www.reclam.de
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Inhalt
Rom – die ›Ewige Stadt‹. Ein Kurzporträt . . . . . .
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Stadtgeschichte in Daten . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kulturkalender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
Rundgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
Rom in drei Tagen 46
Rom in fünf Tagen 46
Rom in sieben Tagen 47
Rom innerhalb der Mauern . . . . . . . . . . . . . .
48
Die Mauern Roms . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48
Das antike Stadtzentrum zwischen Kapitol und
Palatin, Kolosseum und Circus Maximus . . . . .
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Die südliche Innenstadt zwischen Corso V.
Emanuele und dem Marcellus-Theater . . . . . .
83
Antike 83
Nachantike Sakralarchitektur 86
Profanarchitektur 92
Die nördliche Innenstadt zwischen Corso V.
Emanuele II. und der Piazza del Popolo . . . . .
102
Antike 102
Nachantike Sakralarchitektur 109
Profanarchitektur 117
Die östliche Innenstadt zwischen Piazza Venezia,
Porta Maggiore, Lateran und Esquilin . . . . . . .
133
Antike 134
Nachantike Sakralarchitektur 138
Profanarchitektur 156
Aventin, Caelius und Umgebung . . . . . . . . . .
Antike 158
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Inhalt
Nachantike Sakralarchitektur 162
Profanarchitektur 168
Rom jenseits der Mauern und des Tiber . . . . . . .
172
Engelsburg und Vatikan . . . . . . . . . . . . . . .
172
Trastevere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
207
Katakomben, Gräber, Kirchen und Profanbauten
entlang der Ausfallstraßen . . . . . . . . . . . . .
212
Villen, Gärten und Parks . . . . . . . . . . . . . .
233
Moderne Architektur in den Außenbezirken . . .
240
Das Rom der Faschisten . . . . . . . . . . . . . .
244
Die römischen Museen . . . . . . . . . . . . . . . .
251
Sehenswürdigkeiten in der Umgebung Roms . . . .
272
Cerveteri . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
272
Frascati . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
273
Ostia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
274
Palestrina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
275
Tivoli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Anhang
Karten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
280
Nachweis der Karten und Abbildungen . . . . . . .
288
Weiterführende Informationen . . . . . . . . . . . .
289
Literatur 289
Internetseiten 290
Objektregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Personenregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Rom – die ›Ewige Stadt‹. Ein Kurzporträt
Rom ist die sprichwörtlich ›Ewige Stadt‹, die Kulturstadt
Europas schlechthin. Knapp 3000 Jahre Geschichte verdichtet sich auf kleinstem Raum in einer atemberaubenden
Vielzahl von Denkmälern: antike Bauten der Etrusker und
Römer, frühchristliche Kirchenbauten und Katakomben,
die gewaltige Flut von Sakral- und Profanbauten aus Renaissance und Barock, schließlich die oft verkannten Baudenkmäler des Faschismus und der Nachkriegszeit. Dabei
sind die Überlagerungen der Epochen an einzelnen Orten
der Stadt oft höchst komplex – ein Problem, das eben aus
der Tatsache resultiert, dass die Stadt kontinuierlich besiedelt geblieben ist und jede bauliche Veränderung oder Erneuerung zugleich zur Überformung von Altem geführt
hat. So ist es bisweilen nicht ohne weiteres möglich, den
heutigen Architekturbestand samt seiner jeweiligen historischen Konstellationen und Bedingtheiten ohne detailliertere Kenntnis der Ortsgeschichte zu verstehen.
Auch wenn das heutige Rom weit über die berühmten
sieben Hügel der antiken Stadt hinausgewachsen ist, so ist,
verglichen mit anderen Metropolen, das eigentliche Stadtzentrum relativ klein und überschaubar; es beschränkt
sich im wesentlichen auf den Kern der antiken Besiedlung
innerhalb des Mauerrings des 3. Jh. n. Chr. Innerhalb dieses Zentrums gibt es wiederum Freiflächen, die in nachantiken Zeiten unbesiedelt blieben; am eindrücklichsten das
Forum Romanum und der angrenzende Palatin. Entgegen
der Legende ist Rom durchaus nicht auf sieben, sondern
auf deutlich mehr Hügeln erbaut; allerdings waren es
die berühmten sieben Hügel (Kapitol, Palatin, Esquilin,
Aventin, Quirinal, Viminal und Caelius), die im frühen
4. Jh. v. Chr. vom ersten monumentalen Mauerring umschlossen wurden, der damit das Stadtgebiet auf diesen
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Kernbereich eingegrenzt hat. Die jenseits der Mauer gelegenen Hügel (Monte Antenne, Janiculus, Pincius, Mons
Vaticanus) standen aber immer in soziokulturellem und
ökonomischem Zusammenhang mit dieser so etwas willkürlich ausgeformten Stadt Rom. Das wellige Terrain im
Hinterland der Tibermündung, am Ort des Zusammenflusses von Tiber und Annio ist Ausläufer des Berglandes
der Campagna Romana; von den römischen Hügeln ist
der Monte Mario mit 139 m der höchste.
Unter den urbanistischen Konstanten ist neben der riesigen spätantiken Stadtmauer vor allem das Straßennetz
von Bedeutung: alle großen, heute auf Rom zuführenden
Straßen sind antiken Ursprungs und nutzen die antike
Trassenführung. Von Norden führte, über den Ponte Milvio, die Via Flaminia (die noch heute so heißt) über das
Marsfeld in die Stadt, von Westen die (im Süden des Vatikan ebenfalls noch so benannte) Via Aurelia, von Süden
die Via Ostiense und die Via Appia, von Osten die Via
Prenestina (heute die Via Nomentana). Konstanten sind
auch die Tiberbrücken, während sich in der Stadt selbst im
Laufe der Jahrhunderte große Veränderungen ergaben. Im
frühen Mittelalter verödete Rom, das in jenen Jahrhunderten eher einer Kleinstadt entsprach und kaum einen Vergleich mit Konstantinopel, der Metropole des Byzantinischen Reiches, aushalten konnte. Nur vier Gebiete blieben
bewohnt: Trastevere, der Bereich um das Kapitol, eine
Ansiedlung zwischen Vatikan und Engelsburg und der
Bereich des Lateran. Der große Rest des Stadtgebietes
wurde landwirtschaftlich genutzt, was die erheblichen,
immer wieder augenfälligen Unterschiede zwischen antikem und modernem Bodenniveau beschleunigt hat und
das weitgehende Verschwinden des antiken innerörtlichen
Straßen- und Wegenetzes erklärt. Die rapide Verstädterung, die mit der Rückkehr der Päpste aus dem Exil in
Avignon im späten 14. Jh. einsetzte, umfasste überwiegend
den nördlichen Teil der antiken Stadt, insbesondere den
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Bereich des Marsfeldes; die großen antiken Ruinenfelder
(Forum Romanum, Kaiserfora und Palatin) blieben weiterhin landwirtschaftlich genutzte ›Leerstellen‹. Dort, wo
gesiedelt wurde, entstand ein verwinkeltes Straßennetz,
jedoch ohne übergeordnete Planungen. Einige repräsentative Achsen sind hier später hinzugekommen: so die Ausformung der Piazza del Popolo ebenso wie die Neuanlage
des Vatikans, schließlich die zentrale Achse der Via dei
Fori Imperiali zu Zeiten Mussolinis.
Mit der Erhebung zur Hauptstadt 1870 begann eine Bevölkerungsexplosion: von 200 000 (1870) über 700 000
(1921) bis zu 2 600 000 (2004). Immer weitere Vorstädte
(Borgate) entstanden seit den 1930er Jahren. Darunter befinden sich besondere städtebauliche Akzente wie die
EUR, aber auch unwirtliche Trabantenstädte, die heute
soziale Brennpunkte bilden. Die moderne Stadt erstreckt
sich über 1508 km². Das, was der Besucher als historisches
Rom kennen lernt, ist mit etwa 140 km² Fläche nicht einmal ein Zehntel der Stadt, die heute einschließlich der umgebenden, politisch nicht zur Stadt Rom zählenden Siedlungen für gut 5 Millionen Menschen Lebensraum geworden ist.
Geschichte. Es gibt kaum ein althistorisches Problem,
das verwickelter und verworrener ist als das der Frühgeschichte der Stadt Rom. Kern des Problems ist, dass die
Römer selbst, vorwiegend im späten 1. Jh. v. Chr. unter
der Federführung des ersten Kaisers Augustus und unter
tatkräftiger Mithilfe von Historikern wie Livius und
Dichtern wie Horaz, Ovid und Vergil, ihre Frühgeschichte bereinigt, geklittert und mythisiert haben, also eine ›offizielle‹ Staats- und Stadtgeschichte ausgeformt haben, die
eher ein Wunschbild als ein Abbild der tatsächlichen Geschehnisse war. Das Ziel war ein doppeltes: Zum einen
wurde, etwa mit dem Äneas-Mythos, die römische Frühgeschichte unmittelbar mit der griechischen Mythenwelt
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torianer-Kaserne, deren massive Ummauerung sich für
eine Integration in den Neubau einer Stadtbefestigung anbot. Zahlreiche Grabmonumente wurden ebenfalls in die
Stadtmauer einbezogen, so z. B. das Grabmal des Eurysaces an der Porta Maggiore oder die Cestius-Pyramide
nahe der Porta Ostiense.
Das antike Stadtzentrum
zwischen Kapitol und Palatin, Kolosseum und
Circus Maximus
Das antike Stadtzentrum wird geographisch durch die beiden zentralen Hügel, das Kapitol und den Palatin, sowie
die markanten Senken im Norden (Forum Romanum,
Kaiserfora, Kolosseum) und im Süden (Circus Maximus)
des Palatins gebildet, nach Westen hin vom Forum Boarium am Tiber, im Osten von den Füßen der Hügel Caelius
und Esquilin begrenzt. Die historisch-topographische Situation innerhalb dieses Areals ist höchst verwickelt und
bietet alle Aspekte, die ein Ort wie Rom mit seiner jahrtausendealten Siedlungskontinuität aufweisen kann: von in
nachantiken Zeiten wenig überbauten antiken Ruinen (Palatin) über von Laien schwer verständliche moderne Ausgrabungssituationen (Forum Romanum, Kaiserfora) bis
hin zu kompliziert übereinandergeschichteten Architekturbefunden (Kapitol). Die im Verlaufe der nachantiken
Epochen sehr verschiedenartigen ›Stadtbilder‹ Roms haben hier gewissermaßen ihren kaleidoskopartigen Schnittpunkt. Das über Jahrhunderte hinweg als campo vaccino
(»Kuhweide«) bekannte Forum Romanum war eine pittoreske, sumpfige Brache inmitten der mittelalterlichen
Stadt, das angrenzende Kapitol hingegen immer deren
Nabel mit einer entsprechend repräsentativen baulichen
Erscheinung. Auch der Palatin-Hügel blieb in nachanti-
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ken Zeiten eine weitgehend unbesiedelte Ruinenlandschaft, beherbergte jedoch an seinen nördlichen Hängen
seit der Renaissance berühmte Gartenanlagen, u. a. der
Villa Farnesina. Die monumentale Via dei Fori Imperiali,
die sich quer durch das Areal der einstigen Kaiserfora
vom Fuß des Kapitols bis hin zum Kolosseum zieht, ist
hingegen das Produkt faschistischer Stadtbildgestaltung:
Die Kaiserfora in ihrer heutigen Gestalt und in ihrer optisch wirkungsvollen Verknüpfung mit dieser Prachtstraße
sind erst in den 1920er Jahren in raumgreifenden Flächenausgrabungen und städtebaulichen Umorganisationen entstanden und gerieten, zusammen mit antiken Großbauten
wie dem Kolosseum und dem Konstantinsbogen, auf diese
Weise zu Kulissen faschistischer Machtinszenierungen, die
ganz bewusst an Glanz und Größe Roms zur Zeit von
Caesar, Augustus und Trajan anknüpften.
Circus Maximus (I C/D8): Dieses mit etwa 600 × 120 m
größte öffentliche Bauwerk der römischen Antike erstreckt
sich entlang der Senke zwischen Palatin und Aventin. Der
Bau ist insgesamt sehr viel schlechter erhalten, als dies der
in den 1930er Jahren erzeugte moderne Zustand mit seinen
Rekonstruktionen heute suggeriert. Wie bei allen alten, tradierten Stadion- und Circusbauten der Antike stand auch
hier am Beginn der Baugeschichte eine eher unscheinbare,
naturnahe und somit wenig architektonische Einfassung einer planierten Bahn für Pferde- und Wagenrennen durch
tribünenartige Erdwälle; erst im Laufe der Jahrhunderte
wurde dieser bauliche Nukleus durch immer repräsentativere und ›architektonischere‹ Umbauten und Ergänzungen
zu einem artifiziellen und technisch immer anspruchsvolleren Bauwerk umgeformt. Eine erste architektonische
Ausbauphase vollzog sich um 430 v. Chr., wobei Holz der
dominierende Baustoff war. Erstellt wurden die carceres an
der nördlichen Schmalseite (die ›Starthäuschen‹ der Gespanne), eine erste Trennmauer (spina) in der Mitte der
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Rennbahn (zusammen mit einer darin verlaufenden Kanalisierung der Senke), sowie erste Zuschauertribünen. Verschiedene Umbauten des 2. und 1. Jh. v. Chr. überführten
weite Teile sukzessive in Steinarchitektur, z. B. die Spina,
die mit Obelisken, Eiern und Delphinen als Rundenzählern u. ä. immer weiter dekorativ gestaltet wurde, die repräsentativ gefasste Bogenseite des Circus im Süden, unter
Augustus das pulvinar (»Polstersitz«) für die Götter (am
Ort der späteren Kaiserloge an der Palatin-Seite mit direktem Zugang zu den Palastanlagen). Weitere, immer prunkvollere Ausbauten der Anlage erfolgten nach den Bränden
von 36 und 64 n. Chr. Der Neubau unter Nero ermöglichte
ein Fassungsvermögen von 250 000 Personen. Weitere Vergrößerungen folgten durch Anbauten im 2. und 4. Jh.
n. Chr. Der Circus diente vor allem für Wagenrennen, besonders während der Ludi Romani im September eines
jeden Jahres, des öfteren aber auch als Start- und Zielort
repräsentativer Festumzüge, die hier von einem großen
Publikum als Gesamtinszenierungen betrachtet werden
konnten.
Forum Boarium und Forum Holitorium (II C7): Diese beiden antiken Marktplätze lagen unmittelbar beim Tiberhafen, außerhalb der Stadtmauer. Das Forum Boarium
(heute: Via Teatro di Marcello, Piazza Bocca della Verità,
Via Velabro) war der Viehmarkt der Stadt, südlich gegenüber der Tiberinsel, ganz in der Nähe der Mündung der
Cloaca Maxima in den Tiber gelegen. Der Bereich wird
heute von zwei weithin sichtbaren antiken Tempeln dominiert: dem rechteckigen Tempel des Hafengottes Portunus, häufig fälschlich der Fortuna Virilis zugewiesen, und
dem Rundtempel für (vermutlich) Hercules Olivarius,
verschiedentlich irrig als Vesta-Tempel bezeichnet. Der als
typisch römischer Podiumstempel konzipierte PortunusTempel erhebt sich auf einem massiven, über eine breite
Freitreppe zugänglichen Podium. Die Formen der vier ionischen Säulen und der weitere Bauschmuck weisen den
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Tempel der Zeit um 100 v. Chr. zu. Annähernd zeitgleich
ist der in korinthischer Ordnung errichtete Rundtempel,
der jedoch eine für Rom wichtige Novität aufweist: Anders als der aus Tuff und Travertin-Verkleidungen erbaute
Portunus-Tempel ist der Hercules-Tempel der erste Bau
Roms, der gänzlich aus Marmor besteht, welcher, da in
Italien noch keine Marmorbrüche erschlossen waren, hierfür vollständig aus Griechenland importiert worden war.
Der Bau ist damit ebenso ein wichtiges Zeugnis für die
Hinwendung des mittelrepublikanischen Roms zu griechischen Architekturvorbildern wie auch die konzisen ionischen Bauformen des benachbarten Portunus-Tempels.
Beide Tempel verdanken ihren relativ guten Erhaltungszustand (beim Rundtempel fehlt allerdings der Architrav
über den Säulen) dem Umstand, dass sie im frühen Mittelalter in Kirchen umgewandelt worden sind. Im nördlichen
Teil des Forums ist 1937 beim Bau eines Verwaltungsgebäudes nahe S. Omobono eine weitere antike Kultanlage
entdeckt worden: ein archaisches Heiligtum aus dem 6.
und 5. Jh. v. Chr. mit komplizierter Baugeschichte, bestehend aus zwei Tempeln, dazugehörigen Altären und weiteren Funktionsbauten mit unklarer Bestimmung. Am
südlichen Ende des Forum Boarium, an der Piazza Bocca
della Verità, erhebt sich die Kirche S. Maria in Cosmedin.
Sie ist der »geschmückten« Maria (kosmein, griech. für
»schmücken«) geweiht und in antike Architekturreste der
Forumsbebauung integriert. Als dreischiffige Hallenkirche
wurde sie im 6. Jh. begonnen und unter Papst Hadrian I.
(772–780) erheblich ausgebaut und erweitert. Die Marmorarbeiten und die 48 Wandbilder im Inneren entstammen der Zeit um 1120. Die umfassende Barockisierung
der Kirche aus dem 17. Jh. wurde in zwei Kampagnen
1894–99 und 1925 behutsam rückgebaut. Bekannt ist die
Kirche vor allem wegen des antiken, maskenförmigen
Schwörsteins vor der linken Wand des Narthex. Zur Beteuerung der Wahrheit einer Aussage musste man die
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Hand in die Mundöffnung stecken. Dem Volksmund nach
hielt diese Bocca della Verità die Hand eines Lügners auf
ewig fest.
Am östlichen Rande des Forum Boarium, teilweise von
der Vorhalle der Kirche S. Giorgio in Velabro (Spolienbau des 9. Jh., Umbauten im 13. und 18. Jh.) überbaut, erheben sich, schon im Bereich des antiken Velabrum (ein
Geländestück, das dieses Forum mit dem Forum Romanum verband) die Reste des sog. Argentarier-Bogens,
ausweislich der Inschrift ein 204 n. Chr. von den argentarii, den am Forum Boarium ansässigen Geldwechslern
erbautes, reich geschmücktes Ehrenmonument für den
Kaiser Septimius Severus. In der Nähe befindet sich ein
weiterer Bogen mit Durchgängen in allen vier Seiten (sog.
Janus-Bogen), ein wohl Kaiser Konstantin gewidmeter
Spolienbau aus dem 4. Jh. n. Chr.
Das im Norden anschließende Forum Holitorium
(heute die Piazza di Monte Savello) war in der Antike der
Gemüsemarkt der Stadt. Auch hier erhoben sich bedeutende alte stadtrömische Tempel für Ianus, Spes, Pietas
und Juno Sospita. Der Pietas-Tempel ist dem Bau des nahen Marcellus-Theaters zum Opfer gefallen, das auch den
Raum des Forums erheblich beschnitt. Reste der anderen
drei Tempel aus dem 3./2. Jh. v. Chr. fanden sich unter
und neben der Kirche S. Nicola in Carcere.
Das Forum Romanum (I C6/7), Mittelpunkt der Stadt
Rom und nach antik-römischer Auffassung sogar der ›Nabel des Imperiums‹ (umbelicus), ist am Schnittpunkt von
Vicus Tuscus und Sacra Via in einem Tal gelegen und als
das älteste Forum überhaupt für Jahrhunderte synonym
mit diesem Begriff. Die Bezeichnung forum romanum findet sich erstmalig erst im 1. Jh. v. Chr. bei Vergil, hat aber,
wie auch die alternativen Bezeichnungen forum magnum
oder forum vetus, niemals vollständig Eingang in den offiziellen Sprachgebrauch der Antike gefunden. Bis zum
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Das antike Stadtzentrum
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7. Jh. v. Chr. als Begräbnisplatz genutzt, wurde der Ort
um 600 v. Chr. zum gemeinsamen öffentlichen Areal der
sich zu einem größeren Verbund formierenden Siedlungskerne auf den umliegenden Hügeln. Das Forum Romanum ist damit, ähnlich wie die Agora Athens, Produkt
eines synoikismos (»Zusammensiedelung«) im Zuge der
Ausbildung eines Stadtstaates aus dem Verschmelzen
mehrerer dörflicher Kerne. Typisch dafür ist die Wahl des
Platzes, der etwa gleich weit entfernt von allen einzelnen
Siedlungskernen liegt und zugleich ein landwirtschaftlich
wertloses, weil sumpfiges Terrain ist, das im Zusammenhang mit der Anlage des Forums entwässert werden musste. Der Bau Cloaca Maxima nahm hier seinen Anfang.
Die in mehr als 14 Jahrhunderten gewachsene Platzanlage mit gleichermaßen religiösen, ökonomischen und politisch-gesellschaftlichen Funktionen ist bezüglich ihrer
Frühgeschichte bereits in der Antike mythisiert und dabei
topographisch in z. T. willkürlichen Setzungen verunklärt
worden, so durch die Markierungen des Grabs bzw. Sterbeortes des Romulus als lapis niger (in Form von schwarzen Fußbodenplatten) im Pflaster des Platzes oder die
Konstruktion des lacus curtius (der vermeintliche Sterbeort des sich heldenhaft opfernden Soldaten Marcus Curtius) und, zu Beginn des 4. Jh. v. Chr., des umbilicus urbis
(des Mittelpunkts des Imperiums) als Visualisierungen
mythischer Orte. Das Forum Romanum fügt sich als eine
dingliche Variante ein in die komplexe literarische Umformulierung, Verfälschung und Harmonisierung von römischer Mythologie, Frühgeschichte und Annalistik in der
mittel- und spätrepublikanischen Zeit – und wird auf diese Weise zugleich zum monumentalen Zeugen einer kollektiven Formung, ja Gleichschaltung von Vergangenheit.
Wegen des erheblichen Zuwachses des Bodenniveaus, wegen der sich deswegen z. T. kaum unterscheidbar überlagernden Phasen der mannigfaltigen baulichen Veränderungen und Umgestaltungen sowie den deshalb meist unkla-
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Forum Romanum, Lageplan
1 Basilica Aemilia
2 Heiligtum der Venus Cloacina
3 Comitium (mit Curia Hostilia,
Basilica Porcia, Graecostasis)
4 Lapis Niger
5 Bogen des Septimius Severus
6 Dezennalienbasis Diokletians
7 Curia Julia; westlich: Secretarium Senatus (SS. Luca e Martina)
8 Umbilicus Urbis
9 Altar des Vulcanus
10 Tempel des Saturn
11 Rostra; dabei: Milliarium
Aureum
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Bogen des Tiberius
Basilica Julia
Säule des Kaisers Phokas
Lacus Curtius
Reiterstandbild Domitians
Reiterstandbild Konstantins
Tempel der Dioskuren
Quelle der Juturna
Empfangshalle der PalatinPaläste
21 Domitianischer Gebäudekomplex (S. Maria Antiqua)
22 Tempel des Caesar
23 Bogen des Augustus
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Tempel der Vesta
Haus der Vestalinnen
Regia
Tempel des Antoninus Pius und
der Faustina (S. Lorenzo in Miranda)
28 »Tempel des Romulus«, Tempel
des Jupiter Stator (der Penaten)
29 Bibliothek Vespasians(?)
(SS. Cosma e Damiano)
30 Maxentius-/KonstantinsBasilika
31 Tempel der Venus und der
Roma (bei S. Francesca Romana
[S. Maria Nova]; Antiquarium
Forense)
32 Bogen des Titus
33 Halle der Dei Consentes
34 Tempel des Vespasian
35 Tempel der Concordia
36 Carcer Tullianus / Mamertinus
(S. Giuseppe dei Falegnami)
37 Tabularium
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